Uncertain Heart von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 8: Rebellion -------------------- Ich stand vor meinem Spiegel und beäugte mich kritisch, drehte mich hin und her. Es war das erste Mal seit Monaten, dass ich vor hatte auszugehen. Die Tatsache, dass ich eigentlich für diese Woche Hausarrest hatte interessierte mich dabei wenig. Was mich ärgerte war, dass ich mich zumindest am Tag daran halten musste und daher nicht zur Nachhilfe gehen konnte, da mein Vater genau darauf achtete, dass ich pünktlich von der Schule nach Hause kam. Für Tai hatte ich mir eine Ausrede einfallen lassen, nämlich dass mein Vater auf Geschäftsreise war und ich daher meiner Mutter im Haushalt und beim Einkaufen zur Hand gehen musste. Und da war ja auch noch die kranke Oma, die ich regelmäßig im Krankenhaus besuchen wollte… Ich seufzte, als ich daran dachte. Immer diese Ausreden und Lügen. Das Erschreckende dabei war, dass es mir inzwischen erstaunlich leichtfiel. Die Lügen waren zu meinem Alltag geworden und ich schämte mich für diese Tatsache. Dafür, dass sie mich so weit getrieben hatten, dass ich selbst meine besten Freunde anlog, nur um mich und meine Familie nicht in Verruf zu bringen. Wo war das Mädchen nur hin, das so ehrlich war, dass diese Aufrichtigkeit nichts erschüttern konnte? Immer noch stand ich vor meinem Spiegel. Ich hatte das schöne smaragdgrüne Kleid an, was mich eine Woche Hausarrest und meine Kreditkarte gekostet hatte, meine Haare saßen perfekt und das erste Mal seit Monaten sah ich meinem früheren Ich ziemlich ähnlich. Und doch erkannte ich mich nicht wieder… Eigentlich traurig. Ich seufzte, als mein Handy vibrierte. „Bin gleich da, um dich abzuholen. Hoffe, du bist fertig. ;)“ Sora, oh nein! Sie durfte auf keinen Fall bei mir klingeln! Als aller erstes, weil meine Eltern sonst spitzkriegen würden, dass ich auf eine Party gehen wollte und zweitens, weil wir in der Theorie eine ganz andere Wohnung haben sollten – laut meiner Lüge bezüglich des Umzugs. Eilig schrieb ich ihr zurück. „Mach dir keine Mühe, ich bin lange noch nicht fertig. Wer schön sein will, braucht eben seine Zeit ;) Geh schon mal vor.“ Okay, das wäre erledigt. Außerdem musste ich eh noch warten, bis meine Eltern im Bett waren, was hoffentlich bald der Fall sein würde. Fertig gestylt legte ich mich in meinem Partyoutfit ins Bett und zog mir die Decke über den Kopf. Nicht, weil ich es mir anders überlegt hatte, sondern weil meine Mutter seit meinem „kleinen Geheimnis“ die nervige Angewohnheit hatte, noch mal einen Blick in mein Zimmer zu werfen, bevor sie ins Bett ging. Also tat ich einfach so, als würde ich schlafen und wartete. Es dauerte auch gar nicht lange bis sie, wie immer, ihren Kopf durch die Tür steckte. Das Licht war aus. Ich schlief bereits tief und fest. Dachte sie. Leise schloss sie die Tür hinter sich. Sofort sprang ich auf und hielt mein Ohr daran. Als ich endlich hören konnte, wie meine Eltern die Tür zu ihrem Schlafzimmer schlossen, öffnete ich leise meine, schnappte meine Schuhe und ging auf Zehenspitzen durch die Wohnung. Ich würde zurück sein, ehe sie etwas bemerken würden… wenn nicht genau in dem Moment die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern aufgegangen wäre und meine Mutter mich in flagranti erwischt hätte. Ich erstarrte augenblicklich in meiner Bewegung und sah sie mit großen Augen an. Sie musterte mich von oben bis unten, erkannte, dass ich ein Kleid trug und ganz offensichtlich vorhatte, mich davon zu schleichen. Sie warf einen Blick nach hinten, mein Vater hatte anscheinend noch nichts bemerkt. Sie sah wieder zu mir. Vermutlich wäre es klug gewesen sich zu entschuldigen, aufrichtige Reue zu zeigen und wieder in mein Zimmer zu gehen, um größeres Unheil zu vermeiden. Doch statt Reue machte sich Trotz in mir breit. Oh nein, nicht heute! Mein Blick verfestigte sich und ich straffte meine Schultern. Sollte sie mich doch verpetzen. Was konnten sie mir denn noch wegnehmen? Dann sollten sie mir eben noch eine Woche Hausarrest geben, es war mir egal. Trotzig sah ich sie an. Das wäre der Moment gewesen, wo sie hätte meinem Vater Bescheid sagen müssen, denn sie wusste ganz genau, was ich vorhatte. Doch sie tat es nicht… Ich wandte meinen Blick von ihr ab und tat das, was ich hätte schon längst hätte tun sollen. Ich ging einfach. In der Bar war es laut und belebt, aber Sora hatte nicht untertrieben. Diese Bar war tatsächlich etwas ganz Anderes, als die üblichen kleinen „Keller“, wie ich sie so gern bezeichnete, in der Yamato und seine Band sonst auftraten. Ich war sogar ein wenig beeindruckt, denn so wie es aussah, hatten sie es inzwischen geschafft, ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen. „Mimi, da bist du ja endlich! Wo warst du denn so lang?“ Ich grinste, als ich sie umarmte. Erst war ich ja gegen diesen Abend gewesen, aber jetzt freute ich mich irgendwie hier zu sein. Fast, wie früher… „Ich sagte doch, Schönheit braucht eben Zeit.“ Sie schenkte mir ein Lächeln und musterte mich anerkennend von oben bis unten. „Hat sich auf jeden Fall gelohnt, das Kleid zu kaufen.“ Ja, die Woche Hausarrest hat sich wirklich gelohnt. Ich richtete meinen Blick zu der kleinen Bühne. Da ich schon etwas spät dran war, hatte die Band bereits angefangen. Suchend sah ich mich nach den anderen um. „Wo sind denn…?“ „Die anderen?“, beendete Sora meinen Satz, während sie weiterhin zur Bühne sah und leicht im Takt der Musik mitwippte. „Die waren ebenfalls etwas spät dran, aber sie müssten gleich kommen.“ Ich nickte und sah ebenfalls zur Bühne und zu Yamato, der gerade mitten drin war und voll in seiner Musik aufging. Dabei haftete sein Blick unentwegt an seiner Freundin. So wie er sie ansah, hatte man den Eindruck, er würde nur für sie singen. Ich spürte, wie Sora mir eine Hand auf die Schultern legte. Sie sah mich eindringlich an und ich wusste genau, was sie jetzt sagen würde. „Du sagst doch nichts, Mimi… oder?“ War klar, dass sie die Sache neulich im Einkaufszentrum immer noch beschäftigte. Genauso wie mich. Zwischendurch hatte ich sogar überlegt mit Tai über diese Sache zu reden, aber das konnte ich einfach nicht. „Ich habe gesagt, ich halte mich da raus, das weißt du doch“, entgegnete ich mit einem kurzen Blick in Richtung Bühne. Anscheinend hatte Sora ebenfalls niemanden davon erzählt… aber ob das auch die richtige Entscheidung war? Sie nickte und wandte sich wieder der Band zu. Ich sagte, ich würde mir eben ein Getränk an der Bar holen und gleich wiederkommen. Und ich kam sogar ohne zu Drängeln bis nach ganz vorne durch, wow. Und auf der Karte stand nicht nur Bier. Toll, es gefiel mir ziemlich gut hier und ich hoffte innerlich darauf, dass Yamato noch öfters Auftritte in solchen Bars haben würde. „Einen Cosmopolitan, bitte.“ „Hallo, kennen wir uns nicht?“ Ich erschrak leicht und fuhr herum. „Tai?“ Grinsend und mit einem musternden Blick stand er hinter mir. Die Verblüffung, die ihm aus dem Gesicht sprach war nicht zu übersehen. Der Barkeeper schob mir meinen Cocktail rüber. Ich nahm ihn in die Hand und nippte kurz daran, bis ich mich wieder Tai zuwandte und versuchte einigermaßen lässig zu wirken. „Was hast du denn gedacht?“, gab ich ihm endlich eine Antwort auf seine Frage. Vielleicht etwas schnippisch, aber seine Blicke verunsicherten mich nun mal. Tai zog eine Augenbraue nach oben und hörte einfach nicht auf zu grinsen. Dieses Grinsen… Konnte er das nicht lassen? Erst jetzt fiel mir auf, dass er gar nicht wie sonst auf zwei Krücken ging, sondern nur auf einer. „Geht es deinem Fuß schon besser?“ Er nickte und lächelte mich an. „Ja, ab und zu kann ich ihn sogar kurz aufsetzen.“ Ich versuchte irgendwie seinem Blick auszuweichen, wobei mir jedoch nur auffiel, dass er erstaunlich gut aussah heute Abend… und für einen Einbeinigen. Eigentlich sah Tai immer gut aus, keine Frage – doch heute… keine Ahnung, was es war. Irgendwas war da, warum ich ihn an diesem Abend besonders attraktiv fand. Gewohnt lässig stand er vor mir, insoweit das überhaupt ging mit seinem Fuß… und hörte einfach nicht auf mich anzusehen. Irritiert zog ich eine Unterlippe nach oben. „Kannst du bitte aufhören mich so anzustarren?“ Er musste das wirklich lassen! „Wieso? Ist dir das unangenehm?“ Oh Tai, warum musst du immer mit deinen Sprüchen den Nagel voll und ganz auf den Kopf treffen? Gerade wollte ich etwas erwidern, als etwas anderes meine Aufmerksamkeit erregte. Beziehungsweise JEMAND anderes. Beinahe wäre mir der Mund aufgeklappt, als ich sah, dass das Mädchen von neulich durch die Tür kam. Das Mädchen in dem smaragdgrünen Kleid, welches ich ebenfalls trug. Auch sie hatte es heute Abend an und sie war nicht allein gekommen. Das war doch jetzt nicht wahr! Womöglich träumte ich das alles nur. Doch dann riss Tai mich in die Realität zurück, indem er mir mit der Hand vor den Augen rumwedelte. „Erde an Mimi?“ Ich blinzelte ein paar Mal und durch sein blödes Gefuchtel verlor ich sie prompt aus den Augen. Na klasse. Verärgert schob ich seine Hand zur Seite. „Entschuldige mich bitte kurz.“ Ich suchte sie zwischen den anderen Leuten und als ich sie fand, ging ich entschlossen auf sie zu. Ja, ich hatte Sora versprochen mich da raus zu halten, aber… das ging doch nun wirklich zu weit! Da konnte ich doch nicht tatenlos danebenstehen! Das Mädchen in dem smaragdgrünen Kleid sah mich fragend an, als sie merkte, dass ich auf sie zusteuerte, doch mein wütender Blick galt nicht ihr – sondern ihrer Begleitung. „Hallo, können wir kurz reden?“, fragte ich ihn ohne Umschweife, während nun auch Kari mich fragend ansah. „Hallo, Mimi. Das ist…“, begrüßte sie mich dennoch freundlich und deutete mit einer Handbewegung auf das Mädchen im smaragdgrünen Kleid, doch ich winkte eilig ab. „Später, Kari. Erst muss ich etwas mit Takeru besprechen.“ Ich sah wie er schluckte und unsicher zu Kari blickte. „Geht doch schon mal zu Sora, ich bin gleich da“, sagte er zu den Beiden und machte eine Kopfbewegung in Soras Richtung, die inzwischen mit Tai vor der Bühne stand und die Musik genoss. Die beiden Mädchen nickten und als sie weg waren, zog ich Takeru an der Hand in eine Ecke. Ich sah mich noch ein mal um, um sicher zu gehen, dass wir keine Zuhörer hatten, ehe ich ihn wutentbrannt anfunkelte. „Das ist doch wohl nicht dein Ernst oder?“ Takeru wirkte deutlich verblüfft über meine Reaktion und zuckte mit den Schultern. „Was meinst du denn?“ „Jetzt tu doch nicht so!“, sagte ich, verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn abschätzig an. „Wer ist denn bitte dieses Mädchen? Das in dem smaragdgrünen Kleid?“ Takeru warf einen Blick über die Schulter in Richtung Bühne und sah mich dann wieder verständnislos an. „Ich weiß nicht, was du von mir willst. Sie ist eine Freundin von Kari und mir und wollte heute Abend mitkommen. Was hast du für ein Problem?“ Ihm standen die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. Klar. Er hatte ja auch keine Ahnung. „Eine Freundin, ja?“, wiederholte ich sarkastisch und wollte ihm damit eigentlich die Chance geben, es mir selbst zu sagen. Doch er blieb stur. „Ja, eine Freundin.“ „DEINE Freundin?“ Er erstarrte. Und das war die Antwort, die ich brauchte. Allerdings fing er sich ziemlich schnell wieder und sah mich nun an, als hätte ich den Verstand verloren. „Was redest du da? Kari ist meine Freundin.“ Verächtlich zog ich eine Augenbraue nach oben. „Das sah aber neulich im Einkaufszentrum ganz anders aus, als ihr gemeinsam dieses Kleid gekauft habt.“ Dieser Blick, mit dem er mich jetzt ansah, konnte man nicht beschreiben. Er fühlte sich ertappt, war erschrocken darüber, dass ich so genau Bescheid wusste. Vielleicht ereilten ihn in diesem Moment sogar Schuldgefühle… Noch mal warf er einen unsicheren Blick über die Schulter. „Mimi, das ist nicht so, wie du denkst…“, begann er und hob plötzlich beschwichtigend die Hände. „Oh doch, ich denke, es ist ganz genau so“, erwiderte ich zornig und war drauf und dran ihm eine reinzuhauen. Wieso er? Wieso tat er so etwas? Ausgerechnet T.K.? Der kleine T.K.? Das passte doch gar nicht zu ihm. „Ich verstehe einfach nicht, wie du Kari so etwas antun kannst. Du solltest es ihr sagen!“ „Wer weiß noch davon?“, fragte er und nun fiel mir endgültig alles aus dem Gesicht. „Wie bitte?“ „Na, hast du irgendjemanden davon erzählt oder hat das noch jemand gesehen, außer dir?“ Das war nicht sein Ernst! Ich hätte nie gedacht, dass er so abgebrüht sein konnte. Aber bitte, das konnte er haben, also ging ich ebenfalls auf Konfrontation. „Ja, Sora hat euch auch gesehen“, sagte ich triumphierend und sah ihn herablassend an. Er war gerade vor meinen Augen auf Rattengröße geschrumpft. Denn anscheinend und auch wenn ich es nur schwer glauben konnte, war er nichts Anderes als das – eine kleine Ratte. Nun sah auch er mich wütend an. Ich war auf alles gefasst… „Du darfst es niemanden sagen, hörst du. Das würde alles kaputt machen, das würde Kari kaputt machen!“ „Dafür sorgst du schon selbst, indem du sie hintergehst.“ Nervös fuhr er sich mit den Händen durch seine blonden Haare. „Ich hintergehe sie nicht!“ „Ach, nein?“, blaffte ich ihn an. „Wie nennt man so etwas denn sonst? Weißt du was, T.K.? Von solchen Kerlen wie dir habe ich echt die Schnauze voll und ich bin unglaublich enttäuscht von dir, das hätte ich nie von dir gedacht… Takeru, ihr seid verlobt!“ Es war wirklich unglaublich. Ich kannte viele solcher Typen. Einer davon war der Vater meines Kindes. Doch ich hätte nie gedacht, dass auch Takeru zu solchen Typen zählen würde… nie! „Glaub von mir aus, was du willst, Mimi“, entgegnete Takeru ungewohnt kühl, fast schon gleichgültig. Was war das plötzlich für ein Mensch, der hier vor mir stand? „Wirklich, es ist mir egal, was du von mir denkst. Denk von mir, was du willst. Aber lass Kari da raus. Sie hat schon genug…“ Er brach mitten im Satz ab und suchte nach den richtigen Worten. Aber egal, was er sagen würde, ich würde ihm nicht glauben – nicht ein Wort mehr. „Wenn du mit Kari darüber sprechen willst, tu es. Aber erzähle sonst niemanden davon, bitte. Es würde sie zerstören.“ Und ehe ich noch was sagen konnte, wandte er sich ab und ging. Bitte? Das war ja wohl nicht wahr, dass er gerade Forderungen an MICH stellte, obwohl ICH ja gar nichts getan hatte. Und wenn Kari etwas zerstören würde, dann die Tatsache, dass ihr Freund sie mit einer anderen hinterging. Mit der sie anscheinend auch noch befreundet war. Er hatte recht. Es würde sie tatsächlich zerstören. Was sollte ich nur tun? Angewidert warf ich immer wieder verstohlene Seitenblicke zu den Dreien hinüber. Während Kari nichts davon mitzukriegen schien und sich voll und ganz auf die Musik konzentrierte, nippte die schöne Unbekannte immer wieder nervös an ihrem Drink und schielte mich von der Seite her unsicher an. Jaah, sie konnte ruhig merken, dass ich sie beobachtete. Sie drehte sich zu Takeru um und flüsterte ihm etwas ins Ohr – allein wegen dieser intimen Geste hätte ich sie verprügeln sollen, alle beide! Und Kari stand einfach so daneben und ahnte nichts. Die Arme. Takeru warf mir einen mahnenden Blick zu, welcher so viel bedeutete, wie „Komm mal wieder runter und bleib ruhig.“ Aber wie konnte ich bei so etwas ruhig bleiben? In mir kochte es und ich war drauf und dran Kari von ihm wegzuziehen. Ich spürte Soras Hand an meinem Arm, den sie fest drückte. Wütend wandte ich mich ihr zu, während sie mich nur eindringlich ansah. Noch hatte ich ihr nichts von dem Gespräch mit T.K. erzählt, doch das war auch nicht nötig. Sie war mindestens genauso entsetzt wie ich gewesen, als sie die Drei zusammen gesehen hatte. Sie schüttelte leicht den Kopf und bedeutete mir damit, dass ich es lassen sollte mich darüber aufzuregen. „Wir sprechen nächste Woche darüber, was wir tun können, okay?“, flüsterte sie mir ins Ohr. „Aber ihn hier und jetzt bloßzustellen wäre das Dümmste, was wir tun könnten.“ Ja, wahrscheinlich hatte sie recht. Es half ja alles nichts. Und Kari half es auch nicht, wenn ich urplötzlich ihren Freund als Betrüger entlarven würde. Wahrscheinlich würde sie mir noch nicht mal glauben. Aber es war wirklich schwer hier neben ihnen zu stehen und nichts zu tun, nichts zu sagen – es war verdammt schwer. Jemand legte eine Hand an meine Taille und zog mich an sich. Ich fuhr leicht zusammen. „Bist du neidisch auf sie, weil sie dasselbe Kleid hat wie du oder warum versuchst du sie die ganze Zeit mit deinen Blicken zu töten?“, sagte Tai an meinem Ohr. Was tat er denn da? Hatte er zu tief ins Glas geguckt oder was? Normalerweise hätte ich ihn von mir geschoben, so wie ich es bei jedem anderen Typen auch gemacht hätte, aber ich war einfach zu wütend. Und sein Parfum roch zu gut… „Kannst du vergessen“, grummelte ich in ihre Richtung und warf ihr einen weiteren, abschätzigen Blick zu. „Das Kleid steht ihr nicht annähernd so gut, wie mir.“ Ich befreite mich aus seiner Umarmung und ging hinüber zur Bar. Er folgte mir und lehnte sich mit einem Grinsen auf dem Gesicht an den Tresen. „Drei Cosmopolitan.“ „Wieso kannst du sie nicht leiden?“, fragte Tai und schien leicht amüsiert über mein Verhalten zu sein. Wenn er nur wüsste… „Kennst du sie?“, fragte ich hingegen und kippte mir den ersten Cocktail ohne abzusetzen hinter. Das tat gut! Noch einen! „Ich kenne sie nicht wirklich. Sie ist eine Freundin von Kari soweit ich weiß.“ „Tolle Freundin!“, zischte ich sarkastisch. Und weg war der zweite. „Sag mal, willst du dich völlig abschießen?“, lachte Tai kurz auf, als ich das dritte Glas an die Lippen setzte. Ich hielt kurz inne und schielte ihn von der Seite her an. Ich überlegte, ob ich ihm etwas sagen sollte. Vielleicht sollte ich ihm sagen, dass seine Schwester sich mit dem Falschen verlobt hatte. Dann würde Tai ihm sofort eine reinhauen und der Drops wäre gelutscht. Hm, lieber nicht. Ich warf den Kopf in den Nacken und schüttelte mich kurz, als der dritte Cocktail endlich seine Wirkung zeigte. Wie konnte das Leben nur so ungerecht sein? Wieso traf es immer die Falschen Leute? Die, die für den ganzen scheiß nichts können? Die nichts für die Verkorkstheit anderer Menschen können? Am liebsten hätte ich mir noch mehr bestellt, doch das Geld ging mir so langsam aus. „Hey“, wandte ich mich an Tai. „Kannst du mir Geld leihen?“ Tai zog verwundert eine Augenbraue nach oben. „Wo ist deines?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Hab ich gerade in Alkohol investiert.“ Tai lachte und schüttelte den Kopf, kramte jedoch aus seiner Hosentasche ein paar Geldscheine hervor. „Danke, du kriegst es wieder“, sagte ich und gab es direkt an den Barkeeper weiter. „Na toll. Ich gebe dir Nachhilfe und zum Dank dafür bezahle ich dich auch noch dafür.“ Ich ignorierte seinen oberwitzigen Kommentar, verdrehte die Augen und bestellte mir eine ganze Flasche Wein. „Danke“, sagte ich, als der Barkeeper sie mir reichte und Tai große Augen machte. Ich hielt die Flasche demonstrativ in die Höhe. Als wäre sie DAS Allheilmittel. „Ich muss hier weg. Wie sieht’s aus, kommst du mit?“ Ich wollte wirklich nur noch weg hier. Weg, mich betrinken und volltrunken ins Bett fallen, damit ich an die ganze Scheiße nicht mehr denken musste. Aber ich wollte nicht allein nach Hause gehen. Es war schließlich spät und ich war ein hübsches, junges Mädchen. Einen kurzen Moment überlegte Tai, warf einen Blick zur Bühne, wo alle anderen noch mit Tanzen beschäftigt waren und nickte schließlich. Wir verließen die Bar und ich atmete die frische Nachtluft ein, die Zunehmens meinen Kopf vernebelte. Der Alkohol tat sein Übriges. Egal. Ich öffnete die Flasche und gönnte mir einen großen Schluck Wein, ehe ich sie an Tai weiterreichte. Der nippte jedoch nur dran und gab sie mir dann wieder. Umso besser, mehr für mich. Wir schwiegen eine Weile, während wir nebeneinander herliefen. Nach jedem weiteren Schluck fühlte ich mich leichter und gleichzeitig schwerer. Dieses Gefühl kannte ich schon gar nicht mehr. Ich hatte es völlig vergessen. Ich weiß nicht warum, aber ich musste angesichts dieser Tatsache einfach lachen. Die Tatsache, dass ich vergessen hatte, wie es sich anfühlte betrunken zu sein. „Warum lachst du?“, fragte Tai deutlich verwundert über meinen plötzlichen Lachanfall und sah mich schief von der Seite her an. „Weißt du, dass das das erste Mal ist, dass ich wieder Alkohol trinke?“ Ich erstaunte. „Wow. Das waren aber viele `das’s.“ Und lachte wieder. „Wie darf ich das denn verstehen?“, hakte Tai jetzt noch irritierter nach, doch ich winkte nur kopfschüttelnd ab. „Du musst das gar nicht verstehen.“ Ich ging ein paar Schritte nach vorne und warf meine Arme theatralisch in die Luft. „Es reicht doch, wenn ich es verstehe. Und wenn mein Vater es versteht. Aber das tut er ja nicht mal. Das wird er wohl nie verstehen.“ „Was wird er nie verstehen?“ Ich holte tief Luft und atmete so schwer aus, dass es mich förmlich zu Boden zog. Ich ließ mich auf meinen Po fallen, auf die kalten Steine der Straße und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche. „Dass ich nicht so sein kann, wie er mich gerne hätte.“ Tai stützte sich auf seiner Krücke ab, kniete sich äußerst umständlich neben mich und sah mich bedeutungsvoll an, als wäre das jetzt gerade ein todernstes Gespräch. Dabei wollte ich doch nur Spaß haben. Ein mal… Aber selbst das machte mein Vater mir kaputt. Und Takeru auch. „Hast du dich deswegen neulich mit ihm am Telefon gestritten und bist du deswegen die ganze Woche über nicht mehr zur Nachhilfe gekommen?“ Ein weiteres schweres Seufzen entfuhr mir und ich musste die Augen schließen. So langsam begann sich alles zu drehen. Als ich sie wieder öffnete sah ich ihn unvermittelt an. „Ich kann sie doch nicht einfach allein lassen. Das kann er einfach nicht von mir verlangen.“ Ich weiß nicht ob es wirklich gut war, ihm in dem Moment Einblick in meine Seele zu gewähren. Aber er würde es ohnehin nicht verstehen. Ich wollte es einfach nur aussprechen, mehr nicht. Voller Mitgefühl sah er mich an, als es mir plötzlich unangenehm wurde. Ich musste mich zusammenreißen! Kichernd klopfte ich ihm auf den Arm und zwang mich dazu aufzustehen. „Kannst du mir mal helfen?“ „Wobei könnte ich dir helfen? Ich bin ein verdammter Krüppel“, antwortete er sarkastisch und ich musste lachen. „Auch Krüppel können Schmiere stehen.“ Wir gingen ein paar Straßen weiter. Ich kannte mich in dieser Gegend ziemlich gut aus. Eigentlich sollte ich gar nicht hier sein. Ich sollte nicht mal in der Nähe sein. Aber ich musste meiner Wut einfach freien Lauf lassen. Wenn ich das jetzt nicht tat, würde ich diese Nacht definitiv nicht schlafen können und würde noch irgendetwas viel Dümmeres tun. Wie zum Beispiel Tai von der Sache mit Takeru erzählen oder von der Sache mit meinem Vater oder im schlimmsten Fall noch davon, dass es gar nicht meine Oma war, die da im Krankenhaus lag. Als wir um die nächste Ecke bogen, blieb ich kurz stehen und sah mich um. Keiner war da. „Und was machen wir jetzt hier?“, fragte Tai verwundert und sah sich ebenfalls um. Natürlich hatte er keine Ahnung, wo wir waren, doch ich kannte diese Gegend nur zu gut. Wir standen vor einem Haus. Ich wusste, dass dort gerade niemand zu Hause war, da ich neulich ein Gespräch zwischen meinen Eltern belauscht hatte. Denn dieses Haus war nicht irgendein Haus… „Vielleicht solltest du doch lieber gehen“, sagte ich zu Tai. Ich wollte ihn nicht mit in diese Sache reinziehen. „Warum sollte ich das machen? Was hast du denn vor?“ „Geh einfach. Oder mach die Augen zu. Wer nichts sieht, weiß auch nichts.“ Der Alkohol schien mir ziemlich zu Kopf gestiegen zu sein, aber das war mir gerade alles egal. Auch, dass ich gerade dabei war eine riesengroße Dummheit zu begehen. Tai ging nicht, er blieb. Aber immerhin hatte ich ihn gewarnt. „Frag mich niemals, warum ich das jetzt tue“, befahl ich ihm im strengen Ton und sah ihn eindringlich an. Die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. In der Einfahrt stand ein Wagen. Zielstrebig ging ich darauf zu. Tai sah mir hinterher und ich war mir sicher, einen kurzen Aufschrei hinter mir zu hören, als ich die Flasche Wein fest mit meiner Hand umschloss, ausholte und sie voller Wucht auf den Wagen schmetterte. „Mimi!“, schrie Tai und kam auf mich zu gehumpelt, um mich am Handgelenk zu packen. „Was machst du denn da?“ „Ich gebe ihm das, was er verdient hat“, erwiderte ich nur wütend. Und es fühlte sich verdammt gut an! Ich riss mich von ihm los und hielt nach etwas schwererem Ausschau. Als ich einen Stein aufhob, sah ich wie Tai’s Augen sich gefährlich weiteten. „Sag mal, drehst du jetzt völlig durch? Was soll der scheiß?“ Doch es war zu spät, denn ich hatte den Stein bereits auf den Wagen geschmissen. Er hinterließ eine tiefe Delle im Dach. „Oh Gott, das fühlt sich so gut an“, seufzte ich erleichtert aus. „Mimi, jetzt lass den Mist. Lass uns hier verschwinden!“, versuchte Tai mich weiterhin zur Vernunft zu bringen. Doch das half nichts. Sollte er mal versuchen mich aufzuhalten. Dieser Typ, den der Wagen gehörte hatte mir so viel Schmerz und Leid zugefügt, noch viel mehr als mein Vater. Er war die Wurzel allen Übels und ich wollte, dass er dafür büßen musste. Und wenn es eben nur sein geliebtes Auto traf… Tai redete weiter auf mich ein, doch ich hörte ihm nicht zu, denn plötzlich stiegen all die angestauten Emotionen hoch, die ich die letzten Monate erfolgreich unterdrückt hatte. All die Wut, die Enttäuschung… alles wollte einfach nur noch aus mir raus. Also griff ich nach dem nächsten Stein, den ich rumlagen sah und der deutlich größer war als der Letzte. „Du ARSCHLOCH!“, schrie ich in meiner Verzweiflung und schmiss ihn mit voller Wucht durch die Frontscheibe, die augenblicklich zerbarst. Ja, genauso fühlte sich mein Herz an. Nachdem er es mir gebrochen hatte. Dieser Stein stand stellvertretend für all den Schmerz, den er mir zugefügt hatte und er sollte es endlich spüren. Ich wollte, dass er genauso leiden musste, wie ich… auch, wenn ich wusste, dass das nie passieren würde. Denn wer ein Herz aus Stein hatte, der konnte nicht leiden, richtig? „Mimi! Jetzt hör auf damit!“ Tai packte mich abermals am Handgelenk und zerrte mich nun weg von dem Wagen, dessen Alarmanlage bereits angesprungen war. Doch selbst dieses Geräusch nahm ich nicht mehr wahr… Ich wehrte mich noch ein letztes Mal dagegen, bis mich schließlich doch meine Kräfte im Stich ließen und ich die Arme sinken ließ. Ich spürte, wie die Tränen mir plötzlich unaufhaltsam übers Gesicht liefen und ich hörte, wie Tai’s Krücke zu Boden fiel und er mich von hinten mit seinen Armen fest umschloss. Er umarmte mich so sehr, als hätte er Angst, ich könnte jeden Moment zusammenbrechen. Doch selbst dafür fehlte mir die Kraft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)