Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 39: Aufstand -------------------- Die Sonne des nächsten Tages ging gerade erst auf, als Oscar nach Versailles aufbrach. Ein eigenartiges Gefühl kam in ihr hoch, während sie durch das große Tor ritt, denn sie war schon lange nicht mehr hier gewesen. Ein Soldat kam ihr entgegen und salutierte ordnungsgemäß, bevor er die Zügel ihres Pferdes nahm. Oscar nickte zum Gruß und stieg galant ab. „Ich werde gleich wieder da sein. Also bleibt hier und wartet auf mich.“   Der Soldat salutierte noch einmal und Oscar ging weiter. Ihre Schritte erzeugten ein kleines Echo, als sie durch die menschenleeren, aber noch immer vor Glanz und Prunk strotzenden Gänge zu den Gemächern ihrer Majestät ging. Früher hatte hier reges Treiben geherrscht und man begegnete vielen Höflingen, aber heute war kaum noch jemand von ihnen anzutreffen. Viele der Adligen verließen bereits Versailles und wandten sich von der Königin ab. Oscar erreichte den Salon von Marie Antoinette und nach einem leisen Klopfen an der Tür, trat sie ein.   „Oscar, wie schön!“, begrüßte die Königin sie mit aufrichtiger Freude und Oscar beugte sogleich das Knie vor ihr, wonach Marie Antoinette mit ihrer Rede fortfuhr: „Immer weniger der Adligen kommen zu mir auf Schloss. So einsam wie jetzt habe ich mich noch nie gefühlt. Was sind das nur für Zeiten? Für das Begräbnis von Louis Josef habe ich Silberbesteck und goldene Kerzenhalter verkaufen müssen. Ich will Euch nicht langweilen. Ihr habt sicher viel zu tun. Ihr hättet Euch nicht hierher bemühen müssen, um mir zu danken.“   Oscar senkte ehrerbietig vor ihr das Haupt. „Majestät, ich hatte fest mit meiner Bestrafung gerechnet, denn ich habe gegen Eure Anordnung verstoßen. Durch Eure freundliche Fürsprache blieb sie mir erspart. Dafür danke ich Euch.“   „Aber Oscar.“ Die Königin erhob sich vom Stuhl. „Es war doch eine Selbstverständlichkeit. Wir sind seit zwanzig Jahren Freunde.“ Sie deutete Oscar sich zu erheben, ging an ihr vorbei zu einem mannshohen Spiegel und Oscar folgte ihr wie auf dem Fuß. „Mein jetziges Leben erscheint mir unerträglich. Ich fühle mich so erschöpft. Aber ich hoffe, dass bald andere Zeiten kommen. Bewaffnete Truppen aus allen Teilen Frankreichs werden zu unserer Sicherheit nach Paris abkommandiert. Alles in allem werden es mehr als tausend Soldaten sein. Ich, die Königin von Frankreich, habe das veranlasst. Ich bin noch nicht am Ende. Ich habe sie gerufen, um für alle Mal klarzustellen, wer in diesem Land regiert. Die Dynastie der Bourbonen wird nicht untergehen, niemals. Alle Wachtruppen werden demnächst in die Stadt beordert. Wenn es nötig ist, wird der König sich dazu entschließen, die Aufständischen zu bekämpfen. Falls es dazu kommen sollte, verlasse ich mich ganz auf Euch, Oscar.“   Oscar dachte entsetzt den ganzen Tag an diese Worte, auch in der Kaserne. Wenn Marie Antoinette früher nur so gehandelt und sich für ihr Volk, wie für diese einfachen Soldaten vor wenigen Tagen, eingesetzt hätte... Dann wäre womöglich der Frieden noch zu retten gewesen...   Aber nein, weitere Aufstände entflammten in Kürze wieder, weil ebendiese tausende Soldaten, von denen die Königin gesprochen hatte, zum Schutz der königlichen Familie aus allen Ecken des Landes nach Paris beordert worden sind. Sie verboten die öffentlichen Versammlungen, drangsalierten und bespitzelten die Bevölkerung... Die Hauptstadt von Frankreich war sehr gefährlich geworden und Oscar beschloss, die Kinder in Sicherheit zu bringen, bevor die Lage noch mehr eskalierte. So dachte sie, während sie in ihrem Offizierszimmer in der Kaserne einige Dokumente durchlas. Jemand klopfte an der Tür und riss sie aus den Gedanken. „Herein!“, rief sie gleich und ein mehr als vertrautes Gesicht ihres Mannes trat über die Schwelle.   „Oscar, es ist Zeit für unsere Patrouilliere durch Paris.“ Auch André sah man eine gewisse Besorgnis im Gesicht stehen.   „Sag Alain Bescheid, er soll schon alle auf dem Exerzierplatz versammeln. Ich komme nach.“   „Was ist los, Oscar?“ André beschlich eine ungute Vorahnung. „Du bist so nachdenklich.“   „Ach, nichts, André...“ Oscar entließ einen schweren Seufzer. „Ich sorge mich nur um unsere Kinder...“   Seine Vorahnung war bestätigt. „Sie sind in der Normandie, dort sind sie sicher aufgehoben“, versuchte Andre sie zu beruhigen, obwohl er selbst ein ungutes Gefühl hatte.   Wieder klopfte jemand an der Tür und nach einem herein, trat Alain über die Schwelle und er war nicht alleine. „Gilbert?“ Oscar stand überrascht und erschrocken von ihrem Platz auf. „Was ist passiert? Wieso bist du nicht in der Normandie?“   „Lady Oscar...“ Gilbert war es anzusehen, dass ihm die Kunde zu überbringen nicht geheuer war, aber er zwang sich dazu. Denn Lady Oscar und André hatten das Recht darüber zu erfahren, auch wenn der General das nicht für Nötig oder gar wichtig gehalten hatte. „Euer Vater hat Eurer Mutter befohlen, zu seinem Anwesen zurückzukehren.“   „Wie bitte?“   „Das ist noch nicht alles... Er hat auch befohlen, seine Ziehkinder nach Versailles in der Nähe der Königin zu bringen – so wie auch Eure werte Mutter...“ Gilbert merkte sofort, wie diese Nachricht Lady Oscar zur Weißglut und André in hilflose Wut trieb, aber er setzte dennoch bemüht fort: „Diane und Rosalie dürfen da natürlich nicht mit... Wir sind gerade aus der Normandie angekommen und ich fand es nur richtig, dass Ihr darüber Bescheid wisst, bevor der Befehl Eures Vaters in die Tat umgesetzt wird.“   „Das hast du richtig gemacht!“ Oscar wandte sich um. „Alain, du übernimmst heute die Patrouille!“   „Lady Oscar...“, hielt sie Gilbert kurz auf.   „Was ist noch?!“ Oscar befürchtete schon das Schlimmste und ballte ihre Hände krampfhaft zu Fäusten.   Gilbert sah vorsichtig zu Alain. „Diane und ich haben beschlossen nach Arras zu gehen. Es wird hier demnächst ein Aufstand ausbrechen, in Maßen, die wir noch nie gesehen haben...“   „Ich würde es Revolution nennen...“, mischte sich Alain ein und durchbohrte Gilbert mit seinem Mörderblick. „Und wer bist du überhaupt? Wieso hat Diane sich entschieden mit dir nach Arras zu gehen?!“   „Nun... ähm... wir...“, stotterte Gilbert und konnte ihn nicht ansehen.   Zu seinem Glück erlöste ihn Lady Oscar aus der misslichen Lage. „Das spielt jetzt keine Rolle!“, beschied sie. „Die Kinder müssen weg von hier! In Versailles sind sie noch mehr in Gefahr als auf dem Anwesen!“   „Was hast du vor?“, fragte André mit einem unguten Gefühl.   „Wir gehen jetzt unverzüglich zum Anwesen! Gilbert, du nimmst die Kinder und Diane und gehst mit ihnen nach Arras! André, du gehst mit ihnen mit!“   „Wie bitte?“ Das war unvorstellbar! Was sollte er denn ohne seine Frau in Arras?! „Aber Oscar...“   Als hätte Oscar seine Einwände geahnt, milderte sie ihren barschen Tonfall. „Bitte tue es für mich, André, jemand von uns muss bei ihnen sein!“   „Nein, nicht ohne dich!“, hätte André am liebsten gesagt, aber wenn er die Umstände im Kopf genauer erwog, dann musste er ihr recht geben. „In Ordnung. Aber lass mich sofort wissen, wenn etwas passiert und ich werde da sein.“ André stimmte wohl oder übel ein und sah zu seinem Freund. „Pass auf sie auf.“   „Das mache ich doch mit Sicherheit, André, verlass dich darauf.“, versprach ihm Alain wie selbstverständlich.           - - -           „Mutter, Ihr müsst hier fort!“, wiederholte Oscar abermals.   „Nein, Oscar, das kann ich nicht...“ Emilie lehnte es ungern ab, aber sie hatte keine andere Wahl. „Ich kann nicht wie du deinem Vater die Stirn bieten.“   „Doch Mutter!“ Oscar wurde immer lauter: „Begreift Ihr denn nicht, hier wird bald eine Hölle losbrechen und mir wäre es lieber, Euch und die Kinder in Sicherheit zu wissen!“   „Tut mir leid, Oscar...“ Emilie schüttelte trüb den Kopf und holte ihr Schmuckkästchen und ihre Ersparnisse aus ihrem Schlafgemach. Das alles gab sie an André. „Hier nimm, mein Sohn. Das wird euch in Arras eine Zeit über die Runden helfen.“   „Madame, gestattet mir bei Euch zu bleiben?“, bat auf einmal Sophie.   „Großmutter!“ Diesmal mischte sich André auch verständnislos ein.   „Misch dich nicht ein!“, wies ihn Sophie gleich in die Schranken. „Ich bin zu alt für solche Reisen! Und jemand muss sich ja um die Herrschaften kümmern – die Bediensteten verlassen doch in Scharen das Haus!“   „So sei es...“, gab Oscar das letzte Wort und holte selbst ihre Ersparnisse und gab sie André. Sie verabschiedete sich von ihrem Mann und den anderen, und als alle fort waren, schloss sie sich Alain an und patrouillierte durch die Stadt. Gerade rechtzeitig wiegte Oscar ihre Lieben in Sicherheit, denn zwei Tage später brach das reinste Chaos und dann die Revolution aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)