Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 3: Liebesqual --------------------- Rosalie hielt ihr Versprechen und verlor kein Wort darüber, was sie an dem einen Abend gesehen hatte. Sie litt ja selbst unter einer ungewöhnlichen Zuneigung zu Lady Oscar. Aber das war ihr zweitrangig. Im Vordergrund standen andere, unheimliche Gefühle in ihr: Sie war zu sehr darauf versessen, sich für ihre tote Mutter rächen zu wollen. Und wenn das schon nicht genug wäre, fand André irgendwann heraus, dass die Mörderin ihrer Ziehmutter ihre leibliche Mutter war. Da brach Rosalie zusammen und nicht einmal die gewisse Zuneigung zu Lady Oscar konnte sie trösten. Einzig die Zeit heilte ihr die Wunden und sie fand sich damit ab. Zwar war das nicht gerade leicht, aber es musste gehen. André litt ja ohnehin mehr als sie, wegen der stillschweigenden und unerwiderten Liebe zu seiner langjährigen Freundin.   Auch Oscar litt unter solch einer Liebe, die allerdings dem Grafen von Fersen galt. Dieser betrieb aber eine Affäre mit der Königin und die Gerüchteküche hatte sich schon in ganz Frankreich darüber ausgebreitet. Niemand konnte etwas dagegen tun, vor allem nicht Oscar. Oder etwa doch?   Graf von Fersen kam wieder einmal, nach einem geheimen Treffen mit Marie Antoinette, an einem frühen Morgen zu Besuch. Er suchte bei Oscar Ablenkung und sie half ihm nur zu gerne dabei. Eine Runde fechten mit ihm und danach eine Tasse Tee trinken half zwar nicht seinem geplagten Herzen, aber verschaffte einen gewissen Trost und tat seiner Seele gut.   André behielt alles im Auge: Wie Oscar focht, ihre geschmeidige Bewegungen und wie sie danach mit dem Grafen sich auf ihrem Salon unterhielt. Das schmerzte ihm, denn er spürte förmlich, wie Oscar an von Fersen ihr Herz mehr und mehr verlor... Wie immer treu an ihrer Seite befand sich André dennoch in ihrer Nähe. Ihre Aufmerksamkeit galt dagegen dem Grafen. Sah sie denn nicht, dass von Fersen sie nur als Kameradin, als einen guten Freund betrachtete? Er, André, dagegen sah Oscar schon immer als Frau und er liebte sie als ebendiese aus tiefstem Herzen...   Von Fersen blieb nicht lange. Oscar hatte ihm sogar vorgeschlagen, zum Abendessen zu bleiben, aber von Fersen schlug ihren Angebot höflich ab und fragte André stattdessen nach einem einfachen Gasthof in Paris.   „Es wird nicht lange dauern, bis unser Graf aus einem gewissen Gasthaus rausgeworfen wird, falls er wirklich vorhat dort einzukehren“, meinte beiläufig André, als der Graf fort war. Er und Oscar befanden sich in ihrem Salon wieder. Sie stand am Fenster und starrte hinaus. Er saß am Tisch und betrachtete ihren Rücken und ihre Haarpracht, die ihr offen um die schmalen Schultern lag. Auch ein Rücken könnte entzücken... Dabei dachte André an den Kuss, den er ihr einstmals gab. Ob Oscar damals etwas davon mitbekommen hatte? Sicherlich nicht... Denn am nächsten Tag wies sie kein Anzeichen auf und benahm sich sonst wie immer. Auf seine Anmerkung erwiderte Oscar natürlich nichts, was ihn zu weiteren Reden verleiten ließ: „...wenn ihm die Liebe so schmerzt, weshalb lässt er sich dann erst auf sie ein? Zu lieben und geliebt zu werden, das sind zwei völlig verschiedene Dinge.“   Auch da schaute Oscar ungerührt aus dem Fenster und beobachtete lustlos den Sonnenuntergang. André hatte gut zu reden. Sie erinnerte sich an seine Worte, die er vorletztes Jahr im Schlaf gesprochen hatte und ihr wurde dabei mulmig zumute. Ach, warum war sie nicht einfach wie ein Mann geboren worden...   „Tja, so kann das Leben spielen... und so manche Liebe auf dieser Welt währt schon eine Ewigkeit, ohne dass der andere überhaupt davon weiß“, sprach André derweilen zu ende.   Vielleicht wollte er sie damit auf etwas hinweisen? War das ein Wink mit dem Zaunpfahl? Oder bezog er gerade dies auf seine eigenen Gefühle?   Oscar konnte daran genauso wenig glauben wie damals, als sie ihn im Schlaf reden gehört hatte. Sie lauschte jedes einzelne seiner Worte und drehte sich zu ihm um. Ihr Freund hatte ins Schwarze getroffen, aber warum sprach er davon?! Das missfiel ihr. So, als hätte sie nicht schon genug mit ihren eigenen Gefühlen zu tun! „Hol dein Degen, André, und komm mit raus auf den Hof“, forderte sie ihn heraus. Sie wollte sich ablenken, ihre weichen Gefühle niederringen und das Gehörte vergessen.   André folgte ihr mit dem Degen gelassen nach und dann standen sich die zwei gegenüber auf dem Hof. „André, diesmal nehme ich keine Rücksicht!“, entschied Oscar und schwang ihren Degen einige Male durch die Luft.   „Gut, ich bin bereit. Auch ich werde mein bestes geben, glaube mir“, erwiderte André und der Kampf begann.   Oscar stürzte mit einem Kampfschrei auf ihn und André parierte gekonnt ihren Schlag. Dann schlug er zu, aber Oscar wich ihm flink aus. „Vergiss diesen Mann... Du musst ihn endlich vergessen, denk nicht mehr an ihn...“, dachte André während des Duells bei sich: „...oh, ja, ich wünsche mir, dass du ihn vergisst auf immer und ewig...“   Oscar dachte nicht daran. Wie besessen focht sie mit André, aber auch dieser gab sich diesmal nicht leicht zu schlagen. Der Kampf zwischen ihnen währte lange, noch länger als sonst. Und wenn Sophie nicht vorbeigekommen wäre, um Lady Oscar mitzuteilen, dass das Abendbrot angerichtet sei, dann hätten sie womöglich noch weiter miteinander gekämpft.       - - -       Am nächsten Tag wurde Oscar zu der Königin bestellt. Ordnungsgemäß, in ihrer roten Uniform gekleidet, beugte Oscar vor Ihrer Majestät das Knie und wartete ohne den Blick zu heben auf ihre Befehle, oder was auch immer es sein mochte.   Marie Antoinette scheuchte auf einmal alle ihre Hofdamen weg, um mit Oscar alleine zu sein. Vorerst saß sie würdevoll und anmutig auf ihrem gepolsterten und mit goldenen Mustern verzierten Stuhl. Dann sackte ihre Haltung plötzlich zusammen und sie vergrub ihr Gesicht schluchzend in ihren Händen. „...Ihr seid noch die Einzige, der ich vertrauen kann... Versteht Ihr? Ihr seid der einzige Mensch, von dem ich weiß, dass er mein Geheimnis bewahren kann... Um mich herum nur Intrigen und von Neid erfüllter Hass... Reitet zu ihm und richtet ihm aus, dass ich unsere Verabredung von heute Abend nicht wahrnehmen kann... Ich habe völlig vergessen, dass der König heute einen hohen Gast erwartet und ich deshalb die ganze Zeit an seiner Seite verbringen muss... Bitte, Oscar, sagt nicht nein... sonst kann ich Euch nie wieder reinen Gewissens ins Gesicht sehen...“   Diese Szene der verlorenen und verzweifelten Königin, die wie ein Strauchdieb ihr Gesicht verdeckte, kreiste Oscar noch lange durch den Kopf. Sie konnte ihr die Bitte nicht abschlagen. Wie denn auch? Sie war der Königin verpflichtet und es war ihre Aufgabe, ihr beizustehen – ungeachtet ihrer eigenen Gefühlen.   Oscar ging langsam und beherrscht wie ein Soldat mit aufrechter Haltung aus dem Schloss und stieg genauso ausdruckslos auf ihr Pferd. „Was wollte die Königin von dir?“, fragte André sie beim Aufsteigen seines braunen Pferdes.   Anstelle zu Antworten trieb Oscar heftig ihren Schimmel an und preschte wie verrückt durch das goldverzierte Eisentor von Versailles. André versuchte sie einzuholen. So leicht wollte er sich nicht von ihr abwimmeln lassen. „Hey, was hast du?!“   „Reite nach Hause, ich komme später nach!“, war das einzige, was er von ihr hörte und verlangsamte sein Pferd.   André wusste zwar immer noch nicht, was die Königin zu Oscar gesagt hatte, aber er verspürte ganz deutlich, dass es um Graf von Fersen ging. Sonst wäre Oscar nicht so aufgelöst davon geritten. Also gut, er würde ihr nicht nachreiten, aber er würde sie beobachten. Er sah flüchtig zum Himmel. Graue Wolken verdichteten immer mehr den azurblauen Grund und verkündeten damit, dass schon bald Regen aufkommt. Oscar würde er bestimmt ziemlich lange nicht Zuhause antreffen und sie würde höchstwahrscheinlich noch in dem Regen durchreiten, ahnte André trüb. Wenn er schon nicht verhindern konnte, dass Oscar sich in von Fersen verliebte, dann würde er sie wenigstens vor dem Regen bewahren können und ihr damit zeigen, dass sie immer mit ihm rechnen konnte. André wendete sein Pferd und trieb es in Richtung des Anwesens de Jarjayes, um den Regenmantel zu holen.   Oscar trieb ihren Schimmel dagegen ziellos durch die Gegend. Ihre Gefühle spielten wieder verrückt und sie musste sie besänftigen. Mitten auf dem Weg kreuzte ein Fluss und sie zog heftig an den Zügeln, bis das Tier zum Stehen kam. Oscar starrte wie gebannt auf die silbrige Oberfläche, beruhigte ihren stockenden Atem und stieg dann aus dem Sattel. Sie konnte nicht mehr. Ihre aufgelösten Gefühle schnürten ihr die Kehle zu und sie musste ihnen unbedingt freien Lauf lassen. Aber ohne, dass es jemand sah. Vor allem nicht ihr Freund und Begleiter seit Kindertagen. Oscar setzte sich ins Gras und die ersten Tränen liefen ihr haltlos die Wangen herab. „...verzeiht mir meine Worte, die ich an Euch richte, Euer Majestät... aber bei all Eurem Schmerz, den ich sehr gut verstehen kann, scheint Ihr eins zu vergessen: Ihr seid die Königin von Frankreich...“, murmelte sie vor eigener Nase und schniefte. Sie verstand selbst nicht, was sie da redete und vergrub ihre Finger tiefer im Gras. „...zu lieben und geliebt zu werden, das sind doch zwei völlig unterschiedliche Dinge...“, fügte sie hinzu und musste schlucken. Sie begann schon André zu zitieren. Hatte sie etwa keine eigene Meinung? Und warum sprach eigentlich er von so etwas wie Liebe?   Als Antwort kam ihr sein Satz von damals in Erinnerung: „...ich liebe dich...“ Aber das war doch nur ein Traum – er hatte doch nur im Schlaf gesprochen! Die Träume sprachen meistens nicht für die Realität. „...und so manche Liebe auf dieser Welt währt schon eine Ewigkeit, ohne dass der andere überhaupt davon weiß“, sausten ihr schon seine nächste Worte durch den Kopf. Was meinte er damit? Oder hieß es etwa, dass er sie damit meinte?   Oscar traf es wie einen harten Schlag. Aber das war doch unmöglich! Sie waren doch Freunde! Nein, nicht André! Er durfte sie nicht lieben, sonst würde er genauso leiden wie sie! Das wollte ihm Oscar keineswegs antun. Sie stand wieder auf, trocknete die Tränen mit dem Ärmel ihrer Uniform und stieg auf ihr Pferd. Sie würde André unterschwellig beobachten, um sich die Gewissheit zu verschaffen, aber vorerst musste sie die Bitte der Königin erfüllen.   Auf dem Weg zu dem Grafen fing es an zu regnen. Oscar hielt es jedoch davon nicht ab, die Nachricht zu überbringen. „...und ich soll von ihr noch ausrichten, dass sie versuchen wird, wenigstens nachher auf dem Ball anwesend zu sein. Das war´s.“   „Ich danke Euch, Oscar.“ Von Fersen wollte sie ins Haus einladen, aber sie nickte nur stumm zu und ritt davon. Was hatte sie denn auf einmal? Und wo wollte sie bei dem Regen hin? Das verstand der Graf nicht. Aber er war ihr dankbar für die Botschaft und somit auch für ihr Vertrauen, das sie ihm und der Königin gegenüber freundschaftlich hervorbrachte.   Oscar ritt im schnellen Galopp durch den Regen und es war ihr gleichgültig, dass ihre Uniform schon beinahe durchnässt war. Dann hörte sie vor ihr Hufschläge, die ihr sehr bekannt vorkamen. In wenigen Augenblicken erkannte sie schon das braune Pferd und den Reiter. Das war André! Aber wo kam er auf einmal her?   „Oscar!“ André wendete seinen Braunen ohne anzuhalten und als er direkt neben Oscar ritt, warf er einen Umhang über sie. „Hier, nimm, der ist gut gegen die Nässe!“   Oscar griff nach den Enden des Umhangs, hüllte sich darin ein und hielt es mit einer Hand fest – mit der anderen hielt sie die Zügel. Dabei schaute sie André von der Seite an und ein wohliges Gefühl durchströmte sie. Sie musste zugeben, dass seine Anwesenheit ihr gut tat. Er war immer bei ihr und stand ihr immer zur Seite. Ein kaum merkliches Lächeln stahl sich auf ihren Lippen. Es war einfach schön, so einen treuen Freund wie André bei sich zu haben.   André erwiderte ihr das Lächeln. Obwohl Oscar ihr Herz an von Fersen zu verlieren schien, aber gegen ihre Freundschaft würde der Graf nichts anhaben können. Oscar wusste das, so wie auch André. Beide würden für einander immer da sein, egal ob dessen Herzen unter einer unerwiderten Liebe litten oder nicht und ob sie ihre eigenen Gefühle von einander versteckt hielten – es würde sich niemals etwas zwischen ihnen ändern.   Um die Königin vor weiterem Gerede zu bewahren und zu schützen, erschien Oscar noch am selben Abend in einer neuen Garderobe auf dem Ball in Versailles und tanzte mit Ihrer Majestät. Auch von Fersen fiel zum Schutz seiner Geliebten etwas ein: Er brach nach Amerika auf, um Frankreich im Freiheitskampf gegen England zu unterstützen. Marie Antoinette nahm das mit traurigem Herzen, aber mit Verständnis zu Kenntnis und nahm in Gedanken Abschied von ihm. „Möge er im Namen Frankreichs tapfer kämpfen und heil zurückkommen...“, war ihr innigster Wunsch.   Auch Oscar wünschte dem Grafen in ihrem Herzen alles Gute und dass er am Leben blieb. Seit dem versank sie immer mehr in sich, wurde noch schweigsamer als sie schon eigentlich war und kämpfte mit ihren eigenen Gefühlen, ohne dabei an André zu denken oder ihn zu beobachten, wie sie es sich eigentlich vorgenommen hatte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)