Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 98: Turn 89 - Eyes Of Tomorrow -------------------------------------- Turn 89 – Eyes Of Tomorrow     Prasselnder Regen. Der Himmel war so grau, dass es schwer vorstellbar war, jemals wieder die Sonne dahinter zu erblicken. Die Tropfen fielen und zerschellten an dem schlichten, weißen Grabstein, der einer von vielen in einer langen Reihe war. Das Gras unter den Füßen derjenigen Person, die in einem schwarzen Sweater mit über gezogener Kapuze vor diesem Grab stand, war bereits etwas höher gewachsen als vorgeschrieben. Die ganz in dieser einen Farbe gekleidete Gestalt bückte sich und legte eine einzelne Rose auf das Grab, das schon vor Blumensträußen nur so strotzte. Sie stapelten sich, verdeckten das Geburts- wie Sterbedatum. Selbst den Vornamen konnte man nicht lesen. „Bist du bereit?“, fragte ein Mann hinter der Person, der unter einer stämmigen Eiche Schutz gesucht hatte. Wirklich nötig hatte der recht große, brünette Mann das nicht, denn er hielt einen Regenschirm in der Hand. Seine Züge waren weich, schon von den ersten Krähenfüßen an den braunen Augen gezeichnet. Der Dreitagebart stand ihm gut zu Gesicht, passte er doch zu dem zu leichten Spitzen hochgegelten Haar. Niemand hatte diesen Mann jemals zuvor in Livington gesehen.   Die Person am Grab neigte ihren Kopf in seine Richtung. Die Rose, die sie auf das Grab gelegt hatte, war von einem derart kräftigen Dunkelrot, dass auch sie fast schwarz erschien. Ein Nicken brachte dann endlich die Antwort, auf die der Mann gewartet hatte. „Der wahre Kampf hat leider erst begonnen. Komm, du solltest nicht noch länger so ungeschützt im Regen stehen.“ Erhobenen Regenschirms näherte er sich der Gestalt, die ein letztes Mal auf das Grab blickte, ehe sie an ihm vorbei schritt. Seufzend folgte der besorgt dreinblickende Begleiter. Gemeinsam ließen sie das Grab zurück, von dem der aufmerksame Beobachter dank der diversen Blumensträuße nur ein Wort lesen konnte, welches auf den nicht zu sehenden Vornamen folgte: 'Bauer'.   ~-~-~   Etwa anderthalb Monate zuvor …   Der kalte Windstoß sorgte dafür, dass ihr pechschwarzes Haar unruhig umher flatterte. Unter den grellen Strahlen der aufgehenden Sonne standen sie sich gegenüber. Aufrecht stand das Mädchen auf der gläsernen, senkrechten Fassade. Gegenüber befand sich eine weitere Fläche aus Glas. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah zum anderen Hochhaus herüber, wo ihr Widersacher stand. Die Welt drehte sich für sie, unter ihr plötzlich eine Straße, derer sie sich erst jetzt gewahr wurde. Von ihrem linken Auge begann eine blaue Flamme auszugehen, deren Länge der ihres an der Seite zusammengebundenen Zopfes um Nichts nachstand. Stumm starrte sie nach oben, dann ließ sie den Apparat an ihrem Arm ausklappen.   Manchmal träume ich von Dingen, die geschehen sind oder noch geschehen werden. Diese Gabe, wie ich sie nenne, habe ich schon, seit ich ein kleines Mädchen war.   Eine Explosion erschütterte das Gebäude, weit über der jungen Frau, die aufrecht auf den Fenstern des Hochhauses stand. Riesige Scherben und Trümmer fielen auf sie herab, verfehlten sie jedoch wie auf magische Art und Weise.   Ich kann nicht kontrollieren was ich sehe. Es passiert einfach. Hin und wieder sogar mitten am Tag, wenn ich unterwegs bin.   Sie schwang den Arm aus. Ihr Feind, der auf der anderen Seite der Straße, die sie beide trennte, auf der Oberfläche des anderen Bürogebäudes stand, brach ein. Um ihn herum zerplatzten die Scheiben regelrecht. Doch er sprang rechtzeitig rückwärts und landete auf den Stahlträgern der Außenfassade, die weitestgehend unbeschädigt waren.   Meine Visionen sind manchmal einfach nur Bilder in schneller Abfolge, deren Sinn ich oft nicht verstehe. Allerdings passiert es auch, dass ich durch die Augen eines anderen sehe. Dann ist es wie ein Film.   In weiter Ferne erfolgte eine gewaltige Explosion. Die Druckwelle zerfetzte die letzten Fenster und riss die beiden Kontrahenten mit sich. Riss alles mit sich.   Doch dieses Mal erlebe ich nicht das, was anderen widerfährt. Dieses Mal sehe ich meine eigene Zukunft. Und wie ich das Ende der Welt verursacht habe …   Das schwarzhaarige Mädchen fiel kopfüber in eine endlose, schwarze Tiefe. Die blaue Flamme an ihrem linken Auge löste sich auf, weil es seine blutroten Augen schloss.   … andererseits passiert das mindestens drei, vier Mal im Jahr, dass jemand eine große Katastrophe auslöst. Und dann kommt jemand anderes und verhindert das Schlimmste. Ich weiß es, denn ich habe es gesehen.   ~-~-~   Stöhnend wischte sich Velvet Thorne den Schlaf aus den braunen Augen. Sie saß aufrecht, in einem rosafarbenem Pyjama steckend, auf ihrem Bett. Beiläufig tastete sie mit der anderen Hand nach ihrer Brille, die auf dem Nachttisch neben ihr lag. Was war das, fragte sich das sechzehnjährige Mädchen mit dem langen, schwarzen Haar, das zerzauster nicht hätte sein können. Dieser Traum, den sie da hatte … „Okay“, rief sie mit einem Male entschlossen aus und klatschte sich mit beiden Händen gegen die Wangen. Nur um dann jämmerlich zu wimmern. „Velvet! Frühstück!“, drang in dem Moment die Stimme ihrer Mutter Sheila Thorne hinter der Tür zu ihrer Linken freundlich zu dem Mädchen. „Ich komme, Mum!“, strahlte jenes und schwang sich beherzt aus dem Bett. Doch als sie erst stand, wurde ihr ganz mulmig zumute. Sie torkelte vorwärts auf ihren weißen Kleiderschrank zu und stützte sich an ihm ab. Unangenehmes Kribbeln stieg in ihr auf. Der Schwindel war nur von kurzer Dauer, doch eines wusste Velvet nun – was sie da im Traum gesehen hatte war nicht die Spinnerei eines hyperaktiven Gehirns. Es war eine Vision gewesen. Die zur Realität wurde, wenn niemand etwas unternahm.   Entsprechend blass stand sie wenige Minuten später vor dem Waschbecken des Badezimmers der Familie Thorne. Ihre Brille saß mittlerweile perfekt auf der Nase, das schwarze Haar war gekämmt und an der rechten Seite zu einem langen Pferdeschwanz gebunden. Velvet hatte sich für schwarze Leggins und ein weiß-violettes Oberteil mit Blumenmuster entschieden, dessen Ende wie ein Rock anmutete. Sie drehte sich um und schritt aus dem weißen Badezimmer, gelangte in einen hellen Gang, dessen Ende sie folgte, um dann nach links in die Küche abzubiegen. Der Rest ihrer Familie saß bereits am langen Esstisch. An der Spitze ihr Vater, der bereits seine Zeitung aufgeklappt hatte und komplett in ihr versunken schien. Dagegen stand ihre Mutter Sheila zu ihrer Rechten am Herd und bereitete Spiegeleier zu. Auch ihr Haar war schwarz, wenn auch sehr kurz, was sie eine burschikose Note verlieh. Und dann war da noch ihr zwölfjähriger Bruder Axel, der zwar am Tisch saß, aber lieber mit seinem Smartphone spielte, als dem Rest seiner Familie Aufmerksamkeit zu schenken. Auch sein Haar war rabenschwarz, zu kleinen Spitzen hochgegelt.   Alles wie immer, stellte Velvet beklommen fest und setzte sich an die andere Seite des Tisches. „Guten Morgen“, murmelte sie den anderen zu und bekam zumindest von ihren Eltern entsprechende Reaktion. Axel nahm sie gar nicht wahr. Dafür aber Sammy, der laut bellte und sofort in die Küche gerannt kam. Der inzwischen sechsjährige Golden Retriever wedelte mit dem Schwanz und schmuste sich immer wieder an das Mädchen. „Raus mit dir“, kichert sie, da der Hund jetzt eigentlich nichts hier verloren hatte. „Los“, zischte Axel genervt, als Sammy ihm zu nahe kam und trat sofort nach jenem. Enttäuscht zog der Hund wieder von dannen. Und der jüngste Spross der Familie Thorne bekam postwendend einen Tritt zurück. Seine Schwester sagte dazu: „Du sollst ihn nicht treten!“ „Hmpf!“ „Schluss jetzt“, donnerte ihr Vater und blätterte dabei die Zeitung um. Gleichzeitig kam seine Frau mit den Spiegeleiern in der Pfanne an den Tisch und füllte jedem eines auf. Dabei erklärte sie: „Kinder, ihr wisst doch, dass der Sonntag der einzige Tag der Woche ist, an dem wir alle zusammen sind. Also benehmt euch, wenigstens ein paar Minuten. Und pack das Ding weg, Axel!“ Mürrisch legte der Teenager das Smartphone beiseite und funkelte seine ältere Schwester von der Seite an, die beschämt wegsah.   Während die Vier stillschweigend mit dem Frühstück begannen, riefen sich ungebeten die Bilder ihres Traums in Velvets Gedächtnis zurück. Es war nicht die erste Vision dieser Art gewesen, die sie gesehen hatte. Und immer wenn sie kamen, konnte sie sich danach kaum auf den Beinen halten. Letztes Jahr um diese Zeit hatte sie gesehen, wie ein riesiger Turm in einer Stadt namens Livington erschienen war. Aus dessen Spitze drang eine unsagbare Finsternis die die Welt verschlang. Tatsächlich war jener Turm eines Nachts scheinbar wie aus dem Nichts aus dem Boden geschossen, doch die Zukunft, die sie gesehen hatte, wurde geändert. Sie erinnerte sich noch genau an ein blondes Mädchen, das auf einem Thron gesessen hatte, hinter ihr so etwas wie ein kristallenes Tor, aus dem die Dunkelheit kam. Allein beim Gedanken daran bekam sie eine Gänsehaut. Dabei schlürfte sie so laut aus ihrem Glas Orangensaft, dass ihre Mutter sie mit dem Ellbogen stupste. „Entschuldigung“, nuschelte das Mädchen und setzte das Glas sofort wieder ab. Vor fünf Monaten hatte sie dann einen Mann gesehen, zumindest dessen Rückseite, der gegen eine ganze Horde von Dämonen gekämpft und verloren hatte. Eine ganze Stadt wurde dabei ausgelöscht, zumindest in ihrer ersten Vision der Geschehnisse. In der zweiten hatte er seine Feinde dann überlistet, ganz als ob er gewusst hätte, was geschehen würde. Velvet kniff die Augen fest zusammen. Wenn sie daran zurückdachte, dass sie diese Visionen bereits seit Jahren hatte, manche mehrmals mit kleinen und größeren Änderungen in ihrem Ablauf, dann fühlte sie sich gleich wieder wie eine Außenseiterin. Keiner in ihrer Familie wusste davon. Sie würden ihr doch nie glauben, dass es Dämonen gab, übernatürliche Phänomene und Menschen, die für das Gute wie auch für das Böse kämpften. Sie selbst glaubte ja kaum daran. In all den Jahren hatte Velvet gelernt, ihre ungewöhnliche Fähigkeit zumindest teilweise zu verstehen. Die Visionen, die sie nur einmal hatte, würden genau so eintreten, wie sie sie gesehen hatte. Dagegen handelte es sich bei denen, die sie mehrfach sah, um Dinge, die noch verändert werden konnten. Oder wurden. So war es immer die letzte gewesen, die sich bewahrheitet hatte, zumindest vermutete sie das. Auch die Vision vom Turm in Livington hatte sie mehrmals gehabt. Und in der letzten Variante hatte das blonde Mädchen sich von ihrem Kristallthron erhoben. Der Turm war explodiert, bevor die Dunkelheit aus ihm dringen konnte.   „Stimmt etwas nicht?“, fragte Sheila ihre Tochter mit einem Mal besorgt. „Du isst gar nichts.“ Sofort schnappte sich Velvet Gabel und Messer und stürzte sich strahlend auf das noch unangetastete Spiegelei vor sich. „N-nein, alles in Ordnung.“ „Du bist eine schlechte Lügnerin“, schalt ihre Mutter sie trocken. Resignierend gestand die Schwarzhaarige: „Ich hatte einen Albtraum. Aber jetzt ist alles gut.“   Wie konnte sie ihrer Mutter auch sagen, dass sich dieser 'Traum' von den vorherigen in einem ganz wichtigen Detail unterschied? Denn bisher war sie niemals selbst Teil einer ihrer Visionen gewesen. Sie hatte immer andere Menschen gesehen. Aber dieses Mal war sie nicht nur selbst Teil davon gewesen, sie spielte eine aktive Rolle darin. Und allein der Gedanke daran jagte ihr eine Heidenangst ein.   ~-~-~   Um sich abzulenken nutzte Velvet den Vormittag dazu, ihr Zimmer aufzuräumen und sauber zu machen. Was bedeutete, dass sie eigentlich nicht viel zu tun hatte, da sie es sowieso beinahe jeden Tag auf Vordermann brachte. Aber eine kleine Tour mit dem Staubsauger ging immer, sagte sie sich, und schob ihn über den Teppich. Dabei dröhnte im Hintergrund ihr Radio. Und als ihr aktuelles Lieblingslied eines populären Teenie-Sängers anstimmte, konnte sie trotz – oder gerade wegen – des Staubsaugerlärms nicht mehr an sich halten und begann mehr schlecht als recht mitzusingen. Und obwohl sie wie ein Kugelblitz durch das Zimmer mit den rosafarbenen Wänden fegte, die ausnahmslos in Weiß gehaltenen Möbel wie ihr Bett und die Sessel ihrer 'Fernsehecke' umschiffte und aus aller Kraft die Töne verfehlte, konnte sie nichts beruhigen. Sie war Bestandteil ihrer Vision gewesen. Sie! Wie konnte jemand wie sie eine Rolle beim Ende der Welt spielen!? Das musste ein Irrtum sein! Vielleicht hatte sie einfach nur im Körper einer anderen gesteckt, oder-   Da sah sie sie. Eine Spinne, vielleicht noch dreißig Zentimeter von ihrem Staubsauger entfernt. Es fiel ihr schwer, einen Aufschrei zu unterdrücken. Sie stellte die Maschine ab. Beugte sich trotz ihrer eindeutig vorhandenen Phobie zu dem Tier hinab und nahm es behutsam in beide Hände. Die Spinne bewegte sich. Velvet bekam eine Gänsehaut. „N-nicht dran denken“, mahnte sie sich kurz vor einem Nervenzusammenbruch und rannte förmlich zum offen stehenden Fenster auf der anderen Seite des Zimmers. Anstatt das Tier aber einfach hinauszuwerfen, lud sie es ganz vorsichtig an der Fensterkante ab, sodass es von selbst den Weg nach draußen fand. „Uah“, jammerte sie, nachdem das überstanden war. „Das liebe ich so an dir“, schwärmte jemand hinter ihr. Velvet wirbelte herum und sah ihre Mutter, wie sie im Türrahmen lehnte und strahlte. „Ganz egal, wie sehr du dich dagegen strebst, es gibt kein Lebewesen auf diesem Planeten, dem du nicht mit Herzensgüte begegnest.“ „M-Mum!“, beschwerte Velvet sich über den Einbruch in ihre Privatsphäre, musste dabei aber – wie sie fand – dümmlich grinsen und lief vermutlich auch noch rot an. Das Radio trällerte noch immer im Hintergrund. Ihre Mutter zwinkerte ihr verschwörerisch zu und verschwand dann wieder, schloss die Tür hinter sich.   Velvet seufzte glücklich. Wenn sie es recht betrachtete, hatte sie alles, was sie brauchte. Eine intakte Familie, einen gewissen Luxus dank des Verdienstes ihrer Eltern, einen halbwegs erträglichen Bruder, viele Freunde, Sammy … Es musste ein Traum gewesen sein, keine Vision! Sie hatte sich nur wegen ihres Kreislaufs so schwach gefühlt, mehr nicht!   ~-~-~   Nach dem Mittagessen entschied sich das Mädchen, dass es an der Zeit war, den restlichen Sonntag in Gesellschaft zu verbringen. Da sie und ihr Bruder zu verschieden waren, um etwas zu unternehmen was beiden gefiel, würde sie sich stattdessen mit ihren Freunden von der Duel Academy verabreden.   So saß Velvet auf ihrer rosafarbenen Bettdecke und hielt das weiße Smartphone in der Hand. Sie wusste, dass sie ihre Freunde Fabio Muller und Patrice Sanchez nicht erreichen würde, da Patrice Tickets für ein Basketballspiel der New York Liberties gewonnen hatte. Jenes fand heute statt und selbstverständlich kam nur sein bester Freund Fabio als Begleiter infrage.   Also entschied sich Velvet stattdessen dafür, Tatjana Neumann anzurufen, das andere Mädchen in ihrer Clique. Tatjana war eine Austauschschülerin aus Deutschland und manchmal ein wenig anstrengend, aber mit ihr wurde es zumindest nie langweilig. Lächelnd legte die Schwarzhaarige den Apparat ans Ohr. „Neumann“, ächzte nach ein paar Sekunden des Wartens die vertraute Stimme aus dem Smartphone. „Hey Tatti, ich bin's“, gluckste Velvet vergnügt, „wie schaut's aus, hast du schon was vor?“ „Außer zu sterben? Nein …“, kam es grimmig zurück. Was die zuckersüße Fassade des Mädchens sofort zum Bröckeln brachte. Besorgt fragte es: „Wieso? Ist etwas passiert?“ „Mir geht’s nicht gut. Es ist wieder -die- Zeit.“ „Uh?“ Velvet blinzelte verdutzt. „Was meinst du? Hast du mal wieder Liebeskummer?“ „Nein, Dummchen! -Die- Zeit!“ „I-ich fürchte, ich kann dir nicht ganz folgen …“ Tatjana schnaufte ärgerlich. „Meine Güte, ich habe meine Erdbeerwoche!“ „D-deine was?“ „Hmpf, ich lege jetzt auf. Bis morgen.“ „B-bye?“, quiekte Velvet, der langsam dämmerte, was ihrer Freundin fehlte. Warum musste Tatjana bloß immer so seltsame Phrasen benutzen, wenn sie irgendetwas nicht direkt ansprechen wollte? Velvet seufzte schwer.   Damit blieb nur noch einer aus ihrem Freundeskreis übrig. Isaac Sawyer war nicht gerade Velvets erste Wahl, wenn es darum ging, Spaß zu haben. Seine Freunde beschrieben ihn als Streber, der viel zu selten lachte. Ganz so eng sah das Mädchen das nicht, doch auch sie konnte seinen Ehrgeiz nicht leugnen. Wodurch es auch mit ihm nicht immer einfach war. Trotzdem mochte sie ihn gern. Nur halt nicht ganz so sehr wie die anderen. Wirklich! Mit der Zunge an der Oberlippe wählte sie seine Nummer aus ihrer Kontaktliste aus und musste erstmal eine ganze Weile warten, bis er überhaupt ran ging. „Isaac hier.“ „Hi, ich bin's, Velvet.“ „Hallo“, entgegnete er freundlich. „Was gibt’s?“ „Ich wollte nur fragen, ob du Zeit hast. Wir könnten-“ „Leider nicht“, wiegelte er sie gleich mit bedauerndem Unterton ab, „hast du es schon vergessen?“ Velvet blinzelte verdutzt. „Was denn?“ „Den Test in Kartenwissen, morgen. Ich muss mich gründlich darauf vorbereiten. Und das solltest -du- übrigens auch.“ Und da war er auch schon, sein strenger Lehrertonfall. Ja, aus diesem Grund war er immer der Letzte, den sie anrief. „E-es ist doch noch früh …“ „Und es gibt über 10.000 Karten.“ „Willst du die alle auswendig lernen!? Unser Thema sind doch nur Spielfeldzauber, davon gibt es nicht besonders viele …“ Sofort kam es besserwisserisch zurück. „Und was ist mit direktem und indirektem Support? Den neuen Regeln, den geheimen Kniffen und Schwierigkeiten, den-“ „Es sind doch nur langweilige Spielfeldzauber“, jammerte Velvet mit Tränchen der Frustration in den Augen. „Es sind Noten, Velvet, Noten! Jede zählt, besonders für euch!“ Er räusperte sich. „Muss ich euch jedes Mal daran erinnern, dass unsere Zukunft davon abhängt?“ Die Schwarzhaarige wusste, dass sie gegen Windmühlen ankämpfte. Wenn er so drauf war, würde er nicht eher ruhen, bis er wirklich -alle- 10.000 Duel Monsters-Karten auf ihre Wechselwirkung mit Spielfeldzaubern überprüft hatte. „D-du hast Recht“, stammelte Velvet, die nur einen Ausweg aus ihrer Lage sah, „i-ich sollte mir das Ganze auch nochmal ansehen.“ Wobei sie an ihrer freien Hand, die sie an der Bettkante abstützte, Mittel- und Zeigefinger kreuzte. Sofort klang er wieder versöhnlich. „Wenigstens eine die mir zuhört. Wenn du möchtest, kannst du nachher vorbei kommen, damit wir zusammen lernen.“ Velvet wurde weiß im Gesicht und diesmal lag es nicht an ihren Visionen. Obwohl er es nicht sehen konnte, schüttelte sie mechanisch den Kopf. „M-mal sehen, i-ich muss erst noch ein paar H-Hausarbeiten erledigen. Vielleicht später. Ich melde mich.“ „Du hast nicht wirklich vor zu lernen, nicht wahr?“, brachte Isaac es trocken auf den Punkt. „Sorry, liegt nicht an dir, werde nachher lernen, versprochen, bye“, ratterte seine Freundin ihre Entschuldigung wie ein Maschinengewehr runter und legte auf, bevor er sie noch durchs Telefon zog.   Seufzend warf sie das Smartphone beiseite auf ihr Kissen und ließ sich rückwärts mit ausgestreckten Armen fallen. Also würde sie den Tag alleine verbringen müssen. Schade … Andererseits, wenn sie schon keinen ihrer Freunde dazu bewegen konnte, das Wochenende gemeinsam ausklingen zu lassen, gab es da doch jemanden, der immer gern Zeit mit ihr verbrachte.   ~-~-~   „Los Sammy, fang!“, rief sie energisch und warf den Stock in ihrer Hand so weit sie konnte. Ihr Golden Retriever rannte aufgeregt an ihr vorbei. Das Mädchen streckte die Arme aus und atmete die Waldluft ein, stieß sie seufzend wieder aus. Der Albertus Dorian-Wald, benannt nach einem berühmten Arzt aus ihrer Heimatstadt, Kings Crowning, wiederum benannt nach einem lokalen Märchen, lag etwa eine halbe Stunde von ihrem Zuhause entfernt. Velvet war sich bewusst, dass sie sehr viel Glück hatte, in einer friedlichen Vorstadt wie dieser leben zu können. Es war nur ein Katzensprung bis nach Cloverfield, wo sich die Duel Academy befand, an der sie seit fast einem Jahr studierte.   Sammy kehrte mit dem Stöckchen im Maul zu ihr zurück. Velvet nahm es und warf es im hohen Bogen wieder davon. Der hiesige Wald war ziemlich hügelig. Die Schwarzhaarige lief entlang einer Senke, über ihr thronte ein sogenannter Mammutbaum. Sie erinnerte sich daran, dass sie hier oft mit Axel gespielt hatte, als beide noch kleiner gewesen waren. Das waren gute Zeiten gewesen. Sofort schüttelte sie den Kopf. Sie klang ja schon wie eine alte Oma, fürchterlich!   Die weiche Erde unter ihren Füßen war noch nass vom Regen gestern. Velvet kannte sich gut in dem Wald aus, weiter voraus lag eine Lichtung. Und sie hatte etwas ganz Bestimmtes vor, dachte sie und betrachtete dabei den Apparat an ihrem Arm. Eine silbergraue, standardmäßig an den Kanten abgerundete Akademie-Duel Disk. Nachdem sie die Lichtung erreicht hatte, rannte Sammy voraus, um sich auszutoben. Velvet kam oft mit ihm hierher, wenn sie ungestört sein wollte. Besonnen lächelnd sah sie dem Golden Retriever hinterher. Dann atmete sie tief durch und aktivierte die Duel Disk an ihrem Arm, die automatisch ausfuhr.   Entschlossenen Blickes griff sie nach ihrem Deck, riss die oberste Karte mit Schwung fort. „Draw!“ Das hörte sich doch schon ganz gut an, fand sie und wiederholte den Vorgang. „Draw!“ Sie musste Selbstbewusstsein ausstrahlen, wenn sie in den kommenden Tagen ihr Prüfungsduell hinlegte. „Draw!“ Noch wusste niemand aus ihrem Jahrgang, gegen wen er antreten würde. Zumindest war die Sache nicht übergreifend. Es wäre schrecklich, wenn sie gegen einen Absolventen ran müsste, dachte Velvet und allein das führte dazu, dass sie beim Wiederholen ihrer Selbstbewusstseinsübung ins Stottern geriet. „D-draw!“ Genau das durfte sie sich aber nicht erlauben. Wenn der Gegner keinen Respekt vor einem hatte, würde sie das nur noch mehr verunsichern als ohnehin schon. Besonders energisch schrie sie erneut aus, dass sie ziehen würde und hatte damit ihre Starthand komplett. Zwei Monster, zwei Zauber und eine Falle. Sehr ausgewogen und definitiv brauchbar. Wenn es am Freitag doch nur auch so klappen könnte.   Gerade als sie zu ihrer nächsten Übung ansetzen wollte, hörte sie jämmerliches Gequieke aus der Ferne. Das eines Hundes. „Sammy!“ schrie sie, deaktivierte ihre Duel Disk und rannte über die Lichtung. Der Golden Retriever reagierte nicht. Als Velvet das andere Ende erreichte, hörte sie hinter sich einen Ast knacken. Und sie fror in ihrer Bewegung ein, ohne recht zu wissen warum. Mechanisch drehte sie sich um. Ein kalter Schauder lief ihr über den Rücken.   „Ich grüße dich, Velvet Thorne.“ Ein Mann trat aus dem Schatten, groß und hager. „H-hi“, presste das Mädchen heiser bei seinem Anblick hervor. Ihr Gegenüber auf der anderen Seite der Lichtung war atemberaubend schön. Zeitlos, vielleicht zwanzig, vielleicht auch schon vierzig … nein Moment, er war -nicht- schön. Im Gegenteil, dieser Pagenschnitt mit dem dunkelblonden Haar, dieser pinke Anzug samt schwarzer Krawatte, die neongrüne Federboa um seinen Hals – das war alles andere als ansehnlich. Was war gerade in sie gefahren!? „Oh?“, machte er und lächelte vergnügt. „Habe ich dich verschreckt?“ „N-nein. M-mein Hund, Sammy, ich habe ihn gerade jaulen hören.“ „Dem kleinen Racker geht es prächtig.“ Das Mädchen zuckte zusammen. „W-was?“ „Wenn du mit mir kommst, führe ich dich zu ihm. Was sagst du?“ Der Mann streckte seine Hand in ihre Richtung aus, winkte sie einladend zu sich. Anstatt der äußerst dubiosen Aufforderung aber zu folgen, wich die Schwarzhaarige verwirrt zurück und fasste sich mit einer Hand aufs Brustbein. „I-ich verstehe nicht. Der Schrei kam aus dieser Richtung.“ Sie zeigte mit der anderen Hand hinter sich. „U-und überhaupt, wer sind Sie eigentlich?“ „Entschuldige, meine Kleine, ich habe mich nicht vorgestellt. Zyxx.“ Er verschränkte die ausgestreckte Hand vor den Bauch und verneigte sich leicht. „Einfach nur Zyxx.“ Da erinnerte sich Velvet. Sie wurde zunehmend unruhiger. „W-woher kennen Sie überhaupt meinen Namen? Was wollen Sie von mir!?“ Zyxx lächelte bekümmert. „Ich weiß, es kommt sehr plötzlich, aber ich fürchte, du wirst mich begleiten müssen.“ „W-wohin?“ Langsam bekam sie richtig Angst. „Das erkläre ich dir auf dem Weg.“ Er drehte sich zur Seite und gebot ihr mit der Hand, ihm zu folgen. „Nach dir.“ „Nein!“, protestierte Velvet zunehmend panisch. „Ich gehe nicht mit Ihnen mit. Wo ist Sammy!? Was haben Sie mit ihm gemacht!?“ „Du siehst deinen Hund, sobald du mitkommst.“ Velvet schüttelte energisch den Kopf. „I-ich rufe die Polizei, wenn Sie nicht gleich verschwinden.“ „Und womit? Du hast dein Telefon zuhause gelassen. Diese Leggins sind einfach zu eng für Hosentaschen“, spottete er in zuckersüßem Tonfall. „Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt. Du hast keine Wahl, Täubchen. Du -musst- mitkommen. Es ist sehr wichtig, dass du das tust, verstehst du?“ Er sah sie an. Eindringlich. So eindringlich, dass Velvet das Blut in den Adern gefror. Fast, als wolle er sie hypnotisieren. Sie wich seinem Blick aus. „Oh?“, machte er erneut überrascht, blieb aber beherrscht und freundlich. „Verstehe. Ich sag es nicht gern, aber du siehst deinen Sammy erst wieder, wenn du nachgibst, du kleiner Sturkopf.“   Irgendetwas stimmte da nicht, begriff Velvet langsam. Dieser Mann, er wollte sie entführen! War er ein Krimineller. Wollte er sie etwa-!? Sie stieß reflexartig einen spitzen Schrei aus und wirbelte herum, begann zu rennen, aber ihre Beine fühlten sich so wackelig an, dass sie ins Stolpern geriet. Hinter ihr seufzte Zyxx. „Du liebe Güte, so kommen wir nicht weiter. Okay, Schätzchen, ich mache dir ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst. Duelliere dich mit mir. Gewinnst du, lasse ich dich in Frieden. Wenn nicht … du weißt schon.“ Velvet drehte sich wieder um. „Und Sammy?“ „Den gibt’s als kleinen Bonus wenn du mich besiegen kannst.“ Er zwinkerte verschwörerisch. „N-nein, das ist doch Unsinn. Hilfe!“, schrie sie aus voller Lunge. „Ich bitte dich, hier hört dich doch sowieso niemand. Weißt du, ich könnte dich auch einfach mit 'Nachdruck' dazu bringen.“ Zyxx fuhr sich über die Stirn. „Aber ich habe meine Anweisungen. Und die erste davon setze ich jetzt um.“ Er streckte seinen Arm nach vorne aus. Völlig unerwartet zog sich eine gebogene, rote Energielinie vor diesem, breitete sich aus, bis sie die Größe einer Duel Disk angenommen hatte. Das Mädchen starrte ihn wie ein Auto an. „W-was ist das!?“ „Ein Wunder der Technik, Herzchen. Oh, und wenn dir die Licht-Show gefällt, wirst du das hier lieben. Na ja, eigentlich nicht“, kicherte er mädchenhaft. Erst begriff Velvet gar nicht, was er überhaupt meinte, bis sich etwas in ihrer unmittelbaren Umgebung surren hörte. Ihre Duel Disk fuhr von ganz alleine aus. Eine männliche Computerstimme verlautete aus ihr: „Duel Enforcing Mode.“ Danach richtete sich auch schon ihre Lebenspunkteanzeige ein. „Ah!“ „Ich rate dir, dich jetzt nicht zu weit von mir zu entfernen, sonst erlebst du eine böse Überraschung. Dasselbe gilt auch, falls du meine Herausforderung nicht annimmst.“ Was hatte das zu bedeuten!? Hatte der Kerl ihre Duel Disk gehackt!? Und was würde passieren, wenn sie seine Worte ignorierte!? Das Mädchen stand da, kreidebleich und völlig verstört. Der Typ war verrückt. Er würde sie entführen und vielleicht sogar umbringen wollen. Oder schlimmer … „Betrachte es einfach als kleine 'Übung'“, zwinkerte ihr Zyxx wieder zu. „Nun mach schon, Duell!“   [Velvet: 4000LP / Zyxx: 4000LP]   Panisch betrachtete Velvet ihre Duel Disk. Wie konnte es sein, dass der Apparat sich von selbst aktiviert hatte!? Dann wiederum hatte sie in ihren Visionen so viele unerklärliche Dinge gesehen, dass das dagegen fast noch harmlos war. Als sie zu Zyxx aufsah, rann eine Schweißperle über ihre Stirn. Wer oder was war dieser Mann!? Was wollte er bloß von ihr!?   „Liebes, wenn du nicht anfangen möchtest, werde ich es tun“, verkündete er und nahm eine Karte aus seinem Startblatt, „ich beschwöre [Igknight Templar] im Angriffsmodus und beende meinen Zug.“ Vor ihm materialisierte sich ein großer Krieger in schwarzer, an den Schulterplatten Flammen ausstoßenden Rüstung. Er führte ein langes Schwert mit sich, an dem gleichzeitig ein Visier angebracht war, welches in einer merkwürdigen Mischung aus Klinge und Sniper-Gewehr resultierte.   Igknight Templar [ATK/1700 DEF/1300 (4) PSC: <7/7>]   Nervös sah sich Velvet nach links und rechts um. Ihr geliebter Sammy war nirgendwo zu entdecken. Was hatte dieser Kerl ihm angetan!? Auf keinen Fall würde sie mit diesem Monster mitgehen!   „M-mein Zug, D-draw!“, stammelte sie aufgewühlt und zog so schwungvoll, dass sie dabei ins Stolpern geriet und beinahe die Brille von ihrer Nase rutschte. Was Zyxx mit einem gedämpften Lacher quittierte. „Keine Sorge, Anmut kommt mit Erfahrung.“ Obwohl weiß Gott nicht der richtige Zeitpunkt dafür war, spürte Velvet heiße Röte in sich aufsteigen. Sich vor dem eigenen, potentiellen Entführer zu blamieren hatte ihr gerade noch gefehlt! „Z-Zauberkarte, [Graceful Charity]!“ Sie erklärte den Effekt gar nicht erst, als die grün-umrandete Karte vor ihr aufsprang und ein blonder, weiblicher Engel in einem weißen Kleid daraus empor schwebte, sondern zog gleich drei Karten und schickte dann zwei auf ihren Friedhof. „Wenn ich das Duell gewinne, darf ich dann wirklich gehen?“, fragte sie dabei zweifelnd. Die wandelnde Modesünde nickte. „Ich stehe zu meinem Wort.“ „G-gut. Das sollte kein Problem werden!“ Oh Gott, hallte es sofort nachdem die Worte ihre Lippen verlassen hatten, durch ihren Kopf. Jetzt klang sie wie einer dieser typischen Angeber-Duellanten aus der Profiliga. „D-denke ich jedenfalls.“ Und jetzt stellte sie sich selbst auch noch in Frage. Die Hitze unter ihrer Haut wurde unerträglich. „N-normalbeschwörung, [Spiritual Beast Apelio]!“ Ein purpurroter Junglöwe tauchte vor ihr auf. Sowohl seine Mähne, als auch die Spitze seines Schweifs leuchteten grell auf, fast, als stünden sie in Flammen. Und Zyxx kicherte wieder amüsiert über ihre Aussage.   Spiritual Beast Apelio [ATK/1800 DEF/200 (4)]   Obwohl Velvet am liebsten im Boden versinken, oder gar gleich wegrennen würde, musste sie weitermachen. Nicht nur, weil dieser Kerl sie sowieso nicht entkommen lassen würde, sondern auch weil sie herausfinden musste, wo Sammy war. Unbedingt! Sie kniff böse die Augen zusammen und griff nach ihrem Friedhofsschacht. „Ich habe nicht umsonst zwei Karten abgeworfen. Apelio hat einen besonderen Effekt, der mich eine Ritual Beast-Karte aus dem Spiel entfernen lässt, um bis zum Ende des Zuges alle seiner Art auf dem Feld um 500 Punkte zu stärken!“ Die Schwarzhaarige zog [Spiritual Beast Pettlephin], ein Stufe 4-Wind-Monster mit dem Artwork eines rosa Delfins aus dem Ablagestapel hervor und präsentierte es. Danach schob sie es postwendend in den schmalen Schacht darunter, was dazu führte, dass die grünen Spiralmarkierungen an Apelios Beinen grell zu leuchten begannen.   Spiritual Beast Apelio [ATK/1800 → 2300 DEF/200 → 700 (4)]   „Schnapp' dir sein Monster!“, befahl Velvet im Anschluss mit ausgestrecktem Zeigefinger. Gehorsam sprintete der Junglöwe los. [Igknight Templar] ging seinerseits in die Knie und versuchte zu zielen, doch schoss daneben, als Apelio über die Kugel hinweg sprang und den Ritter anfiel. Ein roter Lichtblitz gen Himmel beendete das Spektakel schließlich. „Hmm“, grinste Zyxx in sich hinein und fuhr sich durch seinen blonden Pagenschnitt.   [Velvet: 4000LP / Zyxx: 4000LP → 3400LP]   Velvet, der diese arrogant wirkende Szene gar nicht schmeckte, blähte beleidigt die Backen auf. Aber schön, sollte er sie nur unterschätzen. Er würde schon sehen, was er davon hatte. Frustriert von ihrer Lage schnappte sie sich gleich drei ihrer fünf verbliebenen Karten und schob sie der Reihe nach in die Zauberfallenslots ihrer Duel Disk. Dreimal zischte es, dann befanden sie sich in vergrößerter Form zu ihren Füßen. „Du bist, du, du, seltsamer Paradiesvogel, du!“ Und die Markierungen an Apelios Beinen hörten auf zu leuchten.   Spiritual Beast Apelio [ATK/2300 → 1800 DEF/700 → 200 (4)]   „Oh, wie äußerst schlagkräftig“, neckte Zyxx seine Gegnerin, die daraufhin nur die Lippen so fest aufeinander presste, dass es schon beim Anblick weh tat. Vor sich hin summend, zog der große Blonde eine Karte. Velvet hörte sofort mit ihrem kindischen Gehabe auf, als sie das Funkeln in seinen Augen bemerkte. „Deine Duel Disk. Du bist Studentin an der Cloverfield Duel Academy, richtig?“ „J-ja. I-ich meine, das geht dich gar nichts an!“ Zyxx lächelte friedlich. „Verzeih' mir, du hast natürlich Recht. Ich war nur neugierig, ob ihr Schüler euch schon mit der neuen Form der Monsterbeschwörung vertraut machen konntet.“ Das Mädchen weitete die Augen. „Pendel!?“ „Ganz genau.“ Zyxx zückte zwei seiner Handkarten, die er ihr beiläufig entgegen hielt. „Ihre Mechanik ist faszinierend und gleichzeitig bedauerlich, da Duelle dadurch sehr schnell ein Ende finden können. Prüfen wir, wie weit du schon im Stoff bist.“ Er fuhr mit den beiden Karten unter seiner Handfläche über seine Monsterzonen und platzierte an dessen äußeren Enden zwei Karten, deren Ränder in der Mitte von Gelb ins Grüne übergingen. „Ich aktiviere [Igknight Cavalier] mit dem Pendelbereich 2 und [Igknight Margrave] mit dem Pendelbereich 7. Pendulum Scales set!“ Zwei hellblaue Lichtsäulen schossen neben Zyxx aus dem Boden. In der von ihm aus linken befand sich eine Ritterin in pinker Rüstung, die ein Messer mit Visier in der Hand hielt. Weitere befanden sich an ihrem rechten Oberschenkel befestigt. In der anderen Säule dagegen stieg ein Krieger in schwarz-roter Rüstung in die Höhe, der zwei Macheten mit Gewehrläufen mit sich führte.   <2> Zyxx' Pendelbereich <7>   Velvet weitete die Augen und schluckte. Dann war der rote Blitz, der eben in den Himmel gestiegen war, auch von einem Pendelmonster ausgegangen! Weiter kam sie jedoch nicht, denn in dem Moment richteten die beiden Ritter in den Lichtsäulen ihre Waffen aufeinander. Und Zyxx schnippte. Es knallte zweimal synchron. Und sowohl Cavalier, als auch Margrave explodierten und stiegen als rote Lichtstrahlen gen Himmel, wo sie von einem riesigen Loch absorbiert wurden, was sich gleich darauf wieder schloss. „S-sie haben sich gegenseitig zerstört!?“, stammelte Velvet irritiert. Zyxx schüttelte aber den Kopf. „Nein, Liebes, ich habe sie mithilfe ihrer Effekte zerstört. Wenn die beiden sich gegenseitig vernichten, erhalte ich einen neuen Igknight von meinem Deck.“ Er säuselte etwas, dann zückte er die Karte hervor, die aus seinem Deck geschoben wurde. „[Igknight Gallant], mit dem Pendelbereich 2.“ Zyxx lächelte und ließ hinter dem normalen Pendelmonster ein weiteres zwischen seinen Fingern erscheinen. „Den kombiniere ich mit [Igknight Veteran], Pendelbereich 7. Pendulum Scales set.“ Die hellblauen Lichtsäulen schossen erneut zu seiner Linken und Rechten aus dem Boden. Sie trugen einen Ritter in stahlblauer Rüstung, welcher ein Maschinengewehr mit Klingenaufsatz in den Händen hielt, sowie einen Schwert schwingenden in schwarz-hellblauer Panzerung empor.   <2> Zyxx' Pendelbereich <7>   Kaum hatten die beiden ihren Höhepunkt erreicht, richtete Gallant sein Maschinengewehr auf Veteran, welcher seinerseits den Griff seines Schwertes Richtung seines Kameraden hielt, in welchem eine Uzi eingebaut war. Beide feuerten simultan aufeinander und explodierten synchron. Rote Blitze schossen in das sich öffnende Pendelportal. „W-was!? Schon wieder!?“ „Natürlich. Es handelt sich um denselben Effekt wie eben.“ Zyxx griff nach seinem Deck. „Ich erhalte [Igknight Paladin] von meinem Deck, Pendelbereich 2.“ Er zeigte die Karte vor, fächerte hinter ihr jedoch noch zwei weitere aus. „Diesen kombiniere ich mit [Igknight Squire], Pendelbereich 7. Dazu aktiviere ich den Spielfeldzauber [Ignition Phoenix], der alle Igknights um 300 Punkte auf beiden Werten stärkt.“ Velvet klappte die Kinnlade herunter, als über Zyxx ein gewaltiger Flammenphönix aufstieg, der rötliche Entladungen in alle Himmelsrichtungen ausstieß. Der Blonde verkündete: „Pendulum Scales set.“ Abermals schossen neben ihm die hellblauen Lichtsäulen aus dem Boden. Dieses Mal befanden sich in ihnen ein Krieger in schwarzer Panzerung, der eine lange Nadelklinge mit sich führte und einer in gelber Rüstung, der eine Pistole mit Klingenlauf in der Hand hielt.   <2> Zyxx' Pendelbereich <7>   Zyxx kicherte beim Anblick der verdutzen Velvet. Er besaß keine Handkarten mehr. „Nun, kleines Vögelchen, was haben wir über Pendelmonster gelernt?“ Aber die Schwarzhaarige antwortete nicht. Sie war wie gelähmt vom Anblick des Phönix in der Luft. Sie spürte die Hitze, die von ihm ausging – einem Hologramm! „Du weißt es nicht? Schade. Jedes Pendelmonster, das auf dem Spielfeld zerstört wird, wird aufgedeckt auf das Extradeck seines Besitzers gelegt. Von dort kann es via Pendelbeschwörung zurückgerufen werden, wenn seine Stufe im aufgestellten Pendelbereich des Spielers liegt, ohne diesen dabei zu berühren.“ Zyxx schnalzte mit der Zunge, als er bemerkte, dass seine Gegnerin ihm gar nicht zuhörte. „Kurz gesagt, ich kann jetzt all die kleinen Ritterlein von eben zurückrufen. Pendulum Summon!“ Über ihm öffnete sich ein riesiges, buntes Loch im Himmel, um das sich zahllose Lichtellipsen schlossen. Der Anblick zog Velvets Aufmerksamkeit auf sich, die einen entsetzen Schrei ausstieß. „Von meinem Extradeck, die Igknights Templar, Cavalier, Margrave, Gallant und Veteran!“ Nacheinander schossen gleich fünf rote Lichtstrahlen aus dem Portal und schlugen vor Zyxx in den Boden ein. Dort wurden sie zum Sniper-Schwert-Ritter, der pinken Kunoichi, dem Doppelmacheten-Pistolero, dem Maschinengewehr-Krieger und dem Uzi-Schwertschwinger, welcher in die Knie ging. Sie alle wurden von den elektrischen Ausstößen des Flammenphönix in der Luft berührt.   Igknight Templar [ATK/1700 → 2000 DEF/1300 → 1600 (4) PSC: <7/7>] Igknight Cavalier [ATK/2400 → 2700 DEF/1200 → 1500 (5) PSC: <2/2>] Igknight Margrave [ATK/1500 → 1800 DEF/2500 → 2800 (5) PSC: <7/7>] Igknight Gallant [ATK/2100 → 2400 DEF/2200 → 2500 (6) PSC: <2/2>] Igknight Veteran [ATK/1300 → 1600 DEF/2700 → 3000 (6) PSC: <7/7>]   Beim Anblick der Monsterarmee verschlug es Velvet die Sprache. Den Legacy Cup hatte sie im Fernsehen mitverfolgt und gesehen, wie Othello Nikoloudis mit seinen Pendelmonstern den Sieg errang. Doch selbst hatte sie solchen Karten bisher noch nie gegenüber gestanden. Fünf derart starke Monster so einfach zu beschwören, das war unbeschreiblich. Deren gesamte Angriffskraft konnte sie in einer Battle Phase vernichten! Anscheinend dachte Zyxx dasselbe, denn er seufzte. „Oh je, habe ich dich verschreckt? Wäre mein Anliegen nicht von so großer Wichtigkeit, würde ich mir glatt wünschen, dass unser kleines Gefecht noch etwas andauert.“ Er hob den Arm wie einen Admiral mit der Handfläche nach unten gerichtet. „Aber ich habe meine Befehle. Entschuldige. [Igknight Cavalier], zerstöre [Spiritual Beast Apelio]!“ Die pinke Ritterin gab einen zustimmenden Laut von sich und warf die Klinge in ihrer Hand auf den Junglöwen. Jener wurde in der Brust getroffen. Ein Schuss löste sich aus dem Pistolenteil der Klinge und durchdrang den Körper des Tiers, schoss durch Velvet hindurch. Die sackte in die Knie, verpasste der Treffer ihr einen schmerzhaften Stich in der Schulter. Es raubte ihr die Luft zum Atmen. „Ah!“   [Velvet: 4000LP → 3100LP / Zyxx: 3400LP]   Sie fasste an die schmerzende Stelle, berührte den Stoff ihres violetten Kleides. Doch da war nichts, kein Blut, wie sie es bei anderen Duellen in ihren Visionen oft gesehen hatte. „Ich würde dir niemals ernsthaft weh tun“, sagte Zyxx aufrichtig. „Einer meiner Untergebenen hat die Sicherheitseinstellungen dieses Dings ein wenig hochgeschraubt. Nur ein klitzekleines Bisschen.“ Er hob dabei demonstrativ seine Energie-Duel Disk an und zwinkerte ihr zu. Velvet erhob sich. Ihr war ganz flau auf dem Magen. „I-ihr könnt doch nicht mit deaktivierten Schutzmechanismen rumlaufen! Leute könnten verletzt werden!“ „Leider ist das Ganze nicht so einfach. Aber das werde ich dir erklären, wenn du mitkommst.“ „Niemals!“ „Ich möchte dich an unsere Abmachung erinnern.“ Diesmal funkelten seine Augen auf andere Art und Weise. Gefährlich, berechnend. „Gewinne ich dieses Duell, wirst du genau das tun.“ Ohne wirklich darüber nachzudenken, nickte das Mädchen. Sie hatte Angst. Dieser Mann wollte sie entführen. Was hinderte ihn daran, es nicht trotzdem zu tun, wenn sie gewann? Wie sollte sie bloß entkommen, wenn diese seltsame Technik sie daran hinderte? Und was wurde aus Sammy? Der androgyne Mann legte ein bedauerndes Lächeln auf. „Und wie es aussieht, wird das jeden Moment der Fall sein.“ In dem Moment kam Velvet wieder zur Besinnung und aktivierte geistesgegenwärtig den Schalter an ihrer Duel Disk. „Nein!“ Ihre gesetzte normale Falle klappte auf. Auf ihr war ein sagenhafter Wald zu sehen, in welchen auf einer Lichtung ein blondes Mädchen niederkniete. Aus der Karte schoss eine transparente Gestalt und fegte in sagenhafter Geschwindigkeit um das Spielfeld, unterband jeden Versuch der Kriegertruppe, die Waffen zu erheben. „D-du hast den Zorn der Ritual Beasts auf dich gezogen. Wenn du ein Monster dieses Themas zerstörst, beendet [Spiritual Beast's Protection] automatisch deinen Zug“, erklärte Velvet keuchend. Zyxx, seiner Angriffe beraubt, kicherte amüsiert. „Weniger hätte ich auch nicht von dir erwartet, kleines Täubchen. Nun denn, so sei es.“   Velvet nahm die oberste Karte ihres Decks auf und betrachtete sie nervös. Zwar mochte ihr Gegner keine Handkarten besitzen, dafür aber eine Armee an mächtigen Monstern, die er jede Runde neu beschwören konnte. Was bedeutete, dass es sinnlos war, es mit ihnen aufnehmen zu wollen. Ihre einzige Hoffnung lag darin, einen einzigen, vernichtenden Schlag auszuteilen. Sie blickte herab zu ihren Füßen, wo ihre beiden verbliebenen Fallen verdeckt lagen. Damit konnte sie es schaffen, aber noch war es zu früh. Unsicher blickte sie auf. „A-also dann, ich beschwöre [Ritual Beast Tamer Wen]. Wenn sie gerufen wird, beschwört sie ein verbanntes Spiritual Beast. Erscheine, [Spiritual Beast Pettlephin]!“ Eben das Mädchen im violetten Kleidchen auf dem Artwork von [Spiritual Beast's Protection] tauchte vor Velvet auf. Wen hielt einen langen Zauberstab in den Händen, in dessen Kopf ein ovaler, blauer Kristall eingelassen war. Jenen schwang sie aus, wodurch dichter Nebel um sie herum entstand. Jener formte sich zur Gestalt eines pinken Delfins, der in der Luft schwebte. Auf seiner Stirn befand sich ebenfalls ein blauer Edelstein. Ritual Beast Tamer Wen [ATK/1500 DEF/1000 (3)] Spiritual Beast Pettlephin [ATK/0 DEF/2000 (4)]   Tief durchatmend schob sie ihre aufgezogene Karte einen der freien Zauberfallen-Slots, wodurch eine dritte verdeckte Karte zu ihren Füßen erschien. Dann verkündete sie: „Jetzt lernst du eine besondere Art der Fusion kennen!“ Sie breitete beide Arme weit von sich aus. „Oh Adeptin der Beschwörungskunst. Oh Meereskreatur der Güte und Reinheit!“ Beide Monster stiegen in die Luft auf. Parallel dazu richtete das schwarzhaarige Mädchen ihre Hände nach oben, wo sie sie ineinander faltete. „Bindet euch aneinander! Contact Fusion!“ Energisch riss sie die zusammenballten Hände nach unten. Über ihr wuchs der Jungdelfin zu beachtlicher Größe an, um den Kristall auf seiner Stirn bildete sich eine silber-blaue Haube. Gleichzeitig bestieg Wen ihren Kameraden wie ein Reittier. „Beschütze mich, [Ritual Beast Ulti-Pettlephin]!“ Jener sank zu Velvet hinab und blockierte den Weg. Die Brillenträgerin räusperte sich. „Z-zug beendet.“ Ritual Beast Ulti-Pettlephin [ATK/200 DEF/2800 (6)]   „Contact Fusion? Wie interessant“, plauderte Zyxx, während er nebenbei zog, „so eine Art der Verschmelzung habe ich bisher nicht kennenlernen dürfen. Ganz ohne Fusionskarte, fabelhaft.“ „A-an ihm kommst du nicht vorbei.“ Es gab jedoch kein Anzeichen, dass der Mann von ihren Worten in irgendeiner Form überzeugt war, weshalb Velvet die Finger verkrafte und schluckte. „Ich möchte nun den zweiten Effekt meiner Spielfeldzauberkarte [Ignition Phoenix] aktivieren. Die Flammen mögen einen meiner Igknights verzehren“, kündigte der Blondschopf an. Ein gellender Schrei ging vom flammenden Vogel über ihm aus und [Igknight Veteran] wurde kurzerhand Opfer einer spontanen Selbstentzündung, „doch aus der Asche wird ein neuer Ritter geboren. Ich erhalte [Igknight Champion] von meinem Deck auf die Hand.“ Der Apparat an seinem Arm schob die Karte aus, während eine rote Lichtessenz gen Himmel stieg, wo das sich öffnende Himmelsloch sie aufsog. Waren all seine Krieger zuvor effektlose Pendelmonster, hatte dieses einen rein braunen Kartenrahmen, wie Velvet bemerkte. Ihr blieb jedoch keine Zeit, diese Info zu verarbeiten, denn nacheinander gingen auch der Katana-Schwinger Templar, Gallant mit dem Maschinengewehr und die Kunoichi Cavalier in Flammen auf, die vom Pendelportal absorbiert wurden. Zyxx zeigte sein Monster vor. „[Igknight Champion] ist ein ganz schöner Schlingel. Ich muss schon drei seiner Kameraden zerstören, um ihn überhaupt rufen zu können.“ Eine gewaltige Stichflamme schoss vor ihm aus dem Boden und brachte einen Hünen in grüner Panzerung mit sich. Jener war mit einer massiven Kanone bewaffnet, die er mit einer Hand schulterte, während die andere ein Harpunengeschoss fest umklammert hielt.   Igknight Champion [ATK/2800 → 3100 DEF/2300 → 2600 (8)]   Velvet stieß bei seinem Anblick einen entsetzten Schrei aus. Belehrend schwang Zyxx dabei den Zeigefinger. „Unartiges Ding, du. Denkst du, ich weiß nicht, dass du eine kleine Überraschung für mich im Friedhof liegen hast?“ Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Dem Mädchen gefror das Blut in den Adern. Wenn er davon wusste, dann-!? „Los, mein Champion, aktiviere deinen Effekt.“ Dabei nahm Zyxx sein letztes, verbliebenes Pendelmonster auf dem Feld, [Igknight Margrave] mit den Doppelpistolen, auf sein Blatt zurück. Jener löste sich vor ihren Augen in gleißende Flammen auf, die von der Harpune des Hünen absorbiert wurden. „Dein süßer Delfin schwimmt jetzt prompt ins Extradeck zurück.“ [Igknight Champion] richtete seine Kanone auf Wen und ihr Reittier, das schützend vor Velvet verharrte, und lud es mit seinem Geschoss. Dann feuerte er. Aber Velvet hielt in einem Anflug von Todesmut dagegen. „Das wird er, aber nicht so wie du denkst! Contact out!“ Rechtzeitig sprang das blondgelockte Mädchen von Pettlephin ab, der augenblicklich schrumpfte und wieder die Form eines Jungtiers annahm. Die Harpune zischte zwischen ihnen beiden hindurch an Velvet vorbei und krachte in einen Baum. Es knarzte so laut, dass das Mädchen vor Schreck zusammenzuckte.   Ritual Beast Tamer Wen [ATK/1500 DEF/1000 (3)] Spiritual Beast Pettlephin [ATK/0 DEF/2000 (4)]   „Oh?“, machte Zyxx einen langgezogenen Laut. „Du kannst die Fusion also jederzeit rückgängig machen?“ Das Mädchen nickte. „J-ja, aber das funktioniert nur einmal pro Zug.“ „Aber das macht es doch nur umso leichter für mich, mein Liebes.“ Zyxx seufzte und richtete seinen linken Arm in die Höhe. „Schwinge, mein Pendulum. Ich beschwöre aus dem Extradeck die Igknights Templar, Cavalier, Gallant und Veteran. Pendulum Summon!“ Über ihm öffnete sich das Pendelportal und stieß vier rote Lichtstrahlen aus, die als Katana-Scharfschütze, pinke Ninjaritterin, schwer bewaffneter Maschinengewehr-Kämpfer und niederkniender Langschwert-Schwinger Form annahmen.   Igknight Templar [ATK/1700 → 2000 DEF/1300 → 1600 (4) PSC: <7/7>] Igknight Cavalier [ATK/2400 → 2700 DEF/1200 → 1500 (5) PSC: <2/2>] Igknight Gallant [ATK/2100 → 2400 DEF/2200 → 2500 (6) PSC: <2/2>] Igknight Veteran [ATK/1300 → 1600 DEF/2700 → 3000 (6) PSC: <7/7>]   „Dann werde ich wohl mal.“ Der Mann mit den regelrecht funkelnden Augen sah Velvet an und hob den Arm. „Angriff, meine flotten Ritterchen.“ „Nicht so hastig!“ Velvet aktivierte eine ihrer gesetzten Karten. „Schnellzauber [Ritual Beast's Bond]. Sie lässt mich sofort eine Contact Fusion in deinem Zug durchführen.“ Wieder streckte sie beide Hände weit von sich. „Oh Adeptin der Beschwörungskunst. Oh Meereskreatur der Güte und Reinheit! Bindet euch aneinander! Contact Fusion!“ Wieder stiegen ihre beiden Monster ein Stück weit über ihr in die Luft. Wen bestieg Pettlephin, der zunehmend wuchs und älter wurde und zusammen schwebten sie vor dem Mädchen. „Beschütze mich, [Ritual Beast Ulti-Pettlephin]!“ Ritual Beast Ulti-Pettlephin [ATK/200 DEF/2800 (6)]   Ihr Gegner fasste sich an die Stirn und stöhne. „Na was denn jetzt? Ihr jungen Dinger heutzutage könnt euch einfach nicht für eine Sache entscheiden.“ Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Da muss ich wohl durch. Angriff auf ihr Tierchen, [Igknight Champion].“ „D-da du sowieso weißt, was auf meinem Friedhof liegt, aktiviere ich den Effekt.“ Velvet nahm jene Karte aus ihrem Ablagestapel heraus. „[Bacon Saver] negiert den Angriff, wird aber verbannt.“ Der Krieger feuerte aus seiner Kanone auf den Delfin und seine Reiterin. Vor denen materialisierte sich ein schwarzes, kugelrundes Schweinchen, das nur einmal nieste, um den Feuerstoß verpuffen zu lassen. Dies aber so stark, dass es glatt sein ganzes Skelett ausprustete und verschwand. Mit vorgehaltener Hand kicherte Zyxx mädchenhaft: „Wie süß. Aber das heißt ja, dass ich nicht mehr an deinem Ulti-Pettlephin vorbeikomme …“ Velvet zog es vor, das gar nicht erst zu kommentieren, wenn auch nur aus Angst, im Anschluss eine böse Überraschung zu erleben. Ihr hellblonder Gegner nahm eine seiner beiden Karten aus dem Blatt und aktivierte sie. „Nun, meine Jungs müssen sich etwas Neues ausdenken. [Igknight Reload] lässt mich beliebig viele Pendelmonster von meiner Hand ins Deck zurückmischen, um dann eine Karte mehr zu ziehen, als ich aufgegeben habe.“ Er legte den [Igknight Margrave] auf sein Deck, das sich automatisch durchmischte und zog dann zwei Karten, die er beide fröhlich summend in seine Duel Disk einlegte. Zischend tauchten sie zu seinen Füßen auf. „Du bist dran, Täubchen.“   Indes beobachteten zwei Gestalten vom Rande der Lichtung das Geschehen. „Davor hat der maskierte Dämon also gewarnt?“ Die junge Frau, die komplett in eine schwarze Kutte gehüllt war und eine weiße Porzellanmaske trug, schnaufte verächtlich. „Was ist an diesem Mädchen so besonders?“ Kalis Begleiterin stand hinter dieser. Zwischen den beiden befand sich ein durchsichtiges, goldenes Gitter, die Farben dahinter waren deutlich aufgehellt. So erwiderte die brünette Frau mit dem langen Zopf wissend: „Sie besitzt die Gabe, die Zukunft vorherzusehen. Und damit auch die Macht, sie zu ändern.“ Die selbsternannte Dämonengöttin blickte über ihre Schulter und sah die Frau in weißer Robe, mit darüber liegendem, grauem Umhang an. Und lachte auf. „Ernsthaft? So etwas gibt es?“ „Zweifelst du an meinem Urteil?“ „Natürlich nicht, Lady Gardenia“, gab Kali kleinlaut bei. „Es ist nur seltsam. Wie alt ist das Mädchen, vielleicht sechzehn? Wieso kommt erst jetzt jemand und will sich ihrer bemächtigen?“ Gardenia schloss die Augen. „Sicher werden wir bald mehr wissen. Aber wenn die Hintermänner dieses Zyxx ihn, einen Vampir, schicken, steht etwas von großer Bedeutung bevor.“ „Na klasse“, brummte Kali, während das Erscheinungsbild der brünetten Frau hinter ihr zusammen mit dem flackernden Goldnetz verschwand, „und ich bin die Dumme, die sich drum kümmern muss.“ „M-mein Zug“, nickte Velvet derweil und schluckte. „D-draw.“ Du kannst es schaffen, versuchte sie sich selbst Mut zuzusprechen. Jetzt war der perfekte Zeitpunkt, ihre Kombo zu entfesseln. Wenn sie doch nur genug Selbstbewusstsein hätte. Aber da war nichts, nur Angst. „I-ich aktiviere eine Falle“, nuschelte sie mit zitternder Stimme. Sofort klappte die zu ihrer Linken liegende Karte vor ihr auf. „Das ist [Return From The Different Dimension]. S-sie holt all meine verbannten Monster für einen Zug aufs Feld, aber das kostet mich die Hälfte meiner Lebenspunkte.“ Grüne Aura brannte um die Schwarzhaarige. Zwei Spalten im Raum-Zeit-Gefüge öffneten sich vor ihr, dehnten sich aus. Doch der Anblick verschwamm unvermittelt vor ihren Augen. Keuchend fasste Velvet sich an die Stirn und senkte das Haupt. Was war das!? Ihr war ganz schwindelig!   [Velvet: 3100LP → 1550LP / Zyxx: 3400LP]   Aus den Rissen flogen der pinke Jungdelfin und das blond-gelockte Mädchen Wen. Beide gesellten sich neben das gereifte Delfinreiter-Duo. Ritual Beast Tamer Wen [ATK/1500 DEF/1000 (3)] Spiritual Beast Pettlephin [ATK/0 DEF/2000 (4)] „U-und jetzt beschwöre ich [Ritual Beast Tamer Lara], durch deren Effekt ich ein Spiritual Beast vom Friedhof auferstehen lassen kann.“ Velvet entnahm ihrem Friedhof die einzig passende Karte für dieses Unterfangen. „Kehre zurück, [Spiritual Beast Apelio]!“ Zuerst tauchte ein junges Mädchen mit kupferblondem Haar auf, gekleidet in einer grünen Robe samt Umhang, die ihren Holzzauberstab zur Seite ausschwang. Bunte Nebel sammelten sich dort, aus denen der Junglöwe mit der glühenden Mähne und Schweifspitze erschien.   Ritual Beast Tamer Lara [ATK/100 DEF/2000 (1)] Spiritual Beast Apelio [ATK/1800 DEF/200 (4)]   „Oh? Wie putzig“, gluckste Zyxx und Velvet konnte nur ahnen, ob er das sarkastisch meinte oder nicht. „Eine süße kleine Armee hast du da aufgestellt.“ Die Brillenträgerin schluckte und nahm all ihren Mut für einen Konter zusammen. „Aber sie hat keine Chance gegen deine Ritter. Das ist, was du sagen willst, stimmt's?“ „Der Gedanke liegt mir fern.“ Er zwinkerte verschwörerisch, als ob er nur mit ihr spielte. Doch genau darauf hatte das Mädchen gewartet, denn ihm würde hören und sehen vergehen. „Der Zusammenhalt meiner Monster ist stärker als du es dir vorstellen kannst. Ich aktiviere meine verdeckte Falle, [Ritual Beast Steeds]. Schwärmt aus!“ Erst löste sich der schwebende Delfin mit seiner Reiterin aus der Formation und sauste als Anführer auf Zyxx' Harpunier zu. Die beiden Mädchen Wen und Lara nickten einander zu und peilten die Kunoichi sowie den Scharfschützen an. Apelio und Pettlephin folgten ihnen und peilten die übrigen beiden Feuerritter an. Einer nach dem anderen prallten sie auf die feindliche Front und überrannten sie einfach. Zyxx musste fünf hintereinander folgende Explosionen über sich ergehen lassen. „[Ritual Beast Steeds] zerstört für jedes Monster aus dem Heiligen Wald eines von deinen. Du bist völlig schutzlos!“ Kaum waren ihre Monster zurückgekehrt, streckte Velvet beide Hände von sich aus. „Und jetzt lernst du mein Lieblingsmonster kennen. Oh Wunderkind der Beschwörung! Oh Bestie des Stolzes und der Redlichkeit!“ Apelio und Lara schwebten zusammen über ihr in die Luft. Dabei wuchs der Junglöwe auf beachtliche Größe an, seine Mähne spross und loderte, seine Haut verdunkelte sich. „Bindet euch aneinander!“ Velvet faltete die Hände über dem Kopf zusammen und riss sie zu einer Faust geballt hinab. „Contact Fusion!“ Die Magierin schwang sich auf den Rücken Apelios, welcher elegant vor seiner Besitzerin auf den Pfoten gelandet war und sie um mindestens einen Kopf überragte. „Kämpfe, [Ritual Beast Ulti-Apelio]!“ Mit einem imposanten Brüllen verkündete der Löwe seine Ankunft, während er von seiner Reiterin sanft getätschelt wurde.   Ritual Beast Ulti-Apelio [ATK/2600 DEF/400 (6)]   Beide Hände immer noch ineinander gefaltet, presste sie jene gegen ihre Brust. „Bitte, hilf mir, Apelio! Direkter Angriff! Ethereal Advance!“ Seine Reiterin Lara streckte ihren langen Zauberstab weit aus, als gäbe sie denselben Befehl. Und der Löwe begann voran zu stürmen. Dabei zog er gleißende Flammen hinter sich her. Doch Zyxx belächelte das Ganze nur. „Wie ein Vögelchen, das freiwillig in seinen Käfig fliegt.“ „W-was!?“ „Tsk, tsk, tsk, du bist du wohl ein wenig zu übereifrig gewesen, Herzchen.“ Zyxx schnippte mit dem Finger. Seine linke gesetzte, grün-umrandete Karte sprang auf. Velvet keuchte. „Die beiden Schätzchen hier hast du wohl vergessen? Jammerschade, das kostet dich das Duell. [Igknight Explode]!“ Zyxx richtete seinen Arm mit der Energie-Duel Disk daran auf Velvet, ballte eine Faust. Dann schossen nacheinander vier Flammenbälle aus ihr. „Mit diesem Schnellzauber verbrenne ich all deine Monster, solange ich eine vergleichbare Zahl an Feuer-Pendelmonstern in meinem Extradeck liegen habe. Nicht nur deine Monster kennen Zusammenhalt, mein Täubchen.“ Mit weit aufgerissenen Augen sah Velvet mit an, wie erst Ulti-Apelio und seine Reiterin von einer der Feuersphären getroffen wurde und in einem Inferno aufgingen. Dann erwischte es die Einzelgängerin Wen und den pinken Jungdelfin, ehe Ulti-Pettlephin als Letztes mit seiner Begleiterin dem Flammen zum Opfer fiel. Anstatt aber in Panik auszubrechen, atmete die Schülerin im pink-weiß-geblümten Kleid und den schwarzen Leggins tief durch. „D-das funktioniert aber nicht. [Ritual Beast Ulti-Pettlephin] besitzt den Effekt, einmal pro Zug nicht durch Effekte zerstört werden zu können.“ „Oh, habe ich mich falsch ausgedrückt? Ups.“ Er kicherte wieder auf diese unterschwellig abwertende Art und Weise. „Die von [Igknight Explode] getroffenen Monster werden direkt verbannt.“ „Ah!“ Erst flog die Asche der brennenden Wen durch die Luft, dann die von Pettlephin junior und schließlich seinem älteren Ebenbild. Velvet brachte kein Wort hervor. Zyxx aber auch nicht, denn das letzte in Flammen stehende Lebewesen auf dem Feld zerfiel nicht wie die anderen zu Asche – es rannte plötzlich auf ihn zu. „Was!?“ Sich aus dem Feuer lösend, sprang Ulti-Apelio auf seinen Feind zu und verpasste ihm einen mächtigen Hieb mit seiner Tatze.   [Velvet: 1550LP / Zyxx: 3400LP → 800LP]   „D-das wollte ich auch noch sagen. Während des Angriffs ist [Ritual Beast Ulti-Apelio] vor Karteneffekten geschützt“, erklärte Velvet und atmete erleichtert auf. Wenigstens er war ihr geblieben. Zyxx torkelte, kalt erwischt von dem Treffer, ein wenig zurück, fing sich dann aber wieder. „Also hast du meine verdeckten Karten doch nicht vergessen, sondern vorgesorgt. Bravo!“ Er klatschte in die Hände und strahlte dabei aufrichtig begeistert. So wie er da stand und sich wie ein kleines Kind freute, konnte Velvet gar nicht glauben, dass er ihr etwas Böses wollen könnte. Aber nein! Er hatte Sammy entführt und mit ihr das Gleiche vor! Allein der Gedanke versetzte sie sofort wieder in Angst und Schrecken. „Übrigens weiß ich, dass deine stolze Bestie sich in ihre Ursprungsform zurückverwandeln kann. Also lass dir gesagt sein, dass [Igknight Explode] bis zum Ende des Zuges keine Spezialbeschwörungen mehr erlaubt.“ Zyxx lächelte immer noch vergnügt. Tatsächlich traf dieser Nebeneffekt Velvet weniger als er vermutete, denn da jedes Spiritual Beast nur einmal pro Zug spezialbeschworen werden konnte und sie dies mit Apelio junior bereits getan hatte, konnte sie dessen erwachsene Form in diesem Zug nicht mehr umkehren. „I-ich setze meine letzte Handkarte verdeckt. Zug beendet“, verkündete Velvet wenig erbaut in Anbetracht ihrer Zukunftsaussichten. „Oh …“ In dem Moment erinnerte sie sich wieder an ihre Vision. Sie hatte sich noch nicht geändert, also würde sie wohl zumindest so schnell nicht sterben. Moment! Dieser Mann! War es möglich, dass -er- etwas damit zu tun hatte!?   Zyxx zog indes schweigsam auf. Dann sah er sie an. Da war ein Funkeln in seinen klaren, grünen Augen, gefährlich. Das eines Jägers. Schluckend sah Velvet auf ihre Duel Disk. Außer ihrer verdeckten Karte und Ulti-Apelio war ihr nichts geblieben. Und sobald dieser Mann seine Ritterarmee aus dem Extradeck zurückgependelt hatte, würde er sie endgültig überrennen. Ihr blieb gar keine andere Wahl. Das Mädchen biss sich auf die Lippen. „Es tut mir leid. Bitte verzeih' mir, Ulti-Apelio! Ich aktiviere meine verdeckte Falle [Gale Echo]!“ Jene purpurn umrandete Karte sprang vor ihr auf und zeigte einen schwarzen Adler in einer Höhle, der verletzt am Boden lag und einen Schrei ausstieß. „Sieh einer an, damit habe ich nicht gerechnet“, kokettierte Zyxx amüsiert. „Diese Falle zerstört erst all meine Monster des Attributs Wind“, presste Velvet mühsam hervor und sah weg, als ihr Löwe und seine Reiterin explodierten, nicht ohne jedoch vorher verzweifelt aufzustöhnen. Als sie fort waren, sah die Schwarzhaarige wieder geradeaus. „Danach darf ich einen Schnellzauber oder eine Falle von meinem Friedhof aktivieren. Und da in diesem Zug ein Ritual Beast zerstört wurde, wähle ich [Ritual Beast's Protection]!“ Plötzlich drang hinter ihr die durchsichtige Silhouette Ulti-Apelios vor und zischte auf Zyxx zu, der überrascht aufsah. Der Geist raste durch ihn hindurch und verschwand. „Ich erinnere mich“, sprach Zyxx und richtete seine verrutschte Federboa, „der kleine Zauber, der sofort den Zug beendet. Raffiniert. Also dann bin ich wohl fertig, noch bevor ich angefangen habe.“   Velvet griff nach ihrem Deck. Schweiß stand ihr auf der Stirn geschrieben. Sie hatte ihm verschwiegen, dass [Gale Echo] die zerstörten Monster während ihres dritten darauffolgenden Zuges wieder zurück beschwor, doch solange würde sie nicht durchhalten. Es sei denn, es geschah jetzt ein Wunder. Sie griff mit zitternder Hand nach ihrem Deck. Sein Feld war noch offen für einen direkten Angriff. Wenn sie ein Monster mit mindestens 800 Angriffspunkten zog, würde sie gewinnen. Das hieß, falls sie eines zog. „Bitte“, flüsterte sie aufgewühlt. Es war ihre einzige Chance! Nächste Runde würde er seine Pendelmonster beschwören! „Bitte!“, rief sie noch einmal eindringlich aus und riss die oberste Karte von ihrem Deck. Aufgeregt betrachtete sie und stieß einen entsetzten Schrei aus. Eine Falle! Und vollkommen nutzlos in ihrer derzeitigen Lage. Entgeistert sah sie zu Zyxx auf. Entgegen ihrer Annahme ergötzte er sich aber nicht an ihrem Anblick, sondern betrachtete sie beinahe mitleidig. Velvet nahm die Karte in beide Hände. Nass erfüllte ihre Augen bei der Erkenntnis, was das für Konsequenzen hatte. Mutlos sank sie in die Knie und schluchzte. Alles war vorbei. Er würde sie mitnehmen, entführen. Sie könnte versuchen wegzurennen, aber er war ein Mann, hatte die längeren Beine und war bestimmt fitter als sie. „Oh nein, nein …“, jammerte sie und rieb sich hinter ihrer Brille die Augen. Zyxx setzte dazu an etwas zu sagen, sprach jedoch seine Gedanken nicht aus.   Da durchfuhr es Velvet wie ein Blitz. Sie weitete die Augen. Sie -sah-! Wie sie mit Zyxx ging. Ein schwarzes, ovales Portal betrat, in dessen glänzender Oberfläche sie ihre Reflexion sah. Ein Zeitsprung nach vorne. Viele Menschen um sie herum, in einer großen Halle. Sie alle betrachteten sie fragend, manche sogar ehrfürchtig. Es folgte noch ein Schnitt. Sie sah den Rücken eines Mannes, kräftig und breit. Sein schneeweißes Haar lag ihm weit über die Schultern hinaus. Er drehte sich um und plötzlich standen sie sich auf den Fenstern der beiden gegenüber liegenden Hochhäuser auf unterschiedlichen Höhen entgegen. Dann auf einmal umschlang sie eine Dunkelheit, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Keuchend kippte Velvet vorne über. Das war die Zukunft! So sah sie aus, wenn sie mit Zyxx ging. Dieser Mann am Ende. Sie hatte sein Gesicht nicht gesehen. Aber was sie gefühlt hatte, es war so real gewesen, als wäre es bereits geschehen. Furcht! Dieser Fremde wollte sie umbringen, dessen war sich sicher. Niemals zuvor war sie in so eine Schwärze eingetaucht. Sie musste ihre Fähigkeiten nicht gut kennen um zu wissen, dass -das- das Ende war. Ihr Ende.   Velvet weitete die Augen. Ein blauer Funke trat aus ihnen heraus, als sie die erschreckende Erkenntnis traf. „Nein!“ Schreiend sprang das Mädchen auf, nein, wurde regelrecht auf die Beine gerissen. Aus beiden Augen loderte es hellblau, leichte Schlieren tanzten in der Luft. Velvet sah gen Himmel und streckte beide Arme aus, ihre Iriden färbten sich blutrot. „The sky is torn open!“ Ohne wirklich zu wissen, was sie da überhaupt tat, schlug sie ihre rechte, zur Faust geballte Hand gegen die Brust. „Summoning contract established!“ Dann nahm sie sie und richtete sie in die Höhe. Acht grelle Lichter stiegen um sie herum aus dem Boden auf, verteilten sich hinter ihr in einer Sternenformation und festigten sich zu einem kreisrunden Tor, in dem sich die Sphären als Runen manifestierten. Jedes Symbol hatte einen eigenen Teilkreis, in dem es steckte. „Witness the creation of the eternal gate!“ Hatte Zyxx bisher stets die Beherrschung gewahrt, stieß er jetzt einen verwunderten Laut aus. Gefolgt von einem Flüstern. „Kann es sein …?“ Ruckartig schossen die einzelnen Bestandteile des Portals nach hinten, als Velvet rief: „Soar, ascend, exceed!“ In den Grenzen des Tors lag ein langer, bunter Tunnel. Ein dunkler Schatten in seinem Inneren näherte sich. „Open the enternal gate! Excel Summon!“ Velvet riss den erhobenem Arm hinunter und zeigte ihren Handrücken, in dem ein schwarzer Stern eingraviert war. „Grade 8! Now rise, [Ebon Sky Pegasus]!“ Dann folgte ein Moment kompletter Schwärze, als ihre Kreatur das Feld betrat. Das Portal hinter Velvet schwand, als das Licht zurückgekehrt war. Und über ihr verharrte ein majestätisches Wesen, wie selbst Zyxx es noch nie gesehen zu haben schien. „Wunderschön“, hauchte er fasziniert im Antlitz des schwarzen Pegasus. Die Spitzen seiner Federschwingen und auch seine Hufe brannten in blauen Flammen. Nicht anders war es mit der wallenden Mähne. Auf seinem Torso waren zu beiden Seiten rote, schwungvoll-gewellte Linien gezeichnet.   Ebon Sky Pegasus [ATK/2500 DEF/2000 X8]   Das blaue Feuer aus Velvets Augen löste sich auf, ihre Augen nahmen ihre normale, braune Farbe an. Blinzelnd stand sie da, sah mechanisch gen Himmel, wo ihr Monster auf Befehle wartete. „Huh!?“ Dann erst dämmerte es ihr. „Ah! Wo kommt das her!?“ Panisch wandte sie sich an Zyxx. „W-wie geht das?“ „Du hast es beschworen, Liebes. Was auch immer es ist.“ Seine nachdenkliche Art wich einer entschlossenen, als er sie geradewegs anstarrte. „Nun muss ich dich -wirklich- bitten, mit mir mitzukommen.“ Velvet schüttelte panisch den Kopf. Wenn sie das tat, würde sie zweifelsohne sterben. Sie sah wieder auf. Hatte sie dieses Monster wirklich beschworen? Wie? Sie erinnerte sich an diese seltsame Prozedur, aber nicht, woher sie sie überhaupt kannte. Geschweige denn, seit wann diese Karte überhaupt in ihrem Deck vorhanden war. „D-du wirst mir helfen?“, fragte sie an den schwarzen Pegasus gewandt, der aber nicht reagierte. Doch seine Karte lag auf ihrer Duel Disk, keine Frage. Statt eines farbigen Randes, füllte sein Artwork die komplette Karte aus und war nur an den wichtigen Stellen für den Text und die Werte ausgeblichen. Das Mädchen schluckte. Was ging hier vor sich? Seit wann konnte sie einfach Karten beschwören, die sie noch nie zuvor gesehen hatte!? Aber wenn er schon hier war und vielleicht, nur vielleicht vermochte er es, sie vor diesem Mann zu beschützen, dann würde sie nichts davon in Frage stellen. „Bitte!“, flehte sie und streckte den Arm aus. „Rette mich! Greife seine Lebenspunkte direkt an.“ Ein Blitz durchfuhr sie. Der Name seines Angriffs lautete: „Aether Hurricane!“ Zyxx schnalzte mit der Zunge, als der Pegasus seine Schwingen spreizte. Dieser Angriffe würde zweifelsohne ausreichen um ihn zu besiegen. Dann schlug Velvets neues Monster seine Flügel nach vorne aus, wobei sich von den blau-brennenden Spitzen Funken lösten. Der entfachte Wirbelsturm sog jene in seinem Marsch Richtung des Blonden in sich auf und ging dabei letztlich selbst in lodernd-blauen Flammen auf. „Du liebe Güte“, stöhnte der Mann und fasste sich an die Stirn. „Wer hätte gedacht, dass das Ganze so einen Verlauf nimmt? Fallenkarte aktivieren, [Pendulum Reborn]!“ Velvet stieß einen erstickten Schrei aus, als jene Karte vor Zyxx aufklappte. Die hatte sie völlig vergessen! „Dieses kleine Schätzchen ruft sofort ein Pendelmonster aus meinem Friedhof oder Extradeck zurück. Komm zu Papa, [Igknight Cavalier]!“ Über Zyxx öffnete sich das Pendelportal, aus dem ein roter Lichtblitz geschossen kam. Jener schlug vor ihm in Form der pinken Kunoichi-Ritterin ein, die kämpferisch vor ihrem Meister stand.   Igknight Cavalier [ATK/2400 → 2700 DEF/1200 → 1500 (5) PSC: <2/2>]   Solange der flammende Phönix, der Spielfeldzauber [Ignition Phoenix], am Himmel stand, würde Ebon nicht gewinnen können. Velvet rief hektisch: „A-angriff abbrechen, schnell!“ Wiehernd sorgte der Pegasus über ihr dafür, dass der brennende Wirbelsturm kurz vor der Kriegerin Halt machte und verpuffte. Neue Hoffnungslosigkeit brach über das Mädchen hinein. Alles umsonst. Nächste Runde würde Zyxx' Monsterarmee sie überrennen. Sie betrachtete ihre letzte Handkarte. Nein. Sie durfte nicht aufgegeben. Vielleicht konnte sie Zyxx mit einem Bluff überzeugen. „E-eine Karte verdeckt“, versuchte sie, so souverän wie möglich zu klingen. Und scheiterte kläglich. Zischend nahm die Karte zu ihren Füßen mit dem Rücken nach oben Gestalt an. So verkündete sie: „Z-zug beendet. I-ich warne dich-“ „Vor einer völlig unbrauchbaren Karte? Ich bitte dich, Täubchen, du solltest gar nicht erst versuchen zu lügen. Das steht dir nicht.“ Zyxx zog auf. Dann warf er einen nachdenklichen Blick auf Velvets so unvermittelt erschienenes Monster. „Hmm.“ Es folgte ein Fingerschnippen. „Ich benutze den Effekt meines Spielfeldzaubers [Ignition Phoenix] und zerstöre [Igknight Cavalier], um [Igknight Crusader] von meinem Deck zu erhalten.“ Der Feuerphönix am Himmel stieß einen schrillen Schrei aus. Sofort explodierte die Ritterin vor Zyxx lautstark, stieg als rote Essenz gen Himmel empor, wo sich das Pendelportal öffnete und sie verschlang. Eine einzelne Karte schob sich aus dem Deckschacht, der an Zyxx' Arm befestigt war. „Dann benutze ich [Igknight Reload] und mische ihn ins Deck zurück, um danach zwei Karten zu ziehen.“ Genau das tat der dunkelblonde Mann auch und zog zweimal hintereinander, betrachtete seine Karten skeptisch. „Hmm. Okay, beenden wir dieses Duell endlich. Pendulum Summon!“ Abermals öffnete sich ein Tor, umschlossen von zahllosen Lichtellipsen über ihm und stieß vier rote Lichtstrahlen aus. „Aus meinem Extradeck die Igknights Cavalier, Templar, Gallant und Veteran!“ Schon standen sie wieder vor ihm. Die pinke Kunoichi mit den Wurfmesserpistolen, der Sniperritter, sein Maschinengewehr schwingender Kamerad und zuletzt der Krieger mit dem Uzischwert.   Igknight Cavalier [ATK/2400 → 2700 DEF/1200 → 1500 (5) PSC: <2/2>] Igknight Templar [ATK/1700 → 2000 DEF/1300 → 1600 (4) PSC: <7/7>] Igknight Gallant [ATK/2100 → 2400 DEF/2200 → 2500 (6) PSC: <2/2>] Igknight Veteran [ATK/1300 → 1600 DEF/2700 → 3000 (6) PSC: <7/7>]   „Keine Sorge, Liebes, ich werde persönlich sicherstellen, dass es dir bei uns an nichts mangeln wird.“ Zyxx klang dabei tatsächlich aufrichtig. Doch das Mädchen, das am ganzen Leib zitterte, konnte nur wenig Anerkennung dafür zeigen. Sie schüttelte manisch den Kopf. Der bunte Vogel seufzte schwer, dann winkte er mit dem Handrücken. „Los meine Ritterchen, tut eure Pflicht …“ Cavalier zückte eines ihrer Wurfmesser. Es musste doch noch irgendetwas geben, was sie tun konnte, dachte Velvet verzweifelt. Aber außer ihrer nutzlosen, gesetzten Karte war da nichts, das zwischen ihr und dieser Armee stand. Nur der schwarze Pegasus. „Bitte“, flehte sie und richtete den Arm mit der Duel Disk vor sich aus, um auf die Karte sehen zu können. „Ah! D-das ist es!“ Natürlich, das Ding besaß einen Effekt und einen richtig guten sogar! „N-nein! I-ich aktiviere die besondere Fähigkeit meines [Ebon Sky Pegasus]!“ Velvet nahm dabei die von ihr zuvor gesetzte Karte aus dem Zauberfallen-Slot und schob sie in den Friedhof.   [Velvet: 1550LP → 550LP / Zyxx: 800LP]   „I-ich weiß nicht, woher dieses Monster kommt, aber es kann mir eine neue Chance verschaffen, wenn auch nur einmal. Für 1000 Lebenspunkte kann ich einen Zauber oder eine Falle von meinem Spielfeld auf den Friedhof legen“, erklärte Velvet und nahm all ihren Mut zusammen. „Um direkt eine andere aus meinem Deck zu aktivieren, ungeachtet ihrer Kosten.“ Zyxx zog eine Augenbraue an. „Hmm?“ Dir roten Streifen am Fell ihres Pegasus begannen grell aufzuleuchten. Es reckte das Haupt gen Himmel und wieherte majestätisch. Velvet rief: „Future Antithesis!“ Grelles, silbernes Licht strahlte anschließend aus seinen Seitenstreifen, Mähne und Flammen an den Hufen verfärbten sich entsprechend. „Ich aktiviere“, schilderte das Mädchen entschlossen ihr Vorhaben, „[Lightning Vortex], der all deine offenen Monster sofort zerstört. Nimm das!“ Ein Blitz schoss aus dem Himmel und fegte über die vier Krieger ihres Gegners hinweg. Eines nach dem anderen zersprang in tausend Partikel und wurde vom Pendelportal absorbiert. Sich an die Stirn fassend, schien Zyxx nicht allzu überrumpelt vom Verlust seiner Armee. „Hach, du bist wirklich ein Popo voll Arbeit.“ „I-ich gebe nicht auf.“ In dem Moment sank der Pegasus zu ihr hinab. Seine Hufe berührten sanft das Moos unter ihnen. Die silbernen Flammen nahmen ihre gewohnt blaue Färbung an. Scheinbar hatte er sich verausgabt, konnte sein Effekt ja nur einmal pro Duell aktiviert werden. „Ein wenig Kampfgeist steht dir.“ Zyxx nahm seine beiden verbliebenen Handkarten und führte sie in seine Energie-Duel Disk ein, wodurch sie zu seinen Füßen erschienen. „Fu fu fu, vielleicht sollte ich für unseren letzten Showdown auch ein wenig enthusiastischer werden.“ Er verhärtete seinen Blick derart, dass Velvet ganz anders wurde. Seine grünen Augen strahlen eine Macht aus, wie sie sie noch nie erlebt hatte. Ein eiskalter Schauder lief ihr den Rücken hinab. Das da war kein Mensch.   Trotzdem durfte sie jetzt nicht aufgeben. Solange auch nur die geringste Chance bestand, dass er sein Versprechen hielt, würde sie weiterkämpfen. Auch wenn es keinen Grund gab, warum er das überhaupt sollte. Wahrscheinlich wusste er von Anfang an, dass sie die Zukunft sehen konnte. „Ah!“ In dem Moment wurde ihr außerdem etwas bewusst. Der Mann aus ihrer letzten Vision, dieser Weißhaarige, war derselbe gewesen, dem sie in der von heute Morgen gegenüber gestanden hatte. Dann bedeutete das, dass alles miteinander verknüpft war. „I-ich weiß, ich habe noch gar nicht gefragt, warum du mich mitnehmen willst. Aber langsam verstehe ich es.“ Velvet schluckte. „Du und der Weißhaarige, ihr … ihr wollt das Ende der Welt einläuten!“ Zyxx zeigte keine Regung. Was unüblich für ihn schien, ließ er sonst doch nichts unkommentiert. „I-ihr müsst damit aufhören! Ich habe es gesehen. Alles wird eingeschlossen, in ein grelles Licht, es ist das Ende von allem!“ Immer noch keine Reaktion. Er sah sie eindringlich an, ebenfalls konträr zu seiner sonst eher unbekümmerten Art. Velvet flehte: „Bitte, du musst mir zuhören!“ Entgegen ihres Aufrufs aber schüttelte er den Kopf. „Was geschehen soll, wird auch geschehen. Und ich begrüße die Zukunft, die du in deinem Traum gesehen hast. Für mich wäre sie Erlösung.“ Erschrocken wich Velvet zurück. „Was!?“ „Täubchen“, sprach er und lächelte dabei wieder so freundlich wie zuvor, „ich lebe schon sehr lange. Ab einem bestimmten Zeitpunkt spielt es keine Rolle mehr, wie viel noch kommt, da das Leben keinen Spaß mehr macht. Deswegen helfe ich dem 'Weißhaarigen'. Ich und noch eine Menge anderer Leute.“ Panisch schüttelte Velvet den Kopf, doch Zyxx war noch nicht fertig. „Ich weiß, es ist schwer für dich, das zu akzeptieren. Du musstest wahrscheinlich schon viele schlimme Dinge sehen, aber bisher hat sich immer alles zum Guten gewandt. Dieses Mal wird das nicht geschehen.“ Seine Worte lösten etwas in der Schwarzhaarigen aus, das sie so von sich nicht kannte. Trotz. Das letzte, was sie wollte, war Teil eines solchen Plans zu sein. Wenn die Welt unterging, würden all ihre Lieben sterben, all ihre Freunde, alle! „Das lasse ich nicht zu! Und wenn ich selbst gegen euch kämpfen muss!“ „Das wirst du, Liebes.“ Und da blitzen sie kurz auf, seine langen Eckzähne.   War er ein Vampir!? Obwohl sie sich für ihre tollkühnen Worte sofort schämte, spürte sie ein Feuer in ihrem Herzen, das wirklich für das einstehen wollte, was sie gesagt hatte. „Draw!“ Sie riss die Karte von ihrem Deck und betrachtete sie. Dann sah sie auf. Vor Zyxx lagen zwei verdeckte Karten. Nächste Runde würde er wieder pendeln und dann war es endgültig vorbei. Sie musste es in diesem Zug beenden. Wieder schaute sie sich ihre Handkarte an. Wenn sie eines gelernt hatte, dann dass der Typ immer für eine Überraschung gut war. Er fühlte sich nicht bedroht von ihr, trotz des Wunders, das [Ebon Sky Pegasus] war. Also musste dort irgendetwas liegen, um ihre Angriffe abzuwehren oder gar um ihre Monster zu zerstören. Doch wenn Letzteres der Fall war, würde -das- ihn kalt erwischen. „Ich beschwöre [Spiritual Beast Tamer Winda]!“   Spiritual Beast Tamer Winda [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Vor ihr tauschte eine Zauberin mit langem, hellgrünem Haar auf, die in kurzer, schwarzer Hose und langem, beigefarbenem Cape da stand und ihren Zauberstab ausschwang. In dem Moment, in dem der Angriff ihn überrumpelte und seine Lebenspunkte auslöschte, würde Velvet rennen. So schnell sie konnte. Zumindest nahm sie es sich fest vor, doch da war immer noch Sammy, von dem weiterhin jede Spur fehlte. „D-direkter Angriff auf seine Lebenspunkte, [Ebon Sky Pegasus]“, presste das Mädchen schmerzerfüllt hervor, wissend, dass sie den Golden Retriever im Stich lassen musste. „A-aether Hurricane!“ Sofort spreizte der vor ihr stehende Pegasus seine schwarzen Schwingen aus. Die blau lodernden Spitzen schlugen Funken, als er sie im Anschluss nach vorne ausschlug. Ein Wirbelsturm entstand, der auf seinem Weg zu Zyxx blaue Flammen fing und zu einem Feuertornado anwuchs. Velvet drehte sich in dem Moment um und wollte losrennen, doch Zyxx' Worte ließen sie erstarren. „Nicht so schnell, meine Liebe.“ Sie hörte, wie hinter ihm eine der gesetzten Karten hochfuhr. „Ich denke, meine Fallenkarte [Blazing Mirror Force] wird dir nicht gefallen.“ Nervös blickte Velvet über die Schulter und sah, wie der lodernd-blaue Wirbelsturm auf eine Feuerbarriere traf, die sich vor Zyxx errichtet hatte. Jener erklärte: „Es tut mir leid, dir das zu sagen, aber durch deinen unbedarften Angriff werden all deine Monster zerstört.“ „Mit so etwas habe ich schon gerechnet“, hielt sie dagegen, „deswegen habe ich auch [Spiritual Beast Tamer Winda] gerufen. Wenn sie zerstört wird, ruft sie ein Spiritual Beast aus meinem Deck oder sogar aus meinem Extradeck aufs Feld. Du wirst einen Angriff einstecken, ob du willst oder nicht!“ Der dunkelblonde Mann lächelte amüsiert. „Und da täuscht du dich, Täubchen.“ Langsam wurde der Ätherwirbel von der Flammenbarriere zurückgedrängt, bis er mit einem Mal ruckartig auf Velvets Monster zurückgeworfen wurde. Erst zerfetzte es den Pegasus, dann Winda. Aber damit nicht genug, schlugen die blauen Flammen plötzlich um die Schülerin selbst, welcher ganz schummerig wurde. „Ah!“ „Deinen Angriff gegen dich zu richten war nur ein Teil des Effekts von [Blazing Mirror Force]. Der zweite fügt uns beiden Schaden zu, der der Hälfte der Angriffskraft der vernichteten Monster entspricht.“ Größer und größer wurden Velvets Augen, als sie begriff. „A-aber das sind ja dann 2050 Punkte für jeden von uns! D-das Duell endet in einem Unentschieden!“ „Und wieder irrst du dich“, flötete Zyxx und stemmte eine Hand in die Hüfte. „Denn wie du siehst, stehen zwei Karten hier vor mir offen.“ Was Velvet einen spitzen Schrei entlockte, als sie ihr Augenmerk von ihm auf die beiden Karten vor ihm richtete, die tatsächlich beide aufgeklappt standen. Was bei den blauen Flammen, die um sie herum schlugen, gar nicht so einfach war. Die linke war die purpur umrandete Falle, die andere eine mit grünen Rahmen, ein Schnellzauber. „[Emergency Provisions]!?“ „Wenn du in deiner Duellschule gut aufgepasst hast, weißt du, dass ich damit beliebig viele meiner anderen Zauber- und Fallenkarten auf den Friedhof legen kann, um für jede 1000 Lebenspunkte zu bekommen.“ Passend dazu löste sich [Blazing Mirror Force] von unten nach oben auf. Doch Velvet widersprach aufgebracht. „Aber du hast nur eine-!?“ „Nein, Täubchen, genau genommen habe ich sogar vier.“ Symbolisch dazu zeigte er ihr entsprechend viele Finger. Und das Mädchen begriff, als sie hinauf zum flammenden Phönix am Himmel und die beiden Ritter in den hellblauen Lichtsäulen blickte. Spielfeldzauber konnte er auch opfern, ebenso Monster in den Pendelzonen, die dort als Zauberkarten behandelt wurden. Dann … dann hatte sie verloren. Velvet war so gelähmt von dieser Erkenntnis, dass sie völlig ihren Plan vergaß, unabhängig vom Ausgang wegzurennen. „Schluss damit!“, hallte plötzlich eine Stimme hinter ihr durch die Lichtung. Ehe Velvet sich versah, zischten kleine Schatten über ihren Kopf hinweg. Metall traf auf Metall. Zyxx fluchte und wich zurück. Die Hologramme verschwanden urplötzlich. In Arm des Mannes, dort wo seine Duel Disk sich befand, steckte ein Wurfmesser, das den ganzen Apparat samt Arm durchbohrt hatte. Dann spürte Velvet nur noch, dass etwas Hartes gegen ihre Schläfe schlug. Alles verschwamm, die Welt drehte sich. Dann Dunkelheit.   Schwarze Stiefel traten neben Velvet auf, die bewusstlos am Boden lag. „Wie schön, dass du dich endlich zeigst“, sprach Zyxx süßlich, der das Wurfmesser nebenbei unbekümmert herauszog. Seine Solid-Vision-Duel Disk war fort, Blitze schlugen um sein Handgelenk, die Karten lagen am Boden. Die Kuttenträgerin hinter der weißen Porzellanmaske spottete: „Es war ein Fehler, mich nicht sofort auszuschalten.“ „Du meinst deswegen?“ Der blonde Mann nickte den drei weiteren Messern zu, die in einer Dreiecksformation neben ihm in der Erde steckten. Zyxx lachte erheitert. „Daneben, Herzchen.“ „Ich würde sagen 'Volltreffer'“, hielt Kali überheblich gegen. Zyxx ließ sich jedoch nicht aus der Fassung bringen. Auch nicht, als sich der Boden unter seinen Füßen weiß verfärbte. In den Grenzen der drei Messer nahm er die Gestalt von akkurat aneinander gereihten Marmorfliesen an. Die selbsternannte Dämonengöttin hob die rechte Hand und winkte. „Du hast ein Erste-Klasse-Ticket in den Weißen Raum gewonnen. Ohne Rückfahrschein. Bye bye.“ Noch bevor der große, dunkelblonde Mann reagieren konnte, schoss unter ihm eine grelle, dreieckige Lichtsäule empor, die so schnell wieder verschwand wie sie gekommen war. Zyxx war fort, ebenso die Messer, die in der Erde gesteckt hatten, welche wieder ihre ursprüngliche Form annahm. Dies erledigt, drehte sich Kali stöhnend um, wo die bewusstlose Velvet mit ausgebreiteten Armen wehrlos am Boden lag. „Tsk.“ Sie kniete sich nieder und betrachtete das Mädchen eingehend. Dabei murmelte sie vor sich hin: „Wird 'ne Qual, auf dieses Mädel aufzupassen …“ Dann erhob sie sich wieder und sah sich um. „Nichts für ungut, aber dafür habe ich im Moment keine Zeit. Ich werde woanders erwartet und das kann dauern. Falls du den Freak mit dem Katana siehst, richte ihm das aus.“ Natürlich war sich Kali bewusst, dass Velvet sie in ihrem Zustand nicht hörte. Aber vielleicht -sah- sie es eines Tages, wenn sie ihre Kräfte besser beherrschte. Nicht, dass die junge Frau ihr so etwas überhaupt wünschen würde. „Nun, wo ist jetzt dieser verdammte …“   ~-~-~   Etwas strich ihre Wange. Rau und noppig. Beim zweiten Mal schreckte Velvet hoch. „Ah!“ Sammy versuchte erneut ihr Gesicht abzuschlabbern, aber mit sanfter Gewalt schob das Mädchen ihn von sich weg. Dann erst dämmerte es ihr. „Oh! Sammy!“ Sofort änderte sie ihre Meinung und umarmte den Golden Retriever überglücklich. „Oh Gott, wo warst du bloß!?“ Schluchzend ließ sie von ihm ab. Sie wollte sich an Zyxx wenden, aber die Lichtung war verlassen, abseits von ihr und Sammy. Wo war er hin!? Sie erinnerte sich noch, dass er eine Fallenkarte aktiviert hatte, aber danach muss sie das Bewusstsein verloren haben. Langsam stand sie auf und sah sich um. Das erste, was ihr auffiel, war dass die Duel Disk an ihrem Arm eingefahren war. All ihre Karten befanden sich im Deck. Was Velvet mehr als merkwürdig vorkam. Vielleicht hatte sie das alles nur geträumt? Doch wer regelmäßig Visionen von großen Katastrophen hatte, konnte schwerlich noch an so etwas glauben. Am Ende hatte dieser Zyxx erkannt, dass er mit ihr nichts anfangen konnte. Zumindest hatte sie ihren Tod fürs Erste verhindert. Das hatte sie doch, oder? Das Mädchen packte sich an beiden Schultern und begann zu schluchzen. „K-komm Sammy, wir gehen nachhause.“     Turn 90 – The Honor Student Am nächsten Tag erzählt Velvet ihren Freunden von der Begegnung mit Zyxx und der Excel-Beschwörung. Leider fallen die Reaktionen darauf anders aus als erwartet. Mehr noch, bezeichnet Isaac sie sogar als Lügnerin. Was Tatjana, seine geschworene Erzfeindin, auf den Plan ruft … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)