Kalendertage von sakemaki (Der Tag, an ...) ================================================================================ Kapitel 46: 46 – Der Tag, an dem ich Geburtstag hatte ----------------------------------------------------- Mein schauspielerisches Talent der absoluten seelischen Unverwundbarkeit reichte nur bis zur Restauranttür. Kaum war diese voller Wut von außen zugeknallt, gierten meine Augen nach irgend einem Gegenstand, an dem man diese unbändige Hassattacke abbauen konnte. Sämtlichen Sicherungen in meinem Kopf drohten herauszufliegen. So was Freches! So was Unverschämtes! Kakashi hatte wohlweislich Fehler wie am Fließband in seinem Leben produziert. Allerdings müsste nun schon so viel Wasser den Fluss hinunter geflossen sein, dass man alte Themen auch mal belassen könnte. Genmas Spruch hallte in meinem Kopf wie ein Donnergrollen. Je mehr es nachhallte, desto schmerzhafter und tiefgründiger wurde es. Das war ekelhaft und böse und geheim von ihm gewesen. Was bildete sich dieser Typ eigentlich ein? Das hier müsste eigentlich Kakashis Wut sein, die ich an seiner Stelle für ihn austobte. Wie steckte Kakashi so etwas immer weg? Der würde nur mit den Schultern zucken und so besonnen und ruhig tun, als hätte Genma einen Witz über ein Paar abgewetzte Schuhe gemacht. Ja, so würde mein Freund nach außen hin damit umgehen. Aber nachts hatte er immer mal wieder Alpträume und Kopfkino von schlimmen Rückblenden, die ihn schweißgebadet hochschreckten. Ich kannte ihn doch mittlerweile gut genug. Es schepperte und pollerte. Der Müllcontainer hinter Ichirakus Nudelbude außerhalb der Sichtweite von Passanten und Ninjas musste einiges aushalten. Und da ich chakralos war, würden weder Genma, noch Gai oder Ebisu beim Ramen futtern etwas von meinen Gefühlsausbrüchen mitbekommen. Meine geballten Fäuste und meine Fußtritte trotz Plastikschiene am Knöchel zimmerten einen unkontrollierten Beat gegen die Wand des Containers. Der Fuß war eh hinüber. Was sollte da noch schiefgehen? Stumme Tränen verschleierten meine Sicht. Erst als meine Hände schmerzten und der Container eine üble Delle und einen scharfen Riss aufwies, gab ich auf. Dennoch hatte ich immer noch das unveränderte Verlangen, Genma eine rein zu prügeln. Zugegeben, da würde ich sofort den Kürzeren ziehen, falls ich überhaupt jemals mit meinen Fäusten in die Reichweite von dem Shinobi kommen würde. Haha, die plumpe Sherenina gegen den Jo-Nin Genma. Der Kampf wäre bereits entschieden, noch bevor er angefangen hätte. Trotzdem ging mir die Vielfältigkeit an Racheelementen nicht aus, die ich mir vor den inneren Augen zurecht malte. Eine Facette gruseliger und schwärzer als die andere. Hatte Kakashi jemals so etwas wie Rachegedanken verspürt? Keine Ahnung! Doch so, wie ich ihn kennengelernt hatte, konnte ich diese Frage nur verneinen. Eine Eigenschaft, die mir anbetungswürdig schien. Ich konnte nicht ohne Weiteres über solchen Dingen stehen und gelassen bleiben wie er, sondern bearbeitete lieber anstelle dessen eine Mülltonne. Man gut, dass hier wohl bis auf das Küchenpersonal niemand vorbeikam. Zeugen meines ungleichen Boxkampfes gegen den Container hätten verwundert den Kopf geschüttelt. Meine tierische Begleitung saß unweit von mir und wartete geduldig, bis ich wieder in einen Modus wechselte, denn Ûhei aus seiner Sicht als normal bezeichnete. Zweimal, dreimal atmete ich langsam tief durch, zählte bis Zehn und machte mich auf den Weg. Die Zeit bis zum Termin, die ich hatte schinden wollen, war nun schon fast überfällig. Überpünktlich auf die Minute genau stand ich dann in der Praxis und ergab mich dem Schicksal, nun in einem völlig überfüllten Wartezimmer sämtliche Illustrierten der letzten Monate lesen zu dürfen. Seufzend sackte ich auf dem nächstbesten Stuhl zusammen. Der Tag hatte miserabel begonnen. Weshalb sollte er plötzlich zu Höhenflügen ansetzen? Stunden später stolzierte ich wieder gut gelaunt durch die Straßen. Meine Wut vom Mittag hatte genau zur rechten Zeit einen heilsamen Dämpfer bekommen. Obgleich die Diagnosen vor ein paar Tagen im Krankenhaus in Bezug auf meinen Fuß noch recht düster geklungen hatten, war heute wohl der ambulante Halbgott in Weiß äußerst zufrieden damit. Ab sofort sollte ich ohne Plastikschiene mein Glück versuchen. Ich genoss die zurückgewonnene Bewegungsfreiheit. Es war, als hätte ich am Bein eine Eisenkugel samt Kette verloren. Die Schiene war zwar nicht schwer, doch unbequem und hinderlich gewesen. Gewaltmärsche sollte ich für den Beginn tunlichst vermeiden, wurde mir noch geraten. Nun denn, als ob ich von allein auf sportliche Ideen kommen würde... Ich entschied mich, die Kinder von der Akademie abzuholen und zum Essen einzuladen. Irgendeinen Fast-Food-Tempel würden sie schon favorisieren, wenn sie sich beide einigen könnten. Asa liebte Burger, Yuuki hingegen Paste mit allen möglichen Saucen. Normalerweise hätten die beiden schon längstens Schulschluss gehabt, doch die Akademie hatte für die Prüfungen in den nächsten Tagen noch einige Nachhilfekurse angesetzt. Mein Sohn büffelte freiwillig vor lauter Prüfungsangst bis spät in die Nacht hinein und ließ sich keinen Kurs entgehen. Asa wiederum war von ihrem Klassenlehrer zwangsverdonnert worden. Sie konnte trotz ihrer jungen Lebensjahre schon einen ganzen Stapel an Schimpfwörtern gebrauchen, und sie war kreativ genug, diese auf Schulfächer zu übertragen. Wenn sie wieder einen ihrer Wutanfälle hatte, schimpfte wie ein Rohrspatz und die Bücher durch die Gegend pfefferte, sah das zu ihrem Leidwesen meist recht niedlich aus. Das durfte man jedoch auf gar keinen Fall laut anmerken, wenn einem das Wohnungsinventar heilig war. So ein Asa-Tornado konnte ganze Straßenzüge zerlegen. Da blieb man also lieber bierernst und tat seriös, indem man sie für ihr ungehobeltes Verhalten tadelte. Tatsächlich hatte ich einen guten Moment abgepasst. Die Schulkinder aus den Abendkursen strömten gerade aus dem Akademiegebäude. Trotzdem war es ein leichtes, meine beiden Kinder aus der Masse herauszufischen. Asas Gezeter über unverständliche Grammatikübungen hörte man schon von Weitem. Da kam ich doch gerade recht mit meiner Idee, mal etwas herrlich Ungesundes futtern zu gehen. Und weil Yuuki wohl schon von der schrillen, lauten Stimme Asas arg überstrapaziert war, wurde es diskussionslos die Burger-Bruzzelei, welche aus unerfindlichen Gründen am heutigen Abend brechend voll war. Endlos lange Warteschlangen an der Kasse schoben die Zeiger der Uhr auf eine späte Abendstunde. Yuuki gähnte. Und auch Asa hing müde wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Planänderung. Wir nahmen die ganze Bestellung mit nach Hause und lärmten dabei, weil wir uns fröhlich über sinnlosen Quatsch unterhielten. Beinahe hätte ich noch den falschen Schlüssel ins Türschloss geschoben, weil man aus Gewohnheit heraus immer zuerst den eigenen Hausschlüssel aus der Tasche herausfischte. Na, den hätte ich dann an Kakashis Haustürschloss mit vollstem Elan verkantet und abgebrochen. Während sich die Kinder samt Essenstüten zur Küchenzeile trollten, warf ich einen prüfenden Blick durch die Wohnung meines Freundes. Es war zwar sehr ordentlich, doch irgend etwas blieb immer liegen. Und Dank Asa blieb nun immer mal etwas mehr liegen. Beim Badezimmer angelangt, stutzte ich: Die Waschmaschine lief. Und das schon eine ganze Weile, denn das Anzeigelämpchen blinkte bereits den Endspurt zum Schleudergang herbei. Verwundert trat ich den Weg zum Schlafzimmer an und spähte vorsichtig durch den Türspalt. Oh welch Wunder, Hokage-sama hatte tatsächlich mal die richtige Fährte nach Hause gefunden. Vorsichtig schubste ich die Tür an, um den Spalt lautlos zu vergrößern. Keineswegs wollte ich hereinplatzen und seinen bitter notwendigen Schlaf stören. An den Türpfosten gelehnt betrachtete ich eine Weile meinen schlafenden Freund, wie er sich da so selbst in die Decke eingewickelt hatte. Gleichmäßig Atemzüge drangen sanft zu mir ans Ohr. Kakashi schnarchte kaum. Ein breites Lächeln zog sich über mein ganzen Gesicht. Ich mochte ihn einfach gerne anstarren und in Gedanken an ihm 'rumsabbern. Zu Beginn unseres Kennenlernens hatte mich Kakashi immer mal wieder schief von der Seite angesehen, weil er sofort spürte, wenn er beobachtet wurde und Blicke auf ihm ruhten. Da hatte er dann immer sofort gedacht, etwas wäre nicht in Ordnung. Er, der ja seit jeher immer und überall im Dorfe auf irgendwelchen privaten Lauschposten war, aber sich stets bemühte, durch Verhalten und Kleidung komplett unsichtbar für die Umwelt zu sein, wurde beobachtet. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, dass man sich nicht mehr verstecken konnte. Und als Kage ginge das schon gar nicht. Das wäre wohl die gerechte Strafe für jemanden, der so viel Mist gebaut und sich früher lieber aus allen Verantwortungen herausgezogen hätte. Zumindest hatte er diese Feststellung selbst einmal über sich gesagt. Es wurde lauter in der Küchenecke. In der Hähnchennugget-Box war problematischer Weise nur eine ungerade Anzahl von Nuggets verpackt worden. Man stritt um den letzten Nugget. Yuuki hielt wohl die Oberhand inne, denn Asa zeterte. Es war wohl heute weder mein, noch Asas Tag, stellte ich fest. Ich seufzte, denn ich war mir nicht so ganz sicher, ob die beiden die frühkindliche Trotzphase tatsächlich jemals hinter sich gelassen hatten. Oder beide waren direkt von der Trotzphase hinüber in die Pubertät gesprungen, ohne uns geplagten Eltern eine Verschnaufpause zu gönnen. Kinder konnte man immer mal wieder gerne an die Wand klatschen oder im Wald aussetzten. Es gab so unglaublich viele Situationen, in welchen man gerne so gehandelt hätte, wenn man denn dürfte. Dummerweise würden unsere beiden als Shinobi-Anwärter wohl auch ohne Kieselsteine und Brotkrumen nach Hause finden. Kakashi hatte sarkastisch gemeint, wenn er die beiden in ein Gen-Jutsu stecken würde, dann wäre der Rückweg mindestens doppelt so weit. So ein Wald könnte dann wirklich riesig groß wirken und unzählige doppelte Bäume habe. Ich hatte diese Art von Humor wirklich gern, denn wir teilten ihn. Nichtsdestotrotz wurde es nun aber Zeit, für Ruhe zu sorgen. Ich wandte mich wieder von meinem Türpfostenplatz ab, zog sachte die Tür heran und meinte nur: „He, ihr beiden! Mal ein bisschen leiser! Kakashi ist schon zuhause.“ Ok, das waren nun die falschen Worte gewesen und bewirkten genau das Gegenteil. Asa schoss wie von der Tarantel gestochen voller Freude an mir vorbei und stürmte das Schlafzimmer. Kurz darauf kam ein schlaftrunkener Kakashi samt einem kindlichen Klammeraffen auf dem Arm aus dem Zimmer getorkelt. Man hatte es mit den Bälgern nicht leicht. „Tut mir leid...“, murmelte ich schuldbewusst, weil ich den Überfall weder geahnt, noch verhindert hatte. Darüber hinaus hätten wir ihm garantiert etwas zum Abendessen mitgebracht, hätten wir um seine Anwesenheit gewusst. Doch mein Freund winkte müde ab, stellte den Klammeraffen wieder auf dem festen Zimmerboden ab und lehnte sich rücklings an die Arbeitsplatte. Wo wäre eigentlich Ûhei abgeblieben, fragte er und rieb sich dabei den Schlaf aus den Augen, was nicht wie gewünscht gelang. Das war eine gute Frage. Mir war in dem Trubel gar nicht aufgefallen, dass er verschwunden war. Der wäre in einer Wolke verpufft, meinte Yuuki schmatzend und ich tadelte ihn, dass man beim Essen die Futterluke zu schließen hätte. Kakashi hatte stumm gelauscht und nickte als Zeichen, dass das Verschwinden wohl in Ordnung wäre. Solch ein Justu des vertrauten Geistes wäre kein Dauer-Abo. Auch das löste sich irgendwann einmal auf, weil die Geister nach Ruhe suchten. Nach einer Weile könnte man Ûhei wieder herbeirufen. Die Kinder hatten ihr Festmahl beendet. Ich naschte noch zwei oder drei erkaltete Pommes aus dem Pappbecher und sortierte dann die Verpackungen in den Müll. Unsere Küchensitzung löste sich auf. Während Kakashi seine Tochter ins Bett scheuchte, räumte ich die Waschmaschine aus. Das ging fix, denn eine komplette Shinobi-Uniform füllt schon eine ganze Waschtrommel aus, unter der Voraussetzung, man fummelte die Protektoren aus der Weste heraus. Letzteres bekam man noch recht gut hin, aber bis heute hatte ich den Trick nie verstanden, wie man die Protektoren auch wieder in die engen Stofftaschen zurückschob. Mir kam es immer wieder vor, als wäre die schwarz-graue Hokage-Weste beim Waschen eingelaufen. War sie natürlich nicht. Mein Freund bewies mir mit wenigen Handgriffen jedes Mal wieder, dass alles ineinanderpasst. Pfff, es waren seine Arbeitsklamotten. Sollte er sie doch selbst wieder zusammenbasteln. Ich hatte kapituliert. Immerhin war ich ja schon gnädig, dass ich aufgetrennte Nähte behob oder Risse stopfte. Die eine olivfarbene Weste war mir ja mittlerweile ein Dorn im Auge. Ebenso die dunkelblauen Hosen. Solch zerfledderte Teile. Aber an denen hing er wohl am meisten und durfte auf gar keinen Fall gegen eine Neue ersetzt werden. Eine von vielen Macken, die mein Freund so an sich hatte. Auf dem Flur beschwerte sich mein Sohn über die lange Wartezeit. Es war Zeit für eine gesunde Mütze voll Schlaf für jeden von uns. Verzweifelt stand ich am nächsten Abend vor meinem Kleiderschrank. Der war voll bis obenhin, aber das Passende zum Ankleiden war nicht darunter. Dabei passierte heute etwas noch nie Dagewesenes: Ich war von Kakashi zum Essen eingeladen worden! Unglaublich, aber wahr. Und zwar nicht mal eben in so einer Garküche oder an einem Onigiri-Stand im Vorbeigehen wie sonst immer, weil es sich so spontan ergab. Nein, ein echtes Restaurant! Man könnte sagen, es wäre unser erstes Date. Macht man so was nicht normalerweise zum Anfang einer Beziehung, um zu sehen, ob man überhaupt Interesse für den jeweils anderen hegte? Aber was war hier in unserer Patchwork-Familie schon normal? Gar nichts. Und so hätte man schon wieder sagen können, es wäre normal, dass unsere Beziehung eine andere Reihenfolge des Kennenlernens hatte. „Maaaann Mama, nun hat der Gegner mich platt gemacht!“, beschwerte sich Yuuki lautstark. Auch Asa war wenig begeistert. In meiner Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung hatte wir bisher nur wenig potentielle Plätze ausprobieren können, wo der Fernseher am günstigsten stand. Nun befand er sich mal wieder auf einem kleinen, wackeligen Tisch im Schlafzimmer. Die Kinder hatten die Spielekonsole angeschlossen, saßen mit einer großen Schüssel Chips auf meinem Bett und bestritten abenteuerliche Quests in einem Rollenspiel. Allem in allem ein guter Platz zum Zocken. Nur meine Person, die ständig zwischen Spiegel und Schrank pendelte und somit immer wieder vor der Glotze vorbeihüpfte, störte den Spielspaß empfindlich. Ich sah es ein. Das ging gar nicht. „Asa, wir müssen eh bald los. Könntet ihr nicht mal irgendwo einen Speicherpunkt anpeilen?“, fragte ich vorsichtig an und bekam ein gepfeffertes „Nein!“ an den Kopf geworfen. 'Tschuldigung, dass ich gefragt hatte. Dabei war es abgesprochen, dass ich Asa zu einer Schulfreundin bringen sollte. Praktischerweise feierte die heute eine Kinder-Pyjama-Party. So war schon mal ein Kind über die Nacht gut betreut. Yuuki war in diesem Videospiel versunken und würde so schnell nicht wieder auftauchen. Bull würde auf ihn aufpassen. Die große, dunkle Bulldogge würde beim Daddeln einschlafen, aber im Notfall gut auf mein Kind Acht geben. Mein Kleiderproblem hatte ich noch nicht gelöst. Dafür baute sich allmählich der Zeitdruck auf. Ach, was soll all die Maskerade! Ich wählte der kalten Nacht entsprechend einen dicke Leggings, darüber ein langärmliges Kurzkleid und Stiefel mit flacher Sohle. Wer könnte schon vorher ahnen, wohin es Kakashi mit seinen Ideen hinzog und wo man wieder überall herumturnen müsste. Er hatte nur von einem Restaurant gesprochen, jedoch nicht, wo es wäre. Das konnte überall sein. Meine Wischmopp-Haare bändigte ein Zopfgummi. Ein kuscheliger Schal und die dicke Winterjacke mit den vielen Taschen rundeten das Gesamtbild ab, so dass ich alles Notwendige verstauen und auf eine Handtasche verzichten konnte. Sicher war sicher. Kurz darauf waren Asa und ich auch schon unterwegs, und ich bereute meine Entscheidung keine Sekunde. Es war eiskalt. Im Westen konnte man die letzte Dämmerung erahnen, die sich langsam davonschlich und den Tag mit sich zog. Über unseren Köpfen breitete sich ein kristallklarer Sternenhimmel in alle Richtungen aus. Kein Wölkchen sollte diesen Ausblick trüben. Nicht einmal die Atemwolken, die aus unseren Mündern gen Himmelszelt. Nur eine kräftige Mondsichel konkurrierte mit dem Funkeln der Sterne. Gespenstisch reflektierte das Mondlicht auf den Dachziegeln der Häuser und gab ihnen einen hochpolierten Glanz. Leider machte Asa keine Anstalten, sich an diesem kleinen Naturschauspiel zu ergötzen, so wie ich es für nur einen kleinen Augenblick gern getan hätte. Zugegeben, es war wirklich kalt. Wir waren gerade mal eine Viertelstunde Fußmarsch unterwegs und schon fast blau angelaufen. Kaum auszumalen, dass im letzten Jahr das Wetter schon so mild gewesen war, dass wir hatten Hanami feiern konnten. Dieses Jahr würden die Kirschblüten noch eine ganze Weile auf sich warten lassen. Ich lieferte Asa bei der richtigen Adresse ab und eilte durch die Straßen. An einem Teehaus hatten sich mein Freund und ich verabredet, aber die Kälte trieb mich hinein. Man könnte eh nicht abschätzen, wann er mal die Bürotür von außen schließen würde. Da wollte ich mir keineswegs blaue Füße und abgestorbene Finger holen. Als eingefleischter Kaffeetrinker hatte ich wenig Ahnung von Tee. Und da Kakashi noch lange nicht in Sichtweite und ich gerade die einzige Kundin im Laden war, ließ ich mich von dem jugendlich wirkenden Verkäufer durch die Welt der Grünteesorten führen. Mein Gaumen war nicht auf Teegeschmäcker geschult. So war ich umso erstaunter, dass die grünen Tees tatsächlich allesamt verschieden schmeckten. Ich bestellte eine kleine Kanne vom Kukicha. Das war zwar nicht der hochwertigste, dafür aber der fruchtigste Tee unter den Grünen. Mir schmeckte er. Mit der dampfenden Tasse in den Händen blickte ich verträumt hinaus und wartete auf das, was da auch immer kommen möge. Nun ja, so ungewiss war das Schicksal nicht, was sich da schon bald dem Teehaus annäherte. Kakashis heller Schopf war auch im gedämpften Laternenlicht unter den anderen Passanten schnell auszumachen. Hmm, hier warten oder entgegen gehen? Die dünnen Bambusrohre klapperten ganz aufgeregt, als die Ladentür geöffnet wurde. Mein Freund hatte mir die Entscheidung abgenommen. Völlig tiefenentspannt mit den Händen in den Hosentaschen stellte er sich lautlos neben mich. „Bist ja schon da?“, stellte er verwundert fest. „Ich bin grundsätzlich vor dir da. Da ist keine Kunst“, lachte ich kurz auf. „Ist wohl so“, kam es bedröppelt zurück. Eine kurze Abschiedsgeste beim Bezahlen und schon standen wir beide draußen auf der Straße. Gespannt trat ich von einem Fuß auf den anderen. Die Kälte trug ihren Teil dazu bei. Kakashi schaute etwas nachdenklich die Straße entlang, als würde er seine Idee bereuen. „Also die Gegend ist nicht die allerbeste...“, versuchte er sich nun um Kopf und Kragen zu reden, obgleich ich gar nicht wusste, wohin es mich nun führen würde. Da stieg doch die Neugier sofort ins Unermessliche. Baden in unterirdischen Katakomben, Übernachten mitten im Wald, Balancieren auf Ästen, Aufspringen auf fahrende Züge … Mit Kakashi hatte ich schon eine Menge durchgemacht. Abenteuerlustig starrte ich ihn mit blitzenden Augen an, dass er verlegen lächelte und sich dann mit mir auf den Weg machte. Schon nach wenigen Straßenzügen wurde mir relativ schnell klar, zu welchem Stadtteil wir uns entgegen bewegten. Es gab eine Straße, da wurden die Nacht zum Tag gemacht. Tagsüber herrschte hier tote Hose, doch nachts tobte dort das pure Leben. Zwischen den Karaokebars, Glücksspielhöllen und Kneipen roch es stets nach Alkohol und Sex. Kam man auf dieser Bar- und Kneipenmeile vom Wege ab und landete man in einer der Nebengassen, so wurde es umgehend schmuddeliger, um nicht zu sagen: rotbelichteter. Und durch so eine Gasse irrten wir nun auch. Freiwillig wäre ich wohl nie hierher geraten. Und da es immer dunkler und enger zwischen den Häusern und die Gestalten immer bizarrer wurden, machte sich neben dem Hungergefühl nun ein ganz anderes flaues Gefühl in der Magengegend breit. Am Ende der Gasse, wo sich wohl der dunkelste Ort auf der ganzen Welt befand, hielten wir vor einer unscheinbaren Holztür. „Sagt dir das Restaurant am Friedenspark etwas?“, hakte Kakashi nach. Klar kannte ich das. Es sollte eine sensationell gute Küche haben. Doch für meinen Geldbeutel fern jeglicher zahlbarer Reichweite. Demnach hatte ich es nie besucht oder mich kulinarisch gar in die Nähe gewagt. Aber probiert hätte ich dort gerne einmal etwas, nur um mal ein gutes heimisches Essen von einem schlechten unterscheiden zu können. „Dort haben lange Zeit zwei Brüder gekocht. Doch wie es immer so ist, geritten sie in Streit. Der eine führt nun das Restaurant allein. Der andere kocht nur noch für einzelne Gäste wie es ihm beliebt“, wurde ich aufgeklärt. „Du wolltest doch mal richtig Essen gehen, oder?“ Da war es wieder. Mein gedankenlesender Freund. Konnte alles, sah alles, wusste alles. Knarzend schob sich die Holzschiebetür beiseite. Als wir durch sie eintraten, war ich baff. Von außen sah das Haus abweisend, fast schon baufällig aus. Doch hier drin war es warm, hell und freundlich. Ein ganz normales Wohnhaus inmitten eines schlüpfrigen Viertels. Das war wirklich mal ein Geheimtipp. Sofort kam auch die Dame des Hauses in Yukata angelaufen, begrüßte uns überschwänglich mit Verbeugung und wartete, bis wir unsere Schuhe sorgfältig im Genkan abgestellt hatten und in die bereit gestellten Gästepantoffeln geschlüpft waren. Mir schwante Übles. Unter diesem Dach herrschten bestimmt sämtliche Anstandsregeln der höheren Gesellschaft. Wer nicht in einem heimischen Clan geboren und in all diesen Sitten und Gebräuchen eingeführt worden war, konnte nur in alle erdenklichen Fettnäpfchen treten. Da half nur eines: Abgucken bei den Einheimischen, am Besten zu Beginn nicht reden und demütig hintertrippeln. Ich grüßte höflichst lächelnd mit einer Verbeugung zurück und verfolgte meinen Plan des Unsichtbarmachens. Es war ein schönes Wohnhaus aus traditioneller Holzständerbauweise, dass an allen Ecken und Enden Geräusche machte. Es ging einen Flur entlang, eine Treppe hinauf bis vor eine weitere Schiebetür. Bis hierhin hatte ich schon wieder die Kunst der Shinobis bewundern können, wie Kakashi es geschaffte hatte, völlig lautlos zu gehen während ich wohl jede Diele in Schwingungen versetzte. Hoppla, beinahe ein Fettnäpfchen erwischt! Vor uns war ein schlichtes Zimmer mit Tatami-Matten ausgelegt. Also fix auf dem Flur aus den Pantoffeln geschlüpft, denn Tatami betrat man niemals mit Schuhen. Dafür wurde man mit einem tollen haptischen Gehgefühl unter der Fußsohle belohnt. Auch Sitzen konnte man auf den Matten gut. Allerdings schaffte ich es mit meinen Kartoffelstampferbeinen nicht, im typischen Frauensitz zu sitzen. Wie machten die Frauen in Konoha das eigentlich immer? Mit taten schon nach wenigen Minuten die Knie weh, die Unterschenkel samt Füße schliefen ein und kribbelten dann wie wild, wenn man sich wieder erheben wollte. Zwei Essensplätze waren dort auf dem Fußboden schon bereitgestellt worden, als hätte man Zirkel und Lineal benutzt, um das Geschirr und die Sitzkissen auszurichten. Eine Reispapierlampe erhellte den Platz. Ich musste beim Hinsetzen wohl ein wenig geknickt geschaut haben, wie mir die Schmerzen durch diese Sitzhaltung in Erinnerung kamen, weil Kakashi leise meinte: „Wir sind hier allein. Du kannst dich setzen, wie du magst.“ Erleichtert atmete ich auf und rutschte vom Fersensitz in den Seitsitz, kaum war die Hausdame verschwunden. Diese hatte zuvor in einer ganz bestimmten Reihenfolge ein Schüsselchen nach dem anderen aufgetischt. Die kleinen Speisehäppchen und Suppen waren so hübsch und filigran wie Kunstwerke angerichtet. Ich traute mich kaum, sie mit den Essstäbchen zu zerstören, zumal ich mir auch gar nicht immer sicher war, ob man den Teil der Speise nun essen konnte oder ob es nur reine Dekoration war. Hatte man es sich dann aber auf der Zunge zergehen lassen, war es eine überwältigende Geschmacksexplosion. So gut hatte ich noch nie gegessen. Und so sagte ja auch ein altes Sprichwort: „Man isst sich nicht satt, sondern glücklich.“ Die Zeit verging wie im Fluge. Während des Essens fielen einem belanglose Alltagsgeschichten ein, aus denen sich neue Geschichten ergaben. Ein wirklich schöner Abend. Kein Zeitdruck, keine nörgelnden Kinder. Nur wir zwei. Am liebsten wäre ich einfach hiergeblieben. Es mochte wohl kurz vor Mitternacht sein, als wir uns auf den Heimweg machten. Wir wollten Begegnungen mit den ersten Schnapsleichen im Vergnügungsviertel umgehen, weshalb wir den Weg durch den Park am See wählten. An einem Pavillon am Seeufer hielten wir kurz inne. Noch immer war ein brillanter Sternenhimmel zu bewundern. Das Mondlicht erhellte die Baumwipfel und glänzte auf den Dächern. Der See ruhte still wie ein Spiegel und reflektierte die Mondsichel. Eine leichte Brise kam auf und ließ mich trotz der dicken Jacke frösteln. Der helle Mond, die dunkle Nacht und der kühle Wind. Wie gebannt starrte ich den Himmelsbegleiter an. „Irgendwie hab' ich dem Mond viel zu verdanken“, platze ich in die Stille hinaus. „Dem Mond?“ Kakashi wandte seinen Blick irritiert nach oben. „Weißt du noch, wie du mich das allererste Mal allein besucht hattest? Oder als du mich da auf dem Stein am Fluss eingesammelt hattest? Oder als wir da am Strand waren? Ganz oft hatten wir Vollmond. Ich glaub', der verbindet uns!“, philosophierte ich vor mich her. „Ahja...“, kam es belustigt von meinem Freund zurück, der nun just in seiner Tasche kramte, als man aus der Ferne die Turmuhr Mitternacht schlagen hörte. „Ich sehe schon, ich hätte dir also lieber ein Stück Mond kaufen sollen, als das hier. Mal wieder voll vorbei gegriffen beim Geschenkekauf.“ Ein farbiges Kuvert kam zum Vorschein und wurde mir entgegen gehalten. Es war nicht zu übersehen, wie sich Kakashi über meinen verdutzen Gesichtsausdruck amüsierte. „Das Original ließ sich leider nicht verpacken. Ich hoffe, dass ist in Ordnung so. Alles Gute zum Geburtstag!“ Das wurde ja immer rätselhafter. Und wie ich Kakashi kannte, musste es etwas total Verrücktes sein. Nervös rissen meine Finger den Umschlag auf und hätten beinahe noch den Inhalt zerfetzt. Es sah wie ein amtliches Formular aus. Nein, eine Kopie davon. Schräg hielt ich den Zettel ins Mondlicht, um überhaupt etwas entziffern zu können. Ich konnte gar nicht so recht glauben, was darauf stand. Mein Gesichtsausdruck machte eine Reise von ungläubig über verwundert zu weinend. Ich schlang meine Arme um Kakashis Hals, heulte vor Freude Rotz und Wasser und stammelte: „Wie hast du das gemacht?“ „Du wolltest es unbedingt haben“, war die geheimnisvolle Antwort. „Aber, aber, aber … Das kann ich doch nicht annehmen? Bist du irre?“ „Du willst den Brief nicht? Ok, nächstes Mal grabe ich es aus und lasse es herkarren. Deine Chefin bekommt den Transport bestimmt geregelt“, wurde ich lachend aufgezogen. „Idiot!“, knuffte ich ihn und stellte mir gerade bildlich die unzähligen Tonnen Erdreich vor. Wir setzten unseren Heimweg fort. Man gut, dass mein Freund bei mir war und mich immer scherzend daran erinnerte, nach vorn zu blicken. Ohne ihn hätte ich ziemlich viele Hindernisse wie Straßenlaternen oder Briefkästen umgerannt, weil ich die ganze Zeit nur auf den Zettel starrte. Die Hausruine am Meer, welche ich so gerne erworben hätte von meinem Lotteriegewinn, aber kläglich gescheitert war, gehörte nun mir. Oder genauer gesagt: Nur die Hälfte davon. Die andere Hälfte gehörte meinem Freund. Wenn wir uns mal streiten würden, könnte er so wenigsten nicht rausgeworfen werden, meinte er nur. Pragmatiker durch und durch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)