Uncertain Heart von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 29: Verzweiflungstat ---------------------------- „I think love is a hard word to define. You can love a lot oft hings about a person but still not love the whole person.“ -Owen - „Confess“ Kari schlug sich beschämt die Hände vors Gesicht. „Nein. Nein, lass das! Hör auf damit!“, meinte ich sofort und nahm ihr die Hände vom Gesicht. „Hör endlich auf, dich für deine Gefühle zu schämen, Kari.“ Sie seufzte schwer und sackte förmlich in sich zusammen, als wäre eine große Last von ihren Schultern gefallen. „Es ist nichts Verwerfliches daran, Kair“, versuchte ich auf sie einzuwirken. „Takeru hat sich sehr für dich eingesetzt. Mehr als jeder andere Freund es getan hätte. Er hat dich beschützt und stand die ganze Zeit hinter dir. Er war für dich da. Es ist nicht verwunderlich, dass du Gefühle für ihn entwickelt hast.“ Kari sah mich traurig an. „Ja, mag sein.“ Dann stand sie auf, verschränkte schützend die Arme vor ihrem Körper und fing an im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. „Aber ich könnte es ihm niemals sagen. Ich kenne ihn. Er würde sich sofort die Schuld darangeben. Dabei bin ich hier diejenige, die ihre Gefühle nicht unter Kontrolle hat.“ „Von welcher Schuld sprichst du da? Es ist völlig normal, dass man seine Gefühle nicht ständig im Griff hat. Man kann nicht beeinflussen, in wen man sich verliebt.“ Sie warf mir einen vielsagenden Blick zu. Wir wussten beide, dass ich gerade klug daherredete, aber insgeheim selbst sauer über diese Tatsache war. Ja, es stimmte. Man kann nicht beeinflussen, in wen man sich verliebt. Ob Tai in Sora verliebt war? Und sie in ihn? Schnell schüttelte ich den Kopf und versuchte, diesen grausamen Gedanken zu verdrängen. „Was ist mit Aiko? Hast du noch Gefühle für sie?“ Kari sah beschämt zur Seite und biss sich auf die Unterlippe. „Vielleicht, ja. Aber das spielt keine Rolle mehr. Sie wird mir immer etwas bedeuten, aber sie wird auch immer diejenige sein, die mich verraten hat. Und Takeru… tja, er wird immer der Junge sein, der mich beschützt hat und der mir einfach alles bedeutet, noch mehr als Aiko es je tun wird.“ Die Sache war komplizierter als ich gedacht hatte. Kari schien völlig durcheinander. Und das zurecht. Sie hatte Gefühle für Aiko - ein Mädchen - und noch stärkere Gefühle für Takeru - ihren besten Freund. Kein Wunder, dass es ihr so schlecht ging. Langsam fing ich an, Karis Situation zu verstehen. Wie würde ich mich fühlen, wenn ich Gefühle für zwei Menschen hegen würde? Gefühle, die sich zwar ähnelten und doch nicht gleich waren? Ich ballte die Hände so stark zu Fäusten, dass sich meine Nägel in mein Fleisch bohrten. Plötzlich fing ich bittersüß an zu lachen, da mir die Ironie der Dinge gerade erst bewusstwurde. „Es ist alles so furchtbar kompliziert“, sagte ich und stützte meine Stirn in die Hände, vergrub meine Finger in meinem Haar und versuchte krampfhaft nicht zu weinen. „Ich habe mich immer gefragt, wie so was geht. Man kann doch nicht Gefühle für zwei Menschen haben – habe ich immer gedacht. Und dann kommst du mit deiner Geschichte und es tut mir so unglaublich leid, dass du so etwas durchleben musstest. Wie verwirrt muss man sein, wenn man plötzlich zwei Menschen liebt und diese Gefühle einfach nicht zuordnen kann? Das alles macht mich fix und fertig.“ Kari kam auf mich zu und setzte sich wieder neben mich, um mir einen Arm um die Schultern zu legen. „Mimi, jetzt hör mir mal zu!“, verlangte sie. Ich wischte mir eine Träne aus dem Gesicht und sah sie hilfesuchend an. „Rede mit Tai. Ich gebe dir ja recht. Liebe kann verwirrend sein und manchmal… manchmal macht sie uns wahnsinnig und wir verstehen sie nicht, aber…“ Sie schluckte kurz und überlegte, was sie sagen sollte. Als würde sie ihre nächsten Worte mit Bedacht wählen wollen. „Liebe ist nicht leicht zu definieren. Man kann so viele Dinge an einem Menschen lieben und doch muss man deshalb nicht den ganzen Menschen lieben.“ Traurig sah ich sie an und versuchte, die Worte zu verinnerlichen, die sie mir eben ans Herz gelegt hatte. Ja, sie hatte recht. Ich musste mit Tai reden. Es führte kein Weg dran vorbei. Die Nacht war furchtbar. Zumindest das, was davon übrig war. Gequält rollte ich mich auf die Seite und öffnete stöhnend meine verquollenen Augen. Da lächelte mich das schönste Lächeln an, dass ich je gesehen hatte. „Nanu“, sagte ich und grinste. „Was machst du denn hier?“ Hope lachte und klatschte in ihre kleinen Hände, als sie zwei Hände von hinten umschlossen und hochhoben. „Guten Morgen. Ich wollte dich ausschlafen lassen. Also hab ich Hope schon mal von Frau Hanada abgeholt, sie gefüttert, gebadet und gewickelt.“ Kari nahm sie auf den Arm, während meine Kleine vergnügt quiekte. „Oh man, wie spät ist es denn?“, fragte ich verdattert und sah auf den Wecker. „Es ist bereits nach Mittag. Wie hast du geschlafen?“ „Furchtbar und trotzdem besser als erwartet“, sagte ich und rollte mich wieder auf den Rücken. „Danke, für gestern Kari. Und für heute. Ohne dich wäre ich wohl echt aufgeschmissen gewesen, was?“ „Kein Thema, hab ich gern gemacht“, sagte sie aufrichtig. Ich setzte mich auf und fragte mich ernsthaft, wie ich es geschafft hatte, die letzte Nacht zu überstehen. Es wirkte alles so surreal. Sora. Tai. War das alles wirklich passiert? Ich wünschte, es wäre nur ein böser Traum gewesen. Doch es wurde realer denn je, als Karis Handy klingelte. Sie blickte auf das Display und las offensichtlich eine SMS. „Mein Bruder. Ist es okay, wenn ich dich jetzt allein lasse? Ich weiß, du hasst ihn gerade…“ „Hass ist nicht das richtige Wort.“ „…Aber er braucht mich.“ Ich schüttelte den Kopf und rang mir ein Lächeln ab. „Ist schon okay, Kari. Geh nur. Ich komme klar.“ „Gut“, sagte Kari und setzte Hope auf meinen Schoß. „Wenn was ist, kannst du jederzeit anrufen. Oder klingeln. Aber das möchtest du sicher vorerst nicht. Also… ruf mich einfach an. Ich komme später noch mal vorbei, um nach euch beiden zu sehen.“ „Gerne“, entgegnete ich und lächelte sie dankend an, ehe sie mein Zimmer verließ und ich hörte, wie die Tür ins Schloss fiel. Und nun? Wie sollte es denn jetzt weitergehen? Am liebsten hätte ich mich sofort wieder unter meiner Decke verkrochen und die nächsten drei Wochen durchgeschlafen, in der Hoffnung, dass wenn ich aufwachen würde, vielleicht doch alles nur ein böser Traum war. Fast stiegen mir wieder die Tränen in die Augen, als ich an diese verfluchte Party dachte. „Ma-ma.“ Überrascht blickte ich nach unten. „Mamama.“ Ein leichtes Grinsen huschte über meine Lippen. „Was hast du gesagt?“ Hope sah mich freudestrahlend an. Ihr Lächeln war einfach zauberhaft und egal, wie schlecht es mir je gehen würde… sie machte alles wieder gut. Oder zumindest erträglich. Ich nahm sie in meine Arme und drückte sie an mich, während sie vergnügt weiter brabbelte und mit meinen Haaren spielte. Eine leise Träne rollte über meine Wange. Schluss jetzt mit Weinen! Ich musste mich einfach zusammenreißen. Ich musste mit Tai reden. Und wenn es nur ihr zu liebe war. Tai war mehr als nur ein Papa für Hope. Er hatte mir geholfen, als ich keinen anderen Ausweg mehr wusste. Er hatte sich aufopferungsvoll um sie gekümmert. Und Hope liebte ihn abgöttisch. Er war der einzige Vater, den sie kannte. Und auch, wenn Tai mir unendlich wehgetan hatte, durfte Hope nicht darunter leiden. Ich musste jetzt einfach stark sein. Für sie. Ich gönnte mir eine etwas längere Dusche, während Hope schlief und später kam sogar Kari noch mal vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. „Wie geht’s dir?“, fragte sie und setzte sich zu Hope auf den Fußboden, die gerade mit ihren Bausteinen spielte. „Keine Ahnung“, gestand ich und knöpfte meine Bluse zu. „Ich versuche nicht darüber nachzudenken.“ Denn es tat einfach zu weh. „Verdrängung ist keine Option, Mimi.“ Da hatte sie recht. Aber es half mir dabei, nicht jede Sekunde wieder in Tränen auszubrechen. Kari räusperte sich und setzte einen blauen Stein auf Hopes grünen Stein, was sie begeistert lachen ließ. „Möchtest du gar nicht wissen, wie es Tai geht?“ fragte sie zaghaft. Ich wandte mich ab, um mir eine Jacke über zu ziehen und um sie nicht ansehen zu müssen. „Nein.“ Kari seufzte. „Na schön, aber du solltest trotzdem wissen, dass es ihm…“ „Ich werde mit ihm reden, keine Sorge“, unterbrach ich sie. „Aber erst mal gehe ich einkaufen. Würdest du ein paar Minuten hierbleiben und auf Hope aufpassen?“ „Ja, na klar".“ „Danke.“ Ich zog meine Schuhe an und schloss die Tür hinter mir. Erleichtert atmete ich aus. Doch diese Erleichterung währte nicht lange, denn die Tür nebenan schloss sich ebenfalls. Erschrocken blickte ich zur Seite und es schnürte mir augenblicklich die Kehle zu. „Mimi“, sagte er leise und sah mich ebenso überrascht an. Als hätte er jetzt überhaupt nicht damit gerechnet mich zu sehen. Er sah gut aus. Viel zu gut, wenn man bedachte, dass er doch eigentlich die ganze letzte Nacht genauso gelitten haben müsste wie ich. „Was ist?“, fragte ich kühl. „Dachtest du etwa, ich verlasse jetzt wegen dir wochenlang nicht das Haus?“ Das wäre mir auf jeden Fall lieber gewesen. Aber ich durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Ich musste mit ihm reden… irgendwie. „Hör mal, Mimi, ich…“, setzte er an, doch ich brachte ihn mit einer kurzen Handbewegung zum Schweigen. „Nein, du hörst mir zu!“ Tai verstummte und sah mich fragend an, als hätte er Angst vor dem, was gleich kommen würde. Und um ganz ehrlich zu sein, hatte ich die auch. Ich wusste, ich musste mit ihm reden. Doch was sollte ich ihm sagen? Dass es aus und vorbei war? Dass er und Sora sich zum Teufel scheren konnten? Dass ich ihn liebte, aber er mir das Herz gebrochen hatte? Ich hatte keine Ahnung. Und ich hatte mir vorher überhaupt keine Gedanken darüber gemacht. Ich war froh, dass ich irgendwie diese Nacht überstanden hatte und jetzt sollte ich mich gleich meinem Schicksal stellen? Nein. Dafür war ich einfach noch nicht bereit. „Ich… äh, also ich…“ „Mimi, es tut mir alles so leid. Bitte glaub mir, ich wollte dir nie weh…“ „Halt, hör auf!“ Gequält kniff ich die Augen zusammen. Ich wollte das jetzt nicht hören. Ich konnte es nicht hören. Ich hatte mir zwar geschworen mich Hope zu liebe zusammen zu reißen, aber… es ging einfach nicht. Mein ganzer Körper begann zu zittern. Ich ertrug es ja kaum ihm gegenüberzustehen. Wie sollte ich ein ganzes Gespräch mit ihm überleben, in dem er mir von Sora und sich erzählte? Es war einfach noch zu früh. Ich würde es nicht ertragen mir jetzt irgendwelche Erklärungen, Ausreden und Liebesschwüre anzuhören. Ich brauchte mehr Zeit. Viel mehr Zeit. Um das alles zu verdauen und um mich emotional von Tai zu distanzieren, damit ich für Hope in der Lage war, die Sache wie eine verantwortungsbewusste Mutter zu klären. „Mimi, lass es mich doch bitte erklären“, wiederholte Tai flehend und kam einen Schritt auf mich zu. „Es ist alles ganz anders als du denkst.“ Ich schüttelte den Kopf. „Mir egal. Ich will es nicht hören. Jetzt noch nicht“, sagte ich mit fester Stimme und zwang mich dabei ihn anzusehen. Sein Blick raubte mir fast den Atem. Ich musste einfach weg von hier. „Wir werden reden, versprochen. Aber gib mir einfach noch etwas mehr Zeit.“ Ich wartete keine Antwort ab, sondern drehte mich um und ging, denn dies war keine Bitte. Wenn Tai reden wollte, musste er warten, bis ich bereit dafür war. So und nicht anders. „Danke, dass du hier gewartet hast. Ich hab mich echt beeilt“, sagte ich und stellte die Einkäufe in der Küche ab. „Kein Thema“, antwortete Kari, schaltete den Fernseher aus und stand auf. „Ich habe Hope hingelegt. Sie war total müde vom Spielen. Ich lächelte, während ich die ganzen Sachen in den Schränken verstaute. Doch das Lächeln verschwand, als Kari auf mich zukam, sich gegen die Küchenzeile lehnte und mich mit ihren Blicken zu durchbohren drohte. „Du hast vorhin Tai getroffen, stimmts?“ „Woher weißt du das?“, fragte ich wenig überrascht. Kari lachte gequält auf und verschränkte dann die Arme vor der Brust. „Ihm geht’s wirklich mies, Mimi. Er vermisst dich. Und er vermisst Hope.“ Ich seufzte, schloss die letzte Schranktür und drehte mich zu ihr um. „Was soll ich denn tun, Kari? Ich weiß, ich hab gesagt, ich rede mit ihm, aber… ich bin irgendwie noch nicht bereit dafür.“ Kari nickte. „Hmm, verstehe.“ Sie stieß sich leicht ab und sah mich eindringlich an. „Aber warte nicht zu lang. Lass ihn nicht unnötig leiden. Ich denke, er hätte dir einiges zu sagen.“ Ja, ich ihm auch. Aber das konnte ich noch nicht. Nicht jetzt, nachdem alles noch so frisch und unwirklich war. „Lass mich einfach noch ein wenig meine Wunden lecken.“ „Klar“, sagte Kari und ging in den Flur. „Wie gesagt, wenn was ist, ruf mich an. Bis dann.“ „Bis dann.“ Die Tür ging zu und ich sackte in mir zusammen. Ich musste erst mal mit allem klarkommen. Und bis dahin war es vermutlich besser, wenn ich vorerst niemanden sah. Nicht Tai. Nicht Sora. Und auch sonst keinen. Bis auf Kari. Bei ihr hatte ich das Gefühl, dass wir uns gerade gegenseitig Halt geben konnten, da ich offensichtlich die Einzige neben Takeru war, die ihr Geheimnis kannte. Doch auch sie stand zwischen den Stühlen. Man merkte deutlich, dass sie nicht nur mit mir, sondern auch mit ihrem Bruder mitlitt. Doch Tai musste einfach warten. Ich musste mich auf Hope konzentrieren und darauf, für sie da zu sein, ihr eine gute Mutter zu sein. Alles andere konnte warten. Der Rest des Tages verging eher schleichend. Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit so gar nicht rumgehen wollte. Hope und ich hatten Frau Hanada zu einem abendlichen Spaziergang eingeladen, was sie dankend annahm. Sie freute sich immer, wenn sie mal rauskam und wenn sie Hope sah. Wir redeten über dies und das und in ihrer Gegenwart tat ich einfach so, als wäre nichts geschehen. Das war genau die Ablenkung, die ich gerade brauchte. So zu tun, als wäre alles ganz normal half mir, es für ein paar Stunden zu verdrängen. Später am Abend hatte ich mich einigermaßen von der letzten Nacht erholt. Hope ging es bestens und sie schlief und mir hatte die frische Luft ebenfalls gut getan. Es war schon recht spät geworden, doch ich wollte noch nicht schlafen – vielleicht weil ich Angst vor den Träumen hatte, die mich garantiert einholen würden. Stattdessen öffnete ich eine Flasche Wein und goss mir ein großes Glas davon ein. Gerade, als ich es mir auf dem Sofa bequem gemacht hatte, klingelte es an der Tür. Oh, nein. Das war doch nicht etwa…? Stöhnend stand ich auf und ging zur Tür, während mein Herz bis zum Hals schlug. Es klingelte noch mal. Und noch mal. In immer kleineren Abständen. „Tai?“, rief ich unsicher durch die Tür. „Ich hatte doch gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen! Ich kann jetzt noch nicht…“ „Mimi?“ Überrascht sah ich auf. Das war nicht Tai. „Mimi… Bissu da?“ Erschrocken öffnete ich die Tür und als hätte er nur darauf gewartet, fiel er mir entgegen, direkt in meine Arme. „Wow, wow, wow“, sagte ich und fing ihn auf. „Was machst du hier, Yamato?“ Er versuchte, sich aufzurichten, doch musste sich dabei am Türrahmen abstützen. „Mimi, i-ich…“, stammelte er und aus seinem Mund drang ein äußerst derber Geruch. „Yamato! Du bist ja stock besoffen!“ Mit verklärtem Blick sah er mich an. Seine blonden Haare waren zerzaust, seine Augen fahl. Er packte mich an den Schultern, vermutlich um sich selbst irgendwo festzuhalten und sah mich eindringlich an. „Oh, man. Was hast du nur gemacht?“, sagte ich fassungslos und musterte ihn von oben bis unten. Er sah fix und fertig aus. „Mimi, ich…“, wiederholte er. Gespannt sah ich ihn an. „Mimi, ich…“ Er drückte meine Schultern fester. „Mimi, ich muss kotzen!“ Schnell hielt er sich die Hand vor den Mund und stürmte an mir vorbei in mein Badezimmer. Die Tür knallte hinter ihm zu und ich hörte nur noch, wie die Klobrille nach oben flog und er sich übergab. Gestresst fasste ich mir gegen die Stirn und schloss die Tür hinter mir. Ich ging in die Küche, um ihm schon mal ein Glas Wasser einzuschenken, was ich ihm gleich geben würde, vorausgesetzt er schlief nicht gleich neben dem Klo ein. So betrunken hatte ich ihn noch nie gesehen und ich musste gestehen, dass mich dieser Anblick schockierte. Yamato war immer der introvertierte, der lieber die Probleme in sich rein fraß als sie der Welt mitzuteilen. Dass er sich jetzt so öffentlich betrank bedeutete, dass es ihm wirklich dreckig gehen musste. Aber was hatte ich erwartet? Nicht nur ich hatte gestern erfahren, dass ich hintergangen worden war. Wir teilten das gleiche Schicksal und wäre Hope nicht gewesen, hätte ich vermutlich zusammen mit ihm in der Bar gesessen und mir alle Lichter weggeschossen. Nach einer Weile ging ich zum Badezimmer und klopfte vorsichtig an. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Ich hörte, wie er die Toilettenspülung betätigte und der Wasserhahn anging. Danach kam er völlig fertig wieder heraus. „Ich hab Tais Zahnbürste benutzt. Ich hoffe, das ist nicht schlimm.“ „Überhaupt nicht“, entgegnete ich trocken. „Damit wollte ich morgen eh das Klo putzen.“ Yamato rang sich zu einem schiefen Grinsen durch. „Tut mir leid“, sagte er entschuldigend. Ich betrachtete ihn eingehender. Er wirkte plötzlich so verletzlich. Das kannte man sonst gar nicht von ihm. „Kein Problem“, entgegnete ich verständnisvoll. Willst du dich vielleicht setzen?“ Er nickte und wir gingen zusammen zum Sofa, wo ich mein Glas Wein wieder in die Hand nahm und ihm ein großes Glas Wasser reichte, was er in einem Zug leerte. „Danke“, sagte er und eine ganze Weile schwiegen wir uns einfach nur an. Ich wusste genau, warum er hier war. Vermutlich, weil er sich genauso verloren fühlte wie ich mich. „Wie geht’s dir?“, fragte ich schließlich zaghaft nach. Er stützte sich auf seine Knie und ließ den Kopf hängen. „Beschissen.“ „Mir auch.“ Wieder schwiegen wir. Ich verstand, was er gerade durchmachte. Und er wusste, wie es mir ging. Dann sah er mich plötzlich an. „Ich musste dich sehen, Mimi.“ Überrascht hob ich den Kopf. „Mich? Warum das?“ „Weil du die Einzige bist, die versteht, wie ich mich gerade fühle.“ Er fuhr sich durch seine zerzausten Haare und ließ sich zurück ins Sofakissen fallen. „Tai ist mein bester Freund. Und Sora deine beste Freundin. Und sie haben uns beide verarscht.“ Ja, das waren die schmerzlichen Fakten. „Wenn jemand versteht, was ich gerade durchmache, dann bist du das.“ Er rutschte ein Stück näher und nahm urplötzlich meine Hand in seine. „Du empfindest den Schmerz doch genauso wie ich, oder?“ „Ja“, bestätigte ich, wurde jedoch langsam unruhig, da seine tiefblauen Augen mich fixierten. „Ja, aber…“ „Ich vermisse sie so, Mimi“, sagte er und eine gewisse Verzweiflung lag in seinem Blick. „Warum hat sie das gemacht? Ich verstehe einfach nicht, warum sie mir das antut.“ Ich ließ den Blick sinken und schüttelte traurig den Kopf. „Ich weiß es nicht.“ Yamato schob einen Finger unter mein Kinn und hob es an, sodass ich in seine Augen sehen mussten, die plötzlich etwas ganz anderes wiederspiegelten. Sehnsucht. „Ich will mich nicht einsam fühlen, Mimi“, flüsterte er und kam mir immer näher. So nah, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte. „Matt, was…“, fragte ich verwirrt, während seine Nähe mich immer nervöser machte und mir das Herz bis zum Hals schlagen ließ. „Mimi...“, wiederholte er und senkte den Kopf, sodass unsere Lippen nur noch Millimeter voneinander entfernt waren. Der Duft von Zigarettenrauch und Parfüm stieg mir in die Nase. Seine blonden Haare hingen ihm ins Gesicht und er legte sanft seine Hand an meine Wange. Wahrscheinlich hätte ich ihn von mir stoßen sollen, doch in diesem Moment war ich einfach wie gelähmt. Ich wusste genau, was er wollte. Was er zum Atmen brauchte. Er wollte vergessen. Und ich wollte das auch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)