Uncertain Heart von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 3: Endstation --------------------- „Los, Mimi! Raus aus dem Bett!“ „Ich will nicht!“, murrte ich und zog mir die Decke über den Kopf. Es war Montag und ich hatte bei Weitem keine Lust das Desaster der letzten Schulwoche zu widerholen. „Stell dich nicht so an“, sagte meine Mutter verständnislos und zog mir die Decke weg. „Es wird wirklich Zeit, dass du wieder zur Schule gehst.“ Ich drückte meinen Kopf in das Kissen und umklammerte es, als würde ich es nie wieder loslassen wollen. „Kannst du nicht wieder Herrn Tanaka bestellen?“, nuschelte ich. „Nein, das kann ich nicht!“, erwiderte meine Mutter streng und nahm die Decke mit nach draußen, damit ich sie mir nicht wiederholen und mich darunter verstecken konnte. „Und jetzt steh endlich auf!“ Mit einem lauten Knall flog die Tür zu und ich sah ein, dass ich mich geschlagen geben musste. Ich musste wieder zur Schule gehen! Mir war schon klar gewesen, dass meine Mutter es nicht mehr einsah, Herrn Tanaka zu bestellen. Er war während der letzten Monate mein Nachhilfelehrer gewesen und dank ihm hatte ich nicht völlig den Anschluss an den Unterrichtsstoff verloren. Doch wieder richtig zur Schule zu gehen und für Prüfungen zu pauken war etwas völlig anderes! Wiederwillig kämpfte ich mich aus dem Bett, schleppte mich ins Bad, duschte und zog mir meine glattgebügelte Schuluniform an. Das beste Kleidungsstück, was ich momentan besaß. „Na wenigstens die passt“, meinte ich zu mir selbst und flocht mir die langen Haare, damit sie mir nicht permanent im Gesicht hingen. Ich schlurfte in die Küche, wo meine Mutter ein üppiges Frühstück für mich bereitgestellt hatte. Sie versuchte wirklich mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen und kümmerte sich, zumindest was das Essen betraf, aufopfernd um mich. Doch meinen größten Wunsch konnte sie mir nicht erfüllen und so lange das nicht der Fall war, empfand ich nur pure Abneigung gegen ihr liebevoll angerichtetes Essen. Allein, wenn ich es schon sah, wurde mir schlecht. „Du musst etwas essen, Mimi“, sagte sie sorgenvoll, als sie meinen kritischen Blick sah. „Hab keine Zeit, muss los“, antwortete ich nur knapp und nahm mir einen Apfel vom Tisch. Wahrscheinlich war Schule doch nicht die schlechteste Alternative, um wenigstens für ein paar Stunden von hier weg zu kommen. „Hey, wach auf!“ „Lass mich in Ruhe, Mama!“, nuschelte ich und schlug die Hand weg, die an meiner Schulter rüttelte. „Hey, Mimi!“, flüsterte die Stimme erneut und stupste mich unsanft an. Ich zuckte zusammen und fuhr erschrocken hoch. Gerade noch tief schlummernd und jetzt klopfte mein Herz wie verrückt. Als erstes sah ich in Izzy‘s sorgenvolles Gesicht. War ich denn nicht zu Hause in meinem Bett? Ich ließ meinen müden Blick weiter durch den Raum schweifen. Alle starrten mich an, nicht zuletzt die Lehrerin, die ziemlich sauer auf mich wirkte. Ich blinzelte ein paar Mal und war prompt wieder da angelangt, wo ich eigentlich sein sollte. Im Unterricht! „Wenn Sie während des Unterrichts einschlafen, Fräulein Tachikawa, sollten sie ihn vielleicht von draußen weiter verfolgen“, wies mich die Lehrerin forsch zurecht und zeigte auf die Tür. Gott, ich war tatsächlich eingeschlafen! Und das ausgerechnet in Mathe, wo ich doch eigentlich aufpassen sollte. Ich seufzte und stand auf, während Izzy mich sprachlos ansah und „Was ist nur mit dir los?“ flüsterte. Ich ging vor den Klassenraum, schloss die Tür hinter mir und lehnte mich gegen die Wand. Es war wirklich zum Mäuse melken! Es fiel mir schon schwer genug überhaupt morgens aufzustehen, doch dem Unterricht zu folgen war die reinste Tortur! Außerdem war ich müde und konnte mich kein bisschen konzentrieren. Ich gähnte herzhaft und verbrachte die restliche Stunde damit, vor der Tür zu stehen und mir zwanghaft ins Gedächtnis zu rufen, was wir zuletzt behandelt hatten. Nach einer gefühlten Ewigkeit klingelte es endlich zur Pause. Ich wartete, bis alle aus dem Klassenraum verschwunden waren, bevor ich reinging, um mein Mittagessen zu holen. Izzy wartete drin auf mich und sah mich mit einem besorgniserregenden Blick an. „Wieso bist du eingeschlafen?“, fragte er mich direkt und sah mir dabei zu, wie ich meine Sachen zusammenpackte. „Weil ich müde bin?“, antwortete ich ihm kurz und knapp. Ich hatte gerade wirklich keine Lust darauf mich zu rechtfertigen. „Dann solltest du mehr schlafen“, erwiderte Izzy plötzlich ziemlich bissig. „Wir schreiben nämlich nächste Woche eine Klausur.“ Ich sah erschrocken auf. „Was? Dein Ernst?“ „Ja.“ „So eine Scheiße!“, fluchte ich und kramte nach meinem Apfel, den ich mir am Morgen in die Tasche gesteckt hatte. Gemeinsam gingen wir zum Mittagessen nach draußen, während Izzy weiter auf mich einredete. „Mimi, das geht so nicht! Wenn du im Unterricht einschläfst und dann rausfliegst, verpasst du eine Menge. Wie willst du dann die Klausur packen, geschweige denn das Schuljahr?“ „Danke, Schlaukopf, sehr einfühlsam von dir“, entgegnete ich verbissen. Dass ich ein Problem hatte wusste ich selber. „Ich will dir doch nur helfen. Anscheinend fällt es dir schwer, dich zu konzentrieren“, sagte Izzy, doch ich antwortete nicht mehr darauf, da wir inzwischen bei den anderen angekommen waren und ich mich zu ihnen setzte. „Hi“, brachte ich nur abweisend über die Lippen. Sora sah mich irritiert an. „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“ „Sie ist aus dem Unterricht geflogen, weil sie eingeschlafen ist“, erklärte Izzy ihr an meiner Stelle, woraufhin er sich einen vorwurfsvollen Blick von mir einfing. Verräter! „Waaas?“, prustete Tai los, so dass er mit seinem Essen, was er sich grad in den Mund gesteckt hatte rumspuckte. „Findest du das witzig?“, fragte ich ihn verärgert, lehnte mich zu ihm hinüber und klaute ihm die Essstäbchen aus den Händen. „Hey, gib die wieder her! Jetzt sei mal nicht gleich so zickig! Ich kann schließlich nichts dafür, dass du in der Nacht wer weiß was machst und dann im Unterricht einpennst.“ Er schnappte sich seine Stäbchen und sah mich beleidigt an. Obwohl ich eigentlich Diejenige war, die beleidigt sein sollte. „Warum schläfst du im Unterricht ein?“, mischte sich Sora jetzt ein und sah mich besorgt an, wie so Viele es in letzter Zeit taten. Ich schluckte meinen Ärger über Tai und Izzy hinunter und sah betreten auf meinen Apfel, den ich in meinen Händen hin und her drehte. „Weiß nicht“, sagte ich, doch das war nicht wahr. Die letzte Zeit hatte mich ziemlich geschlaucht. Schlaflose Nächte, zu wenig gegessen… kein Wunder, dass ich mich nicht konzentrieren konnte und müde war. Izzy verschränkte die Arme vor der Brust und sah bestimmend in die Runde. „Leider schreiben wir nächste Woche auch noch eine Klausur.“ „Musstest du mich daran erinnern?“, antwortete ich stöhnend. Die Woche fing wirklich gut an… „Dann sollten wir gleich heute mit unserer Lerngruppe beginnen“, schlug Sora leicht euphorisch vor und boxte Tai in die Seite, der sich deswegen fast an seinem Essen verschluckte. „Machst du mit?“, fragte sie ihn breit grinsend, doch er sah sie nur genervt an. „Ich hab doch schon gesagt, dass ich für so was keine Zeit habe. Außerdem hab ich heute Training!“ „Man, du bist vielleicht ein Miesepeter“, nörgelte Sora und warf einen hoffnungsvollen Blick auf Yamato, der sofort nickend zustimmte. „Also auf mich könnt ihr euch verlassen. Wenn ihr wollt, können wir uns nachher bei mir treffen. Mein Vater ist sowieso nicht da.“ „Das wäre super!“, jubelte Sora begeistert und klatschte in die Hände. „Jaah, du Held“, zischte Tai und sah seinen Freund argwöhnisch von der Seite an. Die Euphorie meiner besten Freundin in allen Ehren, nur konnte ich sie leider nicht ganz so teilen, wie ich es erhofft hatte. Eine Lerngruppe. Na super! Für so was hatte ich doch eigentlich gar keine Zeit… „Also, Mimi. Nach der Schule bei Yamato?“, fragte Sora und riss mich somit aus meinen Gedanken. „Ähm… ja, okay“, stimmte ich leicht zögerlich zu und beschloss meine Bedenken einfach beiseite zu werfen. Hoffentlich würde die Lernerei nicht zu lange dauern… Da Sora und Yamato schon eine Stunde eher Schluss hatten als ich, machte ich mich nach der Schule allein auf den Weg zu Yamatos Wohnung. Dort angekommen erwarteten die Beiden mich bereits. Ich betrat das Wohnzimmer und sah, dass Yamato Kaffee und Kekse auf den Tisch gestellt hatte. Er schenkte mir eine Tasse ein und reichte sie mir. „Hier, damit du nicht wieder einschläfst.“ „Danke“, sagte ich nervös grinsend. Koffein konnte ich jetzt wirklich gut gebrauchen! „So, dann wollen wir mal“, verkündete Sora entschlossen und krempelte die Ärmel hoch. Seufzend schlug ich mein Buch auf und zeigte den Beiden, bei welchen Aufgaben ich meine Probleme hatte. „Puh“, machte Yamato und griff sich gegen die Stirn. „Da müssen wir ja wirklich ganz von vorn anfangen.“ „Tut mir leid. Ich weiß, ich hab viel aufzuholen“, entschuldigte ich mich aufrichtig, doch Sora winkte nur ab. „Ach Quatsch! Das packen wir schon! Und für uns ist es eine gute Prüfungsvorbereitung.“ Ich lächelte sie dankend an. Sie war wirklich unglaublich! In solchen Momenten wurde mir wieder bewusst, warum sie meine beste Freundin war, auch, wenn unsere Freundschaft gerade einen bitteren Beigeschmack hatte. Doch das würde sich schon wieder legen, irgendwann… Bereits nach einer Stunde rauchte mir der Kopf. Alles, was ich sah, waren Zahlen, Wurzeln, Gleichungen… Und ich verstand nur Bahnhof. Auch, wenn Yamato sich die größte Mühe gab es mir verständlich zu erklären. Vielleicht musste ich mich einfach etwas mehr anstrengen? Deshalb versuchte ich noch aufmerksamer zuzuhören und schrieb fleißig mit, was er mir diktierte. Unauffällig schielte ich einige Male auf die Uhr. Es war wirklich schon spät und ich hatte noch nichts geschafft… Ich hatte keine Ahnung, was ich da eigentlich aufschrieb. Meine Augen huschten immer wieder zur Wanduhr und ich hörte den Sekundenzeiger ungewöhnlich laut ticken, was mich völlig aus dem Konzept brachte. In dem Moment drückte ich so fest mit dem Bleistift auf, dass die Miene abbrach und Sora verwundert aufsah. Ich seufzte, legte den Bleistift zur Seite und stützte den Kopf auf meine Hände. „Puuh, können wir mal eine Pause machen?“ „Klar“, meinte Yamato völlig gelassen und klappte das Buch vorerst zu. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass du so ein Genie bist“, gestand ich ihm anerkennend, während ich versuchte meine Gedanken etwas zu ordnen. Yamato lachte auf. „Das hat nichts mit Hexerei zu tun, Mimi. Man muss es einfach nur verstehen.“ „Klingt, als wär’s ein Kinderspiel, so wie du es sagst“, meinte ich stirnrunzelnd und verzog das Gesicht. „Also ich finde, du schlägst dich bisher sehr gut!“, lobte mich Sora, als ich sie irritiert ansah. Das konnte sie ja wohl kaum ernst meinen! „Wenn ich mich so gut schlage…“, begann ich zaghaft und kreiste mit meinem Finger verlegen auf dem Papier rum. „Können wir dann für heute Schluss machen?“ „Was, jetzt schon?“, fragte Sora etwas entsetzt und sah auf sie Uhr. „Aber es ist doch noch gar nicht so spät.“ „Jaah, ich weiß“, grinste ich verstohlen. „Aber, dass wir uns heute treffen war ja auch eher spontan und ich hatte meiner Mutter versprochen ihr dabei zu helfen, noch ein paar Kisten auszupacken.“ „Achso, na wenn das so ist…“, meinte Sora nachdenklich und lächelte mich an. „Dann treffen wir uns eben morgen nach der Schule wieder.“ Ich verdrehte gespielt genervt die Augen. „Na guut, wenn’s denn sein muss.“ „Keine Sorge, bis zur nächsten Klausur kriegen wir dich schon fit!“, grinste Yamato aufmunternd. Ich packte meine Sachen ein und verabschiedete mich von den Beiden. „Danke, für eure Hilfe. Ich denke, das wird mich wirklich weiterbringen. Und morgen nehme ich mir mehr Zeit, versprochen!“ „Kein Problem, bis morgen“, sagte Sora verständnisvoll und umarmte mich zum Abschied. Sie schloss die Tür hinter mir und erst jetzt fiel mir auf, dass sie nicht mitgekommen war. Sie blieb noch bei Yamato. Was die Beiden wohl machen würden, jetzt, wo sie alleine waren – schoss es mir durch den Kopf. Leider hatte ich Sora immer noch nicht in einer ruhigen Minute erwischt und wusste daher nicht genau, was zwischen den Beiden lief. Doch nach Tai’s Aussage zu urteilen, schienen sie wohl ganz schön verknallt ineinander zu sein. Ich freute mich für sie, doch irgendwie konnte ich auch Tai’s Gefühle verstehen. Auch ich beschäftigte mich mit dem Gedanken, ob ihre Beziehung Auswirkungen auf die Freundschaft zwischen Sora und mir haben würde. Bis jetzt schien das ja nicht der Fall zu sein, eigentlich war alles, wie immer zwischen uns. Aber ich wollte einfach nicht noch einen Menschen in meinem Leben verlieren müssen… Völlig in Gedanken versunken machte ich mich auf den Weg zur Straßenbahn und stieg ein. Inzwischen kannte ich den Weg so gut, dass ich ihn selbst im Traum finden würde. Ich war froh, dass mir eine Ausrede eingefallen war, um von der Lernerei weg zu kommen. Ich wusste, wie wichtig die Nachhilfe für mich war und doch konnte ich dem Ganzen nicht meine volle Aufmerksamkeit schenken. Mir gingen einfach zu viele andere Dinge durch den Kopf. Nach einer Weile wurde meine Station angekündigt und ich drängte mich an den Menschen vorbei nach draußen. Es war die letzte Station, also musste ich noch ein paar Straßen weitergehen, bis ich am Krankenhaus angekommen war. Der Nachmittag hatte sich in die Länge gezogen und es war bereits so spät geworden, dass langsam die Sonne unterging. Ich atmete noch ein Mal schwerfällig aus und betrat das Gebäude. Zum x-ten Mal stieg mir der gewohnt, beißende Geruch entgegen und mir drehte sich augenblicklich der Magen um. Es roch immer irgendwie nach Desinfektionsmittel, Krankheit oder Tod. Vielleicht lag es aber auch einfach nur daran, dass ich mit diesem Ort nichts Gutes verband. Vielleicht bildete ich mir diesen Geruch auch nur ein… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)