Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 115: Turn 106 - Master VS Student ----------------------------------------- Turn 106 – Master VS Student     „Bist du wirklich sicher, Velvet-chan?“, fragte Orion sanft. „Wenn es gelingt, gibt es kein Zurück mehr.“ Das schwarzhaarige Mädchen, welches den Schattengeist mit beiden Händen vor sich hin trug, als sie über die grüne Wiese lief, nickte. „Ja. Ich habe mich entschieden. Ich möchte lernen, meine Visionen zu kontrollieren.“ Anders als sonst verzichtete sie auf ihre Brille und nutze Kontaktlinsen, trug darüber hinaus ihr Haar offen und hatte sich nur einen kurzen Zopf geflochten, der ihr über der Schulter lag. „Dann werde ich dir helfen! Wir machen es wie besprochen!“ „Hm-hm!“, gab sie zustimmend zurück. „Aber davor möchte ich dich meinen Freunden vorstellen.“ Sie blieb am Rande eines gepflasterten Weges stehen, welcher entlang eines Geländers führte. Dahinter befand sich ein Steg, an dem ein nicht gerade kleines, weißes Hausboot ankerte – Isaacs Zuhause. Niemand wusste, wie es ihm gelungen war, eine behördliche Genehmigung zu bekommen, um hier am Hudson River zu leben. Etwas weiter entfernt zur Linken führte eine Brücke über den knapp fünfzehn Meter breiten Fluss, dessen Ufer von grünen Wiesen umgeben waren. Auf der anderen Seite gab es entlang der Straße Wohnhäuser – es existierten durchaus schlechtere Orte zum Leben. Velvet hatte ihre Freunde nach der Schule gebeten, sich bei Isaac zu treffen. Tatjana hatte natürlich nur widerwillig zugestimmt, aber sie würde es nicht bereuen, wenn sie Orion erst sah.   Frohen Mutes öffnete Velvet eine kleine Tür am Geländer und betrat den Steg. Das weiße Hausboot war im Grunde ein weißer Kasten mit Fenstern am Bug, die mit eierschalenfarbenen Vorhängen zugezogen waren. Isaac mochte seine Privatsphäre. Etwas unsicher, wie ihre Freunde auf das Kommende reagieren würden, schritt Velvet schließlich zum Heck, von wo aus sie das Boot über eine kleine Anlegebrücke betreten konnte. Hinter der Reling wartete auch schon dessen Besitzer auf sie. „Alles ok?“, fragte der Blonde im weißen Hemd besorgt. „Du bist spät dran.“ „E-entschuldigung, ich habe mich noch etwas frisch gemacht. Und“, sprach sie und sah auf Orion herab, „jemanden mitgebracht.“ „Hm?“ Isaac reagierte nicht darauf und öffnete ihr stattdessen die Tür. „Ich muss mich entschuldigen. Es wäre besser gewesen, wenn einer von uns mit dir gegangen wäre.“ Velvet aber schüttelte den Kopf, als sie hinein ging. „Nein, das ist ok. Ihr habt eigene Leben und könnt mich nicht rund um die Uhr wie ein rohes Ei behandeln.“   Das 'Wohnzimmer' der Evolution – so der Name von Isaacs Boot – war ziemlich klein. Es gab eine Küchenzeile direkt neben dem Eingang, an dem Velvet schon Tatjana sehen konnte, die in einem gelben Sommerkleid gerade aus einem Glas Wasser trank. Als das leicht untersetzte Mädchen sie sah, atmete sie auf. „Oh da bist du ja. Warum reagierst du nicht auf meine Anrufe, Velvet!?“ „O-oh!“, erschrak diese. „Ich habe mein Telefon vergessen. Sorry!“ Tatjana, die diesmal ihre schwarz gelockten Haare zu einem Kranz geflochten hatte, verdrehte resignierend die Augen. „Typisch Velvet …“ Quer gegenüber der Küchenzeile stand an die Wand gelehnt ein Sofa, auf dem der braungebrannte Patrice und sein bester Freund Fabio saßen und sich vom Fernseher an der gegenüberliegenden Wand abwandten, als sie Velvet bemerkten. „Hör auf zu meckern“, meinte Patrice an Tatjana gewandt. „Erschreck' nicht, Velvet“, wandte sich dagegen der dunkelhäutige Junge mit dem Riesenafro an das Mädchen, „sie hat es oft probiert. Sehr oft. Du hast bestimmt 50 Anrufe verpasst.“ „Entschuldigung!“, stammelte die und verneigte sich vor der ganzen Truppe.   „Also, Velvet, was hast du auf dem Herzen?“, fragte Isaac hinter ihr und schloss die Tür. Er wanderte um die Küchenzeile herum und lehnte sich an diese. Neben ihm führte eine Treppe nach unten in sein Schlafquartier. „Muss ja was Großes sein, wenn du es nicht in der Schule besprechen willst“; meinte Tatjana derweil mit nicht zu verleugnender Neugier. „Schieß' los!“ „Okay!“ Velvet atmete tief durch und versuchte ihre Gedanken zu sammeln. „Ihr wisst ja, dass ich Visionen habe. Und dass ich sie nicht bewusst bekommen kann, keine Kontrolle über sie habe.“ „Ja, das ist uns bekannt“, bestätigte Isaac. „I-ich will das ändern!“ „Hm?“, machte Fabio überrascht. „Das höre ich auch zum ersten Mal.“ Auch Patrice neben ihm sah sie fragend an. „Bisher waren sie dir doch nur lästig.“ Velvet nickte fest. „D-das stimmt, aber ich kann nicht mehr so weitermachen wie bisher. Diese Leute, die hinter mir her sind, i-ich glaube sie wollen mich genau wegen meiner Visionen.“ „Bist du sicher?“, fragte Tatjana. „Woher sollten sie überhaupt davon wissen?“ Orion hatte diese Vermutung geäußert, wollte Velvet schon sagen und sah auf den Schattengeist in ihren Armen hinab, der verdächtig ruhig blieb. Wieso fragte eigentlich niemand nach ihm? Merkwürdig. „Sie haben sicher ihre Methoden“, giftete Isaac Tatjana an, wofür er einen vernichtenden Blick erntete, den er selbstredend erwiderte. „J-ja. Und ich muss ihnen einen Schritt voraus sein“, erklärte Velvet, „wenn ich vorhersehen kann, wann sie das nächste Mal angreifen, kann ich mich schützen.“ Patrice lächelte. „Ja, das wäre sehr praktisch.“ „Aber wie willst du den Umgang mit ihnen überhaupt lernen?“ Fabio machte dazu ausladende Bewegungen mit seinen Händen. „Gibt ja keine Gebrauchsanweisung oder so.“ Lächelnd streckte Velvet da die Arme aus, hielt den Schattengeist wie einen Preis nach vorne. „Mit seiner Hilfe! Das ist Orion!“ Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Die Blicke ihrer Freunde rangierten von irritiert, belustigt, neugierig hin zu mittelschwer besorgt. „Velvet“, fragte Tatjana behutsam, „wovon redest du?“ „N-na ihn! Orion!“ Sie wirbelte herum und zeigte Tatjana ihren neuen Freund. Aber alles was geschah war, dass imaginäre Fragezeichen über dem Kopf ihrer deutschen Freundin aufploppten – wie sie sie förmlich sehen konnte, ärgerte sich Velvet insgeheim. So sollte das nicht laufen! „Ich sag das nur ungern, aber wir können dir nicht folgen“, brachte Isaac es nochmal auf den Punkt und starrte auf ihre Hände, „was hältst du da fest? Da ist nichts.“ „W-was!?“ „Yo! Ich sehe auch nichts“, bestätigte Fabio. Patrice stand auf, schlenderte zu Velvet und zog sie liebevoll an der Schulter an sich. Dabei sagte er an die anderen gewandt: „Hört auf damit. Wartet erstmal ab was sie zu sagen hat. Nicht, Velvet?“ Leicht errötet nickte diese. Doch eigentlich wusste sie gar nicht, was sie sagen sollte. Es schien, als könne niemand den Schattengeist sehen. „Orion“, fragte sie daher aufgeregt, „was ist? Bist du … unsichtbar?“ „Ach Velvet-chan“, seufzte dieser, als er zu einer Erklärung ansetzte, „deine Freunde können mich nicht sehen und hören.“ „W-was!? Auch nicht hören!?“ Da hüpfte er ihr aus der Hand und landete auf der Küchenzeile, direkt vor Tatjana, die neben ihm ihr Glas Wasser absetzte. „Schattengeister können nur von ganz bestimmten Leuten wahrgenommen werden, Velvet-chan. Hauptsächlich von denen, die eine große Menge Äther besitzen.“ Er sah sie aus seinen großen Kulleraugen traurig an, verzog die Trötenschnute. „Mein ehemaliger Meister betrachtete Menschen mit stärkerem Äther als wertlos, da ihr Äther schwerer zu formen und zu verwerten ist als bei solchen mit normalem Äther. Wie deine Freunde. Sie sind zu schwach, um mich wahrzunehmen.“ „W-warum hast du das nicht früher gesagt!?“ „N-na du hast mich getragen. Es war so warm und ich habe deine“, begann er und fing dabei an zu sabbern. Als er Velvets empörten Blick bemerkte, schüttelte er seinen Kopf – also praktisch den ganzen Körper und ruderte mit seinen beiden Stummelärmchen. „I-ich hatte gehofft, dass sie mich sehen können, weil sie über lange Zeit mit dir zusammen waren. Das geht manchmal auch. Aber diesmal anscheinend nicht.“ „Velvet?“ Tatjana sah sie nun äußerst alarmiert an. „Halluzinierst du?“ „N-nein!“, riss die sich von Orions Anblick vor dem pummeligen Mädchen los. „Er hat es gerade erklärt. Ihr könnt ihn nicht sehen, weil euer Äther zu schwach ist. Das wusste ich nicht. Es tut mir leid!“ „Also willst du damit sagen, hier ist noch jemand? Orion?“, fragte Isaac. „Sag mir wo er ist.“ Statt zu antworten, zeigte Velvet auf die Küchenzeile, genau auf die Stelle vor Tatjana, wo Orion stand und sich zu Isaac drehte. Jener murmelte: „Ob da was ist lässt sich leicht herausfinden.“ Er streckte den Zeigefinger aus und führte ihn ganz langsam Richtung Orion, welcher seinen großen Trötenmund öffnete. Als der Blonde kurz davor war, den Schattengeist zu berühren, kam was kommen musste. Orion schnappte zu und biss in den Finger. „Au!“, schrie Isaac erschrocken und wich sofort zurück. „Was zum Teufel!?“ „O-Orion!“, stammelte Velvet erschrocken. „W-was soll das!?“ „Ich lass mich nicht von jedem betatschen!“, verteidigte sich der Schattengeist vehement. „Nur von hübschen Mädchen! Aber deswegen sind wir jetzt nicht hier, Velvet-chan!“ Isaac sah entgeistert zu seiner Freundin. „Da ist wirklich etwas. Velvet, bist du sicher, dass es eine gute Idee ist damit … Kontakt zu haben?“ „Du verarscht mich“, raunte Tatjana und hob die flache Hand. „Du, Isaac Sawyer, glaubst ohne zu murren an etwas Übernatürliches? Da muss ein Fehler vorliegen!“ Sprachs und klatschte die Hand auf Orions Kopf, welcher schmerzerfüllt aufschrie. Und sofort im Anschluss auch Tatjana, die vor Schreck gegen die Spüle stieß. „Huch!“ Nun erhob sich auch Fabio. „Ihr seid selber schuld, yo!“ „Ich muss Isaac zustimmen“; meinte Patrice neben Velvet. Sein Lächeln war verflogen. „Ist es wirklich eine gute Idee, dich auf diesen Orion einzulassen? Weißt du denn überhaupt, was er ist?“ „N-nicht so richtig. Ein Schattengeist eben. Aber er ist nett und will mir helfen!“ „Wir sind auch nett und wollen dir helfen“, stellte Isaac verständnislos klar, „und uns kann man sehen und hören. Manche sogar sehr gut.“ Der nachfolgende Blick galt der völlig gelähmten Tatjana. „Aber er versteht meine Fähigkeit! Deswegen bin ich hier! Ich werde mich mit Orion duellieren und dabei hoffentlich meine Kräfte kontrollieren lernen.“ Isaac stöhnte. „Ahja? Da ich dich kenne und weiß, dass es sinnlos ist, dir das jetzt noch auszureden, gestatte mir eine Frage: Was genau spielen wir dabei für eine Rolle?“ „Wenn wir Glück haben, sind wir nur Zuschauer“, gluckste Patrice, „wenn nicht, Gnade uns wer Gnade übrig hat.“ Dazu passte Fabios leicht panischer Kommentar ein langgezogenes: „Nuuu!“ „Nein, so ist das nicht“, schüttelte Velvet den Kopf und drehte sich der Reihe nach zu all ihren Freunden um, „ich will … ich will nur nicht alleine da durch.“ „Na dann ist doch alles klar!“, entschied Tatjana, die sich langsam von dem Schrecken erholt hatte und nickte zur Tür. „Zeig dem unsichtbaren Früchtchen, wo der Frosch die Locken hat.“   Aber der blonde Ambitionist unter ihnen machte einen schnellen Schritt auf Velvet zu und packte sie an beiden Schultern. „Hör zu, wenn du wirklich glaubst, dass das hier eine gute Idee ist, dann stehen wir dir natürlich bei.“ „D-danke!“ Isaac schüttelte den Kopf. „Bedenke jedoch, dass die eigene Zukunft zu kennen nicht zwangsweise etwas Gutes bedeuten muss. Es gibt viele Beispiele, bei denen das gründlich schief gegangen ist.“ „Aber das ist alles Fiktion“, widersprach Tatjana und tauschte mit ihrem Erzfeind einen bitterbösen, aber auch zustimmenden Blick aus. Sie seufzte. „Aber unser Musterschüler hat Recht. Wenn du zu versessen darauf bist, dein Schicksal zu ändern, verlierst du dich am Ende.“ Fabio trat näher. „Lass es nicht dazu kommen.“ „Aber wir sind ja da, um dich auf dem rechten Pfad zu halten“, blieb Patrice optimistisch. „Schauen wir doch erstmal, ob das überhaupt funktioniert.“ Dann streckte er seine Hand aus. Prompt legte Fabio seine darauf, dann folgten Isaac und Tatjana über die Küchenzeile. Zuletzt nickte Velvet dankend und tat es ihren Freunden gleich. Orion sah dem mit großen Kulleraugen entgegen. „Du hast wirklich gute Freunde, Velvet-chan. Ich werde auch mein Bestes geben, dir zu helfen!“ „Danke“, sagte Velvet ergriffen, „euch allen!“   ~-~-~   Anya war alleine und lag der Länge nach auf ihrem Bett. Sie hatte ihr Zimmer nicht verlassen, seit der Sammler sie und die Jungs hierher zurückgebracht hatte. Sie hielt die Augen fest geschlossen. Inzwischen war Levrier auf ihren Wunsch hin verschwunden und zum Glück auch anständig genug, sie nicht dauernd mit irgendetwas nerven. Alles was sie jetzt brauchte war Ruhe.   War sie eine Fälschung? Wie konnte sie das bloß herausfinden? All ihre Erinnerungen aus ihrer Kindheit und Jugend, sie waren real. Aber wenn man eine Datei kopierte, war diese auch exakt wie das Original. Ob das auch bei Magie so war? Der Sammler schien jedenfalls zu glauben, dass Kali die echte Anya Bauer war. Warum sonst erzählte er seinem Diener David davon? Aber Redfield hatte Recht, vielleicht steckte dahinter nur die Absicht, sie zu verunsichern und wieder zum Sammeln der Artefakte zu bewegen. Anya mahnte sich, an etwas anderes zu denken. Aber diese quälende Frage nach der Wahrheit ließ sich nicht verdrängen. Wen konnte sie bloß um Rat fragen? Einen anderen hochrangigen Dämon? Sie kannte keinen. Der Sammler und seine Feindin, die Weiße Hexe, hatten ihren Standpunkt ja deutlich gemacht. Und den anderen drei großen Dämonen war sie nie begegnet. Allenfalls Nigel McPherson wäre eine Variante aber von dem wusste sie ja nicht mal, wie sie ihn einordnen sollte.   Sie drehte sich keuchend auf die Seite. Eins stand fest: Ihre Schmerzen wurden schlimmer und schlimmer. Die, die sie immer öfter bekam, nicht die paar Schrammen von der Konfrontation mit Kali. „Ugh!“ Vielleicht war ihre Existenz wirklich instabil und kurz vor dem Zusammenbruch? Auch wenn sie es nach wie vor ablehnte, war der Homunkulus vielleicht ihre einzige Chance. „Die Undying“, kam Anya da eine Idee, „vielleicht wissen sie-“ In dem Moment klopfte es an der Tür ihres Zimmers. „Ich will meine Ruhe!“, schimpfte Anya wütend. Und wie es in den Wald hinein schallte, so kam es prompt wieder heraus. „Reiß dich zusammen, du undankbare Göre! Kommst mitten in der Nacht wieder und schaust mit deiner Großmutter nicht mal ein paar Folgen 'Pimp My Gun'!“ „Grandma!?“ Anya schreckte auf. „Uh! Komm rein …“ Was ihre graue, kleine Oma mit der Augenklappe aber sowieso getan hätte. Sie stampfte, nicht unähnlich ihrer Enkelin, durchs Zimmer und stellte sich vor Anyas Bett. Natürlich hatte sie eine Flasche Bier in der Hand. „So und jetzt erzählst du mir, was überhaupt los ist!“ „Uh …“ „Ich seh's dir doch an! Brichst plötzlich auf, um in die Pampa zu reisen! Dann biste wieder da und sprichst mit keinem ein Wort! Wäre der nette Schwule nicht, wüsst' ich gar nicht, dass ihr wieder zurück seid!“ Anya machte ein scheeles Gesicht. „Meinst du jetzt Matt oder Zanthe?“ „Muss ich mir die Namen von denen merken!?“ „Nope!“ „Siehste.“ Damit setzte sich Margery Bauer auf die Bettkante und klopfte auf den Platz neben sich.   Selbstverständlich gehorchte Anya und setzte sich neben sie, bekam das Bier gereicht, von dem sie sofort einen Schluck nahm. Nur um dann zu prusten. „Bah! Das ist ja ekelhaft!“ „Bist noch zu jung für das gute Zeug, wie's aussieht.“ Anya nickte. Sonst war sie ja gern mit ihrer Oma zusammen, aber alles was sie wollte, war ein wenig Ruhe. Dass sie jedoch um ein Gespräch nicht herum kommen würde, war so klar wie das Amen in der Kirche. „Uhm, Matt lebte vorher in einem Waisenhaus. Und das ist, uh, eingestürzt. Schon vor Monaten und als er das durch Zufall erfahren ist, ist er eben ein wenig ausgetickt.“ Anya seufzte. „Zanthe und ich haben ihn begleitet, aber anscheinend hat niemand überlebt.“ „Das ist kacke.“ „Jup.“ „Und überhaupt nicht der Grund, warum du so niedergeschlagen bist.“ „Ich bin nicht depri!“ Ihre Oma neigte den Kopf so weit zu Anya vor, dass sie Auge in Auge in Augenklappe nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. „Hör auf zu lügen, Kleines! Das hab ich alles schon mit Zoey durch!“ Welche ja auch immer noch verschwunden war, erkannte Anya erschrocken. „Uh … sorry.“ Da schlang Grandma Bauer ihren Arm um das blonde Mädchen und zog es an sich heran. „Jeder wird erwachsen, Anya. Du musst dich nicht für das schämen, was du fühlst.“ „Uhm, okay?“ „Magst du den Schwulen?“ „Nein?“ „Magst du den Versager?“ Anya zog eine Augenbraue an. „Das hat sich ja schnell herumgesprochen! Also das mit dem Versagen! Matt ist nur'n Freund!“ Ihr gefiel nicht, worauf das hinauslief. Zumal sie ihrer Großmutter wohl kaum erklären konnte, weshalb sie wirklich so zerrissen war. Doch erstaunlicherweise meinte die bloß: „Gut. Sind nämlich beide nichts für dich. Du brauchst 'nen richtigen Mann. Mit Haaren auf der Brust. Die Jungs von heute sind der letzte Dreck.“ Anya lief langsam rot an, denn sie hatte da eine gewisse Vorstellung von dem, was ihre Oma meinte. Diese Art Mann, die noch männlich war. „Uh-huh …“   Als Margery an ihrer Bierflasche nippte, nahm sie Anya dabei so fest in den Schwitzkasten, dass jene aufgrund ihrer anderweitig bedingten Schmerzen zusammenzuckte. Aber sie hielt durch und sagte nichts. „Ah!“ Ihre Oma lächelte besonnen. „Dein Opa war perfekt. Ja, wir haben uns ab und zu gestritten und geschlagen und aufeinander geschossen, aber wir wussten immer, was wir aneinander hatten. Dadurch war das Leben erträglicher.“ „Grandma …“, murmelte Anya. „Was ich sagen will: Hör auf, dich verstellen zu wollen, Anya. Du bist du, wenn du stark bist und wenn du schwach bist.“ Die grauhaarige Frau in der schwarzen Nietenjacke sah ihre Enkelin von der Seite an. „Man kann nie immer nur stark sein. Die Kunst ist es, die eigene Schwäche den richtigen Leuten anzuvertrauen.“ „Aber wenn ich nicht stark bin“, widersprach Anya schluckend, „dann … dann verliere ich die Kontrolle.“ „Mach nicht denselben Fehler wie Zoey. Sie ist genauso, will immer die Stärkste von allen sein, die Coolste. Aber sie sieht nicht, wohin sie das bringt, egal wie oft ich ihr schon versucht habe das einzutrichtern.“ „Ich bin nicht wie Zoey. Ich hab's gesehen. Sie ist … unglücklich.“ „Weil sie nicht zufrieden mit sich ist, Anya. Sie sucht nach Anerkennung von allen um sich herum, doch in Wirklichkeit ist es die eigene, die ihr fehlt.“ Anya nickte. „Verstehe. Aber bei mir … hängt so vieles dran. Wenn ich einmal versage, könnte alles … vorbei sein.“ „Und das macht dir Angst?“ Ihre Oma lachte bissig. „Seit wann hat 'ne Bauer Angst vorm Versagen?“ Doch statt darauf einzuspringen, zögerte Anya. „Ich … ich weiß es nicht.“ „Dann finde die Antwort und mach das Beste draus.“ Margery erhob sich. „Das heißt es, erwachsen zu werden.“   Sie sahen sich ein letztes Mal an, dann rülpste ihre Oma und verließ leicht schwankend das Zimmer. Anya hatte Angst davor zu sterben oder zu verschwinden, was in ihrem Fall eben besser passte. Denn es bedeutete, ihre Freunde nicht mehr zu sehen, keine Abenteuer mehr zu erleben, ihren Traum nicht verwirklichen zu können. Und … und -ihn- nicht mehr sehen zu können. Anya sah ihre Hände an. Wie viel Zeit blieb ihr noch? Unwichtig, hörte sie ihre Großmutter verärgert in ihrem Kopf brüllen. Statt darüber zu grübeln, sollte sie sie lieber nutzen! „Danke Grandma“, dachte Anya mit einem Lächeln und erhob sich von der Bettkante.   ~-~-~   Als sie zu fünft über den Steg liefen, erklärte Velvet, die mit Orion in den Armen voran lief: „Die Theorie sieht wie folgt aus: Ich erhalte nur wahllose Visionen, weil diese besonders starke Erschütterungen im …“ „Äther“, fügte Orion ein. „... Äther darstellen. Ich muss lernen, mich selbst im dem Strom wahrzunehmen.“ „Und wie macht man das?“, fragte Isaac am Ende der Gruppe skeptisch. „Durch ein Duell! Ich werde mich mit Orion duellieren.“ „Entschuldige, wenn ich das so sage, aber dann kannst du dich genauso gut mit uns duellieren“, konnte der Blonde nicht an sich halten, „wir sind alle würdige Gegner.“ Velvet passierte das Geländer, welches den Steg von der anliegenden, grünen Wiese trennte und blieb stehen. So auch ihre Freunde. „Aber ihr könnt nicht … ich …“ Sie drehte sich mit nervösem Blick um. „Ich muss in Gefahr sein, damit meine Fähigkeit aktiv wird. So wie bei meiner Vision …“ … vom Ende der Welt. Und ihrem vermeintlichen Tod, als ihre Furcht vor Zyxx am größten gewesen war. Die Furcht, die [Ebon Sky Pegasus] gerufen hatte, wie sie sich inzwischen sicher war. „Und dieser Schattengeist soll die Gefahr darstellen?“ Auch Tatjana klang langsam zweifelnd. „Ist das -wirklich- eine gute Idee?“ „Wir … ich muss es wenigstens probieren. Und seid nicht so gemein zu Orion!“ „Du bist naiv, Velvet.“ Isaac stöhnte. „Dir ist klar, dass wir nichts für dich tun können, wenn das nur ein Trick ist?“ „Sag sowas nicht“, meinte Patrice. „Velvet hat sich entschieden, ihm zu vertrauen. Ich habe keinen Grund an ihr zu zweifeln.“ „Ich bin neutral wie die Schweiz“, stellte Fabio sofort klar. „Kann keinen beurteilen, den ich nicht kenne.“ „Es tut mir leid, dass ihr Orion nicht sehen könnt“, murmelte Velvet schlechten Gewissens, „aber bitte glaubt mir. Er will mir nichts Böses. Ich bin naiv, ja, aber … seine Freundin Kali war es, die mich damals gerettet hat.“ „Die Geschichte musst du uns bei Gelegenheit auch noch erzählen“, meinte Isaac. „Aber wir sollten wohl auf Patrice hören und nicht noch mehr Zweifel säen.“ Das deutsche, pummelige Mädchen vor ihm erwiderte: „Du tust das, nicht wir!“ „Wenigstens mach ich mir Gedanken.“ „Und stopp!“, ging Patrice dazwischen, bevor noch ein Streit ausbrach. „Velvet, mach dich bereit!“   Jene nickte und eilte dann über die Wiese, während sich ihre Freunde hinter dem Geländer versammelten und zusahen, wie sie scheinbar Orion auf dem Boden absetzte. Dann nahm sie ein paar Schritte rückwärts und aktivierte ihre Akademie-Duel Disk.   „Orion, halt dich nicht zurück!“ „So wie besprochen, Velvet-chan!“ Auch der kleine, schwarze Schattengeist ließ an seinem Arm eine winzige, schwarze Duel Disk erscheinen. Was dem schwarzhaarigen Mädchen ein „Wie süß!“ entlockte. Der Größenunterschied der beiden wurde noch einmal richtig deutlich, war der schwarze Schattengeist doch gerademal so groß wie ein ausgewachsener Kohlkopf. Aber Velvet sah ihren Gegner mit der Mini-Duel Disk am Stummelärmchen wenigstens. Ihre Freunde dagegen, die der Reihe nach an der Brüstung vor dem Steg zu Isaacs Hausboot lehnten, zweifelten immer noch an Orions Absichten. „Nach der Excel-Sache kann ich nicht sagen, dass ich ihr misstraue“, meinte Isaac nachdenklich, während er nebenbei etwas in sein Smartphone eintippte, „aber ich würde dieses Wesen gerne mit eigenen Augen sehen. Unsichtbare sind gute Lügner.“ Fabio nickte. „Yo. Wüssten wir es nicht besser, würde ich sofort die Männer in Weiß anrufen. Das ist crazy, selbst für ihre Verhältnisse. Aber ihr habt ihn selbst berührt.“ „Ich find's spannend“, zuckte Tatjana mit den Schultern. „Du bist in eine Romanfigur verliebt“, schnarrte Isaac gehässig, „für dich ist alles spannend, was deine Fantasie tangiert.“ „Was hast du gesagt!?“ „Leute, hört auf“, stöhnte Patrice rechts außen, der lässig seine beiden Ellbogen an der Absperrung abstützte und die Beine übereinander geschlagen hatte, „sie fangen bestimmt gleich an.“   „Bist du soweit, Velvet-chan?“, fragte der kleine Schattengeist und dem Mädchen entging die Sorge, die dabei mitschwang, keinesfalls. Trotzdem nickte sie bestimmt. „Du hast bestimmt Recht damit, wenn du sagst, dass meine Fähigkeiten zu beherrschen ein Fluch sein kann“, sprach sie mit Überzeugung, „aber ohne Vorwarnung von ihnen heimgesucht zu werden ist viel schlimmer. Ich möchte bestimmen, wann ich was sehe.“ Orion nickte, wodurch er anatomisch bedingt beinahe mit dem Gesicht ins Gras fiel. „Ach Velvet-chan … whoa!“ „Legen wir los, Orion! Duell!“   [Velvet: 4000LP / Orion: 4000LP]   Kaum hatte sich der Schattengeist wieder gefangen, verengte er seine leuchtenden Augen zu dreieckigen Schlitzen. „Wie du willst! Als dein Lehrer ist es nur fair, wenn ich den ersten Zug bekomme.“ Die Brillenträgerin nickte zustimmend und beide zogen ihr Startblatt von fünf Karten. Dabei waren Orions so winzig wie Briefmarken. Das Mädchen musste grinsen. „Wie süß!“ „V-v-velvet-chan, nicht doch!“ Orion geriet ins Sabbern. Schon wieder … „E-entschuldigung!“ Seine riesige Rübe mehrmals schüttelnd, vertrieb der Kleine seine garantiert anrüchigen Gedanken und rief aus. „Endlich ist die Zeit gekommen, um mein neues Deck auszutesten. Und ich beginne hiermit: [Jurrac Velo] im Angriffsmodus!“ Aus dem Boden brach vor ihm ein mannshoher Velociraptor hervor, dessen Füße und lichterloh brennende Klauen blau, der Körper gelbgrün und der Kopf schließlich rot waren. Kaum war er erschienen, hüpfte Orion mit einem Satz auf seinen Kopf. „So mag ich das!“   Jurrac Velo [ATK/1700 DEF/1000 (4)]   „Whoa!“, stieß derweil Fabio überrascht hervor, als der Dino für alle sichtbar erschien. „Alter, krass!“ „Interessant. Seine Monster können wir sehen, ihn aber nicht“, meinte der blonde Isaac und blickte von seinem Smartphone auf. Die Schwarzhaarige kniff die Augen fest zusammen, als würde das dabei helfen, den Schattengeist ausfindig zu machen. „Hgh! Ich will wissen, wie er ausschaut!“ „Ein Grund mehr, sich nicht zu zeigen.“ Kurzum musste Fabio Isaac vor einer wütend fuchtelnden Tatjana schützen, die mit ihren Fingernägeln nur um Haaresbreite den riesigen Afro des Burschen verfehlte. „Nuu! Wieso müsst ihr immer streiten?“ Patrice am Rande murmelte derweil in seiner entspannten Haltung: „Ich hoffe du weißt, was du da tust, Velvet.“   „Eine Karte verdeckt“, rief Orion und legte diese in seine winzige Duel Disk ein, „dein Zug, Velvet-chan!“ Die Karte materialisierte sich hinter seinem Reittier. „Dinosaurier? Die sind das genaue Gegenteil von dir“, kicherte das Mädchen ungewohnt offenherzig und zog nebenbei. „Ich habe noch nie gegen solche gekämpft.“ „Dann versuche herauszufinden, was ich vorhabe“, wies Orion sie mit ernster Stimme an. Sofort wollte die Schülerin eine Taste an ihrer Duel Disk betätigen, um das Feld aufzurufen, aber der Schattengeist fuhr streng dazwischen, hielt seine Stummelärmchen über Kreuz. „Nein, nicht so! Du sollst die Effekte nicht nachlesen, sondern 'sehen'!“ „J-ja, stimmt“, nickte dass schwarzhaarige Mädchen und senkte den Arm. Sie schloss die Augen und mahnte sich zur Konzentration. Welchen Verlauf würde das Duell nehmen? Sie richtete all ihre Gedanken auf diese Frage. Aber es geschah gar nichts. Weder bekam sie eine Vision, noch überhaupt eine Ahnung. „Ugh. Es klappt nicht.“ „Versuch es weiter!“ Velvet kniff daraufhin die Augen so fest zu wie nur irgend möglich. Sie versuchte sich bildlich vorzustellen, was geschah, wenn sie [Jurrac Velo] angriff. Würde Orion seine verdeckte Karte aktivieren oder den Effekt seines Monsters? Oder keines von beiden? „Ugh!“ Sie öffnete die Augen. „Kein Glück.“ „Dann ist der Druck nicht groß genug“, überlegte der Kleine leise. „Was?“ „N-nichts. Spiel erstmal weiter, Velvet-chan. Aber Karten nur in den Gedanken lesen, nicht durch Technik!“ Sie nickte. „J-ja! Dann beschwöre ich [Spiritual Beast Apelio]! Attacke!“ Vor ihr erschien ein rotes Löwenjunges, dessen kurze Mähne sowie die Schweifspitze wie Feuer loderten. Spiritual Beast Apelio [ATK/1800 DEF/200 (4)]   Kaum war es erschienen, rannte es auf den größeren Dino los und fiel ihn an. Bevor dieser zu Fall gebracht wurde, sprang Orion aus dem Stand hoch in die Luft.   [Velvet: 4000LP / Orion: 4000LP → 3900LP]   Schließlich zersprang [Jurrac Velo] in tausende Polygone. Und Orion lachte in der Luft. „Hah-ha! Du hast den Effekt meines Monsters ausgelöst!“ „O-oh!“ „Wenn es im Kampf zerstört wird, ruft es ein anderes Jurrac-Monster mit maximal 1700 Angriffspunkten von meinem Deck aufs Feld. Erscheine, [Jurrac Monoloph]!“, rief der Schattengeist im Fall. Kurz vor dem Aufprall erhob sich ein weiterer Dinosaurier aus dem Boden und fing Orion mit seinem brennenden, gelben Schädel ab. Monolophs Körper war blau und auch seine Schweifspitze stand unter Feuer, welches Orion jedoch alles nichts auszumachen schien.   Jurrac Monoloph [ATK/1500 DEF/1200 (3)] Wieder versuchte sich Velvet auf die Zukunft zu konzentrieren, aber gerade weil sie letztlich nur ein neues Monster auf den Plan gerufen hatte, stand ihr ihre aufkeimende Nervosität nur im Weg dabei. „Z-zug beendet!“   „Draw!“, rief Orion sofort aus und zog. „Versuch es erneut, Velvet-chan! Was werde ich als nächstes tun?“ Jene schloss die Augen erneut. „Uh …“ Was könnte er denn tun? An der Akademie hatte sie gelernt, dass viele Dinosaurier-Strategien sich darum drehen, starke Monster zu beschwören. [Jurrac Velo] bestärkte diese Vermutung. Dann würde Monoloph wohl geopfert werden. „Tributbeschwörung!“, schloss sie selbstsicher. „Nicht raten!“ „I-ich habe doch-!“ Orion seufzte. „Nachgedacht, Velvet-chan. Aber das hat mit Vorhersagen, wie du sie lernen willst, nichts zu tun.“ Das Mädchen senkte ihr Haupt. „E-entschuldigung. Du hast Recht. Aber ich weiß nicht, wie ich meine Vision überhaupt auslösen soll. Hast du nicht eine Idee?“ Der Schattengeist nickte und fiel dabei fast von seinem Reittier. „Natürlich, aber Ziel ist es, dass du ohne Auslöser, allein durch deine Willensstärke, dorthin kommst.“ Eindringlich erwiderte sie: „Aber ich will es doch, wirklich! Ich gebe mir Mühe!“ „Vielleicht blockiert etwas deine Gabe …?“ Orion schüttelte den Kopf heftig. „Nein, das hätte Lady Gardenia erwähnt. Wir müssen es einfach weiter probieren.“ Er nahm eine der Karten aus seinem Blatt und legte sie auf seine Duel Disk. „Erscheine, [Jurrac Iguanon]!“ Noch ein Dinosaurier auf zwei Beinen stehend erhob sich vor ihm, dieser bündelte zwischen seinen Vorderläufen eine flammende Kugel. Sein türkisfarbener Kopf ging in einen dunkelblauen Körper über, der fast gänzlich in Flammen stand.   Jurrac Iguanon [ATK/1700 DEF/700 (4)]   „Ich stimme meinen Stufe 3-Empfänger [Jurrac Monoloph] auf meinen Stufe 4-[Jurrac Iguanon] ein“, rief Orion da aus und stieß sich von Ersterem in die Luft ab. Der kleinere, gelbe Dino zersprang in drei grüne Lichtringe, die der andere Dino fliegend passierte. „Ancient predators hidden in the ancient realm! Scorch your enemies with indomitable flames!“ Iguanon verwandelte sich in vier grüne Kugeln. Ein greller Lichtblitz durchdrang die Synchrokreise. „Synchro Summon! Rage forth, [Jurrac Giganoto]!“ Und jener erhob sich, war fast doppelt so groß wie Velvet. Orion landete auf seinem gelben Haupt und anhand des blauen Körpers war deutlich zu erkennen, dass es sich um eine ähnliche Spezies wie Monoloph handelte. Nicht nur waren seine Augenbrauen aus Feuer, auf seine Schweifspitze brannte nun so stark, dass Velvet schlucken musste. „Ich erkläre gleich seinen Effekt! Alle Jurracs erhalten für ihre Freunde auf dem Friedhof 200 Angriffspunkte“, sprudelte Orion los. Sein Riesendino stieß einen majestätischen Heuler los. Im Hintergrund quiekte Tatjana erschrocken und wurde dafür von Isaac aufgezogen.   Jurrac Giganoto [ATK/2100 → 2700 DEF/1800 (7)]   „Was ich jetzt vorhabe musst du nicht vorhersehen, Velvet-chan!“ Orion streckte seinen Stummelarm aus. „Los Giganoto-kun, Angriff auf ihr Monster! Dinoflame Swipe!“ Sein Riesendino drehte sich einmal um die eigene Achse und holte dabei mit dem Schweif aus. Von diesem löste sich ein ganzes Meer aus Flammen, das sich seinen Weg zu Velvet und ihren Apelio bahnte und beide in sich einschloss. Während Letzterer zersprang, schrie das Mädchen gequält auf, fühlte es sich in ihre Vision vom Flugzeugabsturz zurückversetzt. Wimmernd sank sie in die Knie.   [Velvet: 4000LP → 3100LP / Orion: 3900LP]   „Velvet!“ Patrice löste sich aus seiner Haltung und wollte seiner Freundin zu Hilfe eilen, doch Tatjana stellte sich ihm in den Weg. „Nein. Ihr geschieht nichts, das sind nur Hologramme!“ Doch der braungebrannte Venezolaner packte die pummelige Deutsche bei der Schulter und wollte sie unsanft wegschieben. „Das sehe ich anders!“ „Lass es sein“, meinte Isaac beherrscht, „sie hat sich dazu entschieden, das durchzuziehen. Wenn wir sie weiterhin wie ein rohes Ei behandeln, kommen wir kein Stück weiter.“ „Aber-!“, sah Patrice ihn verständnislos an. Auch Fabio haderte mit sich. „Nuu! Was da passiert ist uncool! Sie zu quälen und ihr die Grundlagen ihrer Fähigkeiten beizubringen sind zweierlei Dinge.“ „Woher willst du das wissen?“, fragte Isaac ihn. „Weder du noch wir anderen kennen uns in solchen Sachen aus. Wir müssen Orion vertrauen. Nicht dass -ich- das tue, aber Velvet tut es.“ „Ich sag's nur ungern, aber der Streber hat Recht“, stimmte Tatjana ihm zu und blickte über ihre Schulter, „Velvet so zu sehen ist nicht schön. Aber noch viel schlimmer wäre es, wenn wieder jemand kommt und sie entführen will. Wenn sie ihre Kräfte beherrscht, kann sie das verhindern.“ Patrice ließ sich wieder zurück gegen das Geländer fallen. „Das ist falsch …“   Derweil kauerte Velvet sich in den Flammen regelrecht zusammen. Diese schrecklichen Erinnerungen, die sterbenden Menschen, dieses Mädchen im Feuer, das sie so düster anstarrte. „Velvet-chan, du musst stark sein.“ „Aufhören!“, schrie die verzweifelt. Und tatsächlich verschwanden die Flammen. Sie schluchzte unkontrolliert, während Orion schlechten Gewissens verkündete: „Du bist dran …“   „Steh auf“, wurde dem Mädchen da von Isaac zugerufen, „es ist vorbei.“ „Zahl's ihm heim“, stimmte Tatjana mit ein. Velvet öffnete die Augen und bemerkte, dass alles um sie herum normal war. Schwankend erhob sie sich. „E-entschuldigung. Ich hab mich gehen lassen.“ Trotzdem zitterte ihre Hand, als sie nach ihrem Deck griff. „Willst du nicht lieber aufhören, Velvet-chan?“, fragte Orion traurig. „Das war zu viel für dich.“ „Nein! Ich kann nicht immer davonrennen, wenn ich etwas Schreckliches sehe.“ Sie dachte an ihr Duell mit Henry zurück. „Ich habe mich schon einmal deswegen blamiert. Wenn Zyxx wiederkommt, kann ich auch nicht vor Angst um Gnade betteln! Mein Zug, Draw!“ Schwungvoll zog sie von ihrem Deck und sah die gezogene Falle unsicher an. Das würde ihr einen Vorteil verschaffen, sobald er das nächste Mal angriff!   Aber das war nicht genug. Sie musste wissen was er vorhatte. Velvet schloss die Augen und versuchte sich nur darauf zu konzentrieren, wie dieses Duell verlaufen würde. Es war ihr Schicksal, sie musste es sehen! Um dieses zu erkennen stellte sie sich vor, wie Orion seine verdeckte Karte aktivierte. Aber nichts geschah danach, sie wusste nicht, was für eine Karte das war. Resignierend riss sie die Augen wieder auf. „Nichts … schon wieder …“ „Du kannst nicht erwarten, dass alles beim ersten Mal klappt“, rief Isaac ihr da zu, „deswegen nennt man es 'lernen'.“ „Aber“, wollte Velvet widersprechen, aber als sie zu ihren Freunden sah und diese nickten, schluckte sie ihren Verdruss hinunter. „Stimmt wohl.“ „Gib' nicht auf, Velvet-chan. Du kannst es schaffen! Es muss nicht gleich beim ersten Duell funktionieren.“ Der Gedanke daran, dass sie noch öfter solche Schreckmomente durchleben musste, baute das schwarzhaarige Mädchen nicht gerade auf. Trotzdem versuchte sie das Positive zu sehen: Sie konnte ihre Duell-Fertigkeiten schärfen und stellte sich ihren Ängsten, selbst wenn das mit ihren Visionen nicht klappte. „G-gut!“ Sie nahm drei Karten aus ihrem Blatt. „Ich setze zwei Karten und rufe [Spiritual Beast Rampengu]!“ Die beiden Fallen tauchten zischend zu ihren Füßen auf. Davor materialisierte sich ein grüner Pinguin mit wundervoll geschwungenen, gelb-orangefarbenen Augenbrauen, die bis hinter seinen Kopf reichten.   Spiritual Beast Rampengu [ATK/1600 DEF/400 (4)]   „Mit seinem Effekt kann ich ein Ulti-Fusionsmonster von meinem Extradeck verbannen und ein Spiritual Beast desselben Typs von meinem Deck auf den Friedhof schicken!“ Velvet zeigte das lila-umrandete Monster vor. „Ich verbanne [Ritual Beast Ulti-Cannahawk] und schicke seine Basisform [Spiritual Beast Cannahawk] auf den Friedhof!“ Zumindest gab ihr das ein wenig Hoffnung, sich gegen Orion zu behaupten. „Zug beendet!“ „Fallenkarte aktivieren!“, rief dieser genau in jenem Moment, seine gesetzte Karte sprang auf „Tut mir leid, Velvet-chan, aber ich habe keine Wahl! [Jurrac Impact]!“ „Oh verdammt“, stieß da Isaac entsetzt hervor. Weit über den beiden Duellanten öffnete sich ein Loch im Himmel, aus dem ein riesiges, brennendes Objekt schoss. „Erkläre!“, forderte Tatjana von ihrem Erzfeind. „Diese Falle kann nur aktiviert werden, wenn ihr Besitzer einen Dinosaurier mit mindestens 2500 Angriffspunkten kontrolliert.“ Der Blonde sah Velvet mitleidig an. „Danach wird das komplette Spielfeld ausradiert.“ Jene wirbelte erschrocken zu ihm um. „Oh nein! Dann-!“ Der lodernde Meteor über ihr dröhnte lauter, je näher er kam. Orion hielt die Stummelärmchen vor den Augen. „Genau so ist es …“ Sie konnte sich gerade noch einmal umdrehen, da schlug der Meteor bereits mitten ins Spielfeld ein und erzeugte eine gewaltige, flammende Schockwelle. Jene riss [Jurrac Giganoto] und Rampengu mit sich und versengte Velvets gesetzte Karten. Jene schrie panisch, wieder Flammen, wieder Erinnerungen. Das Lodern, das Knistern, die Schreie, alles war wieder da. Wimmernd begrub sie ihr Gesicht in den Händen.   „Warum opfert er sein Monster, wenn es das stärkste auf dem Feld ist?“, wunderte sich Isaac lautstark und bekam prompt Patrices Ellbogen in die Seite gerammt. „Ist das nicht gerade unsere geringste Sorge?“ „Nu! Das ist Folter!“ „Ihr solltet abbrechen!“, stimmte Tatjana Fabio zu. „Es muss doch noch einen anderen Weg geben!“ Doch Velvet rief dumpf durch ihre Hände: „Nein! Ich … ich muss durchhalten!“ Die Flammen verebbten langsam. Orion, wieder am Boden, griff mit schuldbewussten, halb offenen Kulleraugen nach seinem Deck. „Bitte hass' mich nicht, Velvet-chan! Draw!“ Das Mädchen sah auf. „N-nein, warum sollte ich?“ Erleichtert aufatmend rief der Schattengeist in Anschluss: „Dann kann ich weitermachen, ok? Gut! Ich beschwöre [Jurrac Stauriko]!“ Ein blau-grüner, recht kleiner Dinosaurier tauchte vor ihm auf. Drei brennende Kämme zogen sich über seinen Rücken. Jurrac Stauriko [ATK/500 DEF/400 (2)]   „Zumindest ist es nicht stark …“, murmelte Velvet. Kurz sah Orion nachdenklich in sein Blatt, schüttelte dann aber den überproportionierten Kopf und rief: „Direkter Angriff!“ Sofort hob das Mädchen schützend die Arme vor sich, als das Urzeit-Reptil auf sie zugestürmt kam und mit seinem Schweif nach ihr schlug. Der Treffer war nicht allzu hart, riss sie aber dennoch von den Füßen, sodass das Mädchen auf der Seite landete. „Urgh!“ „Velvet!“, riefen ihre Freunde erschrocken im Chor.   [Velvet: 3100LP → 2600LP / Orion: 3900LP]   Wie sie im Gras lag, schluckte das Mädchen schwer. Sie wusste, dass Orion sich ihretwegen zurückhielt. Aber ihre Feinde würden das nicht. „M-mir geht es gut!“ Die Zähne zusammenbeißend stand sie ganz langsam auf. „I-ich mache weiter. Egal, wie weh es tut!“ „Sie ist tapferer als wir“, musste Patrice dabei ehrlich zugeben, „ich wüsste nicht, ob ich mich auf so etwas einlassen würde.“ „Wenn es für die rechte Sache ist, würden wir das alle“, war sich Tatjana sicher. Die Freunde nickten sich alle zustimmend zu. Orion derweil verkündete: „Du bist dran, Velvet-chan!“   „Draw!“, rief Velvet entschlossen und zog ihre Karte. Sie sah sie verunsichert an. „Das könnte helfen! Ich beschwöre dich, [Ritual Beast Tamer Lara]!“ Ein rotblondes Mädchen erschien vor ihr, gewandt in ein pistaziengrünes Cape, gleichfarbigem Kleid und schwarzen Strumpfhosen. Sie hielt einen Zauberstab aus Holz in der Hand, den sie neben sich auf den Boden richtete.   Ritual Beast Tamer Lara [ATK/100 DEF/2000 (1)]   „Wenn Lara normalbeschworen wird, kann sie ein Spiritual Beast vom Friedhof aufs Feld rufen!“, erklärte Velvet weiter und zeigte jenes vor. „Komm zurück, [Spiritual Beast Apelio]!“ An der Spitze des knorrigen, gewundenen Zauberstabs leuchtete ein roter Kristall, dessen Licht den zunächst geisterhaften, dann immer realer werdenden Junglöwen offenbarte.   Spiritual Beast Apelio [ATK/1800 DEF/200 (4)]   „Jetzt kommt meine Spezialität!“ Unter dem aufkommenden Jubel ihrer Freunde streckte Velvet beide Hände von sich aus. „Oh Wunderkind der Beschwörung! Oh Bestie des Stolzes und der Redlichkeit!“ Apelio und Lara schwebten zusammen über ihr in die Luft. Dabei wuchs der Junglöwe auf beachtliche Größe an, seine Mähne spross und loderte, seine Haut verdunkelte sich. „Bindet euch aneinander!“ Velvet faltete die Hände über dem Kopf zusammen und riss sie zu einer Faust geballt hinab. „Contact Fusion!“ Die Beschwörerin schwang sich auf den Rücken Apelios, welcher vor seiner Besitzerin auf den Pfoten gelandet war und sie inzwischen um mindestens einen Kopf überragte. „Kämpfe, [Ritual Beast Ulti-Apelio]!“ Jener brüllte stolz, was Velvet neuen Mut verlieh.   Ritual Beast Ulti-Apelio [ATK/2600 DEF/400 (6)]   So stieß auch sie kämpferisch hervor. „Angriff! Ethereal Advance!“ Die Bestie stürmte auf den Dinosaurier zu. Dabei nahm Lara ihren Zauberstab in beide Hände und feuerte grüne Feuerbälle ab, die ihr Ziel zwar verfehlten, es aber so sehr ablenkten, dass der ausgewachsene Apelio es nur noch anfallen musste. In dem Moment rief Isaac erschrocken: „Nein! Verdammt, wie hab ich das vergessen können!?“   [Velvet: 2600LP / Orion: 3900LP → 1800LP]   „Das war ein guter Treffer, Velvet-chan!“ Orion trötete aus seiner langen Schnute: „Aber du hast damit auch den Effekt meines Monsters aktiviert. Da Stauriko im Kampf zerstört wurde, hinterlässt er zwei Jurrac-Spielmarken!“ Vor dem kleinen Schattengeist tauchten zwei Eier auf, die lichterloh in knallroten Flammen aufgingen.   Jurrac-Spielmarke x2 [ATK/0 DEF/0 (1)]   „Er hat sie nur dazu verlockt anzugreifen“, wusste Isaac inzwischen. „Hätte ich doch bloß schneller geschaltet.“ Fabio seufzte. „Tja, shit. Aber Velvet muss sich sowieso auf sich selbst verlassen. Was nützt es ihr, wenn du ihr alles vorsagst?“ „Da hat er Recht“, stimmte Patrice zu, der an dem Geländer lehnte, „aber wenn ich ehrlich bin, hätte ich wohl trotzdem angegriffen.“ „Ihr habt keine Ahnung“, blieb der Blonde jedoch stur, „wartet ab.“ Was Tatjana mit einem demonstrativen Naserümpfen kommentierte. „Ich setze eine Karte verdeckt“, rief Velvet aus und schloss die Augen, als die Karte vor ihr erschien. Sie versuchte sich darauf zu konzentrieren, ob ihre Falle Erfolg haben würde, doch wieder erhielt sie keine Vision der Zukunft. Warum bloß!? Was machte sie falsch!? „Z-zug beendet …“   „Mein Zug! Draw!“, rief der Schattengeist und zog schwungvoll. „Es tut mir leid, Velvet-chan, aber du hast mir dabei geholfen, mein mächtigstes Monster zu beschwören.“ „W-wie bitte? Oh … das klingt nicht gut“, stammelte das Mädchen entsetzt. „Ja! Ich opfere meine beiden Jurrac-Spielmarken für eine Tributbeschwörung! Erhebe dich, [Jurrac Titano]!“ Aus den beiden Eiern schossen hohe Stichflammen empor. Dann verschwanden sie und aus dem Boden brach ein schier riesiger, auf zwei Beinen stehender Dinosaurier empor. Knallrot war er, sein Körper war von einer fast schwarzen, gehärteten Magmaschicht überzogen. Zahlreiche Stachel überzogen seinen Kopf.   Jurrac Titano [ATK/3000 DEF/2800 (9)]   „3000 Angriffspunkte!?“, stieß Velvet erschrocken beim Anblick der sie überragenden Kreatur hervor. „Nein, Velvet-chan! Ich verbanne ein Jurrac-Monster mit maximal 1700 Angriffspunkten – wie [Jurrac Iguanon] – von meinem Friedhof und erhöhe Titanos Power um weitere 1000!“ „Ah!“ Der riesige Tyrannotitan öffnete sein Maul und sog aus dem Nichts Flammen ein, die er in seinem Maul in blaues Licht umwandelte.   Jurrac Titano [ATK/3000 → 4000 DEF/2800 (9)]   Isaac schlug die Hand vor den Kopf. „Davor wollte ich euch warnen.“ „Na und, damit wird Velvet schon fertig“, konterte Tatjana giftig und scharte mit dem Fuß nach hinten aus. „Angriffspunkte sind nicht alles.“ „Wenn du meinst.“ Der Blonde schnalzte mit der Zunge. „Ich spare mir jetzt meine Kommentare.“ Indes zeigte Orion eine Zauberkarte vor. „Ich weiß dass deine Fusionsmonster ihre Contact Fusion aufheben und dich schützen können! Daher aktiviere ich [Fairy Meteor Crush]! Das ausgerüstete Monster fügt dir Durchschlagschaden zu!“ Die Spitzen am Kopf des Dinoriesen leuchteten weiß auf. Velvet weitete die Augen, denn bei so hoher Angriffskraft würde ein Contact Out ihr Ende bedeuten, denn die Verteidigungspunkte von [Spiritual Beast Apelio] betrugen nur 200! Der Schattengeist indes machte aus dem Stand einen gewaltigen Hüpfer und landete auf der Schulter des Ungetüms. Gerade war er oben angekommen, machte stieß er plötzlich einen überraschten Laut aus. „Was!? A-aber Lady Gardenia-!“ Velvet sah verunsichert zu ihm hinauf. „Orion?“ „Gibt es denn keinen anderen Weg mehr!?“, sprach der scheinbar völlig abgelenkt weiter. „I-ich kann das nicht tun!“ „Was ist?“, rief das Mädchen derweil. „Bitte, sag etwas!“ Niedergeschlagen flüsterte der Schattengeist jedoch nur: „Ich habe verstanden …“ Unmittelbar danach leuchteten Kulleraugen rötlich auf. Etwas, das Velvet mit lautstarkem Schreck bemerkte. „Orion? W-was meinst du? Was ist mit- Ah!“   Um das Spielfeld herum sammelten sich pechschwarze Nebelwolken, die sich nach und nach um sie herum zuzogen. „Was ist das!?“, rief auch Fabio erschrocken. „Sag nicht, er …“, murmelte Patrice und löste sich aus seiner lockeren Haltung. „Bleibt ruhig“, mahnte ausgerechnet Isaac, doch da war Tatjana längst schnellen Schrittes auf den Weg zu den beiden. Dabei schrie sie zornig: „Hey! Was wird das hier!?“ Velvet drehte sich panisch zu ihr um. „I-ich weiß es nicht. Orion!?“ Keine Sekunde später zog sich die schwarze Wolke hoch, versperrte den beiden Mädchen den Blickkontakt und umhüllte das Feld vollständig. Die pummelige Deutsche blieb nervös vor dem Phänomen stehen und wagte es nicht, sie zu berühren. „Velvet? Velvet!?“ Es kam keine Antwort.   Innen war es dadurch stockfinster geworden. Abseits der Monsterhologramme und Orions rot strahlenden Augen erleuchteten nur gelegentlich Blitze das Innere der Kuppel. „Tatjana!? Patrice, Fabio, Isaac!?“, suchte das Mädchen zunehmend die Unterstützung ihrer Freunde, doch niemand reagierte. „Vergeblich. Hier hört dich keiner, Velvet-chan!“ „Orion, w-was ist hier los?“ Der Schattengeist sah sie regungslos an. „Nimm es nicht persönlich, aber es muss sein.“ „Was muss sein?“ „Lady Gardenia sagt, du bist zu unerfahren für deine Kräfte. Aber wir brauchen sie, dringend, um unseren Feind zu besiegen.“ Er senkte sein Haupt. „Deshalb hat sie mir eben befohlen … deinen Äther zu extrahieren.“ Das Mädchen wurde mit jedem seiner Worte blasser. „W-was?“ „Es tut mir leid. Lady Gardenia sagt, sie wird beherrschen. Etwas, wofür du Monate benötigen würdest. Ich dachte, wir hätten noch etwas Zeit, aber so bleibt uns keine andere Wahl.“ Der Schattengeist sah auf sie von seinem riesigen Monster herab. „Du musst sterben.“ „Was!? Orion … wie … wie kannst du nur!?“ Tränen stiegen in ihren Augen auf. „Ich dachte wir wären Freunde! Dass du … dass du mir helfen willst!“ „Dir ist nicht zu helfen, Velvet-chan! Du bist völlig talentlos! Deine Gabe ist in den Händen anderer besser aufgehoben!“, widersprach der Kleine vehement. „Warum hast du dich nicht mehr angestrengt!?“ „D-das meinst du nicht ernst, oder? Ich bemühe mich doch!“ Der Schattengeist kniff seine Augen fest zusammen. „Die Entscheidung ist gefallen! Mir bleibt keine Wahl, ich darf mich Lady Gardenia nicht widersetzen! Angriff auf [Ritual Beast Ulti-Apelio]! Titanic Showdown!“ [Jurrac Titano] hob sein rechtes Bein an und schmetterte es auf den Boden. Jener zerbarst regelrecht um ihn herum, dann stürmte er bereits auf den Löwen und seine Reiterin zu. Velvet schluckte den bitteren Schmerz des Verrats hinunter. „I-ich werde mich nicht so einfach ergeben! Verdeckte Falle, [Dimensional Prison]! Sie verbannt das angreifende Ziel!“ Die Karte klappte vor Velvet auf und öffnete vor ihrem Monster einen Dimensionsriss, der den herannahenden Riesendino vom Weg abbrachte und in sich hinein zog. Doch etwas blitzte in den Augen Orions auf. „Hehe, da hast du falsch gedacht! Titano kann nicht als Ziel von Monster- und Falleneffekten gewählt werden!“ Sprachs und prompt rannte der Tyranno durch den Riss hindurch, ohne dass etwas geschah. Mit einer Drehung schmetterte er seinen Schweif gegen das Duo aus Reiterin und Löwe, welches im hohen Bogen davongeschleudert wurde. Sie krachten in den schwarzen Wolkenwirbel und zersprangen sofort in zahlreiche Polygone. Die dabei entstandene Druckwelle fegte über das Feld auf Velvet zu, welche ebenfalls weggerissen wurde und mit dem Rücken gegen die schwarze Barriere prallte. Dabei sammelten sich zahlreiche Blitze um sie und schockten das Mädchen, welches qualvoll aufschrie.   [Velvet: 2600LP → 1200LP / Orion: 1800LP]   Dampfend fiel es auf die Knie und schluchzte unkontrolliert. „Siehst du, Velvet-chan? Ich meine es absolut ernst!“ Orion nahm zwei seiner Handkarten und schob sie in seine Miniatur-Duel Disk. „Zwei Verdeckte! Dein letzter Zug naht!“ Die Karten tauchten tatsächlich hinter ihm und [Jurrac Titano] auf, da jener es scheinbar vorzog, in der Mitte des Spielfelds zu verharren. Wodurch er wie ein unüberwindbares Hindernis vor Velvet stand.   Jurrac Titano [ATK/4000 → 3000 DEF/2800 (9)]   Es tat weh. Alles. Ihr Körper, aber auch ihr Herz. Warum waren alle hinter ihr her? Sie wollte diese Kräfte doch gar nicht! Schluchzend rappelte Velvet sich auf. Wenn der Rest ihres Lebens daraus bestand, mit denen zu kämpfen, die es auf ihre Visionen abgesehen hatten, dann … dann … Sie rieb sich mit dem Arm über die Augen. Sie musste die Zukunft nicht sehen, um zu wissen, wie das alles irgendwann enden würde. „Ich“, murmelte sie bitter, „hab genug.“ Orion beobachtete sie schweigend, kniff die Augen wieder fest zusammen. „W-wenn du meine Kräfte willst … dann …“ Sie wollte schreien. Aber ihr versagte die Stimme. Vielleicht wäre es das Beste wenn jemand die Zukunft vorhersehen konnte, der etwas Gutes für diese Welt im Sinn hatte. Ehe ihre Freunde noch dabei verletzt wurden, weil sie sie in all das hineingezogen hatte. „I-ich … g-“ Etwas durchfuhr sie. Es war nicht -ihre- Schuld! Velvet nahm langsam den Arm von den Augen und als sie das tat, zog sich eine lange, blaue Flamme von ihrem rechten entlang. „Wenn du meine Kräfte willst, musst du sie dir verdienen, Orion. Draw!“ Sie riss mit Schwung die oberste Karte von ihrem Deck. Dabei platzte ihr Zopf über der Schulter auf, das lange, schwarze Haar breitete sich aus. Das Gras um sie herum wippte unruhig bei der Bewegung. „Velvet-chan, deine Augen … sie sind rot wie meine!“ „Ist das so?“, fragte das Mädchen selbstbewusst und lächelte. „Dann bin ich wohl ein Monster wie du.“ Sie wusste nicht, was in sie gefahren war. Da war plötzlich so viel Selbstbewusstsein, sie fühlte sich stark, ja sogar … unbesiegbar. Und dann geschah es – sie stand plötzlich neben sich, im wahrsten Sinne des Wortes. Ihr Ebenbild streckte die Arme aus. „The sky is torn open!“ Im Anschluss schlug sie ihre rechte, zur Faust geballte Hand gegen die Brust. „Summoning contract established!“ In einer Geste voller Zuversicht streckte sie die Faust in die Höhe. Acht grelle Lichter stiegen um sie herum aus dem Boden auf, verteilten sich hinter ihr in einer Sternenformation und festigten sich zu einem kreisrunden Tor, in dem sich die Sphären als Runen manifestierten. Jedes Symbol hatte einen eigenen Teilkreis, in dem es steckte. „Witness the creation of the eternal gate!“ Ruckartig schossen die einzelnen Bestandteile des Portals nach hinten. Velvet rief: „Soar, ascend, exceed!“ „Da ist es“, hauchte Orion ehrfürchtig. In den Grenzen des Tors lag ein langer, bunter Tunnel. Ein dunkler Schatten in seinem Inneren näherte sich. „Open the eternal gate! Excel Summon!“ Velvet riss den erhobenen Arm hinunter und zeigte ihren Handrücken, in dem ein schwarzer Stern eingraviert war. „Grade 8! Now rise, [Ebon Sky Pegasus]!“ Die letzten Lichtquellen im Inneren der Kuppel erloschen für einen kurzen Augenblick. Das Portal hinter Velvet verschwand. Ein Wiehern hallte durch die Schatten. Dann kehrte das spärliche Licht wieder und über der Schwarzhaarigen schwebte der schwarze Pegasus. Die Spitzen seiner Federschwingen und auch seine Hufe brannten in blauen Flammen. Nicht anders war es mit der wallenden Mähne. Auf seinem Torso waren zu beiden Seiten rote, schwungvoll-gewellte Linien gezeichnet.   Ebon Sky Pegasus [ATK/2500 DEF/2000 X8]   „Ich setze eine Karte“, verkündete Velvet konzentriert, „und opfere sie für den Effekt von [Ebon Sky Pegasus], zusammen mit 1000 meiner Lebenspunkte!“ Die Karte, die zu ihren Füßen erschien, löste sich in blauen Funken auf, die die majestätische Kreatur über ihr absorbierte. „Damit kann ich eine andere Zauber- oder Fallenkarte von meinem Deck ungeachtet der Kosten aktivieren! Meine letzte Hoffnung! Future Antithesis!“ Sofort leuchteten die roten Seitenstreifen des Pegasus grell auf, als dieser sein Haupt reckte und erneut wieherte. Dann breitete sich von seiner Mähne und den Flammen an seinen Hufen und Federspitzen silbernes Licht aus. „Schlag ein und zerstöre [Jurrac Titano]“, rief die andere Velvet zuversichtlich, „der Zauber [Lightning Vortex]!“ Ein Blitz schoss aus der dunklen Kuppel auf den riesigen Tyrannotitanen herab, doch Orion lachte hochmütig auf. „Damit habe ich gerechnet, Velvet-chan! Konterfalle [Destruction Jammer]! Ich werfe eine Karte ab und annulliere einen Zerstörungseffekt!“ Hinter dem Dino sprang die rechte gesetzte Karte auf und sorgte dafür, dass der Blitze kurz vor seinem Ziel an einer unsichtbaren Barriere abprallte. Die sich duellierende Velvet schloss die Augen, dann senkte sie lächelnd ihr Haupt. „Du hast mich durchschaut. Beeindruckend. Das war's dann wohl für mich.“   Was die Velvet der Gegenwart dann sah, war ihre vernichtende Niederlage durch Orions Hände und deren Folgen, ehe die Vision schließlich schwand. „Nein“, murmelte sie daher unzufrieden. „Nicht so …“ Dann weitete sie die Augen, wodurch auch aus ihrem linken Auge eine helle, blaue Flamme schoss.   Wieder sah sie ihrem Ebenbild der Zukunft beim Duellieren zu. „The sky is torn open!“ Erst streckte sie die Arme aus, dann schlug sie sich die Faust gegen die Brust, ehe sie jene wieder in die Höhe streckte. „Summoning contract established!“ Acht grelle Lichter stiegen um sie herum aus dem Boden auf, verteilten sich hinter ihr in einer Sternenformation und festigten sich erneut zu dem Tor, in dem sich die Sphären als Runen manifestierten. „Witness the creation of the eternal gate!“ Ruckartig schossen die einzelnen Bestandteile des Portals nach hinten. „Soar, ascend, exceed!“ „Da ist es“, hauchte Orion ehrfürchtig. Hinter dem Tor erstreckte sich der lange, bunte Tunnel in eine andere Dimension. Der Pegasus näherte sich als dunkler Schatten bereits in seinem Inneren. „Open the eternal gate! Excel Summon!“ Zukunfts-Velvet riss den erhobenen Arm hinunter und zeigte ihren Handrücken, in dem ein schwarzer Stern eingraviert war. „Grade 8! Now rise, [Ebon Sky Pegasus]!“ Kurzzeitig wurde es stockdunkel in der Kuppel, dann brachte ein Wiehern wieder Licht und der Pegasus verharrte über der Schwarzhaarigen.   Ebon Sky Pegasus [ATK/2500 DEF/2000 X8]   „Ich setze eine Karte“, verkündete Velvet im absolut identischen Wortlaut wie zuvor und ließ jene vor sich erscheinen, „und opfere sie für den Effekt von [Ebon Sky Pegasus], zusammen mit 1000 meiner Lebenspunkte!“ Die Falle löste sich in blauen Funken auf und wurde vom Pegasus absorbiert. „Damit kann ich eine andere Zauber- oder Fallenkarte von meinem Deck ungeachtet der Kosten aktivieren! Meine letzte Hoffnung! Future Antithesis!“ Die roten Seitenstreifen des Pegasus leuchteten grell auf, als dieser sein Haupt reckte und wieherte. Im Anschluss breitete sich von seiner Mähne und den Flammen an seinen Hufen und Federspitzen silbernes Licht aus. „Sei der Wind, der uns davon trägt“, rief die andere Velvet zuversichtlich, „der Zauber [Blustering Wind], der Pegasus' Werte um 1000 für eine Runde erhöht!“ Ihr Pegasus spreizte seine Schwingen und stieß dabei grüne Wirbelstürme von sich, wieherte dabei stolz.   Ebon Sky Pegasus [ATK/2500 → 3500 DEF/2000 → 3000 X8]   „Angriff auf sein Monster!“, befahl ihr Zukunfts-Ich entschlossen. „Aether Hurricane!“ Die Spitzen der Flügel des anmutigen Ungeheuers nahmen wieder ihre blaue Färbung an. Das Tier stieg auf und entfachte einen gleißend blauen Flammenwirbel, der auf Orion und seinen Tyrannotitanen zu fegte. Doch der kleine Schattengeist kicherte böse. „Hehe, das habe ich erwartet, Velvet-chan! Verdeckten Schnellzauber aktivieren, [Battle Tuned]!“ Die hinter ihm links platzierte Karte sprang auf und tauchte das drei Meter hohe Biest in eine rote Aura. „Ich verbanne einen Empfänger von meinem Friedhof, wodurch [Jurrac Titano] dessen Angriffskraft erhält! Also bye bye [Jurrac Monoloph] und hello 1500 zusätzliche Angriffspunkte!“ „Es wird stärker!?“, stieß Velvet erschrocken hervor.   Jurrac Titano [ATK/3000 → 4500 DEF/2800 (9)]   Titano brüllte zorning und feuerte aus seinem Maul einen vernichtenden Lavaball, der den flammenden Äthersturm durchbrach ihren schwarzen Pegasus vom Himmel fegte. Das Mädchen in der Vision schloss seufzend die Augen. „Du hast mich durchschaut. Beeindruckend. Das war's dann wohl für mich.“ Ein weiterer Lavaball schoss auf sie zu und besiegelte ihr Schicksal. Sie hörte Orions Worte …   Die Velvet der Gegenwart riss ihre blau entflammten Augen erschrocken auf. Zwei Visionen innerhalb eines kurzen Augenblicks und beide liefen auf dasselbe Ende hinaus. Sie sah hinauf zu Orion, der auf der Schulter des riesigen Dinos wartete. „Orion, du Lügner.“ Sie lachte auf. „Aber jetzt weiß ich, was zu tun ist!“ Die Arme weit ausbreitend, wie in ihren Visionen, rief sie: „The sky is torn open! Summoning contract established!“ Sie schlug ihre Faust gegen die Brust, dann hob sie diese in die Höhe. Die acht grellen Lichter stiegen um sie herum aus dem Boden auf, bildeten hinter ihr eine Sternenformation und wurden zu dem Tor, in dem sich die Sphären als Runen manifestierten. „Witness the creation of the eternal gate!“ Ruckartig schossen die einzelnen Bestandteile des Portals nach hinten. „Soar, ascend, exceed!“ „Da ist es“, hauchte Orion ehrfürchtig. Hinter dem Tor erstreckte sich der lange, bunte Tunnel in eine andere Dimension. Der Pegasus näherte sich als dunkler Schatten bereits in seinem Inneren. „Open the eternal gate! Excel Summon!“ Velvet riss den erhobenen Arm hinunter und zeigte ihren Handrücken, in dem ein schwarzer Stern eingraviert war. „Grade 8! Now rise, [Ebon Sky Pegasus]!“ Kurzzeitig wurde es stockdunkel in der Kuppel, dann brachte ein Wiehern wieder Licht und der Pegasus verharrte über der Schwarzhaarigen.   Ebon Sky Pegasus [ATK/2500 DEF/2000 X8]   „Dieses Mal wird mir kein Fehler unterlaufen“, wusste die Schwarzhaarige und nahm eine Karte aus ihrem Blatt. „Ich setze eine verdeckte Karte und aktiviere den Effekt meines Monsters! Future Antithesis!“ Ihr Pegasus wieherte stolz, dann zerplatzte die eben vor ihr erschienene Karte zu blauen Funken und wurde von ihrem Monster absorbiert. Dessen rote Seitenstreifen begannen zu leuchten.   [Velvet: 1200LP → 200LP / Orion: 1800LP]   „Für 1000 Lebenspunkte kann ich eine gesetzte Karte und 1000 Lebenspunkte opfern, um eine Zauber- oder Fallenkarte direkt aus meinem Deck zu aktivieren!“ Die Schwarzhaarige zeigte ein zuversichtliches Lächeln. „Und meine Wahl fällt auf [Gale Echo]!“ Sofort begann der Pegasus silbernes Licht auszustrahlen. Die Falle stellte sich vor dem Mädchen auf und schlagartig zersprang das Assmonster in tausende Polygone. Orion machte eine riesige Schnute. „Wa-wa-was!? Du zerstörst ihn!?“ „Ja“, erwiderte Velvet, „das ist der Effekt von [Gale Echo]. Ich zerstöre alle WIND-Monster, die ich kontrolliere und kann dann eine Schnellzauber- oder Fallenkarte von meinem Friedhof aktivieren!“ „Vom Friedhof?“, wunderte sich der Schattengeist. „Aber welche sollte das sein?“ „Eine, die du durch [Jurrac Impact] vernichtet hast: [Ritual Beast's Afterglow]!“ „Eh!?“ Nacheinander tauchten vor dem Mädchen drei hellblau leuchtende Silhouetten auf: Die eines Mädchens, eines vierbeinigen Tiers und die eines großen, reiterlosen Vogels. „[Ritual Beast's Afterglow] kann die Stärke eines Ritual Beasts um die eines verbannten Partners stärken, oder bis zu drei Spielmarken beschwören, deren Namen und Werte denen von verbannten Ritual Beast-Monstern entsprechen. Das wären [Ritual Beast Tamer Lara], [Spiritual Beast Apelio] und [Ritual Beast Ulti-Cannahawk]!“ „Ah!“, stieß der kleine Schattengeist entsetzt hervor. Denn die Silhouetten formten sich zu den Geistern der blonden Zähmerin, dem Junglöwen und dem eines schwarzen Vogels, dessen Gefieder durch gelbe Blitze durchzogen wurde.   Ritual Beast Tamer Lara-Spielmarke [ATK/100 DEF/2000 (1)] Spiritual Beast Apelio-Spielmarke [ATK/1800 DEF/200 (4)] Ritual Beast Ulti-Cannahawk-Spielmarke [ATK/1400 DEF/1600 (6)]   „Diese Erinnerungen schwinden jedoch am Ende des Zuges“, sprach Velvet plötzlich in einem nachdenklichen Tonfall. „Ja, sie schwinden …“ Dabei dachte sie an den Tag zurück, als Melinda Ford sie von Zuhause abgeholt und zu einem Besuch in der Hauptzentrale der AFC eingeladen hatte. Während der Fahrt drückte sie ihr grinsend einen Brief in die Hand, den Velvet jedoch erst zuhause öffnen sollte.   Das Mädchen saß auf ihrem rosafarbenen Bett und hielt den Umschlag mit beiden Händen fest. Sie fürchtete sich vor dem Inhalt. Nach dem, was Melinda durch Harriers Hand widerfahren war, konnte sie sowieso kaum einen klaren Gedanken fassen. Da war bestimmt ein Anwaltsschreiben drin, eine Anklage oder eine Schadensersatzforderung. Am liebsten würde sie ihn gar nicht öffnen. Aber Velvet schluckte ihre Angst hinunter und riss ihn auf. Es half ja schließlich nichts, vor der Realität davon zu laufen. Ändern konnte sie sie sowieso nicht.   Tatsächlich war ein Brief darin, doch als Velvet ihn auseinander faltete, fiel etwas aus ihm heraus – eine einzelne Karte. Jene landete mit dem Rücken nach oben auf ihrem Schoß. Das Mädchen las sie auf und erschrak bei ihrem Anblick. „W-was?“ Dann las sie den Brief durch.   „Liebe Velvet,   ich weiß dass die Begegnung mit Henry nicht gerade angenehm war. Als Gegner ist er regelrecht furchteinflößend, glaub mir, ich weiß das. Bei der Analyse deines Decks ist uns aufgefallen, dass dir eine bestimmte Karte deines Themas fehlt. Ist ja auch ein verdammt seltenes Biest! Mit ihm hättest du meinen Bruder vielleicht in die Schranken weisen können. Also schicke ich sie dir mit diesem Brief, damit deine nächste Begegnung mit einem Stänkerfritzen zu deinen Gunsten ausgeht. Und ich möchte dich wissen lassen, dass wir nicht deine Feinde sind. Im Gegenteil! Liebe Grüße,   Melinda Ford“   Als sie das las, schlug das Mädchen mit Tränen in den Augen die Hand vor den Mund. Aus ihr brachen der Schmerz und das schlechte Gewissen, dass sie vielleicht mitverantwortlich für Melindas Schicksal gewesen war.   „Sie ist meine Freundin“, wusste Velvet inzwischen mit Sicherheit, „und ich werde ihr Geschenk würdigen!“ Sie breitete die Arme voneinander weit aus. „Oh Wunderkind der Beschwörung! Oh Bestie des Stolzes und der Redlichkeit! Oh Vogel donnernder Selbstlosigkeit!“ Nacheinander wurden die Geister in den Boden gesaugt. „Bindet euch aneinander! Contact Fusion!“ Dann geschah es. Die Erde unter Velvet brach auf. Das Mädchen wurde mit wehendem Haar weit in die Höhe getragen, als sich ein riesiger Löwe mit roter Blättermähne erhob, auf dessen Rücken ein Baum wuchs. Seine unglaubliche Größe sprengte die Schattenkuppel, welche sich einfach auflöste. „[Ritual Beast Ulti-Gaiapelio], beschütze das Leben!“ Dessen knorrige Beine waren von metallischen Schienen geschützt, sein Torso war ebenfalls von einer schwarzen Panzerung bedeckt, von der sich gläserne Flächen erstreckten. „Ich kann das auch“, grinste Velvet und spielte darauf an, auf ihrem Monster zu stehen. Hinter dem Kopf Gaiapelios war sie kaum noch zu sehen.   Ritual Beast Ulti-Gaiapelio [ATK/3200 DEF/2100 (10)]   Ihre Freunde, die sich in der Zwischenzeit um die nun gesprengte Schattenkuppel versammelt hatten, staunten wahrhaft beim Anblick der Bestie, die Orions Dinosaurier mühelos überragte. „Heilige Scheiße“, fluchte Fabio und wich zurück. „Was ist das denn? Das ist doch neu, oder?“ „Das ist [Ritual Beast Ulti-Gaiapelio], das stärkste Monster des Themas“, wusste Isaac und deutete anschließend auf den Dinosaurier, „viel interessanter ist -das-!“ Tatjana neben ihm stieß einen spitzen Schrei aus. „I-ich sehe es!“ „Ich auch“, nickte Patrice. Alle vier starrten den kleinen, schwarzen Knödel auf [Jurrac Titanos] Schulter an.   Velvet tat es ihnen gleich, sah lächelnd auf den Schattengeist hinab. „Danke, Orion. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft.“ „Velvet-chan …“, murmelte der leise. Das Rot aus seinen Augen wich. Jedoch nicht das aus Velvets, welche eine Zauberkarte zückte. „Bringen wir das zu Ende! Ich aktiviere [Monster Reborn]! Kehre zurück, [Ebon Sky Pegasus]!“ Der schwarze Pegasus erhob sich aus einer blauen Stichflamme aus dem Boden und umkreiste Gaiapelio einmal, ehe er sich auf der Höhe Velvets zu diesem gesellte.   Ebon Sky Pegasus [ATK/2500 DEF/2000 X8]   „Beenden wir das“, richtete sie ihre Worte entschlossen an Orion und streckte die Hand aus, „Angriff auf [Jurrac Titano], [Ritual Beast Ulti-Gaiapelio]! Geo Awakening!“ Ihre mächtige Bestie brüllte zornig und stampfte mit den Vorderbeinen auf. Überall auf der gesamten Wiese schossen Bäume, Sträucher, Ranken aus dem Boden. Ihre Freunde, die von alle dem umgeben waren, stießen überraschte Laute auf. Alle jene Pflanzen wuchsen erstaunlicherweise in Richtung des Dinosauriers, umzingelten ihn und drohten ihn in sich zu zerquetschen. „Ha! Nicht so schnell, Velvet-chan! Ich habe noch meine verdeckte Schnellzauberkarte [Battle Tuned]!“ Orion betätigte den Auslöser an seiner winzigen Duel Disk und jene Karte klappte, wie schon in Velvets Vision, hinter ihm auf. „Wenn ich einen Empfänger vom Friedhof verbanne, erhält eines meiner Monster dessen Angriffskraft! Ich verbanne [Jurrac Monoloph] und-“ Doch das Mädchen mit dem offenen, schwarzen Haar lachte leise auf. „Gute Idee, aber dir ist sicher schon bewusst, dass ich davon Wind bekommen habe.“ Orion sah auf und schwieg beharrlich. Velvet schnippte mit dem Finger. „Unglücklicherweise möchte ich dieses Schicksal nicht erfüllen. Ich benutze Gaiapelios Effekt! Ultimate Providence!“ Jener brüllte auf. Unter der offen stehenden Karte des Schattengeists schoss eine flammende Wurzel, die den Zauber durchbohrte. „Ich werfe eine Ritual Beast-Karte ab und negiere die Aktivierung von [Battle Tuned]!“ Zuversichtlich lächelnd schob Velvet [Spiritual Beast Pettlephin] in ihren Friedhofsschlitz. Da nun nichts mehr die Natur von ihrem zerstörerischen Wachstum abhalten konnte, wurde [Jurrac Titano] tatsächlich zwischen Baumkronen und Ranken begraben. Orion schaffte rechtzeitig den Absprung und als er landete, zogen sich die Pflanzen rasend schnell in den Boden zurück und stellten die Wiese wieder her.   [Velvet: 200LP / Orion: 1800LP → 1600LP]   Velvet, die ihn nun mehrere Meter überragte, rief: „Direkter Angriff, [Ebon Sky Pegasus]! Aether Hurricane!“ Jener spreize seine Schwingen, deren Spitzen in blauen Flammen aufloderten und schleuderte einen vernichteten Feuerzyklon in Orions Richtung. Der Kleine hielt sich panisch die Arme vor die Kulleraugen, als er erfasst wurde und ächzte gequält.   [Velvet: 200LP / Orion: 1600LP → 0LP]   Velvet schloss lächelnd die Augen. Und als sie sie wieder öffnete, waren die blauen Flammen fort. Ebenso wie die roten Pupillen, die wieder ihre gewöhnte braune Färbung angenommen hatten. Allerdings hatte dies noch einen weiteren Effekt. „Oh?“ Denn als die Hologramme verschwanden, verlor das Mädchen damit automatisch auch den Boden unter den Füßen. „Ah!“ „Velvet-chan!“, schrie Orion entsetzt. „Velvet!“, riefen auch die anderen panisch. „Wah!“ Sofort machte der Schattengeist einen Satz nach vorne und wuchs dabei derart an, dass er binnen eines Sekundenbruchteils die Größe eines Trampolins angenommen hatte. Und als solches fungierte er auch, als Velvet auf seiner schwarzen Oberfläche aufschlug und erstmal einen halben Meter zurück in die Luft geworfen wurde. „Ah!“ „Au!“, jammerte der gewachsene Schattengeist. Als Velvet wieder auf ihm landete, schrumpfte er genauso schnell wieder, wie er gewachsen war – und wurde prompt unter ihrem Hinterteil begraben. „Umpf!“   „Was habe ich da gerade gesehen?“, stammelte Tatjana, als die Gruppe auf Velvet zu schritt. „Geht es dir gut?“, fragte Fabio besorgt und reichte dem Mädchen die Hand. Sie ließ sich aufhelfen und nickte. „I-ich denke schon!“ „Was war das?“, wollte Patrice wissen. „Dieses Feuer an deinen Augen …“ „I-ich weiß nicht. Aber plötzlich konnte ich die Zukunft sehen. Meine! Und das nicht nur einmal, sondern gleich zweimal hintereinander!“ Isaac stampfte geradewegs an ihr vorbei und betrachtete den Schattengeist, der mit dem Gesicht ins Gras gedrückt worden war. Er packte ihn am Haarbüschel und riss ihn in die Höhe. Die weiß leuchtenden Augen drehten sich regelrecht. „Soviel zu deinen edlen Absichten“, knurrte Patrice ihn sofort feindselig an. „Ja“, stimmte Tatjana wütend ein. „Wenn Velvet nicht-“ „Hört auf“, bat der große Blonde jedoch, ehe die anderen noch damit anfingen, den Kleinen zu lynchen. „Velvet, erklär's ihnen.“ „J-ja“, nickte die und nahm Orion entgegen, hielt ihn wieder mit beiden Armen an sich gedrückt und sah ihre Freunde der Reihe nach an. „Bitte seid ihm nicht böse. Das alles war nur ein Trick.“ „Wie bitte? Er hat dich in dieses Ding gesperrt“, klagte Patrice sauer und gestikulierte mit der Hand auf die Stelle hinter Velvet. „Schon, aber“, stammelte sie nervös, „aber das war alles nur dazu gedacht, damit ich denke, wirklich in Gefahr zu sein. Ich habe es in den Visionen gesehen, in denen ich verloren hab. Er hat es mir danach erklärt.“   Plötzlich drehte sich Orion in ihren Armen zu den anderen um. „Ja. Entschuldigt, dass ich euch nicht eingeweiht habt, aber ihr konntet mich ja nicht wahrnehmen.“ „Ich glaube dir kein Wort“, zischte Tatjana. Und fing sich einen bissigen Spruch von Isaac. „Was absolut niemanden interessiert.“ „Nu! Hört auf zu streiten!“, bat der Afroamerikaner. „Ich konnte Velvets Kräfte nicht durch ein normales Duell hervorlocken“, gestand Orion schlechten Gewissens, „aber sie hat gesagt, als Zyxx sie mitnehmen wollte, hat sie in der Stunde ihrer größten Not eine Vision bekommen. Also ...“ „… wolltest du das replizieren, hab ich Recht?“, fragte Isaac. Als der Kleine nickte, fügte er noch hinzu. „Sowas habe ich mir schon gedacht.“ „Ja. Und es hat funktioniert. Zumindest beim ersten Mal.“ Verwirrt fragte Velvet. „W-wie meinst du das?“ „Deine erste Vision war deiner Angst geschuldet, Velvet-chan. Deine Verzweiflung hat den Fokus auf dein Schicksal gelegt, sodass du es sehen konntest. Doch dann …“ Tatjana schluckte. „D-da war blaues Feuer an deinen Augen.“ „Die zweite Vision hast du bewusst hervorgerufen. Du konntest sie auf Befehl abrufen“, erklärte Orion weiter. Doch die Schwarzhaarige senkte ihr Haupt. „Sicher? Wenn ich es jetzt versuche, sehe ich gar nichts.“ „Es ist ein Anfang.“ Patrice schien immer noch nicht völlig überzeugt. „Aber wenn Verzweiflung dir hilft, deine Kräfte kontrollieren zu lernen, können wir nicht mehr viel für dich tun.“ „Ja. Das hat einmal geklappt, aber jetzt weißt du, dass ich nur schauspielere“, nuschelte Orion. Allerdings lächelte Velvet plötzlich. „Halb so schlimm! Ich bin stolz, dass es wenigstens ein bisschen geklappt hat. Uns wird was anderes einfallen!“ Ihre Heiterkeit wurde jäh durch das Grummeln ihres Magens unterbrochen. Peinlich berührt wirbelte sie von den anderen weg. „I-ich glaube, ich hab Hunger bekommen.“ „Dann gehen wir einen kleinen Happen zu uns nehmen“, schlug Isaac vor. „Aber bevor wir das tun, eine Frage, Orion: Wieso können wir dich jetzt sehen?“   ~-~-~   „Brauchen wir ihn überhaupt?“, fragte die rothaarige Cassandra, während sie neben Kathea durch eine fast völlig dunkle Halle lief. Einzig regelmäßig aufgestellte Kerzenhalter sorgten für ein wenig Licht. „Zyxx gehört zum Inner Circle“, erklärte die Jüngere mit dem schwarzen, ins Weiß übergehenden Haar mit seidiger Stimme, „ihn zu verlieren würde unsere Pläne in Gefahr bringen. Das weißt du.“ Die Hexe strich sich durch die feuerrote Lockenpracht, richtete dann ihre Lederweste. „Er ist nutzlos.“ „Er ist ein Vampir. Und damit der Einzige unter uns, der eine Chance hat, den großen Dämonen zu widerstehen“, fuhr Kathea weiter aus. Dann kicherte sie provokativ. „Obwohl ich gerne wüsste, wer bei einem Kampf zwischen dir und der Weißen Hexe als Sieger hervorgeht.“ „Hmpf!“   Ihre Schritte hallten über das Metall. Als sie in der Mitte des Raumes angelangten, blieben sie stehen. Auf der dunklen Oberfläche der riesigen, schwarzen Sphäre vor ihnen spiegelte sich das Flackern der Kerzen wieder. Durch ein goldenes Gestell wurde sie wie durch eine Hand gehalten. „Wie kann der jemandem wie dem Sammler oder dem Beobachter widerstehen, wenn er sich von den Handlangern Gardenias fangen lässt?“, fragte Cassandra übellaunig und schwang den Arm aus. In dem Moment entfachte sich in der Sphäre eine smaragdfarbene Flamme, die den Raum deutlich erhellte. „Das war von Anfang an der Plan“, erwiderte Kathea, „alles ist bereit. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass er zu uns zurückkehrt.“ Ein letztes Mal genervt stöhnend, streckte der Rotschopf die Handfläche aus und ließ die Flammen stärker und stärker lodern. Als nichts weiter geschah, knurrte sie: „Ignorier' mir nicht, Miststück!“ Als wäre das das Stichwort, erschien plötzlich ein von Falten gezeichnetes Gesicht inmitten des Feuers. Es war das der brünetten Hexe mit dem langen, geflochtenen Zopf. „Ich grüße dich, Weiße Hexe“, sprach Kathea formell und faltete die Hände vor ihrem roten Hosenanzug zusammen. „Danke, dass du deine wertvolle Zeit für uns opferst.“ „Ich habe erwartet, früher von euch zu hören“, erwiderte Gardenias Antlitz in der Glassphäre mit leicht verzerrter Stimme grimmig. Die Schwarzhaarige lächelte falsch. „Dasselbe dachte ich mir auch. Bewundernswert übrigens, dass du tatsächlich die Zeitdilatation in deinem Weißen Raum anhältst, nur um mit uns zu kommunizieren. Also scheinst du zumindest nicht ganz herzlos zu sein.“ „Komm zur Sache“, forderte Cassandra mit noch immer ausgestreckter Hand scharf. „Natürlich. Du hast etwas, das uns gehört“, sprach Kathea wesentlich düsterer weiter, „und wir etwas, das dir gehört. Ich schlage vor, wir korrigieren dies.“ „Ein Geiselaustausch?“, fragte Gardenia skeptisch. Die Vorsitzende für Finanzen und Verwaltung der CLEAR-Organisation nickte. „Ja.“ Statt etwas zu sagen, schloss die Weiße Hexe ihre Augen. „Ich bezweifle, dass Reika noch am Leben ist.“ „Du irrst dich. Wir sind keine Monster. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut“, widersprach Kathea entschieden, „du kannst dich selbst davon überzeugen.“ Sie drehte sich um und machte eine winkende Handbewegung. „Komm!“   Aus dem Schatten hinter ihnen trat die blonde Asiatin hervor, deren Haar hochgesteckt und mit langen Nadeln gehalten wurde. Sie war blass, ihre Kleidung mitgenommen und sie humpelte, als sie zu den beiden Inner Circle-Mitgliedern stieß. „Lady Gardenia“, sprach sie mit schwacher Stimme, „bitte verschwendet eure Zeit nicht mit mir. Es war meine Schuld, ich war zu unvorsichtig-!“ Cassandra knurrte: „Halt den Mund!“ „Wie du siehst, lebt sie noch. Ich würde an dieser Stelle nach Zyxx' Zustand fragen, aber um einen Vampir muss man sich nicht allzu viele Sorgen machen.“ Kathea lächelte. „Es sei denn, du hast ein wenig an ihm experimentiert.“ „Wozu du unsere ausdrückliche Erlaubnis hast“, konnte sich Cassandra da nicht verkneifen. Aber Gardenia schwieg zu den Unterstellungen und sah nur Reika an. Welche da fragte: „Wie geht es meinem Kind?“ Da huschte ein Lächeln über die Lippen der Weißen Hexe. „Gut. Zachariah kümmert sich um ihn.“ „Wir werden es folgendermaßen ablaufen lassen“, mischte sich Kathea ein, „der Austausch findet übermorgen statt, an einem Ort deiner Wahl. Uns ist natürlich bewusst, dass du deinen Weißen Raum nicht verlassen wirst. Also, was schlägst du vor?“ „Ich werde sicherlich nicht noch einen meiner Schützlinge zu euch schicken“, erwiderte Gardenia garstig, „morgen früh, an diesem Ort.“ Ihr Antlitz verschwand, stattdessen zeigten die smaragdfarbenen Flammen den Ausschnitt einer Landkarte. Ein weißer Pfeil zeigte auf ein Waldgebiet. Kathea nickte. „Verstehe. Wir werden da sein.“ Dann lösten sich die Flammen schlagartig auf.   „Ist sie drauf reingefallen?“, fragte Cassandra und drehte sich zu Reika um „Wie könnte sie nicht? Ailin hat dieses Mädchen perfekt imitiert“, lachte Kathea, als sie sich der vermeintlichen Reika zuwandte, die dankend nickte und dann fortging. Dabei veränderte sich ihre Haarfarbe von blond zu brünett zu rot zu blau. „Tch, Angeberin“, schnaubte Cassandra. „Glaubst du, Gardenia konnte uns ausfindig machen?“, fragte die Schwarzhaarige nachdenklich. „Unwahrscheinlich. Und selbst wenn, wird sie sich nicht hierher trauen. So oder so: In weniger als 48 Stunden ist sie tot“, verkündete der Rotschopf in der grünen, engen Hose böswillig und verschränkte die Arme vor der üppigen Oberweite, „dafür sorge ich schon.“ „Sehr gut“, lächelte Kathea und folgte dann 'Ailin' mit laut widerhallenden Schritten.   ~-~-~   Anya konnte das wohlige Kribbeln in ihrer Magengegend nicht verleugnen, als sie über den großen Parkplatz schlenderte. Welche schlagartig zu rotieren anfing, als sie Logan im Inneren der Werkstatt erblickte, wie er an einem ihr seltsam bekannt vorkommenden, weißen Flitzer schraubte. Von seinem neuen Gehilfen Exa war zum Glück keine Spur weit und breit. Trotzdem ihre innere, grimmige Stimme sie mahnte, nicht allzu schnell zu laufen, stampfte sie in der Praxis wie ein tollwütiges Mammut zum Inneren der Garage. Der schwarzhaarige Zwerg mit den Mörderkoteletten kniete vor dem weißen Wagen und schraubte den hinteren, von Fahrtrichtung aus linken Reifen fest. Vollgeschmiert mit Öl, sah er in seinem Blaumann, unter dem er verdammt nochmal kein Hemd trug, ziemlich … haarig aus. Anya musste sich konzentrieren, um sich nicht in Details zu verlieren. Wie hässlich er war, verstand sich natürlich! So bedurfte es unbemerkt von ihm große Anstrengung seitens der Blonden, ihn fachgerecht zu grüßen. „Hey! Was machst'n da?“ Als er sie bemerkte, erhob er sich. „Den Wagen reparieren, den du zerbeult hast.“ „Ehehehe“, lachte Anya heiser. Daher kam er ihr bekannt vor. „Bezahlt is' der Schaden auch noch nich'.“ Prompt verstummte sie. Ja, da war ja noch was. Shit! „Yeah, was das angeht … uh …“ Hatte dieser hirntote Vollidiot Nick sich trotz ihrer eindeutigen Anweisung -nicht- darum gekümmert!? Aber die Antwort dazu hatte sie bereits erhalten. Elende Mistmade, spielte lieber mit Dämonen 'rum und wollte ihrem Dad an den Kragen, als seine Arbeit zu tun. Wenn sie ihn das nächste Mal in die Finger bekam, würde er herausfinden, warum beängstigend viele Livingtoner Patienten beim Urologen die Diagnose 'Anya Bauer' bekamen. Wurde mal wieder Zeit dafür!   „Du kannst in Raten zahlen“, brummte Logan, aber als Anya nur sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht schwinden spürte, pfiff er belustigt. „Mach dich locker, war'n Witz.“ „Kann sein“, atmete sie erleichtert auf, „aber du hast Recht, ich muss die Scheiße bezahlen. I-ich hab'n paar Jobs in Aussicht, vielleicht kann ich eine Anzahlung leisten? Wie hoch ist denn …?“ „Willste nicht wissen.“ Das hatte sie befürchtet. Kleinlaut fragte sie trotzdem: „Vierstellig …?“ „Möglich.“ „F-fünfstellig?“ „Könnte sein.“ Der Hauch eines schadenfrohen Grinsens machte sich an seinen Mundwinkeln bemerkbar. Anya verzog grimmig das Gesicht. „Sag es!“ „Wenn du willst, kriegste 'ne Rechnung, wenn ich fertig bin.“ Womit er mit dem Thema ganz eindeutig durch war. „Und nun sprich.“ „Huh?“ „Du kommst immer, wenn was ist. Also?“ Anya machte große Augen und lehnte sich – äußerst vorsichtig – gegen die Hintertür des Porsches. Das traf sie jetzt unvorbereitet. Kam sie wirklich nur zu ihm, wenn sie etwas loswerden wollte? Tatsächlich fiel ihr kein einziges Mal ein, wo sie sich nicht irgendetwas von der Seele reden musste. Und so war es auch heute. „Yeah, hast Recht. Sorry“, murmelte sie schlechten Gewissens und sah ihn aus den Augenwinkeln an, wie er abwartete, „aber ist nicht so wichtig. Wie geht es dir?“ „Gut.“ Anya knirschte innerlich mit den Zähnen. Gut? Was war das für eine beschissene Antwort und obendrein dreiste Lüge? Es ging niemals jemandem einfach nur 'gut'. Aber wenn sie ihm das an den Kopf knallte, wurde es vielleicht wirklich noch ein fünfstelliger Betrag. „'kay“, erwiderte sie skeptisch. „Und die Sache mit … du weißt schon … dem Knast?“ „Ich werde freigesprochen werden. Man hat dem Typen nachweisen können, dass er das Motorrad gefahren ist.“ Erschrocken sprang Anya auf. „Was!? Wie geht das denn?“ Er sah sie ausgesprochen ernst an. „Hatte gehofft, du könntest mir das erklären.“ „K-kann ich aber nicht. Und wenn Nick nichtmal das Geld für diese Karre überwiesen hat, wird er wohl kaum …“, sprach sie und verfiel in nachdenkliches Flüstern. „Kaum was?“ „Na was gedreht haben!“ Anya verschränkte die Arme voreinander und senkte den Kopf. Sie hatte eine ganz düstere Vermutung, wer da seine Finger im Spiel haben könnte. Als sie zu Logan aufsah und er immer noch eine Erklärung erwartete, zuckte sie mit den Schultern. „Sorry, von meinen Leuten war das keiner.“ „Verstehe. Aber dir ist auch klar, dass nicht nur ich gesehen wurde.“ Anya wusste erst nicht, was er meinte, aber dann machte es klick. „Rosenburg!? Hast Recht! Wieso-“ „Meinst du nicht, ihr Manager hat sie freigekauft?“ „S-sicher“, nickte sie. Vermutlich hatte er genug Beziehungen und dazu auch die Macht, so etwas von Roboburg abprallen zu lassen. „Typisch Reiche …“ Logan drehte sich um. „Bist doch neuerdings mit ihr befreundet. Hätte mehr Freude erwartet.“ „Wir sind keine Freundinnen, klar!?“, explodierte Anya sofort, packte den Mann an der Schulter und drehte ihn zu sich um. „Zanthe schuldet ihr einen Gefallen, deshalb ist sie mitgekommen! Mehr ist da nicht!“ „Was will sie überhaupt hier?“ „Was weiß ich, eine Pause von ihrer Karriere nehmen?“, log Anya genervt und stellte fest, dass sie da tatsächlich gerade seine nackte Haut berührte. Ein Fehler, den sie sofort korrigierte, als sie ihre Hand wegriss. „Y-yeah, das dazu.“ Als er sie nur schweigend anstarrte und Anya sich bewusst trotzig auf eine Werkzeugkiste rechts neben sich fixierte, schien die Zeit stillzustehen. Irgendwie hatte sie das Gespräch gerade in eine Sackgasse gefahren. Aber Smalltalk war nun mal nicht ihr Ding! Anya wusste nicht, was sie sagen sollte, um diese peinliche Stille zu brechen. Alles was ihr einfiel war, wie schön das Wetter war. Schöner Sonnenschein und so'n Scheiß. Dann dachte er gleich, sie wäre eine verdammte Spießerin. Warum war das so schwer!?   „Uh“, begann sie schließlich, als er Anstalten machte sich zu rühren und schluckte ihren Stolz mühselig hinunter, „ich wollte ja noch was loswerden …“ „Und ich will hier fertig werden. Also fang an bevor ich Wurzeln schlage“, brummte er und sie wusste wirklich nicht, ob er das ernst meinte oder scherzhaft. Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen und blickte getroffen weg. „Sorry. I-ich weiß bloß nicht, wie ich es erklären soll.“ „Wieder eine deiner verrückten Geschichten?“ „N-nein!“ Sofort hob sie die Hände hoch. „Was wirklich Dummes, mehr nicht. Ich … was …“ „Seit wann bist du auf den Mund gefallen?“, fragte er mit einer winzigen Spur Verwirrung. „Haste 'nen Mord begangen und willst ihn mir beichten?“ „Scheiße, nein!“, fauchte sie und stampfte wütend auf. „Ich bin nur … ich … ich weiß nicht, ob ich ich selbst bin!“ Er sah sie an. Ohne zu urteilen. Aber er erwiderte nichts. „Das klingt verrückt, ich weiß“, begann Anya planlos zu erzählen und begann loszulaufen, an ihm vorbei, „aber ich habe etwas über mich erfahren, dass … mich total unzufrieden macht, wenn man es so nennen kann.“ Sie passierte in einer Kurve die Tür zu seinem Büro und kam zurück. „Als wäre mein ganzes Leben eine Lüge. Und … ich … bin nicht echt, sondern nur …“ Er drehte sich zu ihr um. „Bist du adoptiert worden?“ Anya blieb stehen und musste kurz grinsen. „Nein, aber sowas Ähnliches …“ „Aber du kannst mir natürlich nicht sagen, was genau du da erfahren hast.“ „Nope. Zu peinlich und absurd.“ Ein ermutigendes Lächeln machte sich auf seinen Zügen breit. „Kleine, du bist ganz eindeutig echt. Du stehst vor mir und aus dem Alter imaginärer Freunde bin ich schon lange raus.“ Schwach grinste Anya zurück. „Yeah …“ „Und wer sonst kannst du sein, außer du selbst? Ist normal für junge Menschen, dass man manchmal alles infrage stellt. Mach dir keinen Kopf.“ Auch wenn er natürlich gar nicht wusste, was sie belastete, waren seine wenigen Worte Balsam für Anyas Seele. Er hatte doch Recht. Sie war echt. Spielte es denn überhaupt eine Rolle, ob sie nun eine Kopie von Kali war oder umgekehrt? Sie stand hier, war bei ihm und lebte. Vielleicht … vielleicht musste sie mit Kali reden. Denn der ging es vielleicht in just diesem Moment genauso.   Vorsichtig schritt sie auf Logan zu und sah ihm in die dunklen Augen. „D-danke. Hast Recht. Weiß gar nicht, was in mich gefahren ist.“ Als sie vor ihm stand, begann sie zu grinsen. „Wusst' ich's doch! Ein alter Sack wie du hat immer einen klugen Spruch parat! Danke!“ Sie klopfte ihm auf die Schulter. Als sie ihre Hand dort liegen sah, wollte sie sie sofort wieder wegziehen. Aber der Drang, es nicht zu tun, war mit einem Mal so groß, dass sie völlig von der Situation überfordert war. „Uh, also dann …“, stammelte sie völlig planlos. Er war so nahe. War er eben nicht viel weiter weg gewesen!? Und plötzlich lag seine rechte Hand an ihrer Seite. Anya explodierte innerlich. Irgendetwas stimmte da nicht. Sein Gesicht war so nahe, viel zu nahe. Und seine Lippen lagen plötzlich auf ihren. Schwach glitt ihre Hand an seinem Arm entlang, als er sie an sich heran zog und sie die Augen schloss.     Turn 107 – Chimera Of God Anya, Matt und Zanthe treffen schließlich im Haus der Bauers aufeinander und entscheiden sich für das weitere Vorgehen. Derweil findet der erste Test von Henrys geheimen Nebenprojekt statt, bei dem auch Nick und Alexandra dabei sind. Ausgerechnet Letztere bietet sich als Freiwillige dafür an und … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)