Uncertain Heart von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 38: Flashback IV – Sora ------------------------------- „Was machst du hier?“, blaffte ich Hayato an, der immer noch vor mir stand und ein Glas Wasser vor meine Nase hielt. „Was für eine nette Begrüßung“, erwiderte er wenig beeindruckt und zog eine Augenbraue nach oben. „Ich hab dich hier sitzen sehen und dachte, wir könnten reden.“ Ich musste blinzeln, um diese Worte kurz auf mich wirken zu lassen. Reden? War das sein Ernst? „Reden? Du spinnst doch!“ Ich fuhr hoch und kam sofort ins Straucheln. Mir schwirrte der Kopf und ich drohte das Gleichgewicht zu verlieren. „Hey, was machst du denn? Bleib lieber sitzen“, meinte Hayato und war mit einem Satz bei mir, um mich zu stützen. Wiederwillig ließ ich mich von ihm wieder zurück auf die Treppenstufe drücken. Ich funkelte ihn böse an, woraufhin er sofort die Hände von meinen Schultern nahm. Dann atmete ich schwer aus und griff mir an die Stirn. Verdammt. Warum musste ich auch so viel trinken? „Geht’s dir nicht gut?“ Hayato setzte sich unaufgefordert neben mich und sah mich besorgniserregend an. Ich erwiderte seinen Blick abschätzig. „Alles gut, ich bin nur zu schnell aufgestanden.“ Seine Miene wirkte zweifelnd. „Hier. Trink das“, befahl er und hielt mir erneut das Glas hin. Na toll. Das fehlte mir noch. Seit wann war er denn so fürsorglich? Ich schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte in sie hinein. „Kannst du nicht bitte einfach wieder gehen und mich in Ruhe lassen?“ „Und kannst du nicht bitte einfach dieses Wasser trinken?“ „Tu nicht so, als würdest du dir Sorgen machen.“ „Mach ich nicht. Trink!“ Ich verdrehte genervt die Augen und riss ihm das Glas aus der Hand. Ein bisschen Flüssigkeit konnte schließlich nicht schaden. Außerdem, je eher es mir wieder besser ging, desto eher kam ich von hier weg. Denn ich verspürte keine gesteigerte Lust darauf, hier mit meinem Verflossenem auf der Treppe eines Clubs festzusitzen. Und so wie er aussah, hatte er nicht vor so schnell wieder abzuhauen. Ich leerte das Glas in einem Zug und stellte es neben mir auf der Treppe ab. „Besser?“, fragte Hayato. „Mmh, vielleicht“, murrte ich. „Aber du sollst das lassen.“ „Was lassen?“ „So zu tun, als würdest du dir Sorgen machen oder … als würde dir … irgendwas an mir liegen. Wir wissen beide, dass das nur Theater ist.“ Diese Worte klangen so verflucht absurd aus meinem Mund, dass ich sie selbst kaum glauben konnte. Ich spürte, wie er grinste und mich musterte. „Immer noch du allein gegen den Rest der Welt, was? Kannst du es nicht aushalten, wenn dir jemand einfach mal was Gutes tun will?“ Nein. Und schon gar nicht du. Ich holte tief Luft und zwang mich dazu meinen Kopf zu drehen und ihn anzusehen. „Also, was willst du?“ Seine Augen fixierten mich – fast so wie sie es früher immer getan hatten. Vor nicht allzu langer Zeit hätte mich dieser Blick in seinen Bann gezogen und nicht wieder losgelassen. Jetzt wünschte ich mir einfach nur noch, dass er mich nicht so ansehen würde. Als hätte er meine Gedanken gelesen, wandte er den Blick von mir ab, stützte sich auf seine Knie ab und sah nach vorn. „Nur mit dir reden, sagte ich doch schon. Hast du dich mit deinem Freund gestritten oder warum betrinkst du dich so hemmungslos?“ „Das geht dich nichts an“, erwiderte ich knapp. Er nickte. „Ja, da hast du wahrscheinlich recht. Trotzdem solltest du dich nicht so gehen lassen. Du bist schließlich Mutter.“ Ich ballte meine Hände zu Fäusten und eine tiefe Zornesfalte bildete sich auf meiner Stirn. Wie konnte er es wagen, vor mir über Hope zu sprechen? „Ich wüsste nicht, was es dich angeht. Du hast kein recht darüber zu urteilen“, fuhr ich ihn an und es war die Wahrheit. Er war nie ein Vater für Hope gewesen. Er war vielleicht ihr Erzeuger, aber mehr auch nicht. Dass er über mein Leben urteilte stand ihm schlichtweg nicht zu. Ich wollte aufstehen und gehen, doch er fasste mein Handgelenk und zog mich zurück. „Lass mich los, verdammt.“ „Ist ja schon gut.“ Hayato hob abwehrend die Hände. „Tut mir leid, war nicht so gemeint. Bitte bleib noch.“ Irritiert sah ich ihn an. „Was willst du denn von mir?“ Konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Außerdem passte es nicht zu ihm, sich einfach so Sorgen um mich zu machen. Da steckte mehr dahinter, das spürte ich. Hayato tat nie etwas ohne Grund. Er seufzte. „Okay …“ Er griff nach seiner Bierflasche, die er vorhin neben sich abgestellt hatte und nahm einen großen Schluck daraus, ehe er mich ernst ansah. „Ich … Ich wollte dich fragen, wie es unserer Tochter geht?“ Perplex starrte ich ihn an. „Du willst … was?“ Das konnte nicht sein Ernst sein. „Du hast richtig gehört“, erwiderte er und wirkte tatsächlich leicht geknickt. Er wich sogar meinem Blick aus und fummelte am Etikett seiner Flasche rum. Was war das denn? War er etwa nervös? „Ich habe mir in letzter Zeit viele Gedanken gemacht, Mimi“, fuhr er fort. „Kaum vorstellbar.“ Er ignorierte meinen Kommentar und redete weiter. „In meinem Leben hat sich einiges verändert und ich … ich habe … also, es ist vielleicht schwer vorstellbar für dich, aber … ich habe ein schlechtes Gewissen wegen unserer Tochter. Und auch wegen dir.“ Ich zog die Schultern hoch und wich ein Stück vor ihm zurück. „Das ist nicht möglich. Du hast kein Gewissen.“ Das war geradezu unheimlich. Was war das wieder für ein krankes Spiel, was er hier versuchte zu spielen? Ich traute ihm nicht von der Tapete bis zur Wand. Hayato lachte gequält auf. „Okay, das habe ich wohl verdient. Es ist nicht verwunderlich, dass du so von mir denkst.“ Ich atmete tief ein. „Weißt du was? Ich glaube dir kein Wort. Also tu bitte einfach das, was du die letzten Monate auch getan hast – geh mir aus dem Weg.“ Ich sammelte meine Kräfte und stand auf, diesmal hielt er mich nicht davon ab. „Ach, und noch was“, sagte ich und drehte mich zu ihm um. „Wenn du einen Vorwand brauchst, um an mich ran zu kommen, lass wenigstens unsere Tochter aus dem Spiel. So viel Anstand solltest selbst du haben.“ Hayato presste die Lippen aufeinander, erwiderte jedoch nichts darauf. Aber das war auch nicht nötig. Ich hatte sein Spiel durchschaut. Er würde es nicht mehr schaffen, mich wie früher zu manipulieren, die Zeiten waren vorbei. Ich wandte mich von ihm ab und wollte gehen. Doch abrupt blieb ich stehen, denn ich lief direkt der nächsten Person in die Arme, die ich nicht sehen wollte. „Sora?“, platzte es aus mir heraus, als meine ehemals beste Freundin vor mir stand und mich ebenso überrascht ansah. Gott, dieser Abend war einfach verflucht. „Was machst du denn hier?“, fragte ich deutlich unfreundlich. „Ich … äh … ich wollte“, stammelte sie. „Ich wollte zu Matt. Ich muss mit ihm reden.“ Bedächtig zog ich eine Augenbraue nach oben und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich denke nicht, dass er dich sehen will.“ Sora biss sich auf die Unterlippe. „Ich weiß. Er reagiert auf keinen meiner Anrufe, aber … ich muss einfach …“ „Das hast du dir selbst zuzuschreiben“, unterbrach ich sie. Erwartete sie etwa Mitleid? „Wer ist das? Eine Freundin von dir?“ Hayato stand neben mir und musterte Sora eingehend. Ich warf ihm einen warnenden Seitenblick zu, sah es jedoch nicht ein, seine Frage zu beantworten. Sora bedachte ihn mit fragenden Blicken. Na, super. Das hatte mir gerade noch gefehlt, dass Hayato und mein Leben sich vermischten. Das war wirklich das Letzte, was ich gebrauchen konnte. Zum Glück ignorierte Sora ihn und sah nun wieder mich an. „Bevor ich zu Matt gehe … Können wir beide vielleicht reden, Mimi?“ Auch das noch. Hayato grinste. „Du bist heute ziemlich gefragt, was?“ Meine Antwort war ein Grummeln und ich packte Sora kurzentschlossen am Handgelenk und zog sie hinter mir her. In einer Ecke hinter dem Club kamen wir zum Stehen. „Was willst du?“ Herausfordernd sah ich sie an. Alles, was ich heute Abend wollte, war mich mit Tai zu versöhnen. Und jetzt stand ich hier – erst mit Hayato, der mir irgendwas von wegen Schuldgefühlen einreden wollte – und nun auch noch mit Sora. „Bist du wegen Tai hier? Nur das eins klar ist, du brauchst überhaupt nicht denken, dass du hier einfach auftauchen und …“, fuhr ich sie an, doch Sora schüttelte den Kopf. „Nein, so ist das gar nicht. Ich wollte nur Matt sehen, sonst nichts.“ Das besänftigte mein Misstrauen jedoch in keinster Weise. „Oh, und dann tauchst du ausgerechnet hier auf. Wie praktisch für dich, wieder ein wenig Unruhe zu stiften und einen Keil zwischen mir und Tai zu treiben.“ „Was? Nein! Mimi, ich wollte nie einen Keil zwischen dir und Tai treiben“, beharrte sie, doch ich blieb hart. „Ich glaub dir kein Wort“, entgegnete ich und wollte sie stehen lassen. Ich traute ihr genauso wenig wie Hayato. Schon merkwürdig was für eine schlechte Menschenkenntnis ich anscheinend besaß. Hintergangen von den beiden Menschen, die mir einst alles bedeutet hatten. „Warte, Mimi. Bitte, lass uns endlich miteinander reden“, sagte Sora und hielt mich an der Schulter fest. „Ich wüsste nicht, was es da noch zu reden gibt.“ „Ich würde es dir gern erklären …“ „Was erklären?“ „Einfach alles.“ Alles? Die ganze Sache mit Tai und wie es dazu gekommen war? Wollte ich das wirklich hören? „Okay …“, sagte ich schließlich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber nur unter einer Bedingung.“ Irritiert sah sie mich an. „Und die wäre?“ „Halt dich von Yamato fern“, forderte ich von ihr. „Denn glaub mir, er will dich nicht sehen. Nicht jetzt. Hör auf ihm nachzulaufen. Wenn er bereit ist, wieder mit dir zu reden, wird er auf dich zu kommen. Und bis dahin gehst du ihm aus dem Weg. Das bist du ihm schuldig.“ Sora sah mich mit großen Augen an. „Mimi, ist das dein Ernst? Weißt du, was du da verlangst?“ Und ob das mein Ernst war. Sie hatte hier und jetzt die Gelegenheit einiges klar zu stellen – aber eben nur unter dieser Bedingung. Yamato war auch mein Freund und mir sehr wichtig. Ich wollte nicht, dass sie ihn noch mehr verletzte, bevor nicht alle seine Wunden verheilt waren. Das konnte er jetzt nicht gebrauchen. Sora zögerte und ich erwartete schon, dass sie nicht auf meine Forderung eingehen würde. Doch dann nickte sie kurz mit dem Kopf. „Einverstanden“, sagte sie. „Ich lasse ihn in Ruhe. Vielleicht … vielleicht ist es so auch besser.“ „Das denke ich auch“, stimmte ich ihr zu. „Also? Du hast zehn Minuten. Sag, was du zu sagen hast.“ Ich wusste, ich setzte sie gerade enorm unter Druck, aber das war mir egal. Ich hatte bereits was ich wollte. Und nun würde ich mir ihre Geschichte anhören – die ohnehin nichts mehr an unserer entzweiten Freundschaft ändern würde. Sora seufzte und lehnte sich gegen die Hauswand des Clubs, während ich darauf wartete, dass wir es endlich hinter uns brachten. „Es ist nicht einfach. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll und ich will dir auf keinen Fall weh tun – das wollte ich nie. Aber ich denke, du solltest die Wahrheit erfahren. Und vielleicht … vielleicht verstehst du mich ja.“ Ich konnte mir ein leises Zischen nicht verkneifen, ließ sie jedoch weiterreden. „Es fällt mir nicht leicht, dass vor dir zuzugeben, aber … ich war schon immer in Tai verliebt. Schon seit ich denken kann …“ Rückblick „Für wen backst du denn den Kuchen?“, fragte meine Mutter mich an einem Samstagnachmittag, als ich in der Küche stand und gerade einen hellen Teig in eine Form füllte. Ich wurde rot, doch sie konnte es nicht sehen. „Für niemand bestimmten“, log ich einfach. Es war schwierig genug gewesen, es mir selbst einzugestehen, da konnte ich es unmöglich vor meiner Mutter zugeben. Erst sollte er es erfahren. Ich hatte so viele Gelegenheiten gehabt, wie die neulich auf dem Hanamifest, aber immer kam irgendetwas dazwischen. Und mit jedem Augenblick, der verstrich, wich meine Zuversicht. Ich wollte ihm ja meine Gefühle gestehen, schon lange, aber es hatte sich einfach nie der passende Moment ergeben. Doch das sollte sich heute ändern. Es waren endlich Sommerferien und ich wusste, er war heute zu Hause, weil wir heute Morgen schon telefoniert hatten. Ich wollte später mit ihm zusammen in den Park gehen. Er stimmte zu, weil er eh nichts Besseres vorhatte. Aber vorher würde ich ihn mit diesem Kuchen überraschen. „So? Und warum nimmst du dann ausgerechnet die Herzform für den Kuchen?“, hakte meine Mutter weiter nach und schielte mir über die Schulter. Ich rümpfte die Nase. „Das geht dich nichts an, Mama.“ Sie grinste breit und ging aus der Küche. Ungeduldig wartete ich in meinem Zimmer darauf, dass der Kuchen endlich fertig war, während ich ein paar meiner schönsten Kleider aufs Bett gelegt hatte. „Hmm, das Gelbe oder doch lieber das Blaue? Oh, ich kann mich nicht entscheiden.“ Der Timer klingelte, also eilte ich in die Küche, um den Kuchen aus dem Ofen zu holen. Perfekt. Er war genauso, wie er ihn mochte. Wenn er abgekühlt war, würde ich ihn noch mit frischen Erdbeeren und Sahne verzieren. Ich grinste in mich hinein, bei der Vorstellung, ihm den Kuchen endlich zu übergeben. Als der Kuchen ganz und gar fertig war, entschied ich mich schließlich für das blaue Kleid, da ich wusste, es war eine seiner Lieblingsfarben. Überhaupt kannte ich ihn ziemlich gut – eigentlich mit am besten. Ich wusste, was er mochte und was er nicht mochte, was ihn ärgerte und was ihn freute, kannte all seine Macken und er kannte meine. Wir waren eben beste Freunde und das schon immer. Doch in den letzten Monaten wurde mir klar, dass da schon immer mehr war als nur gute Freundschaft. Ich hegte tiefe Gefühle für Tai und ich war nun endlich bereit, sie zuzulassen. Wie sehr ich doch hoffte, dass es ihm genauso ging … Mit zitternden Knien stand ich vor seiner Tür. Ich hatte die Klingel schon hunderte Male betätigt, doch noch nie spielte mein Magen dabei so verrückt wie heute. Es war, als würden tausend Schmetterlinge darin tanzen. Ich atmete noch einmal tief durch und klingelte schließlich. Es dauerte nicht lang bis er mir die Tür aufmachte. Ich strahlte ihn an. „Hallo, Tai.“ Er wirkte irgendwie verdattert. „Ach, du bist es Sora. Komm rein. Sorry, ich hatte ganz vergessen, dass wir verabredet waren.“ Er schlürfte zurück ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Etwas geknickt folgte ich ihm. Es schien niemand zu Hause zu sein, außer ihm. „Du hast vergessen, dass wir verabredet sind? Aber wir haben doch heute Morgen erst telefoniert.“ „Jaah“, schnaufte er nur und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Tut mir leid, ich bin etwas durch den Wind.“ Ich runzelte die Stirn und ging zu ihm. „Hier, ich hab dir was mitgebracht“, sagte ich lächelnd und hielt ihm den Kuchen hin. „Oh“, machte Tai erstaunt und nahm ihn entgegen. „Kuchen? Für mich? Danke“, sagte er, betrachtete das liebevoll verzierte Gebäck kurz und stellte es dann vor sich auf dem Tisch ab. Dann lehnte er sich wieder zurück und starrte gen Decke. Gefrustet warf ich einen Blick auf den Kuchen. Er hatte ihn sich gar nicht genau angeschaut. Er hatte noch nicht mal bemerkt, dass er in Herzform gebacken war. Ich setzte mich neben ihn. „Was ist denn passiert?“, fragte ich besorgt. „Stimmt etwas nicht?“ „Weißt du es denn noch nicht?“, entgegnete er tonlos. Ich schüttelte den Kopf. „Was denn?“ „Sie ist weg.“ Irritiert sah ich ihn an. „Was? Von wem sprichst du? Wer ist weg?“ Tai blickte weiterhin die Decke an. Er schien völlig in Gedanken versunken zu sein. „Na, Mimi“, sagte er. „Sie ist weg. Einfach so.“ „Was meinst du damit, sie ist weg?“, hakte ich überrascht nach. Plötzlich sprang Tai auf. „Ich meine das so, wie ich es sage. Sie ist weg, hörst du? Einfach abgehauen“, fuhr er mich an und ich zuckte zurück. Warum war er denn so aufgebracht? „Ich habe heute Morgen versucht sie zu erreichen“, erklärte er mir angesäuert und ging unruhig im Wohnzimmer umher. „Weißt du, was passiert ist? Ihre Handynummer existiert nicht mehr. Ihre Festnetznummer ist nicht mehr vergeben. Auf meine Mails reagiert sie nicht und an ihrem Briefkasten steht „Unbekannt verzogen“. Nach was sieht das für dich aus, frag ich dich?“ Ich schluckte schwer und versuchte meine schwitzenden Hände zu ignorieren. „Ich … ich weiß es nicht. Vielleicht ist sie verreist. Es sind Sommerferien und …“ „Sie ist weggezogen, Sora!“, unterbrach er mich forsch. Ich erschrak beinahe davor, wie sehr ihn diese Tatsache zu treffen schien. „Sie ist einfach abgehauen, ohne sich zu verabschieden“, sagte Tai nun etwas ruhiger und sah traurig aus dem Fenster. „Welche Freundin tut so etwas? Ohne ein Wort einfach verschwinden? Das passt überhaupt nicht zu ihr.“ Betrübt betrachtete ich den Kuchen, der vor mir auf dem Tisch stand, während Tai mir den Rücken zugewandt hatte. Warum schmerzte mein Herz plötzlich so sehr? „Bist du … bist du sauer deswegen?“, fragte ich zaghaft nach. „Du etwa nicht?“, erwiderte Tai. „Sie ist deine beste Freundin und hat selbst dir nichts davon gesagt, dass sie vorhat, wegzuziehen. Ich weiß überhaupt nicht, was ich davon halten soll. Ich dachte, wir wären …“ Ich schluckte. „Du dachtest, ihr wärt was …?“ Die ersten Tränen bahnten sich einen Weg an die Oberfläche, während ich den Blick einfach nicht von diesem verfluchten Kuchen abwenden konnte. Tai seufzte und fuhr sich gestresst durchs Haar. „Ach, nicht so wichtig.“ Und in dem Moment zersprang mein Herz in tausend Teile. Wieso hatte ich es nie sehen wollen? War ich denn so blind gewesen? „Bist du böse, wenn wir unsere Verabredung verschieben? Irgendwie ist mir heute nicht nach Gesellschaft“, sagte Tai nun ruhiger und wandte sich mir zu. Ich wischte mir schnell die Tränen aus den Augen und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. „Nein … Nein, ist schon gut. Ich verstehe das.“ Dann stand ich auf und ging in Richtung Flur. Ich wollte einfach nur noch hier weg. „Ach, Sora?“ Ich blieb stehen. „Was denn?“ „Was ist mit dem Kuchen? Willst du den nicht wieder mitnehmen? Den schaffe ich doch niemals alleine“, lachte er zaghaft. „Nein, den kannst du behalten“, sagte ich schweren Herzens. „Wenn du ihn nicht möchtest, gib ihn Kari oder so. Wir sehen uns.“ Er hatte einfach gar nichts verstanden. Dafür ich umso mehr. Ich schloss die Tür hinter mir und atmete aus. Tränen rollten über meine Wange. Warum nur? Warum hatte ich in all der Zeit nicht mitbekommen, was sich direkt vor meiner Nase abgespielt hatte? War ich so blind vor Liebe gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, dass Tais Herz längst einer anderen gehörte? Auch wenn er es nicht gesagt hatte, so wusste ich es doch – es war ganz offensichtlich. Je weniger ich die Wahrheit vorher sehen konnte, umso heftiger sprang sie mir jetzt ins Gesicht. Tai liebte Mimi, nicht mich. Sora lehnte noch immer an der Wand und ich spürte, dass sie sehr damit gerungen hatte, mir das zu offenbaren. Während ich mit meiner Fassung zu ringen hatte … „Sora? Warum erzählst du mir das alles?“, fragte ich sie unmissverständlich. „Für mich klingt das so, als hättest du die Gelegenheit damals einfach ergriffen und bist mit Tai ins Bett gestiegen, damit er mich vergisst.“ Eine Träne rollte über ihre Wange und sie wischte sie weg, doch ich konnte einfach kein Mitleid mit ihr haben. Auch wenn es nicht schön ist, Liebeskummer zu haben … sie hätte es nicht tun dürfen. Nicht wegen mir, aber es war Tai gegenüber nicht fair, da sie sehr wohl von seinen Gefühlen wusste. „Mimi, was hättest du an meiner Stelle getan? Einfach dabei zugesehen, wie dein bester Freund an seinem Liebeskummer zugrunde geht?“ Ich gab einen zischenden Laut von mir. „Also ganz sicher wäre ich nicht mit ihm ins Bett gestiegen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.“ „So war das doch gar nicht. Ich wollte nicht, dass er sich schlecht fühlt deswegen. Ich habe es getan, weil ich ihn geliebt habe“, wisperte Sora. „Er hat dich aber nicht geliebt, sondern mich. Und es war dir egal!“, fuhr ich sie an und sie zuckte zusammen. Sora vergrub das Gesicht in ihren Händen, als schämte sie sich so sehr, dass sie mich nicht einmal mehr ansehen konnte. „Ich weiß. Ich weiß das jetzt alles. Aber damals … ich habe einfach nicht darüber nachgedacht. Ich habe nur darauf gehört, was mein Herz mir gesagt hat. Ich wollte ihn so sehr, Mimi … es tut mir leid.“ Ich presste die Lippen aufeinander und hatte mit meiner Fassung zu kämpfen. „Selbst wenn es so ist und es dir leid tut … warum hast du die ganze Zeit versucht, einen Keil zwischen uns zu treiben, als ich wieder da war? Und das Schlimmste daran: warum hast du Yamato in diese Sache mit reingezogen?“ „Ich habe doch nicht versucht einen Keil zwischen euch zu treiben, das musste du mir glauben“, fuhr Sora aufgebracht hoch. „Aber du musst auch mich verstehen. Es war nicht leicht für mich, euch die ganze Zeit über so zu sehen – so vertraut. Ihr wart plötzlich wie eine richtige Familie und … Tai hätte alles für dich getan. Weißt du, wie weh so etwas tut? Und was Yamato angeht … er hat mir einfach unglaublich gutgetan und ich wollte ihn nie verletzen. Ich war glücklich mit ihm. Ich hatte mich damit abgefunden, bis …“ „Ja, verstehe schon“, unterbrach ich sie. „Bis ich wieder aufgetaucht bin.“ Sora atmete schwer aus. „Ich habe wirklich versucht meinen Gefühlen für Tai weiterhin aus dem Weg zu gehen und dir gleichzeitig eine gute Freundin zu sein. Aber es ging einfach nicht. Ich konnte es nicht ertragen, euch so zu sehen, schon gar nicht, nach unserer gemeinsamen Nacht. Ich habe versucht mit Tai darüber zu reden, doch er wollte das Thema totschweigen. Wie es mir dabei ging, war ihm völlig egal.“ Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Ich konnte mir das alles nicht mehr anhören. Und ich wollte es auch nicht. Es war, als würde jemand ein Messer in meine Brust rammen. Als müsste ich alles noch mal durchleben. „Weißt du was? Ich will nichts mehr davon hören. Nie wieder“, sagte ich bitter und wandte mich von ihr ab. Ich konnte ihr nicht mehr in die Augen sehen. Ich hörte, wie Sora hinter mir schniefte, doch ich wollte einfach nur noch weg. Ich ging ein paar Schritte und blieb dann doch noch einmal stehen. „Warum konntest du es nicht, Sora?“, fragte ich sie, mit dem Rücken zu ihr gewandt. „Warum konntest du ihn nicht einfach aufgeben? Hasst du mich so sehr dafür, dass er mich liebt und nicht dich?“ Sie antwortete nicht und das genügte. Mehr musste ich nicht wissen. Ich wollte weitergehen, doch plötzlich erklang Soras leise Stimme von hinten. „Könntest du es denn? Könntest du denjenigen, der dein Erster war, jemals vergessen?“ Ich blieb stehen. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das … das war nicht wahr. Das durfte nicht wahr sein. Langsam drehte ich mich zu ihr um und sah ihr in die Augen. „Er … er war dein …?“ Mir blieben die Worte im Halse stecken. Ich hätte sie hochwürgen und ihr vor die Füße spucken können, als mir klarwurde, was das zu bedeuten hatte. Sora war nicht nur in Tai verliebt … es war viel mehr, weswegen sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und ging langsam auf sie zu. Tränen rollten ihr über die Wange, doch sie machte keine Regung. Dicht vor ihr blieb ich stehen und sah ihr direkt in die Augen. Vorsichtig hob ich eine Hand und legte sie behutsam auf ihre tränennasse Wange. Sie zuckte leicht zurück, unternahm jedoch nichts dagegen. Ich holte tief Luft, um die Worte zu formen, die mir nun über die Lippen kamen. „Du bist echt das Letzte.“ Dann holte ich aus und meine flache Hand landete mit einem lauten Knall direkt in ihrem Gesicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)