Kalendertage von sakemaki (Der Tag, an ...) ================================================================================ Kapitel 47: 47 - Der Tag, an dem einer zurückblieb -------------------------------------------------- Die Kirschblüten mussten in diesem Jahr einige eisige Winde überdauern. Selbst im März, wo es für gewöhnlich wärmer wurde, hatte die Sonne noch nicht ihre volle Kraft entfalten können, um den Boden vom Eis zu befreien und die letzten Winterwolken aufzulösen. Und so war es dann Anfang April in den Gefilden von Konoha doch sehr ungewöhnlich zu beobachten, dass hier und da noch letzte Überreste an dreckigen Backschneehaufen in den Straßenwinkeln zurückgeblieben waren und die Kinder auf den Klassenfotos diesmal in dicke Jacken gehüllt in die Kamera des Schulfotografen alberten. Neben dem Wetter brachte auch die Zwischenprüfung so manch einen Erstklässler auf dem Weg in die zweite Klasse gehörig ins Schlittern. Der morastige Untergrund des Trainingsplatzes, die glitschigen Äste und die eingefrorenen Finger hatten da schon einige Schüler an den Rand des Wahnsinns treiben können, weil für den praktische Teil ein schwerer Outdoor-Parcours in einer knapp bemessenen Zeit absolviert werden musste. Urig wie Waldschrate, aber voller Stolz und Glück kehrten unsere Kinder vom Parcours nach dem ersten Prüfungstag heim. Das wäre ein Klacks gewesen, meinte Asa und machte ihr Späße über Yuuki, der vor dem Start noch heftigen Durchfall vor Aufregung bekam und beinah von der Kloschüssel nicht mehr heruntergekommen wäre. Nicht nur blöd für ihn allein, hätte er nicht antreten können, sondern auch für seinen beiden Teammitglieder, die dann ebenfalls durchgefallen wären. Hatte sie erst noch gespottet, wendete sich das Blatt schon am Folgetag zu Asas Ungunsten, als es um die schriftlichen Arbeiten ging. Meinem Sohn ging es zwar körperlich und seelisch noch schlechter, denn er übergab sich mehrmals, schloss aber zur Verwunderung aller die Theorie-Prüfung als Jahrgangsbester ab. Selbst Kakashi äußerte sich erstaunt, obgleich er mir von vornherein prophezeit hatte, Yuuki wäre ein Kandidat für die oberen Spitzenplätze. Aber in allen Bereichen auf Platz Eins zu stehen, war schon eine Hausnummer an sich, wenn man hinzu noch berücksichtigte, dass Yuuki die Leistungen trotz Prüfungsangstattacken meisterte. Asa hingegen fiel sang- und klanglos durch. Gerade noch himmelhochjauzend und nun zu Tode betrübt saß sie dann am Abend heulend bei ihrem Vater auf dem Schoß und spielte wieder Klammeraffe. Wir wünschten ihr am nächsten Morgen am Frühstückstisch allesamt viel Glück und drückten alle Daumen, damit sie wenigstens über die Nachprüfungen noch ihre Chance auf die Versetzung wahren könnte. Tat sie dann auch. Mit Ach und Krach bestand sie und brachte freudestrahlend ihr Zeugnis mit. Puh, wieder einen Meilenstein erreicht und eine Sorge weniger. Leider teilte Yuuki diese Ansicht überhaupt nicht. Er dachte nun schon voller Panik an die Genin-Prüfung im nächsten Jahr und hatte wieder Bauchschmerzen und Übelkeit. Ich fühlte mich hilflos, weil ich nicht wusste, wie man ihm diese Angst hätte nehmen können und verließ mich auf das alte Sprichwort: „Kommt Zeit, kommt Rat!“ Doch bei meiner Ungeduld kam die Zeit viel zu langsam in die Gänge und brachte auch keinen Rat mit sich. Eines Abends, als die Kinder schon längst im Bett lagen, machte ich meinen Sorgen gegenüber Kakashi Luft. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Mitschüler, machte sich Yuuki unentwegt Gedanken, wie es um seine Zukunft bestellt wäre. Mein Kind hatte auf der Akademie eine stille, aber steile Wandlung durchlaufen. Aus der anfänglichen Neugier und Faszination auf die große, unbekannte Ninja-Welt war schon nach wenigen Monaten ein inniger Wunsch entbrannt, nämlich selbst einmal ein herausragender Shinobi zu werden. Er hatte erfahren, wie er ein Teil dieser verschworenen Gemeinschaft werden konnte und dass er mit seinem Talent gar nicht so schlecht dastünde. Allerdings hatte er kein gesundes Selbstbewusstsein, sondern haderte permanent mit sich und seinen Fähigkeiten. Woher diese Selbstzweifel kamen, konnte ich mir nicht erklären. Das Lernen fiel ihm leicht, obgleich er nicht immer der fleißigste Schüler war. Der Fleiß war erst seit den Akadamietagen bei ihm ausgebrochen. Stets behauptete er, nicht gut genug zu sein. Und so trainierte er mittlerweile jede freie Minute. Manchmal erkannte ich mein eigenes Kind gar nicht mehr wieder. Es machte mir Angst. Grund genug, meine Befindlichkeiten bei meinem Freund abzuladen. Ich wollte gar keine Nonplusultra-Lösung für meine Bedenken von ihm bekommen. Es genügte mir, ein paar neue Impulse von außen zu sammeln, um das Chaos in meinem Kopf zu ordnen. Ich öffnete eine Flasche Wein und gesellte mich samt Glas in der Hand zu meinem Freund an den Küchentisch. „Weißt du,...“ redete ich mir von der Seele. „... als ich damals nachgegeben hatte und ihn zur Akademie schickte, wollte ich nur, dass er auf Gleichgesinnte trifft und seine Kräfte kontrollieren lernt. Jetzt aber ist er plötzlich in einem absoluten Trainingswahn und findet gar kein Ende mehr. Gestern war er so fertig, dass ich ihn auf dem Trainingsplatz einsammeln musste. Der konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Er behauptete, er müsste noch was üben. Ich habe das Gefühl, er gibt sich die Schuld für mein Unglück, weil er mir nicht helfen konnte.“ „Inwiefern?“, hakte Kakashi relativ emotionslos nach ohne seinen Blick zu heben. Er war hochkonzentriert in Papierkram vertieft, der am Besten schon hätte vorgestern erledigt sein müssen. Trotzdem wusste ich, dass er genau zugehört hatte. „Er ist doch immer so harmoniebedürftig und strebt stets danach, dass man es allen recht macht. Als ich dann da in das Kellerloch gefallen war, hat er sich wohl in den Kopf gesetzt, dass er mich hätte beschützen können mit seinen Jutsus, hätte er mich begleitet. Stattdessen schlief er aber im Hotelbett und ich rannte allein durch die Stadt. Er macht sich ständig Vorwürfe. Ach, ich weiß nicht. Mal ehrlich, jemand in Yuukis seelischem Zustand kann doch gar nicht Ninja werden, oder? Würdest du so jemanden in den Kader aufnehmen, der beim kleinsten Hindernis Amok läuft?“ Ein großer Schluck aus dem Weinglas füllte meinen Mund aus. Ich behielt ihn einige Sekunden auf der Zunge, um die feinen Nuancen herauszuschmecken, bevor es die Speiseröhre hinabging und sich wollig im Bauch anfühlte. Im Glas schwenkte sich das flüssige Rot noch wenige Male umher, ehe es sich wieder beruhigte. Es war ein schönes Weinrot. Tiefdunkel, aber brillant. Ein Rot, wie ich es nur von Rosenblättern kannte. Und ein edler Tropfen obendrauf. Das war ein guter Zufallskauf gewesen, als ich gestern von der Arbeit aus Keishi zurückgekehrt war. Kakashi legte den Stift beiseite, klappte den Ordner zu, in welchem er gerade noch Schriftstücke durchforstet hatte und schob ihn nun auf dem Tisch zur Seite. Ein leichtes Grinsen umspielte seine Lippen, als er mich prüfend anblickte. Das sah ich selbst durch seine Maske hindurch. Er war zwar schon vor einer Weile mit Sack und Pack in Form von Akten nach Hause gekommen, hatte aber noch keine Notwendigkeit gesehen, sich von seiner Uniform zu trennen, obgleich ihm bewusste war, dass ich das nicht leiden mochte. Arbeit war Arbeit und Zuhause war Zuhause. Bei Kakashi war es ein und dasselbe. Da gab es noch nicht einmal einen fließenden Übergang zwischen Privatem und Beruflichem, auf dass die eine Phase in die andere übergehen würde. Es existierte in seinem Rhythmus immer nur die Arbeit mit Leerlaufpausen. So, wie er da auf meiner Küchenbank saß, hätte er sofort aus dem Fenster hüpfen und ins nächste Gefecht ziehen können. Gerade eben hatte ich aber wohl Glück, bei Hokage-sama eine Audienz ergattert zu haben. Er würde wohl nicht so fix wieder gehen. „Ist das eine Fangfrage?“, fragte er leicht belustigt. Ja, ok. Die Frage war wohl ungünstig formuliert. Zwar hatte ich mich mit dem Schicksal abgefunden, dass mein Kind höchstwahrscheinlich einen Shinobi-Weg wählen würde. Doch im tiefsten Winkel meines Herzen hoffte ich das Gegenteil. Egal, wie gut oder schlecht er auf der Akademie abschneiden würde, eine offizielle Absage, jemals in den auserwählten Kreis aufgenommen zu werden, würde ich wohl begrüßen, aber bei Yuuki wohl alle Träume zerstören. Würde er wider meiner Erwartung aufgenommen, würde es mir das Herz brechen. Und somit wäre jede Antwort von Kakashi in die eine oder die andere Richtung falsch. Da gab es anscheinend nur den diplomatischen Mittelweg, und wir beide brauchten nicht viele Worte untereinander, dass er verstanden hatte, worum es mir im Eigentlichen ging. „Erinnerst du dich noch, wie ich dir mal erzählte, dass kaum noch Shinobis im Dienst gebraucht werden?“ Ich nickte. Das war schon länger her, aber es kam mir nun wieder frisch zurück ins Gedächtnis. Es waren Friedenszeiten. Die Feudalherren der großen Reiche kooperierten untereinander. Die kleinen Reichen begehrten zwar auf, schienen aber noch kontrolliert zu agieren, auch wenn man das Brodeln spüren konnte. Aufträge kamen kaum noch rein. Man brauchte demnach zwar nur noch wenige, dafür aber extremst gute Shinobi. „Wenn ich mich entscheide jemanden aufzunehmen, liegt es nicht nur allein daran, dass derjenige ein Meister seines Faches ist, sondern ich muss mich auch 101% auf den verlassen können. Es muss jemand sein, der seine eigenen Interessen hinten anstellen kann, um seine Mission zu erfüllen. Wenn man nicht den nötigen Ernst mitbringt, ist die ganze Aktion von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Und es gehört auch dazu, dass man Dinge auf einer Mission entscheiden und tun muss, die einem absolut widerstreben. Hadert man stets mit sich selbst und stellt sein Handeln in Frage, ist man Fehl am Platze. Denn im schlimmsten Falle besiegelt ein Fehltritt das eigene Schicksal.“ Ich nippte wieder an meinem Wein und dachte kurz über diese Antwort nach. Mein Blick trübte sich zur Traurigkeit. „Um deine Frage zu beantworten...“, fuhr Kakashi weiter fort. „Yuuki kann das. Der ist zwar unglaublich emotional, doch wenn er sich innerlich erstmal gefunden hat, ist der zu allem in der Lage und bereit, bis zum Äußerste zu gehen.“ Verunsichert stand ich auf, um mir nachzuschenken. Ich nahm die Flasche diesmal gleich von der Küchenzeile mit. Wenn ich daran dachte, dass mein Kind, wohlbehütet aufgewachsen und heißgeliebt bemuttert, bald dort draußen herumlief und dabei Leuten die Kehle aufschlitzen würde, wurde mir echt schlecht. Das konnte und wollte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Wie kam er darauf, dass unser kleiner „Schisser“, wie Kakashi in manchmal scherzhaft aufzog, zu so etwas im Stande wäre? Vor meinem geistigen Auge sah ich auf einen am Boden kauernden Yuuki, der auf einer Mission heulend zusammenbrechen würde, weil er hilflos den Druck, mit dem Tode konfrontiert zu werden, nicht aushalten könnte. „Ist es das, was ihr „Weg des Ninjas“ nennt? Diese Entschlossenheit?“, überlegte ich laut. „So ungefähr. Worüber denkst du gerade nach?“ Mein Freund war ein guter Beobachter. Er merkte sofort, dass mir querfeldein ein Gedanke geschossen kam, der meine Stimmung kippte. In seiner Stimme hatte ein unheilvoller Nachdruck mitgeklungen, weil er ahnte, welch Diskussion gleich wieder vom Zaun brechen würde, würde einer von uns beiden den Absprung nicht finden. Und auf diese Art von Streit hatte er verständlicherweise keine Lust, denn es kam häufig so, dass ich lamentierte und er sich in die Ecke gedrängt fühlte, aber keinen Anlass sah, sich vor mir rechtfertigen zu müssen. „Ich habe da keinen Bezug zu, sondern habe das ja immer nur als Außenstehende mitbekommen. Das ist etwas, was ich halt nicht kapiere. Kenta war auch so drauf. Den Himmel auf Erden hat er mir versprochen. Und dann aber hätte er kein Problem gehabt, in der nächsten Sekunde ins blanke Messer zuspringen, um sich für seinen Dienstherren zu opfern. Mal ehrlich, das ist doch total bescheuert!“, sprudelte ich anklagend heraus. „Denkt ihr denn nie drüber nach, dass auch immer wer zurückbleibt, der um euch heult?“ Kakashi seufzte und sackte für eine Sekunde innerlich zusammen. Da war er wieder: Der abgebrochene Zaun. Doch die dumme Nina mit dem leckeren Rotwein im Kopfe war nicht mehr feinfühlig genug und konnte somit nicht mehr ihr Kodderschnauze zügeln. „Wie oft haben wir das schon besprochen?“, stöhnte er auf und ergänzte noch, als wenn er es mir nicht bereits unzählige Male gesagt hätte. „Ich weiß, wie das ist, wenn man zurückbleibt.“ Sein Blick lag irgendwo zwischen genervt und verzweifelt. Kakashi diskutierte nicht gern. Und schon gar nicht über Dinge, die schon so häufig thematisiert worden waren und darüber hinaus alte Wunden aufrissen. Er mochte sich nicht wiederholen und rechtfertigen. Der Kreis der geliebten Menschen hatte sich Stück für Stück immer mehr verkleinert, bis er sich gänzlich aufgelöst hatte. Da war es doch schlussfolgernd nur richtig gewesen, zukünftig selbst keine Bindungen einzugehen, da sie eh nur zerreißen würden. Man befolgte lieber stumpf seine Berufung. „Nina...“, begann er und streckte seine Hand aus, auf das er meine berühren könnte, doch ich zog sie weg. Ich wollte mich nicht vertragen. Ich wollte mal eine handfeste Antwort aus seinem Munde hören und nicht immer so ein Gerede um den heißen Brei herum. Was wäre im Ernstfall wichtiger? Das Shinobi-Weg oder wir? „Ich kann dir nichts versprechen und das weißt du auch. Alle Versprechen, die ich jemals in meinem Leben gemacht hatte, habe ich letztendlich nicht einhalten können, sondern auf ganzer Linie in den Sand gesetzt.“ Hmpf, wieder keine ordentliche Antwort. Ich schmollte, leerte mein Glas mit einem großen Zug aus und dachte für einen Moment nach. Seine offene Hand ruhte noch immer auf dem Tisch. Wenigstens den Handschuh hätte er mal ausziehen können. Dann gab ich meinem Herz einen Stoß. Für jemanden wie Kakashi, der immer alles besser wusste und so herrlich arrogant von oben herab reden konnte, war das doch eben eine recht demütige Geste. Er wollte nicht auf seinem Standpunkt beharren, sondern lieber den Frieden des Abends wahren. Wenn ich ihn in der letzten Zeit intensiv beobachtete, so stellte ich fest, dass er mir müde und ausgebrannt vorkam. Da wollte er sich nicht auch noch zuhause streiten. Ich streckte meine Hand nun doch aus. Unsere Finger umspielten sich, bevor sie sich festhielten. „Tut mir leid!“, nuschelte ich und gähnte dabei herzhaft. „Ich weiß.“ Wir brachen unsere Mitternachtsrunde am Küchentisch ab. Zeit zum Schlafen gehen. Ich war Seitenschläfer. Schon immer. Bis an die Nasenspitze in meine Decke eingerollt, beobachtete ich noch ein kleines Windlicht in der Fensterbank, weil ich mich seit meiner Entführung vor der Dunkelheit fürchtete. Das Teelicht leuchtete mir meinen Weg durch die Nacht und war immer erst erloschen, wenn ich schon lange eingeschlafen war und der Morgen anbrach. Die Decke neben mir raschelte, und die Matratze gab leicht nach. Ein nachfragendes Streicheln auf meinem Rücken. Der sanfte Druck seiner Hand auf meiner Schulter drehten mich herum zu ihm, der sich sich nun an mich schmiegte und schützend einen Arm um mich legte. Seine Haarsträhnen kitzelten mein Gesicht. Mit den Fingern schob ich sie beiseite. In dem Kerzenschein sahen die noch wilder aus als sonst. Es war äußerst selten, dass er meine Nähe durch Anschmiegen suchte. Meist war es eher umgekehrt, dass ich den ersten Schritt machte, oder er zog mich zu sich heran, dass ich in seinem Arm lag. Heute mal nicht. Mit den Fingerspitzen strich ich von seinen Haaren weiter über sein nun bloßes Gesicht, welches im schwachen Licht viel weicher gezeichnet war. Nur die dunkelgrauen Augen stachen klar daraus hervor wie eh und je. Sherenina, sei doch mal zufrieden, tadelte ich mich stumm. Zwar sagt er es nie, aber er passt die ganze Zeit schon auf dich auf. Und auf Yuuki und Asa auch. Obendrein ist er arg um euch bemüht und sieht verdammt nochmal gut aus. Was willst du denn noch? Wohlbehütet ließ es sich gut einschlafen. Der April war schon fast vorüber, da beglückten die Kirschbäume uns endlich mit ihrer rauschenden Blühpracht. Und so ähnlich wie Feiertage zwar ihren eingestanzten Termin im Kalender hatten und turnusgemäß wiederkehrten, brach auch das Hanami so unglaublich überraschend über die Bevölkerung herein, dass man die Kirschblütenfront trotz permanenter Vorhersage in den einschlägigen Medien nicht hatte erahnen können. Ruckartig setzte der alljährliche Feststress ein. Man pilgerte in die Geschäfte, um sich mit reichlich Lebensmittel und Alkohol einzudecken. Wem sein Yukata-Muster vom Vorjahr nicht mehr gefiel, der durchkämmte die Kaufhäuser nach den neusten Modetrends. Mir kam es vor, dass die Leute in diesem Jahr noch viel verrückter waren, als in den vergangenen Jahren davor. Aber ich mochte mich täuschen, denn außer meine Teilnahme im letzten Jahr hatte ich mich zuvor nie so unbedingt um dieses Fest geschert. Vielleicht lag es aber auch einfach nur an der plötzlich veränderten Wetterlage, welche die Leute so ausflippen ließ. Hatte man schon fast geglaubt, es würde ewig grau und kalt bleiben, weil der Winter nicht verschwinden wollte, so hatten die milden Temperaturen nun den Start frei gegeben für den ersten zarten Flaum an frischem Grün, der sich über Parks und Wälder gelegt hatte. Jung und Alt labten sich gleichermaßen an dem einsetzenden Frühling. Ganz einheimisch geprägt kämpfte ich mich mit den Kindern durch die Massen an Menschen. Beide waren wieder ein Stück gewachsen und brauchte neue Kleidung. Asa von dem Kleiderbummel zu überzeugen, war gar nicht so einfach, bis ihr Vater ein Machtwort sprach. Das müsste nun so sein mit den neuen Klamotten und basta! Ihre bisherige Kleidung war ein bunter Mix, dessen Herkunft nicht unbedingt zu definieren war. Irgendwo zwischen Lumpensammler und Silvesterrakete konnte man ihren Stil einordnen, was nicht zuletzt daran lag, dass Kinder in dem Alter zum Großteil die Klamotten von ihren Eltern vorgesetzt bekamen und wenig Mitsprache hatten. Bei Asa passte wieder größen-, noch farbentechnisch irgendetwas zusammen. Manches war viel zu groß, manches schon viel zu eng. Zerrissen, gestopft, verwaschen. Noch gut kam mir das Bild zurück aus der Erinnerung, wie sie dazumal in der Wettkampfarena stand und diesen schlabbrigen Pullover trug, bei welchem sie sich stets in den Ärmeln verhedderte. Trotzdem konnte sie sich von keinem einzigen Stück trennen. Die Sachen hatte ihr doch immer Mama gegeben, aber Mama war nicht mehr da. Wenn die Sachen weg wären, wäre gar nichts mehr da. Dann lief sie wieder weg und weinte heimlich. Und diese Haare erst … Wenn man bei Kakashis Frisur von einem Vogelnest sprechen mochte, so war es bei Asa mindestens ein Adlerhorst. Obgleich man hinzufügen musste, dass Kakashis Haare bei weitem nicht mehr so lang waren, wie man es noch kopfschüttelnd auf alten Fotos bestaunen konnte. Da standen die Strähnen heutzutage doch schon fast geordnet in alle Richtungen. Bei seiner Tochter gab es da ein ganz anderes Problem: in der Vergangenheit einmal geflochten und bis heute völlig verfilzt. Im Stillen dachte ich bei mir, dass hier nur ein Kurzhaarschnitt helfen würde, um eine Grundreinigung auf dem Kopfe zu erzielen. Doch das durfte man Asa nicht sagen, weil sie ihre langen Haare liebte. Bis die wieder auf solch eine Länge nachgewachsen wären, würde einige Zeit ins Land ziehen. Himmelgütiger, hatte sich Hikki da nie drum bemüht, wie dieses Kind in der Öffentlichkeit herumlief? Anscheinend nicht. Und man könnte sie auch nicht mehr fragen, warum es war, wie es war. Blanke Mutmaßungen darüber fand ich unfair, weil sich Hikki nicht mehr verteidigen könnte. Mein Freund hatte sich dazu nicht eingemischt, wie Hikki das Kind erzog, weil dann wieder die Stimmung ins Gegenteilige gekippt wäre und er monatelang weder etwas von seiner Tochter gehört, noch gesehen hätte. Zu Beginn hatte er Asa sogar total abgelehnt, hatte er mir mal kleinlaut gestanden. Unglaublich, wie kindisch erwachsene Menschen sich verhalten konnten, wenn es um gekränkte Eitelkeiten und verletzte Gefühle ging. Nun aber sollten nicht familiäre, sondern Einkaufsprobleme unsere momentane Situation bestimmen. Ein Drängeln und Schieben herrschte in den Straßen, und wir strömten einfach mit. Bis plötzlich Asa vor einem Schaufenster stehen blieb. Sie drückte ihre Nase nahezu an der Schaufensterscheibe platt. Erstaunt blieben Yuuki und ich stehen und spähten auch durch die Scheibe, ob es dahinter wohl einen Sack voll Gold gäbe. Aber nein. Es war eine Boutique für Kinderbekleidung. Sehr fröhlich, bunt und ausgefallen. Und natürlich dementsprechend teuer. Ich kannte den Laden, denn sie nähten die Kleidungsstücke in einem Atelier am Rande der Stadt selbst und hatten früher immer ihre Stoffe aus dem Kontor bezogen. Ohne groß zu überlegen, schob ich Asa durch die Ladentür, bevor das Kind die Faszination verlieren würde. Mit strahlenden Augen probierte sie ein Baumwollkleid an, was dem Schnitt nach an ein verlängertes, nach unten hin ausgestelltes Shirt erinnerte. Noch nie hatte ich diese Mädchen in einem Kleid gesehen. Im Rausche der Farben und kindlichen Muster fand wir noch einige andere Stücke. Yuuki schaute uns entgeistert an. Für Jungs war der Laden wirklich nichts. Mein Sohn war schon in einem Alter angelangt, wo man nur noch coole Farben trug und kein Papageienkostüm. Beim Bezahlen musste ich bei der Summe kräftig schlucken. Doch wie hatte ich früher immer im Kontor gepredigt? Qualität hat nun mal seinen Preis. Das durfte ich als Endverbraucher nun ganz kräftig spüren. Dafür hatte das Kind endlich mal etwas Vernünftiges zum Anziehen im Schrank. Und weiter ging die Shopping-Jagd. Am Ende des Tages waren wir mit dem Einkauf und den Nerven am Ende. Hanami konnte kommen. Unsere Hanami-Gruppe sollte dieses Mal ganz im Zeichen der abgeschlossenen Lebenskapitel und Neuanfänge stehen. Es gab immer einen Grund zum Feiern und Verabschieden, und an Hanami bot es sich an, einige Anlässe zusammenzulegen. Wir feierten meinen Geburtstag nach, auch wenn der nun schon vier Wochen her war. Wir feierten das Bestehen der Zwischenprüfung von Asa und Yuuki. Wir feierten den Abschied von Tenzô, denn er trat bis auf die Überwachung Orochimarus von allen Ämtern zurück. Wir feierten Gais Entscheidung, ebenfalls in den Ruhestand zu gehen, wenn Kakashis letzter Arbeitstag wäre. Nur Kakashi hatte nichts so recht zu feiern. Der wartete immer noch auf Post vom Feudalherrn. Einer blieb halt immer zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)