Wie man es noch sagen kann von Yosephia ([Romance OS-Sammlung/ Prompt-Liste]) ================================================================================ 77. “Call me if you need anything.” (SilverUr) ---------------------------------------------- Krampfhaft darum bemüht, seine Müdigkeit im Schach zu halten, beobachtete Silver über Urs Schulter hinweg, wie sie seinem Sohn die Medizin einflößte, die er dem Säugling Stunden lang nicht hatte schmackhaft machen können. In dem Moment, da Ur durch die Tür von Silvers Wohnung getreten war, hatte alles so unglaublich einfach ausgesehen. Die Schwarzhaarige hatte zuerst ihre eigene Tochter ins Wohnzimmer gebracht und ihr dort auf der breiten Couch eine Schlafstatt zurecht gemacht, ehe sie Silver ins Kinder-/Krankenzimmer gefolgt war. Irgendwie hatte sie sofort gewusst, was zu tun war, hatte Gray mühelos beruhigt, gebadet, neu angekleidet und nun auch noch mit Medizin versorgt. Es sah aus, als wäre es genauso einfach und selbstverständlich wie Atmen für die junge Mutter. Vielleicht waren das die Muttergene. Vielleicht hätte Mika das genauso einfach hinbekommen… Silver zwang sich, den Gedanken an das erschöpfte und doch so selig lächelnde Gesicht seiner Frau nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes zu verdrängen und in der Gegenwart zu bleiben. Bei Ur, die sich um seinen kranken Sohn kümmerte, weil er selbst zu unfähig dafür war. Wortlos verfolgte er, wie seine Kameradin das verschwitzte Gesicht des Jungen mit einem warmen Lappen wusch und dann einen Finger in eine der winzigen geballten Fäuste schob. Sofort umklammerte Gray den Halt und sein Weinen wurde schwächer, sackte schließlich zu einem leisen Wimmern ab, bis es völlig verstummte und die verquollenen Augen zufielen. Als hätte Ur ihn in den Schlaf gehext… Die junge Frau wartete noch eine Weile ab, bis Gray sich vollkommen entspannt hatte, dann entzog sie ihm ihren Finger vorsichtig und trat den Rückzug an. Lautlos folgte Silver ihrem Beispiel. Vorsichtigen Rückzug beherrschte er. Seine Füße fanden wie von selbst ungefährliche Bodendielen, während er die Wiege mit dem Eiskristall-Mobile bis zuletzt im Auge behielt. Erst als er mit Ur im Flur stand und die Kinderzimmertür hinter sich geschlossen hatte, wagte Silver es, die angehaltene Luft auszustoßen und sich durch die Haare zu streichen. „Danke, Ur, dass du es einrichten konntest.“ „Das war selbstverständlich“, wehrte die Schwarzhaarige ab. Nicht in Silvers Augen. Um ein Uhr morgens durch die halbe Stadt zu fahren – noch dazu mit einem vierjährigen Mädchen – und das nur, um einem gescheiterten Vater zu helfen, war mehr, als man von jeder Freundschaft jemals erwarten sollte. Als Silver in seiner Verzweiflung Ur angerufen hatte, hatte er sie eigentlich nur um Rat fragen wollen, aber sie hatte ihm kurzerhand gesagt, dass er auf sie warten sollte, und eine halbe Stunde später hatte sie vor seiner Tür gestanden. Sie war seine Rettung gewesen. Silver hatte am Rande der Verzweiflung gestanden, hatte für einen wahnwitzigen Moment sogar daran gedacht, das Angebot seiner Schwiegereltern anzunehmen, die Gray zu sich nehmen wollten. Als er es bei Mikas Beerdigung das erste Mal von ihnen erhalten hatte, hatten Igneel und Layla es ihm ausgeredet. Die Beiden hatten ihm geschworen, sie würden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, wenn es nötig wäre, um ihm zu helfen, mit seinem Sohn zusammen zu bleiben. An die Beiden hatte Silver auch zuerst gedacht, als er es nicht geschafft hatte, Gray zu beruhigen. Aber Igneel war mit einem Großteil ihrer gemeinsamen Kameraden wieder an der Front und Layla stand kurz vor der Geburt ihrer Tochter. Wahrscheinlich würde Jude Silver köpfen, wenn er Layla in so einer Zeit mitten in der Nacht anrufen würde. Also hatte er Ur angerufen, die er doch eigentlich erst seit drei Jahren kannte und die momentan neben ihm die Einzige aus dem Team war, die auf Heimaturlaub war. Die Anderen waren alle in Pergrande und versuchten, im dortigen Bürgerkrieg zwischen den Stämmen für den Schutz der Zivilbevölkerung zu sorgen. Silver ertappte sich oft bei dem heimlichen Wunsch, bei ihnen sein zu können. Dort draußen wusste er wenigstens, was er machen sollte und konnte, aber hier… „Igneel hat mich übrigens gestern Nachmittag kurz angerufen“, durchbrach Ur die Stille zwischen ihnen und blickte forschend zu Silver auf. „Ich soll dir ausrichten, dass du dich bei ihm melden sollst. Er will Fotos von seinem Patensohn sehen.“ Das sah Igneel ähnlich. Natürlich verstand Silver sofort, worauf sein alter Schulfreund es wirklich abgesehen hatte. Igneel wollte sicher gehen, wie es ihm ging. Beinahe hätte Igneel sich vor drei Wochen sogar dem Marschbefehl verweigert. Obwohl sie nie darüber gesprochen hatten, wusste Igneel wahrscheinlich, wie sehr Silver noch immer um Mika trauerte. Zwei Monate war es schon her, dass Silver sich nach Grays gut verlaufener Geburt abends von seiner Frau verabschiedet hatte, nur um am nächsten Morgen zu erfahren, dass sie in der Nacht verblutet war. Seit zwei Monaten war Silver Witwer. Aber für Silver war es noch so schmerzhaft wie am ersten Tag und die Zweifel betreffend Grays Erziehung nagten noch immer an ihm… Eine behutsame Berührung an seiner Schulter riss Silver aus seinen Gedanken. Ur stand noch immer vor ihm im Flur und blickte abwartend zu ihm auf. „Soll ich ihm etwas ausrichten?“, fragte sie sanft. „Nein… Danke, aber ich melde mich selbst bei dem Tunichtgut. Man sollte meinen, Weiß hält ihn beschäftigt“, murmelte Silver und rollte übertrieben mit den Augen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass er in Ordnung war. Für einige Sekunden musterte Ur ihn nachdenklich, dann nickte sie verstehend. „Dann gehe ich mit Urtear jetzt wieder nach Hause.“ „Das müsst ihr nicht“, protestierte Silver mit gedämpfter Stimme. „Es ist halb Drei Uhr morgens. Du kannst ruhig mit Urtear im Wohnzimmer schlafen, die Couch ist bequem genug für euch Beide, versprochen.“ Urs Blick huschte zur Schlafzimmertür hinüber und Silver wünschte sich, er hätte sie geschlossen, bevor seine Kameradin hierher gekommen war. Natürlich war ihr nicht entgangen, dass das Ehebett vollkommen unberührt war, die Kissen ordentlich drapiert, die Decken glatt gestrichen, ein zusammengelegtes Frauennachthemd auf der einen Decke. So wie Mika das Ehebett jeden Morgen hergerichtet hatte. So wie Silver es extra für ihre Heimkehr nach Grays Geburt vorbereitet hatte… Aber Ur sagte nichts dazu, sie schüttelte bloß den Kopf und drückte sich an Silver vorbei, um zum Wohnzimmer zu gehen und ihre schlafende Tochter vorsichtig aufzunehmen. Das Mädchen brummte leise, kuschelte den Kopf jedoch sofort an die Schulter seiner Mutter und schlief so weiter. „Versuch’ ein paar Stunden zu schlafen, Silver. Ich würde dir gerne etwas anderes sagen, aber ein paar Tage wird Gray wohl noch brauchen, bis er wieder richtig gesund ist“, erklärte Ur leise, während sie zur Wohnungstür ging. „Das macht mir Mut“, murmelte Silver und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Bist du dir wirklich sicher, dass ihr nicht hier bleiben wollt?“ Anstatt ihm zu antworten, musterte Ur ihn lange und eindringlich. Silver hatte nicht die geringste Ahnung, wie er diesen Blick deuten sollte. War das Sorge? Wie viel hatte Ur sich bereits über seinen Zustand zusammen gereimt? Hielt sie ihn deswegen für schwach? Oder für einen schlechten Vater? Immerhin hatte sie sich doch schon während der Schwangerschaft darauf einstellen müssen, sich alleine um ihr Kind kümmern zu müssen, und sie war sogar noch in der Schule gewesen. Was waren dagegen schon Silvers Probleme…? „Ruf’ mich an, wenn du irgendetwas brauchst“, flüsterte Ur nur über Urtears Kopf hinweg, dann drehte sie sich um und verließ die Wohnung. Silver blickte selbst dann noch ins Treppenhaus, als unten die Tür des Gebäudes wieder ins Schloss fiel. Er wartete und wartete auf etwas, ohne zu wissen, worauf. Irgendwann schloss er die Tür und schleppte sich ins Wohnzimmer. Wie mechanisch holte er Laken, Wolldecke und Gästekissen aus dem Sofakasten, aber als seine mittlerweile wohlvertraute Schlafstatt fertig war, glitt sein Blick zurück zur Schlafzimmertür, dann zur Wohnungstür. Allein der Gedanke daran bereitete ihm Schuldgefühle, aber er konnte ihn nicht abschütteln. Er wünschte sich, Ur wäre noch hier. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)