Kalendertage von sakemaki (Der Tag, an ...) ================================================================================ Kapitel 53: 53 - Der Tag, an dem es eine klare Ansage gab --------------------------------------------------------- Feierabend war genau das richtige Stichwort für den schnellen Abgang. Es war das perfekte Timing gewesen. Yuuki sah kreidebleich aus und hatte kleine Schweißperlen auf der Stirn. Ängstlich blickte er in jede Ecke und in jeden Winkel, als wäre ihm ein Geist direkt auf den Fersen. Es war besorgniserregend. Dringendste Zeit für uns zu gehen. Ich sehnte mich nach tiefem, ausruhendem Schlaf. Die lange Zugfahrt, das Ausharren in der Kälte bei der Beerdigung und das Schauspieltheater während des Essens hatten mich doch mehr ermüdet, als ich es von mir selbst erwartet hätte. Und es kam mir vor, als mochte es bestimmt schon auf die Mitternachtsstunde zugehen, obgleich wir recht früh entschwunden waren, überlegte ich mir im Stillen und gähnte einmal herzhaft, dass ich mich fast verschluckte, denn draußen vor der Halle waren die Temperaturen rapide gesunken. Mein Zeitgefühl war im Eimer. Eine eiskalte Luftblase wanderte meinen Hals hinab in meine Lunge und lösten einen Hustenanfall aus. Frostig strich die Nachtluft über die rotglühenden Wangen. Die vielen Gäste hatten den Saal trotz seiner Größe ziemlich aufgeheizt und die eigene Körpertemperatur gleich mit sich. Unter meinem langen Mantel brannte ich wie ein Stück Holz im Kaminofen. Da kam der Frost mir gerade wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht vor. Zu allem Überfluss fielen nun auch noch dicke, fette Schneeflocken vom Himmel. Schnee war für Ninjas eine ziemlich dumme Sache, weil man Fußabdrücke in der weißen Pracht hinterließ, die man unter Umständen mit viel Aufwand wieder verwischen musste. Doch ich war viel zu müde, um darüber nachzudenken, weshalb meine Leibgarde auf das Spurenverwischen verzichtete. Vielleicht, weil sie sowieso die Coolsten waren, kicherte ich in mich hinein, bevor ich meinen Kopf auf der Schulter meines Freundes ablegte und mein eingefrorenes Gesicht in seinem Umhang verbarg. Mit mir mal wieder im Huckepack-Modus hüpften wir über die Äste der Bäume voran. Das Grummeln im Bauch kehrte zurück, und es kam nicht daher, dass ich zu viel gespeist oder getrunken hätte. Dieses ungute Gefühl in der Magengegend akzeptierend, konzentrierte ich mich gänzlich wieder auf eine gleichmäßige und langsame Atmung. „Was beunruhigt dich?“, flüsterte mein Freund mir gerade so laut zu, dass ich ihn verstehen konnte, jedoch die Anderen nichts mitbekamen. „Dass wir wegen der Finsternis die Hand nicht vor Augen sehen können und wir trotzdem so hoch über dem Boden sind“, gab ich eben so leise zurück. Es war wirklich pechschwarze Nacht. Man konnte farblich den Himmel nicht vom Boden unterscheiden, geschweige die Bäume um uns herum. Doch nicht nur die Natur schien von der Dunkelheit verschluckt, auch unsere restlichen Begleiter waren unsichtbar. Sie machten noch nicht einmal einen Laut, auch nicht die Kinder, die sich ganz diszipliniert verhielten. Für mich war es unmöglich auszumachen, ob wir noch nahe beieinander waren oder schon weit voneinander getrennt. Unser Springen durch die Nacht war wie Achterbahnfahren im Tunnel. Black-Hole-Extreme. Ein stärkerer Luftzug von vorn durch die Geschwindigkeit zerzauste die Haare. Ein Auf und Hab durch die unterschiedlichen Höhen der Äste machten Magenkribbeln. Schneeflocken malträtierten die Haut wie frostige Nadelstiche. Dunkelheit, Kälte und Schnee. Ein Anflug von Panik machte sich in meinen Zellen breit, weil Erinnerungen hochkamen. Obgleich ich mich nicht enger an Kakashi hätte klammern können, tat ich es trotzdem und schloss die Augen. Sehen konnte man sowieso nichts. Einfach nur fühlen, was war. Wärme und Schutz. Und nicht Alleinsein, auch wenn ich nicht wusste, wo sie alle in diesem finsteren Wald waren. Kakashi beruhigte mich, dass keiner von ihnen das Chakra unterdrücken würde. Sie wären alle noch spürbar da. „Findet man uns dann nicht sofort?“, fragte ich nicht im Mindesten besänftigt. „Das will ich ja gerade. Mir wird das hier langsam zu blöde. Entweder die bleiben passiv auf Lauerstellung, dann sollen sie bleiben, wo der Pfeffer wächst. Oder sie greifen an, dann können wir sie endlich mal nach ihrer Mission ausquetschen. Ich will aber nicht den ersten Zug machen. Die Angriffsschuld sollte zu unseren Gunsten beim Gegner liegen“, folgte die sachliche Erklärung. Also hatte Yuuki die ganze Zeit Recht gehabt, als er meinte, wir würden beobachtet werden. Ich dachte kurz nach und versuchte die Dimension dieser neuen Sachlage zu erfassen. Wir waren also nicht einfach nur auf dem Wege nach Hause, sondern negativ betrachtet obendrein auf der Flucht und zugleich auch der Köder. Ich schluckte schwer. „Yuuki hat wirklich unglaublich gute Antennen. Der fühlte sogar Chakra im Staubkorn. Er hat unglaublich viel gelernt. Nicht, dass ich es ihm nicht zugetraut hätte, aber sein Lerntempo ist beeindruckend“, wurde ich abgelenkt. „Wie geht’s im Frühling mit ihm weiter? Hast du dich entschieden?“ Ja, das stimmt wohl mit Yuukis Fortschritten. Und ich wusste ganz genau, worauf mein Freund anspielte. Im kommenden März waren die Genin-Prüfungen und die zweijährige Akademiezeit wäre beendet. Meine Güte, schon wieder waren zwei Jahre ins Land gezogen. Ich konnte es kaum glauben. Es stand außer Frage, dass mein Kind bestehen würde. Vermutlich sogar als einer der Besten des Jahrgangs. Dann dürfte er sich Genin nennen, sich ein Stirnband umbinden und könnte sich in einem Team zu einem Chûnin ausbilden lassen, so fern ich dem zustimmen würde. Obwohl es mir immer noch einen faden Beigeschmack machte, würde ich mein Kind in solch ein Team stecken lassen. Er wünschte es sich so sehr und schien seinen Weg gefunden zu haben. Den persönlichen Weg des Ninjas. Was auch immer er darunter verstand. Vielleicht war es auch einfach sein Schicksal, die Tradition seiner Shinobi-Wurzeln fortzuführen und in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Und als hätte Kakashi Gedanken lesen können, fügte er meinen Überlegungen hinzu: „Reisende kann man nicht aufhalten, Nina. Lass ihn los. Er ist doch trotzdem immer noch da. Wusstest du, dass sein Vater ein Gen-Jutsu entwickelt hatte, um den Willen von anderen Wesen zu lenken? Es basiert auf das Spüren von Chakraflüssen. Yuuki hat also nicht nur ein spannendes Kekkei Genkai geerbt bekommen, sondern auch den Spürsinn.“ „Nein, ich hatte keine Ahnung, was Kentas Fähigkeiten waren. Ich wusste nur, dass er im Blitz-Reich bei solch einer ANBU-ähnlichen Truppe eingesetzt war“, murmelte ich und fühlte mich grundlos schon wieder unglaublich dumm, weil meine stumpfe Ignoranz der Shinobi-Welt gegenüber mir nur akute Unwissenheit beschert hatte. Ich hatte wirklich keine Ahnung, denn ich hatte nichts davon hören wollen. Ganz im Gegenteil hatte es gar mich geängstigt und war daher immer stets aus meinem Leben verdrängt worden. Ich wollte es einfach nicht wissen. Es waren Kakashi und Tenzô zu verdanken, die mir eine ganze neue Welt und somit die Augen geöffnet hatten. Einfach, weil sie ganz anders mit ihrem Job umgingen, als ich es bis dato gekannt hatte. Auch wenn Kenta doch immer sehr bürgerlich tat, ließ er oft unbewusst durchblicken, dass er und sein Clan etwas Besonderes oder etwas Andersartiges wären im Gegensatz zum billigen Fußvolk. Darüber konnte ich mir gar kein richtiges Urteil bilden, hatte ich seine Familie doch nie kennen gelernt. Ich wusste noch nicht einmal, ob Angehörige überhaupt noch Existent waren. Ob es in der Zukunft gut wäre, diesem einmal nachzugehen? Oder weckte man schlafende Hunde? „Wie viele sind denn hinter uns her?“, brachte ich meine Gedanken wieder zurück an diesen dunklen Ort. „Die haben sich seit unsere Ankunft am Bahnhof tatsächlich vermehrt. Ich habe bis jetzt zwölf Feinde wahrgenommen.“ Bis jetzt Zwölf? Gab es da also noch mehr? So viele? Plötzlich grellte es nur wenige Meter vor uns auf. Eine orangefarbene Laserkugel zackte zielstrebig durch den Wald und war für Sekunden die einzige Lichtquelle. Für den Moment konnte ich aus den Augenwinkeln erkennen, dass der Boden, aber auch das Geäst der Bäume bereits von einer dicken Schneedecke überzogen waren, denn sie reflektierte das Orange und sah aus wie glühende Lava. Irgendwo im Dunkeln hallte ein spitzer Aufschrei durch den Wald. Dann plumpste es dumpf in den tiefen Schnee. Yuuki hatte nicht nur seinen Chakraball abgefeuert, sondern auch noch getroffen. Was oder wen auch immer. Es überraschte uns allesamt so sehr, dass es beinahe um uns geschehen wäre. Kakashi reagierte sofort, als wir von der Seite her aus dem Nichts angegriffen wurden. Doch unser beider erhöhtes Gesamtgewicht und die Schwerpunktverlagerung trugen einen nicht minder wichtigen Teil dazu bei, dass Kakashi die Landung auf dem nächsten Ast nicht wie geplant gelang. Durch den frischen Schnee schlitterte er mit seinem Fuß über die rutschige Rinde hinweg in den Untergang. Wir stürzten ab. Der freie Fall war eine merkwürdige Sache. In der Magengegend zog sich alles zusammen. Am Liebsten hätte ich lauthals geschrien, doch der augenblickliche Schock hatte mich verstummen lassen. Und wenn man daran dachte, dass so ein freier Fall nur in wenigen Sekunden beendet sein und man unten auf dem Boden aufschlagen würde, so tobte das eigene Herz in einem unkontrollierbaren Tempo kurz vor dem Kammerflimmern. Man sagte ja, das Leben würde an einem in solchen Situationen vorbeiziehen. Ich hatte kein Kopfkino. Entweder war die Geschichte glatt gelogen oder mein Leben hatte keine filmreifen Ausschnitte zu bieten gehabt. Wie armselig. Ein Funke Hoffnung flammte auf, wie ich meinte, dass die Finger meines Freundes nach meinem Handgelenk tasteten, doch ich rutschte einfach durch seinen Griff durch. Es war der Moment, wo ich den engen Hautkontakt zu ihm endgültig verlor. Gleich wäre ich tot. Garantiert. Gleich knallte ich auf dem Boden auf, würde mir alle Knochen brechen und den Schnee blutrot färben. Und die Schwärze der Nacht würde alles kaschieren. Da schlängelte sich etwas aus der Dunkelheit heraus um mein Sprunggelenk, wandte sich über meine Fessel und meinen Schenkel blitzschnell zu meiner Taille hinauf und zog sich fest. Eine Schlingpflanze. Wie an einem Bungee-Seil hing ich nun kopfüber knapp über dem Boden und war dem Tod von der Schippe gesprungen. Tenzô hatte mich gerettet. Zum zweiten Male am heutigen Tage. Meine Nerven drehten durch, was man daran erkannte, dass ich ausgerechnet jetzt darüber nachgrübelte, wie ich Tenzô jemals dafür danken könnte. So viele Kartoffeln für Kartoffelbrei gäbe es gar nicht auf der Welt, die ich da verkochen müsste. Ob er sich an dem Brei überfressen hätte, noch bevor er die gekochten Berge aufgegessen hätte? „Alles OK bei dir?“ hörte ich Tenzôs angespannte Stimme. Die Liane wuchs noch ein Stück länger und gab mich dann auf sicherem Erdboden frei. Natürlich passend zu meiner Hängeposition mit dem Kopf zu erst. Mein Gesicht drückte sich Dank der Schwerkraft mitten hinein in den Schnee. Der rutschte mir sofort über den Hals bis unter die Kleidung auf die blanke Haut. Mein Oberkörper erstarrte zum Eiszapfen. Boah, war das kalt! Ich rappelte mich hoch, kloppte unbeholfen den Schnee ab und drehte mich um die eigene Achse. Nein, es war nach wie vor nichts zu sehen. Nur finsterste Schwärze. Es ängstigte mich, so hilflos zu sein. Man hatte beinahe das Gefühl, auf beiden Augen schlagartig erblindet zu sein. Ich wollte die Namen meiner Freunde rufen, aber ich verbat es mir selbst. Der Feind wüsste unter Umständen sofort, mit wem er es zu tun hätte. Vielleicht stünde der sogar schon hinter dem nächsten Baum und belauschte und beäugte mich schon die ganze Zeit über. „Ich krieg' den einfach nicht zu packen …!“ Es war nur ein Flüstern, aber ich identifizierte die bekannte Stimme direkt vor mir sofort. Auch Tenzô hatte seine liebe Not mit der Nacht. Eine nahe Baumkrone entflammte wie ein Armleuchter. Einer drohende Fackel gleich brannte sie unheilvoll über unseren Kopf. Ich sah, wie mein Retter vor mir im Schnee kniete, die Finger ineinander zu einem Fingerzeichen verschränkt hielt und seinen Blick auf den Feind fokussierte, den ich selbst nicht einmal erahnt hätte. Ranken und Triebe schossen hervor. „Geht doch!“ Die brennende Baumkrone hatte genug Licht gespendet. Tenzôs Angriff hatte die Jagdbeute erwischte und förderten eine vermummte Person zutage, welche umgehend wie eine Raupe in einen Kokon verpackt wurde. „Wo sind Kakashi und die Anderen?“, spukte ich nun doch unbedacht hervor und klatschte mir sogleich erschrocken auf den Mund. Verdammt, keinen Namen! Du verrätst doch alles, du dumme Nina. „Kakashi? Hatake Kakashi etwa?“, sprach eine hämisch-tiefe Stimme aus dem Geäst über uns. Ein Lachen ertönte. Es hallte wie ein Echo und sprang wie ein Irrgeist um uns herum. Tenzô schlug die Hand in den Schnee und griff ins Erdreich. Ein Erdwall stieß augenblicklich in die Höhe just in dem Moment, wo die brennende Baumfackel zusammenbrach und die Krone im Schnee erlosch. Beißender Rauch umhüllt uns. Augen tränten, Nasenflügel bebten. „Steht es so schlecht um die Konohagakure bestellt, dass der Siebte schon auf ausrangierte Reservisten zurückgreifen muss? Oder hat der Siebte gar nichts besseres mehr innerhalb seiner Reihen zu bieten?“, höhnte es derart unverschämt aus dem Wald, dass selbst meine Angst aussetzte und ich diese Frechheit mit einem wütenden Gesicht herunterschluckte. Wer auch immer unser Feind mit dem vorlauten Mundwerk war, er beherrschte seine Kunst sehr gut. Tenzôs Schutzwall wurde zerschlagen, denn die Erdbrocken prasselten nur so auf uns herab. Ich wurde am Oberarm gepackt und fortgerissen. Nicht weit, nur aus der Schussbahn. Der Himmel über uns brannte auf und schien unter den unzähligen Blitzen zu zerbersten. Das laute Prasseln als hätte man Millionen von Knallerbsen gleichzeitig zertreten erfüllte ohrenbetäubend die Luft. Ein violetter Blitze schlug direkt neben uns ein. Geblendet schloss ich die Augen. „Wir müssen halt auch sehen, wo wir bleiben.“ Kakashi beantwortet der frechen Stimme dessen Fragen mit dem gewohnten Sarkasmus. Es mochte wohl die letzte Antwort gewesen sein, welche sie gehört hatte in ihrem Leben, denn plötzlich stank es nach verbranntem Fleisch. Ich wagte es kaum, die Augen wieder zu öffnen, tat es aber trotzdem. Ein entsetzliches Bild bot sich mir, wie Kakashi in einem violetten Blitzlichtgewitter stand und die höhnende Figur in zwei Hälfte getrennt hatte. Sie sah so entstellt aus, dass ich nicht genau hätte sagen können, ob die verkohlte Figur einmal Männlein oder Weiblein gewesen war, obwohl ich nur wenige Meter daneben stand. Übelkeit stieg in mir auf. Ich drehte mich um und ließ meinem Mageninhalt freien Lauf. Kakashi schnaubte kurz auf. Die Entwicklung der Mission passte ihm gar nicht. Und dass er dieses mit einem Schnauben kommentierte, passierte so häufig wie die Kirschbäume zum Neujahresfest blühten. Es musste ihm wirklich ernsthaft sauer aufstoßen. „Hisui und Kujaku beseitigen gerade die übrigen Feinde. Ruri ist bei Yuuki und Asa. Die haben wohl eben ganz andere Probleme...“, fasste Hokage-sama das Dilemma zusammen und machte keine Anstalten, seinen Missmut in der Stimme zu unterdrücken. Asa und Yuuki. Probleme? Siedenheiß fiel mir ein, dass es unsere Kinder ja auch noch gab. In wenigen Minuten hatte ich einen Angriff, einen Absturz und eine Verteidigung erlebt. Das war zu viel für mein Gehirn, welches immer noch die Ereignisse abarbeitet. Mein Magen war nun leer. Der Geschmack im Mund war widerlich. Ich sammelte alles an Spuke im Munde und spie sie aus. Ich hätte fast alles um einen Schluck Wasser zum Ausspülen gegeben. „Was ist denn überhaupt los?“, wagte ich eine Äußerung, denn die Anspannung der beiden Shinobi war förmlich greifbar. „Yuuki hatte in seiner Unerfahrenheit überreagiert, als er in eine Falle gestolpert war. Dabei hatte er den Fallensteller erstaunlicherweise gesehen und den aus Angst natürlich sofort angegriffen. Na ja, der Rest war dann eine Kettenreaktion. Die Ratten kamen aus den Löchern“, meinte Tenzô schulterzuckend. „Hat er den anderen denn …?“ … getötet? Das war das Wort, was mir im Halse stecken blieb. Hatte Yuuki getötet? Es lag außerhalb meiner Vorstellungskraft und entsetzte mich zutiefst. Mein Kind und sein erster Mord als Shinobi. Mir wurde schon wieder übel, doch zum Erbrechen gab es nichts mehr außer Magensäure in meinem Leibe. „Nein, hat er nicht“, kam uns Kujaku zuvor. „Aber er hat in schwer verwundet und außer Gefecht gesetzt. Da blieb nur noch ein Gnadenstoß meinerseits zu tun.“ Hisui und Kujaku hatten ihre Aufträge erfüllt und das Feld bereinigt. Blieb nur noch das von Kakashi erwähnte „Problem“ übrig. Mir schwante Übles, wie sich ein heftiger Wind aufmachte. Er zerfetzte die Baumwipfel und zerrte an den Stämmen. Stärker und stärker. Man hörte es ächzten und krachen. Die Vegetation gaben ihrem Peiniger nach und wurden entweder umgeknickt oder gleich mit ganzer Wurzel ausgerissen. Die Bäume wurden wie Streichhölzer durch die Luft gewirbelt und irgendwo planlos im Trümmerfeld abgeworfen. Ein Tornado zog eine wahre Schneise der Verwüstung durch den Wald. Dumm nur, dass er dem Lärm nach wohl direkt auf uns zu kam. „Ich dachte, Ruri kümmert sich darum!“, tadelte Hisui ihren Bruder, der sich aber keiner Schuld bewusst war. „Tut er doch wohl auch!“, gab Kujaku verstehen, als sich der Tornado plötzlich vor unseren Augen auflöste. „Siehst du! Alles prima.“ Asa hatte es nur gut gemeint und hatte auch ihren Beitrag zum Kampfgeschehen abliefern wollen. Dafür erzeugte sie eine Windhose, welche die Angreifer hätte wegpusten sollen. An sich ein guter Gedanke. Allerdings geriet die Windhose viel zu überdimensioniert. Sie wuchs und wuchs und erweckte ein Eigenleben noch nie dagewesenen Ausmaßes. Unkontrolliert hüpfte nun ein Tornado außer Rand und Band durch die Botanik und scherte sich nicht um eine Asa, die mit aller Macht versuchte, ihr Jutsu wieder zu bändigen und somit auch den Tornado. Zurück blieb nur eine totale Verwüstung. Ich erinnerte mich an die Aufnahmeprüfung zur Akademie zurück. Auch damals gab es diese Szene, wie Asa einen Tornado durch die Arena donnerte und ihn nur mit Mühe beherrschte. Solch ein Sturm konnte wohl nur durch ein ordentliches Feuerchen bekämpft werden, welches Ruri in Perfektion beherrschte. Einen kurzen Augenblick gesellte er zusammen mit einer bedröppelten Asa und einem verstörten Yuuki zu uns. Unser Team war wieder komplett. Nur die Stimmung war im Keller. Hätte man Flammen der Wut in der Realität sehen können, Kakashi hätte in einem flammenden Inferno gestanden. „Ihr geht zurück ins Hotel. Die Kinder gehören ins Bett. Und ihr bewacht die mit eurem Leben!“, befahl er dem Vogeltrio. „Und wir schnappen uns jetzt die Mumie und statten deiner Mutter einen Besuch ab.“ Ich wollte etwas erwidern, war doch gar nicht klar, ob meine Mutter tatsächlich in diese Sache involviert war. Vielleicht steckte ja ein unbekannter Dritter hinter der Aktion. Der Gefangene im Kokon, den Kakashi nur als Mumie betitelt hatte, war noch gar nicht verhört worden. Auch fühlte ich mich von den Kinder trostgebend gebraucht. Mein Sohn war ein Sensibelchen, der schon Tränen in den Augen hatte, wenn er in der Wohnung eine Spinne totschlug. Nun hatte er einen Menschen durch sein Handeln schwerst verletzt. Garantiert ging ihm diese Erkenntnis durch Mark und Bein, wenn er sich dessen erst einmal bewusst wurde. Er bräuchte mich sicherlich an seiner Seite. Nein, meiner Meinung war ein Besuch bei meiner Mutter nicht so wichtig wie die Kinder. Den könnte man auch wie geplant am nächsten Morgen erledigen. Mein Mund formte schon das erste Wort eines Satzes, doch Tenzô berührte mich am Oberarm und schüttelte den Kopf. „Keine Chance, Nina“, warnte er mich. „Das kenn' ich schon von früher ...“ Eine geplante Mission lief aus dem Ruder und drohte zu scheitern. Eine gescheiterte Mission kam aber in Kakashis Weltbild nicht wirklich vor. Also wurde kurzum der Plan völlig über den Haufen geworfen und geändert. Wer jetzt nicht nach der Pfeife von Hokage-sama tanzte, würde es bitterlichst bereuen. Auch das Vogel-Trio musste mit dieser, mir bis dato absolut unbekannten Seite meines Freundes, schon oft Bekanntschaft gemacht haben. Die waren nämlich längst samt unserer Kinder von der Bildfläche verschwunden. Selbst ich konnte nur mit offenem Mund staunen, wie mein Freund wutentbrannt, aber mit eisigem Gesichtsausdruck, an mir vorbei stapfte. Die Augen so klein und schwarz... und so tot. Die Faust in der Tasche. „Komm' endlich!“, blaffte er los, dass mir das Blut in den Adern gefror. Still folgten Tenzô und ich. Mein Freund machte mir Angst. „Na los, ich nehm' dich mit...“, bot mir Tenzô seinen Arm an. Kurz darauf hüpften wir wieder durch die Wipfel. Die Mumie zogen wir an einer kurzen Liane hinter uns her. Na, in dem Kokon mochte ich nicht stecken. Das war sicherlich eine sehr ungemütliche Art des Reisens, weil der Kokon gegen sämtliche Hindernisse stieß, die auf unserem Weg lagen. Hoffentlich überlebte unser Gefangener die Reise überhaupt. Es hatte aufgehört zu schneien, und der Schnee glänzte noch jungfräulich rein im Schein der Straßenlaternen. Schnell erreichten wir mein Elternhaus und nur Sekunden später standen wir vor dem großen, schmiedeeisernen Tor, welches die Außenwelt vom Grundstück abschirmte. Die Bewegung hierher musste stressabbauend auf Kakashi gewirkt haben. Der stand nun wieder in seiner üblichen lockern Haltung vor dem Tore, blickte mir den Armen vor der Brust verschränkt durch die metallischen Stäbe und musterte neugierig den großen, grauen Kasten, der sich Luxusvilla nannte. Ich wagte nun doch einen neuen Versuch, meinen Freund von irgend welchen aberwitzigen Ideen abzubringen. Erfolglos. Ein Sprung über den Zaun besiegelte den Start zu neuen Abenteuern. Und zwei kleine Metalldrähte im Türschloss öffneten schneller als gedacht die Haustüre. Und plötzlich war ich wieder zuhause. Da stand ich nun mitten im Empfangssalon und wusste gar nicht, wohin ich nun gehen sollte, obwohl ich jede Nische kannte. Ich schaltete das Deckenlicht ein, damit wir hier wenigstens nicht wie ein paar dahergelaufenen Einbrecher wirkten. Sicherlich war meine Mutter schon zu Bett gegangen. Vermutlich hätte Lana wie eh und je ihre Räumlichkeiten im Westflügel bezogen. Ob sie ihren neuen Macker dabei hatte? Zumindest hatte sich wieder einmal ein ganz neues Gesicht an ihrer Seite präsentiert. Ein Gesicht, dass aller Wahrscheinlichkeit nach viel Geld verdiente und ausgetauscht wurde, wenn es nicht mehr erfolgreich und finanziell ruiniert war. Ich seufzte. Über unseren Köpfen klackte eine Tür. Schritte näherten sich. Unsere Ankunft war also doch bemerkt worden. Die ängstliche Stimme meiner Mutter fragte: „Hallo? Wer ist da?“ Und schon kam sie die Treppe herunter. Sie hatte sich einen Morgenmantel übergeworfen und trug ihre Haare zu einem strengen Dutt. Entweder schlief sie im Sitzen oder sie hatte doch noch nicht geschlafen. Jedenfalls war keine Strähne aus dem Dutt gelöst. Alles saß perfekt. „Meine Güte, Sherenina! Was soll der Auftritt? Es ist mitten in der Nacht!“ schnarrte die laute Stimme los, die mich einschüchtern sollte. „Und was sollen diese beiden Begleiter da? Das war doch wohl nur eine an den Haaren herbeigezogene Geschichte, die du da vorhin allen aufgetischt hattest.“ Sie funkelte mich böse an und sah in mir ein Krebsgeschwür, was es unbedingt zu beseitigen galt. Ich suchte nach den richtigen Worten, konnte sie aber auf die Schnelle nicht finden. Kakashi kam mir zuvor: „Einen schönen guten Abend!“ Selbstbewusst schnippte er mit den Fingern, worauf Tenzô die Mumie aus dem Geflecht vor aller Augen auf dem Samtteppichboden entrollte. Nun im Lichte entpuppte sich der Inhalt des Kokons als Erd-Reich-Shinobi. Männlich und noch keine zwanzig Jahre alt. Er lag wie leblos da. Nur seine flache Atmung zeugte vom letzten bisschen Leben in seinem jungen Körper. „Wir haben auf dem Heimweg etwas gefunden, was uns nicht gehört und wollten es nur anstandshalber zurückbringen!“ Die Augen meiner Mutter weiteten sich entsetzt auf Kuchentellergröße. Jede Reaktion ihrerseits musste nun wohlüberlegt sein, denn das Eis wurde für sie nun dünn und brüchig. „Was ist das denn hier für ein Lärm?“ wurde unsere Komödie um weitere zwei Darsteller bereichert. Lana stürzte herein und hatte tatsächlich das neue Gesicht an ihrer Seite mitgebracht. Beide erstarrten in ihrer Bewegung, wie sie von oben auf uns herabblickten und mich, zwei ANBU und einen Bewusstlosen unten im Eingangsbereich entdeckten. Wir mussten wohl wie Außerirdische vom anderen Stern ausschauen. Kakashi ließ sich jedoch nicht beirren und fuhr ungehindert fort: „Ihr Ambitionen, ihre Tochter als rechtmäßige Alleinerbin mit allen Mitteln aus dem Weg zu räumen, liegen klar auf der Hand. Welche Vertragspunkte sie mit der Yondaime Tsuchikage in Bezug auf das Attentatskommando ausgehandelt haben und wie sie geschäftlich zu ihr stehen, ist mir bekannt, aber gleichgültig. Fakt ist, dass sie aber unbedacht einen größeren Konflikt herbeigeführt haben, da sie selbst anscheinenden einen wichtigen Punkt vollkommen außer Acht gelassen haben...“ „Was erlaubt sich dieser …?! Wer ist das überhaupt, den deine Tochter dort angeschleppt hat?“ Aufgebrachte Zwischenrufe von der obigen Balustrade aus dem Munde des neuen Gesichts. Da Kakashi und Tenzô wieder ihre Holzmasken trugen, konnte dem Trio auf den oberen Rangplätzen noch kein Licht aufgegangen sein, wer dort unten im Flur gerade die Regeln aufstellte. Eine Schlingpflanze stopfte dem Freund meiner Schwester augenblicklich das Maul. Lana, die zuvor solch einen Zauber noch nie gesehen hatte, schrie entsetzt auf. Doch meine Mutter tat unbeeindruckt gefestigt. Dabei gruben sich ihre Fingernägel bereits tief in das Balustraden-Geländer ein, dass die Fingerknöchel weiß wurden. „Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit. Ihre Tochter hatte noch nicht die Zeit, uns miteinander bekannt zu machen“, sprach Hokage-sama und nahm tatsächlich seine Holzmaske ab. Eine Erscheinung sprach mehr als tausend Worte. Nun war selbst ich verblüfft. Von den Gesichtern oben auf der Balustrade ganz zu schweigen. Meine Mutter saugte tagtäglich genug Medien auf, um ganz genau zu wissen, dass Rokudaime dort leibhaftig in ihrem Hause stand. Und sie wusste auch nur zu gut, dass die Schlacht recht aussichtslos und verloren für sie war. Das sollte aber nicht heißen, dass sie kampflos nachgab. Noch lange Zeit später bombardierte sie unseren Briefkasten mit Anwaltsbriefen, die Kakashi jedoch stets ungeöffnet zerriss und in den Mülleimer warf. „Ich möchte nicht sagen, dass ich vorhin den Angriff auf mich und meine Familie als großes Politikum zwischen dem Erd-Reich und dem Feuer-Reich ansehen. Es ist eher etwas Persönliches. Ich will nicht nachtragend sein, doch sollten sämtliche Bemühungen ihrerseits, unser Privatleben zu beeinträchtigen nicht auf der Stelle enden, sehe ich mich dazu gezwungen für ihre Seite vernichtende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Ich denke, die Tsuchikage, zu der ich ein ausgezeichnetes Verhältnis habe, wird mir da ganz klar zustimmen. Des Weiteren werden ab sofort sowieso sämtliche Entscheidungen über die Stahlfirma einzig und allein von unserer Seite her getroffen werden. Und nun, entschuldigen sie den späten Besuch. Sie werden von uns in den nächsten Tagen hören. Ich empfehle mich.“ Damit machte Hokage-sama auf dem Absatz kehrt und stiefelte aus dem Flur wie der Allmächtige persönlich. Ebenso glotze man ihm auch nach. Man merkte, dass mein Freund sich ein Jahrzehnt lang auf der politischen Bühne herumgetrieben hatte. Er fand einfach immer die perfekten Worte und legte die besten Auftritte hin. Da brauchte man nichts mehr ergänzen. Tenzô löste noch das Rankengeflecht auf, dann zogen ich mit ihm in Hokage-samas Schatten hinterdrein. Draußen im parkähnlichen Vorgarten stoppte Kakashi, steckte wie so üblich seine Hände in die Hosentasche und atmete einmal tief durch. „Bist du zufrieden?“, fragte er mich. „Argh, ich bin total durcheinander. Können wir eine Nacht darüber schlafen?“ Ich rieb mir den Schädel, der unter den vielen Eindrücken zu platzen drohte. „Klar!“ Diesmal hüpften wir nicht über die Dächer, sondern schlenderten durch die Straßen des Ortes. In einer Seitengasse räumte gerade ein Wirt seine Kneipe auf. Während er die Stühle hochstellte, war er abgelenkt und merkte nicht, wie Tenzô durch das Fenster einen langen Holzarm wachsen ließ und sich eine Sakeflasche vom Tresen stibitzte. Ich fand das großartig. Von Kakashi gab es einen Tadel. Spielverderber! Der Flascheninhalt ging trotzdem durch Drei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)