Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 116: Turn 107 - Chimera Of God -------------------------------------- Turn 107 – Chimera Of God     Der Klang vieler Schritte hallte durch den anthrazitfarbenen Gang. Die rothaarige Melinda führte an, gefolgt von Nick und Alexandra, die nebeneinander her gingen. Besonders der großgewachsene junge Mann verzog dabei verdrießlich das Gesicht. „Wir sind gleich da. Ihr könnt es bereits sehen. Dort unten“, meinte die älteste Ford-Tochter vergnügt und spielte auf die Reihe von Fenstern an, die in die rechte Wand des Gangs eingelassen waren. Neugierig blieb Alexandra stehen und näherte sich einem von diesen. „Hmm. Braucht man dafür so viel Platz?“   Sie sah hinab auf eine riesige Anlage. Dazu musste man natürlich wissen, dass diese subterran lag, unter dem Hauptgebäude der AFC. Etwa drei Meter unter ihnen begann ein riesiges Areal, das ausschließlich aus aneinander gesetzten, dunkelgrauen Platten bestand. Jede davon besaß vier kleine Lämpchen, die bläulich leuchteten. Das Gebiet zog sich mindestens 200 Meter in die Ferne und ebenso in die Länge. „Hologramm-Emitter“, erklärte Nick, „modifiziert, um verschiedene Areale durch Solid Vision zu erzeugen.“ Alexandra runzelte die Stirn. „Nett? Aber das beantwortet meine Frage nicht.“ Da stellte sich der Rotschopf hinter die beiden. „Das ist ein wichtiger Teil des Spiels. Was denkst du, wieso wir so viel Geld dafür ausgeben?“ Die Blonde im Trenchcoat blickte über ihre Schulter, dabei den Zeigefinger an den Mundwinkel tippend. „Ausgeben oder verschwenden? Was soll das überhaupt werden?“ „Das ist der Grundstein von 'Chimera of God'“, erwiderte Melinda und ignorierte die Spitze. Überrascht wiederholte Nick: „'Chimera of God'?“ „Ja. Henry hat sich entschieden, den Projektnamen fallen zu lassen. Stattdessen heißt unser Spiel nun 'Chimera of God'.“ „Nett“, gluckste Alexandra und sah wieder auf das ansonsten leere Areal. „Wenn ihr so viel Platz braucht, wird das bestimmt nicht wie ein Duel Monsters-Spiel ablaufen, oder? Lass mich raten: Das ist sowas wie diese AR-Spiele, nur dass in diesem Fall Hologramme zum Einsatz kommen?“ „Das trifft es ganz gut. Allerdings wird es zwei Versionen des Spiels geben. Eine stationäre und eine mit AR-Technologie, die die Welt von 'Chimera of God' prozedural erstellt, während die Leute spielen.“   Nick indes verzog ein grimmiges Gesicht. „Ausgerechnet Chimera. Ist euch nichts Besseres eingefallen?“ Natürlich konnte niemand ahnen, wieso dieses Wort ihn so aufwühlte. Vor einiger Zeit hatte er einen versiegelten Dämon namens Joel aufgesucht, der ihn über die Wahrheit hinter der Natur von Anyas Kräften aufgeklärt hat. Anyas und seiner – die Conqueror's Soul. Eine Macht, die die Fähigkeiten anderer Lebewesen absorbieren kann. Doch es gab einen Haken. Eines Tages, wenn zu viel sogenannter Äther vom Träger einer Conqueror's Soul aufgenommen wurde, würde dieser zu einer Schimäre werden. Wie genau sich das zeigte, wusste Nick nicht. Aber es war nichts Gutes und Anya kämpfte nun schon eine ganze Weile gegen Wesen mit starkem Äther. Er fürchtete um ihre ohnehin stark angeschlagene Gesundheit. Alles was er tat, war nur für sie …   „Es passt doch perfekt“, verstand Melinda die Kritik nicht, „aber ich lass dir das durchgehen. Kommt, weiter.“ Sie winkte die beiden zu sich, damit sie ihr folgten. So zogen sie weiter den geraden Gang entlang, bis sie irgendwann schon von den Fenstern aus sehen konnten, dass sich an der Stirnseite des riesigen Areals auf selber Höhe wie der Gang eine Ausbuchtung befand, genau mittig, in der sich eine Art Überwachungsraum zu befinden schien. „Ich verstehe nicht, was ich hier soll“, nörgelte Nick weiter, „die Tests sind doch abgeschlossen, nicht wahr? Ihr braucht mich nicht mehr.“ „Wir sind noch lange nicht fertig hier“, widersprach Melinda jedoch, „außerdem bist du sozusagen die treibende Kraft hinter allem. Ohne deine unermüdliche Arbeit und dein Genie hätten wir nie innerhalb so kurzer Zeit so etwas auf die Beine stellen können.“ „Und deshalb muss ich das Ding jetzt ausprobieren?“, klagte er. Melinda drehte sich grinsend um und lief rückwärts einfach weiter. „Genau so ist es.“ „Vergiss es! Ich habe keine Zeit für sowas!“ „Hast du. Oder muss ich dich daran erinnern, dass du -das- hier erst nachher bekommst?“, fragte sie schelmisch und zückte aus der Hosentasche ihres grauen Anzugs einen USB-Stick. „Das war Teil des Deals, egal wie unser Duell ausgegangen ist, schon vergessen?“ „Hmpf!“ Da dort die Daten des D/D-Themas gespeichert waren, welches Nick selbst entwickelt hatte und in Zukunft zu benutzen dachte, musste er wohl oder übel kooperieren. „Fein. Aber nur als Zuschauer.“ „Nick!“, war es nun Melinda, die einen klagenden Tonfall an den Tag legte. „Weißt du überhaupt noch, was Spaß ist?“ Alexandra sah die beiden nacheinander an. „Ja, aber mit dir wird er nicht darüber reden, so viel steht fest.“ „Und ich weiß plötzlich, wer an deiner Stelle das Versuchskaninchen wird, Nick“, reagierte Melinda mit bitterböser Genugtuung. Doch sie hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn Alexandra zuckte unbedarft mit den Schultern und meinte: „Von mir aus, gerne. Kann ja kaum langweiliger sein als Duel Monsters.“ „Ist das dein Ernst?“, wunderte sich Nick, geschweige denn Melinda, deren Augen fast herausploppten. „Wieso nicht?“ Die Blonde sah Nick herausfordernd von der Seite an. „Wenn ich dir damit etwas Arbeit abnehmen kann, dann gern. Außerdem will ich nicht immer nur am Rand stehen, wenn du weißt, was ich meine.“ „Geht das klar?“, fragte der Große an Melinda gewandt. Jene stöhnte. „Mir ist es egal, aber eigentlich wurde dein Typ verlangt. Naja, meinetwegen.“ „Hurra?“, wunderte sich Alexandra da grinsend an Nick und schlug in die Hände. „Na dann los.“ „Zuerst müssen wir zum Kontrollraum. Henry wartet dort auf uns.“ Dabei warf Melinda noch einen letzten, bösen Seitenblick auf Nicks Begleiterin, ehe sie sich wieder umdrehte und die Gruppe um eine Kurve führte.   ~-~-~   Als Anya am späten Nachmittag schließlich wieder Zuhause ankam, wurde sie bereits im Flur von Matt und Zanthe erwartet. Letzterer lehnte am Türrahmen zum Wohnzimmer. „Wir müssen reden“, meinte der Dämonenjäger sofort, nachdem das Mädchen die Tür hinter sich geschlossen hatte. Anya blickte bewusst weg. „Y-yeah, kann das noch kurz warten. I-ich will nur kurz hoch um-“ „Ist wichtig“, blieb Matt beharrlich. „Du glaubst nicht, wem ich vorhin auf dem Friedhof begegnet bin.“ „M-mir doch egal!“ Zanthe sah seine Freundin mit einem mehr als misstrauischen Blick an. „Was ist los mit dir? Du bist so knallrot, als hättest du stundenlang in kochendem Wasser gelegen.“ Ausgerechnet Matt, der sich sonst aus solchen Sachen raushielt, stellte sich nickend neben den Flohpelz und fasste sich am Kinn. „Stimmt, ist mir auch schon aufgefallen. Alles ok?“ „J-ja“, knirschte Anya ertappt mit den Zähnen. „Sie lügt“, wusste es der Werwolf aber besser und hielt ihr seinen Zeigefinger unter die Nase. „Ich habe genug Mädchen kennengelernt. Wer so sehr nach Hautkrebs aussieht, hat was zu verbergen. Und zwar entweder etwas äußerst Peinliches oder etwas unglaublich … Angenehmes.“ „Und wie wir Anya kennen, entspricht das eine dem anderen“, stimmte Matt mit ein. Anya hob wedelnd die Hände. „Ihr spinnt doch! Das war die Sonne!“ Zu allem Überfluss tauchte da Levrier in seiner durchsichtigen [Gem-Knight Pearl]-Form hinter ihr auf und hob belehrend den Zeigefinger.   Ich weiß natürlich, was vorgefallen ist. Aber sie zerreißt meine Karte, wenn ich es verrate.   „Oh ja“, presste Anya zwischen die Zähne hindurch. Matt und Zanthe warfen sich einen vielsagenden Blick zu, ehe sie sich wieder Anya widmeten und der Werwolf das Wort ergriff: „Was ist zwischen dir und Logan passiert?“ „Huh!?“ „Tu nicht so dumm.“ Zanthe grinste und hielt ihr seinen immer noch ausgestreckten Zeigefinger so nah unter den Riecher, dass sie versucht war, reinzubeißen. „Wenn dir etwas derart unangenehm ist, kann nur Logan involviert sein. Und da deine Körpertemperatur nicht mehr im messbaren Bereich liegt, ist da doch eindeutig was gelaufen.“ Er verzog seine Augen zu Schlitzen. „Ich frage dich: Was?“ „Eh-uh, hey, das ist doch-“ Matt rollte mit den Augen. „Als ob sie es freiwillig zugibt. Levrier, sprich, oder -ich- zerreiße deine Karte.“ Hochrot polterte Anya: „Summers, du elender Verräter!“   Logan Carter und Anya Bauer haben sich geküsst. Tut mir leid, Anya Bauer, er hat mich bedroht.   … kam es wie aus der Pistole geschossen. Nicht nur Anyas Gesicht fiel in diesem Moment ob der absolut nicht ernst gemeinten Entschuldigung der Tratschtante Levrier aus allen Fugen. Auch Zanthes Grinsen krachte förmlich in den Boden. „Was? Wirklich jetzt?“ „Ist doch schön“, meinte Matt ebenfalls deutlich verhaltener, „endlich ist das Eis gebrochen, oder?“ Wie in Zeitlupe drehte sich Anyas Kopf in bester Exorzist-Manier zu Levrier, auf den Lippen einen stillen Fluch aussprechend. Der zuckte mit den Schultern und verschwand einfach. „Und was ist dann passiert?“, fragte Matt vorsichtig. Um dann im selben Augenblick einer völlig hysterischen Anya gegenüber zu stehen, die mit den Händen so wild fuchtelte, dass er glatt ausweichen musste. „Fuck, dass ihr immer alles wissen müsst! Aber nur um das klarzustellen, -er- hat -mich- geküsst! Ja-ha! Er hat meine Lippen vergewaltigt! Ich wollte das nämlich nicht!“ „Uh-huh“, gab Matt trocken von sich. „Und was hast du getan um dich zu wehren?“ Prompt hingen Anyas Arme in der Luft. Sie sah Matt plötzlich wie ein kleines Kind an. „Ich bin weggelaufen?“ „Okay …?“ Der Dämonenjäger schlug sich die Hand gegen die Stirn. „Anya! Genau das sollte man eigentlich nicht tun, wenn man in jemanden-“ „Sprich-es-nicht-aus!“, knurrte sie mit unmenschlicher Stimme und presste ihr Gesicht auf seines, mit weit aufgerissenen Augen, in denen diabolisches Feuer zu brennen schien. Matt schrumpfte förmlich unter ihrer Präsenz zusammen. „Wahrscheinlich hat er mit nichts anderem gerechnet, er kennt sie ja inzwischen lang genug“, murmelte Zanthe leise und räusperte sich, „nun gut, eigentlich wollten wir ja-“ „Und was soll ich jetzt tun!?“ Schon hing sie mit beiden Händen an Zanthes Oberarmen, riss ihn förmlich über die Türschwelle. „Er denkt bestimmt, dass ich es gut fand! Aber das stimmt nicht! E-es war … es hätte …“ „Anya … beruhig' dich. Er wird schon die richtigen Schlüsse ziehen“, erwiderte ihr Freund desinteressiert und riss sich los. „Konzentrieren wir uns lieber aufs Wesentliche.“ Matt stellte sich mit schweißnasser Stirn neben das Mädchen. „Merkwürdig. Eben warst du noch vor Neugier nicht zu bremsen und jetzt kannst du es gar nicht erwarten, das Thema zu wechseln. Rieche ich da Eifersucht?“ „Sicher“, gab der Werwolf sarkastisch zurück, „wenn jemand vor seinem Lover wegrennt, kann ich auch nicht mehr helfen. Also, können wir jetzt -endlich- zum eigentlichen Thema kommen?“ Matt und Anya warfen sich noch einen verwunderten Blick zu, dann drehte sich die Blonde auch schon peinlich berührt ob ihres Levrier-induzierten-Outings weg. „Gehen wir in die Küche“, schlug Zanthe vor.   ~-~-~   Als Melinda, Nick und Alexandra den Kontrollraum betraten, wurden sie umgehend von Henry gegrüßt, der in einem weißen Anzug steckte. „Hallo alle miteinander“, strahlte er. Ein seltener Anblick, wie die Leute wussten, die ihn gut kannten. „Seid ihr bereit?“ Sofort mogelte sich die blonde Femme Fatale an seiner Schwester vorbei und salutierte vor dem brünetten, jungen Mann. „Bereit wie nie zuvor! Haha!“ Sie ließ den Arm sinken und kicherte ob des verdutzten Gesichts. „Sie nimmt meinen Platz ein“, erklärte Nick desinteressiert, „ich bleibe lieber hier oben und sehe zu, dass alles reibungslos läuft.“   Im Anschluss schlenderte er zu einer von zwei Konsolen, die direkt vor der massiven Fensterscheibe lagen und setzte sich dort nieder. Die andere war bereits durch eine weibliche Mitarbeiterin belegt, die emsig die Tasten klimpern ließ. Henry betrachtete Alexandra verwirrt. „Okay, also Sie wollen wirklich …?“ „Natürlich. Klingt doch spaßig. Auch wenn ich gar nicht weiß, worum es geht“, lachte sie und drehte sich zur Seite, „aber das Spielfeld ist riesig.“ „Wir nennen es Active Card Battle“, erklärte Henry mit zunehmender Begeisterung ob ihres Interesses und trat neben sie. „Sobald das Spiel beginnt, werden über 20.000 Hologramm-Emitter eine Karte erzeugen, wie sie echter kaum sein könnte. Flora, Wetter, irgendwann auch Fauna, so etwas gab es im Bereich des E-Sports noch nie.“ „Das glaube ich gern“, gluckste sie, „weil es sich keiner leisten kann. Allein diese Arena muss durch die Technologie Millionen verschlungen haben, nicht wahr?“ „Das stimmt. Aber mit Micron Electronics haben wir einen verlässlichen Partner, der diese Technik wesentlich günstiger herstellen kann als bisher üblich.“ Bei diesen Worten konnte sich Nick ein lautes Naserümpfen nicht verkneifen. Mit einem belustigten Lächeln sah Alexandra Henry an. Seine Augen strahlten förmlich. „Es soll auch eine mobile Variante geben, die dann über AR läuft, richtig?“ „Ja. Sie wird natürlich das Kerngeschäft bilden, wohingegen die Arenen-“ „-den Leuten das Geld aus den Taschen ziehen wird. Und trotzdem wird es nicht reichen, um die Kosten zu decken“, redete Nick von seinem Sitzplatz aus dazwischen. „Nicht in den ersten Jahren“, relativierte Henry, „aber je mehr das Spiel wächst, desto mehr werden wir auch durch die Arenen einnehmen, während das AR-Spiel von Tag 1 an Profit erwirtschaften wird.“ „Wenn du meinst.“ Nick verschränkte die Arme hinter dem Kopf, ohne sich dabei den beiden zuzuwenden. „Wie heißt es so schön? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“   Melinda, die die ganze Zeit über still hinter Henry und Alexandra gestanden hatte, klatschte schließlich in die Hände. „Wen interessiert, ab wann wir aus den roten Zahlen kommen? Das Spiel soll Spaß machen und das müssen wir jetzt herausfinden!“ „Meine Schwester hat Recht“, nickte Henry und drehte sich zu ihr. „Holst du sie?“ „Mh-hmm!“ Noch im Antworten wirbelte der Rotschopf herum und eilte zu einer metallischen Kiste, die neben einer hinunter führenden Treppe stand. Sie zückte ihre Mitarbeiterkarte und fuhr damit durch einen Scanner, sodass das Schloss sich öffnete und der Deckel automatisch hochklappte. Auf den Zehenspitzen stehend, konnte die Blonde einen Blick auf den Inhalt erhaschend. Was dort lag waren mehrere, fingerlose Handschuhe, fast schon so lang wie Stulpen, in die ein Display eingearbeitet war. Eines dieser Geräte nahm Melinda und drehte sich strahlend um. „Das ist der Master Glove. Den braucht man, um das Spiel zu spielen, egal ob AR oder stationär.“ Sie schritt auf Alexandra zu und reichte ihr das Ding mit dem wohl dämlichsten Namen, den man dafür hätte auswählen können. Ehrlich wie sie war, sagte sie beim Entgegennehmen: „Ich hoffe, die Bezeichnung ist nicht endgültig.“ „St-stimmt etwas damit nicht?“, fragte Henry irritiert. „Und jetzt weiß ich, wer sie sich ausgedacht hat“, kicherte die Blonde. „Sorry, aber der Name ist schrecklich.“ „Wirklich!?“ Seufzend nickte sie und war sich der Tatsache bewusst, dass sie den jungen Mann in ein waschechtes Dilemma gebracht zu haben schien. „W-wir werden uns nochmal zusammensetzen. Natürlich ist alles noch WiP, das ist doch ganz klar!“   „Ahahaha!“ Alexandra schob sich den Apparat um den rechten Arm. Von Gewicht und Größe ähnelte er einem D-Pad, jedoch war das Display kein Rechteck sondern ein Parallelogramm. Neben dem Bildschirm auf der rechten Seite befanden sich drei Knöpfe, der oberste war zum Aktivieren und Ausschalten. „Mach es an“, bat Henry freundlich. Die Blonde folgte dem, sodass das System hochfuhr. Das Logo der AFC wurde kurz eingeblendet, dann zeigte der Bildschirm bereits links einen hoch liegenden, blauen Balken, daneben bis zur Mitte ein leeres Feld. Anschließend folgte eine ebenfalls leere Minikarte sowieso ein nicht ausgefüllter, hellgrüner Balken im Hochformat. „Und was sehe ich hier? Ist das eine Umgebungskarte?“ Sie tippte auf das große Feld rechts. „Ja. Links daneben ist der Info-Screen, der wichtige Informationen wiedergibt. Der Balken links ist die Manaleiste, der rechts der Zieh-Timer. Aber das erkläre ich gleich noch.“ Neugierig wandte sich die junge Frau an Nick. „Und das habt ihr alles in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt?“ Henry räusperte sich verlegen. „Also das … natürlich stampft man nicht mal eben so ein derart komplexes Programm aus dem Boden. Daher ist alles nur behelfsmäßig. Fürs Erste.“ „Noch läuft alles, wie schon erwähnt, auf Basis der Solid Vision-Engine“, erklärte Nick dazu. „Ich habe ein paar Änderungen und Ergänzungen vorgenommen.“ „Leider musste auch ich irgendwann einsehen, dass es noch mindestens zwei Jahre dauern wird, bis das Spiel bereit für die Öffentlichkeit ist“, gestand Henry. Spitz warf Nick von seinem Platz aus ein: „Was man ihm am Tag gefühlt zehn Mal sagen musste.“ Der Brünette verdrehte die Augen. „Danke, Nick. Wenn alles soweit ist, läuft natürlich alles auf einer eigenen Software.“ Kichernd merkte Alexandra an: „Eure Notlösung verstößt gegen eine ganze Menge Gesetze, wenn ihr dafür keine Lizenz besitzt. Gefällt mir.“ „Wo kein Kläger, da kein Richter.“ Verlegen grinste der brünette, junge Mann und seine Schwester musste laut auflachen. Sich räuspernd, meinte er: „Gut, es ist wohl sinnlos so zu tun, als würde ich die Warterei noch länger aushalten können. Wie wär's mit einer kleinen Einführung in 'Chimera of God'?“ Alexandra verschränkte verschmitzt grinsend die Arme. „Ich warte schon die ganze Zeit.“   „Um es ganz einfach zu erklären: Chimera of God ist in vielen Dingen anders als Duel Monsters. Klar, es gibt Decks, Lebensenergie und Monster, aber in einem anderen Licht“, erklärte Henry, „das Ziel des Spiels ist dasselbe: Das Leben des Gegners auf 0 zu bringen. Der größte Unterschied zu Duel Monsters ist die Art, wie die Spieler miteinander interagieren.“ „Aha?“, machte die Blonde neugierig. Und verzog dann scheel das Gesicht. „Also ist es genau wie Duel Monsters.“ Henry erwiderte zerknirscht: „Nein. Während Duel Monsters-Spiele strikt in Züge eingeteilt sind, verläuft 'Chimera of God' in Echtzeit. Beide Spieler bewegen sich durch ein zufällig generiertes Areal. Keine zwei Spiele werden also je gleich sein.“ Nick murmelte aus dem Hintergrund. „Im AR-Spiel wird natürlich kein Feld erzeugt, sondern die Umgebung genutzt.“ „Verstehe. Und was mache ich so, während ich durch die Gegend renne?“, fragte seine Partnerin amüsiert. „Dich für den Kampf wappnen. Dazu benutzt man jedoch nicht wie bei Duel Monsters viele Monster, sondern genau eins: Die sogenannte Schimäre.“ Melinda gluckste: „Das ist der Oberbegriff. Tatsächlich kann man natürlich auch Drachen, Meereswesen und andere Untergruppen für sich kämpfen lassen.“ „Die Spieler bewegen sich innerhalb des Areals fort und suchen einen Platz für das Ausbrüten eines Eis ihrer Wahl. Sie können es in der Zeit auch durch Magie verbergen oder schützen und die sogenannten Mystery Spots absuchen, wo zufällig generierte Karten oder Mana auf sie warten.“ „Das klingt ganz nach meinem Geschmack“, grinste Alexandra und sah Nick an. „Willst du nicht doch mitmachen?“ Aber er schüttelte den Kopf. „Nein danke.“ Henry fuhr derweil fort. „Zu den Eiern: Je höher das Rating des Eis, desto länger braucht die Schimäre um zu schlüpfen. Danach kann der Spieler sie aufwerten durch die Karten in seinem Deck oder die er findet. Außerdem erlernt die Schimäre während des Kampfes eine oder mehrere Fähigkeiten. Sie wächst.“ Je mehr er erklärte, desto mehr begann er dabei zu strahlen. Alexandra nickte bei jeder seiner Ausführungen. Von der mehr und mehr kamen. Es schien ein sehr komplexes Spiel zu sein, aber genau das gefiel ihr. Zu schade eigentlich, dass Nick kein Interesse daran hatte. Sie sah zu ihm herüber, wie er gelangweilt die Füße auf der Konsole liegen hatte. Wenn man bedachte, wie wenig er in den letzten Tagen während ihrer Reise geschlafen hatte, kam ihm diese Pause bestimmt recht. Er konnte ihr nichts vormachen, er war erschöpft. Alexandra schloss die Augen. Was war er für sie? Ein Werkzeug, um im Leben voran zu kommen? Ohne es zu ahnen, konnte sie durch ihn vieles lernen und erfahren. Aber … war da noch mehr?   ~-~-~   Anya machte ein erstauntes Gesicht, als sie in der Küche bereits erwartet wurde. Während die blonde Claire regungslos am runden Holztisch in der Ecke des kleinen Raums saß, lehnte Valerie Redfield mit verschränkten Armen an der Spüle. Neben ihr Abby, die gerade ein paar Teller in den Wandschrank über ihr einräumte und sich dann hastig umdrehte. „Anya! Da bist du ja endlich!“ „Was geht denn hier ab?“, fragte die irritiert. „Kriegsrat, was sonst?“, meinte Zanthe, als wäre es das Natürlichste der Welt und zog an ihr vorbei. Matt tat es ihm gleich. „Wir müssen entscheiden, was wir jetzt tun.“ „Und komm gar erst nicht auf die Idee, mich davon ausschließen zu wollen“, fügte Valerie sofort an. Anya runzelte die Stirn. „'kay …?“   Zanthe stellte sich in die Mitte der Küche und atmete einmal tief durch. Dann sprach er nahezu feierlich: „Punkt eins auf unserer Agenda des Weltuntergangs: Anya! Wer sonst?“ „Es“, stammelte Abby plötzlich los, „es tut mir so leid …“ „Ich habe es ihr erklärt“, sorgte Valerie für den nötigen Kontext. Und das Mädchen im Mittelpunkt des Geschehens begriff. Abby wusste jetzt also, dass es zwei Anyas gab und die, die ihr gerade gegenüber stand, womöglich eine Fälschung war. „Verstehe“, murmelte sie daher leise. Anstatt ihre Ängste runterzuschlucken, sprach sie sie dieses Mal zu ihrer eigenen Überraschung direkt aus. „Summers, der Flohpelz … Roboburg … die kennen mich noch nicht lange. Und mit Redfield verstehe ich mich auch erst seit einer Weile ganz gut. Aber wir beide sind Freunde seit wir klein waren. Muss komisch sein, huh?“ „Anya …“ „Du weißt gar nicht, ob ich die bin, die du seit damals kennst“, sprach jene weiter und wandte den Kopf ab. „Und ich weiß es auch nicht.“ Abby nickte. „Ja …“ „Und? Willst du noch mit mir abhängen?“, brachte Anya es auf den Punkt und sah das brünette Mädchen im weißen Sommerkleid verunsichert an. Jene blickte betreten zu Boden. „Natürlich. Aber ich muss auch mit Kali sprechen. Ich hoffe, du verstehst das.“ „Yeah. Ich muss auch mit ihr sprechen.“ Matt machte da ein erstauntes: „Hm?“ Einmal tief durchatmend, sah Anya ihre Freunde – bis auf Claire – der Reihe nach an, ehe sie verkündete: „Ich muss sie zur Vernunft bringen. Wenn sie die echte Anya Bauer ist, dann hat sie ein Recht darauf, mich zu hassen.“ „Es ist nicht gesagt, dass ihre Story überhaupt stimmt“, gab Matt zu bedenken. „Ich glaube nicht, dass David mich angelogen hat“, warf Valerie ein, „aber es ist möglich, dass er durch den Sammler manipuliert wird. Es wäre weiß Gott nicht das erste Mal, dass der so etwas tut.“ „Alles, was geschehen ist, geht direkt oder indirekt auf seine Kappe“, fand auch Zanthe. „Ich werde mit Kali reden und einen Kompromiss finden, mit dem wir beide einverstanden sind“, sagte Anya entschlossen, „auf diesem Planeten ist genug Platz für uns beide. Wir können die Identität 'Anya Bauer' teilen. Sie darf Montags bis Freitags die Rolle spielen, ich am Wochenende.“ Valerie kicherte belustigt. „Oh, das sieht dir so ähnlich …“ „Das ist mein Ernst!“ Matt streckte seinen Arm aus und tätschelte Anyas Schulter. „Das war ein Kompliment. Wir helfen dir dabei.“ „Ja“, nickte Abby, die nun langsam ihr Lächeln wiederfand, „ich finde das auch gut. Wir werden ihr zeigen, dass sie nicht unerwünscht und alles ein fürchterliches Missverständnis ist.“ „Und Nick?“, fragte Valerie jedoch besorgt. „Wie wird er damit umgehen?“ „Damit wären wir bei Punkt zwei“, leitete Zanthe die Diskussion in die nächste Runde ein, „und wir sind uns hoffentlich alle einig, dass er davon nichts erfahren darf.“ Einvernehmliches Nicken. „Nick bewegt sich auf einem sehr gefährlichen Pfad“, sagte Matt, „ich weiß, was er getan hat. Dank Thoras' Verbindung zu [Evilswarm Ouroboros] konnte ich sehen, dass er nicht davor zurückschreckt, Gewalt einzusetzen, um seine Ziele zu erreichen.“ „Dad“, murmelte Anya leise, „warum hasst er ihn so …?“ „Ich weiß es nicht“, sagte der Dämonenjäger, „aber eins steht fest. Nick ist ein Psychopath und er scheint nur auf dich fixiert zu sein, Anya.“ „Y-yeah. Ich meine, er ist seit meiner Kindheit mein bester Freund, aber …“ Selbst sie konnte sich nicht erklären, woher dieser krasse Wandel kam. Erst diese Lüge, dass er all die Jahre nur die Rolle des Idioten gespielt hat, nun seine Besessenheit, sich Dämonenkräfte anzueignen. Und wofür? Um sie vor dem Sammler zu retten? Er hatte vor Kurzem versucht, ihren Vater zu töten, hatte Matt erzählt. Womöglich nicht zum ersten Mal, wenn sie an den Brand von vor einigen Jahren zurückdachte, der das alte Haus der Harpers heimgesucht hatte. Die darauf folgende Gerichtsverhandlung, die ihren Vater beinahe in den Knast gebracht hätte – war das alles Nicks Werk gewesen? Warum?   „Was Nick angeht, können wir nichts tun“, meinte Zanthe da und riss sie aus ihren Gedanken. „Er kann sich teleportieren. Ohne Hilfsmittel, wie es aussieht.“ „Und zerteilen können wir uns auch nicht.“ Valerie ließ die Arme sinken. „Wir haben genug Baustellen und Nick ist eine, die unsere ganze Aufmerksamkeit benötigt. Erst müssen wir herausfinden, was genau er vor hat und dann brauchen wir einen Plan, um ihn aufzuhalten. Aber das muss noch warten.“ Sie sah dabei Anya an. „Erst müssen wir dich wieder hinkriegen.“ „Die Undying arbeiten an einer Lösung“, erwiderte Anya, „ich werde 'nen neuen Körper bekommen und … ja, ich werd's tun, auf die Gefahr hin, dass es nicht klappt. Ne andere Wahl hab ich nicht.“   „Wo wir nun zum letzten Punkt unserer Tagesordnung angelangt wären“, schloss Zanthe dieses Thema ab, „die Undying. Matt, würdest du …?“ „Alles deutet darauf hin“, sprach jener mit erstickter Stimme, „dass Stoltz für das Verschwinden der Kinder, Alastairs und Alectors verantwortlich ist. Ich habe mich mit Thoras beraten und er meinte, dass er die Reste derselben Präsenz gespürt hat, als wir damals das erste Mal auf Stoltz trafen.“ Anya sah ihren Freund betroffen an. „Scheiße …“ „Außerdem bin ich vorhin dem Sammler auf dem Friedhof begegnet.“ Erstaunte Laute kamen von den anderen, während Matt weiter ausführte: „Er schien nicht wegen mir dort zu sein. Ums kurz zu machen: Auch er ist der Überzeugung, dass Stoltz alle getötet und außerdem das Grimoire gestohlen hat.“ Valerie schüttelte fassungslos den Kopf. Dann fragte sie leise: „Das Grimoire ist eine Sammlung von Informationen über das Übernatürliche, nicht wahr?“ „Richtig, es ist in dieser Form einzigartig“, bestätigte Matt. „Ich will wissen, warum Stoltz das getan hat. Deshalb werde ich ihn beschwören. Inzwischen hab ich den Dreh raus, auch ohne das Grimoire.“ Valerie schlug nachdenklich vor: „Dann sollten wir uns an Ricther wenden. Er-“ „Nein“, widersprachen Anya und Matt im Einklang. Sie sahen aneinander an, dann richtete sich Matt an das Mädchen. „Dein Vorschlag ist sicherlich vernünftig, aber das ist eine Sache zwischen mir und Stoltz. Wir können ja nicht mal sicher sein, dass Ricther überhaupt etwas unternimmt. Wenn Stoltz die Sache abstreitet, was dann? Wir wissen nicht wie Ricther reagiert, wenn es um seinesgleichen geht. Er könnte ebenso ein Feind sein.“ Valerie schüttelte den Kopf. „Und da spricht nicht nur das Verlangen nach Rache aus dir?“ Da fragte Abby besorgt: „Bist du dir sicher, Matt? Damit könntest du Anyas Rettung in Gefahr bringen.“ „Ist ok, Abby. Ich sehe das genauso wie er“, sagte die jedoch entschlossen und nickte Matt zu, was jener mit derselben Geste quittierte. „Und verdammter Kackmist, da ist eindeutig Rachlust im Spiel!“ Dabei dachte sie an den Moment zurück, als sie während des Riding Duels mit Claire von der Strecke in die Tiefe fiel. Wäre Ricther nicht aufgetaucht und hätte sie abgefangen, wäre sie vermutlich dabei gestorben. War er also ein Feind? Sie glaubte das nicht wirklich, wollte Matt aber nicht in den Rücken fallen.   „Also könnte es einen erneuten Kampf mit den Undying geben“, überlegte Zanthe laut. „Wir müssen uns auf einen Ort einigen, wo wir ihn beschwören.“ „Der Schrottplatz“, kam Abby da sofort eine passende Idee. „Da ist selten jemand.“ „Yeah“, nickte die Blonde und sah dabei Claire an, die sich wie üblich an nichts beteiligte, „wir können Roboburg als Opfer für den Beschwörungszauber anbieten.“ „Ha ha!“, maulte der Flohpelz. Dann verzog er grimmig das Gesicht. „Ich hoffe, ihr wisst noch, wie das letztes Mal ausgegangen ist. Einer von uns wird nicht reichen, um Stoltz zu besiegen. Selbst zu dritt hatten wir keine Chance.“ Da trat Valerie plötzlich vor, neben Zanthe. „Mag sein, aber wir haben dazu gelernt. Matt konnte Zed besiegen.“ „Mit deiner Hilfe“, sagte dieser verschmitzt. Auch Abby gesellte sich zu den beiden. „Ich komme auch mit. Vielleicht kann ich mit meinen Kräften irgendetwas erreichen – falls es zu einem Kampf kommt, den wir -selbstverständlich- nicht provozieren werden!“ „Träum' weiter, Masters“, rollte Anya mit den Augen. „Anya! Wir dürfen es uns nicht mit ihnen verscherzen!“ „Falls Ricther oder Zed intervenieren, werden wir ihnen alles erklären.“ Matt schluckte schwer. „Ich hoffe, sie sind gewillt, uns zuzuhören.“ Alle nickten.   Unvermittelt streckte er seine Hand nach vorne aus. „Dann ist es beschlossen. Holen wir uns den Dreckskerl!“ Anya war die erste, die ihre Hand auf die seine legte. „Yeah!“ Natürlich tat es Zanthe ihr gleich. „Einer muss wohl oder übel mitkommen, um zu verhindern, dass ihr euch blamiert.“ „Und jemand muss verhindern, dass ihr etwas Dummes anstellt.“ Schon lag Abbys Hand als vierte auf den anderen. „Wenn es um Kali geht, kann ich vielleicht helfen, sie zur Vernunft zu bringen. Ich kenne Anya schließlich auch seit dem Kindergarten“, sagte Valerie als Letzte und legte ihre Hand auf. Da machte Zanthe mit dem Kopf eine nach rechts winkende Bewegung. „Du auch, Claire.“ Jene stand zwar auf, tat jedoch nicht wie ihr geheißen. Tatsächlich sagte sie: „Ich kann nichts zu diesen Vorhaben beisteuern.“ „Du bist jetzt eine von uns, das ist alles, was zählt“, strahlte der Werwolf jedoch. Anya relativierte missmutig: „Was er damit sagen will ist: Du hast ein verdammtes D-Wheel, was wir uns notfalls ausleihen können. Also mach hinne, wir haben viel vor.“ Als Zanthe dem Mädchen mit dem blonden Bob und den langen, grünen Strähnen nochmals zunickte, legte auch sie die Hand auf. „Ist das kitschig“, knurrte Anya mit einem Lächeln auf den Gesicht. „Fuck.“   ~-~-~   „Soweit alles verstanden?“, fragte Henry erwartungsvoll, während er Alexandra zu einer Treppe begleitete, die herab führte. Jene lachte vergnügt. „Ich denke schon. Um ehrlich zu sein weiß ich nicht, ob ich das Spiel als einfach oder komplex betrachten soll.“ Der junge Ford-Spross gluckste seinerseits. „Ha ha! Für den Anfang darf es ruhig einfach sein, aber je mehr man spielt, desto tiefer wird das Verständnis für die kleinen, vielleicht ein wenig versteckten Mechaniken und Tricks.“ „Du schaffst das schon.“ Von Nick sah man nur eine Hand in die Höhe gestreckt und winken, er drehte sich nicht mal zu ihr um. Aber zumindest war das mal ein halbwegs positiver Kommentar seinerseits. Henry blieb am Rand der metallisch-grauen Treppe stehen, während die Blonde die Stufen hinab nahm. „Sobald du durch die Tür bist, warte dort auf das Signal. Wir müssen die Engine erst hochfahren, das dauert einen Moment.“ „Okay.“ Von dem Treppenhäuschen ging es einmal in einem Bogen herum weiter nach unten, mit der sie schließlich vor einer Schiebetür ankam, die sich von selbst öffnete. Alexandra betrat die dunkle, mit Metallplatten ausgelegte Halle und stellte zunächst fest, dass ihr Gegner noch gar nicht erschienen war. Zwar war der Ort riesig, aber sie konnte trotzdem bis ans andere Ende sehen. Sie befand sich mehr zur rechten Ecke der Halle gelegen und schräg gegenüber, in der anderen, war ebenfalls ein Überwachungsraum eine Etage höher angelegt, genau wie es hinter ihr der Fall war. „Wir starten jetzt das Programm“, hörte sie Henrys Stimme über einen Lautsprecher von der Decke „Hm. Na dann los“, sprach sie in das Headset, das sie zwischenzeitlich bekommen hatte. Schließlich sollte sie etwaige Fehler melden, wenn sie ihnen begegnete. Ein tiefes Dröhnen erklang. Nacheinander leuchteten die vier Projektoren an jeder einzelnen Metallplatte und formten mit breit gefächerten, hellblauen Strahlen ein regelrechtes Effektfeuerwerk. Plötzlich überzog sich der Boden mit Moos und Gras, Bäume wuchsen aus dem Nichts, Sträucher plotten auf, am Dach entstand das Bild eines grauen, wolkenverhangenen Himmels. Und innerhalb eines Moments zum anderen befand sich Alexandra in einem dichten Wald mit unglaublich hohen Tannen. Sie drehte sich um. An den Wänden wurde der Wald weiter simuliert, doch die Kulisse war ein wenig versetzt und die Schiebetür blieb so, wie sie war. „Alle Systeme laufen einwandfrei. Wie gefällt es dir?“, fragte jetzt Melinda über den Lautsprecher. „Ganz nett ist es hier.“ „Fass etwas an“, forderte Henry gespannt. „Okay?“ Alexandra ging zu einer der am nächsten gelegenen Tannen und legte die Hand darauf. Erschrocken zog sie sie zurück. „D-das ist-!“ Der Erfinder des Ganzen fragte: „Na?“ „Es fühlt sich wie richtige Rinde an. Wie habt ihr das gemacht!?“ „Ein paar Algorithmen hier, ein paar Milliarden Zeilen an Code da“, murmelte Nick gelangweilt und lachte kurz. „Wir können die Oberflächen von Gestein und Holz inzwischen perfekt simulieren. Aber bei den Kreaturen wird das noch dauern. Fell ist sehr komplex.“ „Wow“, hauchte Alexandra. Bei Duel Monsters waren Hologramme in der Regel nur das – Hologramme. Wieso bestimmte Wesen daraus reale Materie schaffen konnten, war für sie ein großes Rätsel. „Technik die Gottes Schöpfung nahe kommt? Langsam gefällt mir der Titel für euer Spiel.“ „Danke. Oh! Ich sehe gerade, dass die andere Partei das Feld betreten hat. Das heißt, wir können starten“, sagte Henry zufrieden. „Auf mein Signal! 3! 2! 1! Die Schlacht beginnt!“   [Alexandras Leben: 100 / Alexandras Mana: 100]   „Wirklich?“, murmelte die Blonde von dem Ausruf wenig beeindruckt und aktivierte den Apparat an ihrem Arm, der sofort reibungslos hochfuhr, ihre Lebens- und Manabalken lud und eine Umgebungskarte einblendete. Alexandra sah sich aufmerksam um. Hier und da hohe Tannen, deren Kronen den virtuellen Himmel beinahe komplett verdeckten. Der war so grau, als kündige sich bald Regen an. Sie richtete den Blick nach vorne. Ab und zu ein paar Büsche, viele getrocknete Nadeln auf dem Boden, aber nirgendwo etwas Auffälliges. „Hmm.“ Sie blickte wieder auf den Apparat an ihrem Arm. Der Timer war fast abgelaufen – und als er es war, verkündigte ein dreimaliges Klingeln, dass der Kampf nun auch vom System her offiziell begonnen hatte. Sofort zog sie sieben Karten von ihrem Deck und der rechte Timer begann herunterzulaufen. „Oh?“ Unter den vielen Sprüchen war auch ein Ei. „Mal sehen.“ Sie nahm es hervor und las es sich durch. „Größe M? Huh …“ Dazu hörte sie Henrys Erklärung im Kopf.   „Es gibt bei Eiern fünf Größen. S, M, L, XL und XXL. Die ersten drei kann man selbst ins eigene Deck packen, um schneller an eine Schimäre zu kommen. Aber die letzten beiden Größen findet man nur auf dem Spielfeld. Eure Schimären sind ebenfalls so eingeteilt und können nur aus einem Ei schlüpfen, das mindestens ihre Größe hat. Unnötig zu erwähnen, dass sich die Größe auch in der Stärke der Kreatur widerspiegelt.“   „Also könnte ich damit eines der Größe M-Monster schlüpfen lassen?“, überlegte sie laut, schüttelte dann aber den Kopf. Nein, denn diese waren wahrscheinlich relativ schwach und wenn sie etwas wollte, dann nur das Beste. Also entschied sie sich, erstmal nach einem anderen Ei Ausschau zu halten. Sie tippte auf ihre Karte, wo verschiedene interessante Punkte markiert waren. Alle mit einem kleinen, roten Kreuz. Sicher gab es einen Trick, herauszufinden wo sich was befand, aber die Sprüche in ihrer Hand konnten dies nicht bewirken. „Dann schauen wir mal“, murmelte sie und lief geradeaus los, wo sich auf vielleicht fünfzehn Metern gleich drei Markierungen nah beieinander befanden.   Zumindest war ihr Gegner noch lange nicht in Sicht, was jedoch nicht allzu verwunderlich war. Das Areal war groß genug, damit die Spieler sich nicht unmittelbar begegneten. Trotzdem sollte sie sich beeilen. Alexandra hatte sofort begriffen, dass das Brüten des Eis oberste Priorität hatte – selbst wenn man noch so viele Boni sammelte, ohne 'Bodyguard' war das Spiel im Handumdrehen vorbei. Fast wie ihre Beziehung zu Nick. Dieser Mann. Sie ahnte, was er vor hatte: Den Status Quo kippen. Wenn es nach ihr ging, konnte er tun was er wollte. Auch wenn er dabei umkommen würde, denn das hatten schon ganz andere vor ihm versucht. Sie musste nur den richtigen Zeitpunkt für den Absprung schaffen. Noch ahnte er nicht, dass all die Dämonen aus dieser Welt, deren Kräfte er sich angeeignet hatte, kein gutes Verhältnis zu der Schatzjägerin gehabt hatten. Um nicht zu sagen: Nicht wenige wollten ihren Tod. Die Blonde wusste, dass Nick sie jedoch nicht ewig brauchen würde. Noch war sein Wissen um die Dämonenwelt begrenzt, aber mit jeder Begegnung wuchs sie. Und er hatte noch eine andere Quelle, die mit großer Wahrscheinlichkeit besser – und gefährlicher – war als sie: Joel. Dem durfte man nicht trauen. Gefangen in einer verlassenen Stadt mitten in der Ödnis. Niemand wusste von ihm, was er war oder woher er kam. Ja, Alexandra musste den Zeitpunkt ihres Absprungs gut abwägen. Auch wenn Nick ihr zugetan war, ging er mit denjenigen, die nicht mehr nützlich für sie waren, nicht gerade pflegsam um. Und sie wusste viel. Zu viel.   Sie verdrängte die Gedanken, als sie die Stelle mit den 'Schätzen' erreicht hatte. Sofort nahm sie ein rotes Leuchten in einem der umstehenden Büsche wahr. Gerade als sie darauf zu ging, piepte ihre Wannabe-Duel Disk. Sie sah auf das Display und bemerkte, dass der Zieh-Timer abgelaufen war. Also zog sie eine neue Karte und der Timer startete aufs neue. „[Feuerball]?“, las sie den Namen des Spruchs vor. Gut, dachte sie dabei. Den konnte man beliebig oft verwenden, sofern man die Cooldown-Time und die Manakosten außen vor ließ. Damit konnte sie allem schaden, was Leben hatte – 10 Punkte für 20 Mana. Man startete als Spieler bei beidem mit 100. Also konnte sie jede 30 Sekunden 10 Schaden zufügen, aber das reichte nicht aus, um ihren Gegner zu besiegen. „Schadensbonus auf Eier?“, las sie weiter. „Interessant.“ Der Schaden verdoppelte sich also, wenn man ein Ei angriff. Wenn man also das des Gegners fand und genug Zeit und Ressourcen besaß, konnte man ihn effektiv aus dem Hinterhalt überraschen. Gefiel ihr. Aber genug der Theorie.   Sie schritt wieder auf den Busch zu und schob ein paar Sträucher auseinander. Dort lag ein gelbes, recht voluminöses Ei mit roten Punkten darauf. Sie berührte es mit den Fingerspitzen, wodurch ein Bildschirm mit den Daten aufgerufen wurde. Anders als bei den Bäumen war die Oberfläche hier nur glatt, ohne Besonderheiten, vermutlich weil sie noch nicht entwickelt worden war.   Versteckes Ei Größe: L Spezies: Alle Leben: 150 Brutdauer: 180 Sekunden   „Huh?“, machte sie überrascht. „Nur so klein?“ Eigentlich hatte sie mehr erwartet, aber das war dann wohl Pech. Sie ließ die Sträucher los, sodass das Ei wieder im Busch verschwand. „Nein danke.“ Sie wollte etwas Großes, etwas, das man nicht auf normale Weise bekam. Kurz überlegte sie, ob sie es mit dem [Tarnung]-Spruch in ihrem Blatt verstecken sollte. Aber wenn ihr Gegner es auf dem Radar gesehen hatte und es plötzlich verschwand, wurde er vielleicht auf sie aufmerksam. Noch dazu konnte sie den Spruch nur einmal wirken und das war ganz sicher einer, den man sich aufheben wollte.   Entsprechend mit ausreichend Elan wirbelte sie herum. Hier gab es noch mehr zu entdecken. Auf der Karte waren drei Punkte markiert, einer davon direkt geradeaus. Da stand eine hohe Tanne. Also lief sie auf diese zu und umrundete sie einmal, konnte jedoch keinerlei Hinweise auf einen Schatz finden. Bis sie auf die Idee kam, den Stamm zu berühren. Sofort wurde auf ihrem Display die Meldung „Bonus Mana +20“ angezeigt.   [Alexandras Leben: 100 / Alexandras Mana: 100 → 120]   „Oh? Verstehe“, lächelte sie verschmitzt. Manche Gegenstände verliehen einem durchs Berühren mehr Mana. Gut zu wissen. Dann drehte sie sich leicht nach rechts, wo ein großer Felsbrocken lag. Der letzte Punkt der umliegenden Markierungen. Hoffentlich versteckte auch er ein Ei, ein großes! Aber schon beim sich nähern bemerkte sie, dass dort eine Karte am Boden lag. Bückte sich und las sie auf. Eine Körperteil-Karte, [Gehörnte Schwingen]. „Wer's findet, dem gehört's“, sagte sie und steckte die zu den anderen Karten. Stöhnend fuhr sie sich über die Stirn, schob die blonde Mähne über den Kopf. Jetzt hatte sie ein paar Gimmicks, aber noch immer kein adäquates Ei. In dem Moment hörte sie aus der Ferne einen Knall. Was war das? Hatte ihr Gegner etwa irgendwas angestellt? Aber sie würde ganz sicher nicht nachsehen gehen, so unvorbereitet, wie sie war. Sie könnte jetzt immer noch das Ei hinter sich benutzen – aber als Schatzjägerin hatte sie ihren Stolz. „Weiter geht’s!“   ~-~-~   Der Sammler wartete mitten in einem der mit rotem Teppich ausgelegten Gänge seines neuen Anwesens. Die Begegnung mit Matthew Summers war unterhaltsam. Sein Gesicht, als er die Antwort auf die Frage nach den Carringtons bekam, einfach unbezahlbar. Weil er wusste, dass sie aufrichtig war. Wie auch immer … Jeden Moment würde der maskierte Dämon erscheinen, das wusste er. Überhaupt, fand er die Wahl dieses Erscheinungsbildes sehr interessant, besonders wenn man die Person dahinter kannte. Er hatte nie nach den Hintergründen nachgefragt, aber er glaubte sie trotzdem zu kennen.   So bewahrheitete sich seine Einschätzung jäh und vor ihm öffnete sich ein schwarzes, ovales Portal, aus dem der Dämon trat. Wie schon seit vielen Jahren verbarg er sein Gesicht hinter einer weißen, japanischen Dämonenmaske. Das Wesen steckte dazu in einem schwarzen Kimono mit roten Lotusblumen darauf, eine schwarze Hose und trug ein langes Katana mit sich. Seidig hing schwarzes, langes Haar fast bis zum Boden, doch dieses gehörte nicht dem Dämon, sondern war tatsächlich Teil der Maske. Zu seiner vollsten Zufriedenheit schulterte der maskierte Dämon einen riesigen Hammer mit sich. Die beiden metallischen Hammerenden waren durch einen goldenen Ring zusätzlich stabilisiert. „Bravo“, sprach der Sammler und klatschte in die Hände, „und ohne einen Kratzer. Ich meine natürlich dich, nicht Mjöllnir.“ „Es war gut bewacht“, erwiderte der Dämon mit einer unglaublich verzerrten Stimme, die die Bestimmung eines Geschlechts für Unwissende unmöglich machte. „Natürlich.“ Der Rotschopf streckte die linke Hand zur Seite aus. Im schmucklosen Gang erschien an der Wand eine Tür, die sich von alleine öffnete. Unvermittelt nahm der Dämon den Hammer in beide Hände und warf ihn dem elegant in einen Anzug gekleideten Sammler zu, welcher diesen mühelos auffing. „Hey! Etwas vorsichtiger, bitte! Wir wollen doch keine Naturkatastrophe auslösen!“ Sein Tadeln untermalte er mit einem neckischen Lachen. Dann drehte er sich der Tür zu und trug die schwere Zweihandwaffe in eine kleine Kammer.   An den Wänden befanden sich Halterungen. Auf zwei Haken an der Wand direkt gegenüber hing ein riesiger, goldener Rundschild, darunter ein wuchtiger Speer. An der linken Wand war ein massiver, goldener Bogen befestigt. Drei Reihen von Aufstellern befanden sich in diesem Raum, in zwei der Halterungen steckten Großschwerter, eines in regelmäßigen Intervallen blau, das andere rot aufleuchtend. In die letzte der drei steckte er schließlich den Hammer mit dem Kopf nach oben. Automatisch schlossen sich die zu großen Metallringe um ihn und hielten ihn fest. „Hach, es ist schön, die Sammlung wachsen zu sehen“, gluckste der Sammler dabei und drehte sich zu dem Dämon um. „Das war gute Arbeit. David brauchte eine halbe Ewigkeit, um die vier zu beschaffen, die wir vor deinem Engagement hatten. Nun sind wir schon bei sechs. Aber es fehlen noch einige, befürchte ich. Wir brauchen alle.“ „Ich werde mich sofort auf die Suche nach der nächsten Waffe begeben“, erwiderte der maskierte Dämon tonlos. Nickend trat der Sammler näher. „Das ist sehr gut. Ich bin froh, dass du dich daran erinnert hast, was du mir vor Jahrzehnten einmal gesagt hast.“ Sein Gegenüber erwiderte nichts darauf. „Schon gut“, winkte der Sammler ab und sah über seine Schulter, „aber ich frage mich, wer diese Wunderwerke geschmiedet hat. Sind es wirklich die legendären Waffen aus den Mythen?“ Er wandte sich an den Dämon. „Das würde ich fragen, wenn ich nicht längst wüsste, dass sie älter sind als diese Welt an sich.“ „Dann stammen sie aus-“ „Exakt. Wie sind sie also hierher gekommen?“ Der Sammler legte seine Hand ans Kinn. „Und wer hat sie versiegelt? Wurden sie in dieser Welt eingesetzt, bevor sie versiegelt worden sind oder sind all die Legenden um sie ganz unabhängig davon entstanden? Fragen über Fragen.“ Er sah auf das Katana am Waffengurt seines Partners. „Aber dich brauche ich nicht um Rat bitten. Du benennst eine traditionelle, japanische Waffe nach dem Weltuntergang der nordischen Mythologie. Sieht dir ähnlich.“ „Das ist lange her.“ „Willst du mir damit ausdrücken, dass das eine 'Phase' war?“ Der Sammler lachte und zur Abwechslung klang es aufrichtig, echt. Aber nur einen Augenblick später verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck. „Wie dem auch sei, würde ich dem Namen deiner Waffe gerne gerecht werden.“   ~-~-~   Alexandra rannte durch den Wald, versuchte aber dabei stets hinter Bäumen oder Steinen verborgen zu bleiben. Unterwegs hatte sie jeden interessanten Punkt auf ihrer Karte abgegrast, fand unter anderem eine nette, aber nutzlose Heilquelle, eine weitere Körperteil-Karte und lauter Eier, die nicht ihren Ansprüchen entsprachen. Und sie wusste, dass ihr die Zeit im Nacken lag. Langsam musste sie sich etwas einfallen lassen. Wenn sie noch mehr Zeit verstreichen ließ, würde sie einem komplett gestärkten Gegner gegenüber stehen. Jetzt brauchte sie auch nicht mehr damit anfangen, eines der schwachen Eier aus ihrem Blatt auszubrüten.   Passend dazu piepte der Draw Timer wieder einmal. Alexandra war aufgefallen, dass die Intervalle immer länger wurden – trotzdem hatte sie schon über ein Dutzend Karten angesammelt. Sie blieb hinter einem Baum stehen und warf einen Blick auf die Karte. In ein paar Metern entfernt lag ein weiterer Mystery Spot. Sie sah am Baum vorbei. Dort befand sich ein großer Felsbrocken, dahinter der Punkt.   Sie eilte herüber und umrundete den Stein. Und traute ihren Augen kaum. Mit weit geöffnetem Mund näherte sich Alexandra dem Ei, das von dem Felsen an der Hinterseite gut getarnt war. Es war fast so groß wie ein Kleinkind. Die bläuliche Schale funkelte, als wären winzige Edelsteine darin eingelassen. „Ich würde sagen: Jackpot!“, strahlte die Blonde im Trenchcoat, als sie an ihrem Ziel angekommen war. „Mal schauen, was du so zu bieten hast.“ Sie berührte die raue Oberfläche, sodass über dem Ei die Informationstafel aufploppte.   Seltenes Drachen-Ei Größe: XXL Spezies: Drachen, Urzeit, Echsen Leben: 250 Brutdauer: 300 Sekunden   Das war genau das, was sie wollte. Aber dann stach ihr die Beschränkung auf drei Schimären-Gattungen ins Auge. Natürlich. Große Macht kam nie ohne Nachteil. Sie nahm ihr Kreaturendeck aus dem Apparat und sah die fünf Karten an, die man ihr zur Verfügung gestellt hatte. Waldbestie, Amphibie, Vogel, Phantom – und Echse! Sie fackelte gar nicht lange, nahm die Karte und führte sie – wie Henry ihr es erklärt hatte – in das Ei. Welches daraufhin kurz in grellem Blau zu strahlen begann. Dann zählte über ihm der Countdown runter, die Anzeige verschwand und wurde auf die Infoseite ihres Apparats übertragen. „Tja, wie schütze ich dich jetzt bloß so lange?“, überlegte sie leise. Der Tarn-Spruch. Aber Moment! Ihn zu wirken kostete 50 Mana, das hatte sie. Aber er hielt nur 200 Sekunden, das Ei brauchte aber 300 zum Schlüpfen. Wenn sie den Spruch sofort anwendete würde es wieder sichtbar werden, noch bevor ihre kleine Echse geschlüpft war. Nein. Sie würde noch einen Moment warten. Alexandra drehte sich um und behielt ihre Umgebung im Blick. Ihre Angespanntheit hatte schließlich ihre Gründe.   Es waren nur Schritte, die sie gehört hatte. Sie befand sich hinter einem Baum, als sie sie hörte. Und nicht nur ein paar Füße, nein, mehrere – ihr Gegner hatte seine Schimäre schon erweckt. Sofort presste sie sich an den Stamm, um nicht gesehen zu werden. Er befand sich auf der anderen Seite, wartete scheinbar, als hätte er etwas bemerkt. Doch dann schritt er nach links davon. Innerlich atmete sie auf, bei einer Konfrontation hätte sie keine Chance gehabt. Aber es war auch spannend, das musste sie zugeben. Sie umrundete den Baum, um einen Blick auf ihren Gegenspieler zu erhaschen, doch der war bereits im Gebüsch verschwunden.   Es war verdammt knapp gewesen und sie hatte es nicht gewagt, die beiden heimlich zu verfolgen. Zu groß war die Gefahr, dabei entdeckt zu werden. Ein Profi musste wissen, wann er seine Neugierde zu unterdrücken hatte. Sie schritt herüber zu einem der umstehenden Bäume und drückte sich mit dem Rücken an diesen, das Ei vor sich in seiner Einbuchtung im Blick. Kaum war der Timer unter 200, streckte sie die Hand aus. Flüsterte: [Tarnung]. Tatsächlich löste sich das Ei umgehend auf und verschwand ebenso vom Radar. Alexandra schob die Einmal-Wirk-Karte in den Ablagestapel.   [Alexandras Leben: 100 / Alexandras Mana: 120 → 70]   Kaum war das Ei verschwunden, atmete Alexandra auf. Jetzt hieß es warten. Als sie hinter sich Schritte im Gras hörte, wurde ihr jedoch bewusst, dass es damit schwierig werden könnte. Versteckt hinter dem Baum, hielt sie die Luft an. „Ich weiß wo du bist. Komm raus“, forderte ihr Gegenspieler. Ein Mann, dessen Stimme sie schon einmal gehört hatte. Sie musste handeln, er durfte sich nicht an ihrem gerade erst gefundenen Ei vergehen. Die junge Frau schnappte sich den [Teleport]-Zauber aus ihrer Hand und zeigte ihn in Richtung des Eis. „Los, verschwinde!“   [Alexandras Leben: 100 / Alexandras Mana: 70 → 30]   Sofort löste sich das ein in einer hellblauen Lichtsäule auf. Ganz langsam trat sie aus ihrem Versteck hervor und stand dem brünetten Aiden Reid gegenüber, seinerseits CEO von Micron Electronics. Der Partnerfirma der AFC für dieses Projekt. Aiden hatte ein feines Gesicht, das durch seinen Dreitagebart eine verwegene Note bekam. Nichtsdestotrotz trat er selbst für dieses kleine Gefecht in einem anthrazitfarbenem Anzug auf. „Miss … Russo, korrekt?“, fragte er ein wenig erstaunt, als er sie sah. „Ich sollte nicht weiter überrascht sein, jemand anderes als Nick vor mir zu haben.“ „Er hatte keine Lust.“ Er lächelte. „Nehmen Sie es nicht persönlich. Um ehrlich zu sein ist es sogar eine gute Gelegenheit, sich besser kennenzulernen, ohne sein wachsames Auge.“ Der Blonden entging dabei nicht das gefährliche Funkeln in seinen Augen.   Abgelenkt wurde sie dann aber von der Kreatur, die sich an seine Seite stellte. Ein wunderschöner Hirsch, dessen Geweih von bunten Blumen geschmückt war. Im krassen Kontrast dazu stand sein Schweif, pechschwarz. Er zischte, war es tatsächlich eine Schlange. „Oh?“, machte Reid und sah seinen Begleiter an, der in etwa so groß war wie er. „Das ist [Csodaszarvas] – ein Waldbewohner. Dank ihm konnte ich Sie aufspüren.“ „Ist das so?“, erwiderte Alexandra belustigt. „Sicher hat Mr. Ford Ihnen zu den einzigartigen Fähigkeiten der Schimären etwas gesagt.“ „Ja. Einmal, zweimal … sie müssen auswachsen, dann erlernen sie ihre Gabe.“ Sie verschränkte die Arme. „Aber ich schätze, Sie wollen sich nicht wirklich über das Spiel mit mir unterhalten.“   Seine Mundwinkel zuckten kurz. „Sie haben mich durchschaut. Kommen wir also gleich zum Punkt. Welche Rolle spielen Sie in alldem hier?“ Hörte sie da eine gewisse Eifersucht heraus, fragte sich Alexandra insgeheim. „Ich bin eine Freundin von Nick.“ „Sparen sie sich das“, fuhr er da aber plötzlich scharf dazwischen. Sein ganzer Ton wandelte sich, wurde bedrohlich und aggressiv. „Nick hat sich in den letzten Wochen verändert. Ich könnte ihnen von den zahlreichen Duellen erzählen, die er bestritten hat, seitdem er Sie kennt. Oder davon, dass viele seiner Gegner seitdem verschwunden sind. Aber das wissen Sie sicherlich.“ Innerlich zuckte Alexandra zusammen. Woher wusste er davon? Überwachte er Nick etwa heimlich? Natürlich. Von dem, was ihr über Aiden Reid erzählt worden war, passte das nur zu gut zu ihm. „Ich fürchte, ich weiß nicht, wovon Sie reden. Nick ist oft alleine unterwegs. Fragen Sie ihn.“ Was selbstverständlich gelogen war und das wusste er auch. Aus den Augenwinkeln sah Alexandra auf den Apparat an ihrem Arm. Die Karte zeigte Richtung Nordosten ein golden leuchtendes Eier-Symbol an, vermutlich ihres. „Ich frage Sie“, blieb Aiden bei seinem harschen Tonfall, „denn was ich mit eigenen Augen gesehen habe, lässt mich so einiges hinterfragen.“ „Was haben Sie denn gesehen, Mr. Reid?“ „Nichts, was Sie im Zweifelsfall etwas angeht. Nick nannte es einen Scherz. Einen sehr geschmacklosen. Sagen wir, das Fenster in seinem Büro ist noch nicht repariert.“ Aiden trat einen Schritt näher. „Und dass ich ihm seine Panik und die Lüge genau angesehen habe. Was immer in dieser Nacht geschehen ist, ich finde es heraus.“ „Dabei soll ich helfen, nehme ich an?“   Alexandra kannte die Geschichte von Nicks Begegnung mit dem Sammler in seinem Büro, welche mit einer verkappten Version des Prager Fenstersturzes endete. Nur lag auf dem Bürgersteig am Ende nicht der Sammler, sondern Reids persönliche Assistentin. Als Reid in Nicks Büro gestürzt kam und sie dort unten sah, sind die Fetzen geflogen. Besonders als die Leiche, nachdem beide nach unten geeilt waren, plötzlich verschwunden war. Nick hatte es Reid gegenüber als Streich bezeichnet, aber auch er wusste in Wirklichkeit nicht, was mit der Leiche geschehen war. Vermutlich war es nur eine Illusion des Sammlers gewesen, doch die PA von Reid war seitdem verschwunden. „Sie und helfen?“ Aiden lächelte Alexandra plötzlich freundlich an. „Sie sind das Gift, das ihn überhaupt erst verdorben hat.“ Schnippisch erwiderte die Blonde: „Danke.“ „Ich werde schon aus Ihnen herausbekommen, was hier gespielt wird. Kostprobe gefällig?“ Er schwang den Arm aus. „[Csodaszarvas], regulärer Angriff. Ramme sie!“ Fast hätte sie vergessen, dass dieses Ding auch noch da war. Der Hirsch mit dem mit Blumen geschmückten Geweih rannte auf sie zu. Aufgrund der unmittelbaren Nähe zu ihr konnte Alexandra nicht rechtzeitig ausweichen und wurde von seinem Geweih in den Magen getroffen. Regelrecht aufgebuckelt, rannte er mit ihr weiter und schmetterte sie gegen einen Baum. Der Schmerz war immens, sie rutschte hinab und landete auf den Knien, während das Ungeheuer langsam rückwärts von ihr weg schritt.   [Alexandras Leben: 100 → 80 / Alexandras Mana: 30]   „Bei voller Stärke fügt sein Standard-Angriff 20 Punkte Schaden zu“, erklärte Aiden. „Und es dauert auch nicht lange, ehe er ihn erneut einsetzen kann. Also sagen Sie mir: Was treibt Nick wirklich?“ Alexandra hielt sich keuchend den Magen. Echter Schaden! Anscheinend hatte dieser Irre mit den Hologramm-Emittern Schindluder getrieben. Ob er ursprünglich geplant hatte, Nick zu verhören? Egal, sie musste irgendwie aus dieser Nummer herauskommen. Aber ihr Ei war noch nicht geschlüpft und ohnehin weit weg. Unter normalen Umständen würde sie es niemals rechtzeitig erreichen. Allerdings war sie schon aus schlimmeren Situationen entkommen und hatte dank einer Gegenstands-Karte in ihrem Blatt bereits eine Idee, wie sie Zeit gewinnen konnte. Langsam erhob sie sich. „Hat Ihnen niemand gesagt, dass man Frauen nicht schlägt?“ „Ich habe Sie nicht geschlagen“, erwiderte er charmant und deutete auf den Hirsch mit den Schlangenschweif. „Das war er.“ „Männer …“ „Frauen. Los, nochmal!“, befahl Aiden eiskalt seinem Wunderhirsch den nächsten Angriff. Wieder stürmte er auf Alexandra zu, doch diesmal wich sie mit einer Seitwärtsrolle im letzten Moment aus. Kaum hatte sich die Welt zu drehen aufgehört, stellte sie überrascht fest, dass ihr kein Schaden zugefügt worden war. Man konnte Angriffen entgehen. Sehr gut! „Zu dumm, der [Schlangenschweif] hat auch noch was zu sagen“, lachte Aiden. In dem Moment spie ebendieses hässliche Körperteil seines Hirsches einen grünen Strahl, der Alexandra an der Schulter traf. „Ah!“, schrie sie auf, war dort doch plötzlich eine blutige Schramme.   [Alexandras Leben: 80 → 70 / Alexandras Mana: 30]   „Das ist einer der Effekte des [Schlangenschweifs]. Wenn das Ziel seines Trägers ausweicht, greift er mit 10 Punkten Giftschaden an.“ Aiden seufzte gespielt. „Eigentlich ist Gift ja die Waffe der Frauen.“ „Ungehobelter Klotz“, klagte sie grimmig und erhob sich mit Blick auf ihre blutende Schulter. „So wird nie jemand mit dir ausgehen. Tch! Ich benutze meine Gegenstands-Karte [Rauchbombe]! Keine Erklärung nötig!“ In ihrer Hand materialisierte sich eine schwarze Kugel, umwickelt von braunen Lederstreifen, die sie prompt zwischen sich und den Hirsch warf. Kaum schlug sie auf, explodierte sie und ließ eine gewaltige Rauchwolke frei, die sich rasend schnell verbreitete. „Hey!“, rief Aiden verärgert, aber schon längst konnten sie einander nicht mehr sehen. Alexandra begann zu rennen. Dabei sah sie auf ihren Arm und folgte der Karte. Gut, dass Gegenstände wie Bäume innerhalb der Rauchwolke rechtzeitig sichtbar wurden. Nicht, dass sie noch unfreiwillig zur Baumknutscherin wurde. „Verfolg' sie!“, befahl Aiden seinem Monster, doch dann hörte sie ihn aus der Ferne fluchen. „Verdammt, deine Sinne sind beeinträchtigt. Aber ich weiß, wo sie hin will. Los!“ Elender Mistkerl, fluchte die Blonde, während sie sich beim Rennen die Wunde hielt. Sie trat aus der Rauchwolke aus und peilte zunächst ein stark von Büschen bewachsenes Areal direkt vor ihr an, zwängte sich hindurch, kaum dass sie es erreicht hatte. Bis zu ihrem Ei waren es nur noch wenige Meter und es dürfte auch jeden Moment schlüpfen! „Da!“, hörte sie Aiden jedoch aus einigen Metern Entfernung. „Ich sehe Sie, Alexandra! Wegrennen ist zwecklos!“ „Ach ja!?“, brüllte sie über die Schulter zurück und setzte sich wieder in Bewegung. „Bisher bin ich damit gut durchs Leben gekommen.“ Warum sollte sich das wegen diesem Schnösel ändern? Nachdem sie die Büsche und Sträucher hinter sich gelassen hatte, erreichte sie eine große Lichtung. Und direkt in deren Mitte befand sich das riesige blau-funkelnde Ei, das bereits deutliche Risse aufwies. Nach und nach platzte die Schale ab. „Endlich“, flüsterte sie und steuerte darauf zu. „In der Tat“, hörte sie Aiden hinter sich sagen. Die junge Frau wirbelte um und lächelte kess. „Ich fürchte, ich habe mir noch einen Trick aufgehoben. [Kraftfeld]!“ Sie zückte die Karte und binnen eines Herzschlags zog sich um sie und ihr Ei eine hellrote Energiekuppel.   [Alexandras Leben: 70 / Alexandras Mana: 30 → 0]   Aiden, der den letzten Strauch beiseite schob, lachte leise. „[Kraftfeld] ist ein Zauber mit variabler Wirkung. Je mehr Mana der Benutzer für die Verwendung opfert, desto länger sperrt es sämtliche Attacken und Eindringlinge aus.“ „30 Mana, 60 Sekunden“, grinste die Blonde ihn frech an, während hinter ihr aus dem Ei goldene Strahlen stießen, „das reicht aus, um mich noch kurz vorzubereiten.“ „Ihre Kreatur ist trotzdem frisch geschlüpft. Sie wird nicht lange genug leben, um ihr volles Potential zu erreichen.“ Der brünette CEO verzog keine Miene.   In diesem Moment zerbrach das Ei vollständig und ein schriller, leiser Schrei drang hinter Alexandra hervor. Jene drehte sich um und sah auf dem Boden eine goldene Schlange mit rot leuchtenden Augen. Sofort rief sie ihre Daten auf.   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 300 / Primärangriff: 10]   „Hmm.“ Sie blickte über die Schulter und tippte dann auf ein Informations-Icon, das ihr die Werte von Aidens Monster verraten sollte.   Csodaszarvas [Drei Sterne / Leben: 200 / Primärangriff: 20 / Sekundärangriff: 10]   Jetzt war es an der Zeit, die Körperteil-Karten auszuspielen. „[Legendäres Horn]“, rief Alexandra aus und sofort wuchs aus der Stirn ihrer Schlange ein gewundenes Horn, das ganz aus Silber zu bestehen schien. „Damit wird der Primärangriff erhöht.“   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 300 / Primärangriff: 10 → 15]   Derweil flackerte das Kraftfeld um sie herum bereits auf. „Beeilen Sie sich“, riet Aiden, „gleich geht es in die entscheidende Phase.“ „[Feuerfänge]! Damit werden beim Primärangriff zusätzlich 5 Punkte Feuerschaden zugefügt.“ Sie drehte sich um. „Genau das Richtige für Waldbewohner wie den Wunderhirsch.“ Während die Reißzähne ihrer langsam wachsenden Schlange in Flammen aufgingen, umkreiste sie diese und stellte sich hinter sie.   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 300 / Primärangriff: 15 + 5]   Das Kraftfeld löste sich langsam auf. Die beiden Kontrahenten sahen einander tief in die Augen, beide fest entschlossen, den anderen zu vernichten. Kaum war die Barriere fort, rief Aiden aus: „Angriff auf [Serpentarius-G]!“ „Nicht so schnell! Meine letzten Körperteil-Karte“, ging Alexandra sofort dazwischen, während der Hirsch bereits seine Attacke startete, „[Gehörnte Schwingen]! Damit ist meine Schimäre gegen Bodenangriffe immun!“ Gerade noch rechtzeitig wuchsen ihrer Schlange direkt hinter dem Kopf zwei braune, ledrige Flügel, die mit langen Hörnen bespickt waren. Sie stieg sofort auf, während [Csodaszarvas] unter ihr und an Alexandra vorbei stürmte. Doch Aiden lachte auf. „Tut mir leid, aber haben Sie schon vergessen, dass meine Kreatur über einen Sekundärangriff verfügt? Dieser kann auch gegen fliegende Ziele eingesetzt werden.“ Gemeint war der Schlangenschweif, der sich zur fliegenden Goldschlange umdrehte und grünes Gift verschoss – das das Ziel am linken Flügel traf.   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 300 → 290 / Primärangriff: 15 + 5]   „Gegenangriff!“, befahl die Blonde sofort. Im Sturmflug schoss ihr [Serpentarius-G] auf den Hirsch mit Blumengeweih zu und biss ihm in den Nacken. „Heh! Feuerschaden gegen Waldbewohner wird verdoppelt.“ Als die Schlange von ihrem Opfer abließ, blieben dort Brandspuren zurück.   Csodaszarvas [Drei Sterne / Leben: 200 → 175 / Primärangriff: 20 / Sekundärangriff: 10]   Gerade als Alexandra einen Spruch ablassen wollte, wurde sie unvermittelt an der Schulter getroffen und umgeworfen. Sie landete stöhnend auf der Seite. „W-was!?“   [Alexandras Leben: 70 → 60 / Alexandras Mana: 0]   Aiden stand mit ausgestreckter Handfläche dort und lächelte. „Sie sollten nicht vergessen, dass auch wenn Schimären dazu verpflichtet sind, erst ihresgleichen anzugreifen, dies nicht für die menschlichen Spieler gilt.“ Er zeigte ihr einen Zauber mit der anderen Hand vor, der ihr wohlbekannt war: [Feuerball].   [Aidens Leben: 100 / Aidens Mana: 80 → 60]   Derweil ging der Schlagabtausch der Schimären in die nächste Runde. Da der Hirsch sein Ziel nicht selbst erreichen konnte, spuckte gleich sein Schlangenschweif Gift auf die fliegende Schlange, die inzwischen gut zwei Meter lang war.   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 290 → 270 / Primärangriff: 15 + 5]   „Ah!? Doppelt so viel Schaden?“ „Nicht gewusst?“, fragte Aiden die verblüffte Alexandra. „Gift 'stackt', wie man in Fachkreisen so schön sagt. Bei konsekutiven Angriffen wird er jede Runde verdoppelt.“ Da stürmte sich das Monster der Blonden wieder herab auf den Hirsch, der diesmal versuchte auszuweichen. Jedoch gelang es dem [Serpentarius-G], kurz vor Aufschlag auf dem Boden dicht über diesen Hinweg zu fegen und mit seinem Schweif auszuholen, welcher dem Hirsch gegen das Geweih peitschte.   Csodaszarvas [Drei Sterne / Leben: 175 → 155 / Primärangriff: 20 / Sekundärangriff: 10]   „Da der Angriff nicht mit den [Feuerfängen] erfolgte, wird der Feuer-Schaden nicht-! Was!? Wieso so viel!?“ Alexandra erhob sich. „Tja, mein Monster hat wohl gerade seine zweite Evolutionsstufe erreicht. Rechtzeitig vor der Schadensberechnung.“ Tatsächlich war das goldene Ungetüm wesentlich größer und länger als zuvor.   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 270 / Primärangriff: 20 + 5]   „Das könnte ein vielversprechender Kampf werden“, lachte Aiden amüsiert und streckte die Hand aus, vor deren Fläche sich ein [Feuerball] sammelte. Alexandra kräuselte die Stirn. „Na großartig …“   ~-~-~   Zur selben Zeit herrschte im Kontrollraum große Aufruhr. Henry stand dicht vor der Fensterscheibe, war amit dem Rücken zu seinem Team gewandt. „Wieso laufen die Kameras immer noch nicht!? Ich will wissen, was dort passiert, verdammt!“ „Ist doch wieder typisch“, murmelte Melinda, die mit einer Assistentin an der Konsole zur Linken vor dem Fenster zugange war, „gerade dann, wenn es spannend wird.“ Nick, der immer noch vor der rechten saß und dort seine Beine abgeladen hatte, beobachtete alles aus einem Auge. Arme Narren, dachten sie doch, ein einfacher technischer Defekt wäre dafür verantwortlich. Dem großen, zerzausten Mann war sofort klar, dass hier kein Zufall am Werk war. Aiden hatte alles bereits im Voraus geplant, so viel war klar. Vermutlich hatte er sogar mit einberechnet, dass vielleicht nicht er – Nick – an diesem Spiel teilnehmen würde, sondern möglicherweise Alexandra. Die Gelegenheit, sie ein wenig auszuquetschen, denn selbstverständlich war sein ehemaliger Geliebter versessen darauf, ein paar Informationen über sein Tun zu bekommen. Nick lachte innerlich auf. An Alexandra würde er sich die Zähne ausbeißen. „Wie läuft das Spiel?“, fragte Henry derweil hektisch. „Funktioniert alles?“ „Die Schimären kämpfen jetzt schon eine Weile. Ich denke, sie sind bald fertig“, sagte Melinda und sah von der Konsole zu Nick herüber. „Wärst du so nett und hilfst uns, den Fehler zu finden?“ „Wenn die Kameras kaputt sind, kann ich von hier nicht viel machen. Selbst schuld, wenn man ausgerechnet an sowas spart“, kam eine schnippische Antwort zurück. Der Rotschopf schnaufte sauer. „Du, Alexandra und Aiden … ihr macht mich fertig!“ „Danke.“ „Können wir wenigstens den Ton wieder hinbekommen?“, wollte Henry aufgeregt wissen. Woraufhin seine Schwester fauchte: „Und du auch!“   Was keiner der anderen Anwesenden wusste war, dass Nick sehr wohl alles mitverfolgen konnte. Aus gleich zwei verschiedenen Perspektiven, die ihm die beiden Raben Snuggly und Sparkly ermöglichten, durch deren Augen er alles mit ansah.   ~-~-~   Mit ausgestreckter Hand feuerte Aiden einen weiteren Feuerball in Alexandras Richtung ab. Diesmal nicht, schwor diese sich und setzte zu einem Radschlag rückwärts an. Genau zwischen ihren Beinen schoss die Flamme hindurch und verfehlte sie dabei. In der Drehung bemerkte Alexandra einen von Nicks Raben, der auf einem Ast am anderen Ende der Lichtung hockte und sie beobachtete. Dieser Mistkerl.   [Alexandras Leben: 40 / Alexandras Mana: 0]   [Aidens Leben: 100 / Aidens Mana: 20 → 0]   „Dir ist wohl endlich das Mana ausgegangen, was?“, feixte die Blonde und sah zu ihrer rechten, wo im Gebüsch etwa drei Meter hinter ihr etwas funkelte. Ein Mystery Spot! Doch sofort musste sie sich wieder auf Aiden konzentrieren, der eine Karte zückte. „Bedaure, aber jeder gute Abenteurer hat einen [Mana-Trank] dabei. Damit heile ich mein Mana voll auf!“ In seiner Hand manifestierte sich eine gläserne Flasche, in der ein blaues Gebräu vor sich hinblubberte. Alexandra stöhnte genervt, zückte hinter ihrem Rücken eine Karte. „Wohl bekomms“, gluckste Aiden und zerbrach die Flasche in seiner Hand. „Jep!“ Erschrocken keuchte der brünette CEO im feinen Anzug auf. Um ihn bildete sich violetter Nebel, der selbstständig in seine Nase hinein wollte. „Zu dumm, dass ich eine Reaktionskarte namens [Vergiftungsfluch] parat hatte. Der heilende Effekt eines Zaubers oder eines Gegenstands wird in 20 Punkte Giftschaden umgewandelt! Keine Feuerbälle mehr für dich!“   [Aidens Leben: 100 → 80 / Aidens Mana: 0]   „Nicht schlecht. Aber das ist nur der Tropfen auf dem heißen Stein.“ In dem Moment krachte es laut. [Serpentarius-G] schlug lautstark auf den Boden auf, die Flügel unterhalb seines Kopfes zersetzten sich.   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 40 / Primärangriff: 20 + 5]   „Wussten Sie es etwa nicht?“, fragte Aiden beim Anblick der entgeisterten Blonden. „Zusätzliche Körperteile können auch wieder zerstört werden.“ Er betrachtete die am Boden liegende, goldene Riesenschlange. „Während Sie abgelenkt waren, hat meine Schimäre ihr Gift auf die Flügel konzentriert und sie zersetzt. Was bedeutet …“ Mit großer Selbstgefälligkeit streckte er die Hand zu seinem Hirsch aus. „… das er wieder ein Ziel für die regulären Angriffe meines [Csodaszarvas] ist. Los!“ Sofort nahm jener Anlauf und rammte [Serpentarius-G] so fest, dass die Schlage trotz ihrer Masse erzitterte und zurückgeworfen wurde. Schlapp blieb sie am Boden liegen. Alexandra wich zurück. „Ugh …“   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 40 → 20 / Primärangriff: 20 + 5] Sie fluchte innerlich. Die Feuerbälle waren also nur ein Ablenkungsmanöver gewesen, eigentlich hatte er es die ganze Zeit auf ihre Schimäre abgesehen. Gar nicht so dumm. Er kannte das Spiel besser als sie und machte sich dies zu Nutze. Nervös sah sich die Schatzjägerin um, aber die Lichtung bot keinen Anhaltspunkt, wie sie aus dieser Lage noch entkommen sollte. Hinter ihr standen ein paar Bäume und Büsche, aber selbst wenn sie fliehen konnte, wie sollte es ohne Schimäre weitergehen? „Und? Haben Sie sich entschieden?“, fragte Aiden da provokativ.   Statt ihm zu antworten, sah Alexandra lieber auf die Minikarte. Sie betrachtete noch einmal das Symbol des Mystery Spots direkt hinter sich, zur Rechten. Sie drehte sich erneut um, entdeckte trotz der Markierung jedoch nichts. Bis es ihr beim Anblick des Baums dämmerte. Sie blickte den Stamm entlang nach oben zu einem Ast, der sich horizontal erstreckte. Etwa in der Mitte des Asts befand sich eine Einbuchtung, in der eine Karte steckte. Vielleicht konnte sie sie erreichen.   „Ich kämpfe natürlich“, gab sie ihm zwinkernd zu verstehen, wirbelte herum und rannte auf den Baum zu. Der Ast lag mindestens zweieinhalb Meter hoch, aber wenn sie sich vom Stamm abfederte, konnte es klappen. „Nanu?“ Aiden derweil blickte auch auf seinen Apparat und entdeckte den Spot. „Verstehe. Daraus wird nichts.“ Er streckte die Hand aus. „Los, ziele auf sie!“ „Ich dachte, Schimären dürfen nur untereinander kämpfen?“, fragte die junge Frau entsetzt im Rennen. Aiden räusperte sich. „Tja, das gilt nur für die Schimären selbst. Körperteile, die selbstständig agieren können, sind davon ausgenommen.“ Der Schlangenschweif seines [Csodaszarvas] hob sein Haupt, drehte es Richtung Alexandra und feuerte einen grünen Strahl ab. Jene drehte sich noch um, wurde aber bereits mitten im Rücken getroffen und nach vorne geschleudert. „Gift stackt“, lachte Aiden.   [Alexandras Leben: 40 → 20 / Alexandras Mana: 0]   Anstatt aber nachzugeben, spornten der Schmerz und die drohende Niederlage Alexandra noch mehr an, ihre letzte Hoffnung in diese Karte zu legen. Sie nutze das entstandene Momentum des Treffers, um im Rennen zu beschleunigen. Wie geplant, sprang sie mit dem rechten Fuß gegen den Baum, federte sich ab und vollführte in der Luft eine Drehung. Mit ausgestreckter Hand versuchte sie die Karte im Ast zu erreichen – und scheiterte um ein paar Zentimeter. Mit Schwung landete sie vor dem Baum und stolperte beinahe. „Beeindruckend“, lobte Aiden sie lächelnd, „ich muss wirklich sagen, dass sie den Gedanken von 'Chimera of God' verinnerlicht haben. Flexibel zu sein, das Beste aus den gegebenen Umständen zu machen. Aber es hat nicht gereicht.“ Dabei ertönte ein leises Kreischen hinter der Blonden, doch die biss sich auf die Lippe. „Elender-!“ „Letzte Chance, Alexandra“, bot Aiden wohlwollend an, „ich will Ihnen nicht wehtun, wenn ich nicht muss. Aber Nick … Ich habe meine Gründe, so vorzugehen, glauben Sie mir.“ „Heh, ganz gewiss.“   Trotz ihrer aufkeimenden Panik bemerkte Alexandra, dass etwas neben ihr auf dem Boden landete. Dabei entging ihr jedoch die Krähe, die über ihr einen Bogen machte, in einer Baumkrone verschwand und welche diejenige war, die das Objekt hatte fallen lassen. „Die Karte …?“, wunderte sich die Blonde leise und las sie auf. „Das ist-!“ Sie blickte auf und sah Aiden, wie er den Kampf zwischen den beiden Kreaturen beobachtete. Er sagte abgelenkt: „Der nächste Treffer bedeutet den Tod Ihrer Schimäre. Vielleicht sind Sie dann gewillt zu kooperieren.“ Er drehte sich zu ihr um. „Bitte … ich muss wissen, was Nick vor hat! Er ist ein Meister der Selbstzerstörung!“ Alexandra brach daraufhin in schallendes Gelächter aus, denn die Ironie seiner Worte war kaum zu begreifen. Sie trat einen Schritt zurück und hielt sich den Bauch. „Ahahaha …“ Anstatt sie zu hinterfragen, blieb Aiden still. „Ich denke, was Sie sagen trifft den Nagel auf den Kopf, Reid.“ Sie zeigte die Karte vor. „Vielleicht passe ich deshalb so gut zu ihm? Zauberspruch: [Selbstzerstörungsmagie]!“ Plötzlich drang aus allen Poren ihrer geschwächten Kreatur gleißendes Licht. „Diese Karte benötigt kein Mana“, erklärte die Blonde und trat noch einen Schritt zurück, „nein, sie kostet das Leben meiner Schimäre.“ Aiden gab einen erstaunten Laut von sich. „Ja, Sie hören richtig! [Serpentarius-G] opfert sich. Und er fügt in einem Radius von fünf Metern allen anderen Anwesenden 60 Punkte Schaden zu!“ Kaum waren die Worte gesprochen, stieß die Schlange einen schrillen Schrei aus. Das Licht zog sich in ihrem Körper zusammen, welcher sich anschließend aufblähte und in einer gewaltigen Explosion verging. Jene drehte sich in einer flammenden Schockwelle aus und riss sowohl den Hirsch, als auch Aiden mit sich.   Csodaszarvas [Drei Sterne / Leben: 50 → 0 / Primärangriff: 20 / Sekundärangriff: 10] Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 20 → 0 / Primärangriff: 20 + 5]   Während seine Schimäre zu Asche verbannt und vom Wind davon geweht wurde, landete Aiden hart auf der Seite und stöhnte auf. Aber er blieb nicht lange liegen und erhob sich. „Damit hätte ich nicht gerechnet“, sprach er mehr zu sich selbst als zu Alexandra.   [Aidens Leben: 80 → 20 / Aidens Mana: 0]   „Nun, jetzt sind wir beide wieder ohne Schimären.“ Er breitete die Arme weit aus. „Das heißt, wir könnten jetzt neue schlüpfen lassen. Oder wir kürzen die Sache ab.“ Die Blonde grinste frech. „Ich bin für Letzteres.“ „Also kann ich davon ausgehen, dass Sie endlich kooperieren?“ „Sie bekommen, was Ihnen zusteht, Reid.“ Jener wunderte sich sichtlich über die merkwürdige Wortwahl, als bereits deutlich wurde, was sie wirklich meinte. Von der Seite erwischte ihn ein regelrechter Peitschenhieb und der Mann wurde torkelnd zurückgeworfen.   [Aidens Leben: 20 → 10 / Aidens Mana: 0]   Mit großem Entsetzen stellte er fest, dass vor ihm eine goldene Schlange auf dem Boden lag. „[Serpentarius-G] hatte gerade noch seine dritte Evolutionsstufe erreicht. Schlangen häuten sich, wie Sie wissen“, erklärte Alexandra triumphierend. „Wenn er stirbt, kehrt er nur einmal in seiner ersten Form zurück, allerdings nur mit 10 Lebenspunkten und unfähig, über die zweite Stufe hinaus zu wachsen. Aber das reicht mir.“   Serpentarius-G [Fünf Sterne / Leben: 10 / Primärangriff: 10]   Aiden sah von der Schlange zu Alexandra, die sich ihre Seite hielt. Dann lachte er auf. „Sie sind wirklich immer für eine Überraschung gut.“ Die Frau zuckte mit den Schultern. „Ich hatte Glück.“ Oder vielleicht etwas Hilfe von draußen? „Bevor dieses Spiel endet habe ich einen guten Rat für sie, Reid.“ Sie verzog grimmig das Gesicht, schwang den Arm aus. „Halten Sie sich aus Nicks Angelegenheiten raus. Es ist zu Ihrem eigenen Wohl.“ Der Mann schnaubte. „Los, [Serpentarius-G]. Beende diese Schlacht für mich!“ Jener stieß sich vom Boden ab und drehte sich wie ein Rad in der Luft. Während er auf Aiden zu flog, holte er mit seinem Schweif aus. Mit geweiteten Augen sah er ihn auf sich zukommen. Doch im letzten Moment setzte er ein überlegenes Schmunzeln auf. Einen Moment später war [Serpentarius-G] verschwunden. Alles war verschwunden. Er und Alexandra standen inmitten einer riesigen, leeren Halle.   Als Alexandra begriff, was geschehen war, knirschte sie mit den Zähnen. Ihr Widersacher lächelte überschwänglich und sagte: „Anscheinend ein Bug. Wie ärgerlich. Natürlich akzeptiere ich meine Niederlage.“ „Elender Feigling“, zischte die Blonde bloß. „Ich denke, wir setzen unser Gespräch an anderer Stelle fort“, sagte er abgelenkt und richtete sich nach vorn aus. Alexandra folgte seiner Bewegung und drehte sich um. Wie ein Sommergewitter kam Henry mit Melinda und einem trägen Nick im Schlepptau angezischt und kaum war er bei den beiden angekommen, fragte er aufgeregt: „Wie war es?“ Bevor er überhaupt irgendjemanden antworten ließ, tobte er schon: „Die Übertragung hat nicht funktioniert, nicht mal der Ton! Am liebsten wäre ich selbst runter-!“ „Bist du verletzt?“, fragte Melinda dazwischen an Alexandra gewandt. „Oh“, machte die und betrachtete die Wunde an ihrem Oberarm, „ja, das war ein Unfall.“ Sie blickte dabei scharf zu Aiden. „Ein Bug, wenn man so will, aber alles ist gut. Mr. Reid ist zum Glück nichts passiert.“ Henrys Augen ploppten fast aus den Höhlen, als er sich zu Nick umdrehte. „Mein Spiel hat das angerichtet!? Ein Bug!?“ „Den Schuh muss ich mir wohl anziehen“, meinte der Größte unter ihnen jedoch in einem gleichgültigen Tonfall. „Ich kümmere mich darum, dass das nicht nochmal passiert.“ „Es ist doch nichts Schlimmes passiert“, versuchte Alexandra den Ford-Spross zu beruhigen. „Nur ein Kratzer. Aber die Bäume, sie haben sich total echt angefühlt.“ „Wie gesagt, ich kümmere mich darum“, versprach Nick träge und wurde dabei von Henry böse angefunkelt. „Und -das- besprechen wir noch ausführlich.“ Henry drehte sich zu Melinda und Aiden um, atmete tief durch. Da schien schon ein flüchtiges Lächeln durch. „Ich traue mich kaum nochmal zu fragen, aber … wie war's?“ „Unterhaltsam“, gluckste der CEO von Micron Electronics, „die Interaktionen sind trotz dieses frühen Stadiums schon sehr gelungen. Nicht wahr, Miss Russo?“ „Das kann ich bestätigen“, lächelte diese und strich sich mit dem Zeigefinger unter ihren Kinn entlang. „Ich habe beim Spielen gemerkt, wie viele verschiedene Herangehensweisen es gibt. Am Balancing müsste noch etwas getüftelt werden, aber ja, man kann sagen …“ Sie sah Aiden herausfordernd an. „… es hat Spaß gemacht.“ „Sie hat mir keine Chance gelassen. Vielleicht sollten wir es später einmal probieren? Wenn die groben Fehler behoben sind versteht sich.“ Gemeint war Nick, welcher aber abwinkte. „Nein danke.“ Die beiden tauschten einen intensiven Blick aus, der besonders von der Seite des großen Hackers äußerst feindselig war. Was Melinda nicht entging, die leise seufzte. „Also, dann erzählt mal. Wie habt ihr gespielt?“, wollte Henry jedoch längst aufgeregt wissen.   ~-~-~   Kurz darauf konnten sich Nick und Alexandra von den Fords und Aiden lösen. Nachdem die Blonde die ganze Zeit über Haltung bewahrt hatte, hielt sie es letztlich nicht mehr aus und kippte zur Seite gegen die metallische Wand des Gangs. Dabei hielt sie sich die noch immer schmerzende Wunde am Bauch. „Ugh …“ „Worüber wolltest du sprechen?“, fragte Nick völlig unberührt von ihrem Zustand. Sie sah ihn aus den Augenwinkeln verschwörerisch an. „Dein blutdurstiger Exfreund hätte mich da unten beinahe massakriert. Er kommt dir langsam auf die Schliche und damit meine ich nicht, dass du ein Arsch bist, sondern -warum- du ein Arsch bist. Ugh.“ „Wie ich von Anfang an vermutet habe“, überlegte Nick laut und stellte eine Frage, deren Antwort er natürlich schon kannte, „hast du ihm etwas gesagt?“ „Natürlich nicht! Und was heißt hier 'Wie ich vermutet habe'?“ Sie richtete sich langsam und zornig funkelnd auf. Nick sah sie an und doch war es, als wäre sein Blick weit entfernt. In der Zukunft. „Dass er mich mit 'Monochrome' überwacht. Dieses Programm hat sich inzwischen fest in das System von Duel Monsters eingenistet. Egal wie oft ich die Duel Disk oder meine Duellanten-ID wechseln würde, er würde mich finden. Noch.“ „Er hat Fragen gestellt. Wieso du dich gegen so viele Leute duelliert hast. Und noch viel wichtiger: Was da damals passiert ist in jener Nacht.“ „Die Leiche, die verschwunden ist?“ Nick lachte auf. „Es gab vermutlich nie eine. Das war nur ein Trick des Sammlers, um mich zu warnen.“ Alexandra fuhr sich durch das blonde, leicht zerzauste Haar und verschränkte die Arme voreinander. „Sei vorsichtig, Nick. Dieser Typ ist brandgefährlich.“ „Ich habe keine Angst mehr vor ihm. Wenn er sich einmischen sollte, lasse ich ihn verschwinden.“ Die Kälte, mit der er das sagte, ließ die hübsche Schatzjägerin erschaudern. Und damit ging er einfach weiter, ließ Alexandra hinter sich zurück. „Du wirst wirklich immer mehr zum Dämon“, flüsterte sie fassungslos, wie sie ihn von dannen ziehen sah. Aber sie musste ihm folgen. Und das tat sie, als sie sich langsam in Bewegung setzte.     Turn 108 – Punishment Am nächsten Tag setzen Anya, Matt, Zanthe und Abby ihr Vorhaben in die Tat um und beschwören Stoltz auf dem Livingtoner Schrottplatz. Doch anstatt ihnen die gewünschten Antworten zu geben, spielt er mit Matts Gefühlen. Während die Lage zu eskalieren droht, bemerkt Zanthe, dass sich ein unerwünschter Gast nähert und schickt Abby als Ablenkung vor … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)