Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 1: Gefühle ------------------ Kaum merklich hielt die Nacht über das Land den Einzug ein. Im Hause der de Jarjayes herrschte eine gespenstige Stille und die Dunkelheit umhüllte alle Zimmern, Räume und Korridore. Leise schlugen die Uhren die Mitternacht. Alle Bewohner schliefen schon längst, nur in Rosalies Zimmer brannte ein fünffacher Kerzenständer auf dem Tisch. Drei große Stapeln von Büchern häuften sich auf dem Tisch – manche waren aufgeschlagen, manche beiseite geräumt und auf zwei von ihnen ruhten die Köpfe von Rosalie und André. Beide hatte die Müdigkeit übermannt – vorerst Rosalie und etwas später auch André. Oscar war die Einzige, die ein Buch nach dem anderen konzentriert überblätterte und keine Spur von Müdigkeit zeigte. Sie wollte unbedingt den Namen von Rosalies leiblichen Mutter finden und würde sich nicht so leicht davon ablenken lassen bis sie ihn gefunden hatte. Durch Jahrelange Erziehung in Disziplin und Selbstbeherrschung, war sie mittlerweile gewohnt mit wenig Schlaf auszukommen. Rosalie und André sollten daher ruhig weiter schlafen – das gönnte sie den beiden. Oscar legte ein Buch beiseite und griff nach dem Nächsten, aber auch dort war keine Martine Gabrielle aufgezeichnet – das war der Name von Rosalies leiblichen Mutter.       Die Kerzen waren bereits zur Hälfte abgebrannt, die Flammen flatterten leicht und die Uhr schlug schon zwei Stunden nach Mitternacht. Oscar saß weiterhin ungerührt am Tisch in Rosalies Zimmer und blätterte in dem nächsten von den unzähligen Büchern, ohne geringsten Erfolg. Sie überschlug eine Seite und dann hörte sie ein schläfriges Murmel von Gegenüber. „Oscar...“   „Was ist, André?“ Oscar bekam keine Antwort. Wollte er sie etwa veräppeln? Zuerst sagte er ihren Namen, als wolle er etwas wissen und dann antwortete er nicht! Oscar hob mit gerunzelter Stirn den Blick auf ihren langjährigen Freund und musste überrascht feststellen, dass dieser ungerührt weiterschlief. Vielleicht hatte sie sich verhört? Oder hatte er im Schlaf gesprochen? Oscar bekam keine Antwort. Also hatte sie sich doch verhört! Sie wollte schon ihren Blick wieder auf das Buch vor ihr auf dem Tisch senken, als André seine Lippen bewegte: „...ich liebe dich...“, hauchte er kaum hörbar und leise.   Oscar hatte ihn dennoch verstanden. „Wie bitte?“ Ihr Mund schlug auf, ihre Augen weiteten sich und sie selbst war wie entgeistert. Hatte er das wirklich gesagt? Nein, das konnte nicht sein! Sie sah bestimmt schon Gespenster! Vielleicht sollte sie sich lieber auch hinlegen und eine Stündchen schlafen?! Aber sie hatte doch Rosalie versprochen, nach ihrer leiblichen Mutter zu suchen! Und zudem noch war nicht einmal die Hälfte der Büchern auf dem Stapel neben ihr durchgelesen! Oscar senkte ihren Blick wieder auf den Buch vor sich und setzte ihre Suche fort, denn von André kam kein weiteres Ton mehr über die Lippen. Also musste sie sich ganz bestimmt geirrt haben... Sie waren Freunde seit Kindesalter und das würde für immer so bleiben... Dennoch bekam sie ein mulmiges Gefühl und seine Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie konnte sich nicht mehr wie vorhin beim Lesen konzentrieren, aber sie zwang sich. Es müsste gehen! André wusste selbst bestimmt nicht, was er da redete und Träume entsprachen keiner Wahrheit. Und wenn er wieder aufwacht, würde er selbst vergessen haben, was er geträumt hatte. Deshalb war die Sache es nicht wert, um mehr darüber nachzugrübeln. Aber warum ging es ihr dann nicht mehr aus dem Kopf? Warum schlug ihr Herz dann aufgeregter? Und was war das für eigenartige Wärme, die ihren Körper durchströmte? Nein! Was auch immer das war, es dürfte nicht sein! Sie führte das Leben eines Mannes, so wie ihr Vater sie erzogen hatte. Sie war ein Offizier und daher passte so etwas wie Liebe nicht hinein. Als Kommandant des königlichen Garderegiments war es ihre Pflicht die königliche Familie zu schützen. Das Leben einer Frau wäre dadurch undenkbar und so lange Oscar sich erinnern konnte, hatte sie das noch nie bedauert. Bis jetzt – seit André ihr diese drei Worte im Schlaf offenbart hatte... Ihre Hände zitterten leicht und ihre Finger umklammerten den Einband fester. Sie musste das überwinden, es im Keim ersticken und dann ab morgen würde es wieder so sein, wie es bisher war. So redete es sich Oscar angestrengt ein und das half ihr, ihre aufgeweckte Gefühle zu besänftigen. Das war gut so – wie für sie, so auch für André.       Die Nacht ging genauso leise und still vorüber, wie sie gekommen war. Aber trotz Anstrengung, konnte Oscar in den Büchern den Namen von Rosalies leiblichen Mutter nicht finden.   Mit den ersten Sonnenstrahlen erwachte auch André aus dem Schlaf. Ach, nein, er wollte noch weiter schlafen, aber es ging nicht mehr – der neue Tag war angebrochen und es gab noch einiges zu tun. Noch etwas schlaftrunken richtete André sich auf und streckte herzhaft seine versteifte Glieder, um ganz wach zu werden. Sein Blick fiel dabei auf Oscar, die ungerührt ihm gegenüber saß und in einem der letzten Büchern blätterte. Hatte sie etwa die ganze Nacht kein Auge zugemacht? Sie sah nicht einmal müde aus. Im Gegenteil: Sie wirkte wie immer gefasst und undurchschaubar. Ach, Oscar, sie setzte immer alles daran, um ihr Ziel zu erreichen. Sie müsste Rosalie sehr gern haben, wenn sie sogar die ganze Nacht für sie wach blieb. Und für ihn? Würde Oscar so etwas auch für ihn tun? Sicherlich würde sie das, denn sie waren Freunde seit Kindesalter und sie hatte sich für ihn vor ein paar Jahren bei dem alten König eingesetzt, als man ihn für angebliches Verschulden hinrichten wollte... Ja, genau, Freunde und nicht mehr oder weniger...   André sah Oscar an und dachte dabei an das, was er geträumt hatte: Er hatte im Traum Oscar seine Liebe gestanden und sie hatte seine Liebe erwidert. Er vermochte nicht zu sagen, wie ihr Kuss geschmeckt hatte, aber es war dennoch schön gewesen... Sehr schön sogar... und so realistisch... Aber leider war das nur ein Traum und würde es auch so bleiben. Oscar würde es niemals tun, so bedauerlich es auch sein mochte. Mittlerweile war sie Anfang zwanzig – er, André, war nur ein Jahr älter, und noch nie hatte sie so etwas wie Liebe oder Zuneigung empfunden. Viel zu sehr war Oscar in ihrer Erziehung als Mann verstrickt, dass sie niemals ihre weiblichen Gefühle sich zulassen würde. Ihr Vater, General Reynier de Jarjayes, ließ sie von Geburt an wie einen Knaben erziehen, damit sie in seine Fußstapfen trat und weil er keinen Sohn hatte. Und seine Erziehung trug schon bald Früchte: Oscar wurde mit vierzehn Kapitän des königlichen Garderegiments und als Marie Antoinette zur Königin wurde, wurde sie auf dem Wunsch Ihrer Majestät zum Posten als Kommandant befördert. Welch eine Ehre – vor allem für die Familie der de Jarjayes... Aber niemand stellte dabei die Frage, was eigentlich Oscar selbst darüber dachte und wie sie sich fühlte...   Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sah Oscar von dem Buch auf und André wandte seinen Blick von ihr ab, um nicht aufzufallen. Er schaute zum Fenster, wo draußen die Morgenröte die Reste der Nacht bereits ganz vertrieben hatte und nun mit hellen Sonnenlicht alles umhüllte. „Es ist Morgen geworden, ohne dass ich es bemerkte.“ Dabei fiel ihm die schlafende Rosalie auf. „Wir müssen irgendwann mal eingeschlafen sein“, sagte er und wollte sie wecken.   „Lass sie noch schlafen“, hielt ihn Oscar von seinem Vorhaben ab. „Bedenke, was gestern so alles passiert ist. Sie braucht sicherlich noch etwas Ruhe.“ Sie sprach von dem Vorfall, als Rosalie gestern auf dem Ball der Mörderin an ihrer Mutter begegnet war und hatte sie auf der Stelle mit einem versteckten Dolch umbringen wollen. Allerdings Dank Oscars schnellen Eingreifen, hatte sie das nicht tun können. Die Sache war noch gerade gut gegangen, denn sonst wäre Rosalie nach ihrer Rache verhaftet und höchstwahrscheinlich auch noch dafür gehängt worden. Oscar hatte alles bedacht und dem Mädchen das Schlimmste erspart, obwohl Rosalies Rachegelüste und Groll gegenüber dieser Madame de Polignac weiterhin nicht vergingen.   André musste seine Freundin wieder ansehen und deren Blicke trafen sich. Keiner der beiden verriet dabei ihre tiefsinnige Gedanken. Deren Gesichtsausdrücke gaben nichts davon Preis und blieben verschlossen. „Was machen wir, wenn wir den Namen nicht finden?“, fiel es André ein, um aus seinen Gedanken zu kommen.   Oscar war innerlich dieser Frage dankbar. So konnte sie sich wieder auf das Wesentliche konzentrieren. Sie schlug vor, eine gewisse Hofdame in Versailles zu fragen, die sich mit allen Namen der Adligen gut auskannte und André war damit einverstanden.   Leider war die besagte Madame in Versailles nicht anzutreffen. „...der Zustand ihrer Mutter hat sich so verschlechtert, dass sie nicht eine Sekunde gezögert hat, um ihre Sachen zu packen“, hatte ihnen die Königin erklärt und Oscar blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten.   Zusammen mit André verließ sie die Räumlichkeiten der Königin und ging mit ihm nach draußen. Sie stiegen ganz gewöhnlich die Treppe herunter und da bemerkte André ganz plötzlich, dass mit dem Leuchter etwas nicht stimmte – Staub und Putz bröselte herab. Er blieb unvermittelt stehen und schaute nach oben. Oscar ging weiter, ohne etwas zu bemerken. Der Leuchter schwankte leicht und knarzte leise, als würde er gleich abstürzen. Oscar gelangte gerade direkt darunter an und der Leuchter riss. André war geschockt. „Oscar!“   Sie drehte sich erschrocken um und André warf sich zeitgleich auf sie. Gemeinsam rollten sie die Treppe herunter und in dem Moment krachte der Leuchter auf den Boden. Nur um Haaresbreite entkam Oscar dem Unfall, wenn es überhaupt ein Unfall gewesen war. Sofort versammelten sich viele Menschen um sie und halfen ihr auf die Beine zu kommen. Es war ihr nichts passiert. Zum Glück.   Vor dem herabgestürzten Kronleuchter hatte André Oscar bewahren können, aber leider nicht mehr vor dem nächsten Attentat. Noch am demselben Abend hatte angeblich Ihre Majestät um die späten Stunde nach Oscar geschickt, aber dem war nicht so. Mitten auf dem Weg im Wald wurden sie von einem halben Dutzend fremde Männern angegriffen. Der vermeintliche Kutscher ergriff gleich darauf die Flucht, als wäre er mit denen im Bunde. Sie wurden also in eine Falle gelockt.   Der Kampf begann auf der Stelle und bei völligen Dunkelheit. Nur durch den silbrigen Schein des Mondes konnten alle Beteiligten die Bewegungen und Silhouetten erkennen. Oscar und André schlugen sich wacker – André mit drei und Oscar mit zwei Gegnern. Der sechste aus dieser Bande von Übeltätern nutzte die Kampfszene aus und schlich zu der Kutsche, wo Rosalie schreckensbleich das Szenario beobachtete. Panisch schrie die junge Frau um Hilfe, als sie plötzlich den Mann vor der Kutsche einsteigen sah und von ihm mit seinem Schwert bedroht wurde.   „Rosalie!“ Oscar streckte ihren Gegner nieder und warf ihren Degen gezielt auf den Mann zu. Wie ein Pfeil sauste ihre Klinge durch die Luft und durchbohrte todsicher den Banditen.   Rosalie war gerettet, Oscar atmete auf und vergaß dabei für einen kurzen Augenblick ihre Deckung. Und das wurde ihr zum Verhängnis... Jemand verübte einen Hinterhalt und stach ihr hinterrücks in das rechte Schulterblatt... Oscar fiel mit einem überraschenden Aufschrei vornüber und blieb reglos liegen.   „Lady Oscar!“ Rosalie schrie vor Entsetzen wie am Spieß.   André sah sich mitten im Fechten kurz um und ihm blieb beinahe das Herz stehen. „Oscar!!!“ Mit Wucht bohrte er seinen Degen einem der Gegner in den Zwerchfell, zog seine Waffe raus und erlegte mit einem präzisen Hieb den zweiten. Er wollte zu Oscar, aber der dritte erwies sich als ein hartnäckiger Kämpfer und ließ sich nicht so leicht abwimmeln.   Der Täter bei Oscar hob erneut sein Schwert, um sie vollends zu töten, aber die Geräusche einer nahenden Kutsche verhinderte die Tat. „Da kommt jemand!“, rief er stattdessen seinem Kumpan zu und ergriff mit ihm die Flucht.   André war nun frei und eilte zu Oscar. Sie lag immer noch bäuchlings am Boden und bewegte sich nicht. Behutsam kniete er zu ihr, drehte sie um und hielt sie in seinen Armen. „Bitte, Oscar, sag doch etwas...“   Oscar verzog nur schmerzlich ihr Gesicht und dann kam keine Regung mehr von ihr. Die fremde Kutsche, die die restlichen Banditen aufgescheucht hatte, kam näher und ein bekanntes Gesicht lugte daraus. „Oscar!“, schrie der Mann in dem Gefährt dabei aufgebracht.   „Ich kenne Euch...“, murmelte André, als der Neuankömmling zu ihnen aufschloss. Er hielt Oscar weiterhin in seinen Armen und betete stumm, dass die Stichverletzung in ihrem Schulterblatt nicht zu tief war und sie am Leben bleiben würde...   Graf von Fersen kam gerade noch rechtzeitig zu Hilfe und half André und Rosalie Oscar zurück auf das Anwesen zu bringen.   Oscar wurde vom Arzt der Familie de Jarjayes fachmännisch versorgt und behandelt. Sie kam spät Nachts wieder zu sich und war dem Grafen sehr dankbar für seine Hilfe. Und nicht nur das... denn seit diesen Attentat begann Oscar nämlich Gefühle zu hegen. Nicht für ihren besten Freund, sondern für diesen Grafen, dessen Herz sowieso einer anderen gehörte. Oscar war das bewusst und dennoch... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)