Kalendertage von sakemaki (Der Tag, an ...) ================================================================================ Kapitel 14: 14 - Der Tag, an dem eine Bombe platzte --------------------------------------------------- Natürlich wurde ich von meinem quengelnden Sohn schon am Frühstückstisch genervt, dass wir doch sofort zur Akademie gehen könnten. Am besten noch vor Sonnenaufgang und vor dem Frühstück. Yuukis Aufregung im Zaum zu halten war schwieriger, als einen Sack Flöhe zu hüten. Nur mit viel Mühe konnten wir uns beide gegenseitig darauf verständigen, dass ich mich noch im Laufe des Vormittags über die Aufnahmebedingungen und den Unterricht erkundigen und ihm alles erzählen würde, sobald er aus der Schule zurück wäre. Wie ein Flummiball hüpfte er nun die Treppenstufen hinunter, als würde der Tag schneller vergehen, je schneller er sich selbst bewegte. Ich seufzte lächelnd, brachte in der Wohnung noch alles in Ordnung und ging ebenfalls hinunter in mein Büro. Es war gerade mal halb acht in der Frühe, wie ich als Erste das Haupttor zur Straße aufschloss und somit das Kontor für die Kundschaft freigab. Die Kundschaft hatte nämlich nicht wie ich durch eine Tür direkt von der Straßenseite Zutritt, sondern musste über unseren wirklich reizvollen, kleinen Innenhof schlendern. Die Ruhe vor dem Sturm beherrschte eben noch die leeren Geschäftsräume, denn wir hatten neue Stoffe für die kommende Winterzeit eingekauft. Da würden einige Kunden bei uns zeitig aufschlagen, nur um bereits als Allererste die brandneue Ware begutachten zu können. Diesmal waren es viele gedeckte Farben wie Nachtblau, Anthrazit oder Moosgrün. Aber auch frostige Töne waren angesagt. Da grellte einem die blanke Kälte in Nuancen von Eisblau, Mint oder Schneeweiß entgegen. Die Muster waren toll und die Farbauswahl auch, aber es war nicht so ganz das Meinige. Ich musste einfach noch auf reine Intuition hin Brombeer, Orangegelb und Rostrosa dazu bestellen. Mal sehen, wie das von der Kundschaft angenommen werden würde. Die Sonne kroch über den Horizont und wärmte mit ihrem gelb getönten Licht die Wände. Der frisch gebrühte Kaffee erfüllt den Raum mit einem herrlichen Aroma von Heimat. Wenn man aus dem Fenster den wolkenlosen Himmel und in der Ferne die bunten Laubwälder erblickte, so hatte man Lust, einfach draußen in der freien Natur spazieren zu gehen. Es war mild. Man bräuchte nur eine leichte Jacke und ein paar Münzen für eine Mittagsverpflegung unterwegs. Das war eine löbliche Sache, die ich hier im Ort sehr schätzte. Egal, ob Garküche, Essensstand oder Restaurant: Das Essen war immer frisch, von guter Qualität, aber extrem preiswert. So günstig konnte man gar nicht selber einkaufen und kochen, weshalb ich oft etwas an den Ständen in der Mittagszeit kaufte. Dennoch schwang ich gern den Kochlöffel, gab es hier doch so gut wie keine Gerichte aus meiner Heimat zu erstehen. Ich kehrte aus meinem Tagtraum zurück, als das Türglöckchen der Haustür aufgeregt klingelte. Die Frühschicht trabte gerade herein, knipste ihre Schreibtischlampen an und setzte das erste Teewasser auf. Bald würden auch die beiden Servicekräfte für den Verkaufsbereich auftauchen. Dann könnte der Arbeitstag erfolgreich starten. Niemand von der Belegschaft schien gerade etwas von mir zu wollen. Somit hätte ich wohl eine ruhige Minute für mich allein. Also fuhr ich den Rechner hoch und surfte im Netz einmal quer durch das Schulregister Konohas. Infos über die Akademie waren schnell zu finden, denn immerhin war es die größte Schule im Ort. Und da Konoha seit jeher ein Shinobidorf war, war sie auch die erste Schule im Dorfe überhaupt. Ich klickte auf den Link, der die Geschichte der Schule abriss. Vor rund sechzig Jahren unter dem Zweiten Hokage gegründet, um den Notstand an Shinobinachwuchs zu lindern, wurde alsbald neben den gewöhnlichen Fächern auch Ninjatechniken gelernt. Allerdings gab es keine einheitlichen Pläne, weshalb viele Ausbildungziele weiterhin innerhalb der Clans gelehrt worden waren. Erst unter dem Dritten Hokage mussten alle Kinder eine einheitliche Ausbildung absolvieren. In der Regel dauerte sie sieben Jahren. Beginnen konnte man im zarten Alter von fünf Jahren. Wichtiges Ziel war es damals und wäre es noch heute, dass jedes Kind sich ganz individuell entwickeln könnte, um seinen eigenen „Weg des Ninjas“ zu finden. Ohje, mein Kind würde Ende Januar schon neun Jahre alt werden. Hoffentlich war er noch nicht zu alt für den Schulwechsel. Nun allerdings recht interessiert konnte ich weiterlesen, sollte es mit dem Ninjaleben doch nichts werden, könnte jedes Kind am Ende der sieben Jahre Schulzeit dennoch einen gewöhnlichen Abschluss erlangen, der einen auf höhere Schulen bringen würde. Na, das war doch der Punkt, der Eltern beruhigende Nächte bescherte. So sehr man sein Kind auch liebte, so wollte man es dennoch im erwachsenen Alter auf eigenen Füßen stehen sehen. Ich klickte mich weiter durch die Homepage und gelangte zu einer Terminliste. Es gab einmal im Quartal eine Vorauswahl, um die Vielzahl an Bewerbern zu filtern. Bestehende Kandidaten wurden dann erst zu den offiziellen Aufnahmeprüfungen zugelassen. Das konnte ich mir gut ausmalen. Konohas Stadtentwicklung hatte in den letzten Jahren wahrlich geboomt. Viele Zugezogene, so wie ich, bereicherten das Stadtleben. Logisch, dass da nicht jeder auf die ach so tolle Akademie, sondern nur auf die Schule für normalsterbliche Zivilisten gehen konnte. Das Glück lag auf unserer Seite. Der nächste Vorauswahltermin würde schon in zehn Tagen stattfinden. Man sollte nur ein Formular ausgefüllt und sich selbst mitbringen. Na schön, ein Versuch war es wert. Innerlich war ich mit mir nicht im Reinen und hoffte, Yuuki würde einfach durchfallen. Dann lag es aber nicht an mir und meiner Ninja ablehnenden Einstellung, sondern allein die Shinobilehrer hätten ihm fehlendes Talent bescheinigt und wieder Heim geschickt. Dann wäre das Thema mit dem Ninjaleben vielleicht ein für allemal vom Tisch. Oh, welch boshafte Gedanken! Sollte man nicht voller Stolz und Zuversicht zu seinem Kind halten? Ich schämte mich fast dabei und notierte den Schultermin im Kalender. Garantiert würde meine Vision vom Durchfallen eh nur ein frommes Wunschdenken bleiben, waren sich doch Tenzô und Inu von der ersten Sekunde an einig, dass Yuuki eine ganz besondere und seltene Chakraform hätte. Und die beiden hatten, meiner laienhaften Einschätzung nach, definitiv Plan von dem, was sie taten und wovon sie sprachen. Inu... Der hatte mal wieder ewig nicht von sich hören lassen. Ewig ist eine sehr lange Zeit, und mir kamen die letzten fünfzehn Tage wie eine unendliche Ewigkeit vor. Mein Handy piepte. Eine Nachricht von Inu. Konnte der eigentlich Gedankenlesen, wenn er genau in der Minute ein Lebenszeichen von sich gab, wenn ich meine Gedanken für ihn verschwendete? Ich hatte am gestrigen Abend Yuuki nicht davon abringen können, dass er Inus Sprachbox voll quatschte. Er war so aufgeregt, dass sich seine Stimme überschlug und ich schon fürchtete, Inu würde kein einziges Wort aus dem schrillen Kauderwelsch verstehen können. Nervös blickte ich auf das kleine, blinkende Lämpchen, das mich ermuntern sollte, die Nachricht zu lesen. Was sollte ich tun? Natürlich war es klar, dass Inu sich irgendwann irgendwie mal wieder melden würde. Aber ich war mir unsicher, ob ich genau hier und jetzt mit ihm reden wollte. Die Personalakte, die ausgerechnet durch seine Hand nun zu diesem Zeitpunkt bei mir aufgetaucht war, hatte mich aus der Fassung gebracht. Es verwirrte mich immer noch. Ich konnte nicht damit umgehen. Noch immer blinkte das Lämpchen am Handy. Es blitze rasch auf und erlosch sachte. Unermüdlich. Ein kurzes Durchatmen, dann sausten mein Finger über das Display. Er wünschte mir einen „Guten Morgen“ und fragte nach, ob ich mir denn bei der Akademie-Entscheidung sicher wäre. Immerhin hätte ich mich stets nur negativ zu dem Thema geäußert und eine mehr als ablehnende Haltung an den Tag gelegt. Meine Finger tippten einen längeren Text, wie ich die Akte gelesen und sie später mit Yuuki zusammen durchgeblättert hätte. Dass ich nach wie vor Ablehnung empfinden würde und dass ich trotzdem den Lauf der Dinge wohl nicht ändern könnte. Es wäre Yuukis Leben und nicht meines. Ich starrte auf den Absende-Button und konnte ihn einfach nicht drücken. Mehrmals flogen meine Augen über meine eigenen Zeilen. Wollte ich ihm das wirklich so schicken? Ich haderte mit mir selber, denn ich kommunizierte mit einer Person, in die ich mich Hals über Kopf verliebt, die aber auch mein Vertrauen komplett erschüttert hatte. So, wie es gerade zwischen uns lief mit diesem ganzen Versteckspiel, konnte es auf gar keinen Fall weitergehen. Das missfiel mir. Es machte mich eher traurig als glücklich. Man sollte doch glücklich sein, wenn man jemanden liebte, oder etwa nicht? Inu war nicht entgangen, dass meine Antwort für meine Verhältnisse viel zu lange auf sich warten ließ. Auch konnte er am DropIn-Status sehen, dass ich getippt hatte, aber nichts abschickte. Stattdessen löschte ich meine vollständige Nachricht und erwiderte den morgendlichen Gruß. Ohne weiteren Text. Ich brauchte noch ein paar Minuten zum Nachdenken. Zurück kam prompt: „Was ist los?“ Inu kannte mich mittlerweile zu gut. Der spürte, dass etwas nicht in Ordnung war und es war seine liebenswerte Art, jederzeit nachzufragen. Es schien ihm wichtig zu sein, dass es allen um ihn herum gut ging und Probleme gleich aus dem Weg geräumt wurden. Am liebsten hätte ich mir den Frust von der Seele geschrieben, wie es mich fertig machte. Ich wusste gar nichts über ihn. Und dann war er auch stets nur sporadisch hier gewesen. So, wie es ihm passte, aber nicht mir. Die Personalakte war der Gipfel. Dass ich nun auch noch starke Gefühle hegte, verschlimmerte alles. Auch Yuuki hatte seine eigene kleine Trauer, mochte er Inu gern und musste nun aber wohl auf das geliebte Training verzichten lernen. All das geisterte mir durch den Kopf, aber nichts brachte ich davon getippt in das Messengerfeld. „Ich weiß, dass du da bist, Nina-chan.“ Ja, ich grübelte zu viel und schrieb nichts. Das dauerte ihm auf der anderen Seite der kabellosen Leitung viel zu lange. Wieder einmal gewann meine Wut, die mir alles falsch zu verstehen gab. Dann tobte ich und wurde vulgär und beleidigend. Meine aufbrausende Eigenschaft hatte schon einiges an Freundschaften gekostet. Ich hatte meine Frustanfälle zeit meines Lebens nicht in den Griff bekommen können. „Woher weißt du das? Stalkst du mich etwa?“ Dahinter setzte ich eine gefühlte Hundertschaft wutschnaubender Teufelsmileys. Ich war sauer. Jawohl! „Wohl kaum. Dazu bin ich viel zu weit weg von zuhause. ;-)“, kam es postwendend als Antwort. Er besaß die stoische Ruhe so groß wie ein Ozean, meine Sprunghaftigkeit einfach zu ignorieren. Dafür konnte ich ihm eigentlich nur dankbar sein. Wäre ich ein Presslufthammer und er eine Wand, er hätte nach meinen Einschlägen wohl nicht einmal einen feinen Haarriss. Obwohl ich weiterhin böse auf ihn sein wollte, schaffte er es mal wieder, dass ich schmunzeln musste. Meine Wut löste sich auf. „Wo bist du denn?“ „In Salt Lake Village in Umi no kuni.“ Ich rief mir die Weltkarte ins Gedächtnis. Wow, das war wirklich sehr weit weg. Mit Zug und Fähre konnte man die Reise vielleicht in fünf Tagen absolvieren. Allerdings nur, wenn das Wetter auf See mitspielte. Starke Strömungen und heftig drehende Winde verschoben häufig die Fährzeiten. Manchmal tagelang. Mit dem Luftschiff reiste man natürlich an einem einzigen Tag, aber da war die Passagieranzahl doch sehr stark eingeschränkt. Zudem flog das Luftschiff nicht häufig auf allen Routen. Welch Art von Mission verschlug einen denn so weit weg von daheim? Spannend, dass er ein bisschen von der Arbeit erzählen durfte. „Wann kommst du zurück?“, tippte ich als unaufdringliches Synonym, dass ich ihn vermisste. „Hoffentlich zur Auswahlprüfung.“ „Du willst dabei sein? O_O“ „Klar, bevor Yuuki die halbe Arena in Schutt und Asche legt... XD“ Inus Humor konnte gelegentlich trockener sein, als der Salzsee des Städtchens, wo er sich gerade angeblich befand. Ich mochte das, denn sonderbarer Weise übertrug sich seine Entspanntheit auf mich. Ich musste einfach lernen, dass ich mein Schicksal, wenn ich selbst nicht weiter wusste, in andere Hände legte, denen ich vertrauten sollte. „Und was hat dich vorhin nun so sauer gemacht?“, hakte er nochmal nach. Hmpf. Wieso hatte er das nicht einfach vergessen können? Das war so eine negative Eigenschaft von ihm. Er tat oft oberflächlich und desinteressiert. Doch das war alles nur blanke Tarnung! Er war extremst neugierig. Und dann beschäftigte er sich solange mit der Sache, bis die Neugier befriedigt war. Was sollte ich nun antworten? Nochmal den ganzen Romantext tippen? Nein, so was ging meist gründlich schief, weil geschriebene Worte so unpersönlich und nackt waren. Die konnten auch ganz schnell einer falschen Interpretation erliegen. Man kam wohl nicht umhin: „Ich würde gern etwas mit dir besprechen wollen.“ „Und was?“ Ha, diese Neugier! Etwas schelmisch kam mir genau der passende Satz in den Sinn. „Es ist kompliziert.“ So, nun hatte ich nichts verraten und zur Abwechselung hatte ich mal keine Grübelei, sondern die ging nun am anderen Ende der Welt los. Diabolisch grinsend freute ich mich wie ein frisch paniertes Schnitzel. Nur nicht so krümelig. Die Neugier würde Inu schon beschäftigen. Ich schob mein Handy beiseite und beschloss, Inu einfach stumpf zu ignorieren. So drehte ich den Spieß um, wurde ich von ihm immerhin auch gerne mal ignoriert. Mit einem Blick auf meine Bürozimmeruhr stellte ich fest, dass die Zeit schneller davongerannt war, als ich es wahrgenommen hatte. Ich musste dringend einige wichtige Geschäftsbriefe am Postschalter aufgeben. Wenn ich noch pünktlich bis zur Mittagsruhe bei der Post aufschlagen wollte, so musste ich mich sputen. Zudem wollte ich einen Schlenker zur die ortsansässige Bibliothek machen. Denn auch ich hatte meine Neugier. Seit der Fernsehdokumentation über das Gras-Reich und die Kannabibrücke trieb es mich innerlich um. Wenn Inu mir keinen Bären aufgebunden hatte, dann müsste es doch herauszufinden sein, wer damals alles bei der Brückensprengung dabei gewesen war. Und da ich nun von meinem Haus- und Hofninja nun auch das exakte Geburtsdatum wusste, müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich das Geheimnis nicht lüften ließe. Es hatte mich schon stutzig gemacht, solch dicke Hinweise zu erhaschen. Dafür konnte es eigentlich nur zwei Lösungen geben. Entweder wusste er ganz genau, dass es nirgends etwas zu finden gab, oder er wollte, dass ich es herausbekäme. Die erste Lösung war für mich völlig inakzeptabel. Die zweite Lösung spornte mich an. Flux eilte ich zur Post und wechselte dann drei Straßen weiter zur Bibliothek. Irgendwo in diesem riesigen Gebäude voller Druckerzeugnisse und Online-Datenbanken musste es doch eine Abteilung geben, die sich mit der Geschichte Konohas beschäftigte. Chroniken, Legenden, Sachtexte. Vielleicht gab es ja auch ein Bekanntgaberegister über Geburten und Sterbefälle. Aufmerksam schlenderte ich durch die vielen Regalreihen. Allein der Anblick war faszinierend. In meiner Heimat hatte seit jeher die Buchbindung dominiert. Hier aber rollte sich eine halbe Kultur auf Schriftrollen. Lange hatte ich nicht verstanden, warum man im Feuer-Reich in alten Epochen die Schrift von rechts nach links und von oben nach unten anordnete. Es war also genau umgekehrt zu dem, was ich aus dem Erd-Reich kannte. Es war mir schlüssig, da die meisten Menschen Rechtshänder waren, von links nach rechts in Reihen zu schreiben, um die Tintenschrift nicht mit der Schreibhand zu verwischen. Erst als ich eine Schriftrolle in den Händen hielt und sie öffnete, kapierte ich das befremdliche Schreibsystem. Auch hier waren die Menschen zum Großteil Rechtshänder. Zog man nun an der Rolle, so rollte sie sich demnach nach rechts ab. So tauchte Spalte um Spalte, nicht Zeile um Zeile, auf. Heutzutage mit dem Einzug der digitalen Medien hatte man aber auch im Feuer-Reich die Zeilen anstelle der Spalten für Schriftstücke entdeckt. Ich mochte Bücher. Noch mehr mochte ich so alte Schinken, in welchen die kunstvolle Handschrift, die Federzeichnungen und die Tuscherei sich zu einem Gesamtkunstwerk verbanden. Da war allein schon die Gestaltung ein Meisterwerk, und man mochte solch ein Buch oder solch eine Schriftrolle gar nicht aus der Hand geben noch bevor man überhaupt nur einen einzigen Buchstaben oder Schriftzeichen gelesen hatte. Meine Finger glitten kaum merklich über die Einbände. Ich versank einem Traum voller Schriftsprache und Kopfkino. Es befanden sich tatsächlich Bücher über die Geschichte und die Folklore Konohas in der Sammlung. Und das waren nicht mal wenige. Meine Motivation sank. Ich hatte nicht viel Zeit im Gepäck und musste zum Nachmittagsgeschäft dringend wieder im Kontor sein. Niemals würde ich diese Menge an Literatur in knapp einer Stunde, die mir noch verblieb, sichten können. Fieberhaft dachte ich nach und beschloss, klammheimlich die eventuell passenden Buchseiten und Schriftrollen mit dem Handy ab zu fotografieren. Das war zwar verboten, doch ich würde viel Zeit sparen und könnte meine Ausbeute in Ruhe zu Hause lesen. Selbst wenn ich nicht heute zum Ziel käme, so fänden sich vielleicht Stichworte, nach denen ich beim nächsten Besuch gezielter stöbern könnte. Ja, das war ein guter Plan! Ich war hektisch, rannte mir die Zeit gnadenlos davon. Ein Buch nach dem anderen, welches auch nur das Mindeste mit dem Gras-Reich oder dem Dritten Ninjakrieg zu tun hatten, zog ich heraus, suchte nach der Kannabi-Brücke und knipste, was das Zeug hielt. Das Blitzlicht hatte ich vorsorglich ausgeschaltet, wollte ich kein Aufsehen erregen. Hoffentlich wurden die Bilder bei dem schwachen Licht auch wirklich etwas und ich hätte nicht zu sehr vor Aufregung verwackelt. Und leise musste ich sein, was mir in der Eile wirklich schwer fiel. Da wünschte ich echt zum allerersten Mal, ich wäre auch Ninja und könnte gut geschult der heimlichen und schnellen Spionagearbeit nachgehen. Die große Glocke im Eingangsbereich der Bibliothek wurde dreimal kräftig geschlagen. Mist! Mir blieb nur noch eine Viertelstunde. Hastig stellte ich alle Bücher wieder sorgsam an ihre Plätze in den unter der Last ächzenden Holzregalen. Und die Geburtenregister? Die gab es garantiert nur unzugänglich im Verwaltungsarchiv Konohas. Dennoch kroch ich von einem Gang in den nächsten und überflog die Buchtitel. Da gab es tatsächlich Chroniken und Stammbäume. Doch die waren alle längst historisch und entstammten aus vergangenen Zeiten lange vor der Geburt meines gesuchten Anbus. Seufzend gab ich die Suche auf und verließ die Bibliothek. Schnellen Schrittes ging ich in Richtung Hochplateau. Das Wetter war herrlich. Nicht zu warm und nicht zu kalt. Ich saugte frohen Mutes meine Lungen voller frischer Herbstluft. Die Sonne schmeichelte meine Haut. Warum auch immer hatte ich gute Laune und genoss den Tag. Trotz der vielen Alltagssorgen lief es doch im Grunde genommen gut bei mir. Was sollte mich in dieser Minute erschüttern? In Rekordzeit bog ich in unsere Straße ein. Nur noch wenige Meter trennten mich von meinem Zuhause. Und plötzlich ward alles anders ... Es krachte ohrenbetäubend, als hätte direkt neben mir ein Blitz eingeschlagen und seinen Donner entladen. Ein Druckwelle warf mich zu Boden. Da prasselten auch schon Gesteinsbröckchen auf mich hernieder, brachten mir blaue Flecke, Platzwunden und ein angebrochenes Handgelenk. Staub flog empor und verklebte meine Augen. Feuergeruch und Qualm brannte in meiner Nase. Meine Lungen, die eben noch voller Frische waren, quälten sich schmerzvoll. Mir blieb der Atem aus. Panik ergriff mich und steigerte sich in Todesangst. Ich ersticke! Ich ersticke! Meine innere Stimme schrie hysterisch. Aber meine Stimmbänder blieben schwingungslos. Und dann sah ich die Menschen. Viele Menschen jagten durch die Staubwolke. Sie waren ebenso wie ich. Voller Angst. Verletzt und hilflos. Zitternd kauerte ich auf dem Straßenpflaster und war unfähig, mich zu bewegen oder etwas zu sagen. Doch was war überhaupt geschehen? Ich starrte um mich, würde aber die Bilder des Grauens erst sehr viel später in meinem Gedächtnis abspeichern und verstehen können. Und so blickte ich auf ein Nachbarhaus unserer Straße und kam einfach nicht darauf, was sich zum Teufel hier und insbesondere an dem Haus verändert hatte. Erst später erfuhr ich von einem Medizin-Ninja, dass ich einen starken Schock erlitten hatte. Hektisch hetzten plötzlich viele Shinobis umher, sicherten das Nachbarhaus und halfen den Verletzten. Irgendwann wurde sich meiner sanft angenommen. Man griff mir unter die Arme und brachte mich auf wackeligen Beinen zum Ende der Straße, wo der Rettungsdienst uns Opfer versorgte. Es hatte den Teekontor erwischt. Das registrierte ich nun, wie ich hier auf einer Matte saß, eine schützende Decke um die Schultern gelegt bekommen hatte und mich an einer heißen Tasse Tee festhielt. Der Dampf mit seinem beruhigenden Aroma stieg mir in die Nase und gab ihr den Geruchssinn wieder. Immer wieder und wieder guckte ich fassungslos auf das Loch. Wie ein ausgeschlagener Zahn prangte nun dort in der Häuserreihe eine Lücke. Der komplette Teeladen war gesprengt worden. Noch nie hatte ich so etwas erlebt. Meine Heimatstadt war vom Kriege verschont geblieben. Kriegserfahrungen fehlten mir gänzlich. Als Yuukis Chakraball Anfang diesen Sommers ein Haus zum Einsturz gebracht hatte, war es nur durch den kreisrunden Einschuss in sich zusammengefallen. Das hatte zwar auch gescheppert und gestaubt, war aber mehr in sich zusammengefallen, als in alle Richtungen zu versprengen. Das hier war einfach nur grausam. Eine Detonation mitten in Konohagakure. Warum? Wieso? Schlückchenweise schlürfte ich die kleine Teetasse leer. Der Medizin-Ninja, der mir die Decke und die Tasse zuvor gereicht hatte, ging zu einer Gruppe weiterer Ninjas, die hier Untersuchungen trieben, um den Vorfall zu klären. Er sprach etwas zu diesen, deutete aber immer wieder mit einem Kopfnicken zu mir. Die redeten tatsächlich über mich. Möglichst unauffällig drehte ich leicht meinen Gesicht zu ihnen, um die Gruppe genauer zu betrachten. Doch das hätte nicht Not getan, denn sofort bewegten sie sich auf mich zu und musterten mich sonderbar lange von oben herab. Ich musste mit einem solch totem Blick zurück gestarrt haben, dass sie wohl zuerst nicht wussten, was sie mit mir anfangen wollten. „Würden Sie uns bitte folgen. Wir hätten da einige Fragen an Sie!“, kam es dann barsch von dem Einen. Fragen an mich? Ich verstand nichts. Was wollten die von mir? „Ich übernehme das schon...“ forderte da eine bekannte Stimme die Gruppe auf, mich nicht länger zu belästigen. Überrascht riss ich meinen Kopf herum. Anbus waren aus ihren Verstecken gekommen, war deren Aufgabe wohl für heute erledigt, denn sie entfernten sich vom Schauplatz. Ein Zischen und keiner von denen ward mehr gesehen. Aber ein einziger Anbu war noch geblieben. Die Gruppe, welche mich abführen wollte, salutierte vor meinem unerwarteten Retter und trollte sich dann wieder ins Geschehen. „Alles in Ordnung?“ fragte Tenzô, der vor mir in die Hocke gegangen war und mich prüfend ansah. Ich nickte zwar bejahend, war mir aber gar nicht so sicher. „Was ist denn bloß los?“ „Irgendwer hat aus Haushaltsmitteln eine Bombe gebaut und im Teekontor hochgehen lassen. Warum weiß man noch nicht.“, klärte er mich bereitwillig auf. „Und was wollten die?“, fragte ich und deutete mit einem unauffälligen Fingerzeig auf die Ninjas. „Nunja...“, kratzte sich Tenzô verlegen am Kopf und wurde leicht rot. „Sagen wir mal so, du trägst eine ziemlich auffällige Chakraspur an dir. Zwar nur ganz leicht, aber für Profis spürbar. Da waren die misstrauisch und neugierig zugleich.“ „Chakraspur? Ich habe doch gar kein Chakra.“ „Nee, DU nicht.“ Langsam dämmerte es mir, dass Inus Chakra an mir haftete. Und was war daran jetzt so schlimm? Und wieder war ich in der Situation, von der Shinobi-Welt keinen blassen Schimmer zu haben und verstand deshalb mal wieder rein gar nichts. Alle um mich herum sprachen einen Code, den ich selber nicht entschlüsseln konnte. „Hat er dir denn immer noch nichts gesagt?“, setzte Tenzô dem Mysterium noch eines oben drauf und sah mich sehr mitleidig an, so als wolle er etwas sagen und durfte aber nicht. Ich schüttelte einfach nur mein Haupt, und Tenzô kommentierte es mit einem gequälten Seufzer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)