Kalendertage von sakemaki (Der Tag, an ...) ================================================================================ Kapitel 9: 9 - Der Tag, an dem Inu einzog ----------------------------------------- Den Rest des Weges ging ich allein nach Hause, da Inu von einer Sekunde auf die andere vor meinen Augen verschwand. Er käme dann später nach. So, so. Was trieb den denn schon wieder um? Ich hatte längst aufgehört, mich über ihn und seine Macken zu wundern. Noch eine kurze Weile starrte ich auf die Stelle, an der er eben noch gestanden hatte. Dabei ratterte die letzte Szene als Kurzfilm in meinem Kopf ab. Je öfters die Endlosschleife lief, desto mehr nagte wieder der Zweifel an mir, weil ich mal wieder mit dem Munde vorweg gewesen war anstelle mit dem Verstand. Hatte ich Inu wirklich den Gefallen getan, bei mir für eineinhalb Tage unterzutauchen? Mich musste der wilde Affe gebissen haben. Schließlich war es mir dann doch etwas mulmig bei der Sache. Da war garantiert ein versteckter Haken bei, weil es mir nicht geheuer schien. Was hatte der denn für Probleme, dass der nicht nach Hause konnte? Da blieb nur zu hoffen, dass es sich um so ein profanes Problem wie einen Wasserschaden in seiner Behausung handeln würde. Falls ihm aber jemand nach dem Leben trachten und er deshalb heimgesucht würde, wäre ich wenig begeistert. Keinesfalls wollte ich unschuldig in seine Angelegenheit hineingezogen und von seinen privaten Feinden auf meinem Grund und Boden überfallen zu werden. Dunkle Bilder tauchten auf, als einst ein Killerkommando meinen Ex-Freund aufsuchen wollte und dabei meine Hütte kurz und klein schlugen. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Noch lange Zeit hatte ich davon Albträume gehabt. Letzteren Gedanken, Opfers eines Überfalls zu werden, schob ich nur deshalb beiseite, da er mir unlogisch schien. Ninjas sind allesamt Massenmörder. Die haben grundsätzlich irgendwelche Feinde, weil sie anderer Leute Leben zerstört hatten. Und sie konnten noch so gründlich auf ihren Missionen vorgegangen sein, es sickerte dann doch immer mal was durch, wer da wen bespitzelt oder gar getötet hatte. Wenn man wirklich das Kapitel seiner Shinobi-Karriere abschließen wollte, müsste man entweder bis zum Rest seines Lebens untertauchen, wie es damals mein Ex geplant hatte, oder stets auf der Hut sein. Daher blieb häufig nur die Alternative, dass man Ninja bis zum Tode war. Yuukis Vater hatte nämlich aus seinem Job aussteigen wollen, aber das hatte sich mit seinem spurlosen Verschwinden anscheinend alles von selbst erledigt. Ruhige Nächte hatte mir das noch eine sehr lange Zeit nicht beschert. Ich beschloss trotz alledem, Inu da einmal kräftig auf den Zahn zu fühlen. Immerhin müsste ich den Typen bis übermorgen in meinen vier Wänden ertragen. Einerseits freute ich mich, ihn bei mir zu haben, weil ich mittlerweile mehr Gefühle für ihn hegte, als es mir eigentlich lieb war. Anderseits war er nach wie vor sehr reserviert und spielte weiterhin seine Rolle als Phantom. Zumindest hing er immer mit seiner Kapuze über dem Haupt bei uns ab. Von seiner Holzmaske konnte er sich zwar schon zeitweise trennen, aber die Kapuze in Kombination mit der Sturmhaube taten ihren Dienst der Verschleierung aufs Beste. Man sah nichts und man wusste nichts. Ich konnte ihn einfach nicht genug einschätzen. Weder in Bezug auf seine Ambitionen, uns beigestanden zu haben, noch ob es da irgendetwas zwischen uns beiden gab. Stets tat er nur so, als wären wir lediglich flüchtig bekannt, aber dann kreuzte er wiederum unerwartet zum Feuerwerk auf und suchte meine Nähe. Das war mir zu sprunghaft. Noch so ein Thema, dass mich bewegte und endlich geklärt werden müsste. Irrungen und Wirrungen. Chaos im Hirn. Wenn er tatsächlich morgen den ganzen Tag bei uns verbringen würde, dann säße er da zumindest in der Falle und man könnte mal die Daumenschrauben anlegen. Ein schelmisches Grinsen legte sich auf mein Gesicht. Vielleicht musste man Inus Not einfach mal schamlos für sich selbst ausnutzen. Nach den vielen Grübeleien hatte ich gar nicht gemerkt, dass ich bereits zuhause angekommen war. Mein Kind war folglich mit dem Hausschlüssel vorausgeeilt. Schweigend stand ich kurz vor der Eingangstür und hoffte, dass Yuuki den Türschnapper nicht hatte einrasten lassen. Sonst hätte ich nun das Problem, dass ich bei meiner eigenen Wohnung klingeln und um Einlass bitten müsste, und Yuuki wäre nicht vor dem Fernseher wegzubewegen bis das Staffelfinale geendet hätte. Seufzend musste ich feststellen, dass sich die Haustür keinen Millimeter bewegt. Da konnte ich Zerren und Zergeln, wie ich wollte. Tief seufzte ich hörbar auf. Was hatte ich eigentlich erwartet? Also klingelte ich Sturm, nur um meine Befürchtungen wahr werden zu lassen. Ich war ausgesperrt. Es wurde höchste Zeit, dass mein Lieblingssohn einen eigenen Schlüssel für die Haustür bekam, damit ich meinen nicht mehr herausgeben müsste. Der Arbeitstag war hart, das Training lang gewesen. Müde stand ich hier und spürte, wie ich immer angefressener wurde. Jeder falsche Wink konnte mich nun hysterisch ausrasten lassen. „Was ist los?“ wurde ich unerwartet von der Seite angesprochen, dass ich erschreckt zusammenzuckt. „Du sollst dich nicht immer so anschleichen!“, blaffte ich und war dann zugleich erstaunt. „Zur Abwechselung mal nichts übers Dach?“ Inu stand neben mir mit einem prallgefüllten Rucksack auf dem Rücken, einer Futonmatte unter dem einen und einem Stapel Schriftrollen unter dem anderen Arm. Müde blickte er die Fassade hinauf. Soviel Hausstand hatte der dabei? Ich dachte, er würde höchsten eineinhalb Tage verweilen. Das war fast ein halber Umzug, was er da so anschleppte. Irgendetwas hatte ich hier wohl bei der Absprache verpasst. Oder Inus und meine Definition von Raum und Zeit in Bezug auf die Verweildauer klaffte weit auseinander. „Ich hab dich hier unten stehen sehen...“, erklärte er und konnte seinen Satz gar nicht beenden, weil ich mich schon wieder wie ein Stück Natrium im Swimmingpool benahm. „Yuuki hat den Schlüssel oben und macht nicht auf.“, gab ich genervt zu verstehen. „Ist es in Ordnung, wenn ich den Schüssel dir runterwerfe?“, fragte er mich mit seiner Einschlafhaltung. Es war in meinem Innersten eine ernste Frage, ob er in diesem Übermüdungszustand tatsächlich noch die Hausfassade hochlaufen könnte. Zumindest vermutete ich, dass sein Plan so aussehen würde, wenn wir nicht die Haustür öffnen könnten, denn einen Dietrich schleppte man auch nicht alle Tage mit sich herum. Ich musterte ihn noch einmal von oben bis unten. Manchmal machte ich mir große Sorgen, wenn der wieder wie so ein Schluck Wasser in der Kurve hing. „Wieso nimmst du mich nicht einfach so an den Händen mit wie vorhin übers Wasser?“ Meine Laune war weiterhin angefressen, weil ich es hasste, hier so dümmlich auf der Straße stehen zu müssen und nicht mal so eben Hauswände hoch laufen konnte wie er oder mein Kind. In dieser seelischen Verfassung hatte ich leider das Manko, Aussagen, die gar nicht bös gemeint waren, in den falschen Hals zu bekommen. „Geht nicht. Das hat vorhin echt eine Menge Chakra gezogen.“ Nein, Inu meinte es nicht böse, sondern nur neutral und sachlich erklärend, aber es kam bei mir in der Wut ganz anders an. Ich interpretierte es falsch und ließ meinem Frust freien Lauf. „Willst du sagen, ich bin zu schwer?“ brüllte ich ihn an und hob drohend die geballte Faust in die Luft, als würde ich ihm sofort an Ort und Stelle eine reinschlagen wollen. Ich erwartete gar kein Gegenargument oder eine Besänftigung. Ich hatte einfach nur genug von diesem Tag. „Sieh zu, dass du den Schlüssel holst...“ befahl ich mit tiefster Grabesstimme. Mein Blick musste wohl angsteinflößend und einem Todesurteil gleich gewesen sein, denn Inu war sofort die Wand hoch gehechtet, als wäre es der Wettlauf seines Lebens. Oder er fürchtete, die Bleibe auf Zeit doch noch zu verlieren, weil ich angesäuert war. Kurz danach klirrte es metallisch. Der Schlüssel lag neben mir auf dem Straßenpflaster. Erst starrte ich perplex auf den Schlüssel, dann erst kam es mir in den Sinn, was ich gerade vollbracht hatte. Ich konnte nicht anders als herzhaft lachen. So ein Ninja im Haushalt hatte doch etwas Praktisches an sich. Neulich erst hatte mich meine Belegschaft gefragt, ob ich mir denn einen Hund angeschafft hätte, da mein Kind und ich ständig von einem Hund sprächen. Es hatte gedauert, bis ich die Frage verstanden hatte und dass sie sich auf Inu selbst bezog. Lachend hatte ich da abgewunken und im Stillen gedacht, dass wir keinen Hund, aber wohl nun so etwas ähnliches daheim hätten. Inu, unser Haustier. Der Gedanke amüsiert mich, weil der Hunde-Befehl „Hol den Schlüssel!“ eben gerade wunderbar geklappt hatte. Bei „Sitz“, „Platz“ oder „Gib Laut“ würde ich aber wohl eindeutig auf ganzer Linie in der Hundeerziehung scheitern. Inu ließ sich so rein gar nichts sagen und konnte mir gegenüber ein freches Mundwerk vorweisen, was aber nie unter die Gürtellinie ging. Ich mochte diese Neckereien. Er erweckte oft den Eindruck bei mir, dass er mich gern durch clevere Spitzfindigkeiten auf die Palme brachte. Und Dank meines Gefühlschaos schaffte er das zu meinem Leid recht oft. Noch schlimmer war es, dass ich ihm hinterher gar nicht mal böse sein konnte. Der Idiot hatte es tatsächlich zu Wege gebracht, mich auf eine ganz eigene Art und Weise zu manipulieren, so dass ich ihn mochte, und mich trotz meiner Ninja-Hasskappe auf seine Seite zu ziehen. Trotzdem knallte ich ihm bei jeder Begegnung eiskalt an den Kopf, was ich nach wie vor von ihm und seinen Kollegen zu halten pflegte. Die Traurigkeit der Vergangenheit saß einfach zu tief und schmerzte. Und er brauchte auch gar nicht erst merken, wie sehr ich ihn mochte. Dennoch, so dachte ich mir beim Hochstapfen der unzähligen Treppenstufen zu meiner Wohnung, wäre es wohl trotz Erziehungsresistenz ratsam, ihm gleich mal die Hausregeln klar zumachen. Es gab bei mir daheim nur sehr wenige Regeln, aber die wurden streng beachtet. Und das galt auch für Gäste. Ja, das war ein guter Plan. Trapp, trapp. Das dritte Geschoss hatte ich schon passiert. Weiter ging's. Meine Güte, warum musste ich dumme Nudel eigentlich die Treppe hochkeulen und die anderen Beiden hocken garantiert schon oben gemütlich auf dem Sofa? Blödes Ninja-Pack! Schnaufend hangelte ich mich am Geländer des letzten Treppenabsatzes entlang hinauf. Mit der Zunge aus dem Hals hängend kam ich endlich oben an, schob mich durch die angelehnte Haustür und spähte ins Wohnzimmer. Ich konnte für Yuuki und Inu nicht zu überhören gewesen sein, denn ich schnaufte wie eine alte Dampflok und hätte meine Lungenflügel einzeln auslüften können. Wie erwartet parkte mein Sohn mit viereckigen Augen völlig gebannt vor der Glotze. Ein ohrenbetäubender Krach ballerte aus den Lautsprecherboxen. „Yuuki, mach die Kiste leiser! Wir haben Nachbarn!“, brüllte ich gegen den Fernseher an. „Ja, ja...“ war die uninteressierte Antwort und hätte auch mit einem „Leck-mich-am-Arsch!“ interpretiert werden können. Scheiß Pubertät! Ich rollte die Augen und durchstreifte die Wohnung. In der einen Ecke nahe des Fensters hatte Inu seine Sachen deponiert. Fein säuberlich waren sie dort gestapelt, als hätte man sie mit dem Geodreick ausgerichtet. Alle Achtung! Wenigstens einer hier im Haushalt, für den „Ordnung“ wohl kein Fremdwort war. Zufrieden und halbwegs besser gelaunt wechselte ich zur Küche, wo mein Herz dann vollends erblühte. Inu saß am Küchentisch und schob mir einen frisch aufgebrühten Kaffee vor die Nase. Seine Tasse war längst geleert, aber das kannte ich bereits. Eine halbleere Tüte mit Studentenfutter fand den Weg zwischen meine Finger. Ich bot Inu etwas davon an, aber der lehnte mit einer dankenden Handbewegung ab. Kaum war die erste Ladung in meinem Mund verschwunden wurde ich gefragt: „Über was denkst du nach?“ Hm, ich fühlte mich ertappt. Er hatte sehr gut beobachtet, dass ich zum Nachdenken Kohlenhydrate brauchte. Mir schoss so vieles durch den Kopf. Bei mir lief immer noch die komplette Stapelverarbeitung des Sommers ab. Wie alles begann, jeder einzelne Tag für sich, und wie es überhaupt dazu führte, dass ich nun hier in meiner Küche mit einem ANBU saß und Nüsse knabberte. Hinzu flossen noch die ganzen anderen Dinge ein, die ich immer schon mal wissen wollte. Aber eines brannte ganz besonders unter den Nägeln. „Du weißt fast alles über uns, aber wir nichts über dich!“, platze es polternd aus mir heraus. „Warum ist das so?“ Ich sah gar nicht zu ihm herüber, sondern widmete mich der Tüte und dem Inhalt. Raschelnd durchwühlten meine Finger die Nussauslese und sortierten die Rosinen aus. „Weil ich über das, was du sagtest, nachgedacht habe.“ Das Rascheln der Tüte hörte auf. Meine Hand blieb in der Tüte stecken. Überrascht schaute ich ihn an. Was hatte das denn mit der Frage zu tun? Und darüber hinaus: Ihn interessierte meine Meinung? Nun, von einer sachlichen Meinung über die Ninjawelt konnte keine Rede sein, war sie doch jedes Mal als große Beleidigung über einen ganzen Berufsstandes ausgefallen. Und das hatte er bis jetzt wortlos oder zumindest mit Humor zur Kenntnis genommen. Ein Wunder, dass er nicht schon nach den ersten Trainingseinheiten entnervt das Handtuch geworfen hatte. Mit meinem Sohn es auszuhalten, war sicherlich nicht schwer, doch ich musste jedes Mal wie eine Furie gewirkt haben. Das schlechte Gewissen machte sich breit, ob ich nicht zu viel Kodderschnauze präsentiert hatte. Aber würde er dann noch hier sitzen? Wohl kaum. Das waren alles zu viele Puzzelteile, die ich gerade nicht zusammenbauen konnte. Wie eine Porzellanvase, die heruntergefallen und in Millionen kleinster Teile zersprungen war. Da gab es meist auch nichts mehr zusammenzuflicken. Es sei denn, man hätte unendlich viel Zeit und Geduld. Beides Dinge, die mir zuwider waren. „Und was hat das nun damit zu tun, dass wir weder deinen Namen, noch dein Gesicht kennen?“ Das war nun eine eher rhetorische Frage, denn die absolute Geheimhaltung bei ANBUs war total normal und gehörte mit zum Berufsbild, doch ich wollte durch Plumpheit mit der Tür ins Haus fallen und schauen, ob ich so meinen Fragenkatalog mal abarbeiten könnte. Angriff war immer noch die beste Verteidigung. Und seine Antwort zog mir eh fast die Schuhe aus. Und die hatte schon sehr viel Bedenkzeit seinerseits gebraucht, dass ich fast dachte, er würde gar nichts mehr antworten. „Weil du mich dann vermutlich in hohem Bogen rausschmeißt.“ Ich verschluckte mich an einer Nuss, bekam heftigste Atemnot und verkrallte meine Hände panisch in der Tischplatte. Nur ein paar leichte Schläge von Inu auf meinen Rücken förderten die übeltäterische Nuss aus meine Halse heraus. Ich war komplett verwirrt, was er damit gemeint haben könnte, doch das Interview war schon beendet, noch bevor es überhaupt begonnen hatte. Inu ging von der Küche hinüber ins Wohnzimmer, setzte sich neben Yuuki auf das Sofa und überlebte die letzten Sendeminuten eines actiongeladenen Staffelfinales, was wohl nur vom jungen Publikum ertragen werden konnte. Na sowas, da war er einfach abgehauen. Also war meine Fragerei nervig und er wollte auf keinen Fall damit konfrontiert werden. Ich schlurfte hinterher, fragte nach Essensvorschlägen für die Abendmahlzeit und machte dann wieder kehrt. An sich waren die beiden Herren auf dem Sofa essenstechnisch pflegeleicht. Mein Sohn aß von morgens bis abends am liebsten Fastfood und Inu konnte man alles vorsetzen, solange es nicht süßlich oder zu fettig war. Ich war an diesem Abend herrlich unmotiviert und einfach nur noch müde. Nach einem entgeisterten Blick in den gähnend leeren Kühlschrank war es eine einfach Entscheidung, Okonomiyaki zu braten. Das war nicht aufwendig, ging fix und schmeckte normalerweise jedem. Nach dem Abendbrot schickte ich Yuuki ins Bett und wandte mich meinem Gästeproblem zu, denn ein Gästezimmer hatte ich nicht. „Ok, dass das klar ist. Du kannst gerne dich im Wohnzimmer ausbreiten. Ab 22 Uhr ist hier Ruhe im Haus. Bei uns wird im Sitzen gepinkelt und nach dem Duschen die Wände mit dem Abzieher abgezogen. Kapiert?“, stellte ich die Hausregeln auf und überlegte, ob ich nicht noch etwas vergessen hätte. Ich klang sicherlich sehr gereizt, war aber zu der fortgeschrittenen Stunde auch nicht mehr harmoniebedürftig genug, dass zu vertuschen. „Ich werde mich bemühen.“, war die kurze, trockene Antwort. Ich spürte seinen aufmerksamen Blick unter seiner Kapuze hervor, wie er mich ruhig beobachtete. Er lehnte an dem Türpfosten, hatte die Hände in den Hosentaschen und schwieg. Es konnte ihm nicht entgangen sein, dass ich nervös war. Ich bohrte mir die Fingernägel in das eigene Fleisch, kaute auf der Unterlippe und starrte immer wieder meine eigenen Füße an. Eigentlich müsste man sich nur umdrehen und gehen. Aber ich konnte es einfach nicht. Und so, wie der dort knapp eine Armlänge vor mir stand, machte er es mir nicht unbedingt leichter. Seine ganze Art war eine reine Provokation. Sie machte mich unruhig, weil ich ein hibbeliger Mensch war und nicht abwarten konnte. Mich nervte auch die Stille zwischen uns. Inu hingegen saß die ganze Situation aus, indem er einfach seelenruhig abwartete, bis ich wieder einmal explodieren würde. Diesmal quälte er mich nicht so lange, sondern kam mir zuvor. „Spuck's aus, was ist los?“ Diese ruhige Stimme tat mir gut. Sie gab mir vertrauen. Trotzdem suchte ich nach der rechten Formulierung meines Problems. „Naja, weißt du...“, stotterte ich los. „Ich wurde in meinem eigenen vier Wänden mal heimgesucht, weil mein Ex auf der Abschlussliste von irgendwelchen Leuten stand... Das will ich nicht nochmal erleben...“ Ich spürte seine prüfenden Blicke auf meiner Haut, weil ich ihn nicht ansah, sondern noch immer Löcher in den Fußboden starrte. „Da brauchst du dir keine Sorgen machen. Hier taucht keiner auf“, wurde ich beruhigt. „Schlaf gut, Nina-chan.“ Nina-chan. Das hatte er zwar schon oft geschrieben, aber heute erst zum zweiten Mal laut ausgesprochen. Argh, sowas hielt doch keiner aus. Inu hatte dem Türpfosten längst den Rücken gekehrt und war in das von ihm beschlagnahmte Wohnzimmer gegangen. Ich verabschiedet mich ebenfalls und verschwand ins Schlafzimmer. Morgen war ein neuer Arbeitstag. Vielleicht würde mir eine Mütze voll Schlaf einfach gut tun. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)