Kalendertage von sakemaki (Der Tag, an ...) ================================================================================ Kapitel 44: 44 - Der Tag, an dem ich aus dem Bett geklingelt wurde ------------------------------------------------------------------ Mein Freund hatte mich per Kurznachricht zu sich ins Büro bestellt. Einfach so. Ganz unerwartet. So zwischen REM-Phase und Erwachen. Ohne sich darum zu scheren, ob mir der plötzliche Schlafabbruch passte oder eben nicht. Er hatte sich auch gar nicht erst die Mühe gemacht, mir in seiner kurzen, einzeiligen Nachricht mitzuteilen, worum es ging. Aber es musste extremst wichtig sein, sonst käme er gar nicht erst auf solche Ideen, mich mitten in der Nacht aus dem Bett zu klingeln und dann auch noch in den heiligen Hallen seines Büros zu empfangen. Das war schon total ungewöhnlich, weil er grundsätzlich Berufliches von Privatem trennte. Und es musste auch sehr eilig sein, denn sonst hätte er mit der Auflösung der Geheimniskrämerei eh bis heute Abend gewartet, falls er denn überhaupt heute Abend nach Hause käme. Das hatte er die letzten drei Tage und drei Nächte nicht mehr getan. Zwischendurch war er noch nicht einmal in Konoha gewesen. Mit der Arbeitsbelastung, die er akut um die Ohren hatte, würde er so etwas nicht im Mindesten in Erwägung ziehen. Ich wollte nicht zu unrecht sauer auf ihn sein und versuchte, die ganze Weckaktion von einer ganz anderen Seite her zu interpretieren und mir folgendes Bild auszumalen: Garantiert würde er auch heute wieder nicht nach Hause kommen. Obendrein hätte er dabei anscheinend jegliches Zeitgefühl verloren. Nebenbei, er hatte eh keines. Er würde sich völlig übermüdet von einem Kaffeepott zum nächsten hangeln. Mit Streichhölzern in den Augen hätte er den Einzeiler an mich getippt, denn der Satzbau machte grammatikalisch nicht unbedingt Sinn. Ja, so müsste es gewesen sein. Das nun war eine logische Erklärung, die mich nach dem ersten und vor dem zweiten Gähner zufriedenstellte. Die ganzen Umstände mit seinem Amt waren ein großer Seufzer. Hatte er mir nicht hoch und heilig bei Vollmond und Meeresrauschen geschworen, dieses Frühjahr seinen Job an den Nagel zu hängen? Daraus wurde natürlich rein gar nichts. Unser Feuer-Reich hatte nämlich seit Anfang des Jahres einen neuen Daimyô gekrönt. Der schimpfte sich mit feierlichem Adelsnamen Ikkyû Madoka und hatte unseren Zukunftsplänen einen ziemlichen Strich durch die Rechnung gemacht. Der frischgebackene Feudalherr wollte sich an erster Stelle und völlig zurecht einen Überblick über die Sachlage in seinem Reiche machen und später entscheiden, ob er einem Hokagewechsel zustimmen würde. Die politische Lage war angespannt. Wir lebten in einer Friedenszeit, welche die fünf Kage mit großer Diplomatie und Vertrauen hegten und pflegten. Doch die Feudalherren der vielen unterschiedlichen Reiche liefen nicht immer mit dem diplomatischen Kurs der Kage konform. Es gab Meinungsverschiedenheiten. Besonders die Feudalherren der kleinen Reiche sahen sich gegenüber den Großreichen mit ihren Shinobi-Dörfern kriegerisch bedroht und wirtschaftlich abgehängt. Sie begehrten auf. Es brodelte an allen Ecken und Enden. So wäre es nur noch eine Frage der Zeit, wann es überkochen würde. Kakashi hatte da schon so ein Bauchgefühl gehabt, dass außerhalb unserer heimatlichen Gebietsgrenzen etwas im Argen war, als er unverrichteter Dinge vorgestern aus dem Herrscherpalast heimkehrte und sich bei mir nur aus dem Büro per Telefon zurückmeldete. Madoka-sama jedenfalls hatte klipp und klar mitgeteilt, dass ein Hokagewechsel zu solch Krisenzeiten absolut ausgeschlossen wäre. Immerhin hätte Kakashi durch seine Dienstzeit genug Hintergrundwissen und Erfahrung, die Geschicke wieder in ruhige Fahrwasser zu lenken. Wenn die Lage wieder entspannter wäre, könnte Naruto seine Nachfolge antreten. Basta! Es stand in den Sternen, wann der Daimyô die Krise für überwunden und er sich selbst als erleuchtet über sein Volk erklären würde. Das waren alles vernünftige und legitime Ansichten von unserem neuen Herren, doch uns persönlich passten sie keineswegs. Selbst Kakashi merkte man seine Enttäuschung an, obwohl er so tat, als hätte es nie eine Anfrage auf Rücktritt seinerseits beim Feudalherren und den Dorfältesten gegeben. Er hatte tief und fest geglaubt, den verhassten Posten an den Nagel hängen zu können. Nach den vielen Kriegen, Schlachten und Missionen fühlte er sich ausgebrannt und leer. An der Spitze seines Dorfes zu stehen, hatte ihn lange hilflos überfordert. Es hatte schon seine Zeit in Anspruch genommen, bis er sich über das Abwiegen seiner Entscheidungen und deren Reichweite im Klaren war, um gezielter handeln zu können. Und nun solch ein Negativbescheid vom Daimyô. Da blieb nur zu hoffen, dass der Feudalherr sich schnell umstimmen würde. Wie spät war es überhaupt? Spät war der falsche Ausdruck. Wie früh war es überhaupt? Das passte besser. Durch müde Augenschlitze visierte ich die Digitalanzeige meines Radioweckers an. Doch die grünen Leuchtstriche tanzten zu dieser Nachtstunde noch vor den Augen herum. Sollte das da wirklich eine „6:12“ auf dem Display sein? Ich rieb mir nochmal mit dem Handrücken über die Augen. Nun verschwammen die Zahlen nur noch hin und her, bis die Anzeige sich schärfte. Argh! Die 6 war sogar nur eine 5! War der irre? Mitten in der Nacht! Unmotiviert schlug ich wieder die Decke über meinen Kopf. Ich wollte jetzt nicht aufstehen! Hm, natürlich war der irre, sonst wäre er weder Hokage geworden, noch mit mir zusammen. Und seine schrägen Macken bestätigten, dass er irre war. Das ich persönlich diese Macken ganz süß fand, verriet mir mein Lächeln auf den Lippen, wenn ich daran dachte. Stille Wasser sind tief... und dreckig! Weiter dachte ich so in meiner Betthöhle vor mich her, dass man den Unmut über diesen Weckruf nur verlauten lassen konnte, wenn man persönlich dort vorsprach, woher der Unmut rührte. Ein bisschen neugierig auf den Arbeitsplatz meines Freundes war ich auch. Ich kannte zwar sein Büro und das von Gai, doch dabei war es auch schon geblieben. Es fielen immer mal wieder Namen von Shinobis am Rande, zu denen ich allzu gern mal ein Gesicht zuordnen würde. Vielleicht würde mir wenigstens einer von denjenigen in den heiligen Hallen über den Weg laufen. Also rollte ich mich unter der Decke hervor und setzte die Füße auf den Boden. Ich wunderte mich erst, dass mich ein so weicher Bettvorleger an den Fußsohlen kitzelte. Doch der Bettvorleger jaulte schmerzvoll auf und erinnerte mich, nun eine stolze Hundebesitzerin zu sein. An den Hund hatte ich so schlaftrunken gar nicht mehr gedacht und erst recht nicht an seinen Schlafplatz vor meinem Bett. Ich entschuldigte mich bei Ûhei und schlurfte zu meiner Klusche. Es hatte sich mittlerweile eingebürgert, meine winzige Klo-Dusche-Kombination auf engstem Raume als Klusche zu betiteln. Wenigstens war es nicht mehr ganz so klamm in der Wohnung, weil die Außentemperaturen langsam anstiegen. Übermorgen war mein Geburtstag. In meiner Heimat lag da immer noch eine dicke Schneedecke, und es hatte mich als Kind immer traurig gestimmt, wenn die ganzen Kinder zu meiner feierlichen Kakaorunde wegen des Schneefalls absagen mussten. Manchmal waren die Straßen tagelang nicht passierbar. In Konoha war zur gleichen Zeit hingegen immer Frühlingswetter. Allerdings hatte ich die letzten Jahre meinen Geburtstag gar nicht gefeiert. Ich war nicht so sehr der Mensch, der auf das Geburtstagsfeiern Wert legte. Außerdem hatte ich ebenso lang niemanden zum Feiern einladen können, denn ich hatte zu wenig Kontaktpflege betrieben. Als ich wieder aus der Klusche zurück in mein Schlafzimmer kam, warf ich einen prüfenden Blick hinaus. Wie würde wohl das Wetter werden? Was sollte man da anziehen? Noch war es draußen dunkel, denn die Sonne würde erst in einer guten halben Stunde aufgehen. Die Straßenlampen offenbarten mir in ihrem Schein hingegen eine dicke Nebelsuppe. Aber wenn die Sonne später die Nebelschwaden aufgelöst hätte, sollte es recht angenehm mild sein. Zumindest hatte das der heutige Wetterbericht angekündigt. Ich wählte ein bequemes, leichtes Zwiebelprinzip. Jeans, Langärmer und Fleecejacke. Dazu nahm ich einen kleinen Rucksack mit, in welchen ich später meine Jacke stopfen könnte, weil mir das Tragen der Jacke über dem Arm grundlegend lästig war. Ich weckte Yuuki früher als sonst zur Schule. Er nickte schläfrig unter der Bettdecke hervor, trollte sich aber dennoch aus dem Bett heraus. Unser Frühstück blieb angesichts der verfrühten Morgenstunde recht schweigsam. Vor der Haustür auf den Treppenstufen blieb ich stehen und saugte die frische Luft ein. Erquickend wie frisches Wasser. Und ich staunte. Es dämmerte bereits am Horizont. Viel früher, als ich es erwartet hätte. Da ich nun mit von der Partie war, fiel Yuukis üblicher Schulweg über die Dächer Konohas aus. Zu dritt nahmen wir aber nicht den üblichen Weg durch die Straßen unseres Viertels, sondern kürzten durch die Felder und den Parkwald ab. Es war gespenstisch, wie die Häuser hinter uns im Nebel versanken, dafür aber die teilweise laubfreien Bäume vor uns auftauchten. Erst sah man nur schemenhaft Äste, die wie lange Finger mahnend in den Himmel zeigten, bevor sich daraus ganze Baumgerippe zusammensetzten. Der Nebel verschluckte sogar unsere Schritte. Ab und zu hörte man, wie Ûhei durchs hohe Gras streifte. Er benahm sich ganz wie ein gewöhnlicher Hund, schnüffelte überall herum und umkreiste uns trabend. Wir kamen trotz meines Fuß-Handicaps besser voran als gedacht. Nach kurzer Zeit hatten wir den Waldrand erreicht. Die ersten Sonnenstrahlen leckten über die Felswände, welche schützend wie ein Ring um Konoha lagen. So einen schönen Tagesanfang hatte ich hier noch nie erlebt, weil ich so früh noch nie durch die Parks spazieren gegangen war. Ich konnte mich kaum an dieser idyllischen Romantik sattsehen und verlor mich in Gedanken. „Mama? Mama!“, quengelte mein Sohn laut und holte mich zurück in die Wirklichkeit. „Träumst du? Ich will wissen, ob wir da lang gehen.“ Etwas argwöhnisch schaute ich auf einen Trampelpfad, der sich vom Hauptweg entfernte. Im Sommer musste der wohl derart zugewuchert sein, dass er mir noch nie aufgefallen war. Sein Ziel am Ende war mir unbekannt, aber mein Sohn war sich sehr sicher. Und der Hund war eh völlig schmerzbefreit, was Wege durchs Unterholz und unbekannte Pfade anging. Wir verließen den befestigten Weg und folgten dem Pfad. Er war gerade so breit, dass man nicht zu zweit nebeneinander, sondern nur hintereinander laufen konnte. Die schwarzen Baumstämme, Nebelfetzen und unzählige Farnarten versetzten uns in eine mystische Welt. Es fehlten nur noch einige dekorative Fabelwesen in dieser verzauberten Kulisse. Die ersten Sonnenstrahlen durchbrachen die verästelte Kuppel über unseren Köpfen wie Scheinwerfer. Der Pfad schlängelte sich über kleine Hügelchen hoch und runter. Baumstämme dienten als kurze Stege über Bächlein hinweg. Man musste vorsichtig sein, denn es war durch das feuchte Moos sehr rutschig. Unsere Fantasiereise durch einen magischen Ort endete schon nach wenigen Minuten direkt an der Hauptstraße von Konohagakure, welche sich vom Stadthaupttor durch die Innenstadt schnurgerade auf den Hokageturm ausrichtete. Man gut, dass es hier überall kleine öffentliche Quellen und Brunnen gab. An unserem Schuhwerk hatten sich dicke Matschklumpen gehängt. Ich zögerte, was den weiteren Verlauf unserer Marschroute anging. Die letzten Tage hatte ich morgens Yuuki pünktlich zur Schule geweckt und waren dann gemeinsam mit ihm zu Kakashis Wohnung gegangen, um Asa abzuholen. Sie war einfach noch viel zu jung, um zeitig aus den Federn zu kommen und sich allein fertig für die Schule zu machen. Auch wenn ich mir immer wieder die Worte meine damaligen Mitarbeiterin Akka ins Gedächtnis rief, man könnte sich doch gar nicht mit Kakashi streiten, so taten wir es in einigen Punkten dennoch. Dass Asa so allein und auf sich gestellt war, missfiel mir. Ich fand's gruselig, Kakashi überhaupt nicht. Der fand das normal. Überhaupt empfand ich die Gesamtsituation mit vier Leuten und zwei Haushalten auf viel zu engem Raum zu leben als nervig. Es wäre für alle Beteiligten einfacher, wir würden nur an einem einzigen Standort alles beisammen haben. Ständig suchte ich Dinge, die ich in einer der beiden Wohnungen vergessen hatte. Entweder mal einen Pullover, dann mal wieder meine Frischhaltedosen. Mein Haushalt hatte Beine bekommen und pendelte unkontrolliert zwischen zwei Wohnsitzen. Neulich hätte mein Kind fast schon arge Schwierigkeiten auf der Akademie bekommen, weil er seine Rechenmappe mit den Hausaufgaben nicht finden konnte. Stundenlang hatte er Kakashis Wohnung durchwühlt, weil er sich so unglaublich sicher gewesen wäre. Natürlich lag die Mappe friedlich in seinem Kinderzimmer bei uns daheim. Es war zum Mäuse melken. Ja, ich war tatsächlich nach dieser viel zu kurzen, aber sehr intensiven Zeit soweit, dass ich mit meinem Freund zusammenziehen würde. Aber nur, weil ich total entnervt war. Das sah zwar sogar Kakashi ein, wenn auch mäßig begeistert, doch aktuell konnte man mit ihm über ein Zusammenziehen wenig reden. Wieder so ein Streitpunkt. Unsere Art des Konflikteaustragens war gewöhnungsbedürftig. Ich konnte wütend herumbrüllen und Sachen durch die Gegend pfeffern. Kakashi blieb erst ruhig und einsilbig. Wenn ich mich nicht wieder selber kontrollieren konnte, gab es das eiskalte Wort zum Sonntag, welches sich gewaschen hatte und mir die Zehennägel aufrollte. Warum auch immer, schlug diese seltsame Mischung von Passivität und Dominanz bei mir an. So war der ganze Krach zwischen uns schon nach wenigen Augenblicken beendet. Oft zog ich den Kürzeren, was überhaupt nicht meine Art war. Es gab immer mal etwas zum Streiten. Eine merkwürdige Art von Friede, Freude, Eierkuchen. Hach, die alte Akka mit ihrer Weisheit und Klugheit. Der ruhende Pol im Kontor, wenn mal wieder alle am Durchdrehen waren. Ich vermisste sie. Was sie wohl machen würde? Ob ich sie einmal besuchen sollte? Ich beschloss, genau diese in Kürze zu tun. Mein Kind nahm mir die Entscheidung ab, ob ich nun noch Asa wecken sollte oder nicht. Es trottete allein hinüber zu Kakashis Wohnung, um mit ihr ein zweites Frühstück zu futtern. Ich könnte doch schon zum Hokageturm gehen, wenn es so wichtig wäre. Ich blickte ihm noch eine Weile nach, bis er mit den Häuserschatten in der engen Gasse verschmolz. Yuuki kam mir so groß und selbstständig vor, dabei war er gerade mal erst zehn Jahre alt geworden. Asa würde im Sommer schon acht werden. Trotzdem waren sie Kinder, und ich fand es richtig, wenn sie das auch noch möglichst lange so blieben. Man musste nicht so schnell erwachsen werden. Das wurde man eh viel zu früh. Bereits schon nächste Woche fing das zweite Schuljahr auf der Akademie an. Nächste Woche würde es eine große Aufregung bei uns daheim geben, dann waren die Zwischenprüfungen dran, ob man auch tatsächlich in der nächsthöheren Klasse sitzen dürfte oder etwa wiederholen müsste. Es war spannend zu sehen, wie unsere Kinder damit umgingen. Yuuki machte sich jetzt schon verrückt, dass er bestimmt durchfallen würde, obgleich er im oberen Mittelfeld mit seinen Leistungen lag. Da gab es keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Asa war die Ruhe selbst und strotze nur so vor Überzeugung, die Prüfungen wären doch ein Klacks. Ja, den praktischen Teil, würde sie mit Bravour meistern. Aber beim theoretischen Teil würde es wohl rappeln. Es standen alle Zeichen auf Nichtbestehen. Das konnte sie aber gar nicht glauben. Da fragte ich mich manchmal, ob ihre Mutter auch so gewesen sein mochte. Von Kakashi mochte sie wohl die zum Himmel stinkende Arroganz in die Wiege gelegt bekommen haben. Aber diesen Hang zur krassen Selbstüberschätzung und ihr schnelles Aufgeben, sobald es schwierig wurde, hatte er ihr bestimmt nicht vererbt. Ûhei und ich schlenderten weiter die Straße hinab. Von hier aus wirkte der Hokageturm viel mächtiger und größer, als er es eigentlich war. Er überragte zwar die meisten Gebäude des rekonstruierten Stadtzentrums, doch wenn man davor stand, sah der Turm eher klein und kompakt aus. Nun aber lief man auf dieser Hauptachse genau darauf zu, und es hatte schon fast etwas Rituelles. So ähnlich wie pilgern. Wie mochten sich die Shinobis fühlen, wenn sie von den Missionen zurückkehrten? Man hatte nur noch diese eine Straßenlänge Zeit sich zu überlegen, was und wie man seinem Hokage zu berichten hätte. Bei einer verfehlten Mission könnte diese Straßenlänge sehr erdrückend wirken, fast schon quälend. Mit jedem Schritt kam man seinem Ziel näher und je nach dem, wie man abgeschnitten hatte, waren es schwere oder leichte Schritte. Auch in mir machte sich so ein unruhiges Bauchgefühl in der Magengegend breit. Mit jedem Schritt auf den Turm zu, wuchs der Stück für Stück ein bisschen mehr in den Himmel und wurde immer größer und bedrohlicher. Ein albernes, aber wirkungsvolles Psycho-Spiel. Ich konnte mit der Ninja-Bande mitfühlen. Vielleicht war das der Grund, warum Kakashi grundsätzlich durch die Fenster stieg und seltens durch Türen ging. Immer nur die eigenen Wege. Ob man bestraft wurde, wenn man eine Mission in den Sand gesetzt hatte? So grübelte und grübelte ich den ganzen Straßenzug entlang. Ich wusste nicht, worum es bei meinem Besuch ging und was mich erwarten würde. Doch ehe ich mich versah, hatte ich die Strecke schon grübelnd hinter mich gebracht und stand vor dem Haupttor, welches den Weg auf den Innenhof freigab. Hm, was sollte ich denn da nun dem Wachposten sagen, was mein Anliegen wäre? Hatte Kakashi überhaupt Bescheid gegeben, dass ich hier eingelassen werden durfte? Der Hund regelte anstelle meiner alle Probleme. Er trabte auf den Shinobi hinter dem Tresen zu, wedelte fröhlich mit der Rute und wechselte kurze Worte. Anschließend kehrte er zu mir zurück und meinte, ich solle mitkommen. Der Hund war hier logischerweise bekannt, atmete ich erleichtert auf und freute mich, hier nicht länger als notwendig aufgehalten zu werden. Was auch immer der Ninken da gerade erzählt hatte, der Shinobi musterte mich hochinteressiert von oben bis unten. Doch schon bogen der Hund und ich um die Ecke und traten in das Gebäude ein. So schnell, wie Ûhei den Gang entlang und die ersten Treppenstufen empor flitzte, konnte ich nicht folgen. Schlagartig verlassen stand ich nun in dem leeren Flur. Unschlüssig blickte ich um mich. Nein, hier war wirklich niemand, der mich nach meinem Anliegen ausfragen würde, und da mich auch gar keine Eile antrieb, wandelte ich auf Ûheis Pfaden gemütlich hinterher. „Da bist du ja schon“, wurde ich auf halbem Wege erfreut empfangen just als ich um die Ecke bog. Die Müdigkeit vom kurzen Schlafe meldete sich zurück. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch, schlang die Arme wärmend um mich und lehnte mich einfach nach vorn gegen einen Kakashi, der nun direkt vor mir stand. Mein Kopf musste so schwer wie eine Wassermelone auf seiner Schulter wiegen, denn er legte seine Arme um mich, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Wir musste also tatsächlich hier mutterseelenallein sein, wenn ich mit einer Umarmung und ein einem Kuss ohne Stoff auf die Schläfe in aller Öffentlichkeit begrüßt wurde. „Kannst du nicht einfach mal nach Hause kommen, wie alle anderen Menschen auch auf dieser Welt?“, klagte ich murmelnd an und wollte ihn nur ein wenig aufziehen. „Später...“, antwortete er knapp. „Welche Zeitspanne umfasst das ungefähr?“, wollte ich mich nicht zufrieden geben. „Kaffee?“, kam einfach eine Gegenfrage von ihm. „Lenk' nich' vom Thema ab! Aber ja, gerne“, und hob meinen Kopf wieder an. Ich schlürfte hinter ihm her und fand mich kurzum zu meiner Verwunderung nicht eine Etage höher in seinem Büro wieder, sondern in einem kleinen Kämmerlein auf selbiger Etage, auf welcher wir uns eben getroffen hatten. Mit dem Tisch in der Mitte und den beiden Sofas rechts und links flankiert sah es aus wie ein Warteraum. „Wieso ist hier so wenig los?“, fragte ich neugierig und nahm freudig die randvolle Kaffeetasse an mich, welche schon auf dem Tisch auf mich gewartet hatte. „Die trudeln alle erste zwischen sieben und acht zur Arbeit ein. Eben sind wir hier nur zu viert.“ Kakashi ging aber nicht weiter auf meine Frage ein. Er ordnete einige Zettel, riss noch ein Kuvert auf und überflog den Inhalt dessen. „Dachte ich mir...“, sprach er zu sich selbst und sah mich dann prüfend an. „Was lässt denn deine Mutter per Anwalt ausrichten, wenn da monatlich diese Briefe bei dir im Kasten eintrudeln?“ Ich war verdutzt. Was hatten denn die Briefe meiner Mutter mit meinem Besuch hier zu tun? Wieso kam er überhaupt auf dieses nervige Thema? Nachdem ich mich letzten Sommer mit meiner Familie zerstritten hatte, wollte ich nichts mehr von denen hören, bekam aber, wie ich es bereits schon einmal erwähnte, immer noch Post mit wilden Forderungen. Darin stand unter anderem, Yuuki hätte im Erd-Reich zu wohnen und nicht hier im Feuer-Reich. Als Rabenmutter hätte ich total versagt und wäre erst recht nicht erziehungsfähig. Obendrein wäre ich nicht liquide und unfähig, einen Haushalt zu führen. Ich las die Anwaltsschreiben schon lange nicht mehr, sondern warf sie mittlerweile unbeantwortet und unbeachtet in den Mülleimer. Man konnte uns hier fern der Heimat sowieso nichts anhaben. „Ich dachte, du hattest dich klar von deiner Verwandtschaft distanziert?“, hakte Kakashi nun streng nach, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. „Komm zum Thema. Du machst mir Angst!“, beschwerte ich mich und nahm noch einen beruhigenden Schluck Kaffee. Mein Freund seufzte. „Du hättest dich klarer denen gegenüber ausdrücken sollen ...“, meinte er dann, trank schnell seine Tasse aus und tat das, worum ich gebeten hatte: Er kam zum Thema. „Die sind hier letztes Jahr nichts grundlos in Konoha aufgetaucht, Nina. Ich kenne deine Familie nicht und kann daher nicht beurteilen, wie ihr alle zueinander steht. Fakt ist aber, dass dein Vater unheilbar krank ist und in diesem Zuge sein Testament vor gut einem Jahr geändert hatte...“ „Mein Vater ist krank?!“, platze es aus mir heraus, doch davon ließ sich Kakashi nicht unterbrechen. „Er liegt im Sterben. Du bist Alleinerbin. Der Rest deiner Sippe geht leer aus. Ist doch klar, dass denen lieber wäre, Yuuki wäre unter deren Fittiche aufgehoben. Sollte dir jemals etwas passieren, wäre Yuuki dein einziger Nachfahre. Und solch einen Entführungszirkus im Eisen-Reich zu veranstalten, nur weil deine Chefin ein Logistikunternehmen führt und du dort angestellt bist, wäre viel zu viel Aufwand. Deine Entführung war also von langer Hand seitens deiner Mutter geplant. Genau wie deine vermeintliche Fanpost. Bitteschön, Frau Stahlprinzessin!“ Mit einem leisen Klatschen landeten die Zettel aus Kakashis Hand vor meiner Nase auf dem Tisch. Das war ein harter Brocken, den es hier zu schlucken und zu verdauen galt. Sprachlos blickte ich auf den offenen Briefumschlag, welches ein Shinobi-Team heute früh heim gebracht hatte. Eine vollständige Kopie des Testaments hatte das Team ausspioniert. Ich war so geschockt, dass ich mich nicht einmal aufregen konnte, dass mein Freund ohne mein Wissen mal wieder in meiner Vergangenheit gestochert hatte. Er musste einfach herumschnüffeln. Wenn er seine Neugier nicht befriedigen konnte, war er nicht glücklich. Ich fühlte alles und nichts. Geschockt über die Neuigkeiten, die ich blauäugig nicht sehen wollte. Wütend auf dieses perfide Spiel, welches sogar ohne Rücksicht auf mein Leben gespielt wurde. Sprachlos über so viel Intriganz um die Dinge, die ich überhaupt nicht haben wollte. Ich wollte auf Teufel komm raus keine Stahlprinzessin sein. Die Wut gewann die Oberhand. Am liebsten hätte ich alles kurz und klein geschlagen. Trotzdem saß ich wie zur Salzsäule erstarrt auf dem Sofa und schnappte nach Luft. Kakashi hatte sich von seinem Sitzplatz erhoben und bot mir eine Hand zum Aufstehen an. Er zog mich zu sich herauf. „Ich schlage vor, wir beobachten die ganze Angelegenheit so, als wüssten wir von nichts. Wenn sich etwas ändert, kann man immer noch reagieren. Und du solltest dir in Ruhe überlegen, welches für dich die beste Lösung wäre.“ Stumm nickte ich. Allein schon, dass er das Wörtchen „wir“ benutzte, beruhigte mich. Und mein Freund tat viel daran, mich abzulenken. Langsam gingen wir durch den Flur und steckten unsere Köpfe durch die Türen, die ihre Pforten schon geöffnet hatten. Tatsächlich wurde es nun voller im Gebäude. Ich begrüßte Gai, damit er mir nicht beleidigt vorhalten würde, ich hätte ihn bei meinem Besuch im Hokageturm vergessen. Ich dankte Shikamaru noch einmal aufrichtig für meine Rettung und ließ an seine Frau Temari Grüße ausrichten. Der Wachposten vorhin am Eingangstor hieß Kotetsu. Der war nun aber damit beschäftigt, nicht auf das Tor aufzupassen, sondern auf ein Dutzend Siruptöpfe, die einfach nicht in die unterste Schublade seinen Schreibtisches passen wollten. Wenn sein Teamkollege und bester Freund Izumo auftauchen würde, gäbe es mit dem Sirup wieder Streit, weil Kotetsu lieber Töpfe auslöffelte, als zu arbeiten. Verrichteten die beiden nicht ihren Wachdienst, tobten sie sich im Archiv aus. Ich lernte noch einige weitere Namen und Gesichter kennen, die ich mir aber alle gar nicht so merken konnte. Trotzdem heiterte es meine Laune auf, weil es sich anfühlte, als wäre man wieder ein Quäntchen mehr im eigenen Dorfe zuhause. Viel zu schnell war der Rundgang beendet und wir standen wieder unten am Tor. „Ich sehe zu, dass ich heute Abend wieder zuhause bin“, gelobte mein Freund Besserung. „Versprochen?“, bohrte ich versichernd nach. „Versprochen!“, gab er ausnahmsweise klein bei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)