Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 105: Turn 96 - Witch Fight ---------------------------------- Turn 96 – Witch Fight     Anya klappte die Kinnlade hinunter. Etwas, das in der Regel nur dann passierte, wenn jemand sie im Duell jeden Moment mit gewaltiger Offensive wegklatschen würde. Oder wenn etwas geschah, mit dem sie nicht einmal ansatzweise gerechnet hätte und das sie gleichzeitig bewegte. „A-Abby“, stotterte sie fassungslos, „w-was machst du denn hier?“   Da stand sie tatsächlich, in einem weißen Kleid und dazu passendem Hut in den Händen, den sie verhalten vor sich hielt. Nur aus den Augenwinkeln nahm Anya den Taxifahrer wahr, der um den Wagen neben ihnen schritt und einen Koffer auslud. „Euch besuchen“, sagte die Brünette mit dem leicht gewellten Haar und der dezenten, fast unsichtbaren Brille verhalten. Ihr Anblick war wahrlich kein Vergleich zu früher mehr, als sie noch in ihrer Hippie-Phase war, dunkel getönte Brillen trug und in, von Anya gemeinhin als 'Kartoffelsäcken' betitelt, herumlief. „Ich habe Semesterferien.“   Ja, Abby Masters studierte seit fast einem Jahr in London. Und seitdem hatte Anya sie nur selten gesehen, entweder in besagten Ferien oder zuletzt auf Valerie Redfields misslungener Hochzeit. „Cool!“, staunte Anya. Sie vergaß dabei fast, dass da noch jemand war. Othello saß in dem von ihr geschobenen Rollstuhl und wartete geduldig darauf, dass man ihn wahrnahm. Und Gutmensch, wie Abby nun mal war, kam sie dem auch umgehend nach. „Hallo. Ich kenne dich. Du bist doch Othello, Anyas Finalgegner vom Legacy Cup. Schön, dich kennenzulernen.“ Sie ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. „Hallo“, erwiderte Othello freundlich. „Wie kommt es, dass ihr beide …?“, fragte Anyas Freundin aus Kindheitstagen vorsichtig. „Uh, wir haben-“ „Lange Geschichte“, schnitt Othello der Blonden ins Wort. „Anya, um ehrlich zu sein, hat mich der Weg durch die Stadt doch ganz schön erschöpft. Hättest du etwas dagegen, wenn ich mich mit dem Taxi nachhause fahren lasse?“ Anya blinzelte verdutzt, gab dann aber demotiviert nach. „'kay.“ „Tut mir leid“, entschuldigte er sich reumütig, „aber wir treffen uns zu dem richtigen Stadtbummel, versprochen.“   Abby bezahlte bei dem Taxifahrer ihre Fahrt und zusammen mit ihm und Anya halfen sie Othello dabei, einzusteigen und seinen Rollstuhl auf der Rückbank zu verstauen. Nachdem das Taxi die Straße entlang fuhr und beide zum Abschied winkten, wirbelte Anya herum. „Tja, das lief anders als geplant.“ Ihre Freundin kicherte verschwörerisch. „Sag bloß, da läuft was zwischen euch? Was ist mit Logan?“ „Huh!? Willst du per Fußtritt-Express direkt wieder nach London, Masters!?“, fauchte Anya und wurde knallrot im Gesicht. „Othello ist ein Freund, mehr nicht. Und Logan, uh, der ist, uhm … nicht hier.“ Die letzten Worte sprach sie betrübt aus. „Was ist denn passiert?“ „Komm rein, ich erzähl's dir.“   Kurz darauf saßen die beiden in Anyas wie üblich absolut chaotischem Zimmer auf der Bettkante. „Ha ha, hier hat sich nichts verändert“, stellte Abby glücklich fest. „Was soll sich auch verändern? Veränderungen sind scheiße!“ „Ich möchte widersprechen“, murmelte die Brünette eine Spur beleidigt und seufzte, „aber ich verstehe schon, woher deine Meinung rührt.“ Anya interessierte allerdings etwas ganz anderes. „Sag mal, wieso bist du eigentlich hier ausgestiegen und nicht bei dir zuhause?“ „Nun, also“, geriet ihre Freundin ins Hadern und saß auf einmal kerzengerade. Dann aber gab sie sich einen Ruck. „Ach weißt du, natürlich möchte ich meine Eltern und Geschwister sehen, aber um die habe ich mir keine Sorgen gemacht. Um dich schon.“ „Huh?“ „Du hast dich in letzter Zeit kaum gemeldet!“ Abby sah Anya vorwurfsvoll von der Seite an. „Ich wusste gar nicht, was los ist, bis ich es von deiner Mutter erfuhr. Du wärst beinahe mit dem Flugzeug abgestürzt! Wie bist du da heil herausgekommen!? Und wieso warst du wirklich die Tage davor im Krankenhaus!?“   Also begann Anya die Geschichte zu erzählen. Wie sie Claire Rosenburg in einem Riding Duel fast besiegt und dabei die halbe Strecke in Schutt und Asche gelegt hatte, dass sie am selben Abend noch von Kali herausgefordert wurde, nur um diese in den Boden zu stampfen und anschließend von ihrer Lehrmeisterin Gardenia in deren Weißem Raum eingesperrt zu werden. Die Zeitdileirgendwas dort hatte sie einen ganzen Tag verlieren lassen und die von der Weißen Hexe zugefügten Wunden musste sich ein Arzt ansehen, der sie natürlich prompt ins Krankenhaus steckte. Und dann der beschissene Flugzeugabsturz, das ganze Theater mit den Cops, als ob sie und ihre Freunde Schuld daran gewesen wären. Pft! Sie antwortete auch auf Abbys Frage, was mit Logan sei und dass dieser noch in Ephemeria City den Behörden stand hielt, nachdem er die Schuld für das Desaster auf sich genommen hatte. Und dass aus dem Nichts irgendsoein Kerl das Verbrechen gestanden hatte, wodurch Logan aus dem Schneider war. So unlogisch das alles auch klang …   Als sie ihre Geschichte beendete, war es Abbys Kinnlade, die offen stand. „Spar' dir deine Kommentare“, murrte Anya geknickt, „ich weiß, dass das alles Scheiße war. Aber was sollte ich tun?“ „Nicht zu einer Kriminellen werden?“ Ihre Freundin hauchte die Worte mit einer gewissen Spur Ehrfurcht. Oder nur Furcht? „Zerstörung öffentlichen Eigentums, Ansporn zu einer Falschaussage, Einbruch in das Bridge Stadium, nochmal Zerstörung öffentlichen Eigentums, Terrorverdacht, weil ihr das Flugzeug vor dem Absturz verlassen habt-“ „Das war keine Straftat, wir waren es wirklich nicht!“ Abby musste sich sehr zusammenreißen, um die nächsten Worte mit maximaler Fassung auszusprechen: „Anya, bei allem Respekt, aber es ist ein Wunder, dass du noch nicht hinter Gittern bist.“ „Hatte halt Glück.“ „Nein, du hattest kein Glück!“, widersprach Abby mit erhobener Stimme. „Da waren überall Leute mit im Spiel, die ihre schützende Hand über dich gehalten haben!“ „Sag das dieser merkwürdigen Vision, die mich aus dem Flugzeug gelotst hat!“ „Auch die kommt nicht von irgendwo her!“, fauchte die Brillenträgerin. „Jemand wollte dich beschützen! Und wenn es nur der Sammler war.“ Anya sprang wütend auf. „Pah! Mit dem habe ich nichts mehr am Hut, Abby! Der kam neulich auch vorbei-“ Sofort war auch die Sirene auf den Beinen. „Und du lebst noch, was ein weiteres Wunder ist, nachdem Matt und Valerie ihn beinahe, für -dich-, umgebracht hätten! Obwohl sie ebenfalls viel zu verlieren haben!“ „Jetzt gibst du mir die Schuld für deren Alleingang!?“ „N-nein, ich sage bloß, dass-“ Die Blonde stampfte wütend auf. „Herrgott Masters, steck du mal in meiner Haut! Was würdest du denn an meiner Stelle anders machen!?“ Da verstummte Abby. Auch Anya senkte schuldbewusst beim Anblick ihrer entsetzten Freundin die Stimme. „Ich habe eingesehen, dass es zu gefährlich ist, dem Sammler bei seinem Plan zu helfen. Keine gefährlichen Aktionen mehr, versprochen. Die Undying werden mir helfen, meine Lebenskraft zurück zu kriegen oder irgendwie wiederherzustellen.“ „Anya … Ah!“   Beide wurden von einem surrenden Geräusch aufgeschreckt. Vor Anyas Kleiderschrank, am anderen Ende des Zimmers, öffnete sich ein schwarzes, ovales Portal. Stählerne Stiefel traten daraus hervor, die zu einer Gestalt gehörten, die die beiden wahrlich überragte. Der Hüne steckte in einer goldenen Rüstung, über der eine weitere, silberne lag. Ein roter Umhang reichte bis zu seinen Füßen. Der Anführer der Undying trat würdevoll aus dem Portal wie ein General, der eine Armee in den Krieg führte. Dabei reichten die roten Borsten an seinem Helm bis an die Decke. Abby schreckte zurück. „O-oh!“ „Ricther“, nannte Anya ihn leise beim Namen. „Das ist er?“, flüsterte Abby ihr mit einer gehörigen Priese Ehrfurcht zu. Die nickte und sah den Hünen abwartend an. „Yeah, wie auf Kommando … Was gibt’s?“ „Verzeih' meine Indiskretion, Anya Bauer, aber ich kam nicht umher, eure Unterhaltung mitzuverfolgen.“ Sofort kam eine alles andere als verständnisvolle Reaktion zurück: „Du spionierst mir nach?“ „Natürlich. Es ist nur zu deinem Besten.“ „Tch!“ „Das ist … unhöflich!“, gab auch Abby zu verstehen, nachdem sie scheinbar spürte, dass von diesem uralten Wesen keine Gefahr ausging. „Es verletzt ihre Persönlichkeitsrechte!“ Er lachte. „Ich fürchte, unsere derzeitige Lage erlaubt es uns nicht, Menschengesetze zu befolgen.“ „Warum bist du hier?“, fragte Anya gereizt. „Erst schließen wir einen Waffenstillstand und dann meldet ihr euch nicht. Um ehrlich zu sein dachte ich schon, ihr hättet mich vergessen!“ Sie ballte beide Hände zu Fäusten, was auch ihrer Freundin nicht entging, die Anya umgehend ihre Hand auf die Schultern legte. „Bleib ruhig!“ „Verzeih mir. Wir haben dich nicht vergessen. Unser Versprechen, dich aus deiner Lage zu befreien, steht weiterhin. Aber bevor wir keine Ergebnisse präsentieren konnten, hielten wir es für das Beste, dich zunächst nicht zu behelligen.“ Er trat beiseite, richtete seine Hand auf das noch immer geöffnete Portal. „Folge mir. Ich werde dir zeigen, zu welcher Lösung unsere Bemühungen uns geführt haben.“   Das verspricht interessant zu werden, Anya Bauer.   Abby, die den Immateriellen ebenso hören konnte, strahlte. „Hallo, Levrier!“ Schön dich zu sehen, Abigail Masters. Dir scheint es in London gut ergangen zu sein.   „Ja, es ist toll.“ „Hört auf mit dieser 'glücklichen Wiedervereinigungs'-Plänkelei“, raunte Anya und zog an Abby vorbei. Sie hielt auf Ricthers Höhe und blickte finster zu ihm auf. „Schauen wir uns lieber an, wovon der da redet.“ Abby sah ihr nur noch hinterher, wie sie wie eine Dampframme durch das Portal stürmte. Mit einem Anflug von Panik richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Ricther, der scheinbar auf sie warte. „I-ich auch?“ „Ungern. Angesichts der Tatsache, dass bereits andere ihrer Freunde unsere Domäne betreten haben, kann ich wohl ein Auge zudrücken.“ Er wandte sich von ihr ab. „Du kannst aber auch gerne hier auf uns warten, Abigail Masters.“ Die schluckte. „I-ich denke, ich komme lieber mit. Anya ist gerade etwas zu aufgewühlt, um sie alleine mit … mit euch zu lassen.“ Wie sie an dem Undying vorbei schritt, beklagte sie insgeheim ihr Glück und Anyas Talent, sie immer wieder in Schwierigkeiten zu bringen. Dabei war sie doch gerade erst in Livington angekommen. Aber sie konnte ihre Kindheitsfreundin nicht alleine lassen. Ein Elefant im Porzellanladen der Undying? Da waren Schwierigkeiten doch vorprogrammiert! Kurz vor dem schwarzen, wie Teer glänzendem Portal blieb sie jedoch noch einmal stehen und richtete ihre Worte an Ricther: „Vielen Dank, dass ihr Anya eine Chance gebt und ihr helft. Aber solltet ihr euch jemals wieder gegen sie wenden, werde ich euch bekämpfen.“ Dabei drehte sie sich zu dem Hünen um und ließ ganz kurz ihre pinken Augen aufflackern.   -~-~-   Mit gesenktem Haupt schritt Velvet über den Innenhof ihrer Schule. Der Kies, der rings um die Wiese in der Mitte angelegt war, knirschte unter ihren Füßen. Schüler liefen an ihr vorbei, glücklich über das Ende des Unterrichts, aber sie lachte nicht mit oder unterhielt sich mit jemandem. Noch immer hing ihr das Erlebnis mit diesem Harrier nach. Hätte sie doch bloß etwas unternommen, ihn irgendwie aufgehalten. Aber ihre Angst hatte sie gelähmt.   Velvet stand in einem weißen, sterilen Krankenzimmer vor dem Bett, in dem Melinda lag. Diese war angeschlossen an ein Beatmungsgerät und diverse andere Maschinen. Es war ein fürchterlicher Anblick, wie die rothaarige da lag, mehr tot als lebendig. Und keiner konnte sich die Ursache dafür erklären.   „Es ist nicht deine Schuld“, sprach der Mann neben ihr. Sofort als er von dem Angriff auf den Sitz der AFC erfuhr, war Henry Ford dorthin aufgebrochen, nur um mitten während der Fahrt einen Anruf mit der schrecklichen Nachricht zu erhalten, seine Schwester wäre ins Koma gefallen. Velvet wollte sich gar nicht ausmalen, was gerade in ihm vorging. Der Brünette im weißen Businessanzug hielt die Hand seiner Schwester. „Sie ist schon immer ein Dickkopf gewesen, der alles alleine regeln wollte. Wenn, dann müsste ich ihr eine Kopfnuss dafür geben, dass sie dich überhaupt mit nach unten genommen hat.“ „Dieser Mann, dieser Harrier … er schien“, begann Velvet, brach dann aber mitten im Satz ab. Wer wusste schon, was sie damit auslösen würde, wenn sie ihm jetzt gestand, dass er sie zu kennen schien und vermutlich zu den Leuten gehörte, die sie entführen wollten. „Hm?“ „E-er schien wohl bereits fertig zu sein, was auch immer er getan hat. Wir haben ihn auf der Flucht abgefangen.“ „Das hast du der Polizei bereits gesagt, nicht wahr?“ Das schwarzhaarige Mädchen mit der Brille nickte schuldbewusst. Henry legte seine andere Hand auf ihre Schulter. „Dann solltest du jetzt nachhause und dich ausruhen. Ich werde jemanden rufen, der-“ „Wie können Sie so nett zu mir sein?“, fragte Velvet mit einem Mal verzweifelt. „I-ich habe eine Ihrer Karten, bin Zeugin, wie Ihre Schwester … wie sie …“ Schluchzend begrub sie ihr Gesicht in die Hände und begann zu weinen. „Ich denke, ich weiß schon, wie ich dich einzuschätzen habe“, sprach Henry ernst, „auch wenn es Dinge gibt, die du uns immer noch erklären solltest. Aber das kann warten. Wenn du bereit bist. Wir sind nicht deine Feinde, Velvet. Wir wollen nur verstehen, was hier vor sich geht.“ Sie sah mit tränennassen Augen auf. Und sie log nicht, als sie erwiderte: „Ich weiß es nicht.“   „Yo Velvet, was geht?“ Das Mädchen wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Fabio mit seinem Riesenafro in ihr Sichtfeld trat. Er lief neben ihr her und beugte sich dabei zu ihr vor und machte ein ernstes Gesicht. „Du siehst heute noch deprimierter aus als sowieso schon. Ich dachte, das wäre gar nicht mehr möglich.“ Zu ihrer Linken eilte Patrice heran. „Nicht, dass du nicht trotzdem hübsch wärst.“ „Spart euch die Macho-Sprüche“, knurrte Tatjana hinter ihnen. Der Afroamerikaner protestierte sofort: „Nu! Ich hab doch gar nichts gemacht!“ Isaac, der letzte im Bunde, welcher an der Gruppe vorbei schritt und dann vor ihnen stehen blieb, schüttelte den Kopf. „Velvet, was ist los?“ „N-nichts.“ „Lüg' uns nicht an“, meinte der große Blonde trocken, „irgendetwas ist passiert. Sag uns was.“ Die Bande blieb vor ihm stehen, wie er mit forderndem Blick die Arme verschränkte. Velvet sah von ihren Freunden zur Linken, dann zur Rechten, wie sie sich alle um sie versammelten und schluckte. Es half wohl nichts. Und so schilderte sie ihnen ihren Besuch bei der AFC.   Nachdem sie alles gehört hatten, waren sich die vier ausnahmsweise in einer Sache einig. „Du brauchst Schutz“, brachte Patrice es auf den Punkt. „Gehen wir zur Polizei!“, forderte Tatjana unter heftigem Kopfschütteln Velvets. „Liebes, das wäre das Beste und du weißt es.“ „Nein! Keiner wird mir glauben! Und selbst wenn doch, könnte die Polizei mich nicht beschützen! Wenn diese Leute mich wirklich mitnehmen wollen, dann werden sie es schaffen!“ Mit jedem Wort drang mehr Verzweiflung aus ihr hervor. „Es ist sinnlos!“ Die Deutsche seufzte schwer. „Du hast Angst. Das ist ok. Aber genau wegen solcher Gedanken sind schon viele nicht zur Polizei gegangen. Und das ist falsch! Sie -können- dir helfen!“ „Nein!“, widersprach Velvet und lief rückwärts, wurde dabei von Patrice und Fabio sanft an den Schultern gepackt. „Dieser Harrier allein war … er hat sie einfach …“   Schluchzend sackte sie in die Knie, sodass die beiden Jungs zu ihr hinab knieten. Fabio streichelte sanft ihren Rücken. Derweil tauschten Tatjana und Isaac düstere Blicke aus. „Warum ich?“, wimmerte Velvet. „Ich habe niemandem etwas getan.“ „Ja. Warum du …“ Isaac fasste sich ans Kinn. Das pummelige Mädchen mit dem schwarz-gelockten Haar vermutete: „Vielleicht die Karte?“ „Nein, die hat sie -während- des Duells erst bekommen“, widersprach Isaac sofort. „Das muss nichts heißen! Wenn sie das nämlich schon vorher wussten.“ Der Blonde schloss die Augen. „Hmm. So ungern ich es auch zugebe, du könntest Recht haben. Aber vielleicht irrst du dich auch.“ Patrice erhob sich. „Denkst du, was ich denke?“ Sein Gegenüber nickte. „Ja. Harrier ist ein Hacker, der mühelos in die AFC eingedrungen ist und dort seinen Plänen nachgegangen ist. Eine Gruppe, die so jemanden an Bord hat, braucht kein kleines Mädchen, das ihnen Karten in die Hand zaubert. Und das ist auch nicht, was Velvet auszeichnet …“ Der Venezolaner beendete Isaacs Satz. „… sondern ihre Visionen.“ Tatjana gab einen erschrockenen Seufzer von sich. Fabio sah fassungslos auf, während er Velvet festhielt. „Nu! Warum sind wir da nicht früher drauf gekommen!?“ „Wir wissen zwar nicht, mit wem wir es zu tun haben, aber derjenige, der Velvet hat, könnte sie dazu benutzen, um seine Pläne umzusetzen.“ Isaac öffnete die Augen wieder. „Sie könnte jedes Hindernis vorhersagen und derjenige könnte entsprechend reagieren. Aber dazu müsste sie ihre Kräfte zunächst kontroll-“ „Schluss jetzt!“, polterte Tatjana plötzlich wütend. „Merkt ihr nicht, dass das gerade nicht der beste Zeitpunkt für sowas ist?“ Mit ausgestreckter Hand deutete sie auf Velvet, die am Boden war und schluchzte. Sie wirbelte zu ihr herum und fiel auf die Knie. „Hey, ich weiß, was dich jetzt aufheitern wird. Ein kleiner Stadtbummel. Wir gehen alle zusammen ein bisschen shoppen, sehen uns im Kino 'ne heiße Romanze an und gehen danach etwas essen. Na, was sagst du?“ Hinter ihr rollte Isaac mit den Augen. Aber Velvet blickte auf. „O-okay …“   -~-~-   Zu fünft liefen sie den Bürgersteig entlang. Die beiden Mädchen führten die Gruppe an. Insbesondere Tatjana strahlte, hatte sie doch eine brandneue Handtasche – eine aus weißem Kunstleder – am Arm. „Warum hast du dir nichts gegönnt?“, fragte sie Velvet strahlend. „Der Laden war klasse!“ „Mir … hat nichts gefallen“, murmelte das Mädchen mit dem rechts gebundenen, langen Pferdeschwanz betrübt, „und selbst wenn, hätte ich mir da nichts leisten können.“ Tatjana gestand: „Ja, die Preise waren nicht ganz ohne.“ „Ja“, murrte Patrice hinter ihr, „deswegen hast du auch gleich den halben Laden leergekauft!“ „Nu, ich glaub, ich habe einen Hexenschuss!“ Die beiden Jungs waren es nämlich, die die Einkaufstaschen, Kartons mit Schuhen und anderem Kram tragen mussten. So schwer, wie sie beladen waren, glich es einem Wunder, dass sie noch auf zwei Beinen standen. Bissig kommentierte Isaac, der neben den beiden herlief, deren kläglichen Anblick. „Ihr seid selber schuld, wenn ihr eure Hilfe anbietet.“ „Wenigstens sind sie zu etwas nütze, anders als du“, maulte Tatjana zurück. Anstatt auf die Provokation einzugehen, betrachtete der Blonde das Mädchen, das vor ihm ging und den Kopf gesenkt hielt. „Velvet!“ Jene blieb sofort stehen und verkrampfte. Isaac lief an ihr vorbei und stellte sich vor sie. „Wir passen auf dich auf. Versprochen.“ „Genau“, pflichtete Patrice ihm bei. Und auch Fabio meinte: „Verlass dich auf uns.“ Es dauerte einen Moment, ehe Tatjana auch einstimmte. „Vergiss die Polizei. Wenn irgendjemand dir auflauert, schnappen wir ihn uns und sorgen selbst für Gerechtigkeit.“ „D-danke Leute“, sprach Velvet gerührt, aber sah dann an Isaac vorbei. „Können wir jetzt etwas essen gehen? Ich habe Hunger.“ Dafür erntete sie absoluten Zuspruch. Zusammen zogen sie weiter die Einkaufsstraße entlang.   Keinem von ihnen fiel auf, dass eine gewisse Frau ihnen schon seit einer ganzen Weile folgte. Feuerrotes, gelocktes Haar zeichnete sie aus. Ihr Name? Cassandra Wrythe. Zumindest war das der, den sie sich irgendwann im 18. Jahrhundert gegeben hatte. Cassie, wie sie von all jenen nennen durften, die ihr in der 'Rangordnung' mindestens ebenbürtig erschienen, war eine von jeher stets schlecht gelaunte Frau von unglaublicher Schönheit. Ihre olivgrüne Hose fügte sich eng an die langen Beine. Offene, schwarze High Heels gewährten einen Blick auf die rot lackierten Zehennägel. Über ihrem schwarzen Shirt trug sie eine dünne, hellbraune Weste, die ihre üppige Oberweite nicht verbergen konnte. Jeder Mann, an dem sie vorbei lief, drehte sich zu ihr um. Manche gaben dabei einen flotten Spruch zum Besten. Das waren die, die kurzerhand einen Hustenanfall bekamen. Cassandra mochte es, angesehen zu werden. Aber nur, weil sie diejenigen dafür bestrafen konnte. Sie war eine Hexe, charakterlich als auch wortwörtlich. Dazu stand sie und es bereitete ihr auf gewisse Art Befriedigung.   Wesentlich weniger angenehm empfand sie das penetrante Bimmeln in ihrer Hosentasche, das von einem weißen Smartphone ausging. Genervt hielt sie das Ding vor sich, ehe sie abnahm. „Was?“ „Wie ich sehe, haben Sie das Mädchen gefunden, Cassandra“, drang Harriers Stimme aus dem Apparat. Dieser eingebildete Hacker, der tatsächlich dachte, auf einer Stufe mit dem 'Inner Circle' von CLEAR zu stehen. Was für ein Narr. Aber selbst sie musste zugeben, dass er den ein oder anderen Nutzen hatte. Dennoch war sein 'Hexenwerk' nichts gegen das ihre. „Für wen hältst du mich, Bursche?“ Sie verzog den roten Mund, an dessen unterem, rechten Ende ein dunkles Schönheitsmal lag. „Seien Sie vorsichtig“, riet Harrier, während die Rothaarige ihrem Zielobjekt und deren Freunden weiterhin auf einiger Distanz folgte. „Sie mag nicht danach aussehen, aber sie ist gefährlich.“ Mehr als ein entnervtes Schnalzen bekam er dafür nicht. Als er am anderen Ende der Leitung stöhnte, sprach Cassandra missmutig: „Gefährlicher als Zyxx wohl kaum.“ „Ja, aber der ist verschwunden.“ „Sicherlich nicht durch ihr Tun.“ Die junge Frau blieb stehen und schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Lust, sie wie eine Ratte in eine Falle zu jagen. Ich lösche einfach die Gegend aus und nehme sie mit.“ „Mit welcher Begründung?“ Nun lachte Cassie böse auf. „Unfall.“ „Das meine ich nicht. Mit welcher Rechtfertigung?“ Harrier klang zunehmend genervt. Nicht weniger gereizt von seiner Art nahm sie das Smartphone vom Ohr und betrachtete es mit einem bösen Blick. „Brauche ich eine?“ „Monster“, drang es noch aus dem Apparat hervor, ehe jener in ihren Händen schmolz wie ein Stück Eis in der Sonne. Es klatschte auf den Boden, verkommen zu einer matschigen Pampe.   Die Luft vor dem Rotschopf begann zu flimmern. Leise kichernd streckte Cassandra den rechten Arm Richtung Velvet aus, den linken hingegen zur Seite – wo sie prompt am Handgelenk gepackt wurde. „Das würde ich an deiner Stelle lassen“, riet ihr eine freundliche, aber autoritäre Frauenstimme. Sofort riss Cassie sich los, wirbelte herum und bemerkte eine blonde Dame im schwarzen Hosenanzug, die gegen die Außenwand eines Juweliergeschäfts gelehnt stand. Die war eben noch nicht hier gewesen … Unter den Rändern ihrer dezenten Brille lugte die Asiatin hervor und lächelte kühl. „Vergiss' die Kleine einfach.“ „Und du bist …“, begann die andere ihren Satz. „Reika.“ „Nein“, korrigierte Cassandra sie, „tot. Du bist tot, Mädchen.“ Daraufhin stieß jene Reika sich lässig von der Wand ab. „Ach, bin ich das?“ Auf so etwas hatte die Hexe wirklich keine Lust, dachte sie verärgert. Dass dieses Stück Abfall jedoch aus dem Nichts aufgetaucht war bedeutete, dass irgendjemand Velvet Thorne zu beschützen versuchte. Es wäre durchaus lohnenswert herauszufinden, -wer- das war.   „Kch.“ Cassie hob die rechte Hand und ließ eine winzige Flamme in ihr aufsteigen. „Nach unserem Kampf bist du es.“ Aber Reika schüttelte den Kopf. „Nicht hier.“ Sie zeigte an dem Juwelier vorbei, von dem eine Seitengasse zu einem Innenhof führte. „Da drüben, natürlich abseits unerwünschter Zuschauer.“ „Hmpf. Wie du willst.“ „Nach dir, Sonnenschein“, zwinkerte Reika ihrer Kontrahentin zu.   Ohne überhaupt zu zögern trat jene an der Blonden vorbei und zog, als könnte sie nichts auf der Welt aus dem Konzept bringen, durch die schmale Gasse. Reika folgte ihr auf einige Schritte entfernt. Je näher Cassandra dem tristen Innenhof kam, desto finsterer wurde ihre Miene dabei. Und kaum hatte sie die Seitenstraße verlassen, zischte sie leise vor sich her. Reika, die sich noch zwischen den Häusern befand, bemerkte es sofort, wie ihr leiser Aufschrei verriet. Die Wände bewegten sich auf sie zu und knallten innerhalb einer Sekunde zusammen, als hätte eine magnetische Kraft sie angezogen.   Die rothaarige Hexe drehte sich um und betrachtete ihr Werk. „Hmm. Da sind wohl die Pferde mit mir durchgegangen.“ So viel dazu, diese Amateurin zu ihren Wurzeln zu befragen. Langsam bewegten sich die Häuser wieder auseinander und bildeten die Gasse. Doch statt einer blutüberströmten, zerquetschten Leiche, lag dort nur ein Handbreit großes Papiermännchen.   „Na, ist dein kleiner Wutanfall vorbei?“ Reika stand auf dem Rand des Daches, welches zum Juwelier gehörte und sah mit verschränkten Armen auf Cassie herab. „Arrogante Rotzgöre“, zischte die und streckte die flache Hand nach ihr aus. Eine gewaltige Explosion riss die ganze Ecke des Daches auseinander, doch Reika verpuffte vor ihren Augen zu einer kleinen Papierfigur. Ein Blinzeln später und Cassandra stand unweit der zerstörten Stelle und sah sich aus den Augenwinkeln um. Illusionen … Sie hasste Illusionisten. Umso mehr, weil Papier ein verdammt guter Katalysator war, dünn und leicht, wie Nebel.   Vom Dach auf der anderen Seite der Gasse kam es da plötzlich: „Da ist wohl jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden.“ Unbeeindruckt drehte sich der Rotschopf um und sah die andere Hexe, wie sie gerade den Arm ausschwang. Ein ganzes Dutzend an Papiervögeln – Origami – flog über die Gasse auf sie zu. Dabei wuchs das ganze Geschwader zur Größe von Drachen an, die Cassie umzingelten. Die war es leid, sich überhaupt einen Kommentar entlocken zu lassen und schnippte einfach nur mit dem Finger, um die Biester in Flammen aufgehen zu lassen. Feuerfunken schlugen um sie, als die Reste hinabfielen. Dieses Mal war es Reika, die die Hand nach vorne ausstreckte. Die flammenden Fetzen um ihre Feindin begannen jene zu umkreisen. Schlagartig bildete sich ein Feuerzyklon, der die Hexe in sich einschloss. „Das ist leider kein Trick.“ „Das macht es auch nicht besser“, drang es aus der tödlichen Falle hervor. Welche sich schlagartig ausdehnte und zu einer Schockwelle wurde, die über die Dächer der Häuser hinweg fegte und eine schreiende Reika dabei umriss. Jene landete hart auf dem Rücken. „Bist du langsam fertig?“ Cassies brauner Lederstiefel stampfte auf den Oberkörper der Asiatin, die nach Luft schnappte. „Ich bin schnell, nicht wahr?“ Selbst dabei klang die Rothaarige noch gelangweilt. „Hast du überhaupt eine Ahnung, wer ich bin?“ Statt ihre Gegnerin antworten zu lassen, drückte Cassandra fester mit dem Fuß zu, raubte Reika die Luft zum Atmen. „Ich bin wesentlich älter als es den Anschein hat.“ Plötzlich grinste die andere aber. Und kurzerhand versank Cassies Stiefel in einer Masse an Papier, wie Treibsand. Dazu kam, dass der weiche Untergrund sich immer weiter ausdehnte. Reika stand direkt hinter ihr, nahm ihre Kontrahentin in den Schwitzkasten und ließ einen Dolch in ihrer Hand erscheinen. „Ja, beinahe senil.“ Damit ließ sie die Waffe niedersausen, bis sie Cassandras linke Brust durchbohrte – und auf etwas enorm Hartes stieß. „W-was!?“ Sofort wurde der Rotschopf losgelassen und kippte nach vorn. Die Täuschung der Papiergrube schwand, Reika tauchte auf dem Dach des Juweliers wieder auf. Ihr irritierter Blick verriet, dass -das- offenbar nicht mehr zum Einmaleins ihres beschränkten Horizonts gehörte. Cassandra drehte sich zu ihr um. Das Messer steckte noch immer in ihrer Brust und sie machte keine Anstalten, es zu entfernen. Stattdessen starrte sie die Blonde belustigt an. „Du hast wirklich keine Ahnung, oder?“ Cassie zuckte mit den Schultern. „Jämmerlich.“ Wobei sie zugeben musste, dass ihre Herausforderin zwar lästig wie eine Fliege war, aber ebenso hartnäckig. Vielleicht konnte man sie noch für irgendetwas verwenden. Und sie hatte da schon eine konkrete Vorstellung.   Der Rotschopf hob den Arm, an welchem sich ein schmaler Apparat befand. Jener fuhr aus und bildete vor sich eine rote Lichtlinie, die kurzerhand eine Duel Disk imitierte. „Du machst wohl Witze“, staunte Reika, die herab an ihren eigenem Arm sah, an welchem eine Standard-weiße, abgerundete Duel Disk befestigt war. „Nein.“ Cassie hob den Apparat an und richtete ihn auf den ihres Gegenübers. Plötzlich drang aus Ersterem eine Computerstimme. „Duel Enforcing Mode activated.“ Ohne Vorwarnung fuhr Reikas Duel Disk aus, welche das Ganze überrascht zur Kenntnis nahm. „Ich mach's kurz: Wenn du dich weigerst, stirbst du. Deine Duel Disk wird sich überladen und in die Luft gehen. Dasselbe gilt, wenn du abhaust, bevor das Duell beendet ist.“ „Dann lasse ich die Duel Disk eben fallen.“ „So schnell kannst du gar nicht in Deckung gehen.“ Reika blieb weiterhin zuversichtlich. „Da wäre ich mir nicht so sicher.“ „Dann versuch sie doch abzubekommen.“ Cassandra funkelte ihr Gegenüber böse an.   Tatsächlich versuchte die Brillenschlange es, stellte aber mit einem leichten Anflug von Panik, dass es ihr unmöglich war, den Apparat auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Als hätte jemand ihn an ihr festgeklebt. Die Blonde sah mit einem Blick auf, der fragte, ob das ihr Ernst war. Und Cassie grinste bitterböse. Wenn dieses Stück Dreck schon alles in die Länge zog, konnte man wenigstens noch einen Nutzen daraus ziehen. Aber das würde sie selbst noch merken. „Keine Ahnung was das soll, aber von mir aus“, ließ Reika sich schließlich seufzend auf diese andere Form der Auseinandersetzung ein, „tragen wir den Kampf eben im Duell weiter aus.“ Cassandra, welche immer noch den Dolch in der Brust stecken hatte, riss diesen schließlich heraus, warf ihn achtlos weg und zog sofort ihr Startblatt auf. Die Wunde schloss sich augenblicklich. „Duell!“, rief die Asiatin ziemlich allein gelassen aus und tat es der Hexe gleich.   [Cassandra: 4000LP / Reika: 4000LP]   Mit einer lässigen Handbewegung zeigte Reika, dass es ihr nichts ausmachte, wenn ihre Widersacherin begann. Jene verschwendete keine Zeit, sondern legte ein Monster auf ihre Duel Disk. „[Majespecter Cat – Nekomata].“ Ein smaragdfarbener Tornado wurde vor dem Rotschopf entfacht. Jener zog sich zusammen, bis deutlich wurde, dass es die zwei Schweife einer kleinen Katze waren, die da vor sich hin wirbelten.   Majespecter Cat – Nekomata [ATK/100 DEF/1800 (3)]   „Eine verdeckte Karte“, murrte Cassie vor sich hin. „Am Ende meines Zuges erhalte ich durch Nekomatas Effekt eine Majespecter-Karte von meinem Deck. [Majespecter Fox – Kyubi].“ Die Monsterkarte schob sich automatisch aus dem Kartenstapel und wurde ins Blatt der Hexe aufgenommen, während sich zischend vor ihr mit dem Rücken nach oben eine Karte materialisierte.   Reika bedachte das alles mit einem Schmunzeln. „Eine verspielte Pussy also. Na sowas, ich hatte schon mit Folterwerkzeugen gerechnet.“ „Die lernst du noch früh genug kennen“, prophezeite Cassandra düster. „Aw, für sowas hast du Zeit?“, neckte die Blonde jedoch weiter. „Aber klar, im Terminkalender einer -echten- Hexe ist immer Zeit für Folter, was?“ Sie nahm eine Karte aus ihrem Blatt und lachte hämisch, als die Rothaarige die Zähne zusammenbiss, um nicht auf die Provokation einzugehen. Und das musste Cassie auch, denn das alles war reine Ablenkung, um sie zu Fehlern zu verleiten. Etwas, das nicht geschehen würde. „Dann will ich mal“, gluckste Reika und nahm eine Karte von ihrem Deck auf, „haha, ja, das ist nach meinem Geschmack. Ich aktiviere [Graceful Charity].“ Ihren aufgezogenen Zauber vorzeigend, tauchte über ihr ein dunkelblonder, weiblicher Engel in weißem Kleid auf, der die Arme ausstreckte. Zwischen den beiden Hexen bedurfte es keiner Erklärung. Die Asiatin zog drei Karten, um dann ein blau-umrahmtes sowie das Effektmonster [Tethys, Goddess Of Light] in den Friedhofsschlitz zu schieben. „Sorgen wir doch für ein etwas passenderes Ambiente“, meinte Reika und zückte zwei Zauberkarten aus ihrem Blatt. „Mit dem Spielfeldzauber [Savage Colosseum] und der dauerhaften Magie [Ritual Sigil].“ Um die beiden Frauen schoss ein gewaltiges, halb zusammengestürztes Kolosseum aus dem Boden, dessen Eingang direkt in der Seitengasse lag. Vor Reika bildete sich dagegen eine Art Barriere, die aus einem großen Kreis und vier daran anliegenden bestand, um welche sich wiederum Vierecke bildeten und neue Kreise, sodass ein kompliziertes Gebilde entstand. „Normalbeschwörung von [Manju Of The Ten Thousand Hands]! Mit seinem Effekt erhalte ich ein Ritualmonster oder eine entsprechende Zauberkarte von meinem Deck. Ich wähle [Machine Angel Ritual]!“ Vor ihr erschien eine schattenhafte, graue Gestalt mit rot leuchtenden Augen, die wirklich überall abseits des Kopfs und der Beine aus Armen bestand. Jene klatschte es in Paaren aneinander und sprach ein düsteres Gebet aus, wodurch aus Reikas Duel Disk eine Zauberkarte schoss.   Manju Of The Ten Thousand Hands [ATK/1400 DEF/1000 (4)]   Die zeigte die Blonde selbstbewusst vor. „Du kannst dir wohl denken, dass ich sie natürlich gleich aktivieren werde. Ich biete meinen Stufe 4-Manju und die Stufe 1-[Freya, Spirit Of Victory] von meiner Hand als Opfergaben an!“ Cassie rümpfte die Nase. „Hmpf!“ Neben ihrem finsteren Gott tauchte eine grauhaarige, junge Frau in blauem Kleid auf, die mit Pompons 'bewaffnet' war. Hinter ihnen stieg eine riesige Plattform aus dem Boden, auf der sich eine Schale voller Feuer befand. Die beiden Opfergaben verwandelten sich ebenfalls in Flammen und wurden von der größeren verschluckt. Reika rief: „Engel der verborgenen Heilungskunst, bringe Genesung mit deiner Einsamkeit! Ritual Summon! Stufe 5! Komm, [Cyber Angel Natasha]!“ Aus der Flamme sprang eine vierbeinige Gestalt, die stolz vor Reika aufsetzte. Es war eine vierarmige Göttin in grüner Panzerung, deren Körper von der Hüfte abwärts der eines schwarzen Pferdes war.   Cyber Angel Natasha [ATK/1000 DEF/1000 (5)]   „Effekt von Natasha! Ich erhalte Leben entsprechend der halben Stärke eines meiner Monster. Im Falle Natashas also 500!“ Die Verkörperung der hinduistischen Schöpfungshymne begann eine solche zu singen. Um Reika begannen weiße Lichtkugeln kurzzeitig zu strahlen.   [Cassandra: 4000LP / Reika: 4000LP → 4500LP]   „Die wirst du brauchen“, wusste Cassandra überlegen. „Vielleicht? Alles andere wäre auch eine Enttäuschung“, neckte ihre Gegnerin sie. Eine Angewohnheit, die der Rotschopf ihr noch austreiben würde. Sofern noch etwas von ihr übrig blieb, um die Lektion zu lernen. „Durch den Effekt von [Savage Colosseum] sind alle Monster auf dem Feld gezwungen anzugreifen, sofern sie können. Tun sie das nicht, werden sie zerstört.“ Die Brillenschlange streckte den Arm aus. „Los, Natasha! Hol dir ihre Pussy! Universe Prime!“ Jene zog an der kurzen Peitsche in ihrer Hand und schwang jene aus. Hinter der Sturmkatze öffnete sich ein weißes Loch, welches sie einzusaugen drohte. Cassie schnippte mit dem Finger. „Nicht so hastig. Ich aktiviere meine Schnellzauberkarte [Majespecter Cyclone]! Damit wird [Majespecter Cat – Nekomata] zum Wirbelsturm, der dieses 'Ding' zerstört!“ Genau so geschah es auch. Die beiden grünen Wirbelstürme am Hinterteil der Katze fügten sich zu einem zusammen, welcher davon schoss, auf [Cyber Angel Natasha] zu. Statt dort anzukommen, prallte der Wirbel jedoch kurz vor dem Ziel an der Barriere vor Reika ab und verpuffte. „Tsk, tsk, tsk“, stichelte die mit erhobenem Zeigefinger. „Da warst du wohl etwas voreilig. [Cyber Angel Ritual] verhindert die Zerstörung von Feen, wenn ich sie von meinem Friedhof verbanne.“ Nun, da Cassandras Monster fort war, setzte Natasha den Angriff fort. Sie formte die Peitsche in ihrer Hand zu einem Lichtspeer, den sie in den Sog warf. Jener zerbarst beim Aufprall regelrecht und erzeugte eine dumpfe Druckwelle, die Cassie lediglich mit einem Augenrollen abtat.   [Cassandra: 4000LP → 3000LP / Reika: 4500LP → 4800LP]   „Damit du es weißt: Nach dem Kampf erhält der Besitzer des Angreifers dank [Savage Colosseum] 300 Lebenspunkte.“ Mit einer verbliebenen Karte in ihrer Hand nickte die Asiatin der anderen Hexe zu. „Na dann zeig mal, wie taff du wirklich bist!“   Dich reiße ich auseinander, dachte Cassandra zornig und zog eine Karte. „[Majespecter Fox – Kyubi]!“, befahl sie jenen aufs Feld, einen gelben, edlen Fuchs, dessen Schweif zu einem Wirbelsturm wurde. „Wird er beschworen, erhalte ich eine Fallenkarte seines Stammes von meinem Deck.“   Majespecter Fox – Kyubi [ATK/1500 DEF/1000 (4)]   [Majespecter Tornado] nannte sich jene, welche Cassie vorzeigte und dann in ihre Duel Disk einschob, woraufhin jene sich zu ihren Füßen materialisierte. Die rothaarige Hexe hob die Nase an. „Vernichte!“ So richtete der Fuchs seinen Schweif auf und ließ den Wirbelsturm über das Feld fegen, direkt auf die animalische Göttin zu. Jene klatschte jedoch nur einmal zwei ihrer vier Hände zusammen und ließ das nahende Unglück verpuffen. „Na so ein Jammer“, gluckste Reika frech, „der zweite Effekt von [Cyber Angel Natasha] besagt doch tatsächlich, dass sie jeden Angriff ungeschehen machen kann.“ „Hmpf! Ich beende meinen Zug …“ „Und weißt du, was das heißt? Da du offiziell nicht gekämpft hast, wird dein Monster durch den Effekt von [Savage Colosseum] zerstört.“ Cassie verzog keine Miene, als das Kolosseum um sie herum zu erzittern begann. Laute, unverständliche Rufe aus dem Nichts erklangen und schließlich geschah es. Kyubi explodierte einfach, seine Überreste wurden in Rauch gehüllt. „Das heißt natürlich auch, dass du keine Lebenspunkte durch den Angriff erhältst.“ „Verstehe. Also ein Lock“, analysierte der CLEAR-Vorstand unterkühlt, „ich kann kein Monster im Angriffsmodus spielen, da jeder meiner Angriffe abgewehrt und das Monster folglich zerstört wird.“ Die Asiatin zwinkerte hinter ihrer Brille. „Genau!“ „… billig.“ Der Rauch verzog sich und Kyubi war noch auf dem Feld. „Majespecters können nicht durch feindliche Karteneffekte zerstört werden.“ Dem zum Trotz knallte es erneut lautstark. Der gelbe Fuchs implodierte diesmal und war nun wirklich verschwunden. „Oh, das habe ich einkalkuliert“, erwiderte ihre Gegnerin. Die Siegel ihrer Barriere leuchteten in verschiedenen Farben auf. „[Ritual Sigil] hat einen defensiven und einen offensiven Effekt. Letzterer besagt, dass ganz egal, welche Karteneffekte deine Karten auch schützen, sie in der Anwesenheit eines Licht-Ritualmonsters nicht wirken. [Majespecter Fox – Kyubi] wurde also trotzdem zerstört.“ Anstatt aber davon überrascht zu sein, legte die ältere Hexe nur den Kopf in den Nacken. Es war eine Herausforderung. Eine, die diese kleine Kröte nur verlieren konnte, auch wenn sie sich noch im Vorteil wähnte …   Die zog mit ihrem ignoranten, breiten Grinsen auf. „Ich nutze [Cyber Angel Natashas] Effekt und heile mich um die Hälfte ihrer Angriffskraft!“ Erneut stimmte jene in ihre Hymne ein und ließ Lichtsphären rund um Reika erstrahlen.   [Cassandra: 3000LP / Reika: 4800LP → 5300LP]   „Universe Prime!“, ordnete sie kurz darauf mit ausgestrecktem Zeigefinger an. Diesmal erzeugte ihre Göttin jedoch keinen magischen, weißen Riss im Raum-Zeit-Gefüge, sondern erzeugte mit zwei ihrer Hände einen langen, grünlichen Lichtspeer, den sie auf Cassandra schleuderte. Jene wurde direkt in die Brust getroffen, blieb aber standhaft – die Waffe ragte aus ihr heraus, ohne den Rücken zu durchbohren. „Durch den erfolgreichen Angriff erhalte ich 300 Lebenspunkte“, erklärte Reika. „Du bist, Sonnenschein!“   [Cassandra: 3000LP → 2000LP / Reika: 5300LP → 5600LP]   Cassie griff mit ihrer rechten Hand nach dem Speer und ließ ihn durch die bloße Berührung in tausend Splitter zerspringen. „Hahaha …“ „Du kannst lachen? Wie schockierend“, neckte ihre verhasste Gegnerin sie frech. „Armes Ding. Du weißt wirklich gar nichts, oder?“ Der Rotschopf steckte den Zeigefinger in die offene Wunde, bevor jene sich schließen konnte. Dann nahm sie den anderen und tat damit dasselbe. Sie riss das kleine Loch immer weiter auf. Und je größer es wurde, desto größer wurden auch Reikas Augen, als sie das gedämpfte, rote Licht erblickten, das aus Cassies Innerem drang. „Das ist … ekelhaft. Und ein wenig faszinierend“, gestand sie. „-Das- ist die größte Errungenschaft der Alchemisten. Und mein Fluch. Der Philosopher's Stone. Sei dankbar, denn den zeige ich nur wenigen. Genauer gesagt denen, die sowieso sterben werden.“ Plötzlich war die dumme Göre verunsichert. „Der Stein der Unsterblichkeit? Es gibt ihn wirklich?“ Schließlich ließ Cassandra von ihrer Wunde ab, woraufhin jene sofort wieder zuwuchs, als hätte sie nie überhaupt existiert. „Natürlich. Ich habe ihn geschaffen.“ „Du!?“ Oh, wie schrecklich die Erkenntnis für sie sein musste, dachte Cassie genussvoll. Zu begreifen, welch mächtiges Wesen da wirklich vor ihr stand – sofern ihr begrenzter Verstand überhaupt imstande war, das Ganze zu erfassen. Und nicht als Lüge abzustempeln. Worauf es hinauslief, als Reika spöttisch abwinkte. „Ich bitte dich, netter Trick. Soll ich wirklich an so ein Märchen glauben? Der Stein der Unsterblichkeit? Ja klar. Wo du doch so philosophisch bist, Sonnenschein.“ „Glaub was du willst.“ Cassie merkte selbst, wie viel Verdruss in ihren Worten mitschwang. „Ich habe dir meinen Schwachpunkt gezeigt, also nutz' all deine Kraft, ihn anzugreifen. Nicht, dass es einer wie dir überhaupt gelingen würde, ihm einen Kratzer zuzufügen.“ So viele hatten schon versucht, ihr 'Herz' zu zerstören. Mächtigere Wesen, viel mächtigere. Es gab keine Hoffnung. Ihre Gegnerin spielte unbeirrt weiter. „Meine beiden Handkarten setze ich. Dein Zug.“ Gleich nachdem sie die Karten in ihre Duel Disk eingefügt hatte, tauchten sie zischend zu ihren Füßen auf.   -~-~-   Anya weitete die Augen, als sie sich umsah. Der kreisrunde Raum war dunkel, nur erleuchtet durch diverse Bildschirme an den Wänden und das Licht der sich darunter befindenden Konsolen. In der Mitte stand ein massiver Stuhl, nein, ein Thron, über dem drei dicke Schläuche hingen. Das Mädchen entsann sich, dass hinter diesem die Vitrine für das Schwert Ragnarok stand, welches sich derzeit in ihrem Besitz befand. Kurz darauf traten Abby und Ricther aus dem Portal. „Nette Bude“, murmelte Anya. Die Sirene stimmte ihr zu. „Beeindruckend. Von hier aus können sie jeden überwachen. Sieh da!“ Sie deutete auf einen Bildschirm, der Anyas Zimmer zeigte. Jene knurrte: „Tch, das werten wir später aus.“ „Folgt mir“, forderte Ricther die beiden auf und schritt voran zu einer Schiebetür, die sich rechts hinter seinem ‚Chefsessel‘ auftat. Gehorsam tat die Blonde wie ihr geheißen, mit Abby im Schlepptau. Hätte sie geahnt, wie lang die endlos erscheinenden Korridore waren, die sich wie Kaugummi dahin zogen, und in denen jeder Schritt durch das Metall widerhallte, wäre ihr sicher vorab ein bissiger Kommentar eingefallen. Doch die Neugier war zu groß, von ihrer Not ganz zu schweigen. Sie musste sich den Undying gegenüber kooperativ zeigen, wenn diese ihr helfen sollten.   Nach einer gefühlten Ewigkeit, die objektiv nicht einmal zwei Minuten angedauert hatte, fanden die beiden sich am Ende des Ganges vor einer weiteren Schiebetür, die sich vor ihnen öffnete. Orangefarbenes Licht drang aus diesem heraus. „W-was ist das?“, stammelte Anya perplex, während Abby lediglich keuchte. In dem dunklen Raum befand sich einzig ein riesiger Glasbehälter, gefüllt von transparenter Flüssigkeit – und einem orange-leuchtenden Etwas, dessen Form dem eines menschlichen Körpers entsprach. „Die vorläufige Lösung. Ein Homunkulus.“ „Ein -was-!?“   Ein künstlich erschaffener Mensch.   „Huh!? Und was hat das mit mir zu tun!?“ Ricther schritt an ihr vorbei und trat an den Behälter heran. „Dein Körper wird in knapp einem Monat sterben.“ „Das weiß ich!“ „Hier entsteht dein neuer. Zed arbeitet unentwegt daran, ihn fertig zu stellen.“ Anyas Kinnlade klappte herunter. „Ist das euer scheiß Ernst!?“ Die Reaktion ihrer Freundin viel vergleichbar aus. „Ein künstlicher Körper!? D-das ist-!“ Der Undying wandte sich ihnen zu, ohne jedoch etwas zu sagen. „Nie im Leben werde ich-! Wie soll das überhaupt funktionieren!?“ Das Mädchen schnappte nach Luft. „Ich dachte, ihr würdet irgendwie eine magische Spritze erfinden, um mir Lebensenergie oder weiß-der-Geier zu verabreichen!? Nicht sowas!“ Die Sirene stimmt ihr zu. „D-das ist höchst unethisch! Das verdreht den Sinn von Leben und Tod!“ Ricther nahm sich einen Moment Zeit, über eine Antwort nachzudenken. „Anya Bauer, was du verlangst ist nicht ohne Weiteres möglich.“ „Warum!?“ „Auch wenn Äther die Grundlage allen Seins ist, ist der Ätherstrom innerhalb eines Objekts einzigartig. Eine andere Äthersignatur wäre nicht mit dir kompatibel, Anya Bauer.“ Das Mädchen stand mit offenem Mund da. So sollte das nicht laufen! Sie sah Abby an, die bestürzt in die Leere starrte. „A-also bräuchtet ihr -meinen- Äther, den, den der Sammler mir abgenommen hat?“ Panisch meinte die Blonde: „Dann müssen wir uns den Sammler schnappen!“ Als der Hüne jedoch wieder schwieg, gingen endgültig die Pferde mit ihr durch. „Sag was! Das wäre doch machbar, oder nicht!? Wir vermöbeln ihn, holen uns meinen Äther zurück und verpflanzen ihn zurück in meine Birne!? Ist doch einfach!“ Doch selbst auf ihren Ausbruch hin sagte er nichts. Es wühlte sie derart auf, dass sie auf ihn zustürmte und unter dem Ausruf „Hey!“ gegen sein Schienbein trat, was jedoch nur ihr Schmerzen zufügte. Mit schmerzverzerrtem Gesicht wich das Mädchen zurück. „Seit der Sammler dir deine Lebenskraft genommen hat, ist bereits einige Zeit verstrichen. Es besteht die Möglichkeit, dass der Äther sich verändert hat“, sprach Ricther sachlich, kühl, „und nicht mehr zurückgeführt werden kann.“   Anyas Gesichtszüge froren förmlich ein. „Was?“ „Womöglich ist es längst zu spät, deinen Äther-“ „Das habe ich schon verstanden!“, fauchte Anya außer sich. „E-es ergibt nur keinen Sinn! Ihr könnt nicht von mir verlangen-! Wie soll das überhaupt gehen!?“ „Wir werden dein Bewusstsein in den Homunkulus übertragen, sobald dieser fertig gestellt ist.“ „U-und das funktioniert?“, fragte Abby zweifelnd. Wieder eine Pause. „Funktioniert es!?“ Anya fuchtelte wild mit ihren Arm. „Ja oder nein!?“ „Das Bewusstsein lebender Objekte existiert unabhängig vom Äther. Es“, sprach er und zögerte, „gibt verschiedene Techniken, es zu extrahieren. Einige sind auch den Menschen bekannt.“ Der Limbus, fiel Anya auch sofort eine davon ein. Es heißt, die Seele eines Menschen wird in den Limbus gezogen, sollte ein Pakt gebrochen werden. Abby schien dasselbe zu denken. „Ist es wie beim Limbus?“ Richter nickte. „Es ist komplizierter als das, aber im Wesentlichen korrekt. Einer ähnlichen Systematik wollen wir uns bedienen.“ Ein leichtes Schwindelgefühl machte Anya zu schaffen, sie fasste sich an die Stirn. Und ihr Schädel pochte wie verrückt. Ihre Stimme zitterte, als sie fragte: „Aber es ist nicht sicher, dass es auch klappt?“ „Nein. Es gibt viele Faktoren zu berücksichtigen.“ Ohne es bewusst gesteuert zu haben, fiel das Mädchen rückwärts auf ihr Gesäß. „Shit …“ Sofort beugte sich Abby zu ihr hinab. „Anya! Du musst das nicht tun, wir finden selbst eine Lösung! I-ich lasse mir etwas einfallen, versprochen. Aber das …“ Sie zeigte auf dieses orange Ding, das eine menschenähnliche Form hatte. „… das ist falsch!“ „In ihrer Situation ist das nicht von Bedeutung“, stellte Ricther klar. „Wir haben alle Möglichkeiten gegeneinander abgewogen und sind zu der Erkenntnis gelangt, dass Anya Bauers Fall zu speziell ist.“ Die wollten ihren Körper einfach gegen einen neuen eintauschen! Und es war nicht mal sicher, ob es überhaupt funktionieren würde. Gab es keine Alternative? Was, wenn sie am Ende gar nicht mehr sie selbst sein würde? Wenn es zwar eine neue Anya Bauer gab, die genau wie die alte war, aber nicht -sie- war. Sondern nur eine Kopie! „Ich will das nicht“, flüsterte das Mädchen erschöpft.   Es tut mir leid, das zu hören, Anya Bauer. Aber in der Not darf man nicht wählerisch sein. Wenn es eine Möglichkeit gibt, dich zu retten, dann sollten wir es versuchen.   „Gibt es denn wirklich keinen anderen Weg?“, fragte Abby bedrückt an Ricther gewandt, der den Kopf schüttelte. Levrier tauchte neben den beiden Mädchen schwebend auf und legte seine durchsichtige Hand auf Anyas Schulter. Sie glitt hindurch. Die sah auf. „Heißt das, dass selbst wenn ich dem Sammler geholfen hätte, doch nie mein Leben zurückbekommen hätte?“ Der Anführer der Undying schüttelte den Kopf. „Der Sammler ist ein Händler, aber kein Betrüger. Zumindest war er das bisher nicht. Es ist nicht auszuschließen, dass sich das inzwischen geändert hat, nach allem, was er getan hat.“ „Zwei Sätze für ein 'Ja'. Tch.“ Anya senkte den Kopf. „Wie konnte ich so blöd sein …“ „Es ist nicht deine Schuld“, versuchte Abby sie beruhigen. „Ist es!“, fuhr sie erzürnt auf. „Ich habe damals diese Fragen gestellt, als ich ihm zu ersten Mal begegnet bin. Ohne nachzudenken, ohne zu wissen, was das für Konsequenzen das hat. Levrier hat mich noch gewarnt, bevor er zum Schweigen verdonnert wurde!“ Darauf erwiderte ihre Freundin nichts mehr.   Resignierend meinte Anya, als sie sich langsam erhob. „Ich werde drüber nachdenken. Wenn ich sowieso gerade hier bin, habe ich 'ne Bitte.“ Ricther nickte. „Sprich.“ „Kannst du uns den Ätherstrom, den Summers erwähnt hat, zeigen?“ „Da du ohnehin eingeweiht bist, sehe ich keinen Grund, dir dies zu verweigern.“ Ricther stampfte in seiner schweren Rüstung an ihr vorbei. „Folge mir.“   Was folgte war ein weiterer, gefühlt ewig anhaltender Fußmarsch durch ein Labyrinth an Korridoren, der sie geradewegs in eine große, leere Halle führte. Alles war aus Metall, jeder Schritt klang schwerer als er eigentlich war. Als die Drei das Ende des Raumes erreicht hatten, standen sie vor einer gewaltigen Schleuse. Ricther betätigte ein Tastenfeld an deren Ende, sodass die beiden Hälften der Schleuse sich zur Seite schoben. Der Anblick, der sich den beiden Mädchen bot, raubte ihnen den Atem. Anya wusste von Matt, dass sie sich im Weltall befanden, aber trotzdem war es ein kleiner Schock, ihn tatsächlich so zu sehen. Vor ihnen, in Millionen, wenn nicht Milliarden Kilometer Entfernung, zog sich ein langer, hellblauer Strahl, wie Nebel oder ein Kometenschweif, über das gesamte Blickfeld. „Wow“, hauchte Abby, „das ist wunderschön.“ Manchmal blitzen bestimmte Stellen in ihm weiß auf, einmal trennte sich ein ganz dünner Faden vom Rest des endlos erscheinenden Stroms und verschwand. „Das ist … unsere Zukunft, nicht wahr?“, fragte Anya und wandte sich an Ricther. „Könnt ihr darin sehen, wie das mit mir ausgehen wird?“ Er schüttelte den Kopf. Anya ließ den ihren Hängen. „Verstehe.“ „Was passiert, wenn er eines Tages erlischt?“, fragte Abby und trat näher heran, wurde dann aber von einem aus zahlreichen, sechseckigen Waben bestehenden Kraftfeld aufgehalten. Auch sie drehte sich zu Ricther um. Der lachte plötzlich. „Alles Leben würde schlagartig aufhören zu existieren. Aber das kann nicht passieren. Es gibt keine Kraft in diesem Universum, die dem Ätherstrom schaden könnte.“ „Wirklich?“, fragte Anya mit Zweifel in der Stimme. Aber als keine Antwort kam, meinte sie: „'kay, ich hab' gesehen, was ich wollte. Kannst du uns bitte zurückbringen?“ „Natürlich.“   -~-~-   „Draw“, murrte Cassandra, wie sie und ihre Gegnerin sich auf den Dächern gegenüberstanden und zog auf. „Ein Monster verdeckt.“ Doch kaum war die horizontal liegende Karte vor ihr erscheinen, schritt Reika ein. „Da hat sich wohl jemand meinen unterschwelligen Hinweis mit dem Setzen von Monstern zu Herzen genommen?“ Die elende Made lachte spitz. „Pech nur, dass ich auch darauf vorbereitet bin! Verdeckte Falle, [Shadow Of Eyes]! Sie wechselt dein Monster sofort in den Angriff!“ Es dauerte keine Sekunde, da wirbelte die Karte in vertikale Ausrichtung, drehte sich mit dem Kartenbild nach oben und ließ eine violette Krähe entspringen, von deren Schwingen ein rotes Cape hing. Ihre Klauen gingen in drei Wirbelstürme über.   Majespecter Crow – Yata [ATK/1000 DEF/1500 (4)]   „Auch sie muss durch den Effekt von [Savage Colosseum] angreifen“, meinte Reika und umfasste ihren rechten Ellbogen mit der linken Hand, wobei sie die rechte an ihre Wange legte, „hmm, das ist zu einfach, oder?“ Der Vogel schrie auf und richtete seine Krallen auf [Cyber Angel Natasha], um sie mit den Wirbelstürmen anzugreifen. Doch mit dem Schnippen ihres Fingers ging Cassie dazwischen. „Wenn diese Missgeburt nicht zerstört werden kann, verbanne ich sie eben. Falle: [Majespecter Tornado]! Ich opfere [Majespecter Crow – Yata], um wie angekündigt deine Kreatur zu entsorgen.“ Die Karte klappte vor dem Rotschopf auf und sorgte dafür, dass ihre Krähe sich selbst in einen violetten Sturm verwandelte, der die Barriere von Reika durchbrach und Natasha erfasste. „Tsk tsk tsk“, machte die Asiatin aber nur unbeeindruckt, „als ob! Konterfalle [Solemn Scolding]! Du bist eine wirklich unartige Hexe!“ Ihre eigene Falle sprang auf und schoss ein Licht auf die eingeschlossene Göttin, die den Sturm mit einem einzigen Aufschrei zum Verschwinden brachte.   [Cassandra: 2000LP / Reika: 5600LP → 2600LP]   „Ein teurer Spaß, diese Falle, aber dafür kann ich damit einen beliebigen Effekt aufhalten“, erklärte Reika und fasste sich plötzlich keuchend an die Brust. „Ah! W-was …!?“ Die andere Hexe lachte leise. Ihrer Gegnerin war gerade ein guter Anteil ihres Äthers entzogen worden. Wenigstens zu einer Sache war dieses dumme Duell gut. Cassandra blicke über ihre Schulter. Velvet Thorne und ihre Freunde waren inzwischen längst weiter gezogen und außerhalb ihres Blickfelds. Aber sie würde sie einholen, schon bald … Sich wieder an ihre immer noch perplexe Gegnerin wendend, nahm sie wortlos eine Karte aus ihrem Blatt und legte sie in ihre Duel Disk ein. Zischend tauchte jene zu ihren Füßen auf.   Indes ließ Reika ihre Brust los und betrachtete ihre Hand. „W-was war das? Als ob mir die Kraft entzogen wird …“ Sie sah entschlossen auf und zog. „Du bist wohl noch für die ein oder andere Überraschung gut. Vielleicht habe ich dich doch ein wenig unterschätzt.“ „Hmpf.“ „Wie dem auch sei, im Duell habe ich die Nase vorn.“ Und was brachte ihr das, schmunzelte Cassandra finster in Gedanken. „Ich nutze den Effekt von [Cyber Angel Natasha], um meine Lebenspunkte um die Hälfte ihres Angriffswerts zu erhöhen!“ Schon leuchteten um die blonde Brillenschlange wieder diese ätzenden Lichtkugeln.   [Cassandra: 2000LP / Reika: 2600LP → 3100LP]   „Angriff!“, befahl die sofort im Anschluss. Indem sie zwei ihrer Hände von in einer wischenden Bewegung ausstreckte, erzeugte die halb animalische Göttin einen Lichtspeer, den sie auf Cassie schleuderte. Diesmal ließ jene sich aber gar nicht erst treffen, sondern das Geschoss auf ihre ausgestreckte Handfläche aufprallen und zerbersten.   [Cassandra: 2000LP → 1000LP / Reika: 3100LP → 3400LP]   Wieder einmal hatte sie sich durch ihr [Savage Colosseum] geheilt. Aber gut, umso mehr Äther konnte das System ihr entziehen. „Dein Zug, Sonnenschein!“   Langsam war es Zeit, ein wenig Leben ins Spiel zu bringen, entschied Cassie und zog nebenbei auf eine vierte Handkarte auf. Und diese neue Karte würde dabei helfen, dachte sie mit einem Grinsen auf den Lippen. „Ich aktiviere [Majespecter Unicorn – Kirin] mit dem Pendelbereich 2 und [Majespecter Toad – Ogama] mit dem Pendelbereich 5 von meiner Hand!“ „Pendel!?“, stieß Reika erschrocken hervor. „Wie konnte ich das nicht bemerken!?“ Zwei hellblaue Lichtsäulen schossen links und rechts neben der Rothaarigen aus dem Boden. In ihnen befanden sich ein weißes, elegantes Einhorn, das wie all seine Artgenossen einen roten Umhang trug und von seinem Horn einen Wirbelsturm ausgehen ließ sowie eine grüne Kröte, die mit jedem Quaken einen grünen Zyklon ausstieß.   <2> Cassandras Pendelbereich <5>   „Damit kann ich Monster von meiner Hand und dem Extradeck beschwören, deren Stufen zwischen den Werten meines Pendelbereichs liegen“, erklärte die gereizte Hexe und streckte den Arm in die Höhe, „seid wiedergeboren, Nekomata, Kyubi und Yata! Pendulum Summon!“ Über ihr öffnete sich ein riesiges, bunt leuchtendes Portal, das von zahlreichen Ellipsen aus Licht eingeschlossen war. Drei rote Lichtstrahlen schossen aus ihm und krachten vor Cassie in das Dach, nahmen die Form der hellblauen Katze, des gelben Fuchses und der violetten Krähe an.   Majespecter Cat – Nekomata [ATK/100 DEF/1800 (3) PSC: <2/2>] Majespecter Fox – Kyubi [ATK/1500 DEF/1000 (4) PSC: <2/2>] Majespecter Crow – Yata [ATK/1000 DEF/1500 (4) PSC: <5/5>]   Eine Schweißperle glänzte auf der Stirn der Asiatin. Cassie roch ihre aufkeimende Angst förmlich, denn da verlief etwas nicht nach ihrem Plan. Und es würde noch schlimmer werden. „Effekte des Fuchses und der Krähe“, bellte die ältere Hexe, „durch sie erhalte ich eine Majespecter-Zauber- beziehungsweise Fallenkarte respektive von meinem Deck.“ Sie nannte die Namen gar nicht. Ihr Deck warf [Majespecter Storm] und die purpur-umrandete [Majespecter Tempest] aus. Während Letztere sofort mit zwei anderen Karten in Cassies Duel Disk eingelegt wurde und verdeckt zu ihren Füßen erschien, zeigte sie den Zauber vor. „Diesmal kannst du deinen Kopf nicht aus der Schlinge ziehen. Ich aktiviere [Majespecter Storm] und biete die Katze als Opfer an, um deine vermaledeite Göttin direkt ins Deck zurück zu schicken.“ Die kleine Nekomata verwandelte sich in einen beachtlichen Sturm, der über das Dach und schließlich die Seitengasse fegte, bis sie das andere Gebäude erreichte. „Was Monsterentsorgung angeht, habe ich schier unbegrenzte Mittel.“ Ungehindert durchdrang der immer größer werdende Wirbelsturm die kreisrunde Barriere mit den viereckigen Zusätzen und erfasste [Cyber Angel Natasha], die schreiend durch die Luft gewirbelt wurde. „Das war wohl ein Schuss … in den Ofen“, murmelte Reika perplex, als ihr Monster fort war. Damit war ihr Feld abseits [Ritual Sigil] und [Savage Colosseum] komplett leer. Cassie schob eine weitere Karte verdeckt in ihre Duel Disk, womit nun sage und schreibe vier Stück vor ihr lagen. „Attacke!“, befahl Cassandra indes bereits mürrisch. Sowohl ihr Fuchs, als auch die Krähe ließen ihren Wirbelstürmen freien Lauf. Tosend fegten sie über die Dächer auf Reika zu, die sich schützend die Arme vor den Kopf hielt. Dann wurde sie schon erfasst und in die Höhe geschleudert. Statt aber eine Bruchlandung hinzulegen, wirbelte sie in der Luft ein paar Mal hin und her, bis sie elegant in der Hocke aufkam.   [Cassandra: 1000LP → 1600LP / Reika: 3400LP → 900LP]   „Ugh!“, keuchte sie, kippte beinahe vorne über. „Fu fu fu.“ Cassandra fuhr sich durch ihr langes, lockiges Haar. „Diesmal habe ich von deinem [Savage Colosseum] profitiert. Nicht mehr lange. Mach deinen letzten Zug. Aber vorher erhalte ich durch den Effekt der Katze [Majespecter Supercell].“ Die Falle schob sich aus ihrem Deck und wurde von Cassie desinteressiert aufgenommen. Sie würde sie nicht mehr benötigen, so viel war bereits jetzt klar. Mit ihren insgesamt vier verdeckten Karten würde sie ihre Feindin vernichten.   Schwankend kam Reika auf die Beine und fasste sich an die Stirn. „So schlapp … davon muss Lady Gardenia erfahren. Was ist das?“ Aber Cassandra dachte nicht im Traum daran, nur ein Wort über die Äther-Absorptions-Mechanismen ihrer Duel Disk zu verraten. Das würde den ganzen Plan gefährden. Zittrig griff die Blonde nach ihrem Deck. Da hatte wohl jemand Angst. Gut. „Draw!“, schrie Reika und riss die Karte von ihrem Deck, nur um dann zuversichtlich zu grinsen. „Genau was ich brauche: [Machine Angel Absolute Ritual]!“ Eine riesige, weiße Feuerschale aus Marmor stieg vor ihr empor, umgeben von vier kleineren. „Der nette Ritualzauber hier lässt mich einen Cyber Angel von meiner Hand beschwören, wenn ich die benötigen Opfer von meinem Friedhof ins Deck mische.“ Nacheinander schossen drei Karten aus ihrem Ablagestapel, die sie allesamt vorzeigte. Es waren die Effektmonster [Tethys, Goddess Of Light], [Freya, Goddess Of Victory] und [Manju Of The Ten Thousand Hands], deren kombinierte Stufen genau 10 ergaben. Jene Götter tauchten über der großen Schale auf – eine engelhafte, in Weiß gehüllte Frau, die Cheerleaderin und das japanische Dämonenwesen mit den zahllosen Armen. Sie alle verschwanden im Feuer, das daraufhin eine azurblaue Färbung annahm. „Engel der verborgenen Ewigkeit, zeige deine Gestalt und bringe der Schöpfung Erleuchtung! Ritual Summon!“, zitierte Reika streng. „Stufe 10! Komm, [Cyber Angel Vrash]!“ Welche unmittelbar danach der blauen Flamme entstieg – eine schlanke Göttin, von deren Körper sich sechs hauchdünne Schleier erstreckten, die wie Schwingen wirkten. Auf ihrem Rücken befand sich ein goldener Ring mit Zacken wie bei einem Zahnrad – Vishnu, die Beschützerin der Schöpfung.   Cyber Angel Vrash [ATK/3000 DEF/2000 (10)]   Als ob ihr das irgendwie helfen würde. „Ist das alles? Dann kann sie gleich wieder gehen! Konterfalle [Majespecter Tempest]!“ Die Falle klappte vor Cassie auf. Ihre Krähe Yata verwandelte sich in drei gewaltige, violette Wirbelstürme, die allesamt auf Vrash zugeschossen kamen. „Durch das Opfern meines Monsters negiere ich die Beschwörung deines und zerstöre es.“ „Pardon, aber das funktioniert nicht“, grinste Reika breit, als alle drei an ihrer Kreisbarriere abprallten, „solange [Ritual Sigil] auf dem Feld ist.“ Die hübsche Asiatin hob die Hand. „Und jetzt zu [Cyber Angel Vrash'] Effekt! Sie zerstört alle Monster, die aus dem Extradeck beschworen wurden und bestraft deren Besitzer für jedes davon mit 1000 Punkte Schaden! Ascension Burst!“ Reika schnippte mit dem Finger. Aus dem goldenen Ring der Gottheit begannen leuchtende Kugeln auszutreten, die wie ein Trommelfeuer auf [Majespecter Fox – Kyubi] einprasselten, bis er explodierte. Mit dem Schwung ihrer Hand wischte Cassie die nahende Druckwelle mühelos weg.   [Cassandra: 1600LP → 600LP / Reika: 900LP]   „Und jetzt das große Finale!“ Reika richtete ihre erhobene Hand nach vorne aus. „Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte! Divine Cyber Energy Flash!“ Die Göttin ballte ihre vier Arme zu Fäusten, aus denen sie allesamt grelle Lichtstrahlen auf Cassandra abfeuerte. Welche lediglich die Nase rümpfte. „Völlig umsonst! Falle aktivieren, [Scrap-Iron Scarecrow]! Sie annulliert den Angriff und setzt sich zurück aufs Feld!“ Vor der Rothaarigen sprang eine Vogelscheuche auf, an der ein Helm befestigt war. Die Attacken trafen sie, ohne dass sie überhaupt Schaden nahm. Kurz darauf versank sie wieder im Boden und wurde zu einer gesetzten Karte. „Und du denkst, das hält mich auf? Das ist wohl der Altersstarrsinn“, neckte Reika ihre Gegnerin und schnippte erneut, „Vrash, benutze deinen Effekt! Da sie durch 'Ascension Burst' ein Monster zerstört hat, kann sie zweimal angreifen! Divine Cyber Energie Flash!“ Erneut schoss die Göttin der Schöpfung vier Lichtstrahlen aus ihren Handflächen auf Cassandra, die die Augen genervt verdrehte. „Hartnäckiges Miststück, dir werd' mich Manieren beibringen! Falle, [Majespecter Gust]! Sofort nach ihrer Aktivierung wird ein Majespecter aus meinen Pendelzonen aufs Feld beschworen! Erscheine, [Majespecter Unicorn – Kirin]!“ Sofort drang das weiße Einhorn aus der blauen Lichtsäule und ritt durch die Luft, um sich schützend vor seine Meisterin zu stellen – wie es sich gehörte.   Majespecter Unicorn – Kirin [ATK/2000 DEF/2000 (6) PSC: <2/2>]   An seinem Horn, das von einem schwarzen Metallhelm bedeckt war, entstand ein weißer Wirbel. Cassie lachte: „Und ehe du dich wunderst, warum ich ihn trotz seiner geringen Stärke in den Angriffsmodus gerufen habe, hier die Antwort: Ich nutze seinen Effekt! Damit gebe ich ihn und deinen Cyber-Engel zurück auf die Hand!“ Der Sturm weitete sich um das Tier aus – und verpuffte und dem Auflachen Reikas. „Oh, du Scherzkeks!“ Sie hielt sich den Handrücken vor den Mund und funkelte sie hinter ihren Brillengläsern finster an. Plötzlich wurde das Einhorn von einem weißen Runenzirkel erfasst, der um seinen Torso schloss und es so festhielt. „[Ritual Sigils] letzter Effekt verhindert, dass du während der Battle Phase einen Monstereffekt aktivierst, solange ich ein LICHT-Ritualmonster kontrolliere. Pech gehabt.“ Zornesfalten bildeten sich auf der Stirn der rothaarigen Hexe, die sich auf die Unterlippe biss, bis jene zu bluten anfing. „Elende Ratte, kenne deinen Platz!“ Als sie ihren Arm ausschwang, erzeugte sie damit eine derart mächtige Druckwelle, dass es Reika beinahe umwarf. Die letzte der vier gesetzten Karten klappte auf. „Schnellzauber, [Majespecter Sonics]! Sie verdoppelt für einen Zug die Werte meines Monsters, aber halbiert den Kampfschaden, den du dabei erleidest!“ Die Brillenschlange weitete die Augen. „Was!?“ Kirin gab ein wütendes Wiehern von sich, das in sichtbaren Schallwellen auf die Göttin zu rauschte.   Majespecter Unicorn – Kirin [ATK/2000 → 4000 DEF/2000 → 4000 (6) PSC: <2/2>]   Jene wurde von denen wortwörtlich zerfetzt. Aber sie fanden in Reika bereits ihr nächstes Ziel und rissen sie mit ihrer Macht endgültig von den Füßen, zerfetzten dabei ihre Kleidung. Die Gläser ihrer Brille bekamen tiefe Sprünge. Die junge Asiatin knallte hart auf den Rücken und hustete.   [Cassandra: 600LP / Reika: 900LP → 400LP → 700LP]   „Siehst du es jetzt ein? Du bist ein Niemand“, spottete Cassie, „dir ist nichts geblieben. Mein Zug!“ Sie zog auf, beachtete ihre Karte gar nicht.   Majespecter Unicorn – Kirin [ATK/4000 → 2000 DEF/4000 → 2000 (6) PSC: <2/2>]   Reika rollte nach links auf den Bauch und sah ihre Widersacherin über die Schulter mit einer Mischung aus Furcht und Abscheu an. Jene streckte ihren Arm aus. Zeit, dieses Trauerspiel zu beenden. Ihre Lippen bewegten sich bereits, da hörte sie eine weibliche Stimme sanft, aber bestimmend sagen: „Halt.“ Die unsterbliche Hexe wirbelte herum und stierte in das schwarze, ovale Portal einige Meter von sich entfernt, aus dem eine junge Frau eleganten Schritts trat. Eine zornige Falte bildete sich auf Cassies Stirn, als sie jene erkannte. Das lange, schwarze Haar ging in der Mitte in ein unnatürliches Weiß über. Roter Lippenstift betonte die blasse Haut, geschickter Einsatz von Kajal die kalten, grauen Augen. Passend dazu trug sie ein rotes Abendkleid, dazu schwarze Stiefel, mit denen sie lautstark über das Dach schritt. „Was willst du hier, Kathea?“, zischte Cassandra unwirsch. Das hatte ihr noch gefehlt – die Mätresse von Meister Seraphix. Inoffiziell die Anführerin des Inner Circles, gefürchtet und gleichermaßen geliebt von den CLEAR-Mitgliedern. Niemand wusste, woher sie kam, was sie motivierte und über welche Kräfte sie überhaupt verfügte. Aber sie waren laut Meister Seraphix' Aussage gewaltig. So gewaltig, dass er ihr bis aufs Äußerste verfallen war. Elendes Miststück, fluchte der Rotschopf im Gedanken. Wenn sie sich ihr widersetzte, würde Seraphix davon erfahren und das konnte unschöne Konsequenzen haben, selbst für sie. Die junge Frau, höchstens Mitte 20, trat neben die entnervte Hexe. „Ich hörte von Harrier, dass du dich an Velvet Thornes Fersen geheftet hast und abgelenkt wurdest. Wie interessant, das ist doch sonst nicht deine Art.“ „Sie hat sich mir in den Weg gestellt.“ Kathea betrachtete die am Boden liegende, halb bewusstlose Reika mit einen schmalen Lächeln auf den Lippen. „Sie gehört zu Gardenia. Es wäre Verschwendung, sie zu töten.“ „Was soll das heißen?“, brauste Cassie auf, fuchtelte aufgeregt mit den Händen. „Sie hat meine kostbare Zeit verschwendet. Dieses Stück Dreck gehört entsorgt.“ „Ich habe andere Pläne für sie“, murmelte die Schwarz-Weiß-Haarige und legte die rechte Hand ans Kinn, sah ihre Komplizin aus den Augenwinkeln an. „Du solltest das auf keinen Fall verpassen.“ „Hmpf! Mir doch egal, mach mit ihr, was du willst.“ Mit diesen Worten war Cassandra fertig mit der Hure der Organisation und zog an jener vorbei wie ein Sommergewitter. Direkt vor dem Rotschopf öffnete sich ein eigenes, schwarzes Portal, welches jene durchschritt. Dabei hörte sie die Aufsteigerin noch etwas zu sich selbst flüstern, das stark nach einem Austausch von Geiseln klang. Mit einem kleinen Haken.   -~-~-   Still betrachtete er den Gegenstand in seiner Hand. Es klopfte. Der Sammler stand zum Kamin gewandt und drehte sich nicht um. Trotzdem ziemte es sich nicht, auf eine Bitte mit Schweigen zu reagieren. Also bat er, während er den Gegenstand auf einer Kommode neben dem Kamin absetzte: „Komm herein, David.“ Das Holz knisterte unter dem Feuer, als sein Diener herein trat. „M-meister, i-ich-“ „Ich weiß. Gut gemacht.“ Leise fiel die Tür ins Schloss. Der junge Mann mit dem schwarzen Haar und dem blauen Pony keuchte. Sein grauer Trainingsanzug war blutverschmiert – mit seinem Blut. Der rechte Arm hing schlaff herab, Blut tropfte auf den etwas helleren Teppich. In seiner linken Hand hielt er eine goldene Lanze, die er gegen seine Schulter lehnte. „David“, begann der Sammler schließlich und drehte sich zu ihm um, „hättest du nicht vorher wenigstens deine Wunden versorgen können? Du besudelst mein ganzes Anwesen.“ „V-verzeihung.“ „Ordnung und Sauberkeit sind sehr wichtig“, tadelte der rothaarige Brite weiter, „merk dir das doch bitte endlich.“ „M-meister“, stotterte David jedoch plötzlich, „e-eure Wunde!“   Der Sammler stand mit nacktem Oberkörper vor dem Kamin. Um seinen Unterleib war ein herkömmlicher, weißer Verband gewickelt, welcher in seiner Mitte rot durchtränkt war. Auf den zweiten Blick konnte man weitere, bereits verheilte Wunden sehen. Keine von ihnen war jedoch so extrem wie die Narbe an seiner Wange. „Es wird noch eine Weile dauern, ehe ich mich erholt habe. Jetzt sollten wir uns erstmal um dich kümmern“, sprach er, schritt herüber zu zwei Sesseln und einem feinen, alten Holztisch, auf dem ein Weinglas stand. Er schnappte sich jedoch einen weißen Morgenmantel, der fein zusammengelegt über einem der Sessel hing und zog diesen über.   „Wie gefällt dir eigentlich unser neues Zuhause?“, fragte er nahezu beiläufig, als er auf den wartenden David zuschritt. Jener sah sich in dem kleinen Zimmer um. Neben ein paar Bücherregalen, dem Kamin samt Sitzecke und einer großen Truhe in der anderen Ecke gab es hier nicht viel. Es war edel, aber nicht annähernd so prachtvoll wie die Villa in Hollow City. „Es geht so. Au.“ Er presste die Augen zusammen, da der Schmerz ihn übermannte. „Gib mir die Lanze“, forderte der Sammler und nahm die goldene Waffe entgegen. Ihr Schaft war stabil, trotz der gewaltigen, goldenen Spitze, von der sich noch zwei schützende Panzerungen abhoben. Der Sammler achtete entschieden darauf, nicht die blutigen Stellen von Davids Hand anzufassen – denn wie er aus den Augenwinkeln sah, war jene knallrot. Verbrannt. „Du hast eine Menge auf dich genommen, Longinus zu finden. Ich danke dir.“ „Kein Problem. Dafür bin ich ja da“, lachte David, brach aber dann keuchend ab. Trotzdem schüttelte der Sammler den Kopf. „Ich befürchte jedoch, wenn das so weitergeht, wird dein Leben ein jähes Ende finden, noch bevor wir mit unserer Suche fertig sind. Eine Alternative muss her.“ „A-aber ich bin-“ „Du bist ein wertvoller Verbündeter. Es liegt mir fern, dein Leben noch weiter zu gefährden.“ Der Sammler zog an ihm vorbei. „Komm mit. Mir schwebt da etwas vor. Dann können wir auch gleich deine Wunden heilen.“   Irritiert folgte David ihm, sich dabei mit der frei gewordenen Hand eine Wunde am Unterleib haltend. Der Sammler führte ihn durch einen schlichten, weißen Gang mit rotem Teppich. Keine Bilder, kein Dekor, nur ein schmaler Gang – ein Labyrinth für all jene, die nicht erwünscht waren. „Meister“, begann er zögerlich, da etwas ihn schon eine ganze Weile beschäftigte, „warum bedeutet euch Sauberkeit so viel?“ Der Dämon blieb stehen und drehte sich nach einem Moment des Innehaltens lächelnd zu seinem Untergebenen um. „Sauberkeit bedeutet Ordnung. Ohne Ordnung gäbe es keine Richtung. Und sei doch mal ehrlich: Flecken sehen nicht schön aus.“ „A-haha.“ „Das ist nicht zum Lachen“, kommentierte der Sammler versteift und machte eine wischende Handgeste vor Davids Gesicht, wobei er mühelos mit der anderen die riesige Lanze festhielt. „Bitte sei so nachsichtig und besudele nächstes Mal nicht das ganze Haus.“ „Natürlich nicht, ich verblute nächstes Mal gerne draußen vor der Tür.“ Mit einem Male war der junge Mann frei von all seinen Wunden. Nicht einmal Blut befand sich mehr an seiner Kleidung. Der Sammler blinzelte verdutzt ob der frechen Retour seines Dieners, lachte dann aber vergnügt. Trotzdem stand David der Schweiß auf der Stirn. Egal was er machte, er war sich nie sicher, wie dieser Mann reagieren würde.   Schließlich drehte sich jener wieder um und ließ mit einer Handbewegung eine Tür in der Wand zu seiner Rechten erscheinen. Mit der anderen hielt er nach wie vor Longinus, den legendären Speer aus der christlichen Mythologie. Als der Sammler eintrat, erwartete ihn ein dunkler Raum. Bis auf ein paar Halterungen an den Wänden und einige Aufsteller, sorgsam in drei Reihen angeordnet, gab es hier nichts. An der Wand gegenüber hing ein riesiger, goldener Rundschild, links befand sich in einer der Befestigungen ein grünlich strahlender Bogen. In zwei Halterungen am Boden steckten Großschwerter, regelmäßig rot beziehungsweise blau aufleuchtend. Der Sammler schritt durch den Raum und legte den Speer quer auf zwei Haken an der Wand. „Kaum zu glauben, wie lange ich für fünf Stück gebraucht habe“, seufzte David deprimiert. „Gemach. Mehr habe ich nie erwartet. Und das meine ich im positiven Sinne.“ Mit einer scheuchenden Handgeste wies der herannahende Sammler ihn an, den Raum zu verlassen. „Ich hoffe, dass das neueste Mitglied unserer beschaulichen Gruppe ebenso vorbildlich agieren wird wie du. Hopp hopp, Zeit für eine angemessene Vorstellung.“     Turn 97 – Crackes And Bruises Nachdem er über eine Woche verschwunden war, kehrt Nick unerwartet und verändert nach Livington zurück. Dabei kommt es zu einer Konfrontation mit Anyas Freunden, welche Nick am liebsten aus dem Leben seiner Schwester verbannen möchte. Und das Ganze gipfelt in einem Duell gegen Matt, Zanthe und Valerie, die ähnliche Ansichten bezüglich Nick vertreten … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)