Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 117: Turn 108 - Punishment ---------------------------------- Turn 108 – Punishment     Velvet sah sich neugierig in der großen Aula der Cloverfield Duel Akademy um. Unlängst war die gesamte Schülerschaft hierher berufen worden, um sich eine Ankündigung der Direktorin, Mrs. Vinewood anzuhören. Zahlreiche Reihen von Stühlen waren hier auf zwei Seiten aufgestellt, getrennt durch einen Gang in der Mitte. Es gab keinen Platz, der nicht besetzt war. Am Ende des Saals standen sogar viele Schüler. Links konnte man durch große Fenster in den Innenhof blicken, rechts dagegen auf die Straße. Der Raum war trotz seiner weißen Wände irgendwie dunkel, vielleicht wegen der rostbraunen Vorhänge. Auf der leicht angehobenen Bühne stand die Direktorin, ihre grauen Haare waren zu einem strengen Dutt zusammengebunden. Hinter dicken Brillengläsern schien es, als hätte sie jeden Schüler fest im Blick. Vor einem Rednerpult philosophierte sie von den talentierten Duellanten, die die Duellakademie bisher hervorgebracht hatte. „Ja, bla bla bla“, maulte Tatjana neben Velvet, während sie ganz ungehemmt in ein Brötchen biss, „komm schum intereschamten Teil!“ Isaac hinter ihr verpasste dem pummeligen Mädchen eine Kopfnuss. „Essen ist hier verboten.“ „Hey!“ „Haltet die Füße still“, wies Patrice neben Isaac seine Freunde belustigt an, „ihr wollt doch nicht, dass die Hexe auf uns aufmerksam wird.“ Fabio stimmt ihm zu. „Yo! Seit der Sache mit Velvet hat die's auf uns abgesehen!“ „Hat sie gar nicht“, widersprach der blonde Musterschüler jedoch genervt, „eure schlechten Noten sind allein eure eigene Schuld.“ „Mrs. Vinewood, hier ist jemand, der Ihren Arsch küssen-“, schnarrte Tatjana lautstark, aber bevor sie zu Ende reden konnte, bekam sie eine weitere Kopfnuss von Isaac. „Au! Na warte!“ Prompt drehte sie sich um und beugte sich über ihre Stuhllehne, um zurückzuschlagen. In all dem Gezanke und Gezeter wollte Velvet am liebsten im Boden versinken. Orion auf ihrem Schoß hingegen schien sich köstlich zu amüsieren, so wie er lachte und Tatjana anfeuerte. „Aber natürlich habe ich Sie alle nicht hierher gebeten, um in der Vergangenheit zu schwelgen“, sprach die Direktorin, während hinter ihr auf einer weißen Tafel das Logo der AFC eingeblendet wurde. „Wie sich sicher längst herumgesprochen hat, war kürzlich niemand Geringeres als Mr. Benjamin Hendrik Ford hier zu Besuch.“ Sofort verstummte Velvets Gruppe vor Schreck, denn jeder von ihnen konnte sich noch genau an die Anschuldigungen Henrys und Velvets Duell gegen ihn erinnern. Tatjana sank zurück auf ihren Platz und legte die Hand auf die Schulter ihrer erstarrten Freundin. Velvets Gedanken rasten. Was wollte Mrs. Vinewood damit sagen? Würde sie sie jetzt doch der Schule verweisen, vor der ganzen Schülerschaft!? „Ich habe Sie – die nächste Generation angehender Profiduellanten – heute hier versammelt, um die Duelist Ascension Days anzukündigen. Dabei handelt es sich um ein dreitägiges Turnier, bei dem ein Vertreter dieser Schule ermittelt wird, um gegen einen Champion der AFC anzutreten.“ Hinter Mrs. Vinewood erschien der Schriftzug des besagten Turniers. Und Velvet atmete tief durch. „Also hatte sein Besuch noch einen anderen Hintergrund“, überlegte Patrice laut, „klingt ja ganz lustig.“ „Jeder Student dieser Akademie kann teilnehmen“, erklärte Mrs. Vinewood derweil mit ausgestreckten Armen, „egal welchen Jahrgangs. Und Sie werden überrascht sein zu hören, dass wir mit den Duelist Ascension Days bereits im Anschluss an diese Ankündigung beginnen werden.“ In entsprechenden Stichpunkten wurden die genannten Fakten auf dem Bildschirm präsentiert. „Nu!? Gleich jetzt!?“, staunte Fabio verblüfft. „Sonst lassen sie sich mit sowas doch immer Ewigkeiten Zeit!“ Isaac gab ihm Recht. „Das ist in der Tat merkwürdig.“ „Leider musste die Ankündigung aufgrund terminlicher Differenzen des AFC-Champions warten, weshalb ich diese kurzfristige Planänderung entschuldigen möchte“, erklärte Mrs. Vinewood weiter und sah plötzlich zu Velvet herüber, „aber auch unter Druck müssen die Duellanten dieser Akademie in der Lage sein, das Beste aus sich und ihrem Duell herauszuholen.“ Sie räusperte sich und ließ von Velvet ab, die empört zu ihren Freunden sagte: „S-sie hat mich dabei angeschaut! Als ob sie mir sagen will, dass ich mich unter Druck nicht duellieren kann!“ „Tja, uhm“, stammelte Patrice verlegen. „Also, naja“, war auch Tatjana um eine Antwort verlegen. Und Velvet hielt erschrocken die Hände vor den Mund. „O-oh! Sie hat Recht, oder!? I-ich meine, ich weiß ja, dass ich manchmal etwas panisch bin, a-aber-!“ Derweil führte die Direktorin ihre Erklärung zum Turnier fort. „Ab 10:00 Uhr müssen Sie alle bis zum Unterrichtsschluss um 16:00 Uhr alle zwei Stunden ein Duell bestreiten, andernfalls werden Sie disqualifiziert. Es wird via Single Elimination gespielt, wer sein Duell verliert, scheidet aus dem Turnier aus. Der letzte verbliebene Duellant ist der Champion unserer Schule.“   Während die ergraute Frau damit fortfuhr zu erklären, dass die Ergebnisse des Turniers relevant für die Profiliga-Bewertung waren, ließ Velvet den Kopf hängen. „Vielleicht sollte ich gar nicht erst teilnehmen“, seufzte sie. „Herzchen, -dann- bist du hier sowieso falsch“, belehrte Tatjana sie streng und rollte mit den Augen, als ihre Freundin nur noch schwerer seufzte. „Wie einfühlsam“, zischte Isaac bitterböse. Er beugte sich von hinten über Velvets Schulter. „Denk an unseren Traum. Du bist eine gute Duellantin, die einfach selbstbewusster werden muss.“ „Das sehe ich genauso!“, stimmte Patrice ihm zu. Auch Fabio nickte. „Yo! Wir suchen dir einfach schwache Gegner-“ „Fabio!“, zischte Tatjana und schüttelte den Kopf. „Nein!“ Da drehte sich Orion auf dem Schoß des Mädchens zu ihr um. „Velvet-chan, lass dich nicht beirren. Du bist stark! Viel stärker als du denkst! Du konntest mich besiegen!“ „M-meinst du? Aber nur, weil ich … du weißt schon was …“ Isaac nickte plötzlich. „Ja. Aber das ist ein Teil von dir. Einer, den du beherrschen willst. Nutze dieses Turnier doch, um deine Gabe zu schärfen.“ „D-das geht nicht! W-was, wenn irgendetwas Komisches passiert? U-und überhaupt glaube ich kaum, dass ich das in normalen Duellen-!“ Da sprang Tatjana wütend von ihrem Platz auf. „Jetzt ist aber Schluss! Nimm dein Deck in die Hand, geh raus in die Welt und streng dich verdammt nochmal an! Wie willst du jemals wachsen, wenn du bei jeder kleinen Hürde gleich kneifen willst!?“ „Äh, Tatjana?“, versuchte Patrice vorsichtig ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. „Du bist so viel besser als du glaubst“, wurde die Deutsche einfühlsamer, „erinnere dich nur an die ganzen Duellsituationen, die man in einem Zug lösen musste. Keiner war darin besser als du!“ Isaac räusperte sich lautstark. „Ahem.“ „Ja, ja, Streber, keiner außer dir!“, winkte Tatjana ab. „Und -obwohl- du so ängstlich bist, weißt du trotzdem immer noch, was du tun musst um zu gewinnen. Verliere das nicht aus den Augen!“ Fabio sah vorsichtig an ihr vorbei. „Tatjana …?“ „Was!? Unterbrich mich nicht, wenn ich eine Freundschaftsrede halte!“ „Miss Neumann, Sie können Ihre Rede gerne vor der ganzen Schülerschaft halten, wenn Sie möchten. Aber bitte unterbrechen Sie dabei nicht meine“, kam es da vom Podium aus. Heiser kichernd drehte sich Tatjana langsam zu Mrs. Vinewood um, die zornig funkelnd am Rednerpult stand und die Hände in die Hüften gestemmt hatte. „E-entschuldigung.“ Prompt ließ sie sich wieder in ihren Stuhl sinken. Und die Direktorin fuhr mit ihren Ausführen fort.   Nach einer kurzen Weile peinlichen Schweigens sagte Isaac trocken: „Da das jetzt geklärt ist, wäre das die ideale Gelegenheit, dich an deine Wettschuld zu erinnern, Tatjana.“ „W-was?“, flüsterte die aus Angst, wieder ermahnt zu werden. „Ja. Du hast das Duell von neulich verloren. Ich fordere die Schuld ein – heute, jetzt. Zu Beginn des Turniers.“ „D-d-das kann nicht dein Ernst sein!“ Velvet, die innerlich noch ganz aufgewühlt von den Worten ihrer Freundin war, fragte: „Was habt ihr denn vereinbart?“ „Das wirst du sehen. Schon sehr bald“, versprach Isaac mit einem schadenfrohen Lächeln auf den Lippen und Tatjana lief aus unergründlichem Anlass puterrot an.   ~-~-~   Als Anya die kleine Küche der Bauers betrat, saßen Zanthe und Claire bereits am runden Holztisch und aßen Cornflakes mit Milch. Matt seinerseits schien im Wohnzimmer mit Valerie und Abby fernzusehen und Anya fragte sich, seit wann ihr Haus zur Gruppenunterkunft geworden war. „Morgen, Sonnenschein“, grüßte der Werwolf sie. „Klappe!“ Anya schielte Claire feindselig an, die wie eine Maschine den Löffel in den Mund nahm und wie in Zeitlupe wieder in die Schüssel eintauchte. „Ugh!“ „Schlecht geschlafen?“, fragte der Kopftuchträger schelmisch. „Oder vielleicht zu gut? Schmutzige Träume gehabt von Zungenaktion mit-!“ Aber er unterbrach sich selbst, bevor Anya – deren Augen wieder mal gefährlich nahe dran waren, aus den Höhlen zu hüpfen – überhaupt etwas sagen konnte. „Ach, egal. Du machst dir Sorgen, hab ich Recht?“ „Yeah“, brummte das Mädchen verstimmt. „Zoey hat sich immer noch nicht gemeldet. Und was wir heute vorhaben, na da kann man doch nur schlecht schlafen, oder?“ Zanthe seufzte und legte seinen Löffel in die Schüssel. „Stimmt. Ich hab auch kaum ein Auge zugekriegt.“ „Fragt mich mal“, sprach Matt da, als er zusammen mit den beiden anderen Mädchen in den Flur kam. „Hab die ganze Nacht die Beschwörungsformel rezitiert, damit mir nachher kein Fehler unterläuft.“ Anya und die drei anderen verteilten sich in der Küche. Valerie fragte schließlich. „Wir wollen das wirklich durchziehen und Stoltz beschwören?“ „Ja“, nickte Matt fest, der am Kühlschrank lehnte. „Ich will die Wahrheit wissen.“ „Ich auch“, bestätigte Anya. „Hab da sowieso noch was, was ich wissen will …“ Abby, die am Tisch Platz genommen hatte, sagte traurig: „Und wir müssen verhindern, dass sich so eine Tragödie wiederholt. Auch wenn sie Undying sind, haben sie kein Recht, so etwas zu tun.“ „Das siehst du so“, meinte Valerie, „aber von den Dreien ist Stoltz am weitesten weg von jeglicher Form von Menschlichkeit.“ Zanthe erhob sich. „Leute, ich habe mir überlegt, wo wir ihn beschwören.“ „Hatten wir uns gestern Abend nicht noch entschieden? Im Wald, wo sonst?“, meinte Anya sofort, doch der Werwolf widersprach. „Nein, gerade dort nicht. Da wären wir zwar ungestört, aber ebenso könnte Stoltz all seine Kräfte gegen uns einsetzen. Nein. Wir rufen ihn zu einem Ort in der Stadt – wo wir zwar ungestört sind, aber er auch kein Chaos verbreiten kann, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.“ „Du willst … was?“, staunte Valerie. Der gebürtige Italiener versuchte seinen Gedanken noch einmal zu erklären. „Umringt von Menschen wird er sich zurückhalten – jedenfalls hoffe ich das. Wenn nicht ihretwegen, dann um Ricther nicht zu verärgern. Wir werden bewusst keinen Bannkreis benutzen.“ Er tippte mit geheimnisvollem Gesichtsausdruck gegen seine Stirn. „Glaubt mir, das was mir da vorschwebt wird klappen.“ „Das ist ein sehr riskantes Spiel“, gab Matt zu bedenken. „Was, wenn ihn das alles nicht interessiert?“ „Ihn vielleicht nicht, aber gewisse andere, höhere Mächte wird es interessieren, wenn sie das Gleichgewicht zwischen unserer Welt und der Unterwelt wahren wollen.“ Zanthe sah Anya an. „Wir müssen auch bedenken, dass wir vielleicht trotz unserer Fortschritte nicht stark genug sein werden, um ihn fertig zu machen. Da kann etwas Hilfe von außerhalb nicht schaden.“ „Und wenn diese 'Hilfe' sich gegen uns stellt – wenn sie überhaupt kommt?“, fragte Valerie skeptisch. Zanthe lachte. „Dann wird das Ganze noch unterhaltsamer. Macht euch deswegen nicht zu viele Gedanken.“ „Und wo soll das nun sein?“, verlangte Anya zu wissen. „Wir hatten die Idee schon. Der Schrottplatz. Dort ist normalerweise niemand und er ist groß und abgeschottet genug, damit nicht jeder gleich einen Blick auf unseren Mr. Universe erhaschen kann.“ Matt fasste sich ans Kinn und überlegte. „Dadurch gefährden wir Unschuldige. Wir können ihn nicht gut genug einschätzen um zu wissen, ob er sich wirklich im Mittelpunkt der Öffentlichkeit zurückhalten würde. Ich halte das für keine gute Idee.“   Auch Anya glaubte nicht daran und der Werwolf sicher ebensowenig. Nein, er rechnete wahrscheinlich sogar damit und hatte irgendeinen perfiden Plan. An welche 'Hilfe' dachte er? Andererseits war es einen Versuch wert. Sie kannten ja kaum seine wahren Kräfte und die würde er definitiv auf sie loslassen, wenn er sich sicher fühlte. „Das können wir nicht tun!“, begehrte Abby da auf. „Wir dürfen die Livingtoner nicht in Gefahr bringen. Es bleibt nur ein Ort, der weit weg von Zivilisation ist, um ihn zu rufen.“ „Nein. Dort sind wir ihm ausgeliefert“, widersprach ausgerechnet Valerie. „Mir behagt es auch nicht, aber wir müssen darauf bauen, dass er sich an seine Direktive hält.“ Zanthe fügte düster an: „Oder sein wahres Gesicht zeigt.“ Das war es, was er wollte, erkannte Anya. Und auch die anderen, als sie nach und nach nachdenkliche Geräusche von sich geben. „Dann … machen wir es so“, entschied die Blonde und sah Matt dabei an, „es sei denn, du hast was dagegen, Summers. Bei dieser Operation bist du der Boss.“ „Es sind schon zu viele Unschuldige gestorben. Aber“, sagte er und schluckte, „je schneller wir diese Bestie zur Strecke bringen, desto besser.“ Abby schüttelte den Kopf. „Nein!“ „Doch.“ Valerie, die an der Spüle lehnte, richtete sich auf. „Abby, wir müssen etwas tun. Und wenn wir es nicht schaffen …“ „… dann soll der Richter das Urteil fällen“, sprach Anya den Gedanken aus, den vermutlich auch die anderen sans Abby hegten. Jene ließ sich unzufrieden wieder auf ihren Stuhl fallen. Sagte: „Tut bloß nichts Unüberlegtes. Bitte!“ „Es reicht, wenn ich, Anya und Zanthe gehen.“ Matt sah Valerie von der Seite an. „Bleib du mit Abby hier und kümmere dich um Claire.“ „Ich komme auch mit!“, warf Abby sofort empört ein. „Wenn ihr so etwas Irrsinniges tut, werde ich bestimmt nicht hier warten und Däumchen drehen!“ Anya, die wusste, dass es sinnlos war zu diskutieren, stöhnte: „Fein, dann komm halt mit. Vielleicht kannst du ja später irgendwas für uns aushandeln.“ „Und da sind wir wieder bei einer lustigen Runde 'Wir schließen Valerie Redfield aus'“, murrte die derweil und verschränkte die Arme. Die Schwarzhaarige haderte mit sich, ehe sie schließlich sagte: „Aber gut, ich sehe selber ein, dass ich gegen Stoltz nichts ausrichten kann. Ich bleibe hier.“ Matt stammelte erstaunt: „D-das war ja einfach.“ Doch da kam schon der erhobene Zeigefinger des Mädchens. „Unter einer Bedingung! Ich komme auf der nächsten Mission mit, -egal- um was es sich dabei handelt.“ „Oh man“, stöhnte der Dämonenjäger im schwarzen Ledermantel. „Gibt es überhaupt eine?“, fragte Anya. Natürlich! Die Militärbasis! Wir haben da noch ein Date, Schatz!   In dem Moment tauchte inmitten der Küche der gold-schwarze Kakerlakenritter [Evilswarm Exciton Knight] auf, den der Immaterielle Thoras verkörperte. „Ach das“, erinnerte sich Zanthe. „Ich erinnere mich. Die hast du doch 'ne ganze Weile beobachtet, oder?“ Matt murrte: „Ja. Aber was es damit auf sich hat, erkläre ich euch, wenn wir mit Stoltz fertig sind.“ „Klingt doch interessant“, meinte Valerie an Thoras gewandt. „Wir können gerne ein Doppeldate draus machen.“ Dann müssen wir dir nur noch einen Partner suchen.   „Gibt ja genug zur Auswahl“, zwinkerte Valerie vergnügt. „Dann ist es gebongt“, meinte Anya abschließend, „Redfield und Roboburg bleiben hier, der Rest geht zum Schrottplatz. Graben wir diese scheiß Mumie aus und treten ihr dermaßen in den Arsch, dass unsere Schuhe aus ihrem Maul ragen werden!“   ~-~-~   Eine Weile nachdem Anyas Gruppe sich auf den Weg zum Schrottplatz gemacht hatte, klingelte es unvermittelt an der Haustür der Familie Bauer. Valerie, die alleine mit Claire war und ihr gerade im Wohnzimmer verzweifelt versuchte, den Sinn von Quizsendungen beizubringen, horchte auf. Es klingelte nochmal. „Zum Glück ist Anyas Großmutter Bier kaufen“, murmelte sie beim Aufstehen aus dem Sessel, „gestern hat sie dem Postboten ein blaues Auge verpasst. Mach so etwas bloß nicht nach.“ Claire, die ebenfalls aufstand, erwiderte monoton: „Gewalt ist keine Lösung, um Menschen zum Schweigen zu bringen.“ „Ganz recht.“   Etwas irritiert davon, dass die blonde Weltmeisterin ihr in den Flur bis zur Haustür folgte, öffnete Valerie die Tür und musste erstaunt feststellen, dass ihr Gegenüber kleiner war als sie selbst. „Hi“, murrte Logan grimmig, hatte einen schwarzen Motorradhelm unter den Arm geklemmt, „ist die Kleine da?“ „Er meint Anya Bauer“, wusste Claire sofort. Logan bedachte sie dabei eines unergründlichen Blicks. „N-nein, die ist gerade unterwegs.“ Valerie kannte den knapp 1,65 Meter großen Mann mit den Mörderkoteletten nicht gerade gut, sie hatten sich zwar schon gesehen, aber nie wirklich miteinander gesprochen. Aber sie fand, dass er gut zu Anya passte. „Und wo ist sie hin?“, wollte er wissen. Was sie ihm natürlich nicht sagen durfte. „Ich glaube ins-“ „Sie ist zum Schrottplatz.“ Erschrocken wirbelte Valerie um. „Claire, das ist-!“ „Verstehe. Danke.“ Logan hob die Hand zum Gruß und wandte sich bereits ab, schritt durch den Garten herüber zu einem schwarzen Motorrad, das vor dem Grundstück stand. „W-warten Sie-!“, versuchte Valerie ihn noch aufzuhalten, aber er setzte sich im Gehen seinen Helm auf und ignorierte sie.   Während er sich auf seine Maschine schwang, drehte sich Valerie wieder ungläubig zu Claire um und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Du kannst nicht einfach solche Dinge ausplaudern!“ „Begründe.“ „Das sind Geheimnisse!“ „Zanthe sagte, Geheimnisse seien schlecht.“ Die Schwarzhaarige runzelte verärgert die Stirn. „Das muss gerade der von uns sagen, der vermutlich die meisten hat. Nimm dir daran kein Beispiel, Claire.“   Jene sah sie jedoch nur analysierend an. Innerlich kochte Valerie regelrecht, denn ohne es zu wissen, hatte die Blonde gerade möglicherweise ihr Todesurteil unterschrieben. Denn wenn Logan Carter auf dem Schrottplatz auftauchte, während Anya und die anderen Stoltz bekämpften, würde das ein übles Nachspiel haben. „Ich ruf Abby an, die müssen das abblasen“, schloss Valerie und zückte sofort ein weißes Smartphone, das sie ans Ohr legte. Doch je länger das Freizeichen ertönte, desto unruhiger wurde sie. Claire horchte auf. „Ich höre etwas. Es kommt von oben.“ Langsam ließ Valerie das Telefon von ihrem Ohr sinken. „Was hörst du …?“ „Wolfgang Amadeus Mozart, Eine kleine Nachtmusik – als Klingelton.“ Was der Anrufenden keine andere Wahl ließ, als sich die Hand vor die Stirn zu schlagen, kannte sie doch nur eine Person, die sich so etwas anhörte.   ~-~-~   Den Weg zum Schrottplatz meisterte die Gruppe rund um Anya zu Fuß. Dabei wurde nur wenig gesprochen, was insbesondere daran lag, dass Abbys tadelnde Blicke bei jedem falschen Wort eine Standpauke androhten. So standen sie nach einer halben Stunde vor dem großen Eisentor, das Anya mit festem Griff aufschob. Die Berge an Elektrogeräten, Metallplatten oder auch Stapel von Unfallautos zeugten davon, dass hier zwar viel abgegeben wurde, jedoch ansonsten wenig Betrieb herrschte.   „Das letzte Mal, als wir Drei hier waren, gab's ziemlichen Zoff“, erinnerte sich Anya. Hier hatte ihre erste Begegnung mit Matt stattgefunden, als dieser noch von dem fehlgeleiteten Alastair dazu gebracht worden war, Abbys Bruder Michael und Nick zu entführen. All das nur, um Abby dahingehend zu erpressen, sich gegen Anya zu stellen. „Musst du mich daran erinnern?“, fragte die Brillenträgerin angekratzt. „Ja, muss sie. Was ist passiert?“, wollte Zanthe dagegen sofort wissen. Auch Matt schien davon jedoch nicht sonderlich angetan. Er winkte ab. „Lange Geschichte. Erzähle ich dir irgendwann mal. Wichtig ist, dass wir uns jetzt besser verstehen. Du weißt, dass es mir leid tut.“ Er sah Abby von über die Schulter hinweg an, die zögerlich nickte.   Zusammen schritten die Vier über den Platz, vorbei an Schrottbergen über Schrottbergen. Abby, die etwas hinter den anderen her trottete, sagte schließlich besorgt: „Bitte tut nichts Unüberlegtes. Denkt daran, dass viel auf dem Spiel steht, okay?“ Die Blonde drehte sich im Laufen zu ihrer Freundin um, sah aber nicht in ihre braunen Augen. „Je nachdem, wie die Wahrheit nun aussieht, kann es durchaus zu einem Kampf kommen.“ „Yeah“, nuschelte Matt dabei leise. „Und damit eins klar ist: Ich will keine Hilfe von Monstern, falls du darauf anspielst.“ „Sterben willst du aber auch nicht“, meinte Zanthe da trocken, „also tu uns den Gefallen und halte dich zurück mit dem, was du sagst. Und du auch, Matt.“ „Kann nichts versprechen …“ Anya nickte dem Dämonenjäger zu. „Dito!“ Da blieb Zanthe stehen. „Müssen wirklich noch mehr Leute leiden? Selbstjustiz in allen Ehren, aber es reicht. Auch wenn es nicht einfach ist, sollte man manche Dinge akzeptieren. Besonders wenn man sie nicht ändern kann.“ „Dann warte hier“, meinte Anya gleichgültig und zog an ihm vorbei, doch er packte sie am Arm und hielt sie fest. „Ich meine es ernst! So schwer es dir auch fällt, nimm das Angebot mit dem Homunkulus an und dann halt dich aus deren Angelegenheiten raus!“ Anya drehte sich trotzig zu ihm um, doch er war noch nicht fertig. „Lebe lieber deinen Traum von einer Profikarriere.“ Erst wollte sie ihn anmaulen, doch ihr wurde bewusst, dass er sich nur um sie sorgte. „Ist ein bisschen spät für Zweifel. Wir müssen das tun.“ Der Werwolf ließ den Kopf hängen, ließ sie los. „Ich weiß …“ Matt sah ihn verärgert von der Seite an, sagte jedoch nichts und zog dann zusammen mit Anya als Vorhut voran. Abby stellte sich neben Zanthe und seufzte. „Ihre Schuldgefühle sind einfach zu groß. Ich finde es nicht fair von Matt, das für seine Rache auszunutzen.“ „Er nutzt es nicht aus“, widersprach der Kopftuchträger resignierend, „er will nur Antworten.“ Doch Abby schüttelte den Kopf. „Doch, Zanthe. Vielleicht nicht mit Worten, aber er tut es, glaub mir. Und wenn er seine Antworten hat, was dann? Glaubst du wirklich, sie werden ihn milde stimmen?“ Die beiden sahen einander deprimiert an, ehe der Werwolf leise sagte: „Als ob.“ „Was ist jetzt? Kommt ihr nun oder nicht?“, rief Matt, der mit Anya schon ein ganzes Ende von ihnen entfernt war, ungeduldig. Letztere verschränkte die Arme. „Dass die immer alles infrage stellen müssen…“ „Wir wissen doch längst, worauf das hinauslaufen wird“, stimmte Matt ihr zu. „Ich tue das ja nicht nur meinetwegen.“ „Mal sehen, was wir mit Worten erreichen werden.“ Anya sah ihren beiden Freunden entgegen, die sich in Bewegung setzten. „Aber bevor wir auf Stoltz losgehen, lass mich bitte erst etwas fragen, ‘kay?“ „Was wäre das?“, fragt er erstaunt. „Wirste dann schon sehen.“ Als Zanthe und Abby aufschlossen, zogen sie wieder zu viert weiter, bis sie schließlich einen größeren Platz in der Mitte der Müllhalde erreichten. „Hier ist es gut“, Matt griff in seine Manteltasche, „ich muss nur kurz-“ „Nope, das wird wahrscheinlich nicht mal nötig sein.“ Anya rollte mit den Augen. „Ich wette, -die- beobachten mich sowieso rund um die Uhr. Und wenn dem so ist: Komm raus, du elende Missgeburt! Ja, ich meine dich, Stoltz!“ Die letzten beiden Sätze schrie sie mit solcher Inbrunst, dass die anderen Drei zusammenzuckten. Zum Leidwesen aller war Anya noch nicht fertig. „Wir wollen Antworten! Was hast du mit dem Waisenhaus angestellt! Wir wissen, dass du es warst!“ Aber es geschah gar nichts. Das Mädchen trat einen Schritt vor und breitete die Arme aus. „Ich weiß, dass du mich beobachtest! Ich könnte ja eure wertvolle 'ewige Ordnung' gefährden! Und das werde ich, wenn du dich nicht gleich zeigst!“ „Anya-!“, wollte Abby sie bremsen, doch Zanthe hielt sie kopfschüttelnd davon ab. „Wenn du nicht in fünf Minuten hier bist, werde ich die Sache mit Ricther klären!“, fauchte Anya aufgebracht weiter. „Und falls der gerade ebenfalls zusieht, oder meinetwegen auch Zed: Vielleicht könnt -ihr- uns auch erklären, was da damals passiert ist! Huh!?“ Damit holte sie tief Luft und verstummte. „Ich, ähm, fang dann mal mit der Beschwörung an“, meinte Matt vorsichtig, doch ein Todesblick der Blonden gebot ihm umgehend Einhalt. „W-wir können auch die fünf Minuten warten, wenn du willst.“ Grimmig nickte sie.   Und so warteten die Vier. Vergeblich. Stoltz zeigte sich nicht. Nachdem Anya immer ungeduldiger mit dem Fuß auf dem Boden tippte, platzte ihr schließlich der Kragen. „Alles klar, dann eben anders! Summers-!“ Doch bevor sie ihren Satz vollenden konnte, öffnete sich auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes ein schwarzes, ovales Portal. Die Vier hielten den Atem an. Denn aus ihm schritt ein Wesen mit langen, dürren Gliedmaßen, einbandagiert und mit einer dünnen Brustpanzerung bedeckt. Auch trug es einen Helm mit Visier über dem rechten Auge, welches ebenso von Bandagen bedeckt war. Der über zwei Meter große Stoltz legte seine dürre Hand, deren verschrumpelte, braune Haut unter dem lose gebundenen Stoff hervor schien, auf seine Brust und verneigte sich. „Der Undying ist dem Ruf gefolgt. Welch dreiste Worte die Menschlinge doch benutzen, um ihn hierher zu locken.“ Er grinste sie mit fauligen Zähnen an. „Was ist wohl ihr Begehr?“ Abby schnappte bei seinem Anblick fassungslos nach Luft. „Schön, dich wiederzusehen“, flötete Zanthe vergnügt, „du bist wie immer wunderhässlich.“ „Der verräterische Hüter.“ „Du elender-!“, schnappte Matt. Anya streckte aber ihren Arm aus und hielt ihn zurück. „Bevor wir zu dem Grund kommen, weswegen wir dich gerufen haben, habe ich noch eine Frage an dich, Bandagenfresse“, murrte Anya und sah aus den Augenwinkeln den Dämonenjäger mit berechnender Schärfe an. Jenen kostete es sichtliche Mühe, sich schnaufend zusammen zu reißen. Sie blickte Stoltz direkt in das sichtbare, glasige Auge. „Beantworte mir eins. Gibt es einen freien Willen?“ Nicht nur ihn überraschte diese Frage, auch Zanthe und Abby schnappten überrascht nach Luft. „Wie kommst du darauf?“, fragte der Werwolf ungläubig. „Ist nicht so, als ob ich mir vorher groß den Kopf drüber zerbrochen habe. Aber vorhin kam mir diese Frage einfach.“ Anya sah weiterhin Stoltz an. „Der Ätherfluss ist die Zukunft. Das heißt, dass alles bereits vorgeschrieben ist. Kein freier Wille. Stimmt das?“ Der Undying zeigte ihr ein schiefzähniges Grinsen. „Der Menschling stellt amüsante Fragen. Aber er hat nicht Unrecht. Die Zukunft existiert bereits. Es ist das oberste Gebot der ewigen Ordnung, sie nicht zu verändern.“ „Doch es gibt Ausnahmen“, wusste Anya, „nicht wahr?“ Er grinste noch breiter. „Die Immateriellen. Sie sind imstande, dem Schicksal – der Zukunft – einen neuen Pfad hinzuzufügen.“ Anya kniff die Augen fest zusammen. „Im Gegensatz zu einfachen Menschen besitzen sie also so etwas wie einen freien Willen. Aber sie sind nicht die Einzigen, hab ich Recht?“ Anya Bauer, worauf willst du hinaus?   Als sie Levriers Stimme hörte, tat Anya etwas Ungewöhnliches. Sie ignorierte ihn völlig. „Antworte, elende Kackmumie! Es gibt noch jemanden in dieser Welt, der einen freien Willen besitzt.“ Anya hob die Hand, zeigte dann Zeige-, Mittel- und Ringfinger. „Oder besser gesagt: Drei!“ „Die Undying?“, staunte Zanthe. Stoltz verneigte sich perplexerweise vor den jungen Menschen. „Dem ist so.“ „Yeah. Dacht ich's mir doch. Aber ihr kennt die Zukunft nicht. Ihr wisst nicht, was passieren wird und deshalb habt ihr solche Angst davor, dass irgendjemand in den Ätherfluss eingreift.“ Als sich der Undying erhob, erlosch sein Lächeln. „Wie überaus scharfsinnig für ein Menschenkind, dessen Potential so gering ist.“ Anya brummte: „Das hab ich jetzt mal überhört.“ „Die Undying sind nicht Teil des Ätherflusses. In ihren Gefäßen fließt kein Äther.“ Fast schon erschrocken hörte Anya Levrier mehr zu sich als zu ihr sagen: Ich verstehe! Und weil sie keinen Äther in sich tragen, sind sie kein Teil der Geschichte. Kein Teil der Zukunft. Leben im Verborgenen, weil ihre bloße Existenz einen Wandel bedeuten würde.   „Und jetzt beantworte mir eins“, knurrte Anya mit einem Male unsagbar feindselig, „wieso musstest du dutzende Unschuldige umbringen, du Bastard!?“ Matt stieß erschrocken Luft hervor, kam diese Frage, die er doch stellen wollte, völlig unerwartet. Stoltz hob seinen langen Arm, gestikulierte so lapidar, als ginge ihn das alles nichts an. „Deine Fragen werden anmaßend, Kind. Doch der Undying ist guter Stimmung.“ Er grinste breit. „Er lässt das Mädchen gerne Teil haben an seinem Wissen. Schließlich bist -du- des Richters Liebling.“ „W-was?“ Statt auf die Irritation der Blonden einzugehen, fuhr er fort. „Als die Menschlinge das zweite Artefakt an sich gerissen haben, kam der Undying und sprach seine Warnung. Doch: Undying sind ohne Äther. Nichts kann dauerhaft ohne ihn existieren, nicht einmal die Unsterblichen.“ Mit jedem Wort wurde das Grinsen von Stoltz größer. „Und so entschied er in diesem Zuge, eine weitere Warnung auszusprechen. Es ist nicht seine Schuld, dass die Botschaft erst so spät empfangen wurde.“ „Was willst du damit sagen?“, hauchte Matt heiser. „D-die Kinder, Al, Alector … du hast sie … um eine … Warnung auszusprechen?“ „Das ist Bullshit!“, fauchte Zanthe außer sich und trat einen Schritt vor, doch Abby packte ihn von hinten an der Schulter und schüttelte den Kopf. Mit unterdrücktem Zorn presste er hervor: „Du hattest uns bereits deine Botschaft zukommen lassen! Wieso dieses Massaker!?“ Das Wort ließ Matt erzittern. „Hehehe. Der Undying hatte nicht mehr genug Kraft, um nachhause zurückzukehren. Dort, wo die Unsterblichen ihre Stärke zurückerlangen. Also musste er einen Ausweg finden.“ Sein Grinsen erreichte einen absurden Höhepunkt. Beide Mundwinkel waren so weit erhoben, dass sie sich über das halbe Gesicht zu erstrecken schienen. „Eine alternative Ätherquelle finden.“ „Du elender Bastard!“, platzte Anya da der Kragen. Sie stampfte so fest mit dem Fuß auf, dass es schon weh tat. „Du hast diese Kinder ermordet, um an ihren Äther zu kommen!?“ „Vielleicht hat er das“, gluckste Stoltz herausfordernd. Da weitete Matt die Augen. Und Anya ließ den Arm, der ihn zurückhielt, bewusst sinken. Der Dämonenjäger trat einen Schritt vor, sah aber auf den Boden. „So ist es also. Sie sind tot“, sprach er leise, aber beherrscht. Keine Antwort. „In dem Fall ist die Sache klar. Du hast etwas getan, das nur deinem Blutdurst zuzuschreiben ist. Ein unsterbliches, unglaublich mächtiges Wesen wie du ist nicht nach einem halben Duell so erschöpft, dass es nicht nachhause zurückkehren kann.“ Matt sah auf. Er funkelte den Undying feindselig, aber auch entschlossen an. „Ich weiß dank Zed, wozu ihr imstande seid.“ „Oh?“, machte Stoltz fasziniert. „Dementsprechend kommen wir nun zu unserer Forderung. Wir wussten von Anfang an, dass du dahinter steckst.“ Matt hob langsam den Arm. „Nur eins verlangen wir. Verlange ich. Wiedergutmachung. Du wirst sie zurückholen. Alle! Jeden-einzelnen!“ Mit jedem Wort drang sein Zorn, sein Schmerz mehr durch. „Sie werden wieder leben. Die Kinder. Alastair. Alector. Die Erzieherinnen. Du wirst alle wieder zum Leben erwecken. Egal zu welchem Preis.“ Mit einem Mal fragte der Riese völlig unterkühlt: „Und wenn nicht?“ „Dann zwingen wir dich“, gab ihm Anya deutlich zu verstehen. „... nein.“ Auf seine eisige Antwort bohrte sich die Blonde bewusst im Ohr. „Wie bitte? Ich hab dich nicht verstanden.“ Auch Zanthe reckte überrascht den Kopf, doch drehte diesen dann irritiert zur Seite, als würde er gar nicht zuhören. „Hm? Was ist das …?“ „Nein.“ Stoltz derweil lachte kurz auf. „Die Undying sind niemandem Rechenschaft schuldig. Schon gar nicht solch erbärmlichen Kreaturen wie euch.“ „Erbärmlich also?“, wiederholte Anya und stellte sich neben Matt, fasste dem zitternden Dämonenjäger auf die Schulter. „Mag sein, dass wir dir so erscheinen. Mir Banane, um ehrlich zu sein. Aber du hast etwas genommen, das dir nicht gehört hat. Und ich will verdammt sein, wenn ich mir die Dinge, die man mir oder meinen Freunden nimmt, nicht wieder zurückhole.“ Zanthe stellte sich nickend neben sie. „Du bist ein Massenmörder, Undying. Aber auch mächtig genug, Wunder zu bewirken, dessen bin ich mir sicher. Wenn der Sammler es kann, dann ihr auch! Mach wieder gut, was du getan hast!“ „Nein!“, kam es schärfer und den Dreien wehte ein heftiger, eisiger Wind wie aus dem Nichts entgegen. Doch sie blieben standhaft. „Das ist schrecklich“, murmelte Abby hinter ihnen indes nur erstickt.   Matt, Anya und Zanthe tauschten untereinander intensive Blicke aus. Einer nach dem anderen hob seinen Arm. Erst aktivierte sich Matts schwarzes D-Pad, dann Anyas neue Duel Disk und zum Schluss verwandelte sich Zanthes Armreif in einen Handschuh. „Dann lösen wir das eben auf die einzige Art und Weise, die immer funktioniert“, sprach Anya abschließend. Dagegen klang Matt fast schon resignierend. „Ich habe nichts anderes erwartet. Wir sind euch völlig egal. Aber wenn eine Chance besteht, nur eine kleine, auch wenn sie noch so absurd ist, kämpfe ich.“ Seine Augen flackerten regelrecht, als er aufblickte. „Und wenn ich keine Chance habe, sie jemals wieder zu sehen, dann will ich wenigstens eins: Sie mit dem Wissen gehen lassen, dass ihr Schlächter bestraft wurde!“ „Und damit meinen wir keinen Klaps auf den Po“, relativierte Zanthe bitterböse, „wir werden dir zeigen, dass Unsterblichkeit auch ihre Tücken hat.“ Da begann der Undying leise zu lachen. „Interessant. Wahrlich.“ Er breitete seine langen Arme aus. „Dann kommt, Menschlein. Unterhaltet den Undying.“   Es ist also besiegelt. Ich hoffe, das ist kein Fehler, Anya Bauer! Ich bin zu jung und zu hübsch zum Sterben! „Keine Sorge, Levrier!“ „Schnauze, Thoras!“, kam es parallel von Anya und Matt auf die Sorgen ihrer Immateriellen hin. „Diesmal werden wir dich durch richtiges Teamwork besiegen“, versprach die Blonde im Anschluss düster an Stoltz gewandt und sah zu ihren beiden Freunden neben sich, „deswegen werden wir die Aufstellung etwas ändern!“ Abby platzte jedoch unvermittelt dazwischen und packte die Blonde am Arm. „D-das kannst du nicht tun! Sicher gibt es einen anderen Weg.“ „Nein“, riss Anya sich los, „sorry Masters, aber der da muss bestraft werden. Durch uns!“ Das brünette Mädchen sah unsicher zu Matt und Zanthe, atmete tief durch und sagte entschlossen: „Musst du immer so dickköpfig sein? Fein! Aber dann lass mich wenigstens helfen!“ Lächelnd schüttelte Anya den Kopf. „Geht nicht.“ „Bitte“, meinte auch Zanthe, löste sich von seiner Position und packte Abby sanft an der Schulter, führte sie ein paar Schritte weg, „wir kriegen das schon hin.“   Er schnüffelte zeitgleich und verzog die Augen zu Schlitzen. Also war das eben nicht irgendwer gewesen, sondern -er-, der ihnen hierher gefolgt war. Eigentlich kein Wunder, wenn man es recht bedachte. Trotzdem, das entsprach absolut nicht Zanthes Plan. Logan durfte sich auf keinen Fall hier einmischen. „Außerdem kannst du uns anders helfen“, flüsterte Zanthe in ihr Ohr, „Anyas Liebhaber ist auf den Weg hierher, du musst ihn unbedingt abfangen und verhindern, dass er sich hier einmischt.“ „W-was? Anya hat-!? Wieso weiß ich nichts davon!?“ „Pscht!“, mahnte Zanthe sie mit Zeigefinger auf den Lippen zur Ruhe. „Ist noch ganz frisch. Du kennst Logan ja bereits.“ „Ja, aber nur vom Telefon.“ „Dann lernst du ihn jetzt persönlich kennen. Hopp, er ist schon am Tor“, forderte er Abby mit einem leichten Klapps auf den Hintern dazu auf, den Mann abzufangen, ehe er sich erreicht hatte. „H-hey, ich habe nie zuge-!“ „Du schaffst das schon“, schnitt ihr der Werwolf das Wort ab und zwinkerte verschwörerisch, „lass ihn auf keinen Fall hierher. Es würde Anya das Herz brechen, wenn er herausfindet, in welchen Gefilden sie sich bewegt.“ Abby legte ihren Kopf schief, stöhnte dann aber resignierend. „Also gut. Aber passt bitte auf sie auf, ja?“ „Werden wir. Wenn der Zwerg nicht hört, duelliere dich oder benutz' deine Sirenenkräfte! Ich zähl' auf dich!“, meinte Zanthe grinsend, winkte kurz und eilte dann zu den anderen zurück.   Kaum war er wieder bei Anya, Matt und dem dauergrinsenden Stoltz angelangt, verwies Anya ihn mit einem Fingerzeig: „Du bist als Erster dran! Danach Summers! Und ich bring es zuende! Und was zur Hölle sollte das da mit Abby? Was hast du ihr erzählt!?“ „Nichts“, gab sich Zanthe unschuldig und stellte sich neben Matt auf, „sie bewacht den Eingang, damit niemand uns stört. Vor allem sie selbst …“ „Der Undying ist amüsiert“, brachte sich die Gruselmumie wieder ins Gespräch und breitete seine unnatürlich langen Arme aus, „wieder zu dritt. Sind die Menschen alleine zu schwach?“ Anya ließ von Zanthe ab und funkelte ihren Feind hasserfüllt an. „Von wegen. Jeder von uns wäre dazu imstande, es mit dir aufzunehmen! Wir beschleunigen den Vorgang lediglich.“ Matt presste die Lippen so fest zusammen, dass sie immer mehr Farbe verloren. „Wir werden dich demütigen“, knurrte Anya weiter, „und du wirst dich unserem Willen beugen und das, was du getan hast, begradigen. Egal -was- es dich kostet.“ „Der Undying bezweifelt dies.“ Dann brüllten alle vier synchron: „Duell!“   [Anya: 4000LP Matt: 4000LP Zanthe: 4000LP //// Stoltz: 4000LP]   „Oh, die Nostalgie“, summte Zanthe fröhlich, als alle vier ihr Startblatt von fünf Karten gezogen hatten. Doch insgeheim sorgte er sich um Abby. Hoffentlich war es kein Fehler gewesen, sie vorzuschicken. „Die Geschichte wiederholt sich“, sprach Stoltz und zog, gemäß den Regeln für Duelle mit unausgeglichenen Teams, eine Karte, „die drei Menschen werden erneut scheitern. Aber vielleicht wird der Undying dieses Mal Gnade kennen.“ „Wag' es nicht, von Gnade zu sprechen“, sprühte Matt förmlich vor Zorn. „Ruhe bewahren, Summers“, mahnte Anya ihn, „wir packen das!“ „Der Undying ist neugierig.“ Stoltz zeigte seine fauligen Zähne und legte eine Zauberkarte in seine Duel Disk ein. „Er aktiviert die permanente Zauberkarte [Centurion Core Unit]!“ Vor ihm stellte sich eine grün-umrandete Zauberkarte auf, die das Innere einer Maschine zeigte. Genau in dessen Mitte befand sich losgelöst und schwebend ein hellblau leuchtender Zylinder und so einer war es auch, der sich aus dem Artwork der Karte schob und reale Form annahm.   Centurion Core-Spielmarke [ATK/0 DEF/0 (10)]   „Der Undying kann einmal pro Zug einen Energiekern beschwören, wenn er keine Monster unter sich hat“, erklärte Stoltz gackernd. „Dadurch kann sich [Centurion Atlas] ohne Opfer erheben, ohne dabei seine Stärke zu verlieren!“ Ein eiskalter Wind wehte den drei jungen Menschen entgegen, als hinter ihrem bandagierten Gegner ein mehrere Meter großer, mechanischer Zentaur auftauchte, bestehend aus unzähligen Würfeln, die sich hin und wieder zurück bewegten, um die Umrisse des Wesens zu korrigieren. Unter seinem Helm stach ein rot leuchtendes Auge hervor.   Centurion Atlas [ATK/2500 DEF/2500 (10)] „Huh? Wovon redet er da?“ Anya blinzelte verwirrt. „Erinnere dich“, maulte Zanthe genervt. „Dieses Ding konnte ohne Tribut gerufen werden, aber verlor dabei seine Angriffspunkte. Anscheinend kann er das mit der Spielmarke umgehen.“ Und tatsächlich flog jener Zylinder in eine Öffnung an der Brust des riesigen Zentaurs und fügte sich passgenau ein. „Eine verdeckte Karte spielt der Undying noch aus“, verkündete jener mit einem fauligen Grinsen und beendete damit seinen Zug. Zanthe, Matt und Anya tauschten untereinander böse Blicke aus, dann nickten sie sich gegenseitig zu. Der Schlachtplan war bereits im Vorfeld ausgearbeitet worden.   ~-~-~   Während hinter ihr die Stimmung immer mehr kippte, rannte Abby den gewundenen Weg zurück zum Eingangstor entlang. Zum Glück versperrten die Schrottberge den Blick auf Stoltz, solange sie Logan rechtzeitig abfangen konnte. Tatsächlich stieg er gerade vor dem Tor von seiner Maschine, als sie ankam und legte seinen Helm ab. „H-hallo!“, rief Abby ihm noch im Rennen entgegen. Er sah sie mit einem erstaunlich forschen Blick an. „Bist Abigail, richtig?“ „J-ja.“ Sie hielt einige Meter vor dem Tor an, welches der kurz gewachsene Mann aufschob. „Ist die Kleine dort?“, fragte er dabei angespannt und nickte an dem brünetten Mädchen vorbei. Die überlegte erst, ob sie eine Lüge erzählen sollte und fummelte nervös am Saum des Ärmels ihrer weißen Bluse. Dann aber biss sie innerlich die Zähne zusammen und nickte. „Ja. Aber Sie dürfen sie jetzt nicht stören, Mr. Carter.“ „Logan passt.“ Als er das sagte, stürmte er bereits weiter, doch Abby sprang zur Seite und ihm in den Weg. „Bitte!“, flehte sie inständig. „Es wäre sehr-“ Doch Logan packte sie sanft an der Schulter und versuchte sie wegzuschieben, etwas, das bei der jungen Frau auf wenig Gegenliebe stieß. Sie packte ihn unvermittelt am Handgelenk und wollte sich bereits brüskieren, da durchfuhr es sie wie ein Blitz. Erschrocken wich sie zurück.   Seinerseits blieb der Mechaniker ebenfalls stehen und sah sie nachforschend an. Einen Moment schwiegen beide, dann sagte Abby mit klammer Stimme: „Anya will ungestört sein. Das müssen Sie respektieren.“ „Bin vielleicht der Einzige, der das Mädel vor einer großen Dummheit bewahren kann.“ Was Abby umso mehr alarmierte. Er konnte doch eigentlich gar nicht wissen, was Anya vor hatte. Zugegeben, meistens war es nicht schwer zu mutmaßen, dass es nichts Gutes war, trotzdem schien er sich so sicher … und dieses Gefühl. Schritt um Schritt nahm sie von ihm Abstand. „Wenn Anya Ihnen wichtig ist, dann halten Sie sich bitte aus ihren Angelegenheiten heraus.“ Abby lächelte den Mann freundlich an. „Sie sind ein guter Mensch, Mr. Carter.“ „Logan …“ „Logan. Sie haben ihr so oft zur Seite gestanden. Und obwohl Sie so wütend auf sie waren, haben Sie nicht gezögert und sind nach Ephemeria City geflogen.“ Das Mädchen strahlte förmlich. „Obwohl ich Sie nur darum gebeten hatte, sich mit Anya zu versöhnen. Sie war so niedergeschlagen wegen diesem Streit.“ Sofort erinnerte sie sich wieder an ein Telefonat mit Anya, in der sie sich wütend über den Mann beklagt hatte. Sie wollte ihm die Wahrheit über sich erzählen, aber er hatte das als große Lüge aufgefasst und war im Streit mit ihr auseinander gegangen. Kurz darauf wurde auch noch Anyas Deck gestohlen, gerade als Abby heimlich Vermittlerin bei Logan gespielt hatte. Zwar war er ohnehin gewillt gewesen, sich bei Anya zu entschuldigen, doch als er von ihrer Misere hörte, nahm er sofort den nächsten Flug nach Ephemeria City. Sofort verstand Abby, was Anya an ihm so besonders fand. Und nichts würde sie glücklicher machen, als wenn diese beiden zusammenkämen. Sollte er aber Stoltz zu Gesicht bekommen, war diese Verbindung in großer Gefahr. Und das würde Abby niemals zulassen. Ihre Augen begannen sich pink zu verfärben, die Pupillen zogen sich zu katzenhaften Schlitzen zusammen. Abbys wohl bestgehütetes Geheimnis, ihr Status als Sirene, trat in diesem Moment zum Vorschein. Und wie sich ihre Augen veränderten, wandelte sich auch ihre sonst sanfte Stimme zu einem rauchigen, verführerischen Ton. „Logan, warum kommen Sie nicht mit mir und wir besprechen das in Ruhe?“, fragte sie in ihrer halb verwandelten Form. Er sah sie wie gebannt an. Ihre Hypnose funktionierte also! Gut! Für Männer brauchte es auch nicht mehr, wie schon einige ihrer Mitkommilitonen in London erfahren mussten. Besonders jene, die aufdringlich wurden oder die Vorlesungen schwänzten. Noch nie waren die Kurse ihrer Uni so gefüllt mit Studenten wie in Abbys Jahrgang! „Was'n jetzt los?“, fragte Logan jedoch plötzlich perplex. „Haste farbwechselnde Kontaktlinsen drin?“ Abby schnappte nach Luft. „N-nei-! Äh, ja, ja!“ Wie konnte das sein!? Er widerstand ihr!? Vielleicht musste sie sich doch voll verwandeln. Dann wurden ihre Haare ganz weiß und wild, ihre Fingernägel wuchsen auf beängstigende Länge an und sie konnte bei mehreren Leuten mühelos einen tranceartigen Zustand auslösen. Aber was, wenn er dem auch widerstand? Dieses Gefühl, als sie ihn berührt hatte. Falls sie nochmal versagte, konnte sie sich keine Ausrede mehr einfallen lassen. Anya würde ihr das nie verzeihen. „I-ich muss sie vergessen haben. War gestern auf 'ner Rave-Party!“ „Du?“, fragte er mehr als skeptisch. „Rave-Party. Sicher.“ „Ahahaha“, lachte sie heiserer als ihr lieb war. Sie hasste es zu lügen und deshalb war sie auch so elendig schlecht darin.   Nachdem dieser peinliche Moment für Abbys Verhältnisse viel zu lange anhielt, räusperte sie sich und hob den Arm mit ihrer Duel Disk daran. „Okay, genug gescherzt. Anscheinend kann ich Ihnen keine Angst durch meine Tricks einjagen, Mr. Carter.“ „Du hast noch mehr drauf?“ Er kratzte sich am Hinterkopf. „Was'n? Mich mit 'nem Handschlag schocken?“ „Nein“, war sie plötzlich selbstsicher, „Sie in einem Duell schocken!“ „Bin nicht der Typ für so'nen Kram“, winkte der und drehte sich schon um, hielt jedoch plötzlich inne. Fluchte leise vor sich hin und wandte sich ihr wieder zu. „Fein, aber danach lässt du mich in Ruhe!“ Wieso stimmte er plötzlich zu!? Eben sah es doch ganz danach aus, als würde er ihre Herausforderung ausschlagen wollen! Abby kam die ganze Sache immer merkwürdiger vor. Logan indes hob seinen Arm, an dem eine Standard-Duel Disk angebracht war, die mit den abgerundeten Kanten. Schließlich war seine alte samt D-Wheel zerstört worden, wie Abby inzwischen wusste. Der Apparat fuhr aus. „Bereit?“ So auch Abbys. „Natürlich. Duell!“   [Abby: 4000LP / Logan: 4000LP]   „Sie können gerne den ersten Zug beanspruchen“, bot Abby freundlich an, während beide ihr Startblatt zogen. Jener nickte. Irgendetwas in seinem Blick hatte sich gewandelt. Er starrte sie auf einmal beinahe feindselig an. Und nervös. „Setze 'n Monster und 'ne Verdeckte. Du bist, Kleine.“ Vor ihm materialisierten sich ein quer liegender und dahinter ein aufrecht liegender, vergrößerter Kartenrücken.   „Draw!“, rief Abby entschlossen und betrachtete die gezogene Karte mit großen Augen. Damit konnte sie …! Ihr Haupt hebend, sah sie den Mann mit Bedauern an. „Es tut mir leid, dass wir so einen schlechten Start haben, nachdem wir uns das erste Mal persönlich begegnen.“ „Mach deinen Zug“, forderte er aber brummig. Wie sie sich dachte! Er -war- unruhig. Was bedeutete, dass er irgendetwas ahnen musste. Na gut, so wie sie rumdruckste, konnte man auch von alleine drauf kommen, besonders bei Anya. Und doch sagte ihr ihr Instinkt, dass dahinter mehr steckte. Vielleicht glaubte er Anyas Geschichte von damals inzwischen? „Ich beschwöre [Naturia Pumpkin]! Und da Sie ein Monster kontrollieren, kann ich ein weiteres Naturia-Monster aus meiner Hand spezialbeschwören! Erscheine, [Naturia Vein]!“ Erst tauchte ein dicker, angebrochener, hellgrüner Kürbis mit Gesicht auf zwei Beinen vor ihr auf, dann wuchs neben ihm ein kleines Blatt – ebenfalls mit Armen, Beinen und einem Gesicht – aus dem Boden.   Naturia Pumpkin [ATK/1400 DEF/800 (4)] Naturia Vein [ATK/200 DEF/300 (1)]   „Aber das ist noch nicht alles! Da in diesem Zug ein Naturia-Monster seinen Effekt aktiviert hat, kann ich [Naturia Hydrangea] aus meiner Hand spezialbeschwören!“ Neben ihren beiden Monstern wuchs eine Hortensie mit drei Blüten aus dem Boden, die alle Gesichter besaßen. Zwei waren hellblau, eins rosa.   Naturia Hydrangea [ATK/1900 DEF/2000 (5)]   Selbstbewusst streckte Abby da die Hand aus. „Ich stimme mein Stufe 1-ERDE-Empfänger auf mein Stufe 4-ERDE-Monster ein!“ Da stieg das kleine Blatt auch schon in die Höhe und transformierte sich in einen grünen Lichtring, durch den ihm der Kürbis folgte. Jener teile sich in vier hintereinander liegende Lichtkugeln auf. „Oh great god of the west! Rule this land with your penetrating gaze and justice! Synchro Summon!“ Ein Lichtblitz schoss durch den Ring. „Roar proudly, [Naturia Beast]!“ Und mit einem Satz landete vor ihr ein grün-weißer Tiger, dessen Gliedmaße aus knorrigen Ästen bestanden. Knurrend stellte er sich vor das Mädchen, die besonnen lächelte. „Lange nicht gesehen, alter Freund.“ Naturia Beast [ATK/2200 DEF/1700 (5)]   Dann zog sie die ausgestreckte Hand zurück zu ihrem Blatt und holte dort eine Zauberkarte hervor, die sie mit festem Blick vorzeigte. „Ich aktiviere [Monster Reborn] und hole [Naturia Vein] vom Friedhof!“ Das kleine Blatt tauchte auf dem Kopf des Tigers wieder auf, welcher verwundert guckte.   Naturia Vein [ATK/200 DEF/300 (1)]   Unlängst war Abby jedoch wieder im Begriff, den Arm auszuschwenken. „Und jetzt stimme ich meinen Stufe 1-ERDE-Empfänger auf mein Stufe 5-ERDE-Monster ein!“ Es war die gleiche Prozedur. Das Blatt stieg auf, verwandelte sich in einen grünen Synchroring, den die drei Blüten durchquerten und dabei zu fünf Energiesphären wurden. „Oh great god of the east! Scare my enemies with your mighty presence! Synchro Summon!“ Erneut erhellte ein Lichtblitz die Umgebung für einen Sekundenbruchteil. „Descent down, [Naturia Barkion]!“ Schon schoss neben Abby ein schlangenhafter, weißer Drache hervor, dessen Körper von harter, brauner Rinde geschützt war.   Naturia Barkion [ATK/2500 DEF/1800 (6)]   „Ich aktiviere [Fusion Substitute]!“ Abby grinste mit einem Mal verschmitzt. „Die verschmilzt Monster auf meiner Spielfeldseite!“ Sie breitete die Arme weit aus. „Beast, Barkion, werdet eins! Erscheine und entführe uns in eine Welt voller Schönheit und Wohlstand!“ Zwischen ihren beiden Monstern bildete sich ein rot-blauer Sog, der die beiden verzerrt in sich hinein zog, während Abby rief: „Komm herbei, [Naturia Exterio]!“ Schon spuckte der Wirbel den stolzen Tiger aus, der jedoch verändert in Erscheinung trat. So trug er den Kopf des Drachen Barkions wie einen Helm, sein Schweif war länger und weiß wie der des Drachen.   Naturia Exterio [ATK/2800 DEF/2400 (10)]   „Wird'n das wenn's fertig ist?“, murrte Logan. Abby schmunzelte. „Für Sie? Etwas ziemlich Problematisches, leider. Meine letzte Handkarte: [Miracle Synchro Fusion]! Sie verschmilzt ebenfalls, aber vom Friedhof und dabei muss mindestens ein Synchro-Monster verwendet werden.“ Ihr Blick wurde ernster. „Aber ich nehme gleich zwei! Barkion, Beast, nochmal!“ Wieder öffnete sich vor ihr ein Sog, doch diesmal flimmerte dieser und zog transparente Abbilder der beiden genannten Monster in sich hinein. „Für die Fusion brauche ich zwei ERDE-Synchronmonster! Entführe uns in eine neu geborene Welt! Erscheine, [Naturia Gaiastrio]!“ Das Portal verschwand. Stattdessen brach hinter ihr ein riesiges Areal scheinbar ein, doch die Schrottberge bewegten sich nicht. Ein riesiger Löwe erhob sich, dessen massive Beine vollständig aus Holz waren. Er steckte in einer edlen Rüstung, an deren Seiten gläserne, kurze Tragflächen unter dem Hals hervor stachen. Seine gezackte Mähne bestand aus zahlreichen roten Blütenblättern.   Naturia Gaiastrio [ATK/3200 DEF/2100 (10)]   „Das ist mein stärkstes Monster!“, strahlte Abby stolz und sah über der Schulter hoch zu der mehrere Meter großen Gestalt. Es war so selten, dass sie ihn beschwor. Dann wandte sie sich wieder Logan zu, der sie stumm anstarrte. Es war das erste Mal, dass sie beide ihrer Fusionsmonster auf dem Spielfeld hatte. Damit musste ihr Widersacher erstmal fertig werden – wozu sie ihm genug Gelegenheiten geben würde, schließlich wollte sie das Duell ja nicht allzu schnell gewinnen, dachte die Brünette mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen.   ~-~-~   „Dann will ich mal, hm?“ Zanthe betrachtete nachdenklich sein Blatt. Im Gedanken war er immer noch bei Abby. Logan würde ihr nichts tun, oder? Auch wenn er ein Lügner war, hatte er sicherlich seinen Stolz. Zumindest hoffte der Werwolf das, dem langsam Gewissensbisse kamen. Aber das war nur ein Grund mehr, das hier so schnell wie möglich zu beenden! „Ich glaube nicht, dass du die da brauchst“, grinste er breit und zückte eine Schnellzauberkarte, die er in seinen Duellhandschuh schob. „[Mystical Space Typhoon]!“ Binnen eines Herzschlags schoss vor ihm ein blitzender Wirbel über das Feld und schlug in Stoltz' verdeckte Karte ein, die daraufhin explodierte. „Ups. Wir Menschen können halt nur zerstören.“ Demonstrativ die Schultern zuckend, hatte er sich von Anya böses Gekicher verdient. „Menschen sind die Krone der Schöpfung. Aber nicht die einzige“, erwiderte Stoltz geheimnisvoll. „Wir wissen längst, dass ihr euch um das große Ganze sorgt.“ Zanthe zog nebenbei drei Karten aus seinem Blatt. „Und das ist ok. Dafür verdient ihr sogar unseren Dank und es ist schade, dass niemand von euch wissen darf, um ihn zu entrichten.“ Da drehte sich Anya verwirrt zu ihm. „Huh!? Flohpelz, was ist mit dir los!? Du sollst ihn nicht wegloben, sondern-“ Aber Zanthe schüttelte den Kopf. „Nein. Das musste gesagt werden.“ „Tch. Bei dem kannst du dir die Worte sparen“, knurrte Matt hasserfüllt. „Ich weiß. Aber bei anderen kommen sie vielleicht an“, hoffte Zanthe, der sich sicher war, dass sie zumindest noch von einem anderen Undying beobachtet wurden. Dann legte er eine Monsterkarte in seinen Handschuh ein und ließ einen kleinen Schlüssel in seiner Hand erscheinen, den er ausschwang. „Open a door to the twins! Ich rufe [Constellar Pollux]!“ Sofort materialisierte sich vor ihm ein Portal, umgeben von vielerlei astrologischen Symbolen. Es zerbarst, als ein weißer, maskierter Sternenkrieger, der ein Schwert mit zwei parallel zueinander verlaufenden Klingen führte, daraus hervorbrach.   Constellar Pollux [ATK/1700 DEF/600 (4)]   „Sein Auftritt ist leider nur sehr kurz, denn durch seinen Effekt führe ich eine zweite Normalbeschwörung durch.“ Noch ein Schlüssel manifestierte sich in Zanthes Hand, welchen dieser wieder zur Seite streckte. Damit entstand ein weiteres Portal. „Ich opfere ihn für eine Tributbeschwörung! Open a door to the fish! Erscheine, [Constellar Alrescha]!“ Auch dieser Runenzirkel zersprang, als aus ihm ein ebenfalls weißer Krieger hervor gestürmt kam, doch anders als sein Vorgänger trug er eine wesentlich besser gepanzerte Rüstung, die ihn sehr wuchtig erscheinen ließ. Er hielt zwei kurze Schwerter, ebenfalls mit Parallelklingen ausgestattet, in den Händen, die durch einen blauen, Funken sprühenden Draht miteinander verbunden waren.   Constellar Alrescha [ATK/2200 DEF/1200 (6)]   In Zanthes Hand erschien zum dritten Mal ein Schlüssel, den dieser ausschwang. „Wird Alrescha beschworen, ruft sie einen Sternenkundler aus meiner Hand in Verteidigung! Open a door to the scorpion! Erscheine, [Constellar Antares]!“ Dort, wo der Schlüsselbart hinzeigte, breitete sich ein weiterer Kreis voller Symbole aus, der zersprang. Aus ihm heraus trat ein schlanker, großer Krieger, der einen rot leuchtenden Speer in der rechten Hand hielt, wobei die andere den Schaft umklammerte, welcher nicht etwa fest, sondern gewunden wie ein Schlauch war – oder ein Skorpionsschwanz. Die Ornamente an seiner Rüstung leuchteten ebenfalls rötlich. Er ging in die Knie.   Constellar Antares [ATK/2400 DEF/900 (6)]   „Wird Antares beschworen, erhalte ich einen Constellar vom Friedhof“, erklärte Zanthe und zeigte Pollux' Karte vor. Dann streckte er den Arm weit aus. „Zeit für den Höhepunkt! Aus meinen beiden Stufe 6-Monstern wird ein Rang 6-Badass!“ In der Hand materialisierte sich ein Platinschlüssel von der Größe eines Schwertes, welches Zanthe kurz grinsend entlang der Handfläche hin und her wirbelte, ehe er es mit voller Wucht in den Boden rammte. „Open a gate to the Sacred Star Knights! Xyz Summon!“ Unter ihm breitete sich einer der Symbolzirkel aus, welcher die beiden anderen Sternenkrieger als leuchtend-gelbe Strahlen absorbierte. Zanthe machte einen Satz zurück, als aus dem Kreis eine riesige Bestie hervor brach und in die Höhe stieg. „[Constellar Ptolemy M7]!“ Von gewaltiger Größe war dieser weiß-goldene, mechanische Drache mit den schwarzen Schwingen und dem gleichfarbigen, langen Schweif, um welchen zwei Lichtkugeln kreisten.   Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 2]   „Heh!“ Zanthe warf Anya einen verschwörerischen Seitenblick zu, den diese mit einem Funkeln in den Augen zur Kenntnis nahm. Dann streckte er die Hand nach vorn aus. „Da Messier 7 auf reguläre Weise beschworen wurde, kann ich seinen Effekt sofort nutzen! Ich gebe eine Karte auf dem Spielfeld oder Friedhof auf die Hand des Besitzers zurück! Return Of The Star!“ Sein mächtiger Drache brüllte lautstark und verschlang eine der beiden Lichtkugeln. Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 2 → 1]   Immer mehr ging der riesige Zentaur in grelles Licht auf, ehe er mit einem Mal wie eine Rakete nach oben schoss, zu einem Lichtstrahl schmolz und fort war. Einzig der Energiekern war ihm geblieben. Trotz seines starken Monsters beraubt, grinste Stoltz weiterhin. Zanthe ließ sich davon aber nicht beeindrucken, sondern hatte selbst ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. „Dann bist du jetzt dran, Matt. Aber übertreib's nicht.“ „Mein Zug!“, fauchte der aber da schon und machte allzu deutlich, dass er von diesem Ratschlag wenig hielt. Er nahm drei Karten aus seiner Hand hervor und sah den Werwolf links neben sich böse an. Aber unerwartet nickte er einwilligend. Dann wandte er sich Stoltz zu. „Ich rufe [Evilswarm Castor] als Normalbeschwörung, wodurch ich noch einen Schwärmer auf diese Weise rufen kann. [Evilswarm Azzathoth]. Und hinterher als Spezialbeschwörung [Evilswarm Dullahan], da ich einen Schwärmer mit mehr als 1500 Angriffspunkten kontrolliere!“ Erst tauchte derselbe Krieger auf, den Zanthe als Pollux beschworen hatte. Der Unterschied war, dass eine Körperhälfte komplett schwarz gefärbt war und er einen zerschlissenen, roten Umhang trug, zusammen mit dem Doppelklingenschwert. Zanthe grinste bei dem Anblick seines korrumpierten Monsters. Danach tauchte etwas auf, das man allenfalls als Knäuel sich selbst fressender, verschiedenfarbiger Reptilienmäuler bezeichnen konnte. Eine Verschmelzung all der verschiedenen Worm-Monster, wie Anyas Cousine Zoey sie spielte. Erstere machte zunächst ein angewidertes Gesicht, atmete dann aber still aus. Zu guter Letzt gesellte sich eine schwarze, verfallene und vor allem kopflose Rüstung mit riesigen, langen Goldarmen dazu, die auch keine Beine besaß, sondern nur eine Spitze am Unterleib – die Reste von [Vylon Soldier], einem von Alastairs Monstern. Sein Anblick brachte Matt dazu, betreten zu schweigen.   Evilswarm Castor [ATK/1750 DEF/550 (4)] Evilswarm Azzathoth [ATK/750 DEF/1950 (4)] Evilswarm Dullahan [ATK/1150 DEF/1550 (4)]   Nachdem er den inneren Kampf scheinbar gewonnen hatte, sah er hilfesuchend zu Anya. Die nickte fest.   Ich hoffe, sie hat dich nicht zu einer Dummheit animiert, Matthew Summers.   Als er Thoras' Worte in seinem Kopf hörte, schüttelte er den Kopf. „Nein. Keine Sorge. Nachdem wir uns um Stoltz gekümmert haben, steht als Nächstes diese Militärbasis auf der Agenda. Ich werde nichts tun, was mir schadet und dadurch deine Mission gefährden.“ Darauf will ich nicht hinaus. Ich mache mir ganz einfach Sorgen um dich.   Zanthe spitzte die Ohren. „Mission? Geht's da etwa um was Bestimmtes?“ „Ja. Aber darüber reden wir später, ok?“ Matt funkelte den grinsenden Undying an. „Erst er!“ Dann streckte er den Arm aus. „Ich errichte das Overlay Network! Aus meinen drei Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Vor ihm öffnete sich ein Schwarzes Loch, das nacheinander seine drei Schwärmer als violette Lichtstrahlen in sich hineinzog. „Xyz Summon! Steige empor, [Evilswarm Ouroboros]!“ Eine schwarze Aura begann um Matt zu flimmern. Passend dazu explodierte das Überlagerungsnetzwerk förmlich. Nacheinander streckten sich drei Drachenköpfe an langen Hälsen daraus empor, ehe die schwarze Kreatur mit ihren Schwingen aus dunklem Eis sich erhob. Jeder Kopf war von einer weiß-schwarzen Maske bedeckt, der lange Schweif peitschte wütend, vielleicht weil um jedes der Häupter eine Lichtkugel kreiste.   Evilswarm Ouroboros [ATK/2750 DEF/1950 {4} OLU: 3]   Die Aura um Matt wuchs an, als er die Hand ausstreckte. „Gut für dich, dass ich nicht angreifen kann! Aber das heißt nicht, dass ich nicht [Evilswarm Ouroboros'] Effekt nutzen werde! Gegen eine Overlay Unit wirfst du eine Handkarte ab!“ Sofort im Anschluss verschlang der linke Kopf die leuchtende Kugel, die ihn umkreiste. Dann spie jener einen schwarzen Odem aus lauter winzigen Insekten auf Stoltz. Jener regte sich gar nicht, auch nicht, als eine seiner Handkarten schwarzes Feuer fing. Er nahm sie mit der anderen Hand und zeigte sie vor: [Centurion Atlas]. „Cool“, gluckste Zanthe und Anya lachte böse. Was ihr sofort verging, als Stoltz seinen Mund weit aufriss und die Karte hineinsteckte, sie hinunterschluckte. Verstört sahen alle drei ihn an. „D-das ist mal neu“, stammelte der Werwolf, der sonst so schlagfertig war. Die Blonde verzog angewidert das Gesicht. „Hat dem niemand erklärt, wo der Friedhof ist?“ „Lasst ihn. Er weiß nicht, wie er uns sonst beeindrucken soll“, schnappte Matt. „Wir vernichten ihn systematisch und das merkt er.“ Die Drei grinsten sich daraufhin gegenseitig schadenfroh an, doch Stoltz' schien sich nichts aus seinem Verlust zu machen. Etwas, das Matt mit finsterem Blick zur Kenntnis nahm. „Was dagegen, wenn ich noch für etwas Zerstörung sorge?“, fragte er an Anya gewandt. Die schüttelte den Kopf. „Nope. Passt schon.“ „Gut.“ Schon nahm er seine letzten beiden Handkarten und zeigte sie vor. „[Mystical Space Typhoon] und [Xyz Energy]! Damit zerstöre ich [Centurion Core Unit] und den Kern durch das Abhängen einer Overlay Unit von Ouroboros!“ Der linke Kopf verschlang die seine und stieß einen grellen Lichtodem aus. Parallel dazu fegte ein blitzender Wirbelsturm über das Spielfeld. Zeitgleich schlugen beide in ihre jeweiligen Ziele, den blauen Behälter und die offen stehende Zauberkarte, ein. Matt stieß angespannt Luft aus. „Nicht, was ich eigentlich gerne tun würde, aber immerhin etwas. Jetzt liegt es in deinen Händen, Anya.“   Was diese nickend zur Kenntnis nahm. „Verlass dich auf mich.“ Schon wirbelte sie geschickt mit den Fingern eine Zauberkarte in ihrer Hand umher, ehe sie sie stolz vorzeigte. „Mach dich auf 'ne fette Abreibung gefasst! [Gem-Knight Fusion]!“ Über ihr öffnete sich ein schillernder Wirbel, in den zahllose Edelsteine, die aus dem Nichts erschienen, gezogen wurden. Anya streckte die Hand in die Höhe. „[Gem-Knight Obsidian], du bist das Element, [Gem-Knight Lapis], du der Ursprung! Vereinigt eure Kräfte!“ So tauchten vor ihr ein schwarzer Ritter auf, um dessen Schulter eine lange, namensgebende Kette aus Obsidian-Perlen hing sowie eine kleine Ritterin in cremefarbener Rüstung mit lavendelfarbenem Rock, in deren Brust ein blauer Edelstein eingelassen war. Beide wurden in den Sog gezogen und Anya donnerte: „Fusion Summon! Erscheine, [Gem-Knight Zirconia]!“ Ein massiver, breitschultriger Ritter landete vor Anya. Von seinem Rücken wehte ein dunkelblauer Umhang. Aber viel mehr stachen seine Arme ins Auge, die in massiven, man konnte schon sagen, Dampframmen endeten. Deren Enden waren von jeweils einem transparenten, tellergroßen Edelstein bedeckt.   Gem-Knight Zirconia [ATK/2900 DEF/2500 (8)]   Als Matt das Monster erblickte, das er einst extra für Anya besorgt hatte, um sie zur Kooperation zu bewegen, musste er unfreiwillig schmunzeln. „Heh. Damals war die Welt noch in Ordnung.“ Die Blonde sah ihn betrübt an. „Yeah. Wir hatten nur im Kopf, wie wir mit dem Turm von Neo Babylon fertig werden. Und jetzt …“ „Ja …“ „Aber irgendwie hat sich nichts verändert. Ich muss mich immer noch nach einem Countdown richten.“ Anya sah Stoltz aus den Augenwinkeln an. „Und meine übernatürlichen Verbündeten machen es mir grad sehr schwer, ihnen zu vertrauen.“ Der Undying erwiderte kichernd: „Ghihi. Das Mädchen muss sich keine Sorgen mehr machen.“ „Du schon“, giftete sie zornig zurück und streckte die Hand aus. „Wenn Obsidian von meiner Hand auf den Friedhof geschickt wird, ruft er ein normales Monster der Stufe 4 oder niedriger von meinem Friedhof zurück. Dein Auftritt, Lapis!“ Neben Zirconia öffnete sich ein Portal am Boden, aus dem die kleine, unbewaffnete Ritterin entstieg.   Gem-Knight Lapis [ATK/1200 DEF/100 (3)]   „Ich verbanne Obsidian von meinem Friedhof, um [Gem-Knight Fusion] zurückzuerhalten. Und ich aktiviere sie sofort!“ Anya nahm die Karte von Lapis von ihrer Duel Disk und hielt sie zusammen mit ihrem Zauber und einem weiteren Monster in die Höhe. „[Gem-Knight Lapis], du bist das Herz, [Gem-Knight Lazuli], du die Rüstung! Vereint euch!“ Wieder öffnete sich der Edelsteinwirbel und zog erst die Ritterin auf dem Feld, dann eine weitere in lehmbrauner Rüstung mit langen Bändern an ihrem Helm in sich hinein. „Fusion Summon! Das ist die Ritterin, die deinen Untergang besiegeln wird! [Gem-Knight Lady Lapis Lazuli]!“ Jene schwebte elegant aus dem Strom über Anya herab. Anders als ihre Kameraden trug sie keine Rüstung, sondern einen dunkelblauen Kimono mit weiten Ärmeln.   Gem-Knight Lady Lapis Lazuli [ATK/2400 DEF/1000 (5)]   Zanthe pfiff begeistert und meinte: „Cool. Die war doch in dem Structure Deck, das Mr. Palmer dir geschickt hat und das leider erst nach dem Legacy Cup ankam, oder?“ „Jep.“ Jedes Mal, wenn sie daran dachte, überkam Anya eine Woge des Glücks und der Dankbarkeit. Dieses Geschenk war etwas ganz Besonderes für sie gewesen und auch wenn der eigentliche Mann hinter dem Ganzen Henry Ford war, verband sie damit ebenso das Wohlwollen ihres ehemaligen Arbeitgebers. Was natürlich keiner wissen durfte, schließlich hatte sie einen Ruf zu verlieren! „Effekt von [Gem-Knight Lazuli]! Wenn sie durch einen Effekt auf den Friedhof gelegt wird, erhalte ich von dort ein normales Monster: [Gem-Knight Lapis]! Und wenn ich gerade dabei bin, verbanne ich sie auch gleich und nehme [Gem-Knight Fusion] gleich mit!“ Schon hatte sie statt einer wieder drei Karten auf dem Blatt. Stoltz machte dazu ein neugieriges, gar vergnügtes Grunzen. Was stimmte bloß nicht mit dem Ding!? Anya hob argwöhnisch die drei Karten in die Höhe. „Dir wird das dreckige Grinsen schon noch aus dem Gesicht gefegt werden, Miststück! Aller guten Dinge sind drei! [Gem-Knight Fusion]! [Gem-Knight Garnet], du bist das Herz, [Gem-Knight Lapis], du die Rüstung! Vereint euch!“ Abermals öffnete sich über ihr der Wirbel. Es erschien ein Ritter in bronzener Rüstung, dessen Hände brannten. Zusammen mit Lapis wurden sie in den Sog aus Edelsteinen gezogen. „Fusion Summon! [Gem-Knight Ruby]!“ Aus dem Strudel entsprang ein Ritter in rubinroter Rüstung, der mit einem Satz vor Anya landete und mit seiner Lanze eindrucksvoll umherwirbelte. Dabei flatterte sein blauer Umhang wild.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   „Sie kann im ersten Zug nicht angreifen. Das denkst du dir sicher gerade, huh?“, brummte Anya und verzog die Augen zu Schlitzen. Stoltz grinste sie herausfordernd an. „Aber dafür habe ich Lady Lapis Lazuli!“ Jene ließ die rechte Hand über den Kopf ausschwenken, wodurch sich zahlreiche Kristallspitzen über ihr bildeten. Anya erklärte: „Indem ich einen Gem-Knight von meinem Deck oder Extradeck auf den Friedhof schicke, erhältst du für jedes spezialbeschworene Monster auf dem Feld 500 Punkte Schaden. Und nun zähle!“ Während sie sich [Gem-Knight Topaz], ein Fusionsmonster aus ihrem Extradeck nahm und in den Friedhofsschacht schob, grinste Stoltz einfach weiter. „Meins zählt mit“, sagte Zanthe und sofort begann sein Messier 7 weiß zu leuchten. Die Edelsteingeschosse über Lady Lapis Lazuli verdoppelten sich in ihrer Menge. Matt verschränkte die Arme. „Meins auch.“ Sein Ouroboros begann in pechschwarzer Aura zu erstrahlen, genau wie Matt selbst. Wieder vermehrten sich die Spitzen. „Und ich hab drei“, knurrte Anya und der breite Zirconia, Ruby und Lady Lapis Lazuli selbst leuchteten in jeweils in den Farben gelb, rot und blau auf. Wodurch aus dem ohnehin schon großen Schwarm eine nicht mehr überschaubare Menge wurde. „Fahr zur Hölle, Missgeburt! Shimmer Shards!“ Mit einer winkenden Handgestik ließ ihre Ritterin die Geschosse wie einen Insektenschwarm los. Stoltz breitete jedoch mit seinem ewig-hässlichen Grinsen die Arme aus und sehnte den Angriff sogar herbei. Sie durchstießen seinen Oberkörper, die Arme, die Beine und auch den Kopf, doch da es sich um Hologramme handelte, passierten sie ihn letztlich doch einfach.   [Anya: 4000LP Matt: 4000LP Zanthe: 4000LP //// Stoltz: 4000LP → 1500LP]   „Die Menschen wehren sich diesmal durchaus. Höchst amüsant“, gackerte der Undying, nachdem die letzten Scherben fort waren. Anyas Blick verfinsterte sich. „Lach nicht!“ Dann riss sie eine Karte aus ihrem Friedhof. „Ich verbanne Garnet und erhalte [Gem-Knight Fusion] von meinem Friedhof zurück! Und die aktiviere ich ein letztes Mal!“ Abermals öffnete sich über ihr der Edelsteinwirbel und sie rief: „Drei Lichter kreuzen den Weg des Lichts! Körper, Seele und Herz verschmelzen und werden zu der Macht, die in ihrer Reinheit einem Diamanten gleicht!“ Nacheinander wurden Zirconia, Lady Lapis Lazuli und Ruby in den Sog gezogen und verschwanden. Aus diesem flog im Anschluss ein massives Breitschwert und steckte schräg vor Anya in der Erde fest. In ihm waren sieben Edelsteine in den Farben des Regenbogens eingelassen. „Fusion Summon! Bring mir den Sieg, [Gem-Knight Master Diamond]!“ Mit einem Satz sprang ein massiver Ritter in silberner Rüstung und gehörntem Helm aus dem Vortex. Er landete neben seinem Schwert, das er mit nur einer Hand aus dem Boden zog und umfasste. Seine andere Hand begann blau-violett in Flammen aufzugehen, genau wie Anyas. Die spürte unbändige Kraft in sich aufsteigen.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 DEF/2500 (9)]   Anya schloss die Augen. Diese Karte, nebst einigen anderen, hatte sie sich vor einem Jahr von dem Dschinn gewünscht, der sie eigentlich von Levrier befreien sollte. Derselbe Lampengeist, der letztlich die Kopie von Anya Bauer erschaffen hatte – sie. Oder Kali. „Ugh.“ „Alles klar?“, fragte der Flohpelz besorgt. Anya nickte. „Mir geht’s gut. Bringen wir das hier zu Ende! [Gem-Knight Master Diamond] erhält 100 Angriffspunkte für jeden Gem-Knight auf dem Friedhof. Das sind im Moment fünf.“   Gem-Knight Master Diamond [ATK/2900 → 3400 DEF/2500 (9)]   Doch sie fügte scharf an: „Aber! Davon kannst du gleich einen abziehen, denn ich verwende den Effekt von [Gem-Knight Master Diamond]!“ Jener umschloss sein Schwert plötzlich doch mit beiden Händen und lehnte seinen Kopf daran. Wie seine und Anyas Hand, ging auch es in farbenfrohen Flammen auf. „Er denkt an seine gefallenen Freunde. Und wenn er jemand bestimmtes im Sinn hat, wird dieser vom Friedhof verbannt und er erhält seinen Effekt – vorausgesetzt, es ist ein Fusionsmonster, dessen Stufe nicht über 7 liegt.“ Matt lachte leise. „Da fällt die Wahl nicht schwer.“ Der Werwolf zuckte mit den Schultern. „Wer hätte gedacht, dass sie das so gut planen würde?“ „Ich hatte drauf gehofft, aber auch ohne Glück hätten wir den fertig gemacht“, gestand Anya und streckte die flammende Hand aus, „ich verbanne [Gem-Knight Lady Lapis Lazuli]!“ Ein transparentes Ebenbild jener Ritterin im blauen Kimono tauchte vor Master Diamond auf und verschwand in ihm.   Gem-Knight Master Diamond [ATK/3400 → 3300 DEF/2500 (9)]   „Nun hat mein Monster ihren Effekt“, sprach Anya geradezu majestätisch, als wäre sie nie etwas anderes als die auserwählte Duel Queen, „und jetzt zähle nochmal. Wie viele spezialbeschworene Monster sind auf dem Feld?“ Der Kopftuchträger zwinkerte dem Undying zu, dessen Grinsen langsam schwand. Sein weiß-goldener Drache mit schwarzen Schwingen leuchtete weiß auf. Matt stieß ein gehässiges Lachen aus, als Stoltz' Züge zum ersten Mal aufrichtige Verwunderung zeigten. [Evilswarm Ouroboros] strahlte wieder pures Schwarz aus. Und dann war da Anya. Sie funkelte die Gruselmumie voller Inbrunst an, während ihr Ritter in einer regenbogenfarbenen Aura erstrahlte. „Genau-so-viele!“ [Gem-Knight Master Diamond] hob seine Klinge in die Höhe, um die sich massenhaft glänzende Edelsteinscherben bildeten. Da entfuhr es Stoltz atemlos. „Unmöglich! Ich soll-!?“ „Shimmer Sha-!“ Doch die Szene wurde unlängst unterbrochen, als die Hologramme der drei Monster auf dem Feld stärker und stärker zu flackern anfingen. Matt weitete die Augen. „Huh!? Was ist da los?“ „Sag nicht“, brach Zanthe erschrocken hervor, „die-“   ~-~-~   Abby wusste genau, dass sie mehr strahlte als eigentlich angebracht war, aber sie konnte ihre Freude nun einmal nicht verleugnen. Sie streckte den Arm aus. „Also los, packen wir es an! Angriff auf sein gesetztes Monster, [Naturia Exterio]! A- Was!?“ Die beiden Hologramme ihrer Monster fingen an sich zu verzerren. Der Tiger in Drachenrüstung und auch der riesige Löwe hinter ihr. Sie flackerten auf und waren verschwunden. „Ah! Oh nein!“ Abby starrte entgeistert auf ihre Duel Disk. Die Lebenspunkteanzeige war aus. Logan kratzte sich am Hinterkopf. „Ne Serverstörung, würd' ich sagen. Hab wohl nochmal Glück gehabt.“ Er begann auf sie zuzugehen. „Sieht so aus, als müssen wir das verschieben.“ Als er an ihr vorbei wollte, sprang Abby ihm jedoch in den Weg. „Nein! Das Duell wurde unterbrochen, aber wir beide haben noch keine Lebenspunkte verloren. Wir setzen das so fort, wie in den Zeiten, als es noch keine Duel Disks gab.“ Er sah sie an, die sie ein paar Zentimeter größer war als er. Dann grinste er. „Bist wohl eine, die nicht aufgibt, was?“ „Ich habe es versprochen, Logan. Bitte versteh-“ Da begann sich plötzlich alles zu drehen. „W-was …?“ „Kleine, geht es dir nicht gut?“, fragte Logan, als sie rückwärts torkelte. Die Welt stand Kopf. Abby sah noch den grauen Himmel und den schwarzhaarigen Mann, der sich in ihr kleiner werdendes Sichtfeld drängte, dann fiel sie in endlose Schwärze. Dumpf hörte sie: „Abigail …!?“   ~-~-~   Es riss die Hologramme der drei Monster auf dem Feld förmlich auseinander. Und dann waren sie fort. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Anya die Stelle an, wo eben noch ihr Master Diamond gestanden hatte. „Nein …!“ Auch Stoltz schien maßgeblich überrascht, wandelte sich sein entsetzter Ausdruck in einen äußerst verwirrten. Dann aber begann er hysterisch zu lachen. „Köstlich! Die Menschen werden durch eine höhere Macht besiegt.“ Er sah den Dreien entgegen und streckte seine Zunge heraus. „Dem Undying gefällt diese Demütigung.“ Matt schnaubte wie ein Stier. „Du! Du hast verloren, ob das Duell unterbrochen wurde oder nicht!“ „So ist es“, nickte Zanthe, „also steh' für das ein, was du getan hast!“ Der Dämonenjäger wollte voraus stürmen, aber Anya fing ihn schnell ab. „Nicht, Summers!“ Sie drehte sich zu Stoltz um. „Du hast es gehört! Wir haben dich auseinander genommen und ich hätte dir den Gnadenstoß verpasst, wenn dieser kack Server nicht ausgefallen wäre!“ „Ist das so?“, fragte er belustigt. „Halt uns nicht zum Narren!“, fauchte Matt. „Du weißt es!“ Er legte den Kopf so schief, dass er fast schon seine Schulter berührte. „Nun denn, Menschling, was soll jetzt geschehen?“ „Bring sie zurück!“ Speichel flog dem Dämonenjäger regelrecht um die Ohren, als er das schrie und von Zanthe festgehalten werden musste. Stoltz' Grinsen wurde breiter und breiter. Er griff mit seiner Hand die Wange und rückte seinen Kopf laut knackend zurecht. „Nein.“ „Du-!“ Matt versuchte sich mit aller Kraft vom Werwolf loszureißen. „H-hey, ich versteh' dich ja, aber bleib ruhig-!“ „Elende Kackbratze!“, spuckte auch Anya Gift und Galle. „Hätte mir gleich denken können, dass jemand wie du sich niemals an Abmachungen halten würde!“ „Eine solche gab es nie.“ Anya streckte die rechte Hand aus, in der sich ein langer, weißer Speer manifestierte, dessen Spitze aus einem Drachenmaul ragte. „Dann habe ich auch kein Problem damit, wenn wir handgreiflich werden. Und glaub mir: Ich bin seit dem letzten Mal besser geworden!“ „Anya, nicht-!“, streckte Zanthe panisch seine Hand nach ihr aus – und ließ dabei Matt los, der sofort in die Innentasche seines Mantels griff und eine Pistole hervorzog. Er zielte auf Stoltz' Kopf und drückte ab. Kaum zu verstehen, erklang während des Knalls ein strenges: „Genug!“ Die goldene Patrone, in der heilige Symbole eingraviert waren, prallte direkt vor Stoltz' grinsender Visage an etwas ab und zerplatzte in einer kleinen, elektrisch aufgeladenen Explosion. „W-was?“, stammelte Matt und torkelte zurück. Anya ließ ihren Speer sinken. „Kch! Da ist ja die Verstärkung …“ „Fragt sich nur für wen“, murmelte Zanthe verunsichert. Die zweite der Undying stand neben Stoltz. Zed war ihr Name. Gekleidet in weißer Robe, war ihr Gesicht von einer weißen Maske verdeckte, welche weit über ihren Kopf hinausragte. Ihr langes, schwarzes Haar reichte fast bis zum Boden. In der rechten Hand hielt sie einen weißen, schlichten Stab, dessen oberes Ende in einer silbernen Kugel mündete – in ihr lag eine blaue Lichtquelle. Und diesen hielt sie schützend vor das Gesicht des riesigen Undying, ließ ihn anschließend sinken.   „Was maßt ihr euch an!?“, fauchte die Undying zornig. „Frag das deinen Kumpel da“, konterte Anya genauso gallig zurück und zeigte mit der Speerspitze auf Stoltz, „dieser Mistkerl hat zahlreiche Kinder ermordet! Matts Familie!“ Zed setzte ihren Stab mit dessen Ende auf dem Boden ab und schwieg. „Ist das wahr?“, ertönte da eine tiefe Stimme, die die drei jungen Menschen erschaudern ließ. Alle drei drehten ihre Köpfe nach links, wo auf einem riesigen Schrotthaufen der letzte der Undying stand – Ricther, gepanzert in einer goldenen Rüstung, unter der noch eine silberne lag. Sein Gesicht war von einem altertümlichen Helm mit zahlreichen, roten Federn bedeckt, dieselbe Farbe besaß auch sein langer Umhang. „Sprich!“ Er richtete das stattliche Schwert in seiner Hand auf keinen Geringeren als Stoltz. Jener verneigte sich sofort. „Selbstverständlich ist es die Wahrheit.“ Während Ricther keine Regung zeigte, erschrak Zed lautstark. Sofort wich sie von dem wesentlich größeren Undying zurück. „Dieser hier“, sagte jener und meinte sich selbst, „tat es aus Not. Unmöglich war es ihm, ein Portal zurück nach Hause zu öffnen, nachdem er den Großteil seiner Kraft beim Aussprechen der Warnung an Anya Bauer verbraucht hatte.“ „Er hat sie ermordet!“ Matt brach beim Schreien fast die Stimme weg. „Wegen … wegen sowas …“ „Wir wollten ihn zur Rede stellen“, erklärte Zanthe gefasster, aber dafür mit einem deutlich finsteren Unterton voller unterdrückter Aggression. „Wir wollen keinen Krieg mit euch. Im Gegenteil, unser gemeinsamer Feind bleibt der Sammler. Aber er hat unsere Leute auf dem Gewissen-“ „Schweig“, gebot ihm Ricther. Von einem Moment zum anderen verschwand er und tauchte vor den beiden anderen Undying auf. „Er soll“, schluchzte Matt, „er soll sie zurückbringen …“ „Das ist nur gerecht“, nickte Anya grimmig, „ihr habt das angerichtet, ihr biegt das wieder gerade!“ „Ich fürchte, das ist unmöglich.“ Die Worte des Anführers der Undying ließ alle Drei aufschrecken. Anya stand der Mund offen, Zanthe schüttelte ungläubig mit dem Kopf. Und Matt? Matt sank langsam, wortlos auf die Knie. „Dieser Konflikt ist bedauernswert. Aber es ist immer noch an uns, ihn auszuwerten. Und das werden wir, darauf habt ihr mein Wort“, sagte Ricther scharf und sah dabei über die Schulter zu Stoltz, der sich zwar immer noch verneigte, aber den Kopf hochreckte und grinste. Sich wieder an die Menschen wendend, fügte der Richter hinzu: „Was ihr jedoch verlangt, kann keiner von uns erfüllen.“ „Was!?“, platzte es aus Anya heraus. „Das kann nicht euer Ernst sein!“ „Jemanden wiederzubeleben ist eine schwierige Aufgabe. Die Toten kehren nie so zurück, wie sie einst waren“, erklärte Zed und trat vor. Aber das war Anya keine Erklärung. Sie stampfte wütend auf. „Fuck! Der Sammler kann es, wieso ihr nicht!? Ihr könnt doch künstliche Körper erschaffen – für mich tut ihr es doch auch! Alles, was ihr tun müsst, ist irgendwie ihre Seelen-!“ „Es ist unmöglich!“, donnerte Zed. „Der Sammler kann den Äther manipulieren und die verlorenen Seelen finden, auf eine uns unbekannte Art und Weise. Doch selbst ihm wird es unmöglich sein, diese Menschen ins Leben zu holen, denn ihr Äther ist verloren!“ Stoltz erhob sich. „Eins mit diesem hier.“ „Was …?“, stammelte Anya ungläubig. „Es ist wahr“, bestätigte Ricther mit gedämpfter Stimme, „wir sind Wesen ohne Äther und müssen ihn aus anderen Quellen beziehen, als Austausch für unsere Unsterblichkeit. Doch was wir in uns aufnehmen, wird früher oder später verbraucht.“ „Wie Benzin. Oder Nahrung … er hast sie gefressen …“, stammelte Matt leise, mehr zu sich selbst als alles andere. Er griff nach der Erde unter ihm und ließ sie vor seinen Augen auf Boden fallen. Um dann mit der Faust auf sie zu schlagen und jämmerlich zu winseln. „Nein … nein, nein, nein …“ Zanthe beugte sich behutsam zu dem gebrochenen Dämonenjäger, ließ dabei aber nicht den Blick von Ricther ab. Trotzdem schnappte er sich ganz nebenbei Matts am Boden liegende Pistole, schob sie weit außerhalb seiner Reichweite. „Es gibt keinen Weg sie zu retten? Gar keinen?“ Der Undying schüttelte den Kopf. „Dann wollen wir Rache“, schäumte Anya vor Wut und zeigte drohend mit dem Speer auf die Gruppe Unsterblicher, „aus dem Weg, ihr beiden!“ „Es steht nicht dir zu, über unseresgleichen zu richten. Mehr kann ich dir nicht sagen, Anya Bauer!“ Doch die feuerte bereits die Spitze des Speers durch pure Gedankenkontrolle ab. Zu spät, denn binnen eines Sekundenbruchteils bildete sich um die drei Undying ein schwarzes Portal, das sie absorbierte – und die Spitze flog ins Leere. Anya stand mit offenem Mund da. Das war alles? Dafür hatten sie das alles auf sich genommen, um einfach so abgespeist zu werden? „Fuck!“, schrie sie, so laut sie konnte und schmetterte den Speer vor Wut auf den Boden, wo er anschließend verschwand. „Es … tut mir leid …“, stammelte Zanthe derweil zu dem weinenden Matt. Anya stand mit gesenktem Kopf da und sagte gar nichts. Sie wischte sich mit dem Handrücken etwas aus den Augen. Es vergingen vielleicht nur Sekunden, oder Minuten, aber es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Bis Zanthe aufschreckte und sich von Matt wegdrehte. „Oh nein!“ Anya sah ihn an und folgte seinem Blick. „Was ist-!? Scheiße, Abby!“ Selbst Matt wurde aus seiner Trance gerissen und erhob sich. Alle drei sahen Logan entgegen, der das Mädchen mit beiden Händen trug. „Der Kleinen geht’s nicht gut. Krankenwagen ist unterwegs.“ Während Matt wie gelähmt da stand, rannten Anya und Zanthe zu dem kleinen Mann, der sich niederkniete und Abby in Anyas Armen ablegte. „Scheiße, Masters, was ist passiert?“ Doch die war bewusstlos, regte sich nicht. Aber sie atmete wenigstens. „Was hast du gemacht?“, fragte Zanthe tonlos. „Mich mit ihr duelliert, hat mir den Weg versperrt“, murrte Logan zurück, „was habt ihr hier getrieben? Das ganze Geschrei-“ „Was hast du gemacht!?“, fauchte der Kopftuchträger nur noch wütender, ganz zu Anyas kompletter Verwirrung.     Turn 109 – Interlude Die Räder des Schicksals beginnen sich zu drehen. Wer sind die Spieler, wer sind die Schachfiguren? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)