Uncertain Heart von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 15: Hoffnung -------------------- „Es gibt immer einen Ausweg“, sagte er leise. „Welchen denn?“, fragte ich verzweifelt. Konnte er denn nicht sehen, dass jede Sekunde alles vorbei sein würde? Dass ich verloren hatte? „Welchen denn?“, fragte ich noch ein Mal. Es gab keinen Ausweg aus dieser Situation. Tai lächelte mich an. Es gab keinen Ausweg. Es gab keinen Ausweg. Es gab KEINEN Ausweg…! In dem Moment kamen sie wieder. Bereit, sie mir aus den Armen zu reißen. Ausweichend ging ich einige Schritte zurück, während Tai sich schützend vor mich stellte. „Es ist so weit, Fräulein Tachikawa. Wir müssen sie jetzt mitnehmen“, sagte die Frau, die in Begleitung einer Schwester und noch zwei anderen Leuten vom Jugendamt war. Niemals würde ich solchen Leuten mein Kind anvertrauen! Mein Blick verfinsterte sich, wie der einer Wölfin, die ihr Junges verteidigt. Und dann geschah etwas, was ich wahrscheinlich nie vergessen werde… Tai ging auf die Frau zu und sah ihr entschlossen in die Augen. „Ich werde das Kind mitnehmen.“ Nein, das ist unmöglich! Was redete er da? Wie konnte er sich nur erhobenen Hauptes der Frau entgegenstellen, die bereit war, mir mein Kind wegzunehmen? Diese Situation war völlig surreal. Er konnte sie nicht mitnehmen! Das war einfach nicht möglich! Ich bewunderte seinen Mut, der mich völlig sprachlos machte. Alle anderen warfen sich fragende Blicke zu und auch mir stand die Verwirrung ins Gesicht geschrieben. Was meinte er mit: „Ich werde das Kind mitnehmen“? In seiner Stimme lag solch eine Entschlossenheit, dass ich fast selbst schon glaubte, es wäre möglich, was er sagte. Die Frau lächelte fast schon diabolisch. „Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“ Tai straffte seine Schultern und baute sich vor ihr auf, so gut es mit der Krücke ging. Seinen Fuß hatte er angehoben, was mir verriet, dass er ganz sicher Schmerzen wegen des Laufs vorhin hatte. „Ich bin der Vater des Kindes“, sagte er plötzlich und diese Aussage hätte mich beinahe umgehauen, hätte ich nicht mein Baby im Arm gehabt. Niemals würden sie ihm das glauben! Sie wussten, dass es keinen offiziellen Vater gab. Die Frau zog eine Augenbraue nach oben und verschränkte die Arme vor der Brust. „Der Vater wurde als unbekannt angegeben.“ „Ja, kann sein“, sagte Tai beiläufig, als wäre es überhaupt nicht von Bedeutung. „Aber ich habe vor, sie zu adoptieren, sobald ich 18 bin. Was in ein paar Wochen der Fall sein wird.“ Ich konnte nicht glauben, was er da eben gesagt hatte. Hatte ich mich verhört oder kamen diese Worte gerade tatsächlich aus seinem Mund? Regungslos und die Luft anhaltend stand ich da und traute mich nicht zu atmen. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so perplex waren alle Anwesenden. Nur Tai stand da – wie ein Fels in der Brandung – und sagte einfach so, dass er vorhatte meine Tochter zu adoptieren. War das sein Ausweg? Die Frau vom Jugendamt sah an ihm vorbei mich an und musterte mich. „Ist das wahr?“, fragte sie spitzfindig. Ich wusste überhaupt nicht, was ich sagen sollte, war jedoch noch so geistesgegenwertig, dass ich einfach nur stumm nickte. Sie wandte sich wieder Tai zu. „Sie haben vor, das Kind zu adoptieren? Wie kommt es dazu? In welcher Beziehung stehen Sie zu der Mutter?“ Oh Gott – sie machte wirklich ernst. Diese Frage konnte er unmöglich beantworten. Wir waren kein Paar! „Wir sind ein Paar.“ Ich musste mich zusammenreißen, dass mir nicht der Mund aufklappte. Ohne mit der Wimper zu zucken, behauptete er allen Ernstes, wir wären ein Paar. Ich verstand die Welt nicht mehr. Doch um meine Tochter behalten zu können, zog ich mittlerweile alles in Erwägung. Und wenn wir vor Gericht ein Paar sein mussten, dann war es so. „Ja… Ja, das stimmt. Schon länger“, mischte ich mich nun ein, um Tai in seinem mehr oder weniger wahnwitzigen Vorhaben zu unterstützen. Das würden sie uns doch nie glauben! Und genau so sahen mich auch alle an. „Das stimmt. Ich habe ihn schon öfters mit Fräulein Tachikawa hier gesehen“, sagte nun auch die Schwester. Keine Ahnung, ob sie das wirklich glaubte oder mir einfach nur helfen wollte. Doch es untermauerte unsere Lüge. „Tai wäre ein toller Vater“, ergänzte ich meine Aussage und warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Besonders überzeugend klang ich ja nicht. „Und was genau qualifiziert Sie als Vater? Ich meine… ganz offensichtlich gehen Sie selbst noch zur Schule.“ So schnell würde diese Frau also nicht klein beigeben, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Tai hatte einen Kampf begonnen, den wir unmöglich gewinnen konnten. „Das stimmt, aber nicht mehr lange. Ich stehe kurz vor meinen Abschlussprüfungen. Danach wollte ich eigentlich studieren, aber es macht mir nichts aus, noch ein Jahr zu warten, bis auch Mimi ihren Abschluss hat. Danach können wir uns gemeinsam um unser Kind kümmern.“ Unser Kind…?! „Meine Familie unterstützt uns dabei. Wir würden alles tun, damit unser Kind bei uns bleiben kann!“ Okay. Das war zu viel. Ich musste mich setzen. Ich ging zu einen der Stühle und ließ mich darauf nieder. Betrachtete meine Tochter in meinem Arm, die gerade die Augen aufschlug. Sie neigte den Kopf und lächelte mich an. Als wolle sie mir sagen, dass es das Richtige war, was wir hier taten. Sie ermutigte mich dazu. Ich lächelte sie an und wandte mich nun voller Entschlossenheit an die Frau vom Jugendamt und ihre Begleiter. „Ich bin mir sicher, dass wir das schaffen können – Tai und ich. Meine Eltern dachten, ich schaffe es nicht allein. Doch jetzt bin ich nicht mehr allein.“ Ich warf ihm einen zuversichtlichen Blick zu. Ob er wusste, wie dankbar ich ihm war? „Es gibt niemanden auf der Welt, dem ich meine Tochter mehr anvertrauen würde als ihm.“ Ein kurzes Schweigen herrschte im Raum und ich war mir nicht sicher, ob meine Worte reichten, um sie zu überzeugen. „Sie wissen, dass das Sorgerecht momentan noch bei Ihren Eltern liegt, da sie noch nicht volljährig sind.“ „Das weiß ich“, antwortete ich. „Das heißt, Ihre Eltern müssten entweder der Adoption durch ihren Freund zustimmen oder Sie müssten das Sorgerecht vor Gericht einklagen. Sollte sich dort herausstellen, dass man sie nicht für fähig hält Eltern zu sein, und das geht schnell bei so jungen Menschen, dann…“ Sie musste ihren Satz nicht beenden. Ich wusste, was das bedeutete. Ich nickte. Die Beamten warfen sich einen kurzen Blick zu, dann wandte sie sich wieder an Tai. „Ich muss Ihre Daten aufnehmen. Dann müssen Sie, sobald Sie 18 sind einen Antrag auf Adoption stellen. Bis dahin könnten wir das Kind einer Pflegefamilie geben.“ „Nein!“ Ich sprang von meinem Stuhl auf. „Oder die Sorgeberechtigten willigen ein, dass das Kind bis zur möglichen Adoption bei Ihnen bleiben darf.“ Eine kleine Erleichterung machte sich in mir breit. Es gab also doch einen Ausweg. Doch der Weg dahin war wahrscheinlich steiniger, als ich ihn mir vorstellte. Das hörte sich alles sehr kompliziert an und ich war mir fast sicher, dass meine Eltern niemals zustimmen würden, dass das Baby bis zur Adoption bei uns bleibt. Geschweige denn, dass Tai es adoptieren durfte. Ich musste schlucken. Was hatten wir uns da nur eingebrockt? Wie sollte dieser Plan nur jemals aufgehen? Die Frau verfestigte ihren Blick und sah mich unvermittelt an. „Wenn Ihre Eltern der Adoption durch Ihren Freund nicht zustimmen, sieht es schlecht für Sie aus.“ Kurze Zeit später saß ich immer noch mit meiner Tochter auf dem Arm im Krankenzimmer und wartete ungeduldig darauf, dass die Frau vom Jugendamt wiederkam. Sie war herausgegangen, um meine Eltern anzurufen. Wenn sie nicht zustimmen sollten, würde das bedeuten, dass sie mein Baby bis zur Adoption mitnehmen würden. Und das durfte einfach nicht passieren. Sie durften sie mir nicht wegnehmen! Unruhig saß ich auf einem Stuhl und seufzte schwermütig. Tai kam zu mir und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Alles in Ordnung?“ Ich sah zu ihm auf. „Das kommt ganz darauf an, was sie gleich sagen wird…“ Er lächelte mich zuversichtlich an und erst jetzt wurde mir klar, was er eigentlich eben für mich getan hatte. Und welche Konsequenzen dieses Vorhaben haben könnte. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“, fragte ich ihn unsicher. „Wie kommst du darauf, sie adoptieren zu wollen? Weißt du, was das für dich bedeutet?“ Er wandte den Blick von mir ab und sah das Baby an, welches friedlich in meinen Armen lag. „Ja, weiß ich“, sagte er dann. „Glaub mir, Mimi. Ich würde das nicht tun, wenn es einen anderen Ausweg für euch geben würde.“ Ich stand auf, legte sie vorsichtig zurück in ihr Bettchen und ging dann auf Tai zu. Eindringlich sah ich ihn an. „Was tust du nur, Tai? Du kannst doch nicht deine ganze Zukunft wegen mir… wegen uns wegwerfen.“ Er hatte doch keine Ahnung, was es bedeutete, ein Kind groß zu ziehen. Ein Kind, welches nicht seins war. „Deine Selbstlosigkeit in allen Ehren, aber… ich kann es nicht zulassen, dass du dir meinetwegen so eine große Bürde auferlegst.“ Ich war den Tränen nahe. Wie könnte ich so etwas je von ihm verlangen? Wir waren nicht mal ein Paar. Er musste das nicht für mich tun! Und doch tat er es, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Doch das alles betraf nicht nur ihn. Diese Entscheidung, die er bereit war zu treffen, betraf einfach alle. Mich, meine Eltern, seine Familie… Nicht auszumalen, was sie davon halten würden. „Mimi, du kannst mir vertrauen“, sagte er und griff nach meiner Hand. „Ich habe lange und viel recherchiert und solange das Sorgerecht bei deinen Eltern liegt, hast du absolut keine Chance, dein Kind zu behalten. Es sei denn, du klagst es ein. Aber wir wissen, wie aussichtslos so eine Gerichtsverhandlung wäre. Das Einzige, was uns bleibt, ist eine Adoption – was deine Eltern ja eh vorhatten. Nur, dass ich es sein werde, der sie adoptiert.“ Das Einzige, was UNS bleibt? Er sagte einfach so „uns“, als wäre es unser beider Problem. Dabei war es eigentlich nur meins und ich zog ihn einfach so mit in diese Sache hinein. Beschämt senkte ich meinen Blick. „Wie soll ich das nur mit meinem Gewissen vereinbaren, wenn du deine Zukunft wegen uns aufgibst?“ Er wollte etwas antworten, doch in dem Moment öffnete sich die Tür zum Krankenzimmer und die Frau vom Jugendamt trat herein. Ihre Miene verriet absolut gar nichts, was mir sofort ein flaues Gefühl im Magen bescherte. Gespannt sah ich sie an. Sie warf einen Blick auf uns und sah, dass wir Händchenhaltend dastanden. Gut so. Das untermauerte hoffentlich unsere Aussage, wir wären ein Paar. „Ihren Vater konnte ich leider nicht erreichen, da er noch bis Ende der Woche auf einer Geschäftsreise ist“, begann die Frau trocken und mein Herz rutschte in die Hose. Also würden sie sie mitnehmen. „Aber ich habe mit Ihrer Mutter gesprochen und sie ist damit einverstanden, dass das Kind vorerst bei Ihnen bleibt, bis das mit der Adoption geklärt ist.“ Als sie das sagte wurden meine Knie weich und mein Herz machte einen Freudensprung. Meine Mutter hatte tatsächlich zugestimmt? Das war wirklich eine Überraschung, mit der ich nicht gerechnet hatte. „Für so eine Entscheidung reicht die Zustimmung eines Sorgeberechtigten, wenn es allerdings um die bevorstehende Adoption geht, müssen beide Sorgeberechtigten zustimmen. Wir werden für nächste Woche einen Termin vereinbaren, wo wir uns alle zusammen an einen Tisch setzen und darüber reden werden. Bis dahin, alles gute Fräulein Tachikawa. Sie hören von uns.“ Wie? Das war’s? Das war alles? Sie wandte sich um, ging aus dem Zimmer und ließ uns allein. Tai, mich und meine Tochter. Einfach so. Ungläubig sah ich zu Tai auf, der mich triumphierend angrinste. Wie hatte er das nur hinbekommen? Ich durfte mein Baby wirklich mitnehmen… „Wie erklären wir das deinen Eltern?“, fragte ich unsicher, als wir mit gepackten Sachen auf dem Weg nach Hause waren und mir plötzlich bewusstwurde, dass Tais Eltern ja noch gar nichts von der ganzen Sache wussten. Sie würden doch ausrasten, wenn wir urplötzlich mit einem Baby vor der Tür standen und Tai ihnen von seinem Plan, sie zu adoptieren erzählte. Allein bei dem Gedanken daran, wie seine Mutter reagieren würde, wurde mir schlecht. Wir durften nicht mal im selben Raum übernachten und dann tauchten wir mit einem Baby bei ihr zu Hause auf? Die Katastrophe war vorprogrammiert. „Keine Sorge, wir haben noch genau zwei Tage Zeit, um uns das zu überlegen.“ „Wie meinst du das?“ Ich trug meine Tochter auf dem Arm und schulterte zudem noch die ganzen restlichen Sachen, da Tai mit seinem schmerzenden Fuß nicht im Stande war, irgendetwas zu tragen. „Mein Vater ist für zwei Tage auf einer Tagung und meine Mutter hat die Gelegenheit genutzt, eine alte Schulfreundin zu besuchen.“ „Und Kari?“ Tai grinste. „Die hat natürlich auch gleich ihre Chance gewittert und übernachtet bei Takeru.“ „Oh, verstehe.“ Also blieben uns tatsächlich noch ein paar Tage Zeit, um uns zu überlegen, wie wir die Sache am besten angehen konnten. Trotzdem ließ ich den Blick betrübt zu Boden sinken. Was Tai heute für mich getan hatte, war mehr als ich jemals von ihm verlangen könnte und mehr als ich erwartet hätte. Wäre er nicht so mutig gewesen, wäre ich jetzt niemals mit meiner Tochter auf dem Weg zu ihm nach Hause. Ich räusperte mich. „Du hast nie danach gefragt…“, sagte ich kleinlaut und traute mich nicht ihn anzusehen. „Was habe ich nie gefragt?“, fragte er verwundert. „Wer ihr Vater ist.“ Tai schwieg kurz, während ich den Blick stur zu Boden richtete. „Ist das denn wichtig?“, antwortete er schließlich, was mich zum Nachdenken brachte. War es das? „Ja und nein. Leider ist er kein guter Mensch und er ist auch kein Mensch, der Rücksicht auf andere nimmt. Er könnte uns das Leben zur Hölle machen. Mein einziger Vorteil ist, dass er nichts von alledem weiß. Er würde nie akzeptieren, dass ich das Kind behalte.“ Auch, wenn es mir schwerfiel, es zuzugeben, aber: ich hatte Angst vor Hayato. Bis jetzt war ich ihm immer recht selbstbewusst gegenübergetreten, doch nicht auszumalen, was er mit den richtigen Mitteln anrichten konnte. Tatsächlich fürchtete ich mich mehr vor seiner Reaktion als vor der meines Vaters. „Du hast den Vater als unbekannt angegeben. Ich denke nicht, dass es in seiner Macht stünde, uns Schwierigkeiten zu machen“, entgegnete Tai zuversichtlich, doch er hatte ja keine Ahnung… „Ich weiß nicht, ob ich es zulassen kann, dass du noch mehr in diese Sache mit hineingezogen wirst“, sagte ich schuldbewusst, denn ich hatte ein schlechtes Gewissen. Ich konnte doch nicht zulassen, dass er tatsächlich alles meinetwegen aufgab. „Ich kann das einfach nicht von dir verlangen, Tai. Dass du sie adoptierst. Momentan ist mir das Wichtigste, dass sie bei mir ist, aber ich verspreche dir: ich finde eine andere Möglichkeit. Eine, für die du nicht deine Zukunft wegwerfen musst.“ Er blieb stehen und ich drehte mich um. „Und was ist mit deiner Zukunft?“, fragte er mit entschlossenem Blick und ich konnte mir fast schon denken, was dieser Blick zu bedeuten hatte. Ich würde ihn nicht umstimmen können… „Glaub mir Mimi, ich würde es nicht machen, wenn es eine andere Möglichkeit geben würde. Alles, was ich möchte, ist euch zu helfen, mehr nicht. Und ich möchte nicht, dass du deswegen ein schlechtes Gewissen hast. Außerdem… sobald die Adoption abgeschlossen ist kannst du gerne mit deiner Tochter hingehen wo du willst.“ Ich wich seinem Blick aus. „Ich werde ganz sicher keine Ansprüche auf sie erheben, nur weil ich auf dem Papier ihr Vater sein werde“, lachte er und ich grinste unsicher. Das wäre auch zu schön um wahr zu sein. Unentschlossen sah ich ihn an, nickte dann jedoch, weil ich wusste, dass es vorerst tatsächlich keine andere Möglichkeit für uns gab. Tais Angebot war mehr als selbstlos und ich wusste nicht, ob ein Leben dafür ausreichte, um das wieder gutzumachen… Ich war ein wenig aufgeregt, als wir an seiner Wohnung ankamen. Das sollte das erste Mal sein, dass ich meine Tochter für mich alleine hatte und plötzlich fühlte ich mich bei dem Gedanken etwas überfordert. „Wo soll sie eigentlich schlafen? Ich habe doch hier gar kein Babybettchen“, dachte ich laut nach, während ich durch die Wohnung ging, die wie ausgestorben war und mich umsah. „Und was soll sie Essen? Bis jetzt haben sich immer die Schwestern um alles gekümmert. Ich weiß doch gar nicht, wie das geht…“ Verzweiflung kroch in mir hoch und ich denke, das sah man mir in diesem Moment auch an. Woher sollte ich auch wissen, wie man mit einem kleinen Baby umgeht? Ich hatte mich nie mit solchen Fragen auseinandersetzen müssen, da der Plan ja nun mal ein anderer war… „Ganz ruhig“, meinte Tai und griff nach einem Zettel, den er am Morgen ausgedruckt hatte. „Ich dachte mir schon, dass es einige Kleinigkeiten gibt, die wir beachten sollten, also habe ich ein paar Ratschläge aus dem Internet zusammengesucht, die wir befolgen können.“ Er hielt mir den Zettel hin. Ich runzelte die Stirn und sah ihn stutzig an. „Du hast schon damit gerechnet, dass wir sie heute mitnehmen können?“ Tai grinste schief. „Na ja, wenn ich mir mal etwas in den Kopf gesetzt habe… du weißt ja. Und wenn der Plan nicht aufgegangen wäre, wären wir eben mit ihr geflüchtet.“ Ich musste lachen. Manchmal bewunderte ich ihn wirklich für dieses Talent, die Dinge immer irgendwie leicht zu nehmen. Vielleicht gelang ihm deshalb alles, was er sich in den Kopf setzte. „Okay, also ich werd dann mal losgehen und ein paar Sachen besorgen“, meinte er, doch ich schüttelte energisch den Kopf. „Kommt gar nicht in Frage! Ich sehe doch die ganze Zeit schon, wie sehr dein Fuß schmerzt. Du wirst dich schön hinlegen und dich ausruhen!“, orderte ich, drückte ihm die Kleine in die Hand und schob ihn in Richtung Sofa. Dann holte ich ein Kissen, legte es auf den Tisch und bettete seinen Fuß darauf. Tai sah mich völlig verdutzt an. „Darf ich den Herrn sonst noch etwas mitbringen? Vielleicht was zum Naschen? Oder eine kalte Cola?“ Er überlegte und lächelte dabei. „Mmh, vielleicht Popcorn und einen Film. Nach dem ganzen Stress in der Schule und im Krankenhaus haben wir uns mal einen entspannten Abend verdient oder was meinst du? Außerdem sind wir allein hier.“ Was ich dazu meinte? War das etwa eine Anspielung? Ich wurde rot. „Du musst nicht gleich rot werden“, lachte Tai auf und dass er es sofort bemerkt hatte, machte mich direkt noch verlegener. „Ich meine doch nur, dass wir endlich mal Ruhe haben und wir die wenigen ruhigen Stunden nutzen sollten, um uns zu entspannen. Wenn meine Eltern zurück sind, kommen genug neue Probleme auf uns zu.“ Da hatte er recht. Aber so locker, wie er es sagte, klang es beinahe so, als würde er sich überhaupt keine Gedanken darübermachen. Sondern, als wäre es einfach nur eine Tatsache. Als ich vom Einkaufen wiederkam, ging schon langsam die Sonne unter. Ich wollte nicht, dass Tai extra aufstehen musste, also hatte ich mir seinen Schlüssel ausgeliehen. „Bin wieder da“, rief ich durch die Wohnung, doch bekam keine Antwort. Ich stellte die Tüten in der Küche ab und ging ins Wohnzimmer. Ich musste schmunzeln, als ich sie beide so daliegen sah. Tai war eingeschlafen. Dabei hielt er immer noch meine kleine Tochter im Arm, die ebenfalls seelenruhig schlief. Ich beugte mich zu ihnen hinunter und lächelte. Vorsichtig strich ich ihr über den Kopf. „Na, du scheinst dich ja ziemlich wohl bei Tai zu fühlen.“ „Das machen alle Mädchen“, nuschelte Tai, als er aufwachte und mich verschlafen ansah. Ich schrak ein wenig zurück und richtete mich schnell wieder auf, um in die Küche zurück zu gehen. „Ich hab einen Film mitgebracht“, rief ich, während ich die Einkäufe ausräumte. „Um genauer zu sein zwei. Ich wusste nicht, was du gucken magst. Also habe ich einen Thriller und eine Komödie mitgebracht.“ Ich verstaute die restlichen Sachen in den Schränken und ging zurück ins Wohnzimmer, wo ich mich zu ihnen aufs Sofa setzte. „Ich denke, eine Komödie wäre ganz passend. Das heitert dich sicher etwas auf“, meinte er und lehnte sich zurück. Ein leises Stöhnen entwich ihm unter zusammengebissenen Zähnen. Mein Blick fiel auf seinen Fuß. Wir waren vorhin eine Weile gelaufen und das, obwohl Tais Fuß immer noch nicht ganz verheilt war. „Tut’s sehr weh?“, fragte ich mitleidig. Tai zwang sich zu einem schiefen Grinsen. „Ach, was.“ Ich seufzte auf und schüttelte verständnislos den Kopf. „Warum glaube ich dir das nicht?“ Ich stand auf, ging ins Bad und suchte nach irgendeiner Schmerzsalbe, mit der ich seinen Fuß eincremen konnte. „Hier, die wird dir helfen“, sagte ich, als ich mich wieder neben ihn setzte. Ich klopfte mit der Hand auf meinen Schoß, doch Tai sah mich nur stirnrunzelnd an. „Na, los. Füßchen her!“, forderte ich, doch Tai schien skeptisch. „Du hast doch gesagt, du spielst nicht die Krankenschwester.“ „Wann habe ich das gesagt?“ „Als wir die Abmachung getroffen haben. Du bringst mich zur Schule, wenn ich dir Nachhilfe gebe.“ „Richtig“, stimmte ich ihm zu und zog dennoch seinen Fuß auf meinen Schoß. „Aber vorerst brauche ich keine Nachhilfe mehr, also… ist diese Abmachung hinfällig.“ Tai lachte auf, während ich seinen Verband abwickelte. „Auch die, dass du nicht für mich kochst?“ Ich grinste. „Witzig“, sagte ich, doch mein Lächeln erstarb, als ich den Verband abhatte und seinen geschwollenen Knöchel sah. „Oh, Tai. Das sieht gar nicht gut aus. Du hättest nicht rennen dürfen.“ „Hatte ich denn eine Wahl?“, fragte er, während ich vorsichtig die Salbe auftrug. „Man hat doch immer eine Wahl.“ „Und das aus deinem Mund…“ Ich sah zu ihm auf und lächelte. Er hatte es sich bequem gemacht und hielt das schlafende Baby immer noch in seinem Arm, als wäre es das Normalste von der Welt. „Sie steht dir“, sagte ich liebevoll. Und das stimmte. So langsam musste ich mir eingestehen, dass es tatsächlich keinen geben würde, der sich besser als Vater eignete als Tai. Auch wenn es nur pro-forma sein würde… Tai sah das kleine Mädchen in seinen Armen ganz verträumt an und lächelte ebenfalls. Die beiden so zu sehen erwärmte mein Herz. Selten hatte ich so viel Zufriedenheit verspürt, wie in diesem Moment. „Du solltest ihr so langsam mal einen Namen geben. Jetzt, wo sie bei dir bleiben wird.“ Ich runzelte die Stirn. Einen Namen? Darüber hatte ich bis jetzt noch gar nicht nachgedacht. Es kam nie für mich in Frage, ihr einen Namen zu geben. Doch er hatte recht. Angestrengt dachte ich nach. „Also ich finde ja Hope sehr passend“, sagte Tai plötzlich. „Hope.“ Ich sprach den Namen ganz langsam aus. Hope. Hoffnung. Ich lächelte ihn an und nickte zustimmend. „Hope ist perfekt.“ Es gab keinen Namen, der hätte treffender sein können. Sie gab mir Hoffnung. Hoffnung, dass vielleicht doch noch alles gut werden würde. Das kleine Baby, welches so friedlich aussah, als hätte es nie etwas anderes getan als in seinen Armen zu schlafen, schmiegte sich eng an ihn und Tai lächelte, als hätte er nie etwas anderes getan als sie zu halten. „Der Großteil unseres Lebens besteht aus einer Aneinanderreihung von Bildern. Sie ziehen an uns vorbei wie Städte an der Autobahn. Doch manchmal gibt es einen Moment, der uns überrascht und wir wissen, dass dieser Moment mehr ist als nur ein flüchtiges Bild. Und dass dieser Moment und jedes Detail daran für immer Bestand haben wird.“ One Tree Hill Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)