Uncertain Heart von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 26: Sündenparty Teil I ------------------------------ „Welcome to the final show. Hope you’re wearing your best clothes.“ Den ganzen Tag schon hatte ich mich auf diesen Abend gefreut. Endlich hatte ich Tai ganz für mich. Endlich war ich mit ihm allein, nachdem wir so lang gewartet hatten. Aufgeregt steckte ich den Schlüssel ins Schlüsselloch und öffnete die Tür zu meiner Wohnung. Das Licht war gedämmt. Auf dem Boden lagen Rosenblätter. Ich folgte der Spur bis ins Schlafzimmer. Da war er. Er trug eine schwarze Hose und ein schickes, weißes Hemd. In seiner Hand hielt er einen riesigen Strauß Rosen. „Hallo, Prinzessin“, säuselte er und ein schiefes Grinsen legte sich auf seine Lippen. „Gefällt es dir?“ „Oh, Tai. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Beeindruckt sah ich mich im Raum um. Überall standen Kerzen und sogar auf dem Bett lagen Rosenblätter. Es duftete himmlisch. „Komm zu mir“, sagte er und streckte die Hand nach mir aus. „Ich habe so lang auf diesen Moment gewartet.“ Er sah mir tief in die Augen, zog mich so dicht an sich, dass er den unruhigen Schlag meines Herzens spüren musste. „Ich liebe dich, Tai“, hauchte ich gegen seine Lippen. Er lächelte. „Ich dich auch. Hast du Hunger?“ „Was?“ Verwirrt sah ich ihn an. „Ob du Hunger hast?“, wiederholte er. „Ich habe extra was für uns besorgt.“ Ich trat einen Schritt zurück. Die Rosen in seiner Hand hatten sich in einen Teller voller Sushi verwandelt, welches akkurat zu einer Pyramide gestapelt war. „Was zum Teufel…“, stammelte ich und runzelte die Stirn. Plötzlich griff eine Hand von hinten um Tais Schultern und schnappte sich eine Sushi-Rolle von dem Teller. „Also ich mag Sushi.“ Ich sah auf und blickte in Soras Gesicht. Sie schmiegte sich von hinten eng an meinen Freund und steckte sich das Sushi genüsslich in den Mund. „Aber… du hasst Sushi!“, schrie ich sie wütend an, doch sie grinste nur und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Nein, das hast du nur gedacht.“ Tai lächelte und wand sich zu ihr um und dann… …schreckte ich hoch. „SUSHI“, schrie ich und saß kerzengerade im Bett. Ich war schweißgebadet. Es war mitten in der Nacht. Panisch sah ich mich um. Es war alles dunkel. Keine Sora. Keine Rosenblätter. Und vor allem kein Sushi. Erleichtert griff ich mir an die feuchte Stirn und atmete schwerfällig aus. Tai neben mir grummelte und richtete sich auf. „Was hast du denn?“, fragte er besorgt und streichelte meinen Arm. „Nichts. Nur ein Albtraum.“ Ich warf die Decke zurück und ging geradewegs ins Badezimmer, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Verwirrt stützte ich mich am Waschbeckenrand ab. Was zur Hölle war das? Ich ging in die Küche, um mir ein Glas Wasser einzuschenken. Dabei fiel mein Blick auf die Reste vom Vorabend, die immer noch in der Küche standen. Wütend schnappte ich mir den Teller und kippte alles kurzentschlossen in die Mülltonne. „Drecks Sushi!“ Als ich zurück ins Schlafzimmer kam, hatte Tai die Nachttischlampe angestellt und saß im Schneidersitz auf dem Bett. „Du kannst ruhig weiterschlafen. Es ist alles in Ordnung“, sagte ich, doch er grinste nur und klopfte mit der flachen Hand neben sich. Ich seufzte und setzte mich ihm gegenüber. „Alles klar bei dir?“, fragte er. Ich strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und sah ihn genervt an. „Hab ich doch gesagt!“ „Gut“, grinste er und holte etwas hinter seinem Rücken hervor. „Ich hab nämlich ein Geschenk für dich.“ Er hielt mir einen Briefumschlag vor die Nase. „Alles Gute, zum Abschluss, Tai.“ Irritiert zog ich eine Augenbraue nach oben und sah ihn fragend an. „Wie, jetzt? Ein Geschenk für mich… aber eigentlich ist es für dich, zum Abschluss? Muss ich das jetzt verstehen?“ Er zuckte mit den Schultern, als ich den Briefumschlag entgegennahm. „Na ja, es ist ein Geschenk für dich… und für mich, sozusagen. Wir haben beide was davon. Ich dachte, so zur Feier des Tages, dass meine Prüfungen vorbei sind. Und du hast dir auch mal eine Auszeit verdient.“ Ich runzelte die Stirn und öffnete den Umschlag. Es befand sich ein Flyer darin. „Was ist das?“ Ich drehte und wendete das Teil in meiner Hand. Ganz vorn war ein Strand, der Fuji und Kirschblüten zu sehen. „Nishiizu?“ „Ja, ich war früher öfter mal mit meinen Eltern da. Es ist total schön da und schau mal, von dem Hotel aus kann man sogar den Fuji sehen.“ Er klappte den Flyer auf und zeigte auf ein wunderschönes Hotel, mit Blick aufs Meer und auf den Fuji in weiter Ferne. Völlig verdattert sah ich ihn an. „Ich versteh nicht ganz.“ Tai lachte und klappte den Flyer wieder zu. „Wir fahren dort hin. Nächstes Wochenende. Nur wir zwei.“ Meine Augen weiteten sich. „WAS?“ „Ja, ist doch toll, oder?“ Tais Augen strahlten, während mir sofort tausend Fragen durch den Kopf schossen. „Aber… Aber wie sollen wir denn dort hinkommen? Und hast du das etwa schon gebucht? Das ist doch sicher super teuer da! Wovon hast du das bezahlt? Und was ist mit Hope? Ich kann sie doch nicht einfach so allein lassen und außerdem…“ „Mimi“, unterbrach er mich und ich verstummte. „Mimi… kannst du mal aufhören, dir um alles und jeden Sorgen zu machen? Kannst du dich nicht einfach mal freuen?“ Total verdattert saß ich da und starrte ihn an. Ich kam mir komplett bescheuert vor. „Ich habe schon mit meiner Mutter gesprochen“, erklärte er mir weiter. „Sie wird an dem Wochenende auf Hope aufpassen. Das heißt, wir können ganz sorglos wegfahren, nur wir zwei. Und um das Geld mach dir mal keine Gedanken. Es ist alles bezahlt.“ Ich wollte etwas einwenden, doch er hielt mir den Finger an die Lippen. „Nein, du sagst jetzt nichts dazu. Es sei denn, du möchtest mir sagen, dass du dich darüber freust. Dann, bitte sprich!“ Ich sackte zusammen und stierte auf den Flyer in meiner Hand. „Du bist total verrückt“, sagte ich leise. „Ich weiß.“ „Und du willst wirklich mit mir da hin?“ „Will ich.“ „Nur wir zwei?“ „Nur wir zwei!“ Ich warf ihm einen verstohlenen Blick zu. „Das ganze Wochenende?“ Er grinste schief. „Das ganze Wochenende.“ Ich wurde rot um die Nase, weil ich ganz genau wusste, was das bedeutete. Allerdings konnte ich bei dem Gedanken daran nicht verhindern, dass sich ebenfalls ein Lächeln auf meine Lippen legte. „Tai, du bist komplett verrückt!“, rief ich und fiel ihm um den Hals. Er schloss seine Arme um mich. „Ich weiß, du wiederholst dich. Also, freust du dich?“ „Soll das ein Witz sein?“, entgegnete ich und wedelte mit dem Flyer vor seiner Nase herum. „Das ist die beste Überraschung seit langem!“ Überglücklich ließ ich mich zurück in die Kissen fallen und der Albtraum von vorhin war wie weggeblasen. „Ich freue mich, wenn du dich freust“, sagte Tai zufrieden und stützte sich neben mich ab. „Du hast dir das mehr als verdient, nach dem ganzen Stress der letzten Monate. Und außerdem…“ Er legte ein schelmisches Grinsen auf und fuhr mit dem Finger meinen Bauch hinauf. „Dort kann ich dich endlich drei Tage lang in einem Zimmer einsperren. Mit einem riesigen Bett. Also, ich hoffe, du hast jetzt kein ausführliches Kulturprogramm erwartet. Ich will dich an diesem Wochenende ganz für mich haben.“ Ich lachte und zog ihn an mich. „Nichts lieber als das“, sagte ich und küsste ihn. Am nächsten Morgen ging ich allein zur Schule. Die Zeiten, in denen ich mit Tai zur Schule ging und dort auf Yamato und Sora treffen würde, waren endgültig vorbei. Zugegebenermaßen war ich sogar ein wenig reumütig darüber. Eigentlich war es doch eine schöne Zeit, in der wir alle gemeinsam die Schule besuchten. Zumindest bis zu dem Tag, als ich verschwand. „Hey, Mimi“, rief jemand von hinten. Ich drehte mich um und sah Izzy, der auf mich zu gerannt kam. „Guten Morgen, Izzy“, begrüßte ich ihn freundlich. Völlig aus der Puste kam er bei mir an. „Hab mich extra beeilt, damit ich dich noch einhole. Ich hab ein wenig verschlafen“, gestand er und griff sich an die Stirn. „Wow“, lachte ich. „Du hast das erste Mal in deinem Leben verschlafen, gratuliere! Möchtest du eine Trophäe oder lieber eine Aspirin?“ Izzy grinste unsicher und verzog dann das Gesicht. „So offensichtlich?“ „Na ja, du verträgst eben kein Bier und das weiß ich besser als du.“ „Anscheinend. Dann wähle ich die Aspirin. Ich trinke nie wieder!“, sagte er gequält, als ich ihm eine Schmerztablette gab und wir an der Schule ankamen. Vor dem Schulgebäude sammelte sich eine Schaar Schüler, die wild durcheinanderredeten und lachten. „Was ist da los? Gibt’s da was umsonst?“, fragte Izzy, doch ich zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung.“ Ein Mädchen aus der Parallelklasse löste sich von der Menge, als sie mich sah und kam auf mich zugestürmt. „Hey, Mimi. Hast du kurz Zeit?“ Ich nickte und wandte mich an Izzy. „Geh ruhig schon mal rein, ich komme gleich nach.“ „Alles klar“, meinte Izzy und schenkte dem Mädchen ein müdes Lächeln. „Hallo, Kazumi. Was gibt’s denn?“, fragte ich sie, als Izzy gegangen war. „Was hast du morgen Abend vor?“, platzte es aus ihr heraus. Erwartungsvoll sah sie mich an. Ich überlegte. „Eigentlich noch nichts, warum?“ „Einige Schüler aus der Abschlussklasse veranstalten eine Party, weil die Prüfungen vorbei sind.“ Sie drückte mir einen Flyer in die Hand. „Es ist eine Sündenparty“, erklärte sie mir. Die Schrift prangte groß und breit in Rot auf dem Zettel. „Was ist denn das für ein Quatsch?“, lachte ich und begann laut vorzulesen. „Erleichtert eurer Gewissen. Gesteht euch eure dunkelsten Geheimnisse. Und werdet dafür gefeiert. Das beste Geheimnis gewinnt!“ Verständnislos und zugleich belustigt sah ich sie an. „Was?“ Kazumi verdrehte die Augen, als wäre ich irgendwie schwer von Begriff. „Kennst du das etwa nicht? Das ist der neuste Schrei auf Studentenpartys.“ Diese Info half mir allerdings so gar nicht weiter. Von dieser Welt verstand ich nichts. „Und wie funktioniert das Ganze?“, hakte ich nach. „Also es ist so“, begann Kazumi und legte einen bedeutungsvollen Blick auf. „Irgendjemand veranstaltet diese Party. Die Sündenparty. Und er lädt ein paar Leute dazu ein. Diese wiederum können ebenfalls Leute einladen und so weiter und so weiter. Die Anzahl sollte natürlich schon begrenzt sein, damit das Ganze nicht aus dem Ruder läuft – versteht sich von selbst. Aber grundsätzlich gilt: je mehr Leute, desto besser. Außerdem erhöht das die Chance, dass sich nicht alle Anwesenden kennen. Das macht es umso spannender.“ Bis jetzt klang es zwar noch nicht sehr aufregend und ergab wenig Sinn, aber ich war neugierig. „Okay, und wie geht es dann weiter?“, fragte ich. Kazumi lachte. „Hallo? Es heißt Sündenparty. Ihr beichtet euch eure dunkelsten Geheimnisse, ist doch klar.“ „Was?“ Okay, nun hatte sie meine volle Aufmerksamkeit. „Keine Sorge, ihr sagt sie euch nicht direkt ins Gesicht – das wäre ja komplett witzlos! Ihr schreibt sie auf.“ „Interessant. Und was passiert dann?“ „Dann werft ihr sie in eine Art Black Box. Wenn das alle getan haben, werden die Zettel rausgeholt und auf gehangen, sodass jeder sie lesen kann. Auf jeden Fall gibt es dann eine Abstimmung. So in etwa wie eine Wahl, verstehst du?“ Ich runzelte die Stirn. „Eine Abstimmung? Was wird denn abgestimmt?“ Wieder lachte sie und schlug mir spielerisch gegen den Arm. „Natürlich, wer die beste Sünde preisgegeben hat, du Dummerchen. Und beste heißt in dem Fall gleich schlimmste.“ Verdattert sah ich sie an. War das ihr Ernst? Irgendwie erschien mir das Ganze total irrwitzig. „Und dann… gibt es eine Art Preis, oder wie?“, fragte ich nach. „Nein, dann wäre es ja nicht mehr anonym. Das ist ja das Gute an dem Spiel. Jeder darf seine Sünden beichten, ohne, dass er sich selbst verraten muss. Wie auf einem Beichtstuhl – nur auf moderne Art und Weise.“ Ich war fast schon sprachlos darüber, wie begeistert sie von dieser Form der Bespaßung war. So etwas Verrücktes hatte ich noch nie zuvor gehört! „Und das soll lustig sein?“, meinte ich skeptisch und warf einen Blick zu der aufgeregten Schülermenge hinter uns. Kazumi zuckte mit den Schultern. „Irgendwie schon. Man feiert quasi, dass man den Mut hatte, sein Gewissen zu erleichtern. Ich war selbst noch nicht dabei, aber ich habe gehört, dass es echt interessant sein soll.“ Sie lehnte sich etwas weiter nach vorn und zwinkerte mir zu. „Oder würde es dich etwa nicht interessieren, welche Geheimnisse deine Mitmenschen so mit sich rumtragen?“ Ich zog eine Augenbraue nach oben und betrachtete noch mal den Zettel in meiner Hand. „Das klingt irgendwie voll daneben.“ Kazumi rollte mit den Augen. „Und trotzdem habe ich dich hiermit offiziell eingeladen. Sag’s weiter!“ Gedankenverloren sah ich aus dem Fenster und kaute dabei auf meinen Stift herum. Mir ging so vieles durch den Kopf. Schon wieder. Der gestrige Abend. Sora. Kari. Takeru. Tai. Das kommende Wochenende mit ihm. Die Party… Die Party. Was für eine bizarre Idee. Doch irgendetwas reizbares schien es wohl an sich zu haben, sonst wären nicht so viele Leute davon begeistert gewesen. Immer wieder gingen mir Kazumis Worte durch den Kopf. „Oder würde es dich etwa nicht interessieren, welche Geheimnisse deine Mitmenschen so mit sich rumtragen?“ Ach! So ein Quatsch! Als ob das auch nur ansatzweise irgendeinen Sinn ergab. Die Leute hatten schon komische Ideen. Obwohl… jeder hatte doch Geheimnisse, oder? Jeder hatte seine Leichen im Keller – manche klein, manche größer – aber sie waren da. Vielleicht empfanden es ja einige Teilnehmer tatsächlich als befreiend, wenn sie sich auf diese Weise der Welt mitteilen konnten. Sie konnten ihr Gewissen erleichtern, ohne, dass irgendeine Art Konsequenz folgte. Ich dachte an mein Geheimnis. Ich hatte es schon gebeichtet. Aber was war mit den anderen? Sie hatten auch Geheimnisse. Ich dachte an Kari. Vielleicht wäre so etwas genau das Richtige für sie, um sich zu erleichtern. Ich hatte das Gefühl, wenn sie sich nicht bald jemanden mitteilen konnte, würde sie zugrunde gehen. Und was war mit Sora? Und mit Tai? Hatten die beiden auch ein gemeinsames Geheimnis, was sie miteinander verband? Dieses Gefühl ließ mich einfach nicht los und nach gestern Abend… Ich dachte daran, wie merkwürdig sich Sora verhalten hatte und wie verkrampft plötzlich Tai gewirkt hatte, obwohl die Stimmung doch vorher recht ausgelassen zwischen den beiden war. Soras scheinbar unbedeutender Kommentar schoss mir wieder in den Kopf… „Ähm… i-ich hole mir mal noch etwas Sushi.“ Und Kazumi… „Oder würde es dich etwa nicht interessieren, welche Geheimnisse deine Mitmenschen so mit sich rumtragen?“ Oh Gott, ich glaub, ich bekam auch Kopfschmerzen. Doch, es musste einfach etwas geben, was die beiden verheimlichten. Und auch Kari und Takeru trugen ein Geheimnis mit sich rum. Ich hielt das nicht mehr aus. Schmerzhaft biss ich mir auf die Lippe und umklammerte meinen Stift. Es genügte! Ich konnte weder noch länger Kari dabei zusehen, wie es sie zerstörte, noch ständig Tai und Sora weiter hinterherstellen und darauf lauern, dass sie irgendetwas sagten oder taten, was mein Misstrauen erweckte. Das alles machte mich ganz wahnsinnig! „Hey! Hey, Mimi!“ Izzys Flüstern riss mich aus meinem kläglichen Gedankenkreislauf. „Hey, was ist los?“ Er lehnte sich leicht zu mir rüber, während die Lehrerin damit beschäftigt war, etwas an die Tafel zu schreiben. „Du passt überhaupt nicht auf!“, tadelte er mich. Ich lächelte entschuldigend. „Tut mir leid. Es ist nur… was hast du morgen Abend vor?“ „Morgen Abend?“, fragte Tai stutzig, während er mit Hope zusammen auf dem Sofa lag und sie immer wieder in die Luft hielt, damit sie kicherte. Nach der Schule war ich sofort nach Hause gegangen, um Tai von der Party zu erzählen. Natürlich ließ ich ein wichtiges Detail aus. „Hast du noch nichts davon gehört?“, entgegnete ich unschuldig und tat so, als wäre ich schwer mit aufräumen beschäftigt. „Die Schüler der Abschlussklassen haben es organisiert. Sie wollen euren Abschluss feiern.“ Tai überlegte. „Nein, hab ich noch nicht mitbekommen. Obwohl Yamato es neulich schon mal erwähnt hatte, dass vermutlich eine Party geplant ist.“ „Und?“, fragte ich erwartungsvoll und räumte ein paar Bücher ins Regal zurück. „Willst du hingehen?“ Er verzog das Gesicht. „Hmm, nein.“ „Was, wieso nicht?“ „Ich bin froh, dass die Schule vorbei ist. Ich brauch diese Party nicht. Außerdem hatten wir schon lang keinen Abend mehr für uns.“ Ich schnaufte. Wie konnte ich ihn nur überreden, mitzukommen? „Aber ich habe schon Izzy gefragt und er kommt auch mit“, warf ich ein, als Tai mich überrascht ansah. „Du hast schon Izzy gefragt?“ Ich zuckte unschuldig mit den Schultern. „Na ja, ich dachte, du würdest auch hingehen wollen.“ „Und was ist mit Hope?“ „Ich habe schon mit Frau Hanada gesprochen… vorhin. Sie würde morgen Abend auf sie aufpassen.“ „Na, ich weiß nicht“, meinte Tai nachdenklich und seine Mundwinkel sanken wenig begeistert nach unten. „Ach, komm schon, Tai“, fing ich nun an zu betteln und kniete mich neben ihn und Hope. „Ich war schon ewig auf keiner Party mehr. Mir fehlt das irgendwie. Dieses normale Schülerleben.“ Ich legte meinen kleines-Mädchen-Blick auf, der schon früher hervorragend bei ihm funktioniert hatte, wenn ich etwas von ihm wollte. „Ich möchte nur auch mal wieder Spaß haben und ich dachte, es wäre eine tolle Idee für uns beide. Außerdem hast du es dir verdient. Du hast dich die letzten Monate echt abgerackert. Erst das mit deinem Fuß, Hope, ich… du hast es dir verdient, deinen Abschluss zu feiern. Und ich habe mir verdient, mich endlich mal wieder schick zu machen und mein grünes Kleid rauszuholen.“ Tai antwortete mir nicht, er sah mich einfach nur an. Ich kräuselte meine Lippen. „Bitteee, Taiii“, flehte ich und zog dabei seinen Namen betont in die Länge. „Bitte lass uns zu dieser Party gehen, ja?“ Tai seufzte schwer, gab sich letztendlich jedoch geschlagen. „Na, gut. Wenn du unbedingt hinwillst.“ „Klasse!“, jubelte ich, sprang auf und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. „Ich ruf sofort die anderen an und frag, ob sie auch mitwollen.“ Tai grinste amüsiert. Ich hatte es geschafft. Jetzt musste ich nur noch dafür sorgen, dass die anderen auch mitkommen würden. Vielleicht war das ja meine Chance, auf die ich so lang gewartet hatte… Ich hatte es geschafft! Genau 24 Stunden später waren wir alle gemeinsam auf den Weg zu dieser Party, die bei irgendeinem Typen aus der Abschlussklasse stattfand und den ich überhaupt nicht kannte. Aber das war ja egal. Darum ging es ja bei dieser Party. Wobei mir es um etwas völlig anderes ging. „Ich bin richtig aufgeregt“, gestand ich und eine freudige Hitze breitete sich in mir aus. Oder war es eher Aufregung? „Warum bist du nur so heiß auf diese Party?“, fragte Tai, der mich mit hochgezogener Augenbraue von der Seite her ansah, doch ich zuckte nur mit den Schultern. „Wenigstens ist hier eine heiß“, warf Yamato genervt ein und verschränkte die Arme hinter den Kopf, als Sora ihn unsanft in die Seite stieß. „Oho“, lachte Tai auf. „Ärger im Paradies?“ „Ach, halt die Klappe“, meckerte der Musiker und ging einige Schritte voraus. „Also ich für meinen Teil trinke heute nichts. Ich bin nur mitgekommen, weil Mimi mich sonst nicht in Ruhe gelassen hätte“, meinte Izzy und lenkte so gekonnt vom Thema ab. „Willkommen im Club“, sagte Tai und rollte mit den Augen. „Ach, kommt schon Leute. Ich weiß gar nicht, wo euer Problem ist? Wir waren ewig nicht alle zusammen weg. Ich finde, das war eine tolle Idee, Mimi“, sagte Kari und lächelte mich aufmunternd an. Ob sie die Idee nachher immer noch so gut fand, wenn wir erst mal da waren und sie feststellten, was das für eine Party war? „Da wären wir“, verkündete Sora recht niedergeschlagen, als wir an dem Haus ankamen, in dessen Vorgarten sich schon einige Leute tummelten. Die ganze Zeit über war sie hinter Matt hergetrottet. Sie hatten kein einziges Wort miteinander gewechselt. Anscheinend gab es wirklich Stress zwischen den beiden. Ich beschloss, Sora später darauf anzusprechen, aber erst mal… „Seid ihr bereit?“, fragte ich verheißungsvoll, während meine Aufregung immer größer wurde. War das wirklich eine gute Idee? Sollte ich das wirklich tun? Was war, wenn tatsächlich heute Abend Dinge offenbart wurden, die ich nicht wissen wollte? Dinge, die alles verändern könnten? „Jetzt sei mal nicht so dramatisch“, entgegnete Yamato stirnrunzelnd. „Genau, ist doch nur ne Party“, meinte auch Tai und alle gingen rein. Ich blieb noch einen kurzen Moment stehen und wog mein Gewissen ab. War das richtig oder falsch, was ich hier tat? Ach, verdammt! Ich hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Nun war es eh zu spät. Was auch immer dieser Abend bringen sollte – es musste geschehen. Sonst würde ich keine Ruhe finden. Ich folgte den anderen nach drinnen und war fast schon geschockt darüber, wie viele Leute da waren. Die halbe Schule schien anwesend zu sein. „Na, klasse. Wie soll ich denn da jemals die richtigen Zettel finden?“, nuschelte ich in mich hinein. „Was hast du gesagt?“, fragte Tai, der neben mir stand. Ich winkte schnell ab. „Ach, gar nichts. Lass uns was zu trinken holen.“ Wir gingen alle in die Küche, wo ein paar der älteren Schüler gerade ein Trinkspiel spielten und anschließend in lautes Gegröle verfielen. „Mimi!“ Ich drehte mich um. Kazumi kam auf mich zugestürmt. „Du bist ja doch gekommen. Hast du jemanden mitgebracht? Sind das deine Freunde?“ Sie blickte uns begeistert an und war offensichtlich auch schon etwas beschwipst. „Ja, das sind…“, begann ich, doch sie ließ mich nicht aussprechen. „Ist ja cool! Und? Habt ihr so was schon mal gemacht?“ Takeru schmunzelte. „Was… gemacht?“ Kazumi stemmte eine Hand an die Hüfte und schaute uns alle bedeutungsvoll an. Oje. „Na, wart ihr schon mal auf so einer Party?“ Alle sahen sich irritiert an. „Jaah? Du etwa nicht?“, fragte Tai irritiert, als meine Handflächen langsam zu schwitzen begannen. „Wow, echt? Ist ja der Wahnsinn!“, meinte Kazumi und sah uns alle mit großen Augen an. „Also, ich bin zum ersten Mal dabei, aber ich bin schon tierisch gespannt. So eine Sündenparty ist schon echt was ziemlich Bizarres oder? Aber irgendwie auch witzig. Na ja, viel Spaß euch noch.“ Sie grinste, drehte sich um und mischte sich wieder unters Volk. „Wie bitte, Sünden-was?“, meinte Kari und sah fragend in die Runde. „Was soll das sein, eine Sündenparty?“, fragte nun auch Sora. Tai sah mich an. „Mimi?“ Ich grinste unsicher und zuckte mit den Schultern. Doch das kaufte mir irgendwie keiner ab. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Ich knickte ein. „Okay, okay. Ich hab gedacht, es wäre lustig. Alle wollten herkommen und mitmachen.“ „Wobei mitmachen?“, hakte Tai misstrauisch nach, doch noch bevor ich antworten konnte, wurde plötzlich die Musik abgestellt und alle Blicke richteten sich in die Mitte des Raums, wo einer der älteren Schüler auf einem Tisch stand und um Ruhe bat. „Hey Leute, schön, dass ihr alle gekommen seid! Ich könnte jetzt eine riesen Reden darüber halten, wie geil es ist, dass die Schule endlich vorbei ist, aber das wäre zu langweilig und deswegen seid ihr auch alle nicht hier. Nein, ihr seid alle nur aus einem Grund hier. Nämlich, um eure Sünden zu beichten!“, rief er über die Menge, die ihm zujubelte und in die Hände klatschte. „Oh, nein“, kam es Takeru leise über die Lippen und auch die anderen warfen sich unsicher Blicke zu. Tai beugte sich zu mir runter. „Mimi, was soll das?“, fragte er leise. „Also, ihr kennt die Regeln. Denkt euch nichts aus, nur um zu gewinnen. Seid gnadenlos ehrlich mit euch und euren Sünden. Wir wollen die nackte Wahrheit und nur die! Ihr wisst, die beste Sünde gewinnt am Ende des Abends.“ Wieder riefen die Leute ihm begeistert zu, während ein paar Leute rumgingen und an alle Anwesenden Zettel und Stifte verteilten. Der Junge, der eben noch gesprochen hatte, stellte eine schwarze Kiste auf den Tisch, auf den er eben noch gestanden hatte und erklärte, dass das die Box der Schande sei, was wohl irgendwie witzig sein sollte, bei meinen Freunden jedoch nicht ankam. Es wurde also ernst… „Nein, vergiss es. Da mach ich nicht mit!“, protestierte Takeru sofort und verschränkte die Arme vor der Brust. Alle anderen sahen sich schweigend an. „Was soll das hier werden, wenn’s fertig ist?“, fragte Tai in die Runde und ich konnte den Zweifel in seinem Blick sehen. „Also ich mache da auch nicht mit, auf keinen Fall“, lehnte nun auch Sora vehement ab und machte somit all meine Hoffnungen zunichte. Ich musste etwas unternehmen. Ganz dringend. „Ehm, also…, wenn ich es kurz erklären dürfte?“, hakte ich dazwischen und alle sahen mich überrascht an. „Es stimmt. Ich wusste, was das für eine Party ist. Und ich wollte unbedingt hingehen.“ Tai verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue nach oben. Hoffentlich ging das nicht alles gleich voll nach hinten los. „Ihr wisst, ich habe dieses Schuljahr ein großes Geheimnis mit mir herumgetragen. Und es tat unglaublich gut, als es endlich raus war. Als ihr endlich alle Bescheid wusstet. Ich habe gesehen, es ist nicht schlimm, zu seinen Sünden zu stehen. Im Gegenteil. Es erleichtert einen. Und ich möchte mutig sein und endlich offiziell zu meiner Tochter stehen. Auch, wenn ich dann wahrscheinlich den Preis für die beste Sünde gewinnen werde“, lachte ich unsicher. „Ich möchte endlich reinen Tisch machen. Mit allem! Und jedem! Deswegen bin ich heute hier. Und ich wäre euch dankbar, wenn ihr jetzt nicht gehen würdet.“ Flehend sah ich die anderen an. Kari war die Erste, die einknickte. „Mimi, das finde ich so mutig von dir. Also ich… i-ich bleibe auf jeden Fall hier und unterstütze dich. Du bist nicht allein.“ Takeru sah sie fassungslos an. „Was? Du willst da mitmachen?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Mal ehrlich, Leute. Wie schlimm können eure Sünden schon sein? Ich denke nicht, dass es schlimmer sein kann als das, was ich getan habe.“ Ich hatte sie noch nicht überzeugt, noch nicht alle. „Ich hatte mit einem älteren Typen eine Affäre. Und habe ein Kind von ihm. Und ich habe es vor der Welt versteckt. Und alle angelogen.“ Sora war die Zweite, die einknickte. Sie warf einen kurzen Blick zu Tai und sah dann wieder zu mir. „Du hast recht, Mimi.“ „Was?“, platzte es aus Tai heraus. „Habt ihr sie noch alle?“ „Ich finde es sehr mutig, was Mimi da sagt. Und sie hat recht. Manchmal tut es gut, mit allem reinen Tisch zu machen“, entgegnete Sora entschlossen. „Na, das sind ja ganz neue Töne“, entgegnete Yamato trocken und warf seiner Freundin einen komischen Blick zu. Ich überging diesen Kommentar und sah die anderen hilfesuchend an. „Also, was ist? Bleibt ihr hier und unterstützt mich?“ Kari nickte. Takeru stöhnte und nickte schließlich auch. Sora war ebenfalls einverstanden. „Von mir aus“, nörgelte Yamato genervt. Izzy schüttelte nur den Kopf. „Ich verstehe diesen Wirbel hier nicht so richtig, aber…, wenn es dir so viel bedeutet, bleibe ich natürlich auch. Ich kann ja aufschreiben, dass ich in der letzten Klausur geschummelt habe.“ Alle sahen ihn entsetzt an. „Das war ein Witz, Leute. Keine Ahnung, was ich aufschreiben soll, aber mir fällt schon irgendwas ein.“ Ich sah zu Tai. Sein Blick war unergründlich. Ich war mir nicht sicher, ob er wirklich bleiben oder jeden Moment die Flucht ergreifen würde. Ob er mich bereits wieder durchschaut hatte? Schließlich seufzte er und ein Stein fiel mir vom Herzen. „Okay, ist gut. Ich bleibe auch.“ Ich strahlte. „Super!“ Dann reichte ich den anderen ihre Zettel und ihre Stifte. Fragend sahen sie das leere Stück Papier in ihrer Hand an. „Wenn ihr fertig seid, müsst ihr es in diese schwarze Box da drüben stecken.“ Yamato drückte mit den Fingern gegen seinen Nasenrücken. „Oh man, ich glaub, ich brauche erst ein paar Bier, bevor ich das machen kann.“ Sora sah ihn irritiert an. „So schlimm?“ Er verengte die Augen zu Schlitzen und funkelte sie böse an. „Gut“, sagte ich und versuchte diese hitzige Situation etwas zu entschärfen. „Lasst uns erst mal was trinken. Ist vielleicht wirklich besser.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)