Uncertain Heart von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 46: Blickwinkel ----------------------- Bisher hatte ich leider keine Gelegenheit gehabt, Kari genauer auszuquetschen. Doch das würde sich jetzt definitiv ändern. Ich schlenderte zu ihr herüber und nutzte die Gunst der Stunde, da die anderen Mädchen gerade etwas zu trinken holten und sie alleine am Beckenrand saß. „Sind sie nicht süß?“, fragte ich sie grinsend, während ich mich neben sie setzte und meine Beine ins kühle Nass baumeln ließ. Mit einem Kopfnicken deutete ich auf Tai und Yamato, die gerade dabei waren, sich gegenseitig die Köpfe unter Wasser zu tauchen. Anscheinend hatte Matt inzwischen von irgendwem eine Badehose geliehen bekommen. Kari lächelte. „Ja, allerdings. Es tut gut, Tai wieder so glücklich zu sehen.“ Ich nickte. „Finde ich auch. Allerdings würde ich dich gerne genauso glücklich sehen.“ „Es ist alles gut. Ich bin zufrieden, Mimi.“ „Ja, ich weiß. Aber bist du auch glücklich?“ Schweigen. Dabei konnte ich ihr ganz genau ansehen, dass sie schon wieder einen Teil ihrer wahren Gefühle zurückhielt. „Was ist zwischen euch vorgefallen?“, fragte ich schließlich. Ich musste nicht mal seinen Namen erwähnen, da seufzte Kari schon. „Zwischen T.K. und mir meinst du? Nichts.“ „Nichts?“, fragte ich sichtlich entsetzt. Meine Blicke durchbohrten sie förmlich. „Was soll das heißen, nichts? Ihr wart fast drei Tage alleine. Irgendetwas muss passiert sein.“ „Na ja“, meinte Kari endlich und baumelte mit den Beinen vor und zurück. Ihre Augen waren starr aufs Wasser gerichtet. „Es gab da so einen Moment zwischen uns. Aber ich denke, ich habe ihn kaputt gemacht.“ „Kaputt? Was meinst du damit?“ Ein weiteres tiefes Seufzen entfuhr ihrer Kehle. Oh nein, hier war irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung. „Ich habe mich irgendwie nicht getraut, mit ihm darüber zu sprechen. Über meine Gefühle, meine ich. Es war so entspannt zwischen uns und seine Nähe hat mir wirklich gutgetan und eigentlich war ich auch fest entschlossen, es ihm zu sagen, aber …“ „Aber?“ Kari schloss betrübt die Augen. „Aber dann habe ich ihn geküsst. Einfach so. Ohne jede Vorwarnung, weil es mich einfach überkam. Und das hat alles kaputt gemacht.“ Meine Augen weiteten sich und ich schlug mir die Hand vor den Mund. „Du hast ihn geküsst? Wow, das ist … oh, mein Gott! Wie hat er reagiert?“ Über Karis Lippen huschte ein bittersüßes Lächeln. „Wie wohl? Er war total geschockt. Er sagte, es würde ihm alles zu schnell gehen und er wäre noch nicht über seine Freundin hinweg. Es war einfach taktlos von mir. Oh Gott, was habe ich mir nur dabei gedacht?“ Vor lauter Schamgefühl vergrub sie das Gesicht in ihren Händen, als hätte sie die Erinnerung an den Kuss eben wieder eiskalt erwischt. „Hey, lass das. Hör sofort auf damit!“, ermahnte ich sie und griff nach ihren Händen. „Womit soll ich aufhören?“ „Damit, dich für deine Gefühle zu schämen. Dafür gibt es absolut keinen Grund. Liebe ist etwas Schönes und jeder, der sie empfindet, kann froh darüber sein.“ Ich warf einen kurzen Blick rüber zu Tai. „Du hast recht, vielleicht hättest du es ihm etwas … schonender beibringen können, aber … deine Gefühle haben dich eben übermannt und das ist absolut nichts, wofür man sich schämen müsste.“ Trotz meiner aufmunternden Worte ließ Kari den Kopf hängen. „Und was, wenn ich damit unsere Freundschaft zerstört habe?“ Beruhigend legte ich ihr eine Hand auf die Schulter. „Hast du nicht. Takeru würde dich niemals fallen lassen. Das müsstest du inzwischen besser wissen als jeder andere.“ Ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen. „Gib Takeru einfach ein bisschen Zeit. Wenn er soweit ist, wird er schon auf dich zukommen. Und bis dahin …“, fuhr ich fort. „Schwimmen auch noch andere Fische im Teich.“ Kari stieß einen belustigenden Laut aus, während sie mich zweifelnd ansah. „Was meinst du denn damit?“ Mit einer leichten Kopfbewegung deutete ich an den Beckenrand gegenüber. Dort stand ein Mädchen, knapp bekleidet in einem lilafarbenen Bikini, mit langen braunen Haaren – und sah immer wieder zu uns herüber, während sie sich mit ihren Freundinnen unterhielt. Ich kannte sie vom Sehen her. Mir war sie vorhin schon aufgefallen, doch vor allem, weil sie ihre Augen nicht von Kari lassen konnte. Kari schüttelte den Kopf, lachte jedoch gleichzeitig. „Ja, vielleicht hast du recht.“ Ich straffte die Schultern und drückte meinen Rücken durch, um meine Nase wissend in die Luft zu strecken. „Nicht vielleicht. Ich habe recht!“ Das Mädchen schenkte Kari ein verwegenes Lächeln und strich sich eine ihrer langen Strähnen hinters Ohr. Einen Moment später stand Kari auf. „Danke, Mimi, für deine aufmunternden Worte. Das hat wirklich gutgetan.“ Ich nickte zufrieden. „Gerne. Und jetzt, geh endlich zu ihr rüber, sonst schubs ich dich ins Wasser.“ „Schon gut“, lachte Kari. „Bis später.“ Ich sah dabei zu, wie sie auf die andere Seite des Pools schlenderte und das Mädchen ansprach. Die Fremde war ihr eindeutig zugewandt und so, wie es aussah, verstanden sie sich auf Anhieb ziemlich gut. Ich lächelte zufrieden. Was für ein Tag. Ich hatte Tai die Geburtstagsparty verschafft, die er verdient hatte, hatte zwei verlorene Herzen wieder zusammengeführt – damit meine ich Tai und Yamato – die sich eindeutig vermisst hatten. Und ich habe Kari aufgeheitert und erfolgreich von ihren Sorgen abgelenkt. Musste ich nur noch meine eigenen in den Griff kriegen. Ich seufzte leise, während mein Blick durch das hellblaue Wasser glitt. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wie es weitergehen sollte, aber … das durfte mir heute nicht die Stimmung verderben. Es war Tais Geburtstag und wir alle hatten es verdient, einen Abend lang unbeschwert und frei zu sein – eben einfach wir. Es fiel mir erstaunlich leicht, die bitteren Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Ich rutschte etwas am Beckenrand nach vorne und ließ mich ganz ins Wasser gleiten. Zeit, ein bisschen Spaß zu haben. Ich grinste und sah mich suchend nach Tai um, während ich ein paar Züge nach vorn schwamm. Leider konnte ich ihn nirgendwo entdecken. Nun gut, dann würde ich mir eben vorerst ein anderes Opfer suchen. Izzy erschien mir der perfekte Kandidat dafür zu sein. Ich entdeckte ihn ein paar Meter weiter vor mir. Sein Rücken war mir zugewandt. Perfekt für eine heimtückische Unter-Wasser-tauch-Attacke. Gerade, als ich mich in Bewegung setzen wollte, schlossen sich zwei Hände von hinten um meine Taille und zogen mich dicht an sich. „Eigentlich hatte ich gerade andere Pläne“, protestierte ich, lächelte jedoch und ließ es zu. Seine Hand fuhr meinen Rücken hinauf, bis zu meinem Hals, wo er meine Haare zur Seite schob und mir einen leichten Kuss gab. Seine andere Hand packte mich noch etwas fester an der Taille, während seine Lippen geradezu zaghaft über meinen Hals strichen. Ein angenehmes Prickeln machte sich auf meiner Haut breit, was mir ein leises, aber genüssliches Seufzen entlockte. Ich konnte spüren, wie er an meiner Halsbeuge grinste. „Ich wusste, dass dir das gefällt.“ Augenblicklich erstarrte ich. Mein ganzer Körper verkrampfte sich so sehr, dass ich außer Stande war, mich zu rühren. Stattdessen riss ich nur weit die Augen auf. Das war nicht Tai … Als er jedoch erneut einen Kuss auf meinen Hals hauchte, erschauderte es mich so schnell, dass ich mich aus meiner Starre löste und mich von ihm losriss. Ich wirbelte herum und das Erste, was ich sah, war sein schiefes, zutiefst zufriedenes Grinsen. Mein Blick verdunkelte sich. „Was machst du hier, Hayato?“ Sofort suchten meine Augen nach Tai. „Überrascht?“ Ohne Skrupel schwamm Hayato weiter auf mich zu, doch ich wich zurück. „Wag es nicht!“, drohte ich ihm, bereit laut aufzuschreien, wenn er mir auch nur einen Zentimeter näherkam. Zu meiner Überraschung hielt er tatsächlich inne, aber dieser gierige Blick, mit dem er mich bedachte, ließ mich erneut erschaudern. War es plötzlich zehn Grad kälter in diesem Pool geworden? „Was zum Teufel suchst du hier? Woher wusstest du, dass ich hier bin?“ Fast schon amüsiert zuckte er mit den Schultern. „Ich wusste es eben. Ist diese Party von der Schule genehmigt?“ „Das geht dich nichts an.“ Suchend sah sich Hayato um. „Und wo ist dein Freund? Ich kann ihn nirgendwo entdecken. Findest du es gut, unsere Tochter allein zu lassen, während du dich hier mit deinen Freunden vergnügst?“ Mein Puls schoss in die Höhe, wie jedes Mal, wenn er Hope ins Spiel brachte. Ich war schon wieder kurz davor, die Beherrschung zu verlieren und am liebsten hätte ich mich auf ihn gestürzt. Doch wie auf Kommando rief ich mir Karis Worte ins Gedächtnis. Ich wusste genau, warum er hier war. Wie auch immer er herausgefunden hatte, dass wir hier waren, er tauchte nur aus einem einzigen Grund auf – um uns zu verunsichern. Um uns aus der Reserve zu locken. Sein ganzes Auftreten zielte nur darauf ab, dass wir endlich einen Fehler machten. Doch eine nicht erlaubte Poolparty in der Schule würde ihm nicht den gewünschten Erfolg bringen. Dafür würde ich sorgen. „Verschwinde einfach von hier, Hayato“, sagte ich verbissen und hielt seinem Blick stand. „Du hast fünf Minuten, um dich von hier zu entfernen. Ansonsten lasse ich dich entfernen.“ Ich schwamm an ihm vorbei zum Beckenrand und hievte mich hoch. Doch wenn ich glaubte, ihn damit vertrieben zu haben, dann hatte ich anscheinend vergessen, wie hartnäckig dieser Kerl sein konnte. „Schon gut, Mimi. Du musst nicht gleich die Krallen ausfahren.“ Er folgte mir und stieg ebenfalls aus dem Poll. Ich beschloss jedoch ihn einfach links liegen zu lassen und ihm den Rücken zuzuwenden. „Dann solltest du vielleicht damit aufhören mich zu provozieren. Übrigens hast du jetzt nur noch vier Minuten. Also, mach’s gut.“ Ich wollte ihn stehen lassen, aber er packte mein Handgelenk und zog mich zu sich herum. „Provokation nennst du das?“ Ein Grinsen umspielte seine Lippen, während er mir näherkam – viel zu nahe. „Ich würde es eher als eine Erinnerung an alte Zeiten betrachten. Oder habe ich mir dieses leidenschaftliche Seufzen nur eingebildet, als ich dich geküsst habe?“ Ich biss die Zähne zusammen und mein Kiefer verkrampfte sich, genauso wie mein Körper. Dieser Mistkerl! Er wusste genau, dass meine Reaktion auf diesen Kuss nur deshalb so war, weil ich dachte, er wäre Tai. Mit Mühe schluckte ich meinen Ärger hinunter und anstatt ihm die passende Antwort auf seine Unverfrorenheit zu geben, befreite ich mich aus seiner Umklammerung und funkelte ihn böse an. „Drei Minuten.“ Hayato grinste und richtete sich auf. Ich wollte ihn stehen lassen und war gleichzeitig wild entschlossen meine Androhung wahr zu machen, wenn er sich nicht sofort von hier verziehen würde, allerdings kam mir da jemand zuvor. Eine Hand packte ihn von hinten und wirbelte ihn zu sich herum. „Was machst du hier?“, hörte ich Tais wütende Stimme. Shit. Er hatte uns gesehen – genau das, was ich eigentlich vermeiden wollte. Ich sah an Hayato vorbei in Tais Gesicht, was keinen Zweifel daran zuließ, dass er kurz vorm Ausrasten war. Sicher hatte er mitbekommen, wie nahe Hayato mir eben gekommen war. „Wieso? Störe ich etwa?“, konterte Hayato nur gelassen. „Allerdings“, erwiderte Tai unter zusammengebissenen Zähnen und ich konnte sehen, wie er seine Hände zu Fäusten ballte. Oh, nein. Das war gar nicht gut. „Ich wollte mich nur kurz mit deiner Freundin unterhalten“, entgegnete Hayato provokant. „Die Mutter meines Kindes. Du erinnerst dich?“ Tai machte einen bedrohlichen Schritt nach vorne, doch noch bevor er antworten konnte, ging ich dazwischen. „Er wollte gerade gehen, Tai.“ Beharrlich legte ich die Hände auf seine Brust, um ihn zurückzuhalten, von was auch immer er gerade vorhatte. „Hat er dich angefasst?“ „Was?“ „Ob er dich angefasst hat?“, wiederholte er eine Spur härter. „Was? Nein!“, wiedersprach ich, hörte jedoch fast zeitgleich Hayatos Zischen hinter mir. Tai wollte noch einen Schritt auf ihn zu machen. Warum ließ er sich von Hayato plötzlich so aus der Fassung bringen? Genau das wollte dieser Typ doch mit seiner Provokation erreichen. Allmählich zogen wir sogar schon die Blicke der anderen auf uns, denen nicht entging, dass dieses Gespräch kurz davorstand, zu eskalieren. Die Blitze, die zwischen Tai und Hayato hin und herflogen, waren nicht zu übersehen. Doch irgendwie musste ich ihn davon abbringen, ausgerechnet jetzt die Beherrschung zu verlieren. Wenn wir jetzt einknickten, war alles umsonst. „Tai“, sagte ich sanft und versuchte eine ruhige Stimme aufzulegen. „Ich denke, du hast etwas viel getrunken. Es ist nichts passiert. Und Hayato wollte ohnehin gerade gehen.“ Über die Schulter hinweg warf ich ihm einen mahnenden Blick zu. Konnte er nicht einfach verschwinden und uns in Ruhe lassen? Hayato hob beschwichtigend die Hände, jedoch nicht ohne sein schiefes Grinsen dabei abzulegen. „Schon gut, ich gehe. Bevor das hier aus dem Ruder läuft. Das will ja schließlich niemand.“ Innerlich rollte ich mit den Augen – als wäre nicht genau das seine Absicht gewesen. Aber anscheinend ließ selbst er für einen Moment Vernunft walten, denn er wandte sich von uns ab. Erleichtert atmete ich aus und unter meinen Händen konnte ich spüren, wie auch Tais Muskeln sich langsam wieder entspannten. Gott, das wäre beinahe schief gegangen. Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn … „Ach, und Mimi?“ Hayato warf einen Blick zurück und mein Herz rutschte in den Keller. „Das im Pool war eben ziemlich heiß. Lass uns das bald mal wiederholen.“ Mir stockte der Atem, doch noch ehe ich auch nur ansatzweise etwas sagen oder geschweige denn reagieren konnte, schob Tai mich unsanft zur Seite und machte einen Satz auf Hayato zu. Er stürzte sich regelrecht auf ihn und ich sah, wie seine Faust direkt in seinem Gesicht landete. Der Schlag war so heftig, dass es Hayato von den Füßen riss und er mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden landete. Um uns herum hörte ich erstickte Schreie. Die Leute wichen entsetzt zurück, während Tai sich längst über Hayato gekniet hatte und ihm voller Wut noch eine verpasste. „Du mieses Arschloch!“, schrie er ihn an und hob erneut die Faust, während Hayato nicht mal versuchte, sich zur Wehr zu setzen. Ich rief laut Tais Namen, doch auch das hielt ihn nicht davon ab, Hayato noch mal zu schlagen, dem inzwischen Blut aus der Nase lief. Erst, als Yamato und zwei andere Jungs aus Tais Fußballmannschaft auf ihn zustürzten und ihn von Hayato runterrissen, war er gezwungen, von ihm abzulassen. Dieser erhob sich langsam, während Tai immer noch wütete und um sich schlug. Die Jungs hatten alle Hände voll zu tun, ihn im Zaum zu halten. Er war völlig außer Kontrolle. Hayato stützte sich auf seinem Knie ab und ein paar Tropfen Blut fielen zu Boden. Entsetzt schlug ich mir die Hand vor den Mund und fühlte mich gleichzeitig außer Stande, mich zu bewegen. Dann hob Hayato den Kopf – und ich erstarrte. Er grinste. Dann lachte er auf. Erst leise, dann immer lauter. Was war hier los? Hatte dieser Typ nun völlig den Verstand verloren? Das wäre mir jedenfalls deutlich lieber gewesen, als diese böse Vorahnung, die ich hatte und die sich schon in der nächsten Sekunde bestätigte. „Das war ein Fehler, Yagami.“ Hayato grinste Tai frech ins Gesicht, der immer noch an sich halten musste, um sich nicht direkt wieder auf sein Gegenüber zu stürzen. „Das war ein Fehler“, wiederholte Hayato viel zu ruhig, dafür, dass er gerade fast bewusstlos geprügelt wurde. Dann sah er an Tai vorbei und warf mir einen kurzen Blick zu. Das, und seine Worte genügten für mich, um zu wissen, dass er recht hatte. Es war genau das eingetreten, was ich befürchtet hatte und was ich unter allen Umständen vermeiden wollte. Wir hatten einen Fehler gemacht. Und wir würden dafür büßen müssen. Hayato wandte sich ab und verschwand in eine der Umkleidekabinen. Ohne darüber nachzudenken, setzte ich mich in Bewegung, lief an Tai und den anderen vorbei, die immer noch viel zu geschockt wirkten, um irgendetwas zu unternehmen. Ich schlug die Tür der Umkleidekabine hinter mir zu und suchte die Reihen nach Hayato ab. Als ich ihn schließlich fand, war er gerade dabei sich umzuziehen. Mit klopfendem Herzen stapfte ich auf ihn zu. Als er mich bemerkte, drehte er sich mit nacktem Oberkörper zu mir um. Er schloss den Knopf seiner Hose und grinste mich von oben herab an. „Du kannst es wohl gar nicht abwarten, was? Möchtest du unsere Unterhaltung aus dem Pool fortsetzen?“ Eine seiner Augenbrauen wanderte in die Höhe und mir entging nicht, wie er seinen Blick an mir hinab gleiten ließ. Unfassbar. Dieser Typ hatte vielleicht Nerven. Er genoss das hier alles viel zu sehr. Doch das war mir gerade völlig egal, auch wenn ich ihm am liebsten noch eine verpasst hätte. Seine Nase war immer noch blutverschmiert und sein Auge schwellte bereits etwas an, was ihn allerdings nicht sonderlich zu interessieren schien. „Red keinen Scheiß!“, giftete ich ihn an. Hayato zuckte mit den Schultern. „Gut, dann eben nicht.“ Er nahm ein weißes Shirt aus seinem Spint und zog es sich über. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, während das Blut in meinen Ohren rauschte. Noch nie musste ich so sehr an mich halten. „Was sollte das eben?“ „Ich weiß nicht, was du meinst.“ „Tu nicht so scheinheilig“, schrie ich fast schon. „Du hast Tai bewusst provoziert und das weißt du genau.“ Hayato zog sich ein schwarzes Hemd über und knöpfte es seelenruhig zu. Er besaß nicht mal den Anstand, mir in die Augen zu sehen. „Ich kann nichts dafür, dass dein gewalttätiger Freund so leicht aus der Haut fährt.“ Mir klappte der Mund auf. „Mein gewalttätiger … was? Du hast sie doch nicht mehr alle. Tai ist nicht so!“ „Ach, nicht? Also hat er sich nicht eben wie ein blutrünstiges Tier auf mich gestürzt?“ Ich schluckte schwer, während Hayato sich auf die Bank setzte und sich daran machte, seine Schuhe anzuziehen und zuzubinden. „Du weißt genau, dass du zu weit gegangen bist, Hayato. Tai würde sonst niemals jemanden schlagen“, versuchte ich es weiter, doch Hayato hob nur den Kopf und sah mich unmissverständlich an. „Ich denke, das werden viele der hier Anwesenden anders sehen. Du weißt doch, es ist alles nur eine Frage des Blickwinkels.“ Schmerzhaft biss ich mir auf die Unterlippe. Verdammt. Er musste es nicht mal aussprechen, um mir zu verdeutlichen, was er mir damit sagen wollte. Er hatte verflucht noch mal recht. Es spielte überhaupt keine Rolle, ob Tai jemals schon jemanden geschlagen hatte. Heute jedenfalls gab es genug Zeugen, die gesehen hatten, dass er es getan hatte. Und den Beweis dafür, trug Hayato mitten im Gesicht. Hayato erhob sich und nahm seine schwarze Jacke aus dem Spint. Er warf sie sich über und wandte sich mir dann erneut zu. „Ich denke nicht, dass er der passende Umgang für dich und unsere Tochter ist, Mimi.“ „Du weißt gar nichts“, presste ich hinter zusammengebissenen Zähnen hervor, während mir die Tränen in die Augen schossen. „Ich weiß, dass du nicht mit ihm zusammen sein solltest. Und, dass ich es nicht zulassen werde, dass so jemand meine Tochter großzieht.“ „Sie ist nicht deine Tochter!“, platzte es voller Wut aus mir heraus. Was bildete er sich eigentlich ein, wer er war? Hayato schnaufte verächtlich und ging in Richtung Ausgang. Sofort heftete ich mich an seine Fersen, als er die Umkleidekabine verließ. Ich musste fast schon rennen, um mit ihm Schritt zu halten. „Halt, warte“, rief ich ihm nach. „Was hast du jetzt vor?“ Ich folgte ihm bis auf die Straße. Dass ich immer noch halb nackt, im Bikini und barfuß war und nun fröstelnd auf dem kalten Asphalt stand, interessierte mich nicht. Hayato drehte sich zu mir um und anstatt mir eine Antwort zu geben, sah er mich nur unverwandt an. Keine Regung war in seinem Gesicht zu erkennen. Und ich wusste haargenau, was das zu bedeuten hatte. Krampfhaft versuchte ich die Tränen und das Zittern zurückzuhalten. Flehend sah ich ihn an. „Tu das bitte nicht, Hayato. Lass uns … lass uns einfach versuchen, für alle eine Lösung zu finden.“ Der letzte Versuch an seine Vernunft zu appellieren, auch wenn ich wusste, dass der Kampf längst verloren war – und zwar genau in dem Moment, als Tai auf ihn losgegangen war. Ich konnte sehen, wie Hayato tief einatmete. Dennoch bewahrte er die Haltung. Während ich zitternd und am Boden zerstört vor ihm stand, schien er wie der Fels zu sein, der ich gerne gewesen wäre. Ich wünschte, ich wäre stärker gewesen. Klüger. Vorausschauender. Vielleicht hätte ich dann etwas tun können, es verhindern können. Doch alles, was ich getan hatte, war hilflos dazustehen und zuzusehen, wie meine ganze Welt den Bach runterging. Und das alles nur wegen eines einzigen, dummen Fehlers … Hayato schloss kurz die Augen und für einen Moment machte es den Anschein, als würde er ernsthaft mit sich kämpfen. Als würde doch noch ein kleiner Funken Menschlichkeit in ihm stecken, der nicht zuließ, dass er mit so unfairen Mitteln spielte. Das naive Kind in mir reckte seinen Kopf, verspürte für eine Sekunde die Hoffnung, dass sich doch noch alles zum Guten für uns wenden könnte. Er müsste nur … Hayato öffnete seine Augen und ich erkannte, dass seine Entscheidung unumstößlich war. Natürlich war sie das. Er hatte sich vorgenommen, uns Hope zu entreißen – koste es was es wolle. Wie konnte ich nur ernsthaft glauben, er würde diesmal nicht das bekommen, was er wollte? Wie konnte ich nur denken, je den Hauch einer Chance gegen ihn gehabt zu haben? „Du solltest wieder rein gehen“, sagte er mit fester Stimme. „Du erkältest dich sonst noch.“ Und mit diesen Worten ließ er mich stehen, einfach so. In meiner ganzen Verzweiflung. Mit allem, was er angerichtet hatte. Er war dabei, mein komplettes Leben zu zerstören – zum zweiten Mal. Und es ließ ihn völlig kalt. Meine Knie drohten unter mir nachzugeben. Doch bevor ich zusammenbrechen konnte, setzte ich mich in Bewegung und eilte zurück in die Schule. Ich steuerte geradewegs die Umkleidekabine an und begann hektisch, mich meines noch nassen Bikinis zu entledigen. Ich zog mir Unterwäsche an, schlüpfte in meine Jeans, während ich immer noch versuchte, die Tränen zurückzuhalten, die drohten aus mir auszubrechen. Gerade, als ich mir meinen Pullover über den Kopf zog, hörte ich, wie die Tür zur Schwimmhalle auf ging. Kurze Zeit später stand Tai neben mir. Ich konnte ihn nicht ansehen. Stattdessen knüllte ich all meine Sachen zusammen und schmiss sie in die Sporttasche. „Mimi, was …“, stammelte Tai und ging auf mich zu. „Oh Gott, mir tut das so leid, was da eben draußen passiert ist. Was … was hat er gesagt? Was hat er jetzt vor?“ Ich wollte es nicht, doch es kam ein zischender Laut über meine Lippen. Ich strich mir eine nasse Haarsträhne hinters Ohr und richtete mich auf. „Was meinst du wohl, was er jetzt tun wird?“ „Das war keine Absicht“, beteuerte Tai aufgebracht. „Er hat mich provoziert.“ „Meinst du, das interessiert irgendjemanden, Tai? Glaubst du das ernsthaft?“, fuhr ich ihn an. Ich war so wütend auf Hayato und ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Wut nun auch gegen Tai richtete. Er war derjenige, der sich nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Hätte er Hayato einfach ignoriert, ihn einfach gehen lassen … „Wir … wir kriegen das wieder hin“, sagte Tai. Ich gab einen herablassenden Laut von mir, schulterte meine Tasche und drehte mich zum Gehen um, bevor ich noch völlig aus der Haut fahren würde. „Ich verspreche es, Mimi. Ich lasse mir was einfallen.“ Ich wirbelte zu ihm herum. „Und was?“, schrie ich ihn an. Mit meiner Selbstbeherrschung war es nun endgültig vorbei. Meine Augen brannten und warme Tränen rannen mir über die Wange. „Was willst du tun, wenn er dich anzeigt? Wenn er dich als Schlägertypen hinstellt? Was willst du dann tun? Sag’s mir, Tai!“ „Das ist nicht wahr und das weißt du. So bin ich nicht.“ Ich warf theatralisch die Arme in die Luft. Wieso wollte er es einfach nicht verstehen? „Oh, Gott. Natürlich weiß ich das. Aber das Jugendamt weiß es nicht.“ „Aber alle können bezeugen, dass ich kein Schlägertyp bin. Alle, die hier waren.“ „Tai, das Einzige, was sie bezeugen können ist, dass du urplötzlich auf ihn losgegangen bist. Du hast da draußen völlig die Beherrschung verloren. Ich meine … was ist denn nur in dich gefahren? Du hast ihn blutig geschlagen, während du keinen einzigen Kratzer davongetragen hast. Und jetzt hat er genau das, was er wollte. Wir haben einen Fehler gemacht … DU hast einen Fehler gemacht. Und wenn du glaubst, er würde das nicht sofort gegen uns verwenden, dann kennst du ihn leider noch nicht gut genug. Aber ich schon. Ich kenne Hayato und ich weiß, dass er nur einen Schritt davon entfernt ist, uns Hope wegzunehmen. Also, sag mir, Tai – wie genau willst du das wiedergutmachen?“ Tief in mir wusste ich, dass diese Worte nicht fair waren und der Ausdruck, der sich nun auf Tais Gesicht legte, ließ mein Herz bluten. Ich gab ihm die alleinige Schuld an dem, was passiert war. Tai hatte recht – Hayato hatte ihn provoziert. Doch das wollte ich nicht hören. Alles, an was ich denken konnte, war Hope. Er wollte mich und vor allem Tai schlecht dastehen lassen und das hatte er geschafft. Dass er wieder einmal mit unfairen Mitteln spielte und somit auch noch an sein Ziel kam, kümmerte ihn nicht. Tai stand einfach nur da und sah mich an, den Blick voller Schuldgefühle. „Ich lasse nicht zu, dass er sie uns wegnimmt.“ Ja, er klang aufrichtig. Doch das allererste Mal konnte ich ihm nicht glauben. Nur zu gerne hätte ich ihm irgendwas gesagt oder Irgendetwas getan, dass es besser gemacht hätte. Aber das konnte ich nicht. Und Tai konnte es auch nicht. Es war zu spät. Wir hatten verspielt. Es war vorbei. Und es gab nichts mehr, was ich hätte tun können – was wir hätten tun können. Gar nichts. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)