Uncertain Heart von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 50: Neuanfang --------------------- „Until you face all the mistakes you’ve made, you’ll never change.“ - One Tree Hill Mein Herz setzte einen Schlag aus, während ich Kari anstarrte und zu verstehen versuchte, was sie soeben gesagt hatte. „Du meinst … er kommt heute nicht zurück. Aber morgen ist er wieder da, richtig?“, fragte ich zweifelnd. Angespannt bissig ich mir auf die Unterlippe. Ich kannte doch die Antwort … Traurig schüttelte Kari den Kopf. „Nein. Er kommt gar nicht wieder, Mimi. Was ist denn nur passiert? Warum hat er nicht mit dir darüber gesprochen?“ Plötzlich hatte ich das Gefühl nicht mehr atmen zu können. Warum er nicht mit mir geredet hatte? Weil ich es nicht mehr wert bin, deshalb. Weil ich genauso wenig mit ihm offen gesprochen habe. Weil ich ihn mit meinem Verhalten vertrieben habe … „Ich … ich weiß nicht“, log ich stattdessen und versuchte die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Karis mitleidiger Blick brannte sich durch meine Haut und am liebsten wäre ich auf der Stelle im Erboden versunken. Wie, um alles in der Welt, sollte ich ihr gestehen, dass ich den einzigen Menschen, der mir je was bedeutet hatte, von mir gestoßen hatte? „Ist er nach Osaka gezogen?“, schlussfolgerte ich und Kari nickte. Ich wusste es. Er war weg. Er war allein gegangen, um das Leben zu führen, welches wir beide leben wollten – gemeinsam. Und jetzt lebte er es ohne mich weiter. Es fühlte sich an, als würde jemand mein Herz packen, es quetschen und es ganz langsam ausbluten lassen. Ohne Tai … wenn er jetzt fort war … dann war alles umsonst gewesen. „Er sagte, er wolle vorher noch irgendwo hin“, räumte Kari plötzlich ein, was mich aufsehen ließ. „Was meinst du?“ „Er sagte, Er habe sich vorläufig eine vorübergehende Unterkunft in Osaka gebucht, bis er eine Wohnung gefunden hat.“ Diese Aussage versetzte mir einen Stich ins Herz. Anscheinend konnte er es ja gar nicht abwarten, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. „Aber er sagte, vorher müsse er noch woanders hin und über alles nachdenken.“ Kari setzte eine nachdenkliche Miene auf. Als könne sie sich selbst keinen Reim darauf machen. „Ja, er sagte, er muss da dringend noch was erledigen. Mehr war aus ihm nicht rauszukriegen. Ich weiß nicht, was er damit gemeint hat.“ Sie zuckte mit den Schultern und warf mir einen bedauernden Blick zu. Ich dachte nach. Ein Ort, um über alles nachzudenken? Das kam mir irgendwie bekannt vor … „Ich denke, ich schon“, überlegte ich laut, war mir jedoch absolut nicht sicher, ob ich mit meiner Vermutung recht hatte. „Kannst du auf Hope aufpassen?“, fragte ich Kari, während ich ihr gleichzeitig Hope in die Hand drückte. „Äh … Mimi, ich“, stammelte diese sichtlich überfordert. „Ich wollte eigentlich lernen und nachher kommt T.K. noch vorbei.“ Ich warf ihr einen flehenden Blick zu und faltete die Hände vor der Brust. „Ich bitte dich! Nimm sie über Nacht mit zu euch und morgen bin ich wieder da, ich verspreche es!“ Kari runzelte die Stirn. „Ich müsste erst Mama fragen …“ „Bitte, Kari. Wenn ich jetzt nicht gehe … wenn ich nicht noch mal mit Tai sprechen kann, bevor er nach Osaka geht, dann …“ Der Gedanke wollte nicht in meinen Kopf. Das konnte es einfach nicht gewesen sein. Nicht jetzt, wo endlich alles gut werden würde. Karis Mundwinkel formten sich zu einem Lächeln. „Verstehe. Ich denke, ich kann bis morgen auf sie aufpassen.“ Mein Gesicht erhellte sich vor Freude und ich fiel Kari dankend um den Hals. „Tausend Dank!“ Schnell ging ich zurück in meine Wohnung, um einen Rucksack mit Proviant zu packen und bequeme Schuhe anzuziehen. Dann machte ich auf dem Absatz kehrt und sprintete in Richtung Treppenhaus. Es war noch früh am Morgen. Er konnte also nur einen kleinen Vorsprung haben. Wenn ich mich beeilen würde, konnte ich ihn noch einholen. Aber alleine würde ich das sicher nicht schaffen … Ohne lange darüber nachzudenken holte ich mein Handy aus der Hosentasche, während ich gleich zwei Stufen mit ein mal nach unten nahm. Ich wählte Hayatos Nummer. Er hob ab. „Hayato, ich brauche deine Hilfe. Um genauer zu sein, brauche ich dich und dein Auto“, redete ich ohne Umschweife drauf los und stürzte durch die Ausgangstür des Wohngebäudes. „Ehm … was?“, kam es nur vom anderen Ende der Leitung. „Keine Zeit für Erklärungen“, sagte ich schon ziemlich außer Atem, als ich die Straßen entlang rannte. Ich checkte die Uhrzeit. Die Straßenbahn würde erst in zwanzig Minuten kommen. Zu Fuß war ich schneller. „Ich habe noch was gut bei dir.“ „Bitte? Wofür?“ Ich stöhnte ins Telefon. „Für so einiges. Ich bin in einer halben Stunde da. Und Hayato? Zieh dir was Bequemes an.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, legte ich auf. Ich konnte Tai einholen. Ich MUSSTE ihn einholen. Tai hatte die ganze Zeit über für Hope und mich gekämpft, mich nie im Stich gelassen, egal wie aussichtslos die Situation auch war. Er war immer für mich da gewesen. Jetzt war es an der Zeit, dass ich um ihn kämpfte … Früher als gedacht kam ich bei Hayatos Haus an. Ich war völlig aus der Puste, stützte mich auf meine Knie und musste erst ein mal Luft holen, als Hayato mit einem Coffee to go in der Hand aus seinem Haus schlenderte. „Da bist du ja. Danke“, hechelte ich nach Luft ringend und nahm ihm das heiße Getränk ab, um einen Schluck davon zu nehmen. Wasser wäre mir zwar lieber gewesen, aber ich konnte jetzt nicht wählerisch sein. Hayato musterte mich mit hochgezogener Augenbraue von oben bis unten. „Der war zwar nicht für dich, aber … bitte. Bist du etwa gerannt?“, fragte er völlig schockiert. Ich konnte nur nicken. Zum Glück hatte ich mir am Morgen nur einen dünnen Pullover und eine locker sitzende Hose angezogen. „Wir müssen uns beeilen“, sagte ich, während ich unterdessen Hayatos Outfit in Augenschein nahm. Skeptisch sah ich ihn an. „Was an ‚zieh dir was Bequemes an‘ hast du nicht verstanden?“ Verwirrt blickte Hayato an sich hinab. „Wieso? Das ist mein schlechtester Anzug. Bequemer geht’s ja wohl kaum.“ Ich schüttelte den Kopf. Egal, wir hatten keine Zeit für Modetips. „Bist du bereit?“, fragte ich stattdessen und wir setzten uns in seinen Wagen. Den Rucksack schmiss ich auf die Rückbank. „Ich habe zwar keine Ahnung wofür, aber ja. Wo soll es hingehen, Mylady?“ Ich schnallte mich an. „Zum Fuji.“ Einige Stunden Fahrt vergingen, in denen ich wie auf heißen Kohlen saß. War meine Intuition richtig? Ich wusste jedenfalls keinen anderen Ort, an dem Tai sonst sein könnte. Dieser Ausflug zum Fuji, den er damals mit mir gemacht hatte, war ziemlich bedeutsam für uns gewesen und ich hatte viel über Tai erfahren. Jetzt fuhren wir allerdings schon seit Stunden durch die Pampa und mit jedem weiteren Kilometer, den wir hinter uns ließen, wuchsen meine Zweifel. Ich wusste nicht sicher, ob Tai dort sein würde. Sein Handy war jedenfalls abgeschaltet und nicht ein mal Kari wusste, wo er gerade war. Unruhig kaute ich auf meinen Fingernägeln. Ich musste ihn finden und mit ihm reden. Er durfte nicht so einfach ohne mich gehen, ohne dass ich ihm alles erzählt hatte. „Könntest du das bitte lassen?“, unterbrach Hayato meine Gedanken. Fragend sah ich ihn an. Er deutete auf meine Finger. „Das ist wirklich nervtötend.“ „Oh, sorry“, meinte ich und ließ die Hand sinken. „Verrätst du mir jetzt endlich, warum wir diese Tortour auf uns nehmen?“, hakte er nach, da ich ihn bis jetzt noch nicht eingeweiht hatte. „Tai ist auf dem Fuji, denke ich … und ich will zu ihm“, sagte ich gerade heraus, woraufhin Hayato die Augen aufriss. „Was? Ich fahre hier stundenlang durch die Gegend, weil du Sehnsucht nach diesem Möchtegern Sportler hast? Und du DENKST, dass er dort ist? Was soll das heißen?“ Panik, aber vor allem Verärgerung schwangen in seiner Stimme mit. „Ich weiß nicht wirklich, ob er dort ist, ok?“, giftete ich zurück, weil es mich ärgerte, dass er so wütend reagierte. Natürlich konnte er Tai nicht leiden und genau deshalb hatte ich ihm auch nichts von meinem Plan erzählt, sondern ihn einfach gebeten, mich zum Fuji zu fahren. „Und was, verdammt noch mal, ist jetzt so wichtig, dass wir zu diesem Berg fahren, obwohl du nicht mal weißt, ob er überhaupt da ist? Oh Gott, und sag nicht, dass du vorhast dieses Teil zu erklimmen.“ Hayato war fassungslos. So wie er das Lenkrad umklammerte, konnte ich froh sein, dass er keinen Unfall baute. „Du musst nicht mitkommen, wenn du nicht willst. Ich habe dich nur darum gebeten, mich hinzufahren. Nicht, dass du mit mir dort hoch wanderst. Du wärst dort ohnehin völlig Fehl am Platz“, entgegnete ich trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich blickte aus dem Fenster und sah, wie die Blätter der Bäume an uns vorbei rauschten. Mir wurde das Herz schwer, wenn ich an Tai dachte und daran, was gerade für uns auf dem Spiel stand. „Ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihm zu reden“, sagte ich traurig. „Und vielleicht bekomme ich die auch nicht mehr. Seine Schwester sagte, er wolle jetzt schon nach Osaka ziehen. Allein. Wie klingt das für dich?“ Ich wusste, wie es für mich klang, konnte es jedoch nicht aussprechen. Es klang nach dem Ende. Nach Abschied und Neuanfang – nur, dass Tai diesen offensichtlich alleine durchziehen wollte. Eine Schwere legte sich auf meine Brust, die kaum zu beschreiben war. Als würde ich nicht mehr atmen können. Würde es sich ab jetzt immer so anfühlen, wenn er nicht mehr da war? Es wurde still im Auto. „Und du meinst ernsthaft, dass du den Weg hier nicht gerade völlig umsonst machst?“, ergriff Hayato nachdenklich das Wort. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich hoffe jedenfalls, dass er da oben ist.“ „Und ich hoffe, du hast gute Wanderschuhe an“, lachte Hayato auf. Vermutlich ein kläglicher Versuch, die Stimmung etwas aufzulockern. Ich zog eine Augenbraue nach oben und warf einen vielsagenden Blick in seine Richtung. „Mach dir mal keine Sorgen um mich. Es ist nicht das erste Mal, dass ich dort hoch gehe. Warst du denn schon mal auf dem Fuji, Hayato?“ Meine Mundwinkel zuckten verdächtig, bei dem Gedanken daran, dass Hayato derartigen Freizeitbeschäftigungen nachging. Mit Rucksack, einem Out-Door-Outfit und Wanderausrüstung konnte ich mir ihn beim besten Willen nicht vorstellen. „Pfft, nein, bist du denn völlig verrückt?“, zischte Hayato, während ich mir das Kichern verkneifen musste. „Schreib es in dein Tagebuch, wenn du willst: Hayato Kido hat noch nie einen Berg erklommen und wird auch nie einen Berg erklimmen. Nein – niemals!“ „Ich hasse diesen verdammten Berg!“, dröhnte es von hinten, während ich mich stöhnend umdrehte. „Bist du sicher, dass du dir das richtig überlegt hast?“, rief ich Hayato zu, der einige Meter zurück hing und seinen eigenen kleinen Krieg gegen den Berg führte, den er niemals erklimmen wollte. Keine Ahnung, was plötzlich in ihn gefahren war, aber als wir am Fuji ankamen, bestand er plötzlich darauf, doch mitzukommen. Nun traf sein zorniger Blick meinen. „Ich habe mir das gar nicht überlegt!“, keifte er zurück und stützte sich hechelnd auf seinen Knien ab. „Du … du bist doch an allem Schuld! Was mussten wir auch hierherfahren? Wegen diesem dämlichen Idioten? Gott, ich komm mir selbst wie der letzte Idiot vor, dass ich mich überhaupt darauf eingelassen habe. Was wolltest du noch mal von dem Kerl?“ Ich brummte vor mich hin. Sein Gemecker nahm einfach kein Ende, während er weiter einen Fuß vor den anderen setzte. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Das Sakko hatte er glücklicherweise im Auto gelassen. Seine Ärmel waren hochgekrempelt und ich bin mir sicher, spätestens nach den ersten hundert Metern hätte er seine Anzughose liebend gern gegen eine Jogginghose eingetauscht. „Ich habe dir gesagt, du hättest nicht mitkommen müssen. Warum bist du überhaupt hier? Ich hätte es auch allein geschafft.“ Und das viel schneller. Wenn Hayato weiter so trödelte und mich aufhielt, verpasste ich Tai am Ende noch. „Man lässt eine junge Frau nicht Mutter Seelen alleine auf einen gottverdammten Berg steigen. Das gehört sich nicht“, entgegnete er mürrisch und ging an mir vorbei. Demonstrativ verzog ich das Gesicht. „Als ob du weißt, was sich gehört.“ Mit zusammengekniffenen Augen sah ich ihm hinterher. „Außerdem bist du lahm wie eine Schnecke. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du so unsportlich bist.“ Aufgebracht fuhr er herum. „Ich bin nicht unsportlich!“ Gekonnt verdrehte ich die Augen und hob abwehrend die Hände in die Höhe. „Ja ja, schon klar, tut mir leid. Aber könntest du dich trotzdem etwas beeilen? Ich möchte vor Sonnenuntergang oben sein.“ „Ich brauch eine Pause“, ignorierte er meine Bitte und steuerte eine Raststätte an, an der wir gerade vorbeikamen und bei der sich einige Leute tummelten. Die Erste, seit wir losgegangen waren. Es gab sogar eine kleine Hütte, die Essen und Trinken anbot. „Hä? Ich habe doch eben gesagt, wir müssen uns beeilen“, protestierte ich, folgte Hayato jedoch, dessen Kräfte bei dem Gedanken an Essen und Trinken anscheinend wiederzukehren schienen. Kurz überlegte ich, ihn einfach zurückzulassen. Er war ohnehin nur Ballast. Aber nachdem er so nett zu mir gewesen und mich hierhergefahren hatte, wollte ich nicht so fies sein. Nicht, dass er sich das mit dem Frieden noch mal anders überlegte. Wiederwillig ging ich hinter ihm her und wir drängten uns durch die vielen Menschen in diese kleine Hütte. An der Bar waren genau noch zwei Plätze frei. Mein Plan war, schnell etwas zu Trinken, vielleicht einen Happen zu essen, denn tatsächlich hatte ich seit meinem Frühstück nichts mehr im Magen gehabt. Und die Schokoriegel, die ich in meinen Rucksack geschmissen hatte, waren längst verbraucht. Danach wollte ich so schnell wie möglich weiter gehen. Ich war mir ziemlich sicher, dass, wenn Tai wirklich hier war, ich ihn nur abfangen konnte, wenn ich es bis zum Sonnenuntergang nach oben schaffte. „Zwei Wasser“, bestellte Hayato am Tresen angekommen, als er sich erschöpft auf den Barhocker niederließ, der mit seinen tiefen Rissen im Lederbezug, eindeutig schon mal bessere Tage gesehen hatte. Das Holz der Theke war zerkratzt und auch so wirkte die ganze Hütte etwas staubig und runtergekommen. Dies schien auch Hayato zu bemerken, der sich dezent angewidert umsah. Und genauso begutachtete er die Gläser Wasser, welche der Kellner vor uns abstellte. „Kann man das trinken oder muss ich mich vorher noch impfen lassen?“, nörgelte er und verzog das Gesicht. Stöhnend griff ich nach meinem Glas. „Trink einfach!“, befahl ich genervt und leerte mein Glas in einem Zug. Das tat gut. Als ich es abstellte, deutete Hayato mit hochgezogener Augenbraue darauf und sah sich wissend um. „Ich bin mir sicher, dass dieses Glas im letzten Jahrzehnt nicht mehr abgewaschen worden ist. Was es zum saubersten Gegenstand in diesem Etablissement macht.“ Mein Kopf sank entkräftet nach vorn und meine Stirn landete auf meinen Armen, die ich auf dem Tresen abgelegt hatte. „Und damit hast du die Jammerquote für heute erreicht. Glückwunsch – du bist offiziell das Allerletzte“, nuschelte ich. „Können wir jetzt gehen?“ „Ja, hier esse ich ganz bestimmt nichts“, sagte Hayato und stand auf. Gut, dann eben kein Essen. Ich kam auch noch etwas ohne aus und immerhin waren wir so schneller oben. „Tut mir leid, euer Gnaden. Ich weiß, Ihr seid Besseres gewohnt“, zog ich ihn auf, woraufhin er nur schnaufte und den Blick gen Decke warf. Draußen angekommen, steuerten wir wieder unseren Weg an. Es war gar nicht mehr so weit, stellte ich erfreut fest. Doch plötzlich blieb ich stehen. Auf ein mal fühlte ich mich wie gelähmt, unfähig weiter zu gehen. Fragend sah Hayato sich nach mir um. „Was ist?“ Schnell versuchte ich meine Gedanken zu ordnen, meine Gefühle beiseite zu schieben. Aber es gelang mir nicht. Der Zweifel packte mich und hielt mich fest. „Was, wenn er nicht da ist?“, fragte ich mehr mich selbst als Hayato. „Was, wenn das hier alles gar keinen Sinn ergibt, ich mich getäuscht habe und Tai gar nicht dort oben ist?“ Das erste Mal dachte ich ernsthaft über diese Möglichkeit nach. Wie wahrscheinlich war es schon, dass er ausgerechnet dort oben auf dem Fuji rum saß und auf den Sonnenuntergang wartete? Ja, war ich denn völlig verrückt geworden? Warum tat ich mir das eigentlich alles an, nur um am Ende bitter enttäuscht zu werden? Um am Ende festzustellen, dass es von Anfang an keine Chance für uns gab? Das wäre noch schlimmer, als jetzt einfach umzudrehen und es zu akzeptieren, dass es das war. Aber all das auf mich zu nehmen, zu hoffen, wo doch letztendlich nichts von der Hoffnung übrig blieb … das würde ich nicht ertragen. Zwei Hände packten mich an den Schultern. „Was redest du denn da für einen Schwachsinn?“, fuhr Hayato mich an und drückte fest zu. „Du willst mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass wir ganz umsonst hierhergekommen sind. Das werde ich so nicht akzeptieren!“ Verblüfft sah ich in Hayatos entschiedenes Gesicht, dass er immer machte, wenn er etwas so verbissen wollte, dass man regelrecht Angst bekam. „Mimi, ich schwöre dir bei Gott … wenn dieser Kerl nicht dort oben ist und auf dich wartet, steige ich diesen Berg hinab, fahre nach Osaka und zerre ihn höchstpersönlich hier hinauf. Aber auf keinen Fall hast du diesen Weg umsonst gemacht, das verspreche ich dir!“ Seine Entschlossenheit faszinierte mich und machte mir Mut. Er hatte recht. Wenn man etwas für den Menschen tut, der einem wirklich wichtig ist, dann ist dies niemals umsonst. Also nickte ich und Hayato grinste. „Du hast recht. Danke.“ „Gut!“, sagte er und zerrte mich weiter. „Ich will diese verdammte Wanderung nämlich endlich hinter mich bringen.“ Ich wurde mit jedem Schritt nervöser, als wir unserem Ziel endlich näherkamen. Nur noch ein paar Meter und wir waren endlich da. Hayato musste meine Nervosität wohl spüren, denn er griff auf einmal meine Hand und drückte sie fest. „Keine Sorge, er ist ganz sicher da“, sagte er zuversichtlich. Ich nickte bestätigend. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren. Wir kamen oben an und ich sah mich direkt suchend nach Tai um. Ich suchte nach seinen unverkennbaren braunen Haaren, quetschte mich an Leuten vorbei und sah alle genau an, damit ich ihn nicht zufällig übersehen konnte. Bis jetzt hatte ich ihn noch nicht finden können, also ging ich zu der Stelle, an der wir vor einiger Zeit gesessen und uns den Sonnenuntergang angesehen hatten. Aber auch dort war keine Spur von ihm. Das Flattern meines Herzens ließ nach. Ein letztes Mal blickte ich mich zu allen Seiten um. Nichts. Er war nicht hier. Das Atmen fiel mir plötzlich schwer und diese drückende Leere setzte sich erneut auf meine Brust. Wie konnte ich nur so naiv sein? Wie hätte es anders sein können? Hatte ich wirklich geglaubt, er hätte sich ausgerechnet heute auf den Weg gemacht, um den Fuji hochzusteigen, sich den Sonnenuntergang anzusehen und auf mich zu warten? Ich kam mir so erbärmlich vor. Mit zitternden Fingern umklammerte ich meine Arme, weil ich irgendetwas brauchte, woran ich mich festhalten konnte. Das hier war schließlich kein romantischer Liebesfilm, wo am Ende immer alles gut wird. Dies hier war unsere Geschichte. Und nun … war sie vorbei. „Alles okay?“, fragte Hayato, der hinter mich getreten war, mit sorgenvoller Stimme. Auch er hatte bereits bemerkt, dass Tai nicht da war. „Ja“, log ich und versuchte mir meine Enttäuschung vor ihm nicht anmerken zu lassen. „Ist schon okay. Ich habe sowieso nicht geglaubt, dass er wirklich hier ist.“ Auch das war gelogen. Ich konnte Hayatos zweifelnden Blick im Rücken spüren. „Kannst du mich kurz allein lassen?“ „Natürlich. Ich warte ein Stück weiter unten, wenn du dann soweit bist ...“ Er wandte sich um und ging. Die Erkenntnis, dass ich ihn verloren hatte, traf mich so hart, dass ich in die Hocke gehen musste. Der Schmerz durchfuhr meinen ganzen Körper und Tränen schossen mir in die Augen, als die Sonne langsam vor mir unterging und alles in ein fabelhaftes Rot tauchte. Während alle um mich herum staunten und die Schönheit des Augenblicks genossen, versuchte ich zu begreifen, dass ich Tai endgültig verloren hatte. Wahrscheinlich war er inzwischen so weit vor mir geflüchtet, dass ich ihn nie wieder sehen würde. Wo auch immer er jetzt war, ich hoffte, er dachte gerade auch ein letztes Mal an mich, so wie ich an ihn. Das Licht verging viel zu schnell und es wurde kühl. Mit dem verschwinden der Sonne brach die Nacht heran. Ich wischte mir eine letzte Träne von der Wange und stand auf. Der Schmerz des Verlusts war immer noch allgegenwärtig, doch ich musste mich endlich umdrehen und es hinter mir lassen. Diesen Berg hinabsteigen und nach Hause fahren. Ohne ihn. Ein letztes Mal ließ ich die Luft tief in meine Lungen, bevor ich meine kaputten Glieder streckte. „Mimi?“ Eine Hand berührte mich an der Schulter. Ich wirbelte herum und sah in zwei mondblaue Augen. „Matt?“ Was zum Teufel …? Völlig verdattert standen wir voreinander und sahen uns ungläubig an. „Was machst du hier?“, fragte Yamato mich, der leibhaftig hier war. Hier oben. Auf dem Fuji. Ich zeigte mit dem Finger auf ihn. „Dasselbe könnte ich dich fragen.“ „Ich? Ich bin …“, begann Yamato zu erklären und warf einen Blick nach hinten, als seine Begleitung ihn lautstark über die ganze Aussichtsplattform beleidigte. „Matt, du dämlicher Vollidiot“, ertönte Tais wütende Stimme. „Wegen dir sind wir zu spät!“ Tai stürmte in Rage auf seinen Freund zu und packte ihn am T-Shirt-Kragen. „So was Lahmes wie dich hat die Welt noch nicht gesehen. Ich brauche eine Pause“, äffte er ihn nach. „Man, ich habe dir doch gesagt, dass ich vor Sonnenuntergang hier oben sein will und was ist nun? Genau, richtig erkannt: tiefschwarze Nacht, du Esel. Vielen Dank auch!“ Yamato lachte auf, während ich nur stocksteif dastand und meinen Augen nicht traute. Er war hier? Er. War. Hier! Tais Mundwinkel wanderten beleidigt nach unten und seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Das findest du wohl sehr komisch“, stellte er mürrisch fest. „Eigentlich finde ich eher komisch, dass du und Mimi dieselbe Idee hattet“, grinste Yamato und trat einen Schritt zur Seite. Erst jetzt erblickte Tai mich, woraufhin sich sein Ärger sofort verflüchtigte. Stattdessen sah er mich wie vom Donner gerührt an. „Mi-Mimi?“ Auch ich brachte kein Wort heraus, konnte nur nicken. „Was … was machst du denn hier?“, fragte Tai und kam auf mich zu. „Ich lass euch mal allein“, sagte Yamato beiläufig und gönnte uns etwas Freiraum. Ich zuckte mit den Schultern und sah unschuldig zu Tai auf. „Ich habe dich gesucht.“ Irritiert blinzelte er. „Auf dem Fuji?“ Ich nickte wieder. Oh mein Gott, dass er wirklich hier war … endlich stand er vor mir und ich hatte die Gelegenheit alles zu erklären und trotzdem blieben mir die Worte im Hals stecken. Stattdessen liefen erneut Tränen über mein Gesicht. „Ich hab dich so vermisst“, brach es aus mir raus und ich fiel ihm um den Hals. Völlig überrumpelt stand Tai da und rührte sich nicht. „Und es tut mir so leid … so, so leid“, weinte ich an seiner Brust. „Es war alles gar nicht so wie du denkst. A-aber … Hayato und ich … wir haben endlich alles geklärt und … Bitte, Tai, du musst mir glauben. Ich wollte das alles nicht, aber es war meine Schuld. Ich hätte mit dir offen reden sollen und dich …“ „Mimi? Mimi, hol mal Luft“, unterbrach mich Tai und drückte mich sanft von sich, um mich liebevoll anzusehen. „Denkst du, das weiß ich nicht?“ Ich schniefte. „Was?“ Ein Grinsen umspielte seine Lippen. „Ich war zwar gestern ziemlich betrunken und habe Sachen gesagt, die … na ja, du weißt schon. Aber ich bin nicht blöd, Mimi. Ich wusste von Anfang an, dass da was faul ist und du mir was verheimlichst. Du hättest mich niemals einfach so verlassen.“ Meine Schultern sackten hinab. Und der Knoten, der sich um mein Herz gelegt und es zugeschnürt hatte, lockerte sich etwas. „Wirklich?“ Tai lächelte. „Wirklich.“ „Oh, man“, stieß ich die Luft aus und lehnte meine Stirn gegen seine Brust, während ich mich in sein Hemd krallte. Dabei stieg mir sein unvergleichlicher Duft in die Nase, welcher instinktiv ein tiefes Gefühl von Geborgenheit in mir auslöste. Eine große Last schien von mir abzufallen. „Und ich dachte schon, ich hätte dich für immer verloren. Dass du uns beide aufgegeben hättest.“ Tai hob mein Kinn an und sah mir tief in die Augen. „Ich würde uns niemals einfach so aufgeben.“ Das Herz, welches vorher zerbrochen war, setzte sich Stück für Stück wieder zusammen und erwärmte sich. Die ganzen Sorgen, die ich mir gemacht hatte … dass er für immer aus meinem Leben verschwinden könnte … waren völlig umsonst gewesen. Ich hätte mehr Vertrauen in ihn haben sollen – so wie er in mich. „Aber was ist mit Osaka?“, fiel mir plötzlich wieder ein. „Kari sagte, du wärst morgen schon dort und würdest nicht mehr zurück kommen.“ Tai kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Jaah, das ging alles etwas schnell, ich weiß. Aber ich wollte es dir sagen. Spätestens morgen hätte ich dich angerufen. Ich wäre in das Haus von diesem Schnösel spaziert, hätte deine verdammten Koffer gepackt und hätte Hope und dich mit gezogen. Ob es euch gepasst hätte oder nicht.“ Sein Grinsen wurde immer breiter und ich musste lachen. „Natürlich“, boxte ich ihm gegen den Oberarm. „Gib doch einfach zu, dass du dich nie wieder bei mir gemeldet hättest“, scherzte ich und streckte ihm die Zunge raus. Tai lachte. „So ist das nicht. Ich wollte wirklich nach Osaka gehen – mit euch beiden. Aber vorher musste ich noch was ganz anderes gerade biegen“, sagte er plötzlich einen Ticken ernster und deutete hinter sich. Ein paar Meter von uns entfernt stand Yamato und scrollte über sein Smartphone. Erwartungsvoll blickte ich zu Tai auf. „Heißt das, ihr habt euch endlich ausgesprochen?“ Tai verdrehte die Augen und vergrub die Hände in den Hosentaschen als wäre es ihm peinlich. „Männer sprechen sich nicht aus, Mimi. Sie trinken ein Bier zusammen und machen solange Witze, bis alles wieder normal ist. In unserem Fall war es eher: er hat sich gestern Abend um mich gekümmert, als ich total neben der Spur war und zum Dank, hab ich ihm heute diesen Ausflug spendiert. Also, wenn du es so willst – ja, okay, wir haben uns ausgesprochen.“ Mein Herz machte einen Hüpfer. „Das sind tolle Neuigkeiten, Tai.“ Tai nickte. „Jetzt zu deinen Neuigkeiten. Ich denke, du hast mir einiges zu erklären.“ Betreten sah ich zu Boden. Das stimmte. Ich hatte wirklich so einiges wieder gerade zu biegen. Wir setzten uns an unseren Platz und redeten. Ich erzählte ihm alles, was geschehen war. Tai hörte zunächst einfach nur zu und ließ mich reden, wofür ich sehr dankbar war. Dabei verzog er keine Miene, was mich irgendwie verunsicherte. „Und letztendlich hat das alles dazu geführt, dass wir uns versöhnt haben, auch Hope zuliebe“, endete ich und blickte erwartungsvoll zu Tai hinauf. Dieser zog eine Augenbraue in die Höhe. „Und du glaubst ihm? Dass er uns zukünftig in Ruhe lassen und sich nicht mehr einmischen wird?“ Natürlich hatte er allen Grund misstrauisch zu sein. Hayato hatte uns mehr als nur Probleme bereitet. Er hätte fast alles zerstört, was wir uns während der letzten Monate so hart erkämpft hatten. „Ja, ich glaube ihm“, sagte ich entschlossen. Tai legte eine ernste Miene auf, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ den Blick in die Ferne schweifen. „Ich weiß nicht, Mimi“, sagte er zweifelnd. „Hayato hat uns bis jetzt nichts als Ärger bereitet. Wieso sollte er sich plötzlich ändern wollen?“ „Hättest du gesehen, was ich gesehen habe … die Sache mit seinem Vater hat irgendwas in ihm bewegt. So was geht nicht spurlos an einem vorbei.“ Ich griff nach Tais Hand und drückte sie fest. „Ich glaube, jeder Mensch kann sich ändern. Auch Hayato. Im Grunde ist auch er nur das Produkt seiner Vergangenheit. Ich weiß, was Familie mit einem machen kann. Sie kann dich entweder unterstützen oder dir das Herz brechen. Ich habe das selbst erlebt und ich weiß, was es mit einem macht. Ich habe den Wunsch es einmal besser zu machen – für Hope. Und den hat Hayato auch. Da bin ich mir sicher.“ Ich biss mir auf die Unterlippe und hoffte inständig, dass Tai mir Vertrauen schenkte. Es wäre nur verständlich, wenn er es nicht täte und auch Hayato keinen Zentimeter mehr über den Weg trauen würde. Im Grunde hatten wir bis jetzt nur all seine schlechten Facetten zu Gesicht bekommen. Aber ich glaubte daran, was ich eben zu Tai gesagt hatte. Tai sah mich immer noch ernst an. Dann hellte sich seine Miene auf und der Anflug eines Lächelns umspielte seine Lippen. „Du bist eindeutig zu gutmütig, weißt du das?“ Ich grinste. „Deswegen liebst du mich doch, oder?“ Tai nickte, griff nach meiner Hand und führte sie an seine Lippen. „Das tue ich“, sagte er und hauchte einen Kuss auf meinen Handrücken. „Und ich vertraue dir. Er hat sich zwar nicht gerade mit Ruhm bekleckert … aber du hast recht. Jeder kann sich ändern. Und jeder hat eine zweite Chance verdient, nicht wahr? Das wissen wir beide besser als sonst jemand.“ Sein Blick flog erneut in Yamatos Richtung, der immer noch geduldig einige Meter entfernt auf uns wartete. Erleichterung machte sich in mir breit. „Ich danke dir“, flüsterte ich und fiel ihm um den Hals. „Für dein Vertrauen. Und auch sonst für alles. Manchmal denke ich, ich habe dich gar nicht verdient.“ Sanft schob Tai mich von sich und umfasste mein Gesicht mit seinen Händen. „Doch, das hast du. Wir haben UNS verdient.“ Dann küsste er mich. Seine Lippen endlich wieder auf meinen zu spüren, fühlte sich unglaublich gut an. So befreiend. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn dieser Moment niemals geendet hätte. „Schade, dass wir nicht für ewig hier oben sitzen können“, sprach Tai meine Gedanken laut aus, als wir uns voneinander lösten. „Wir sollten langsam wieder umdrehen. Es wird ziemlich dunkel. Und kalt.“ Ich lächelte zufrieden und ließ mich von Tai auf die Beine ziehen. Wie auf Kommando tauchte Yamato vor uns auf. „Habt ihr’s endlich?“, fragte er genervt. „Ich bin echt nicht den weiten Weg hier hochgestiegen, um euch beim Knutschen zuzusehen.“ Tai zog mich an der Taille noch enger an sich und baute sich wie ein stolzer Gockel vor seinem besten Freund auf. „Du bist doch nur neidisch“, grinste er breit und streckte ihm die Zunge raus. „Pfft, ja klar“, kommentierte Yamato gespielt beleidigt. „Ich hatte bereits das Vergnügen, falls du dich erinnerst.“ Er warf einen kurzen Blick zu mir und grinste frech, was Tai jedoch ganz und gar nicht lustig fand. „Hey, vorsichtig, ja?“, entgegnete er leicht gereizt und machte einen Schritt nach vorn als müsste er mich vor irgendetwas beschützen. Yamato hob beschwichtigend die Hände in die Höhe und lachte unsicher. „Sorry. Zu früh?“ Tai verengte die Augen zu Schlitzen. „Definitiv zu früh. Mach solche Witze in zehn Jahren noch mal, vielleicht lache ich dann darüber.“ Ich konnte nicht anders und prustete los. Auch wenn Tai im Moment noch so tat, als wäre er wütend auf Yamato, so waren es doch genau diese kleinen Neckereien, die den beiden gefehlt hatten. Und auch wenn sie es selbst noch nicht sahen – es war längst wieder alles beim Alten. Mit einigen wenigen anderen, die um die Uhrzeit noch hier waren, machten wir uns auf den Weg nach unten. Wir sprachen über alles Mögliche … über Tais und meine Zukunft, dass wir zusammen nach Osaka ziehen wollten, über Yamato und seine Zukunftspläne mit seiner Band und sogar über Takeru und Kari. Von Yamato erfuhr ich einige spannende Neuigkeiten, die mir aufgrund der letzten turbulenten Tage glatt entgangen waren.. „Wirklich?“, grinste ich bis über beide Ohren. „Die beiden nähern sich also langsam wieder an, ja?“ Yamato nickte bestätigend. „Jaah, sie unternehmen gerade wirklich viel miteinander. Takeru ist längst über seine Freundin hinweg und ich glaube, so langsam fängt auch er an, Kari in einem anderen Licht zu sehen. Eben nicht nur als beste Freundin oder Schulkameradin.“ Meine Augen leuchteten vor Freude auf und mein Herz machte einen Hüpfer, während Tai nur mürrisch zur Seite sah. „Hey, das ist immer noch meine kleine Schwester, über die du da sprichst.“ „Glaub mir, Tai. Deine kleine Schwester ist gar nicht mehr so klein. Auch wenn du das nicht wahrhaben willst. T.K. hat mir da so einiges erzählt …“ Yamatos Grinsen war unverkennbar und es war nur all zu deutlich, dass er Tai ärgern wollte, der natürlich sofort darauf ansprang. „WAAAS?“, rief Tai völlig entsetzt und ich lachte laut auf, als sich urplötzlich eine dunkle Gestalt vor mich schob und ich ins Straucheln geriet. „Ha-Hayato?“ Fast wäre ich in ihn hineingelaufen. Mit verschränkten Armen baute er sich vor mir auf. „Sag mal, wolltest du da oben übernachten?“ Er war definitiv nicht erfreut. Wie lange hatte er inzwischen auf mich gewartet …? Ich sollte ihm wohl lieber nicht sagen, dass ich völlig vergessen hatte, dass er noch da war. Verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf. „Oh, ähm … tut mir leid, dass es so lang gedauert hat.“ Die irritierten Blicke von Tai und Yamato entgingen mir nicht, wobei bei Tai eindeutig noch etwas anderes mitschwang. „Was macht der hier?“, wollte er wissen und nahm Hayato prüfend unter die Lupe. Huch, da hatte ich doch vor lauter Reden ganz vergessen, zu erwähnen, dass Hayato mich hierher begleitet hatte. „Sei mal nicht so unfreundlich“, blaffte dieser gereizt zurück. „Nach der Aktion gestern Abend in meinem Garten, wäre ich mal ganz still, sonst …“ Gott! Konnten die beiden es denn einfach nicht gut sein lassen? „Schluss jetzt“, fuhr ich dazwischen. „Hat das denn nie ein Ende? Ich dachte, wir hätten das geklärt.“ Doch offenbar verstand ich da was miss. Hayato und ich hatten das geklärt. Tai und ich hatten das geklärt. Aber Hayato und Tai? Die wurden wohl so schnell keine Freunde. Seufzend stieß ich die Luft aus, während die beiden sich nur anfunkelten. Na ja, ein Schritt nach dem anderen. Was hatte ich auch erwartet? Dass sie sich um den Hals fielen und sich Freundschaftsarmbänder häkelten? Wohl kaum. „Ist das dieser Hayato?“, fragte Yamato nun auch noch streitlustig. „Ich verpass dir so eine, dass du gestern Abend vergisst, Freundchen.“ Er krempelte bereits seine Ärmel hoch und machte einen Schritt nach vorn, woraufhin Tai und ich hochfuhren. „Nein!“, riefen wir wie aus einem Munde. „Hä? Aber wieso denn nicht?“, entgegnete Yamato, als wir beide vor ihn sprangen, um ihn aufzuhalten. „Ich dachte, das ist der Kerl, der euch die ganze Zeit Ärger bereitet.“ „Was für eine nette Beschreibung meiner Person“, kommentierte Hayato hinter uns, woraufhin Tai zischte. „Ja, also nein … schon irgendwie, ja. Das ist er. Aber das ist alles etwas komplizierter“, sagte Tai. „Wir haben das Kriegsbeil begraben und wollen uns zukünftig vertragen. Ist doch so, oder Tai?“ Ich grinste unsicher in seine Richtung. Tai verzog die Mundwinkel nach unten. „Jaah, kann schon sein“, brummte er bissig. Yamato verstand gar nichts mehr. Ungläubig sah er uns an. „Ihr beide habt sie nicht mehr alle, wisst ihr das?“ „Oh, man“, kam es von hinten. Ich wandte mich zu Hayato um, der sich leicht beschämt am Kinn kratzte. „Da hab ich ja ein ganz schönes Chaos angerichtet.“ Tai sackte in sich zusammen. „Auch schon bemerkt, ja?“ Ich sah zwischen den beiden hin und her. Tai – völlig genervt von der Situation. Und Hayato – verlegen grinsend – so ganz untypisch. Ich konnte nicht anders und lachte. Dieses Szenario war doch einfach nur bescheuert. All der Ärger, nur um am Ende hier zu landen? Wir alle zusammen, streitend auf dem Fuji? Yamato zog eine Augenbraue nach oben und musterte mich zweifelnd. „Was ist denn jetzt los?“, sagte er, während ich mir den Bauch vor Lachen hielt und mir Tränen in die Augen stiegen. Leider verstand keiner der anderen, warum ich über diese ganz offensichtlich lächerliche Situation lachen musste. Hayato verzog das Gesicht. „Das muss man nicht verstehen. Sag Bescheid, wenn du fertig bist. Ich warte solange unten.“ Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und ging schon mal weiter bergab. „Ähm, Mimi?“, warf Tai ein. „Geht’s dir nicht gut?“ Mein Bauch tat inzwischen weh und ich rang nach Luft. „Keine Sorge“, entgegnete ich keuchend und versuchte zwanghaft, mich wieder einzukriegen. „Es ging mir nie besser.“ Und das war nicht gelogen. Tai passte es zwar nicht, aber den Rückweg fuhr ich mit Hayato gemeinsam. Ich hatte noch einiges mit ihm zu besprechen, wegen Hope und ich wollte, dass Yamato und Tai noch ein wenig ungestört reden konnten. Schließlich war dies für sie auch vorerst der letzte gemeinsame Tag gewesen. Wer weiß, wann sie sich das nächste Mal sehen würden. Osaka war nicht gerade ein Katzensprung und Tai würde vorerst voll mit seinem Studium beschäftigt sein, während Matt mit seinen Bandkollegen auf Tour ging, wie er uns vorhin erzählt hatte. „Und du bist sicher, dass ich dich hier absetzen soll?“, fragte Hayato noch ein mal nach, als wir zurück in Tokyo waren und wir vor einem großen Wohnkomplex halt machten. „Ja, danke“, sagte ich und schnallte mich ab. „Kein Problem.“ „Bis bald, Hayato“, verabschiedete ich mich und wollte aussteigen. „Mimi?“ „Mmh?“ Ich wandte mich um. Hayato lächelte zufrieden. Ein äußerst seltener Anblick, an den ich mich erst noch gewöhnen musste. „Danke, dass du mir eine zweite Chance gibst. Ich weiß, ich hätte es eigentlich nicht verdient … Aber ich verspreche dir, dass ich immer für Hope da sein werde. Und für dich auch.“ Ich lächelte zurück, auch wenn ich immer noch nicht glauben konnte, diese Worte tatsächlich aus seinem Mund zu hören. „Das wäre schön. Vielleicht können wir alle irgendwann so etwas wie eine Familie füreinander sein.“ Ich sah, wie Hayatos Augen aufblitzten. Er hätte es nie zugegeben, doch auch ihm gefiel diese Vorstellung von der Zukunft. Ich versprach, ihm zu mailen, sobald wir in Osaka angekommen waren und stieg aus. Er fuhr vom Parkplatz. Das, was ich noch zu erledigen hatte, musste ich alleine tun. Ich betrachtete noch ein mal das Handy in meiner Hand. In den letzten Tagen war so viel passiert. Endlich konnte ich mit einigem abschließen und mich ganz auf die Zukunft mit Tai konzentrieren. Allerdings gab es da noch eine Sache, die mir immer noch nach hing und die mich bis nach Osaka verfolgen würde, wenn ich sie nicht endlich klärte. Ich ging in das Gebäude und fuhr mit dem Aufzug nach oben. Wenige Minuten später stand ich vor ihrer Tür und scheute mich davor, zu klingeln. Ich war diesem Gespräch so lange aus dem Weg gegangen und je länger man etwas hinauszögert, umso schwieriger wird es. Meine Fingerspitzen kribbelten, als ich endlich den Knopf drückte. Es dauerte eine Weile, bis sie öffnete. Mit müden und zugleich verblüfften Augen sah sie mich durch einen Spalt in der Tür an, ehe sie sie ganz öffnete und einen Schritt raus trat. „Mimi? Was machst du hier?“, fragte Sora. „Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?“ Sie zog den Morgenmantel, den sie sich übergezogen hatte noch enger. „Ich weiß, tut mir leid“, sagte ich, denn es war wirklich schon ziemlich spät. Die Fahrt vom Fuji zurück hatte lang gedauert. „Ich hoffe, ich habe deine Mutter nicht aufgeweckt.“ Sora schüttelte den Kopf. „Die ist gar nicht da. Geschäftsreise“, erklärte sie kurz und sah mich immer noch unwissend an. Es war komisch, ihr wieder gegenüber zu stehen. Es fühlte sich vertraut an. Und doch so fremd. „Hier, das wollte ich dir wieder geben.“ Ich reichte ihr das Handy. „Hayato hat es … na ja sagen wir ‚gefunden‘, als wir damals vor diesem Club standen. Es war nicht richtig, dass er es so lang behalten hat und ich dachte, du solltest es wieder haben.“ Sora begutachtete das Handy, als müsste sie erst ein mal eins und eins zusammenzählen. „Tut mir leid, dass ich um diese Uhrzeit noch bei dir auftauche, aber morgen hätte ich keine Gelegenheit mehr dazu gehabt.“ „Danke, aber du hättest es doch einfach in den Briefkasten werfen können“, entgegnete Sora irritiert. „Ja“, sagte ich und vergrub meine Hände in den Taschen meiner Jacke. Jetzt kam der unangenehme Teil – der, wovor ich am meisten Angst hatte. „Ich bin nicht nur wegen des Handys hier.“ „Weswegen denn dann?“ Ein Funken Hoffnung blitzte in ihren Augen auf. Komm schon, Mimi. Schnell wie ein Pflaster, einfach abreißen. Sag es endlich. „Ich werde mit Tai nach Osaka gehen. Unser Flug geht schon morgen.“ Enttäuschung. Eindeutig hatte sie mit etwas anderem gerechnet. Doch sie fing sich erstaunlich schnell wieder und lächelte mich aufrichtig an. „Das ist toll. Ich gönne es euch beiden.“ Es hörte sich ehrlich an, so dass mir die nächsten Worte nicht ganz so schwer fielen. „Eigentlich bin ich hergekommen, um dir zu sagen, dass ich dir vergebe.“ Sora blinzelte verwirrt. „Ich vergebe dir, Sora. Alles!“, wiederholte ich und atmete danach kaum hörbar aus. „Was meinst du damit?“, hakte Sora stutzig nach und legte den Kopf schief. Ich holte noch ein Mal tief Luft und zwang mich, in ihre Augen zu sehen. „Ich meine damit, dass es mir um unsere Freundschaft leid tut, wirklich! Aber ich kann das nicht mehr … was zwischen uns Dreien passiert ist, hat mich die ganze Zeit nicht losgelassen und wahrscheinlich habe ich mich davor gescheut, es endlich laut auszusprechen. Aber es wird nie mehr so werden wie früher – egal, wie sehr ich es mir wünsche. Deswegen ist das Einzige, was ich jetzt noch tun kann, dir zu vergeben und von vorn anzufangen. Wir müssen endlich unseren Frieden damit machen, Sora.“ Eine Weile standen wir schweigend da, in denen jeder von uns verarbeiten musste, dass ich gerade den Schlussstrich gezogen hatte. Ich konnte nicht unterdrücken, dass eine einzelne leise Träne über meine Wange rollte, die ich eilig wegwischte. „Nun sag doch endlich was“, meinte ich ungeduldig und verschränkte fröstelnd die Arme vor der Brust. Sora sah mich einfach nur an. Dann lächelte sie tatsächlich. „Ich wünsche dir alles Gute, Mimi.“ Der letzte, seidene Faden, der mich noch an diese Freundschaft band, riss endgültig und befreite mich von der alten Last. Endlich konnte ich gehen, ohne zurückzublicken. „Danke. Das wünsche ich dir auch“, erwiderte ich lächelnd, wandte mich um und ging. Es fühlte sich an, als hätte ich die ganze Zeit über immer wieder dieselbe Seite in einem Buch gelesen und konnte nun endlich umblättern. Das Kapitel war beendet. Und ein Neues konnte beginnen. Zum ersten Mal fühlte es sich an als würde endlich alles gut werden … „Wie fühlst du dich?“, fragte Tai und zog mich noch enger in seine starken Arme. Ich kuschelte mich an ihn und genoss die Wärme seiner nackten Haut. Es war mitten in der Nacht. Wir lagen im Bett, doch an Schlaf war nicht zu denken. Ich warf einen Blick auf die gepackten Koffer, die bereits fix und fertig in der anderen Ecke des Zimmers standen. „Erleichtert“, gab ich seufzend zu und schloss die Augen. „Wir haben es geschafft. Morgen können wir endlich alles hinter uns lassen. Wir können neu anfangen.“ Tai drückte mich sanft von sich, zurück in die Kissen. Er beugte sich über mich und berührte meine Wange. Sein intensiver Blick traf mich und entflammte meine Liebe zu ihm erneut. Immer und immer wieder … „Ich liebe es, wenn du das sagst.“ „Was denn?“, lächelte ich und legte meine Arme um seinen Hals. Er grinste. „Wenn du wir sagst.“ Dann küsste er mich sanft. „Versprich mir, dass es immer ein wir geben wird.“ Mein Herz weitete sich so sehr, dass ich nicht fassen konnte, wie viel Liebe durch Tai darin wohnte. Er war alles was ich je wollte. Ich wusste, ich würde ihn für immer lieben. Ich lächelte in den Kuss hinein. „Es wird immer ein wir geben!“, versprach ich ihm an diesem Abend und an jedem Weiteren, für den Rest meines Lebens. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)