Die Prinzessinnen von New York von Kaname-chan (Another romantic version) ================================================================================ Kapitel 2: Zwei --------------- Nichts hält sich länger als ein Gerücht über eine Liaison. Und auch die New Yorker Gesellschaft bleibt hiervon nicht ungerührt. Nur fragt man sich immer lauter, welche Rolle die junge Dame noch spielt, wenn sie nun nicht mehr von ihrer Eroberung beachtet wird. Und wie lange sie noch leugnet, dass es ihr selbst nicht auffällt. Es ist geradezu mitleiderregend, wenn sich die jungen Damen an ihre eigene Phantasie klammern und die Wahrheit in den Worten ihres Auserwählten nicht erkennen.   - Gesellschaftskolumne der New York News Of The World Gazette, Donnerstag, den 26. Juli 1899   Diana Holland und sie waren schon eine Weile im Central Park unterwegs. Sie hatten gutes Wetter für ihren Ausflug erwischt und lachten beide als Diana gerade von dem furchtbaren Tanz mit Percival Coddington erzählte, dem sie wegen ihrer Mutter notgedrungen hatte zustimmen müssen. „Solltest du jemals in den Genuss kommen, achte darauf, dass er seine Hand an deinem Rücken behält. Und pass unbedingt auf deine Füße auf”, meinte Diana und Emma sah sie verängstigt an. „Behalt mich bitte im Blick und errette mich, wenn er sich mir nähert. Es klingt grauenvoll.“ Die beiden lachten und grüßten Nicholas Livingston, der ihnen mit Amos Vreewold und James Haverton entgegenkam. Alle drei hoben ihren Hut kurz an und unterhielten sich dann angeregt miteinander. Diana schwor ihr, dass sie sich darüber unterhielten, wie sie beide vom Äußerlichen her bei ihnen abschnitten. Auch etwas das New York völlig von ihrer Heimat unterschied. Solchen Tratsch und Klatsch gab es dort nicht so verhäuft. Ab und zu wurde natürlich über die Unvorteilhaftigkeit eines Kleidungsstückes gesprochen, aber eine Wertung über das Äußere wurde dort nicht gefällt. „Wo warst du eigentlich plötzlich gestern Abend? Du meintest, du müsstest kurz etwas zur Ruhe kommen und bist dann eine Stunde lang nicht mehr aufgetaucht“, erkundigte sich Diana und Emma spürte, wie ihr eine leichte Röte ins Gesicht stieg. „Du wirst mich sicher auslachen, wenn ich es dir erzähle.“ „Aber nein. Bestimmt nicht.“ Und um es ihr noch mehr zu beweisen, blieb das temperamentvolle Mädchen mitten auf dem Weg stehen und erhob beide Hände vor ihr. Ihre braunen Locken wippten im Wind. „Ich schwöre, ich lache nicht.“ Emma holte tief Luft. „Ich bin in eine kleine Bibliothek geflohen und dort tauchte dann nur wenige Minuten später Henry Schoonmaker auf, der sich vor jemandem zu verstecken versuchte.“ Erst zog Diana ihre Augenbrauen hinauf, um dann ihre Lippen fest aneinander zu pressen. Sie konnte in ihren Augen lesen, was sie ihr gedanklich unterstellte. „Bevor du weiter denkst… Wir haben uns nur unterhalten. Weiter war nichts.“ „Magst du ihn?“ Emma hakte sich bei ihrer Freundin ein und ging langsam ein Stück weiter. „Ich bin mir nicht sicher. Er ist schwer einzuschätzen. Aber ich denke, dass er gestern ehrlich zu mir war. Hundertprozentig vertraue ich ihm nicht. Das wäre erstens zu früh und zweitens zu gefährlich, aber ich glaube, es könnte da eine gute Seite an ihm geben, die er sonst versteckt hält.“ „Ich bin die Letzte, die dir in dieser Hinsicht Ratschläge erteilen sollte. Ich selbst fand ein paar der Abenteuer mit den Junggesellen New Yorks sehr interessant, aber Henry Schoonmaker ist niemand, der sich binden lässt, solltest du auf diesen Gedanken gekommen sein.“ Emma schüttelte den Kopf. „Ich gebe zu, er sieht gut aus und er ist nicht auf den Kopf gefallen, aber ein solches Interesse besteht da nicht“, antwortete sie. ‚Glaube ich zumindest‘, ging es ihr urplötzlich durch den Kopf. Nur war es leider so, dass ihr Herz gestern sehr merkwürdig geklopft hatte, als er in dem kleinen schummrig beleuchteten Zimmer aufgetaucht war. Irgendetwas an ihm irritierte sie, erregte gleichzeitig aber auch ihre Aufmerksamkeit. Er war anders als die Männer, denen sie bisher begegnet war. Diese unergründlichen braunen Augen schienen mehr über sie zu wissen, als ihre engsten Blutsverwandten und dennoch hatte er ihr viele Fragen über die einfachsten Dinge gestellt, wie beispielsweise das Leben in Chicago, ihre Familie. Sie hatte sich in seiner Gegenwart wie ein kleines Schulmädchen gefühlt und war dann wiederum dem Gefühl erlegen, dass er sie für betörend hielt, als er sie mit funkelnden Augen beobachtet hatte. Henry Schoonmaker war ihr ein absolutes Rätsel. Und genau diese Einsicht schien auch all die anderen jungen Damen an ihm zu reizen. Viele hatten sich ihm gewiss aus genau diesem Grund einfach hingegeben. Und der Rest aus dem einfachen Grund, weil er gutaussehend war. Auch da konnte man keinem der Mädchen einen Vorwurf machen. Natürlich sah er gut aus. Doch nicht Eine konnte ihn zähmen. Wie Diana es gesagt hatte. Emma machte sich keine Hoffnungen auf eine intime Begegnung, denn so jemand war sie auch nicht. Aber ihr Herz war seit dem gestrigen Abend sehr in Aufruhr. Und der Traum, der sie heute Früh fast daran gehindert hatte, aufstehen zu wollen und sie in der Nacht verfolgt hatte, verhieß auch nichts Gutes. Sie hatte noch immer das Gefühl seine erträumten Lippen berührten ihre Haut. Jeden Zentimeter ihres Körpers hatte es förmlich zum Schmelzen gebracht. Und seine Augen hatten sie förmlich aufgesaugt. Gott bewahre, wenn davon jemand erfuhr. Als sie später dann ins Haus zurückkehrte, Charlotte ihr Hut und Handschuhe abnahm und sie ihre Zofe um den Tee im Salon bat, war er noch immer in ihren Gedanken. „Emma. Du warst länger weg, als du sagtest“, belehrte ihre Mutter sie sofort, nachdem sie sich gesetzt hatte. „Entschuldigt. Wir haben ganz die Zeit vergessen. Das Wetter war so schön und…“ „Ich habe nicht um eine Ausrede gebeten, nicht wahr? Jetzt mach das Taschentuch fertig.“ „Ja, Mutter. Wie Ihr wünscht.“ Ihr Vater war auch am heutigen Nachmittag nicht da. Emma war bewusst, dass er viel zu tun hatte. Jetzt, wo er ein ganz neues Geschäft von Grund auf errichten musste, aber sie vermisste ihn bereits schmerzlich. Und ihre Mutter machte es ihr nicht gerade leichter. Sie war strenger und duldete kein ungehöriges Verhalten mehr. Kein Fortschleichen oder undurchdachten Antworten mehr, wie es früher öfter der Fall gewesen war. Charlotte brachte den Tee herein, stellte ihn auf das kleine Tischchen an ihrer Seite und verschwand genauso still und leise, wie sie gekommen war. Erst wenige Augenblicke später fiel Emma der kleine Umschlag auf, auf dem in wunderschöner geschwungener Handschrift ihr Name stand. Lange betrachtete sie die feinsäuberlich aneinander gereihten Buchstaben und erschrak als die große Uhr, die über dem mit Gold verzierten Kamin hing, zur vollen Stunde schlug. Ihre Mutter warf ihr einen kurzen tadelnden Blick zu und fuhr mit der Stickerei fort, die sie im Zug von Chicago nach New York begonnen hatte. Emmas Finger tasteten vorsichtig nach dem Umschlag und schoben ihn dann in eine kleine Tasche ihres Kleides. Es erschien ihr zu gefährlich ihn hier vor ihrer Mutter zu öffnen, zudem wusste sie auch gar nicht, von wem er war und was darin stehen könnte. Sie wusste nur, dass sie die Handschrift nicht kannte. Ihr Herz klopfte immer stärker in ihrer Brust und das Atmen fiel ihr unglaublich schwer. „Sitz nicht so herum. Das Taschentuch bestickt sich nicht von allein“, fuhr ihre Mutter sie an und Emma nickte erschrocken. Sie glaubte, sich verraten zu haben, doch Dorothea seufzte auf und überprüfte dann den Faden, den sie neu einfädeln wollte. Einige Zeit später klopfte es laut an der Tür. Charlotte meldete einen Kurier für den Herrn des Hauses und ihre Mutter verschwand auf den Flur, um ihn in Vertretung ihres Mannes zu empfangen. Der Umschlag in ihrer Tasche schien immer schwerer zu werden, mit jeder Minute, die sie wartete. Fast glaubte sie, dass er so mächtig zu werden drohte, dass es sie nicht länger auf dem Stuhl halten würde. So also zog sie ihn hervor, öffnete ihn und las die, in ebenso schöner Schrift wie auf dem Kuvert, verfasste Nachricht:   Werte Miss Emma, Ich erbitte dringlichst Ihr Erscheinen beim alljährlichen Sommerball, der am 05. August im Hause der Familie Cutting stattfinden wird. Es wäre mir sonst nicht länger möglich, mich von Ihnen fernzuhalten. Ein solch frivoles Verhalten können Sie nicht verantworten wollen. - H.S. -   Es fiel ihr schwer nicht aufzulachen und gleichzeitig fühlte sie die Schamesröte in ihren Wangen aufsteigen. Wie konnte er nur solche Worte schreiben, obwohl sie sich erst gestern Abend zum allerersten Mal unterhalten hatten? Am liebsten hätte sie sofort zu einer Antwort angesetzt und ihn darauf aufmerksam gemacht, dass sich solche Nachrichten nicht ziemten und er nach solch geschriebenen Worten nicht mit ihrem Erscheinen zu rechnen bräuchte, aber sie wusste, dass sie das nicht konnte. Sie wollte ihn besser kennen lernen, sein Verhalten verstehen, es wagen ihm ein wenig mehr zu vertrauen und einen Walzer mit ihm tanzen. Einen ganzen Tanz lang mit ihm allein sein, ihn dabei ansehen und sich wünschen, dass es nur sie… Und wieder war da das Gefühl, dass sie sich wie ein kleines Kind benahm. Sie steckte das Kärtchen zurück in den Umschlag und hütete beides wie einen Schatz in der Tasche ihres Kleides. Es hatte schon längst keinen Zweck mehr zu leugnen, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Henry hatte sich bereits still und heimlich in ihr Herz geschlichen. Alles, was sie jetzt noch tun konnte, war dieses süß-schmerzende Gefühl so lange wie möglich geheim zu halten. Sei es nun vor der New Yorker Gesellschaft oder - und das schien das allerwichtigste - vor Henry Schoonmaker selbst.   Er wartete seit Tagen vergeblich auf eine Antwort. Und an diesem Abend sollte bereits der Ball stattfinden. Henry hatte sich sämtliche Szenarien vorgestellt, wie er sie begrüßen und zum Tanz auffordern könnte; wie er einem anderen Junggesellen frech zuvor kam; wie er sie wieder und wieder durch den Saal drehte, aber dass sie gar nicht erst kam… Das wollte er nicht glauben. Isabell und sein Vater kamen endlich die Treppen hinunter und er überhörte geflissentlich den Kommentar des älteren Herrn über die ungewöhnliche Pünktlichkeit seines Sohnes. Er indessen bedachte seine Stiefmutter - in Anbetracht ihres Alters klang dieses Wort noch immer unglaublich albern - mit einem Kompliment über ihr hübsches Aussehen und griff dann nach seinem Zylinder. Es fehlte nicht mehr viel und er hätte das Ehepaar eigenhändig in die Kutsche geschoben, doch er konnte gerade so an sich halten. Die Kutschfahrt zog sich ellenlang hin, obwohl die Cuttings nur wenige Straßen entfernt ihr Haus besaßen. Er trommelte nervös mit seinen Fingern auf dem Polster der Droschke herum und erntete ein kurzes tiefes Räuspern seines Vaters. Die Anspannung in seinem Körper wurde noch größer als sie endlich ankamen und den Ballsaal betraten, nachdem man ihnen Hüte und Mäntel abgenommen und sie angekündigt hatte. Henry hielt nach einer einzigen jungen Dame Ausschau und sank enttäuscht zusammen, als er sie nicht entdecken konnte. Teddy klopfte ihm auf die Schulter und winkte einen der Kellner heran, um beiden ein volles Glas zu ordern. „Sie kommen sicher“, versuchte er ihn zu beruhigen, doch sein Freund reagierte nicht sonderlich erfreut. „Dann hätte ich doch eine Nachricht erhalten, oder nicht?“ „Nun, wir haben eine Antwort auf unsere Einladung bekommen.“ „Wurde dabei erwähnt, wie viele Personen der Familie erscheinen werden?“ Teddy sagte nichts und seine eben gewonnene Hoffnung, fiel ins Bodenlose. Er verhielt sich unglaublich lächerlich, das wusste er selbst. Aber sie war so völlig anders als je eine Frau zuvor. Der Kellner kehrte mit den Gläsern zurück und reichte ihm zusätzlich ein Kärtchen, das in einem fliederfarbenen Umschlag steckte, auf dem seine Initialen standen. Während Teddy ihm gerade zuprosten wollte, öffnete er bereits ungeduldig das Kuvert.   Mister H. S., Ich bezweifle, dass Sie mir die Bürde auferlegen wollen, für Ihr Verhalten verantwortlich zu sein. Doch Sie haben Recht. Es liegt mir fern, eine derartige Möglichkeit heraufzubeschwören. Sofern Sie mir also einen Aufschub gewähren um dieses Verhalten abzuwenden, werde ich mein möglichstes tun, um Sie auf dem Ball zumindest zu begrüßen. - E.T. -   Es war wie ein Befreiungsschlag. Diese Worte hatte er sich ersehnt. Und einen solchen Humor hatte er gar nicht erwartet. Aber in jeder Silbe steckte ein Augenzwinkern. Es war unfassbar. Sie war außergewöhnlich. Sein Freund schien die Erleichterung in seinem Gesicht zu sehen und dann wurden die Thompsons angekündigt und Henry blickte kurz zu ihm. „Ja, nun geh schon“, bestätigte Teddy und er drückte diesem sein unangerührtes Glas in die Hand. Emma hatte ständig mit dem Drang gekämpft ihm zu antworten. Sich dagegen gewehrt, ihm in gleicher Weise zu schreiben und ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Jeden Tag hatte sie ihm davon berichten wollen, wie es ihr Herz in Aufruhr versetzt hatte, dass es ihm ähnlich erging wie ihr. Auch sie war nicht in der Lage ihm fernzubleiben. Hatte ihm schreiben wollen, dass sie nichts lieber täte als mit ihm zu tanzen und ihm zuzuhören, ganz gleich worüber er sprechen wollte. Und als sie jetzt die Stufen hinaufging, die ins Haus der Cuttings führten und wusste, dass er ihre Karte bekommen und wohl auch gelesen hatte, hielt sie nur die strenge Etikette der feinen Gesellschaft davon ab, den Rocksaum ihres elfenbeinfarbenen Satinkleides anzuheben und hineinzulaufen. Sich ihm in die Arme zu werfen und nie wieder von ihm zu trennen. Ihr Vater deutete ihr vorzugehen, gerade so als hätte er ihre Gedanken in ihrem Gesicht lesen können. Vielleicht verriet sie zu viel. Sie war völlig verwirrt. Solche Gefühle kannte sie nicht. Nie zuvor hatte sie jemand so aus der Fassung gebracht und ihr gleichzeitig das Gefühl gegeben begehrenswert zu sein. Sie war 18 Jahre alt und natürlich hatte man ihr in Chicago Junggesellen und Männer im heiratsfähigen Alter vorgestellt, die Interesse an ihr bekundet hatten, aber nie hatte sie auch nur den geringsten Anflug von Zuneigung für einen von ihnen empfunden. Freundschaftliche Gefühle vielleicht, aber nie mehr als das. Ganz kurz nur war sie geblendet vom Licht der Kronleuchter, die von der hohen Decke herabhingen und sich auf dem Marmorboden widerspiegelten und dann sah sie ihn. Er stand unglaublich nah bei ihr, in einen maßgeschneiderten schwarzen Frack gekleidet, der phantastisch zu seiner sonnengebräunten Haut passte und seine Schultern, die die eines Generals hätten sein können, noch besser betonte. Sein schwarzes Haar war mit Pomade zurückgekämmt, die dunkelbraunen Augen auf sie allein gerichtet. Er verzog seine schmalen Lippen zu einem Lächeln, sodass ganz kurz seine weißen geraden Zähne hervorblitzten. Henry verneigte sich vor ihr und sagte: „Miss Thompson?!“ „Mister Schoonmaker“, entgegnete sie und ließ sich unglaublich viel Zeit mit ihrem Knicks. Sie hatte nicht für möglich gehalten, dass sie dazu überhaupt in der Lage sein würde. Ihre Knie fühlten sich an, als würden sie gleich unter ihr nachgeben. Als eine Frau sich als Mrs. Cutting vorstellte, wurde ihr bewusst, dass sie nicht mit Henry allein war und sie sich bei einer anderen Familie als den Schoonmakers als Gast aufhielt. Emma war nervös und wollte endlich mit Henry sprechen, doch ihre Mutter sorgte dafür, dass es nicht dazu kam. Immer wieder begann sie ein Thema, in das man ihre Tochter involvierte. Sie fühlte seine Anwesenheit, seine Blicke und hielt es kaum noch aus. Das Prickeln in ihrem Nacken - er starrte sie förmlich zu Boden - wurde übermächtig und immer wieder strich sie sich über die Haut. Als man sie endlich erlöste und er ihre Mutter bat, ihr einen Tanz mit ihm zu gestatten, war sie fast einer Ohnmacht nahe. „Natürlich, Mr. Schoonmaker. Es wäre ihr natürlich eine Ehre“, antwortete ihre Mutter überrascht und er führte Emma fort, sodass ihm keiner der anderen Junggesellen, die verdächtig nah am Eingang standen, zuvor kommen konnte.   „Wie konnten Sie mit Ihrer Nachricht nur so lange warten?”, fragte er leise und bewegte sie leichtfüßig durch die tanzende Menge. „Mir war nicht bewusst, dass es Ihnen so viel bedeuten würde, gleich nach Erhalt Ihrer Nachricht eine Antwort von mir zu bekommen“, meinte sie und versuchte ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. Sein Blick ruhte allein auf ihr und sie hatte das Gefühl, dass er die Lüge bereits durchschaute noch bevor sie den Satz überhaupt beendet hatte. „Ich glaubte, das wäre eindeutig genug gewesen.“ „Der Satz: Ich erwarte Ihre Antwort, hätte es mir wohl leichter gemacht. Finden Sie nicht?“ „Ich werde es beim nächsten Mal bedenken.“ Er zwinkerte ihr kurz zu und drückte seine Hand etwas fester in ihr Kleid, etwas unterhalb ihres Kreuzes. „Ich hatte ganz vergessen zu erwähnen, wie bezaubernd Sie am heutigen Abend aussehen, Miss Emma“, meinte er nun und sie schluckte kurz. Ihr Gesicht glühte und sie fühlte, wie ihr Herz noch schneller zu schlagen begann als es das ohnehin schon tat. Wie weit wollte er noch in ihr Herz vordringen? Hatte er noch nicht genug in ihr ausgelöst? Spürte er denn nicht wie stark ihr Puls raste und wie sehr sie an sich halten musste, um standhaft zu bleiben? „Ich muss Ihnen ein Geständnis machen“, wisperte sie und senkte verlegen ihren Blick, weil sie es nicht mehr ertrug von seinen glänzenden Augen fixiert zu werden. „Bitte“, ermutigte er sie. Emma holte tief Luft, sammelte allen Mut zusammen und sah dann zu ihm auf. „Ich hatte mehrere Nachrichten an Sie in Erwägung gezogen, aber… ich fürchtete, Sie könnten mich für ein naives Dummchen halten und verwarf sie alle.“   Im ersten Moment war sein Kopf völlig leer und gerade als er darüber nachdachte, welche Worte er an sie richten sollte, fuhr sie fort: „Sie verwirren mich. Und das auf eine Art, die ich mir einfach nicht erklären kann. Ich kenne einige der Geschichten über Sie. Weiß, dass nicht alle davon wahr sein können. Und dennoch habe ich Angst, dass ich für Sie nur Eine von Vielen bin. Ich möchte nicht zu einer dieser Geschichten werden. Keine weitere Trophäe in Ihrem Schrank. Ich kann und will es nicht. So eine Frau bin ich nicht und will es nicht werden. Und gleichzeitig ist mir bewusst, welche Bedeutung meine vorherigen Worte haben und, dass es so etwas zwischen uns nicht geben kann. Nicht geben darf. Ergibt das einen Sinn?“ „Ich bin nicht sicher, ob ich Sie richtig verstanden habe. Aber lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen: Muss denn alles, was man tut oder sagt einen Sinn ergeben?“ Emma schüttelte kurz den Kopf und ließ sich ein weiteres Mal von ihm drehen. „Was ich Ihnen allerdings versichern kann ist, dass Sie nicht ‚Eine von Vielen‘ sind. Ich fühle mich zu Ihnen hingezogen und bin unglaublich erleichtert, dass nicht nur ich so verwirrt über diese Art von Gefühlen bin.“ Es war sein voller Ernst. Sie war keine Trophäe. Nichts, das er erobern und dann fallen lassen wollte. Zum ersten Mal, und wenn es auch nur kleine Momente waren, dachte er an eine gemeinsame Zukunft mit einer Frau. Er sah sich als glücklicher Mann mit Haus und Kindern. Seine Hand an ihrem Rücken schob sie näher zu ihm heran und er hoffte, dass dieser Augenblick niemals enden würde. Mit ihr zu tanzen war ein wundervolles Gefühl, weil sie perfekt zu ihm zu passen schien. Sie trat ihm nicht auf die Füße, hielt den Takt, schmiegte sich grandios an seinen Körper. Gerade so, als wären sie zwei Hälften eines perfekten Ganzen. Doch die Musik verklang allmählich, die Gespräche der anderen tanzenden Paare und all der Umstehenden drangen an seine Ohren. Man hatte sie beide beobachtet und jetzt tuschelte man über die Beziehung, die die beiden zu verbinden schien. Er hasste das. Alle dachten sie, dass sie ihn kennen würden. Sich sicher sein konnten, warum er diese junge Frau so fest in den Armen hielt und sie so ansah, wie er es derzeit tat. Aber das war ein Irrtum. Keiner kannte ihn gut genug, um zu wissen, was er in diesem Moment fühlte. Penelope starrte ihn über alle Köpfe hinweg mit finster zusammengekniffenen Augen an. Wut und Eifersucht sprühte aus ihnen hervor. Er musste Emma beschützen, jetzt noch mehr als zuvor. „Es war mir eine Ehre“, meinte diese als wüsste sie, was er dachte und knickste vor ihm nieder. „Ganz meinerseits“, antwortete er und verneigte sich kurz. Die nächsten Junggesellen standen bereit, Emma zu einem Tanz aufzufordern und er konnte nichts weiter tun als zuzusehen, obwohl er am liebsten jedem Einzelnen den vernichtenden Blick zugeworfen hätte, den er von seinem Vater geerbt hatte. Dieser konnte Menschen in Eissäulen verwandeln oder gar völlig in Verzweiflung stürzen.   Noch immer drehte sich alles um sie herum. Sie konnte seinen sicheren Griff, seine Worte und sein Lächeln nicht vergessen. Den Gesprächen folgte sie nur halbherzig. Die Tänze genoss sie nicht. Konnte es einfach nicht. Denn immer wieder verglich sie die anderen Männer mit Henry und wurde schwer enttäuscht. Gelegentlich begegneten sie einander mit Blicken, doch er hielt sich von ihr fern. Und während des Tanzes hatte sie genau gespürt, warum er das tat. Das war eine Sache, die ihn für sie sogar noch sympathischer machte: Er wollte sie schützen. Penelope Hayes hatte vor Kurzem noch zu seiner ‘bevorzugten Gesellschaft’ gehört, das hatte ihr Diana erzählt. Aber wie bei all den anderen Mädchen zuvor, hatte er das Interesse an ihr verloren. Etwas, dass Penelope allerdings nicht wahrhaben wollte. Natürlich war sie sehr schön, aber dass sie sich so an den Gedanken klammerte, Henry wolle nur mit ihr zusammen sein und könne nur mit ihr glücklich werden, ließ sie lächerlich wirken. Obwohl Emma, irgendwo in einer Ecke ihres Herzens, selbst die lähmende Angst beschlich, dass es ihr eines Tages auch so ergehen könnte. Noch schwor Henry, dass sie anders für ihn war, aber das konnte sich jederzeit ändern. Vielleicht hatte er eben diese Worte auch den anderen Mädchen und Frauen eingeflüstert. Ein dicker Kloß schnürte ihr die Kehle zu und sie spürte bereits wie die Tränen in ihr aufstiegen. ‘Nicht hier, nicht jetzt‘, dachte sie und entschuldigte sich kurz bei dem jungen Mann, dessen Namen sie längst vergessen hatte, und der sie derzeit mit einem Gespräch über Kronleuchter in Beschlag nahm. Sie hob ihren Rock ein Stück an und tat so als wolle sie den Saal umrunden. Stattdessen bog sie ab, als sie sich sicher war, dass ihre Mutter sie nicht mehr sehen konnte und versuchte einen ruhigen Ort zu finden, um sich zu beruhigen. Sie wollte nicht weinen, sich nicht so hineinsteigern. Aber dass sie so viel für Henry empfand, machte sie völlig hilflos. Für kurze Zeit hatte er sie aus den Augen verloren, doch dann war Teddy erschienen, um Penelope zum Tanz aufzufordern und hatte ihm mit einem kurzen Nicken einen Tipp gegeben, wohin sie gegangen war. Gerade noch bemerkte er den Saum ihres Kleides, der um eine Ecke bog. Er wollte sie in die Arme nehmen, sie einfach nur ansehen und festhalten. Henry ging sicher, dass Penelope ihn in dem Moment nicht sah als er dem wehenden Kleid folgte. Versuchte nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen als er dieselbe Tür öffnete, die auch Emma gerade gewählt hatte und dann hinter ihr eintrat. Sie stand vor dem Kamin, die Arme schützend um ihren Oberkörper geschlungen, und beobachtete die sich um das Holz züngelnden roten und gelben Flammen. Ihre Schultern hoben sich als sie tief einatmete und sich dann eine Strähne zurückstrich, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatte. Sie wirkte so unglaublich zerbrechlich, so allein. Der Teppich dämpfte seine Schritte und in wenigen Augenblicken war er bei ihr und schlang seine Arme um sie. Erschrocken schnappte sie nach Luft, nur um dann, nachdem sie erkannt hatte, wer hinter ihr stand, erleichtert auszuatmen. „Ihr hättet mir nicht folgen sollen“, wisperte sie. „Ich wollte es. Sehr sogar!“ „Es wird auffallen, wenn wir beide zur selben Zeit…“ „Niemand hat mich beobachtet. Und Ihr habt genauso darauf geachtet, nicht wahr?“ „Schon, aber… Ich sollte wirklich gehen“, meinte sie und wollte sich an ihm vorbei stehlen, doch er berührte sie am Handgelenk und zog sie zu sich heran. Seine Arme umschlossen sie fest und sicher und eine Hand hielt sie sanft am Nacken. Er spürte ihren Herzschlag an seinem Körper, schnell und unruhig. Und während sie nur halbherzig versuchte sich mit ihren Händen von ihm abzustoßen, blickte er in ihr Gesicht. Ihre Augen waren ein wenig gerötet. Sie hatte versucht nicht zu weinen. Und dann beugte er sich einfach hinab und küsste sie. Vorsichtig und sanft. Ihre Gegenwehr ließ gänzlich nach, stattdessen lehnte sie ihre Hände gegen seine Brust und schloss ganz langsam die Augen. Ihr schmaler Körper in seinen Armen war angenehm warm und passte perfekt zu ihm, ihre Lippen zart, ihre Haut unvorstellbar weich. Und als sie sich allmählich voneinander lösten, beobachtete er wie ihre Wangen ein zartes Rot annahmen. „Wieso?“, fragte sie und blickte dabei auf seine Brust. „Weil du mir sehr viel bedeutest. Ich dachte, das wäre eine gute Art es dir zu zeigen.“ Emma berührte mit ihrem Zeigefinger ihre Lippen und begann dann zu lächeln. „Ja“, war alles, was sie zustande brachte. „Wann sehen wir uns wieder?“, fragte er und strich die störrische Strähne zärtlich aus ihrem Gesicht. „Ich weiß es nicht. Welche Veranstaltung ist denn als Nächstes geplant?“ Er schüttelte den Kopf. „So lange halte ich es nicht aus. Können wir uns nicht irgendwo treffen? Ganz ungezwungen?!“ „Wie soll das funktionieren? Ein Junggeselle und ein Mädchen im heiratsfähigen Alter, ganz allein unterwegs? Ich bezweifle, dass meine Mutter eine solche Verabredung billigen würde…“ In seinem Kopf rasten die Gedanken wild durcheinander, dann hörten sie beide Schritte auf dem Flur. Henry nahm sie fest in den Arm, drückte sein Gesicht an ihren Hals und wisperte: „Ich werde mich melden. Vertrau mir, ich lasse mir etwas einfallen. Warte auf eine Nachricht, bitte!“ „Gut“, antwortete sie ebenso leise und zog sich dann von ihm zurück, um auf den Flur zu treten, auf dem es still geworden war. Und um sich nicht gänzlich dem Gefühl hinzugeben, die ganze Nacht heimlich in diesem kleinen Zimmer in seinen Armen zu verbringen. Noch immer spürte sie seine warmen Lippen auf den ihren und ein starkes Glücksgefühl durchflutete ihren ganzen Körper. Sie wollte ihn so schnell wie möglich wieder treffen. Ungezwungen, so wie er es gefordert hatte.   Es waren bereits zwei Tage vergangen, seit dem Sommerball der Cuttings und immer hatte Emma vergeblich auf eine Nachricht gewartet. Natürlich war es noch nicht lange her seit Henry sie gebeten hatte zu warten, aber sie vermisste ihn sehr. Und durch all diese Zeitungsartikel, in denen immer wieder von einer geplanten Hochzeit zwischen Penelope Hayes und Henry Schoonmaker die Rede war, war ihr auch nicht wohler. Ihr Vater beobachtete sie kurz, wie sie im Salon während der Teestunde am Fenster auf und ab schritt. „Liebes, so lange nennen wir diesen Teppich noch nicht unser Eigen. Du läufst gerade ein Loch hinein…“, bemerkte er sanft und sah dabei nicht einmal von seiner Zeitung auf. „Verzeiht, Vater. Ich hatte nur mit einer Nachricht von Diana Holland gerechnet. Es ist so schönes Wetter und einen Spaziergang habe ich lange nicht mehr mit ihr unternommen…“ „Wieso benachrichtigst du sie nicht einfach? Sie wird sicher auch im Salon auf Besucher warten. Am Fenster auf und ab schreiten und dort ein Loch in den Teppich laufen.“ Dorothea erhob sich und warf ihrem Mann einen scharfen Blick zu, der kurz über seinen eigenen Witz gelächelt hatte. „Sie wird hierbleiben und endlich dieses Stickmuster erlernen. Sie drückt sich seit Tagen davor. Eine gute Ehefrau muss jegliche Feinheiten des Stickens beherrschen. Also, Emma, setz dich…“ Ihre Tochter gehorchte niedergeschlagen. Was blieb ihr auch anderes übrig? Mit ihrer Mutter musste sie schließlich öfter auskommen, als mit ihrem geliebten Vater. Sich ihr jetzt zu widersetzen, würde viele Stunden voller wütender Blicke und langweiliger Handarbeiten nach sich ziehen. Es klopfte an der Tür und Charlotte erschien. „Eine Nachricht für Miss Emma“, erklärte sie und reichte ihr einen Umschlag. „Danke.“ Die Schrift darauf war ihr bekannt und so öffnete sie ihn ungeduldig.   E., Du fehlst mir und ich stelle mir oft vor, wie es war dich in den Armen zu halten. Ich vermisse das Gefühl. Morgen Nachmittag plane ich einen Ausflug an den See. Gemeinsam mit Teddy und Diana. Ich erscheine vorher bei dir zu Hause und würde mich über deine Begleitung freuen. - H.S. - P.S.: Ich hoffe auf eine baldige Antwort.   „Und?“, fragte ihre Mutter und beugte sich zu ihr. „Diana Holland, Teddy Cutting und Henry Schoonmaker möchten morgen einen Ausflug an den See machen. Sie haben mich dazu eingeladen. Das ist doch in Ordnung?“ Ehe ihre Mutter zu einer Antwort ansetzen konnte, erwiderte ihr Vater: „Natürlich, Liebes. Beziehungen zu den Kindern künftiger Geschäftspartner müssen gepflegt werden.“ „Danke, Vater. Mister Schoonmaker wird mich abholen. Ihr habt ihn bereits kennen gelernt, nicht wahr?“ „Ja, ein sehr höflicher junger Mann. Ich denke, es ist gegen seine Gesellschaft und die der anderen jungen Leute nichts einzuwenden.“ Dorothea drehte sich schnaubend herum und ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken. Matthew zwinkerte seiner Tochter kurz zu, als seine Frau ihm den Rücken zugewandt hatte. Warum sollte er sie auch im Haus einsperren und zur Stickerei verdonnern? Sie hatte ihr ganzes Leben noch vor sich. Am selben Tag noch ließ Emma einen Boten ihre Nachricht an Henry überbringen: H., Ich werde mich bereit halten. Mein Herz spielte verrückt, als ich deine Schrift auf dem Umschlag erkannte. Ich sehne mich so sehr nach dir, dass ich fürchte nicht schlafen zu können. In freudiger Erwartung - E.T.-   Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie wird also nicht schlafen können, soso. Das hätte er nicht erwartet. Henry lehnte sich in den Sessel zurück und besah sich noch einmal ihre Nachricht. Gut, ihm erging es nicht anders. Er konnte es kaum erwarten, sie wieder zu sehen. Ihm ging es schlecht, wenn sie nicht bei ihm war. Und morgen konnten sie sich etwas freier geben, als es auf den Bällen üblich war. Schließlich waren auch Diana und Teddy dabei. Sein Freund wusste, dass es ihm Emma angetan hatte und er war sich sicher, dass auch die beiden Mädchen bereits über ihn gesprochen hatten. Zumindest bedachte ihn Diana Holland jetzt öfter mit schelmischem Lächeln als früher. Sie schien eine sehr loyale und diskrete Freundin zu sein und er freute sich für Emma, dass sie gleich nach ihrer Ankunft hier in New York auf sie getroffen war. Wäre sie Penelope in die Hände gefallen wie Elizabeth Holland, Dianas zwei Jahre ältere Schwester, die sich zurzeit in Paris aufhielt, würde es ihr schwer fallen, von dieser wieder loszukommen. Es war natürlich nicht zu leugnen, dass auch Penelope irgendwo eine gute Seite haben musste, aber die kam nur sehr… sehr, sehr selten zum Vorschein. Er roch kurz an der Karte und nahm einen ganz leichten Hauch des Parfums wahr, das Emma auch beim Ball vor zwei Tagen getragen hatte. Es erinnerte ihn an den wundervollen und leider zu kurzen Tanz, aber vor allem an den Kuss. Sein Vater war gut über die Familie Thompson informiert und hatte natürlich am Frühstückstisch mit seinem Wissen geprahlt, aber dieses Mal kam Henry das sogar gelegen. „Matthew Thompson hat, wie ich, viel aus dem Geld gemacht, das ihm hinterlassen wurde. Bereits sein Großvater hatte mit dem Handel zu tun. Ich bin mir sicher, die Thompsons werden schnell zu den einflussreichsten Familien New Yorks gehören.“ Isabell trank einen Schluck Kaffee und blickte ihren Mann an. „Mrs. Thompson wirkte etwas streng. Ihre Tochter wird sicher eine eiserne Erziehung gehabt haben.“ „Eine strenge Hand ist nichts Falsches“, erwiderte William und Henry spürte förmlich den scharfen Blick, der ihm zuteil wurde. „Manieren, Haltung und Auftreten waren tadellos. Es war mir wirklich eine Freude sie kennen zu lernen“, fuhr er dann, an seine junge Frau gewandt, fort. „Wir sollten sie wirklich öfter einladen. Sie ist 18, nicht wahr?“ „Richtig. Und soweit mir bekannt ist, gab es bereits in Chicago viele Bewerber von gutem Stand, die sich um Miss Thompson bemüht haben. Sie wird auch zweifellos hier in New York eine der besten Partien werden.“ Das wunderte ihn keinesfalls. Jeder, der sie einmal ansah, musste von ihr verzaubert sein. Und hatte man das Privileg sich näher mit ihr zu unterhalten, konnte man ihr nur komplett verfallen. Aber wieder regte sich etwas in seinem Herzen, das ihn kurz griesgrämig werden ließ. „Und dann ist sie noch gar nicht verlobt?“ Jetzt schwand sein mürrischer Blick und er wurde hellhörig. Die Antwort seines Vaters interessierte ihn ungemein. „Meinen Informationen zufolge ist ihr Vater sehr hart in der Auswahl. Scheinbar war ihm keiner der Männer recht. Nun,…sie ist seine einzige Tochter und der Mann, der sie heiratet, wird nicht gerade unerheblich davon profitieren eine Thompson zur Frau zu bekommen. Zudem schien auch seine Tochter recht wählerisch bei den Junggesellen zu sein.“ „Ist es nicht sehr seltsam, wenn die Tochter ein Mitspracherecht bei der Auswahl ihres zukünftigen Ehemannes hat? Gerade, wenn sie noch bei ihren Eltern lebt.“ William trank seinen Kaffee und ließ sich Zeit, diese Frage zu beantworten. „Matthew sprach mit sehr viel Stolz über seine Tochter. Sie ist sehr klug, kulturell bewandert, interessiert an Kunst, ausgesprochen hübsch und, wie bereits erwähnt, sehr gut erzogen. Zudem soll sie zwei Fremdsprachen beherrschen. Wer ein solches Ansehen beim Oberhaupt der Familie genießt, hat meiner Ansicht nach, durchaus das Recht über seinen zukünftigen Ehepartner mit zu entscheiden.“ Isabell nickte. Und dann sah sein Vater ihm direkt ins Gesicht. „Der Tanz zwischen dir und Miss Thompson ist von ihm wohlwollend zur Kenntnis genommen worden. Es wäre von Vorteil, wenn du dich ein wenig um sie bemühen und dich um sie kümmern würdest. Auch wenn mir bewusst ist, dass du sowieso nur das tust, was dir im Sinn steht. Dein Lebenswandel ist ihm erfreulicherweise noch nicht bekannt. Beten wir dafür, dass das eine Weile so bleibt.“ „Wenn Sie meinen, Vater.“ Er gab sich alle Mühe nicht vor Freude aufzuspringen, um Emma davon sofort in Kenntnis zu setzen. Stattdessen gab er einem der Angestellten einen Wink, dass er noch einen Kaffee wollte und lehnte sich dann zufrieden im Stuhl zurück. Wieder schmunzelte er, als er an dieses Frühstück zurück dachte. Er hatte sogar das Einverständnis seines Vaters, sich öfter mit Emma zu treffen. Jetzt musste er nur noch das Problem mit Penelope lösen. Henry würde sich mit Teddy besprechen. Vielleicht würde dem etwas dazu einfallen. Das Feuer im Kamin wurde langsam schwächer und ihm war nicht danach, neue Scheite aufzulegen. So verwahrte er den Brief Emmas sicher in der Brusttasche seines Jacketts und ging dann in sein Zimmer hinauf.   Charlotte half ihr gerade bei den letzten Vorbereitungen, als sie endlich das Hämmern des Türklopfers vernahm. Sie konnte sich kaum beherrschen auf dem Stuhl sitzen zu bleiben, damit Charlotte ihre Frisur nicht noch einmal machen musste. Ihr Herz schlug unglaublich stark und das Blut pulsierte in ihren Adern. Endlich konnte sie hinunter in den Empfangssaal gehen, wo Henry, die Melone in der Hand, bereits mit ihrer Mutter stand und ein paar nette Floskeln austauschte. Ihr Haar war in Locken gedreht worden und sie verzichtete auf einen Hut. Sie nahm von Charlotte ihre Handschuhe entgegen, zog sie an und begrüßte dann den Gast. „Mr. Schoonmaker, guten Tag.“ „Den wünsche ich Ihnen ebenfalls, Miss Emma. Sie sehen wirklich reizend aus.“ Und tatsächlich blitzten seine Augen kurz auf, als er sie in voller Gestalt betrachtete. „Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, danke.“ „Nun, Mrs. Thompson, ich bringe Ihre Tochter rechtzeitig wieder zurück. Mr. Cutting und Miss Diana warten in der Kutsche auf uns. Wir sollten sie nicht zu lange allein lassen.“ Er bot ihr den Arm und sie verabschiedete sich von ihrer Mutter, ehe diese noch weitere Worte an sie richten konnte. Henrys Hand legte sich über ihre und ihr ganzer Körper sehnte sich danach, sich an ihn zu schmiegen und nie wieder fortzugehen. Er half ihr hinauf auf einen Sitzplatz, sie begrüßte Teddy und Diana und dann fuhren sie bereits zum Ausflugsziel.   Er konnte sie einfach betrachten, ihr leichtes Parfum riechen, sie lachen hören und jede ihrer Reaktionen verfolgen. Aber berühren konnte er sie nicht. Eigentlich hatte er diesen Ort und diese Personen gewählt, um sich freier verhalten zu können als bei einem Dinner oder einem Ball und dennoch… Emma saß neben ihm auf der Decke, ihnen gegenüber Diana und Teddy und doch schien sie so weit entfernt wie nie zuvor. Auch andere Menschen waren hier, nicht allzu viele, die sie kannten, sodass er sich zwangloser hätte geben können, doch irgendetwas hielt ihn davon ab. So sehr er sich auch wünschte, sie an der Hand zu nehmen und mit ihr lachen und Späße machen zu können, er tat es nicht. „Henry, mein Freund“, meinte Teddy etwas lauter und er sah zu ihm auf. Erst jetzt bemerkte er, dass die Mädchen ans Ufer gegangen waren und ein paar Schwäne fütterten. „Ist alles in Ordnung?“ „Ja, ich bin nur… Ach, ich weiß auch nicht.“ „Es tut mir leid, aber allein hättest du mit ihr diesen Ausflug nicht machen können. Zumindest nicht, ohne neue Gerüchte in die Welt zu setzen.“ „Ja, ich weiß. Es ist nur so, dass ich heute hier bin, weil ich Zeit mit ihr verbringen will. Und so gern ich dich auch habe, aber ich wäre lieber ganz allein mit ihr. Niemand soll hier sein. Sonst hätten mich diese paar Menschen nicht gestört, aber…“ „Du möchtest sie nicht in eine prekäre Lage bringen.“ Er nickte und blickte wieder zu Emma. „Ich möchte ständig bei ihr sein und gleichzeitig werde ich alles dafür tun, um sie zu schützen. Im schlimmsten Fall auch vor mir selbst!“ Im selben Moment sah sie ihm direkt in die Augen, lächelte leicht und lief dann wieder zartrot an. „Henry, Teddy. Kommt, gehen wir ein Stück spazieren!“, verkündete Diana und zog Teddy auf die Füße, um mit ihm voranzugehen. Sie war die beste Freundin, die sich Emma nur wünschen konnte. Die Vier ließen die Decke hinter sich zurück - vor Diebstahl mussten sie sich nicht fürchten - und Diana legte ein hohes Tempo an den Tag. Aber Henry und Emma dachten nicht daran, Schritt zu halten. „Fühlst du dich nicht gut?“, fragte sie und er schien überrascht. „Du bist so schweigsam und machst ein so ernstes Gesicht…“, stellte sie fest und er schob wieder seine Hand über ihre, die sie um seinen Arm gelegt hatte. „Ich bin nur etwas in Gedanken. Es ist alles in Ordnung.“ „Hatten wir nicht vereinbart, dass du mich nicht anlügst?“ Er bemerkte ihren traurigen Blick und seufzte. „Verzeih, aber… Ich hatte dir versprochen, dass mir etwas einfallen würde und…“, er stoppte mitten im Satz. „Du glaubst, dass das hier nicht ausreichend ist?!“ Henry nickte nur. Sie erklärte sofort: „Es ist mehr, als wir bei einem Ball haben könnten oder einem Dinner. Auch wenn ich gestehen muss, dass es mir nicht genügt nur mit dir spazieren zu gehen, um dich berühren zu dürfen. Aber ich möchte mich auch nicht ständig verstecken.“ „Nur wäre das im Moment das Einzige, was es uns ermöglichen würde ganz allein sein zu können.“ Emma wandte ihren Kopf zur anderen Seite und er konnte sich denken, warum. Sie versuchte nicht zu traurig über diese Erkenntnis zu sein. Bemühte sich, ihm das nicht zu zeigen und das machte sie so wundervoll. Emma wusste, wie schwer es ihm fiel das zu akzeptieren und wollte seine Schuldgefühle nicht noch um ein Vielfaches verstärken. Eine wirklich ungewöhnliche junge Dame. Er berührte ihr Kinn und zog ihren Kopf zurück, sodass sie ihm wieder ins Gesicht sehen musste. Ihre Augen schnellten hin und her, sie legte ihre Hände auf seine Brust und stellte sich auf die Zehenspitzen. Dann küsste sie ihn. Ganz sanft nur. „Ich liebe dich“, hauchte sie und zog sich dann von ihm zurück. Henry sah sie einfach nur an, fühlte sich wie betäubt. Gerade wollte er zu einer Antwort ansetzen, als sie den Kopf schüttelte. „Du brauchst nichts zu sagen. Ich wollte nur, dass du es weißt. Bitte, sag nichts. Nicht jetzt, nicht heute.“ Sie hakte sich wieder bei ihm ein und beide gingen schweigend weiter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)