Uncertain Heart von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 5: Geheimnis -------------------- Der restliche Schultag verging zu meinem Glück ziemlich schnell. Und ich bekam sogar noch was vom Unterricht mit, was ich vermutlich meinem gefüllten Bauch verdanken konnte. Ich hatte ganz vergessen, wie gut Essen tat. Danke, dass du mir dein Mittagessen geopfert hast, Tai. Auf dem Weg zu Yamato ging ich noch ein Mal meine Notizen aus der letzten Stunde durch. Das erste Mal seit Tagen fühlte ich mich ein klein wenig besser und war motiviert die kommende Klausur zu meistern. Als ich an der Wohnung ankam und klingelte, stutzte ich ein wenig, da es ziemlich lang dauerte, bis mir jemand öffnete. Außerdem hörte ich Soras Kichern aus der Wohnung. Vielleicht machten sie gerade wild miteinander rum – dachte ich bei mir und grinste. Sora öffnete mir die Tür und strich sich eilig eine Haarsträhne hinters Ohr, die ihr ins Gesicht hing. „Hi“, begrüßte sie mich flüchtig. „Stör ich?“, fragte ich mit einem vielsagenden Grinsen und schielte an ihr vorbei in die Wohnung, wo Yamato im Wohnzimmer saß und gerade sein Hemd richtete. „Nein, quatsch, gar nicht!“, fiepte meine beste Freundin, da sie meinen Blick natürlich bemerkt hatte. „Gut“, erwiderte ich und ging an ihr vorbei. „Dann können wir ja anfangen. Ich bin höchstmotiviert!“ „Yes!“, jubelte ich und klappte das Buch zu. Ich hatte tatsächlich mal etwas verstanden! „Freu dich nicht zu früh“, meinte Yamato und kratzte sich am Kopf. „Das war erst der Anfang. Wir haben noch einiges aufzuarbeiten.“ „Hey!“, sagte ich vorwurfvoll. „Ich bin froh, dass ich überhaupt mal was kapiert habe.“ Der Blonde lachte unsicher. „Na ja… mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, nicht?“ „Wow, du kannst einem echt Mut machen!“, sagte ich leicht niedergeschlagen und stützte meinen Kopf auf meinen Händen ab. „Ich denke, wir haben heute schon einiges geschafft“, merkte Sora an und nickte zufrieden. „Also können wir morgen mit ruhigem Gewissen das Lernen ausfallen lassen und shoppen gehen.“ Ich lächelte sie dankend an und seufzte. „Danke, für alles, Sora.“ „Ist doch selbstverständlich“, entgegnete sie und winkte verlegen ab. „Nein, ist es nicht.“ In letzter Zeit, um genau zu sein, in den letzten Monaten war niemand so nett zu mir gewesen, wie Sora. Sie hatte mir wirklich gefehlt! Es war so viel passiert und sie wusste von alledem nichts und doch versuchte sie mir zu helfen, wo sie nur konnte, ohne ständig darauf rum zu pochen, warum ich mich so verändert hatte. Mir fiel auf, wie sie mich manchmal in der Schule ansah. Mit diesem mitleidigen Blick. Mit Sicherheit fragte sie sich was eigentlich mit mir los war. Es ließ sich schließlich nicht verbergen, dass sich etwas verändert hatte. Dass ich mich verändert hatte. Dafür sorgte allein schon mein äußeres Auftreten. Doch sie war meine Freundin und sie zeigte es mir, indem sie einfach versuchte für mich da zu sein. Und das war ganz und gar nicht selbstverständlich! Nichts war selbstverständlich im Leben, das hatte ich inzwischen gelernt… Ich warf einen Blick auf die Uhr und war überrascht darüber, wie schnell die Zeit vergangen war. „Oh nein, schon so spät?“ „Wieso, hast du noch was vor?“, fragte Sora stirnrunzelnd und sah mir dabei zu, wie ich meine Sachen eilig einpackte. „Ja… äh, nein“, antwortete ich hektisch. „Meine Mutter… sie wartet auf mich.“ Ich zog meine Jacke an und verschwand in den Flur, streckte jedoch noch mal den Kopf durch die Tür. „Ach ja, danke für die Nachhilfe, Matt.“ „Kein Problem“, antwortete er trocken. Sicher war er froh, dass ich mich schon aus dem Staub machte und er mit Sora wieder allein sein konnte. Sie brachte mich zur Tür und umarmte mich zum Abschied. „Dann bis morgen.“ „Bis morgen, ich freue mich!“, sagte ich und verabschiedete mich mit einem Zwinkern von ihr. Zufrieden lächelnd ging ich die Stufen runter, raus an die frische Luft und atmete sie tief ein. Es war nicht viel, doch es war immerhin ein kleiner Fortschritt, den ich heute gemacht hatte. Und auf den kommenden Tag freute ich mich wirklich! Allein das war schon ein Erfolg, wenn man an die letzten Monate dachte… Ich schlenderte zur Straßenbahn und sah auf die Uhr. Fünfzehn Minuten noch. Seufzend ließ ich mich auf die Bank fallen und holte mein Handy heraus. Zehn Anrufe in Abwesenheit. Ich erschrak leicht, als ich die Nummer sah und drückte sofort die Rückruftaste. Es dauerte nicht lange, bis jemand abhob. „Miss Tachikawa, gut, dass sie zurückrufen. Wir haben schon die ganze Zeit versucht Sie zu erreichen.“ Allein dieser Satz brachte mein Herz zum rasen. „Was ist denn passiert?“, fragte ich nervös. „Es gab Komplikationen und…“, erzählte die Schwester weiter, doch ich unterbrach sie. Ich wollte es nicht am Telefon erfahren. „Ich bin auf dem Weg“, sagte ich knapp und legte auf. Ich sah auf die Uhr. Noch dreizehn Minuten. So lang konnte ich nicht mehr warten! Mein Magen überschlug sich geradezu, als ich wie vom Blitz getroffen aufsprang und losrannte. Panik machte sich in mir breit und in meinem Kopf spielten sich die schlimmsten Szenarien ab. Völlig außer Atem kam ich kurze Zeit später am Krankenhaus an. Mein Puls raste und mein Herz schlug wie wild gegen meine Brust. Doch ich hatte keine Zeit mich zu sammeln. Ich stolperte durch die Eingangstür, rannte an den Schwestern und den anderen Menschen vorbei, die mich fragend ansahen. Wie verrückt drückte ich den Fahrstuhlknopf, während ich unruhig von einem Bein aufs andere trat. „Komm schon!“, sagte ich laut und stampfte wütend mit dem Fuß auf. Vor lauter Aufregung bemerkte ich gar nicht, dass jemand neben mich trat und mir seine Hand auf die Schulter legte. Erschrocken wandte ich mich um und sah in das verdutzte Gesicht von Tai. Zum Teufel, was machte er hier? „Hey, was ist denn mit dir los?“, fragte er völlig entgeistert, da ihm nicht entgangen war wie aufgebracht ich war. „Du bist ja völlig durch den Wind!“ Erst jetzt fiel mir auf, dass er nicht alleine war. Er wurde von einem anderen Jungen gestützt. Ich sah an ihm hinab und stellte fest, dass er in voller Fußballmontur hier war. Sein Knöchel blutete. Normalerweise hätte ich ihn gefragt, was passiert war, doch dafür hatte ich im Augenblick keinen Kopf. „Lass mich in Ruhe!“, fuhr ich ihn stattdessen barsch an, woraufhin er wütend das Gesicht verzog. „Blöde Zicke!“, giftete er zurück, doch das war mir egal. Ich ballte die Hände zu Fäusten und wurde allmählich sauer darüber, dass der Fahrstuhl immer noch nicht da war. „Das dauert mir zu lang“, sagte ich mehr zu mir selbst, als zu ihm und rannte in Richtung Treppe. Ich stieß die Tür auf und sprintete einige Stufen nach oben, bis ich endlich die Intensivstation erreichte. „Wo ist sie?“, schrie ich die Schwester an, kaum, dass ich oben angekommen war. „Bleiben Sie ruhig, sie wird gerade operiert.“ „Was? Wieso operiert? Was ist denn passiert?“, fragte ich völlig entsetzt, während die Schwester versuchte ruhig auf mich einzureden. „Bitte, beruhigen Sie sich. Es gab plötzliche Komplikationen, der Herzschlag war unregelmäßig, aber… die Ärzte tun, was sie können.“ Das durfte nicht wahr sein! Es war, als würde man mir den Boden unter den Füßen wegreißen. Plötzlich überkam mich die Angst – Angst, sie zu verlieren. Ein Gefühl, von dem ich wusste, dass es mich früher oder später einholen würde. Aber ich dachte, es würde auf eine andere Art und Weise passieren… Nicht so. Sie durfte nicht so aus meinem Leben verschwinden. Das hatte sie nicht verdient. Das hatte ich nicht verdient. In diesem Moment kam ein Arzt um die Ecke und ich schob mich an der Schwester vorbei, die noch versuchte mich aufzuhalten. Der Arzt deutete jedoch an, dass es okay war und sah mich mitfühlend an, als er mich erkannte. „Es ist soweit alles in Ordnung“, beantwortete er meine unausgesprochene Frage. „Sie hat die OP gut überstanden.“ Ich atmete erleichtert aus. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Es ging ihr gut… „Allerdings mussten wir einige Maßnahmen ergreifen, sie ist momentan an einem Beatmungsgerät angeschlossen“, erklärte der Arzt weiter. „Was heißt das?“, fragte ich ungeduldig. „Wann kann ich zu ihr?“ „Vorerst gar nicht. Sie bleibt unter konstanter Beobachtung, bis sie sich von der OP erholt hat.“ Entsetzt sah ich ihn an. „Und… wie lange wird das dauern?“ „Das können wir so noch nicht sagen“, meinte der Arzt und versuchte wohl beruhigend auf mich zu wirken, was natürlich bestens funktionierte… Aufgebracht ging ich im Raum auf und ab und fuhr mir nervös durch die Haare. „Bitte, Miss Tachikawa. Ihre Tochter ist hier in besten Händen! Und ich verspreche Ihnen, wir tun alles dafür, dass es ihr bald bessergeht!“ Völlig benommen und wie weggetreten stieg ich in den Fahrstuhl. Die Ärzte hatten mich weggeschickt. Vorerst durfte ich sie nicht sehen. Sie sollte diesen Kampf alleine kämpfen. Wie sollte sie das nur schaffen? Wie sollte ich das nur schaffen? Ich fuhr nach unten und wischte mir schnell noch ein paar Tränen weg, bevor die Fahrstuhltür sich öffnete. Ich umklammerte den Griff meiner Schultasche und wusste, dass mir für heute nichts Anderes übrigblieb. Ich musste nach Hause gehen… und wieder so tun, als wäre nichts passiert. Innerlich wappnete ich mich schon mal gegen das, was mich zu Hause erwartete und trat aus dem Fahrtsuhl. Seufzend ging ich am Empfang vorbei, blieb jedoch abrupt stehen, als ich Tai sah, der plötzlich vor mir stand. Erschrocken sah ich ihn an. Warum war er noch hier? „Da bist du ja“, sagte er und musterte mich eindringlich. Es klang, als hätte er auf mich gewartet. Er stand auf Krücken vor mir, sein Fuß war verbunden. Dieser Anblick hätte mir eigentlich leidtun müssen, doch ich war momentan nicht in der Lage überhaupt irgendein Gefühl zu empfinden. Nach meinem Gefühlsausbruch auf der Intensivstation fühlte ich mich nur noch leer. „Was machst du denn hier?“, fragte ich trotzdem beiläufig, obwohl es mich nicht wirklich interessierte, doch ich musste irgendwie von mir ablenken. „Ähm, hab mich beim Training verletzt“, erklärte er kurz und knapp und fixierte mich weiter mit seinem Blick, was mir deutlich unangenehm war. „Und was machst du hier?“ Ich zuckte kurz zusammen und zog eine Augenbraue nach oben. „Wieso interessiert dich das? Solltest du nicht lieber nach Hause gehen und dein… keine Ahnung, dein Bein hoch legen oder so was?“, antwortete ich abweisend und ging an ihm vorbei. Zu meiner Enttäuschung humpelte er hinter mir her, anstatt mich in Ruhe zu lassen. „Na ja, ich dachte du könntest mich nach Hause bringen?“, fragte er und grinste schief, während mir nun das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand. Alles, nur das nicht… „Ich soll was?“, hakte ich ungläubig nach. „Dich nach Hause bringen? Wieso sollte ich das tun?“ „Weil wir Freunde sind und Freunde so was nun mal machen?“, erwiderte er etwas beleidigt und zog die Mundwinkel nach unten… was irgendwie niedlich aussah. Doch ich beschloss hart zu bleiben. Ich hatte keinen Nerv für seine Wehwehchen! „So, wie sich Freunde gegenseitig in der Schule helfen und der eine dem Anderen Nachhilfe gibt, wenn er Probleme in Mathe hat?“, konterte ich angesäuert und schenkte ihm einen vielsagenden Blick. „Ja, du hast Recht, Sora und Yamato sind wirklich gute Freunde. Und ich würde sie gerne nach Hause bringen, wenn sie mich darum bitten würden.“ Tai stöhnte genervt auf. „Du bist doch nicht ernsthaft beleidigt deswegen?“ „Doch!“, log ich und hoffte, dass ich ihn somit abschütteln konnte. Aber eigentlich war es mir schnurzegal. „Ach Mimi, komm schon!“, sagte er und humpelte mir weiter hinterher. Man, dieser Typ war echt hartnäckig. „Wieso bringt dein Freund dich nicht nach Hause? Der, der dich hierhergebracht hat?“ „Der musste los. Und meine Eltern haben keine Zeit. Und ich kann… Au!“, schrie er plötzlich auf und ich wirbelte herum. „Was ist?“, fragte ich besorgt nach und sah in sein schmerzverzerrtes Gesicht, welches sich sofort in ein Grinsen verwandelte. „Nichts“, grinste er und sah mich entschuldigend an. „Ich wollte nur wissen, ob du drauf anspringst. Und da ich jetzt weiß, dass du dir Sorgen um mich machst, wäre es doch unverantwortlich von dir, mich einfach hier stehen zu lassen.“ Wie bitte? Das war ja wohl jetzt nicht sein Ernst! „Boah, du bist dir auch wirklich für nichts zu schade, was Yagami?“ Tai grinste triumphierend und kniff die Augen zusammen. „Bitte, liebste Mimi, bringst du mich nach Hause?“, säuselte er süffisant, woraufhin ich nur genervt seufzte. „Werd ich dich denn sonst anders los?“, stellte ich die Gegenfrage, die Tai mit einem klaren „Nein!“, beantwortete. Na super! Eigentlich schwirrte mir echt der Kopf und ich hatte überhaupt keinen Nerv darauf, Tai nach Hause zu schleppen. Wobei schleppen nicht das richtige Wort dafür war. Eigentlich schlurfte er mehr oder weniger hinter mir her, während ich meine Schultasche UND seine Trainingstasche trug. Wir waren ein paar Stationen mit der Straßenbahn gefahren, doch das letzte Stück mussten wir zu Fuß gehen. „Mein Gott, was hast du da nur drin?“, nörgelte ich und wechselte zum wiederholten Male den Griff. „Backsteine?“ „Es ist so nett von dir, dass du mich nach Hause bringst“, erwiderte Tai stattdessen und grinste sich einen. „Ja“, sagte ich nur herablassend. „Vor allem nachdem du mich vor unseren Freunden lächerlich gemacht hast!“ Tai stöhnte auf. „Oh man Mimi, das war doch gar nicht so gemeint“, versuchte er sich zu verteidigen und sah mich entschuldigend an. „Ich finde du siehst immer noch sehr… sehr hübsch…“ „Lass gut sein!“, unterbrach ich ihn und sah betrübt zu Boden. „Ich weiß selbst, dass ich mich ziemlich verändert habe.“ Und das war nicht zuletzt wegen IHR. Sie bescherte mir all die schlaflosen Nächte und hinderte mich daran etwas zu essen. Und so wie es aussah, würde das auch noch eine Weile so bleiben… „Sag mal, was hast du eigentlich wieder angestellt? Sieht nicht so aus, als könntest du in nächster Zeit Luftsprünge machen“, fragte ich Tai mit einem schiefen Lächeln, nur um das Thema zu wechseln. Wenn ich jetzt weiter über sie nachdachte, würde ich mit Sicherheit in Tränen ausbrechen. „Ach das“, meinte er nur und sah auf sein Bein. „Mich hat jemand beim Training ziemlich hart gekontert und ich bin umgeknickt und auf einem Stein gelandet. Dann hat’s geblutet und höllisch wehgetan. Der Arzt meinte mein Fußgelenk wäre angebrochen, weswegen ich ihn unbedingt die nächsten Wochen ruhig halten sollte.“ „Tja, das war’s dann wohl mit der großen Fußballkarriere“, erwiderte ich trocken, woraufhin Tai eine blöde Grimasse zog. „Hey, ich bin nur verletzt und nicht tot!“ Ich musste lachen, obwohl er mir eigentlich ein wenig leidtat. Aber das war eben die Rache für vorhin. „Und du? Was hast du eigentlich im Krankenhaus gemacht?“, fragte er plötzlich, woraufhin ich abrupt stehen blieb. Er drehte sich zu mir um und sah mich fragend an. „Alles okay?“ Schnell schüttelte ich den Kopf. „Ja, alles okay. Ich war nur da, um… äh um…“, stammelte ich herum und merkte schon jetzt, dass er mir nicht glauben würde, wenn ich weiter so vor mich hin stotterte. „Meine Oma liegt im Krankenhaus und ich wollte sie besuchen.“ „Sah aber nicht nach einem normalen Krankenbesuch aus“, bemerkte er nachdenklich und legte die Stirn in Falten. Zum Glück wusste er nicht, wie schwitzig meine Handflächen wurden. Es fiel mir nicht leicht zu lügen, das fiel es mir nie. Aber ich hatte keine andere Wahl. Warum musste er mir auch ausgerechnet im Krankenhaus über den Weg laufen? „Ich will nicht darüber reden“, antwortete ich schnell und einfach deswegen, weil mir nichts Besseres mehr einfiel. Was sollte ich auch sagen? Dass ich seit ein paar Monaten eine Tochter hatte, die krank war und seit ihrer Geburt im Krankenhaus lag? Dass ich jeden Tag nach der Schule zu ihr ging, um sie zu sehen? Auf keinen Fall! Eher wäre ich auf der Stelle tot umgefallen, als ihm die Wahrheit zu sagen! „Okay“, entgegnete er zu meiner Überraschung und ging weiter. „Wenn du nicht darüber reden willst… Reden wir darüber, wann du mich morgen früh abholen wirst.“ Mir verschlug es die Sprache. Was wollte er? Wieso abholen? „Bitte, w-was?“, stotterte ich und wollte schon fragen, ob ich mich verhört hatte. „Na ja, du wohnst von allen am nächsten bei mir dran. Und irgendjemand muss mich ja zur Schule bringen. Soll das etwa meine Mama machen? Ich bitte dich…“, sagte er sarkastisch und ich wusste nicht, ob ich entsetzt oder beeindruckt von so viel Dreistigkeit sein sollte. „Denkst du ernsthaft, ich hol dich morgen von zu Hause ab, um dich zur Schule zu begleiten?“, hakte ich leicht amüsiert nach, als ich meine Sprache wiedergefunden hatte. „So viel könntest du mir gar nicht bezahlen, dass ich das machen würde.“ „Ha ha, sehr witzig, Tachikawa“, lachte er gespielt auf und grinste dann verwegen. „Für dich würde auch was dabei rausspringen.“ „Ah ja, und was?“, fragte ich ungläubig nach. „Na ja“, begann er nachdenklich. „Da ich die nächsten Wochen definitiv kein Fußball spielen kann, könnte ich dir nach der Schule Nachhilfe in Mathe geben.“ Ich musste ja schon ein wenig lachen… „Sehr nett von dir, danke! Aber falls du es vergessen hast: Sora und Yamato geben mir bereits Nachhilfe.“ „Das ist richtig“, stimme er mir zu. „Allerdings vergisst du, dass ich viel besser in Mathe bin, als Sora und auch als Yamato!“ „Sagt wer?“ „Sage ich!“ Ich konnte es mir nicht länger verkneifen und prustete los. Was dachte er sich eigentlich? „Lach nicht!“, ermahnte er mich und verzog das Gesicht. „Außerdem müsstest du dann nach der Schule nicht von mir aus erst wieder zu Yamato laufen. Und du wärst nach der Nachhilfe viel schneller zu Hause.“ Also… das durfte doch nicht wahr sein! „Wer sagt denn, dass ich dich nach der Schule auch wieder nach Hause bringe? Bin ich dein persönlicher Babysitter oder was?“, konterte ich und war fast schon fasziniert von so viel Frechheit. „Na, das versteht sich ja wohl von selbst!“, antwortete er überheblich und mir klappte der Mund auf. „Komm, Tachikawa, du musst dir eingestehen, dass dieser Deal gar nicht so schlecht ist. Es springt für uns beide was dabei raus.“ Ich blieb stehen und zog eine Augenbraue nach oben. Wenn man es genau betrachtete, hatte er im Grunde recht. Auch, wenn ich keine Lust darauf hatte, jeden Morgen und Nachmittag Tai’s persönlichen Pflegedienst zu spielen, war es doch eine Überlegung wert. Seine Wohnung lag außerdem viel näher am Krankenhaus, als Yamatos Wohnung. Und ich müsste Sora und ihn nicht länger bei ihrem neuen Liebesglück stören… „Mmh, okay“, sagte ich etwas zögerlich und ein triumphierendes Grinsen legte sich auf seine Lippen. „Aber ich spiele nicht die Köchin für dich, wechsle dir nicht deinen Verband und trage dich keine Treppen rauf, das kannst du vergessen!“, zählte ich meine Forderungen auf. „Geht klar!“, stimmte er zu und sah mich mit einem vielsagenden Blick an, der mir irgendwie merkwürdig vorkam. Doch ich beschloss dem keine weitere Beachtung zu schenken. Als ich nach Hause gekommen war, ging ich geradewegs in mein Zimmer. Meine Mutter rief mir zwar irgendetwas hinterher, doch ich hörte ihr nicht zu, sondern sperrte mich direkt in meinem Zimmer ein. Sie sollte nicht sehen, wie es mir ging! Niemand sollte das! Schlimm genug, dass Tai es fast gesehen hätte… In dieser Nacht tat ich mal wieder kein Auge zu. Immer wieder, wenn ich sie schloss, sah ich sie vor mir… wie sie an all den Schläuchen hängen musste. Dieses arme, kleine Wesen, das niemanden hatte auf der Welt – nicht einmal mich. Ich wusste nicht, wie lang ich es noch verheimlichen konnte. Wann würde die Fassade bröckeln? Wann würden meine Freunde dahinterkommen, dass ich vor Monaten nicht nach Amerika umgezogen war, wie ich vorgab? Sondern zu Hause bleiben musste und die Schule einfach nicht mehr besucht hatte, weil ich schwanger war… Ich hatte niemandem davon erzählt. Nicht einmal meiner besten Freundin, der ich sonst alles anvertraute. Doch jetzt war es zu spät sich noch irgendjemanden anzuvertrauen. IHM hatte ich auch vertraut. Und man sieht ja wohin es mich gebracht hat… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)