Kalendertage von sakemaki (Der Tag, an ...) ================================================================================ Kapitel 43: 43 - Der Tag, an dem ich auf den Hund kam ----------------------------------------------------- Ûhei hasst Supermärkte. Und noch viel mehr hasste er die Drogerieabteilung. Supermärkte waren dem großen, braun-weißen Ninken generell viel zu überfüllt. Menschen hetzten durch die labyrinthartigen, himmelhohen Regalgänge, stierten unschlüssig die grell-bunte Verpackungsware an und schoben ihre Einkaufswagen wie metallische Schutzschilde vor sich her, welche gnadenlos den Weg freiräumten. Dabei vergaßen die Menschen doch sehr häufig, dass zu ihren Füßen manchmal auch kleinere Wesen ihren Weg suchten. Diese wurden dann glatt mal über den Haufen gefahren. Schmerzvoll gequetschte Zehen und Pfoten waren die Folge. Und erst diese ganzen Gerüche, welche die feine Hundenase malträtierten, waren furchtbar. Besonders zwischen all dem Waschpulvern, Shampoos und Deoflaschen war es besonders grässlich. Nein, ein Supermarkt war einfach kein guter Platz für einen Hund. Es musste wohl auch genau deshalb ein Zusammenhang zwischen dieser Feststellung und dem Hundeverbotsschild an der Ladentür bestehen. Warum Ûhei nun ausgerechnet solche Schilder absolut desinteressiert übersah, stand auf einem anderen Blatt. Es mochte das Angebot an Tiernahrungsmitteln sein, welches den Hund magisch anlockte. Zwar war er kaum bestechlich, doch irgend ein Laster hatte jedes Lebewesen. Und für Hunde gab es anscheinend nirgends bessere Leckerlis aus Rindfleisch zu ergattern als eben in diesem Einkaufsparadies. Tag für Tag. Man könnte sogar behaupten, Ûhei wäre ein Leckerli-Junkie. Kakashi kaufte so gut wie nie Leckerlis für sein Rudel, denn davon würden die Hunde zu schnell zu fett werden, meinte er dann immer. So blieb solch einer verfressenen Hundeschnauze wie Ûhei sie hatte nichts weiter übrig, als sich selbst um das unnütze Zusatzfutter zu kümmern. Dazu robbte er absolut sehenswert am Eingang durch die Obststände, ließ den Lebensmittelbereich links liegen, kürzte rechts herum durch die Haushaltswarenregale ab und kroch dann unter den Bekleidungsständern hindurch, bis er gerade noch mit einem Beutel Leckerli im Maul kurz vor dem Ausgang erwischt und rausgeworfen wurde. Ansonsten gab es für den Vierbeiner eigentlich keinen Grund, durch den Supermarkt zu schleichen. Aber ihn beim Klauen zu beobachten, sah einfach zu komisch aus. Er nahm es dafür sogar billigend in Kauf, sich jedes Mal großen Ärger einzuhandeln. Na, ob das nun für einen gut ausgebildeten Ninjahund stand, dass er so häufig erwischt wurde? Ich zweifelte ein wenig an ihm. Trotzdem blieb er mein absoluter Liebling. Also beschloss Kakashi, einmal andere Seiten bei dem beschworenen Vierbeiner aufzuziehen. Ûhei wurde zum Hütehund degradiert, der nichts anderes zu tun hätte, als eben mich zu behüten. So hätte er eine dauerhafte Aufgabe und ich wiederum hätte einen ständigen Begleiter, weil ich zeitweilig unter Panikattacken litt, sobald ich mich allein und verlassen fühlte. Eine Win-Win-Situation, befand Kakashi. Somit war es eine beschlossenen Sache, dass mir Ûhei seit meiner Entlassung aus dem Krankenhaus nicht mehr von der Seite zu weichen hätte. Ich hingegen fand das schon etwas verrückt, denn ohne Chakra würde doch so ein vertrauter Geist einfach wieder irgendwohin verschwinden. Ich hätte doch noch nicht einmal einen blutbesiegelten Pakt mit Ûhei geschlossen. Warum sollte der bei mir bleiben? Nun gut, wir verstanden uns beide sehr gut. Als ich letztes Jahr in Otafuku auf dem Festival unterwegs war, hatte er mich auch begleitet. Doch ein Ninken war kein normaler Hund. Die tickten anders. Sie hatten Chakra und beherrschten antrainierte Jutsus. Und sie konnten sprechen und komplexer Denken als normale Hunde, was nicht unbedingt heißen sollte, sie wären nun sehr viel schlauer. Hunde blieben dann doch irgendwie Hunde. Das stimmte wohl, wurde ich aufgeklärt, aber die Ninken wären mittlerweile alle in Konoha oder in der näheren Umgebung beheimatet und würde in der Zeit, wo sie von Langeweile geplagt würden, nur noch Blödsinn im Kopf haben. Das lag im Großen und Ganzen daran, dass Kakashi kaum noch aus dem Büro und dem Dorf herauskam. Wenn Kakashi die Hunde also irgendwo in der großen, weiten Welt zu sich rief, so rief er sie aus den Straßen oder den Wäldern des Dorfes herbei, wobei die Hunde mittlerweile sehr häufig seine Wohnung in Beschlag genommen hatten. Ich hätte sie nur noch nie so oft bei ihm daheim gesehen, weil er sie dann vorher immer rausschmeißen würde. Die Wohnung wäre ja nur so klein und überhaupt, meinte Kakashi. Aha! Wieder etwas gelernt. Es verstand sich meines Erachtens ganz von selbst, das Rudel vor die Tür zu schicken. Tierische Zeugen bei Bettgeschichten brauchte niemand. Zu dem Thema „Blödsinn im Kopf“ musste ich innerlich lachen, weil wir das Sprichwort einfiel: „Wie der Herr so das Gescherr!“ Blieb nur die Frage zu klären, wer da wem in manch wenigen Dingen immer ähnlicher wurde. Mit Ûhei an meiner Seite durch die Straßen zu gehen, tat meiner Seele gut. Langsame, kurze Spaziergänge verhalfen mir, wieder zurück in den Alltag zu finden. Meine Entführung hatte Spuren hinterlassen. Nachts träumte ich nach wie vor schlimme Dinge. Dann wachte ich manchmal schweißgebadet auf, hatte Atemprobleme und Herzrasen. Tagsüber zuckte ich zusammen, wenn ich Geräusche vernahm, die ich nicht zuordnen konnte. War meine Familie aus dem Haus, fürchtete ich, verfolgt und überwacht zu werden. In der nächste Woche wollte ich eigentlich wieder in die Hauptstadt zur Arbeit pendeln, aber mein Freund riet mir ab. Es wäre alles noch viel zu frisch. Es würde nicht schaden, wenn ich nicht zur Arbeit fahren, sondern mich stattdessen gründlich auskurieren und wieder Sicherheit finden würde. Sicherlich hatte er recht, doch war ich mit Hummeln im Allerwertesten auf die Welt gekommen und konnte kaum stillsitzen. Der Weg durch die vertrauten Straßen mit der Gewissheit, beschützt zu sein, war heilsamer Balsam. Heute wollten der Ninken und ich eine längere Tour wagen. Erst am Flussufer entlang, bei den Kirschbäumen vorbei und dann in die vom Hund verhasste Drogerie. Die Ausläufer des Winters waren lang in diesem Jahr. Es war noch immer recht frisch für die Jahreszeit. Im Feuer-Reich würde man üblicherweise Anfang März wegen der milden Temperaturen die Winterjacken wieder in die Kleiderschränke zurückhängen und schon im Pullover herumlaufen. Den trug ich zwar eben auch, hatte aber zusätzlich noch ein T-Shirt untergezogen und einen dicken Schal umgewickelt, weil ich die kühle Brise auf der nackten Haut am Hals nicht mochte. Auch heute wehte wieder ein frisches Lüftchen. Die Böden und Wege waren teilweise noch gefroren. Wo sie bereits aufgetaut waren, versank man in knöchelhohem Matsch. Wir verharrten kurz unter den Kirschbäumen, weil mein Fuß eine Pause benötigte. Normalerweise würden Mitte März die Knospen an den Bäumen kurz vor dem Öffnen stehen. Doch diesmal war noch alles Grau in Grau. Kahle Äste schmückten sich gerade mal mit winzigen Ansätzen von sehr kleinen Knospen. Die Blüten würden sich wohl erst im April entfalten. Ja, es dauerte alles irgendwie länger in diesem Jahr. Seit gut einer Woche war ich nun wieder daheim. Mein Fuß wollte nur schlecht verheilen. Zwar brauchte ich keine Krücken mehr, hatte aber beim Gehen noch eine Schiene zu benutzen und leichte Schmerzen zu ertragen. Fußprobleme lagen wohl anscheinend in der Familie. Mein Sohn war letztes Jahr im Februar auf dem Weg zur Schule über die Dächer gehüpft und abgerutscht. Da hatte es Yuuki mit seinem Knöchelbruch leichter gehabt. Der war dank Chakratherapie nach wenigen Tagen wieder verheilt. Ich aber musste genervt abwarten, bis der langsame, aber stete Heilungsprozess abgeschlossen war. Unfair! Bei meiner Entlassung glaubte ich zu spüren, dass das halbe Krankenhaus aufatmete, mich endlich los zu werden. Längst hatte der Buschfunk in den sterilen Gängen getrommelt, dass dort in einem Einzelzimmer eine verrückte Schlafwandlerin wäre, die alles kurz und klein prügeln würde. Eine kräftige rechte Faust hätte ich wohl, die immer, wirklich immer, treffen würde. Und das Losschlagen wäre unberechenbar. Da konnte die Belegschaft nur froh sein, mich endlich entlassen zu können. Nur Schwester Kiri tat mir ein bisschen leid. Sie hatte ihre Jagd nach dem geheimnisvollen Jo-Nin verloren und seine Identität nicht lüften können. Bei der Verabschiedung wirkte sie sehr geknickt. Trösten wollte sie sich mit dem Gedanken, dass sie es wohl mit einem ziemlich guten Jo-Nin zu tun haben müsste. Da gab man doch gern klein bei. Das sollte ich doch meinem Freund einmal lobend ausrichten. Ach, winkte ich da nur herunterspielend ab und entgegnete ohne zu viel zu verraten, dass der besagte Jo-Nin früher mal bessere Zeiten gehabt hätte. Mit der Aussage wurde ich von Schwester Kiri nur ganz entgeistert angeschaut. Soviel hatte ich selbst ja nun schon gelernt, dass wohl damals mit dem Sharingan alles wie geschnitten Brot lief und heutzutage nach dem bedauerlichen Verlust nicht mehr so sehr. Es hatte wohl viel Training und Tüftelei seitens Kakashis gebraucht, sich neue Jutsu zu basteln, welche die Sharinganlosigkeit kompensierten. Aber das brauchte ja keiner so genau zu wissen. Ich hatte mir einmal versucht auszumalen, wie er wohl mit diesen zwei verschieden farbigen Augen ausgesehen haben musste. Ein dunkelgraues, normales Auge und ein leuchtend rotes Auge mit schwarzem Muster. Vermutlich hätte ich mich zu Tode gefürchtet und wäre schreiend weggelaufen. Beziehungsförderlich wäre das wohl nicht für uns beide gewesen. Eher unheimlich und das Ende vom Anfang. Ûhei und ich setzten unseren Weg fort. Am Ende des Kirschbaumhaines führte eine Holzbrücke über den Fluss zurück in Richtung Stadt. Mitten auf der Brücke verweilte ich kurz am Geländer und sah auf das kristallklare Wasser hinab. In ruhigen Bahnen floss es unter uns hinweg. Man konnte bis auf den Grund sehen. Ein Fischschwarm passierte das Brückenhindernis. Als er den Holzpfosten ausweichen musste, teilte sich der Schwarm kurz. Noch war das Holz der Planken vom letzten Regen nicht ganz getrocknet. Es tropfte auf die Wasseroberfläche hinab. Trotz des seichten Wasserstromes bildeten sich Kreise auf der Oberfläche, wo sich die Tropfen von der Brücke mit dem Fluss vereinten. Mir kam die Erinnerung zurück vor Augen, wie ich an Kakashis Händen damals mitten auf dem Fluss gestanden hatte. Es war so unglaublich und so wunderschön gewesen. War das tatsächlich schon eineinhalb Jahre her? Die Zeit raste. Wir ließen die Brücke hinter uns, folgten der Hauptstraße des Viertels und bogen dann in eine Seitengasse. Recht unscheinbar und heruntergekommen stand dort eine sehr schmale Lagerhalle, in welche seit einem guten halben Jahr ein ganz besonderer Supermarkt eingezogen war. Außen pfui, aber innen hui! Ich war schon durch die gläsernen Schiebeeingangstüren eingetreten, als ich feststellte, dass mir etwas fehlte. Wo war der Hund? Der saß trotzig noch draußen und wollte partout nicht mit hinein. Doch heute half kein Winseln und kein Jaulen. Mein Waschpulver daheim war aufgebraucht, und die Kinder hatten es mir vom Einkauf nicht mitgebracht, weil es an meiner vergesslichen Wenigkeit gelegen hatte, es auf dem Einkaufszettel nicht zu notieren. Und außerdem gab es auch spezielle Dinge, die notierte man nicht auf einem Einkaufszettel, die man Kindern mitgab. Mit hängenden Lefzen trottete Ûhei hinter mir her und machte einen übertrieben Eindruck voller Leid und Qual. Gern hätte ich ihm meine Odyssee durch die Drogerieabteilung erspart. Aber ich hatte diesen Laden noch nicht so oft besucht, und das Sortiment war hier anders in die Regale einsortiert, als in anderen Geschäften, die ich sonst aufsuchte. Ich musste also erst ein wenig suchen. Mittlerweile nannte ich diesen Laden nur noch den „Wunderladen“. Es musste bei der Auswahl der Produkte der Wettbewerb geherrscht haben: „Wie bekommt man möglichst viel Ware auf möglichst wenig Platz?“ Es gab hier alles. Und wenn ich sage alles, dann meine ich alles. Neben Lebensmitteln, Haushalt und Drogerie, gab es auch Elektronik, Möbel, Teppiche, Farbe, Holz, Fahrräder, Geschirr, Camping, Sport und so weiter und so fort. Bis an die Decke stapelten sich die Dinge. Und dass alles in dieser einen einzigen Lagerhalle, wo anderorts platztechnisch ganze Einkaufszentren von Nöten wären. Endlich hatte ich den Gang mit den Waschmitteln gefunden und suchte ihn Meter für Meter ab. Es gab einfach viel zu viel Auswahl. Gefunden! Auf zur nächsten Suche. Ich wechselte von einem Gang zum nächsten. „Was suchst du denn jetzt noch?“, jaulte es verzweifelt vom Hauptgang. Ûhei lag dort auf den kühlen Fliesen, hatte alle Viere von sich gestreckt und schnappte nach Luft. Die Nase zuckte unruhig, und das Weiß seiner Augenäpfel war zu sehen. In seinem Hirn tanzten bestimmt schon bunte Sterne. Nun tat er mir doch ein bisschen Leid. Trotzdem musste ich bei seinem Anblick ein innerlich grinsen. Ich biss mir auf die Zunge, um mir nichts anmerken zu lassen. „Hab's ja gleich!“, rief ich unbeeindruckt zu ihm zurück und hielt dann ganz in seiner Nähe inne, weil ich das Ziel erreicht hatte. Perplex starrte ich dann auf das ausgedünnte Angebot. In Konoha musst der Frühling ausgebrochen sein, denn viele Haken mit den Kondomverpackungen gähnte leer. Auch die Sorte, welche wir nutzen, war aus. Na so was. Während ich noch überlegte, in welches Modell sich mein Freund nun einzutüten hätte, hatte ich nicht bemerkt, wie der Hund sich zwischenzeitlich neben mich gesetzt hatte und mich von der Seite her prüfend anblickte. „Wollt ihr keinen Wurf? Aber du bist doch eben läufig?“ Bitte was? Woher wusste er denn nun das wieder? Roch der das? Ich war von dieser Frage in dem Moment so überfahren worden, dass ich irritiert hervorbracht: „Wir haben doch schon zwei Kinder.“ Zwei reichten definitiv hin. Beim Umzug im vorletzten Jahr fiel mir ein Karton mit Yuukis alten Babysachen in die Hände. Da war gar nicht so viel drin. Nur einzelne, wenige Stücke, die ich besonders mochte und niedlich fand. Ein alter Strampler. Ein Schlafsack. Winzige Strümpfe und eine weiche Mütze. Eine hübsche Rassel und drei Milchflaschen aus Glas. Ganz süße Babyfotos in einem Fotoalbum. Ich hatte es schon vermisst. Kaum zu glauben, dass mein Sohn da jemals in den Strampler hineingepasst hatte. Und nun war er schon so groß gewachsen und reichte mir fast bis an die Schulter. Manchmal hatte ich schon das Bedürfnis nach einem zweiten Kind gehabt. Doch jahrelang hatte der passende Mann an meiner Seite gefehlt. Kenta war einfach nicht zurückgekehrt. Die Arbeit hatte mich aufgefressen. Wenigstens hatte sich Yuuki als unkompliziertes Kind entpuppt. Jetzt war ich, so blöde es auch klingen mochte, zu alt für ein zweites Kind. In ein paar Tagen würde ich schon siebenunddreißig Jahre alt werden. Klar könnte man da noch ein Kind bekommen, dennoch ich fühlte mich dem nervlich nicht mehr so gewachsen wie noch vor gut zehn Jahren, als mein Sohn zur Welt kam. Yuukis Kleinkindphase war eine schöne, aber auch anstrengende Zeit gewesen. Die mochte ich nicht missen. Aber nun war ich doch froh, dass er aus dem Gröbsten heraus und so selbstständig war. Da bahnten sich nun ganz neue pubertäre und schulische Phasen an. Dazu konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, noch so einen kleinen Wurm auf dem Arm zu haben, der einem unaufhörlich ins Ohr quakte, weil er Hunger oder die Windel voll hatte. Ich hatte Kakashi mal schräg von der Seite angeschaut, als er hatte verlauten lassen, er hätte ja schon fünf Kinder. Als er dann aber lachend im Nachsatz meine Irritation auflöste, war ich doch gleich wieder entspannter. Es wären, wie mir bereits bekannt, nur ein einziges Leibliches und aber noch Vier im Herzen. Und Drei davon wären glücklicherweise schon erwachsen. Das würde ihm, der sowieso niemals über eine Familie nachgedacht hatte, bei Weitem ausreichen, weil er sich für absolut familienuntauglich hielt. Von dem ganzen Dorf, was er noch zu bemuttern hatte, wollte man gar nicht erst reden. Somit war unsere Linie klar, ohne dass wir jemals viel darüber gesprochen hatten: keine zusätzlichen Kinder. Trotzdem konnte ich nicht nachvollziehen, warum er sich als nicht familientauglich bezeichnete. Kakashi setzte sich generell selber unter Druck, mit allem was er tat, seinen Mitmenschen und sich selbst nicht zu genügen. Seine Fähigkeiten, die von vielen bewundert wurden, sah er nicht auf dieselbe Weise an, sondern stempelte sie als mittelmäßig bis wenig ausreichend ab. Ein seelischer Knacks, basierend auf vielen Fehlentscheidungen und Niederlagen, gegen den noch kein Gegenmittel gefunden worden war. Ich wusste nun nicht, ob ich über Ûheis tierische Wortwahl lachen oder ihn wegen seiner Indiskretion schelten sollte. Sicherlich waren dem nur die ganzen Parfümdüfte zu Kopfe gestiegen und war nun im Hirn wohl total benebelt. Nein, Ûhei war sich seiner Worte im öffentlichen Raum nicht bewusst. Er hatte artig neben mir Platz gemacht, sich mit dem Hinterlauf am Ohr gekratzt und mich mit großen Augen recht emotionslos angeschaut. Wie Hunde das halt so machen. Ich überlegte, ob Hunde auch so etwas wie Liebe untereinander empfanden oder ob sie sich einfach nur stumpf fortpflanzten. Weiter überlegte ich noch, ob es an Ort und Stelle wirklich Sinn machte, sich mit ihm über den Unterschied an Empfindungen zwischen Mensch und Tier auseinanderzusetzen. Zwei weitere Kunden im Gang gingen kichernd und tuschelnd an uns vorbei, hatten sie wohl Ûheis vorlautes Mundwerk mitbekommen. Nun ja, seine Ausdrucksweise war aber auch zu komisch. Und so fuhr er nun ungeniert fort. „Und wieso paart ihr euch dann so oft?“ „Wieso oft? Und was soll überhaupt diese Fragerei?“ Pff, was verstand der unter „oft“? Als ob wir es unentwegt treiben würden. Also, nee. Das taten wir sicherlich deshalb schon nicht, weil wir uns gar nicht so regelmäßig sahen, wie wir es gerne würden. Nun war ich doch irgendwie gereizt. Mal ehrlich, ich wurde inmitten eines Supermarktes von einem Hund über mein Sexualleben ausgefragt. So langsam wurde es mir peinlich. Der Markt war gut besucht. Wir waren hier in der Drogerieabteilung definitiv nicht unter uns. Ich hatte das dringende Bedürfnis, meinen Einkauf zu bezahlen. Also peilte ich schon mal mit den Augen die Kasse an und setzte mich dann, so flink es mit dem kaputten Fuß möglich war, in Bewegung. Es rumorte weiterhin in dem kleinen Hundeschädel. Da war einfach keine Ruhe unter der pelzigen Kopfhaut zu finden. Ich hatte gerade die Sachen auf das Kassenband gelegt, da folgte nun der nächste Knüller aus seiner Schnauze heraus: „Stört es dich eigentlich, dass er dir ständig untreu ist?“ „WAS?!?!?!?“, schrie ich es im Affekt aus mir heraus, dass es garantiert über alle fünf Groß-Reiche hinweg hallte. Dass draußen vor der Tür die Vögel auf dem Baum aufschreckten und in die Höhe flatterten oder der Postbote zuckend seine Briefe aus den Händen verlor, war bestimmt kein Zufall. Nun hatte ich definitiv das, was ich auf gar keinen Fall haben wollte. Es war mucksmäuschenstill in dem Laden geworden. Die Zeit war eingefroren. Alle nur erdenklichen Augenpaare waren auf mich gerichtet. Auf mich und den Hund, den ich am Halsband gepackt und in die Luft gerissen hatte. Dieser strampelte unkonditioniert mit den Pfoten herum, würgte um sein Leben und jaulte. Panisch blickte er mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ich musste wohl so sauer ausgesehen haben, dass er glaubte, sein letztes Stündlein hätte geschlagen. Da hatte er alle großen Missionen, Schlachten und Kriege überlebt und würde nun hier in einem billigen Supermarkt sterben, weil ihm etwas über die Lefzen gerutscht war, was er wohl besser nicht hätte aussprechen sollen. Welch ein bitteres Schicksal. So weit sollte es nicht kommen. Schnell kam ich zu mir. Mit einem hochroten Kopf voller Wut und peinlicher Berührtheit zahlte ich wortlos meine Ware und machte, dass ich davonkam von diesem Ort voller Aufmerksamkeit. Ûhei zog ich einfach am Halsband hinterher. Man konnte sich gar nicht vorstellen, was ein Hund so wog, wenn man den ziehen musste. Wie ein Reissack. Und schon waren wir wieder draußen auf der Straße. Der Wind war kälter geworden. Er kühlte meinen heißen Kopf und mein hitziges Gemüt. Tief und fest saugte ich die Luft auf und pumpte sie in meine Lungenflügel. Dabei zählte ich langsam die Zahlen von Zehn bis Null runter. Der Ninken brauchte länger mit der Regeneration. Der lag auf den Pflastersteinen wie ein Löwenfellteppich und japste. Er tat mir leid, wie er da so lag. Es tat mir leid, so überreagiert zu haben. Was auch immer Kakashi trieb: Ûhei konnte nichts dafür. Ich kniete mich zu ihm herunter, las in von der Straße auf und umschlang ihn wie ein Stofftier. Dabei stammelte ich entschuldigende Worte und vergrub mein Gesicht in seinem Fell. Wir waren doch Freunde und wollten es auch bleiben. Ûhei hätte einfach so in einer Wolken verpuffen und sich weg teleportieren können. Tat er aber nicht. Also war es ihm wichtig und ich glaubte sogar zu erkennen, wie er über seine Wortwahl nachdachte. Da war wohl etwas schiefgelaufen. Wir rauften uns zusammen und gingen nach Hause. Schweigend und nachdenklich. Mir kam in den Sinn wie mich meine Eifersucht schon einmal aufgrund eines Missverständnisses in den Knast gebracht hatte. Ich hatte es einfach nicht im Griff, mich zu beherrschen. Wie bescheuert! Was hatte ich denn zu befürchten? Gar nichts! Kakashi war eine treue Tomate. Völlig ausgeschlossen, dass der noch eine Zweitfrau hatte. Ich überwand mich und hakte nach, was Ûhei über Kakashi gemeint haben könnte. Na, er würde doch ständig mit seiner Nase in den Büchern und mit dem Gedanken ganz woanders hängen. Wie ich das denn aushalten würde, wenn ich da gar nicht an erster Stelle stehen würde. Wow, ein ganz schön vielschichtiges Gedankenmodell mit Tiefgang und Komplexität für so einen Hund. Und da lachte ich und erklärte ihm, dass so ein Buch doch überhaupt gar keine Konkurrenz wäre. Jeder hätte halt so seine Macken. Der eine würde ständig Hundekuchen klauen und der andere versteckte sich hinter viel Stoff und las versaute Bücher in der Öffentlichkeit. Ûhei staunte und meinte, er würde die Menschen nicht verstehen. Die wären so kompliziert. Das mochte wohl stimmen, meinte ich, denn Menschen hätten verschiedene Ebenen, auf denen sie fühlten und sich ihren Mitmenschen zu- oder abwandten. Das wäre wirklich sehr kompliziert. Und es wäre so kompliziert, dass man es häufig selbst gar nicht verstand. Wir beschlossen gemeinsam, dass wir so komplizierte Sachen gar nicht vertiefen wollten. Wir wollten lieber Freunde bleiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)