Uncertain Heart von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 7: Strafe ----------------- „Einen wunderschönen guten Morgen, Taichi“, säuselte ich vergnügt, als Tai die Tür öffnete. Wie abgemacht holte ich ihn auch an diesem Morgen ab, um ihn zur Schule zu begleiten. Tai kickte seine Tasche nach draußen und humpelte mit seinen Krücken hinterher. „Einen wunderschönen guten Morgen? Das sind ja ganz neue Töne. Bist du krank?“, grummelte er bezüglich meiner frohen Begrüßung, ehe er das erste Mal den Blick hob und mich richtig ansah. Man konnte förmlich sehen, wie er kurz stockte und innehielt, mich von oben bis unten betrachtete. Ich grinste. „Was ist?“ „Bist du das?“, fragte er fassungslos, was mich irgendwie verunsicherte. War das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen. „Ja, ich bins“, erwiderte ich leicht verlegen und fummelte an meinen nun viel kürzeren, gewellten Haaren herum. „Sieht ganz anders aus, nicht?“ Oh nein. Gleich würde sicher wieder irgendein dämlicher Spruch kommen. Konnte er mir nicht einfach mal ein Kompliment machen und sagen, dass ich gut aussah, so wie es normale Menschen taten? Innerlich ärgerte ich mich schon, dass ich ihn eben so freundlich begrüßt hatte, doch dann bemerkte ich, wie er mich anlächelte. „Da hast du recht, aber es steht dir wirklich gut.“ Was? Hatte ich mich da gerade verhört? Taichi Yagami hatte mir gerade wirklich gesagt, dass ich gut aussah? Es geschehen doch noch Zeichen und Wunder. Ich grinste verlegen und brachte ein schüchternes „Danke“ über die Lippen. Wie albern! Ich war doch nicht in ihn verliebt oder so was! Also warum stellte ich mich hier gerade an, wie ein kleines Mädchen? Doch dann dachte ich daran, wie direkt und unverblümt er mir neulich seine Meinung bezüglich meines Aussehens gesagt hatte und dass ich wahrscheinlich deswegen so gespannt auf seine Reaktion war. Denn bei ihm wusste ich, dass er es ehrlich meinte. Auch, wenn es nicht immer das war, was ich hören wollte… „Und?“, meinte er plötzlich und sah mich fragend an. „Hast du dir auch was zu essen eingepackt?“ Ich stutzte und sah überrascht zu ihm auf. „Was?“ „Na ja“, begann er schulterzuckend und sah mich an. „Mir ist aufgefallen, dass du in der Pause immer nichts isst. Wenn ich dir nicht gerade meinen Teller rüber schiebe…“ Er grinste zwar, doch mir war gerade gar nicht nach Grinsen zumute. Was sollte denn das schon wieder? Wollte er mich hier gerade wieder aufziehen oder hatte er ernsthaft Interesse an meinem Essverhalten? Ich hob seine Tasche auf und zuckte mit den Schultern. „Nein, hab vergessen, mir was einzupacken“, log ich ohne rot zu werden. Darin hatte ich inzwischen wirklich Übung. Tai zog eine Augenbraue nach oben und verschwand wortlos wieder in die Wohnung. „Hey, wo willst du denn hin? Wir müssen los!“, rief ich ihm hinterher, doch ehe ich mich versah, war er auch schon wieder da. Er war wirklich der schnellste Einbeinige, den ich kannte. „Hier“, sagte er und hielt mir eine Papiertüte entgegen. Ich runzelte die Stirn und sah ihn skeptisch an. „Du hast Glück. Kari hat heute Morgen ihr Frühstück vergessen. Du kannst es haben. Später isst das sowieso niemand mehr“, erklärte er mir, hielt mir weiter die Tüte unter die Nase und wartete darauf, dass ich sie entgegennahm. „Ähm, also… danke, Tai“, entgegnete ich etwas schüchtern und packte das Essen in meine Tasche. Ob ich es essen würde oder nicht, war erst mal dahingestellt, aber ich war definitiv überrascht über diese nette Geste. Und ein wenig gerührt… Dennoch war mir diese Situation irgendwie unangenehm, also kicherte ich auf den Weg nach unten unsicher und sah ihn irritiert an. „Also erst schiebst du mir dein Essen zu und jetzt gibst du mir auch noch ein komplettes Frühstück mit? Man könnte meinen, du machst dir Sorgen um mich.“ Tai grinste, während ich ihm die Eingangstür aufhielt. Er sagte nichts mehr dazu… Immer wieder schielte ich während des Unterrichts auf mein Handy. Während der Pause hatte ich heimlich im Krankenhaus angerufen, um mich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Sie lag immer noch auf der Intensivstation und ich durfte nicht zu ihr. Ich hoffte sehr, dass sich das bald ändern würde… Obwohl es wahrscheinlich besser war, sie eine Weile nicht zu sehen – für uns beide. Am Telefon erklärten sie mir, dass alles in Ordnung sei und dass ich mir keine Sorgen machen bräuchte. Das war leichter gesagt als getan. Ich wusste, dass sie dort unter konstanter Beobachtung und in den besten Händen war, doch es fühlte sich trotzdem nicht gut an, sie so alleine zu lassen. Manchmal war ich einfach hin und hergerissen… Zum dritten Mal in dieser Stunde drückte ich auf die Sperrtaste meines Handys. Kein Anruf. Ein gutes Zeichen. Ich atmete erleichtert aus, als die Schulglocke auch schon das Ende des Schultages ankündigte. Irgendwie hatte ich keine Lust aufzustehen. Lieber wäre ich an dem Stuhl festgewachsen als wieder nach Hause zu gehen. Aber vorher musste ich noch zu Tai und mit ihm für die Klausur lernen, worauf ich ebenso wenig Lust verspürte. „Musst du nachsitzen oder warum packst du deine Sachen nicht ein?“ Ich sah überrascht auf. Erst jetzt bemerkte ich, dass Izzy mit gepackter Schultasche vor mir stand und auch alle anderen schon gegangen waren. Wie peinlich. Warum saß ich hier noch rum? Musste doch merkwürdig wirken und merkwürdig wirken war momentan wirklich mein letztes Ziel. Izzy sah mich fragend an. „Oh, sorry… ich hab geträumt“, kicherte ich unschuldig und packte schnell alle Bücher ein. „Nett, dass du auf mich gewartet hast. Hättest du aber nicht machen müssen. Ich bin sowieso noch mit Tai verabredet“, erzählte ich ihm auf dem Weg nach unten. „Mit Tai, achso?“, hakte Izzy verwirrt nach. „Ja, er gibt mir jetzt Nachhilfe. Ich weiß, Sora und Yamato haben das gemacht, aber ich will ihnen nicht länger zur Last fallen. Sie brauchen ein wenig Zeit für sich alleine…“ Izzy runzelte die Stirn. „Ich wundere mich nur, warum er dir plötzlich hilft. Schließlich war er ja nicht sehr begeistert davon…“ Hmm, da hatte er recht. Es war schon ein wenig eigenartig, aber ehrlichgesagt konnte und wollte ich mir in der momentanen Situation keine Gedanken darüber machen. Ich hatte wirklich genug um die Ohren und war froh, dass mir überhaupt jemand Nachhilfe anbot. Obwohl auch Sora recht überrascht war, als ich ihr von Tais Angebot erzählte. Doch wir schoben es beide der Tatsache zu, dass er ja im Augenblick am Fuß verletzt war, nicht trainieren konnte und daher auch mehr Zeit hatte. Ihr jedenfalls kam dieser Umstand recht entgegen… auch, wenn sie es nicht zugeben wollte. „Man, da bist du ja. Ich warte hier schon seit Stunden“, rief Tai mir entgegen, als wir endlich das Schulgebäude verließen. Tut mir leid, aber ich musste einfach laut aufstöhnen bei dieser Bemerkung. Immer diese Übertreibungen. „Wow, und du bist noch nicht verhungert!“, konterte ich, woraufhin Izzy lachte. „Ich merke schon, ihr werdet viel Spaß bei der Nachhilfe haben.“ Ja, ich auch… „Also dann, bis morgen“, verabschiedete er sich und ging. „So, wollen wir dann?“, fragte Tai und sah mich auffordernd an. Ich warf ihm einen unsicheren Blick zu, während er loshumpelte. Sollte ich ihm davon erzählen? Schnell schüttelte ich den Kopf, nahm seine Tasche und folgte ihm… Es war wirklich erstaunlich! Wir saßen nun schon seit über einer Stunde in seinem Zimmer und lernten und ich weiß nicht, woran es lag, aber irgendwie verstand ich unerwartet viel für meine Verhältnisse. Es fiel mir schwer, das zuzugeben, aber Tai war wirklich ein guter Nachhilfelehrer. Er strahlte beim Lernen so eine Ruhe aus und erstaunlicherweise konnte er die Dinge verdammt gut erklären. Yamato war toll, wirklich. Aber Tai war ein Mathegenie. Da hatte er ausnahmsweise mal nicht übertrieben. „Warum verschwendest du eigentlich deine Zeit mit Sport, wo du doch dein Taschengeld damit aufstocken könntest, dummen Schülern wie mir Nachhilfe zu geben?“, fragte ich ihn irgendwann beiläufig, während ich mir Notizen machte. „Soll das heißen, du willst mich hierfür bezahlen?“, erwiderte er nur tonlos und konzentrierte sich weiter auf die nächsten Aufgaben, während ich schrieb. Ich zog eine Augenbraue nach oben. „Das hab ich nicht gesagt. Eigentlich war das eher als Kompliment gemeint. Hätte ich gewusst, dass du SO gut in Mathe bist, hätte ich dich schon eher dazu genötigt mir Nachhilfe zu geben.“ Er lachte und griff nach meinem Zettel. „Danke. Na dann zeig mal, was du hast.“ Aufmerksam laß er sich die Aufgaben durch und kaute währenddessen auf seinem Bleistift rum. Das tat er immer, wenn er nachdachte, das fiel mir bereits jetzt auf. Gespannt und unsicher zugleich sah ich ihn an, als er von meinem Blatt aufblickte und mich verwundert ansah. „Wirklich gut, Mimi. Ein paar kleine Fehler noch, aber das kriegen wir auch noch in den Griff.“ Oh mein Gott! Ich weiß, es war völlig übertrieben, aber ich hätte platzen können vor Stolz. Am liebsten wäre ich ihm direkt um den Hals gefallen, aber das wäre nun WIRKLICH übertrieben gewesen, also wiederstand ich dem Drang. Dennoch machte sich Begeisterung auf meinem Gesicht breit, als plötzlich mein Handy klingelte. Ich hatte meinem Vater einen besonderen Klingelton zugeordnet, deswegen erkannte ich sofort, dass er anrief und überlegte kurz, ob ich überhaupt rangehen sollte. „Willst du nicht rangehen?“, meinte Tai und deutete auf meine Tasche, als das Klingeln auch schon aufhörte. Erleichtert atmete ich aus. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich plötzlich wie unter Storm stand. Doch das Gefühl der Erleichterung war nicht von Dauer, denn zwei Sekunden später klingelte es erneut, was mich direkt zusammenzucken ließ. Was wollte er denn? „Da versucht wohl jemand dringend dich zu erreichen…“, merkte Tai an. So ein Mist. Jetzt musste ich einfach rangehen. Er würde sowieso nicht lockerlassen. Ich kramte das Handy aus meiner Tasche hervor und hob angespannt ab. „Ja?“ „Wo steckst du, Mimi?“ Oh, er klang wütend. „Ich…“, setzte ich an, doch er ließ mich nicht zu Wort kommen. „Komm sofort nach Hause, wir haben etwas zu besprechen“, befahl er mir im strengen Ton und sofort drehte sich mir der Magen um. „Aber ich bin gerade bei der Nachhilfe und wir sind noch nicht fertig“, protestierte ich, wusste jedoch genau in diesem Moment, dass es sowieso keinen Sinn hatte mit ihm zu diskutieren. „Du kommst nach Hause! Jetzt!“, sagte er stinksauer und legte auf. Ich wusste gar nicht was ich zuerst fühlen sollte, als ich auflegte. Wut, dass er mich so angeschrien hatte? Scham, dass Tai das Gespräch mitgekriegt hatte? Oder sollte ich mich lieber fragen, was er von mir wollte? Was auch immer, es war mir sichtlich unangenehm, als ich eilig meine Sachen zusammenpackte, das entging wohl auch Tai nicht. „Tut mir echt leid, aber ich muss nach Hause.“ „Was war denn los? War das dein Vater?“, fragte Tai irritiert nach, während ich damit beschäftigt war seinem Blick auszuweichen. Ich strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und zog meine Jacke an. „Ja… tut mir echt leid.“ „Ist schon okay, lass uns einfach morgen weitermachen“, sagte Tai verständnisvoll. „Ja…“ Wenn ich dann noch leben würde… Ich hatte das ungute Gefühl, dass zu Hause Ärger auf mich wartete. Und ich konnte mir auch schon denken, warum… Mit weichen Knien betrat ich die Wohnung und wappnete mich innerlich gegen die Moralpredigt, die ich gleich zu hören bekommen würde. Meine Eltern erwarteten mich bereits im Wohnzimmer. Für eine nette Begrüßung blieb keine Zeit, denn mein Vater kam direkt auf mich zu und hielt mir einen Zettel unter die Nase. „Kannst du mir das bitte mal erklären?“ Ja. Ich wusste, dass würde noch Ärger geben. „Über 100.000 Yen? Hast du den Verstand verloren, Mimi?“, schrie er mich weiter an. Es war so klar, dass er mir deswegen eine Szene machen würde. „Ach, komm schon“, sagte ich und versuchte nach außen hin so gelassen wie möglich zu wirken. „Als ob es dich stören würde. Du hast doch genug Geld, seit du in der Firma so aufgestiegen bist.“ Ups. Das hätte ich wohl lieber nicht sagen sollen, das wurde mir in dem Moment bewusst, als ich es ausgesprochen hatte. Sein Blick verfinsterte sich. Ich warf einen Blick zu meiner Mutter. Hilfesuchend sah sie zwischen mir und meinem Vater hin und her. Sie stand mal wieder zwischen den Stühlen. „Und was hast du dir bitte von diesem Geld gekauft, wenn man fragen darf?“, fragte mein Vater bissig und fixierte mich mit seinem Blick. Ich zuckte mit den Schultern. „Ein Kleid.“ „Ein Kleid?“ „Ja, ein Kleid.“ Wenn er jetzt von mir wollte, dass ich es zurückbrachte, dann hatte er sich geschnitten. Lieber würde ich es als Putzlappen verwenden, als es zurück zu bringen. Das wusste er anscheinend auch, denn er hielt lediglich die Hand auf. „Gib mir deine Kreditkarte.“ Zähneknirschend kramte ich in meiner Tasche, hielt jedoch seinem Blick stand, als ich sie ihm in die Hand drückte. „Ach Keisuke, meinst du, das ist wirklich nötig?“, mischte sich nun doch meine Mutter ein und beobachtete weiterhin das Blickduell, welches ich und mein Vater uns gerade lieferten. „Das ist nur zu ihrem Besten. Das wird sie irgendwann auch noch einsehen“, erwiderte er ihr, ohne sie dabei anzusehen. Ich drehte mich um und verschwand wie so oft mit einem lauten Knall in meinem Zimmer, während mein Vater mir noch hinterherrief, dass ich ab jetzt Hausarrest hatte. Doch das war mir egal. Ich kannte diese Streitereien zur Genüge und seine Sanktionen zogen längst nicht mehr bei mir. Aber es war ja alles immer nur zu meinem Besten. Nur zu meinem BESTEN! Ich konnte diese Leier nicht mehr hören! Alles geschah hier immer nur zu meinem Besten und trotzdem merkte er nicht, was er mir damit antat. Er nahm mir mein Leben weg, Stück für Stück. Und das nur, um mich für eine Sache zu bestrafen, für die ich nichts konnte. Denn ich hatte mich verliebt. In den Falschen. Und das würde er mich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens spüren lassen. So, wie er es mich jeden Tag spüren ließ. So, wie er es meine Tochter spüren ließ… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)