Uncertain Heart von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 30: Stolz ----------------- „You know you really love someone when you can’t hate them for breaking your heart.“ Er wartete nicht darauf, dass ich etwas tat, sondern ließ diesen letzten kleinen Abstand zwischen uns verschwinden und küsste mich. Seine Lippen fühlten sich rau an und doch verlor ich mich viel zu schnell in diesen Kuss. Obwohl mir mein Kopf die ganze Zeit sagte, wie falsch das war, schrie mein Herz permanent nach Erlösung. Danach, diesen Schmerz zu unterdrücken und einfach mal für ein paar Minuten zu vergessen. Yamato drückte mich zurück in die Sofakissen. Ich ließ zu, dass er mit seiner Zunge meinen Mund öffnete, während seine Hand an meiner Seite hinabwanderte, bis hin zu meiner Hüfte, wo er fest zupackte. Unsere Zungen tanzten im Einklang miteinander, bis er sich von mir löste, nur um meinen Hals ebenfalls mit Küssen zu übersähen. Ich schloss die Augen und versuchte krampfhaft nicht darüber nachzudenken, was wir hier taten. Ich wollte am liebsten an gar nichts mehr denken. Doch abermals stahl er sich in meinen Kopf und in mein Herz, was so verzweifelt nach ihm schrie, dass ich es beinahe zuließ, dass ich mich dieser Illusion hingab. Nachdem Yamato meinen Hals mit seinen Lippen liebkost hatte, richtete er sich kurz auf, um sich sein schwarzes Shirt auszuziehen. Er beugte sich wieder hinab und erneut fanden sich unsere Lippen. Seine Hände fuhren unter mein Shirt und erforschten meinen Körper und ich stöhnte in den Kuss hinein, während meine Finger sich in seinen Haaren vergruben. Oh, Tai… „Oh, Sora“, raunte er mir entgegen und mir wurde schlagartig übel. Oh mein Gott, was taten wir hier eigentlich? Unerwartet schubste ich ihn von mir runter und richtete mich auf. „Scheiße!“, fluchte er und sah mich irritiert an. Sah so aus, als wäre er genauso überrascht über seine Worte wie ich. Ich seufzte und fuhr mir mit der Hand durch mein zerzaustes Haar, als mir klar wurde, dass ich diesen Fehler nicht machen durfte – dass WIR ihn nicht machen durften. „Ist schon okay“, sagte ich, hob sein Shirt vom Fußboden auf und schmiss es ihm entgegen. „Mach das nur nie wieder. Es wäre sowieso nicht richtig gewesen.“ Yamato streifte sich das Shirt wieder über und lehnte sich zurück, ehe er sich mit beiden Händen gestresst durch die Haare fuhr. „Ja, wahrscheinlich hast du recht“, gab er zu. „Ich weiß nicht, was eben in mich gefahren ist, ehrlich nicht. Es tut mir so leid, Mimi.“ Plötzlich wirkte er beinahe verzweifelt, da ihm wahrscheinlich ebenfalls bewusst wurde, was es für Konsequenzen gehabt hätte. „Was denn genau?“, entgegnete ich schief grinsend und versuchte, die angespannte Stimmung etwas aufzulockern. „Dass du mich Sora genannt oder dass du fast mit mir geschlafen hast?“ Unsicher grinste er zurück. „Beides?“ Ich griff nach meinem Weinglas und nahm einen großen Schluck daraus. Was zum Teufel war denn da eben in uns gefahren? So etwas durfte auf gar keinen Fall passieren – niemals! Wären wir dann besser gewesen als Sora und Tai? Nein, sicher nicht. Ich musste mich auf Hope konzentrieren und darauf, ihr eine gute Mutter zu sein. Es hätte nichts geholfen, mit Matt zu schlafen. Nein – es hätte alles nur noch schlimmer und noch komplizierter gemacht und das wollte ich weder Hope, noch Yamato, noch mir antun. „Tust du mir einen Gefallen?“, fragte Yamato schließlich zaghaft. „Erzählst du bitte Tai nichts davon?“ Völlig perplex sah ich ihn an, weil ich absolut nicht verstand, wie er jetzt darauf kam und warum ihm das überhaupt noch wichtig war. „Unsere Freundschaft steht eh schon auf dünnem Eis. Ich will es nicht noch schlimmer machen, indem ich sein Mädchen küsse.“ „Eure Freundschaft steht auf dünnem Eis? Du bist wirklich erstaunlich“, entgegnete ich fast schon beeindruckt und dennoch fassungslos. „Jeder andere würde sich einen Scheiß um seinen sogenannten besten Freund scheren, wenn der mit seiner Freundin geschlafen hätte. Du bist doch der Letzte, der sich etwas vorzuwerfen hat. Normalerweise solltest du jetzt zu ihm rüber gehen und ihm eine reinhauen.“ Ich war selbst erstaunt darüber, wie leicht mir diese Worte über die Lippen kamen. Aber so war es nun mal. Und so langsam wurde es Zeit, dass ich dem Alptraum, der plötzlich mein Leben bestimmte, in die Augen sah. Tai und Sora hatten alles kaputt gemacht. Und Yamato saß hier und machte sich Gedanken darüber, was Tai von IHM halten könnte? Irgendwas lief hier falsch. Yamato entfuhr ein bittersüßes Lachen, ehe er seine Hände faltete und in seinen Nacken legte. „Ich weiß, was du meinst. Und wahrscheinlich bin ich der dümmste Mensch auf der Welt, wenn ich das jetzt sage, aber… Tai bedeutet mir immer noch was. Er war mein Leben lang mein bester Freund. Ich kann ihn nicht einfach so aus meinem Leben verbannen, genauso wenig wie Sora. Auch, wenn ich beiden den Arsch aufreißen könnte, das kannst du mir glauben.“ Überrascht über diese Offenbarung musste ich erst ein Mal schlucken. Ich wusste, dass das eben eine reine Verzweiflungstat von ihm war, weil er seine Gefühle genauso gern verdrängen würde, wie ich meine. Doch, dass er so empfand hätte ich nicht gedacht. „Ich weiß, was du jetzt denkst“, sagte er. „Es wäre viel leichter die beiden einfach zu hassen. Wirklich, das könnten wir tun. Wir könnten sie einfach hassen und sie für immer aus unserem Leben streichen. Nie wieder mit ihnen reden. Wir sollten sie verachten, dafür, dass sie uns so wehgetan haben. Aber, wenn es so einfach wäre, dann wäre ich jetzt nicht hier, richtig?“ Ich dachte kurz über seine Worte nach und nickte dann kaum merklich. „Also, Mimi“, setzte er erneut an, richtete sich etwas auf und sah mich vielsagend an. „Was tun wir nun, da wir sie nicht hassen können? Denn ich denke, dir geht es genauso – wenn du mal ehrlich zu dir selbst bist.“ Ich biss mir schmerzlich auf die Unterlippe. Aus dieser Sicht hatte ich die ganze Sache noch gar nicht gesehen. Tai und Sora würden uns nie ganz egal sein. Ganz gleich, was wir taten. Sie würden immer die sein, die wir liebten und die unser Herz gebrochen hatten. „Richtig“, sagte er plötzlich, als hätte er gerade meine Gedanken gelesen. „Hassen funktioniert nicht. Dafür lieben wir sie zu sehr. Und vergessen…? Tja, das funktioniert auch nicht, wie wir eben gesehen haben.“ Er ließ sich zurück in die Kissen fallen und grinste gen Decke. „Ich würde sagen, wir sind ganz schön am Arsch, was?“ Verdammt. Er hatte recht. Selbst, wenn ich mit Tai ein klärendes Gespräch führen würde, wie sollte es danach weitergehen? Wie sollte ich ihm je wieder gegenübertreten, ohne diesen tiefen Schmerz zu empfinden? Wäre er mir egal, würde es nicht mehr so verdammt wehtun. Also würde ich nie vergessen können, was sie getan hatten, doch hassen würde ich sie auch nie können. Vor allem Tai nicht. Dafür bedeutete er mir einfach zu viel. Und trotzdem musste ich einen Weg finden, irgendwie damit umzugehen. Nur, wie? Yamato ging an diesem Abend nicht mehr nach Hause. Stattdessen übernachtete er auf meinem Sofa, um sich auszunüchtern. Es fühlte sich komisch an, wenn ich daran dachte, was vergangene Nacht fast zwischen uns passiert wäre – und falsch. Tatsächlich fühlte es sich so an, als hätte ich jemanden betrogen. Dabei waren wir doch diejenigen, die betrogen worden waren. „Guten Morgen“, begrüßte ich ihn, als ich vom Bad ins Wohnzimmer kam und er sich noch einmal murrend rumdrehte. „Wie lang hab ich geschlafen?“, war seine erste Frage, als ich Hope auf ihre Spieldecke absetzte und in die Küche ging. „Nun ja, sagen wir es mal so. Hope hat gerade ihren Mittagsschlaf beendet, also…“ Sofort sprang er vom Sofa auf. „Was? So lang? Warum hast du mich denn nicht geweckt?“ Ich zuckte unsicher mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Ich dachte, du hättest ein bisschen Schlaf bitter nötig.“ Aufgebracht fuhr er sich durch seine zerzausten Haare und rieb sich dann mit dem Handrücken über die Augen. „Man, ich bin echt völlig hier versackt. Tut mir echt leid.“ „Das ist nicht weiter tragisch. Ist ja nicht so, dass ich noch Männerbesuch erwartet hätte.“ Ich grinste ihn schief an, doch irgendwie kam mein Witz nicht so richtig an, denn er stand stöhnend auf, machte einige Schritte auf mich zu und sah mich eindringlich an. „Mir tut echt leid, was da gestern passiert ist. Ich hätte dir nicht so nahekommen sollen, wirklich nicht. Ehrlichgesagt ist es mir sogar ein bisschen peinlich, dass ich so sturzbetrunken hier aufgetaucht bin.“ Plötzlich war er wieder ganz der alte Yamato. Zuvorkommend und äußerst korrekt. „Mach dir keine Gedanken“, wank ich schnell ab. Ich wollte ihm nicht noch mehr Kopfzerbrechen bereiten. „Keine Sorge, ich werde Tai nichts davon erzählen. Momentan reden wir sowieso nicht miteinander.“ Ich goss mir einen Becher von dem heißen Kaffee ein, den ich vorhin gemacht hatte und hielt auch Matt eine Tasse hin. Dankend nahm er sie an. „Hast du schon mit Sora gesprochen?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich will sie nicht sehen. Auch, wenn es mir das Herz zerreißt, nicht mehr mit ihr zusammen sein zu können.“ „Das kann ich irgendwie verstehen“, seufzte ich. Plötzlich wusste ich wieder, was ihn gestern Abend ausgerechnet zu mir getrieben hatte. Ich verstand besser als jeder andere, was er gerade durchmachte. „Darf ich dir trotzdem was erzählen?“, fragte ich zaghaft und haderte dabei mit mir selbst. Doch ich fand, er hatte ein recht darauf, das zu wissen, was ich wusste. Yamato seufzte, grinste jedoch zaghaft. „Nur zu. Mein Herz ist schon gebrochen. Schlimmer kann es also nicht werden.“ Ich schluckte schwer und mir wurde mulmig zumute. Doch ich wollte unbedingt wissen, was er davon hielt. „Kari hat mir etwas erzählt. So, wie es gerade aussieht, weiß sie ungefähr, wann es passiert ist. Es war, als ich… als ich offiziell umgezogen bin. Das heißt, wenn das stimmt, war Sora zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht mit dir zusammen.“ „Und Tai nicht mit dir“, schlussfolgerte Yamato seelenruhig. Ich nickte. „Was für eine Ironie“, grinste er plötzlich bittersüß, leerte seinen Kaffee in einem Zug und schaute gedankenverloren in die leere Tasse. „Wenn das stimmt, wäre es doch noch schlimmer als es eh schon ist.“ Erstaunt sah ich ihn an. „Wie meinst du das?“ „Na ja, das ändert einiges, oder etwa nicht?“, entgegnete er traurig lächelnd. „Das würde bedeuten, ich war für Sora nichts weiter als ein Lückenfüller. Die zweite Wahl eben. Der Notnagel für ihr gebrochenes Herz.“ „Aber Matt…“, fuhr ich hoch, doch er schüttelte den Kopf. „Das tut tatsächlich mehr weh, als die Tatsache, dass sie mit Tai geschlafen hat. Sie wollte nie mit mir zusammen sein. Sie hat es nur getan, um ihn zu vergessen.“ Prompt bekam ich ein schlechtes Gewissen, es ihm überhaupt erzählt zu haben. Es schmerzte unheimlich, ihn so am Boden zu sehen und dabei auch noch zu wissen, dass es wahr sein könnte. Hatte sie sich mit Matt wirklich nur ablenken wollen? Und in Wahrheit die ganze Zeit über Tai geliebt? Auch mich erschütterte diese Möglichkeit, denn dann hätte sie mir als beste Freundin ganz schön was vorgemacht. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es tut mir so leid, Matt“, sagte ich traurig und senkte den Blick. War es doch ein Fehler, ihm davon zu erzählen? Musste ich ihn denn noch mehr verletzen als er es eh schon war? „Ist schon gut, Mimi“, antwortete er und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Auch, wenn es weh tut… Jetzt weiß ich wenigstens, dass es für Sora und mich keine Zukunft mehr gibt. Es gab einen Moment – um genau zu sein, nicht nur einen – in dem ich gedacht habe, es war eben nur eine Dummheit von ihr und das alles würde sich schon irgendwie wieder einrenken. Doch ich hätte es gleich besser wissen müssen. Rückblickend betrachtet gab es so viele Momente, in denen sie Tai vermutlich hinterhergetrauert hat und ich das nur nicht sehen wollte, weil ich sie so sehr geliebt habe und es immer noch tue. Für uns wird es keine gemeinsame Zukunft mehr geben. Es ist nicht wie bei dir und Tai.“ Überrascht hob ich den Kopf. „Was willst du denn damit sagen? Meinst du etwa, für mich und Tai würde es noch irgendeine Zukunft geben?“ Ich konnte nicht fassen, dass er das so leichtfertig in den Raum stellte. Obwohl er doch ganz genau wusste, wie ich mich fühlte. „Tai liebt dich über alles, das merkt jeder, der euch beide zusammen sieht.“ „Das kann nicht dein Ernst sein“, sagte ich bitter und fast schon beleidigt. „Wie kannst du das behaupten? Ich weiß noch nicht mal, ob es nur das eine Mal zwischen ihm und Sora gab oder ob da noch mehr war. Vielleicht lief das auch die ganze Zeit weiter hinter unserem Rücken und wir waren nur zu blind, um es zu bemerken.“ Ich wurde sauer. Allein, dass die Möglichkeit bestand, dass es so gewesen sein könnte, machte mich wütend und zerfetzte mein Herz erneut. „Das glaubst du doch wohl selbst nicht“, grinste Yamato mich wissend an. Ich fragte mich ernsthaft, ob er mich verarschen wollte. „Woher willst du wissen, dass es nicht so war?“, fuhr ich ihn an. Er stieß sich von der Küchenzeile ab und stellte seine leere Tasse weg. „Weil ich Tai kenne“, sagte erlediglich, als würde das alles erklären. „Er ist mein bester Freund und ich kenne ihn besser als ich Sora je gekannt habe. Und ich kenne seine Prinzipien.“ Unverstanden verschränkte ich die Arme vor der Brust und verzog das Gesicht. „Ach ja? Gehört es denn auch zu seinen Prinzipien, die Menschen, die er liebt anzulügen?“ Yamato entfuhr ein leises Lachen, ehe er mich eindringlich fixierte. „Nein, das ganz sicher nicht. Und ehrlichgesagt kann ich auch nicht verstehen, warum er es dir nicht schon früher gesagt hat. Er hat uns beide belogen. Das ist echt das Letzte.“ Er ballte seine Hand zur Faust und ich konnte sehen, wie sehr er mit sich zu kämpfen hatte. „Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass er dich liebt“, sagte er jedoch plötzlich. Yamato sprach aus voller Überzeugung und ich hatte keine Ahnung, woher er diese Gewissheit nahm oder was ich darauf antworten sollte. „Wie dem auch sei… du musst wissen, was du tust“, beendete er seinen Vortrag und ging zu Hope ins Wohnzimmer, um sich vor ihr hinzuknien. Ich beobachtete, wie er lächelte und dem kleinen spielendem Mädchen vor sich sanft übers Haar strich. „Tut mir leid, was ich gestern mit deiner Mama gemacht habe“, entschuldigte er sich. „Ich verspreche dir, das wird nie wieder vorkommen.“ Ich musste grinsen. „Du entschuldigst dich bei ihr?“ „Ja“, sagte er und stand auf. Er wirkte irgendwie erleichtert. „Ich hatte das Gefühl, dass ich das tun müsste. Es war nie meine Absicht dich in Bedrängnis zu bringen. Außerdem… war ich ziemlich betrunken und ich…“ Ich wank ab. „Schon vergessen. Ehrlich.“ „Da bin ich aber froh“, lächelte er dankend und ging in den Flur, um sich anzuziehen. „Was wirst du jetzt tun?“, fragte ich ihn, nachdem ich ihm gefolgt war und mich gegen die Wand lehnte. „Ich habe absolut keine Ahnung“, gestand er offen, als er sich seine Lederjacke überzog. „Ich habe gehört, Verdrängung soll eine gute Methode sein, um seinen Problemen aus dem Weg zu gehen.“ Na, das hatte ja am Abend zuvor bestens funktioniert. Skeptisch grinsend runzelte ich die Stirn. „Ja, aber früher oder später muss man sich doch seinen Gefühlen stellen.“ Er grinste mir entgegen. „Dito.“ Und damit sollte ich recht behalten. Das „früher oder später“ kam leider doch früher als erhofft… „Nein, keine Ahnung, was sie hat. Sie weint einfach die ganze Zeit und ich kriege sie nicht beruhigt“, sagte ich verzweifelt, während ich Hope auf dem Arm hatte, ihr beruhigend über den Rücken strich und das Telefon, mit Kari am anderen Ende, zwischen Kopf und Schulter geklemmt hatte. Ich wusste einfach nicht, was mit ihr los war. Seit Yamato gegangen war, ging es ihr zunehmend schlechter und ich wusste mir nicht mehr zu helfen. Sie weinte schon seit Stunden und ließ sich absolut nicht beruhigen. So kannte ich sie gar nicht. „Hast du mal Fieber gemessen?“, fragte Kari besorgt. „Ja, das habe ich schon, aber sie hat kein Fieber. Und auch sonst fehlt ihr eigentlich nichts. Ich weiß wirklich nicht, was mit ihr los ist.“ Ich war der Verzweiflung nahe. Was konnte ich nur tun, um sie zu beruhigen? Ich hatte doch schon alles versucht, aber nichts half. „Bist du sicher, dass ihr nichts fehlt?“, hakte Kari mit Bedacht nach, während ich weiter im Raum unruhig auf und ab ging und Hope mir ins Ohr schrie. Abrupt blieb ich stehen. „Was willst du damit sagen?“ „Na ja“, begann Kari vorsichtig. „Meinst du nicht, dass sie sehr wohl mitbekommt, dass etwas nicht stimmt? Vielleicht vermisst sie…“ „Nein“, fuhr ich ihr über den Mund. „Das glaube ich nicht.“ „Glaubst du oder willst du nicht, dass sie Tai vermisst?“ Ich biss mir auf die Unterlippe. Verdammt! Ich konnte doch jetzt schlecht Tai um Hilfe anflehen, weil ich mit meiner eigenen Tochter nicht klarkam. „Kannst du nicht rüberkommen? Bitte, Kari. Ich weiß nicht mehr, was ich mit ihr machen soll?“, fragte ich hilfesuchend. „Das geht leider nicht. Ich bin gerade bei Takeru und…“ „Oh…“ „Und meine Eltern sind leider beide arbeiten. Vielleicht kann dir Frau Hanada helfen, Hope zu beruhigen.“ Ich seufzte. „Nein, das kann ich nicht von ihr verlangen. Sie tut eh schon so viel für uns“, antwortete ich geknickt und wusste, dass ich von Kari unmöglich verlangen konnte, herzukommen. Sie hatte schließlich ihre eigenen Probleme. Wir hatten zwar nicht noch mal darüber gesprochen, aber vielleicht war sie ja gerade bei Takeru, um mit ihm über ihre Gefühle zu reden. „Ich schaffe das schon irgendwie“, versuchte ich glaubhaft rüber zu bringen. „Bist du dir sicher?“ Ich hörte die Ungewissheit in ihrer Stimme. „Ja, absolut. Bis später dann“, sagte ich und legte schnell auf, ehe ich es mir anders überlegte. Denn um ehrlich zu sein, war ich am Rande des Wahnsinns und Hope war es auch. Sie war inzwischen so außer sich, dass sie einfach nur noch schrie und weinte und überhaupt nicht mehr mitbekam, wie oft ich sie beruhigend streichelte oder wie lieb ich ihr zuredete. „Süße, was hast du nur?“, fragte ich außer mir vor Sorge und setzte sie auf meinen Schoß. Ich griff nach dem Schlüsselbund, der vor mir auf dem Tisch lag und wedelte klirrend vor ihrer Nase damit rum. Ein rosa Püschel befand sich daran, mit dem sie sonst immer begeistert rum spielte. Doch auch dieser lenkte sie diesmal nicht ab. Im Gegenteil. Ich hatte das Gefühl, dass sie nur noch mehr weinte. „Was mache ich nur?“ Hilfesuchend sah ich mich um. „Ah, ich hab’s. Willst du Schokolade? Schokolade hilft mir immer, wenn ich traurig bin.“ Ich setzte sie auf ihre Spieldecke ab. Dann eilte ich in die Küche, um eine Tafel Schokolade zu holen, von der ich ihr ein winziges Stück abbrach. Normalerweise liebte sie es, darauf rum zu lutschen. Doch als ich es ihr hinhielt und selbst ein Stück in den Mund steckte, um ihr zu zeigen, wie lecker das doch war, drückte sie nur ihre kleinen Händchen auf ihre Augen und weinte bitterlich weiter. Frustriert ließ ich den Kopf hängen. Also nahm ich sie wieder auf die Arme und versuchte sie weiterhin durch hin und her wiegen zu beruhigen. So langsam machte ich mir echt Sorgen. Natürlich hatte sie schon oft geweint, aber noch nie war es so schlimm wie jetzt gewesen. „Bitte, bitte hör auf zu weinen, bitte“, flehte ich, als würde das irgendetwas bringen. Ich wollte gerade vor lauter Verzweiflung ebenfalls in Tränen ausbrechen, als es unerwartet an der Tür klingelte. Besuch? Das hatte mir gerade noch gefehlt. „Jetzt nicht“, rief ich in Richtung Tür und hoffte, dass der ungebetene Gast einfach wieder verschwand. Doch es klingelte noch mal, und nochmal. Ich stöhnte genervt auf. „Ja, doch!“ Mit der weinenden Hope auf dem Arm ging ich zur Tür und öffnete sie, woraufhin mich zwei aufgebrachte braune Augen musterten. Tai stand mit beiden Händen gegen die Hüfte gestemmt vor mir und sah mich wütend an. „Was meinst du, was du hier machst?“, fragte er ohne Umschweife. Völlig perplex sah ich ihn an. „Was ich hier mache? Was machst du hier, sollte ich wohl eher fragen.“ Er wartete nicht mal eine Antwort ab, sondern drückte sich einfach an mir vorbei in die Wohnung. „Hey, sag mal, geht’s noch?“, blaffte ich ihn an, doch das schien ihn nicht zu interessieren, denn im nächsten Moment hatte er mir Hope aus den Armen genommen. „Spinnst du? Was soll das?“ Ich ging ihm hinterher ins Wohnzimmer, während er es nun war, der meine Tochter beruhigend hin und her wog und ihr sanft über den Rücken strich. Ich hingegen war rasend vor Wut und wäre am liebsten übergekocht. Was fiel ihm ein hier einfach so reinzuplatzen und mir meine Tochter wegzunehmen? „Tai, gib sie mir sofort zurück!“, forderte ich ihn auf. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Du kannst nicht einfach hier reinplatzen, wenn dir danach ist und du kannst dir schon gar nicht einfach so meine Tochter krallen. Was fällt dir eigentlich ein?“, tobte ich und ging auf ihn zu. „So, und jetzt gib sie mir sofort zurück oder ich schwöre bei Gott…“ „Dein falscher Stolz ist hier gerade völlig unangebracht“, fuhr er mich wütend an. Ich zuckte zusammen. Falscher Stolz? Es verschlug mir die Sprache, als ich mit ansah, wie er liebevoll auf Hope einredete, ihren kleinen Kopf an seine Schulter drückte und sie sich verzweifelt an sein Shirt klammerte. Ich schluckte schwer. Er hatte recht. Mein falscher Stolz war daran schuld gewesen, dass Hope so unglücklich war. Ich sah die beiden an. Tai, der väterlicher nicht hätte sein können, und Hope, die sich plötzlich zu beruhigen schien, weil sie ihn endlich wieder hatte. „Ich fass das nicht“, sagte ich ungläubig, ließ mich erschöpft aufs Sofa sinken und vergrub das Gesicht in meinen Händen. „Ich bin die schlechteste Mutter der Welt“, jammerte ich und war den Tränen nahe. „Hast du mal Fieber gemessen?“, fragte Tai und schien meine Aussage gerade gänzlich zu ignorieren. „Was? Ja, habe ich.“ „Und? Ist sie krank?“ Seine Stimme war voller Sorge. Ich schüttelte den Kopf. „Sie hat kein Fieber. Ich glaube, ihr fehlt etwas ganz anderes“, gab ich letztendlich zu, als ich an Karis Worte zurückdachte. „Das ist gut. Trotzdem ist es besser, wenn du sie hinlegst und sie sich ausruhen kann.“ „Meinst du, das hätte ich nicht schon versucht?“, entgegnete ich müde. „Sie hat einfach die ganze Zeit geschrien und ich wusste nicht, was sie hat.“ „Hmm“, machte Tai nachdenklich. „Sie beruhigt sich langsam etwas. Ich werde mal versuchen, sie schlafen zu legen.“ Ich sah zu, wie er sie mitnahm. Er ging mit ihr in ihr Zimmer und ich konnte hören, wie er weiterhin liebevoll auf sie einredetet. Hope hatte inzwischen aufgehört zu weinen und nach einer Weile war kein Mucks mehr aus dem Zimmer zu hören. „Sie ist eingeschlafen“, sagte Tai schließlich, als er wieder raustrat und leise die Tür hinter sich anlehnte. Dann stellte er das Babyphone neben mir auf den Tisch. „Danke“, wisperte ich. Ich wagte es nicht, ihn anzusehen. Ich hatte mich völlig unreif und kindisch verhalten. Anstatt ihn gleich um Hilfe zu bitten, war ich stur geblieben. Dabei hätte ich zuerst an ihr Wohlergehen denken müssen, so wie ich es mir vorgenommen hatte. Stattdessen hatte ich, stolz wie ich war, jegliche Hilfe abgelehnt. Kari hatte recht. Hope fehlte etwas Entscheidenden in ihrem Leben und das war ihr Papa. „Gut, dann gehe ich jetzt wieder“, sagte Tai und wandte sich ab. „Sie vermisst dich sehr“, kam jedoch schneller über meine Lippen als ich beabsichtigt hatte. Er ging nicht weiter, sondern blieb einfach nur stehen, als ich endlich den Kopf hob und ihn ansah. „Und ich dich auch.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)