Secrets von Lenya_C_Sharizardon ================================================================================ Kapitel 12: Nugget Bridge ------------------------- Ich stattete dem Pokémon-Center einen kurzen Besuch ab, um mein Team wieder aufzupäppeln. Sie hatten nicht übermäßig Schaden genommen, weder durch den Kampf gegen Red noch gegen Misty. Doch es konnte auch nicht schaden, sie einmal untersuchen zu lassen. Nun hatte ich erledigt, weshalb ich überhaupt in die Stadt gekommen war. Also blieb mir nur noch mein alter Freund, der oben am Ende der Route nördlich von Azuria City, im sogenannten Haus am Kap, lebte. Und dorthin machte ich mich auf den Weg. Doch ich war kaum am Ende der Stadt angelangt, da wurde ich auch schon wieder aufgehalten. Es war Green. "Hey, wieder zurück?" "Hey, Rei", sagte Green lässig und blieb stehen. " Du bist also unterwegs zur Route 24?" Ich nickte. "Sieht ganz danach aus. Du gehst wahrscheinlich in die Arena, nicht wahr?" "Na sicher! Schließlich muss ich mir doch meinen nächsten Orden abholen. Durch das Training mit Red in den letzten Tagen dürfte ich ja gut vorbereitet sein. Zumal ich ein neues Pokémon bekommen habe." "Ach, tatsächlich? Dann lass mal sehen." Green grinste. "Ist das eine Herausforderung?" "Wenn du so willst", grinste ich zurück und zog Karpadors Pokéball. "Ich muss schließlich auch noch meinen neuen Partner trainieren, da kommst du mir ganz gelegen." "Na dann lass uns loslegen!" Wir waren wohl beide Feuer und Flamme. Green war voller Tatendrang und ließ mich nicht im Geringsten daran zweifeln, dass er sich für den Besseren von uns hielt. Er hatte wirklich ein verdammt großes Ego. Aber auch ich hatte Freude an Kämpfen gefunden, und ich wollte auf keinen Fall verlieren. Jetzt, wo sowohl Fukano als auch Bisaknosp antrainiert waren und zumindest ein paar brauchbare Attacken beherrschten, hatten wir auch eine realistische Chance. Auch wenn ich mir darüber im Klaren sein musste, dass Green absolut nicht zu unterschätzen war. "Auf geht's!" Er warf sein erstes Pokémon in den Kampf. Sein Taubsi hatte sich inzwischen zu Tauboga entwickelt. Ich rief Karpador gleich nach seinem Einsatz wieder zurück und wechselte Fukano ein. "Sandwirbel!" Bevor ich den ersten Befehl geben konnte, hatte Tauboga schon mit den Flügeln geschlagen und den Sand auf dem Boden aufgewirbelt, der seinem Gegner ins Gesicht flog. "Mach deine Augen zu!", rief ich sofort. Fukano wandte den Kopf ab und kniff die Augen zusammen, sodass er nicht viel abbekam. Ich hasste solche Attacken! "Biss!" "Sandwirbel!" Tauboga war einfach zu schnell. Wieder schlug es kräftig mit den Flügeln und schleuderte Fukano den Sand direkt ins Gesicht, und als er lostürmte, verfehlte er seinen Gegner knapp. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte, Greens selbstgefälliges Grinsen zu ignorieren. "Konzentriere dich, Fukano! Du hast noch andere Sinne, mit denen du Tauboga ausmachen kannst. Setz Glut ein!" "Ruckzuckhieb, Tauboga." Tauboga griff blitzschnell an und Fukano wurde getroffen, doch er hielt der Attacke stand und setzte zu seiner eigenen an. Die Glut traf Tauboga und es flog zurück, um sich vor weiterem Schaden zu bewahren. "Gar nicht so übel", gab Green zu, verlor dabei aber kein Stück seines Selbstvertrauens. "Noch einmal Ruckzuckhieb!" "Glut, Fukano!" Diesmal stürmten beide fast gleichzeitig los. Tauboga war zwar viel schneller als Fukano, doch er hatte so blitzschnell reagiert, dass sein Gegner geradewegs in seine Attacke hineinflog. Es war eine gute Idee gewesen, mit jedem Training an Fukanos Sinnen zu arbeiten. Wenn es seine Augen nicht einwandfrei benutzen konnte, blieben ihm immer noch sein ausgeprägter Geruchsinn und sein gutes Gehör. So einfach würden wir nicht aufgeben. Tauboga war inzwischen unheimlich geschwächt. Es war nun nur noch eine Frage der Zeit, bis ich es zu Boden zwingen würde. Ein letzter Angriff, ein Treffer, und Pokémon Nummer eins würde besiegt sein. Wir durften nur keinen Fehler machen. "Tackle, Tauboga!" "Noch einmal Glut!" Doch es entging mir nicht, dass sich Greens Blick ein Stück weit veränderte. Als ob er etwas wusste, von dem ich nichts ahnte. Tauboga stürzte sich auf Fukano, der sofort seine Glut einsetzte, doch Tauboga flog geschickt an ihr vorbei und traf seinen Gegner mit voller Kraft. Ich starrte die beiden an. Beeindruckend. Anscheinend hatten die beiden bereits eine tiefere Verbindung, als ich ahnte. Fukano steckte den Angriff ein und ging erneut in seine Kampfposition. Es wandte den Kopf, um meinen Befehl zu hören, doch ich sagte einen Moment lang nichts. Green war das perfekte Vorbild für das, was ich mit meinem wahren Partner vorhatte. Fukano sollte es sich auch zum Vorbild nehmen. "Warte ab, Partner", sagte ich leise, aber bestimmt. "Früher oder später wird er angreifen müssen. Und dann wirst du das tun, was du am besten kannst." Fukano gab ein kurzes, lautes Bellen zurück, das mir sagte, dass er verstanden hatte. Wir warteten ab. "Tackle!", befahl Green seinem Pokémon und es stürmte erneut los. "Noch nicht. Warte." Tauboga erreichte seinen Gegner, und in diesem Moment biss Fukano zu. Die Attacke hatte getroffen. Unter einem lauten Schrei stürzte Tauboga ab und fiel zu Boden. Green rief es sofort zurück. Doch er war immer noch recht amüsiert. "Das machst du wohl gerne, was?" Ich grinste mit abgewandtem Blick. "Das müsstest du doch wissen. Schließlich hast du mich jetzt schon bei mehreren Kämpfen beobachtet." "Hm." Es schien ihn tatsächlich amüsieren. Er sagte nichts weiter dazu und schickte sein nächstes Pokémon in den Kampf. "Los, Schillok!" Ich holte Fukano zurück, griff erneut zu Karpador, um ihm ein paar Erfahrungspunkte zu bescheren, und wechselte dann Bisaknosp ein. Ich wolle unbedingt, dass Karpador etwas lernte und sich so schnell wie möglich entwickeln konnte. Schließlich … war seine Weiterentwicklung ein recht gutes Pokémon. Der einzige Nachteil dieser Methode war bloß, dass sie mich jedes Mal einen Zug kostete. "Greif mit Tackle an, Schillok!" Bisaknosp kam gerade in den Kampf, da wurde es auch schon getroffen. Doch so eine leichte Attacke würde es locker einstecken, da war ich mir sicher. "Rasierblatt!" "Panzerschutz!" Schillok erhöhte seine Verteidigung und steckte die Attacke recht gut ein. Es war immer noch topfit. Durch die Weiterentwicklung war es offensichtlich noch stärker geworden und nur noch schwieriger für uns, es zu besiegen. Doch inzwischen hatte ich auch ein Pokémon, das ihm gegenüber im Vorteil war, ganz im Gegensatz zu unserem ersten Kampf. "Hör nicht auf, Bisaknosp! Bombardiere es mit Rasierblatt!" Es dauerte. Green erhöhte ständig Schilloks Verteidigung und ließ es bei Gelegenheit angreifen, sodass Bisaknosp immer wieder ein wenig Schaden nahm, jedoch kaum etwas bewirkte. "Egelsamen!", rief ich schließlich, als mir dieser Gedanke kam. Wenn Schillok ihm seine Kraft raubte, dann musste Bisaknosp sie sich eben zurückholen. Die Attacke traf. Schillok wurde bepflanzt, und Bisaknosp absorbierte seine Energie. "Verdammt, daran habe ich nicht gedacht", gab Green zu, verlor jedoch nachwievor nicht die Fassung. "Mach weiter, Schillok!" Doch jetzt war es zu spät. Die Schmarotzer-Attacke schadete Schillok und füllte die KP seines Gegners ganz allmählich wieder auf. Währenddessen griff Bisaknosp immer wieder an, und zwang Schillok letztendlich zu Boden. Den härtesten Gegner hatten wir also auch besiegt. "Du hast dazugelernt", sagte Green und ging zu seinem nächsten Pokémon über. "Dafür werde ich dir jetzt etwas zeigen. Ich habe es noch nicht antrainiert, deswegen kann es auch keine wirklichen Attacken. Aber du solltest es zumindest einmal sehen. Los geht's!" Er warf den Ball und das Pokémon im Innern offenbarte sich. Ich hatte bereits schon mal ein solches gesehen, da unter anderem meine Großmutter eines besessen hatte. Es war ein Abra. "Ein Psycho-Pokémon", bemerkte ich und nickte anerkennend. "Nicht schlecht. Mit ein bisschen Training kann daraus etwas werden. Aber nimm es mir nicht übel, wenn ich es gleich besiege. Rasierblatt!" "Teleport!" Tatsächlich ließ sich sofort auf den ersten Blick erkennen, dass Abra noch trainiert werden musste. Scheinbar beherrschte es bisher nur diese eine einzige Attacke, und die schlug fehl. Rasierblatt traf und Abra konnte ihm nicht einmal standhalten. Jetzt war nur noch ein einziges Pokémon übrig. "Gut, hier kommt mein letztes!", rief Green mit sicherer Stimme und warf den letzten Ball, den er noch übrig hatte. "Los, Rattfratz!" Und wieder wechselte ich zuerst zu Karpador und schließlich zu Fukano. "Hyperzahn!" "Biss!" Doch mir fehlte die Zeit, um Fukano rechtzeitig zum Angriff zu bringen. Er steckte die Attacke unter lautem Gejaule ein, biss dann selbst zu und ließ Rattfratz zurückschrecken. "Ruckzuckhieb!" "Glut, Fukano!" Die Feuer-Attacke hatte mit voller Wucht getroffen. Rattfratz flog zurück zu seinem Trainer und rappelte sich auf, den Blick angriffslustig auf Fukano gerichtet. "Sehr gut, Rattfratz! Noch einmal Hyperzahn!" "Biss, Fukano!" Zwei erneute Angriffe, die beinahe aufeinanderprallten. Eigentlich konnte ich kaum hinsehen, doch ich zwang mich dazu. Ein Pokémon-Kampf beinhaltete immer eine gewisse Gewalt. Und wenn ich das nicht akzeptieren konnte, war ich nicht für das Trainer-Leben gemacht. Ich vernahm ein wütendes Knurren. Fukano stand. Rattfratz auch, doch auf sehr wackeligen Beinen. Die beiden starrten sich an, als warteten sie darauf, dass einer blinzelte. Und dann brach Rattfratz zusammen. Green rief es zurück und fasste sich an den Kopf, doch er lächelte. "Verdammt. Ich hätte echt gedacht, ich krieg das hin." "Offenbar nicht." "Hey, schon gut!" Du hast gewonnen, ich seh's ein. Ich bin trotzdem der Beste." "Natürlich bist du das", grinste ich, als ob ich tatsächlich nicht den geringsten Zweifel daran gehabt hätte, und holte Fukano zurück. Green musterte mich abschätzend. "Ich glaube, das wird noch eine spannende Reise, Rei. Ich würde später gern wieder gegen dich kämpfen. Ich würd gerne wissen, wie sich deine Pokémon entwickeln." "Ich bin dabei. Es würde mich auch interessieren, wie du dich mit deinem Team entwickelst." "Na dann wir uns ja einig." Ich nickte. Und Green machte Anstalten, davon zu gehen. Doch als er direkt an mir vorbeikam, hielt er noch einmal kurz inne. "Soll ich dir was verraten? Ich war bei Bill und habe mir seine seltenen Pokémon zeigen lassen. Die Einträge im Pokédex waren mir zwar nicht sonderlich wichtig, aber es kann nie schaden, sie zumindest gesehen zu haben. Bill ist weltweit als Pokémaniac bekannt, er hat schließlich auch das Pokémon-Lagerungssystem für den PC entwickelt. Red sollte sich wohl bei ihm dafür bedanken, er wird es brauchen." "Soll ich dir auch mal was verraten?", erwiderte ich kaum merklich grinsend. "Bill ist ein alter Freund von mir. Und ja, er ist verdammt genial." "Verstehe." Und er ging weiter davon. "Na ja, ich hau ab. Mach's mal gut!" "Bis später", rief ich ihm nach und machte mich ebenfalls wieder auf den Weg. Um zum Haus am Kap zu kommen, wo Bill lebte, musste ich eine Brücke überqueren. Eine Brücke, die schon vom ersten Anblick voller Pokémon-Trainer war. Ich kannte diese Blicke allmählich sehr gut. Wenn ich an ihnen vorbeigehen würde, dann würden sie mich zweifellos in einen Kampf verwickeln. Doch es gab nur diesen einen Weg, da musste ich durch. Ich seufzte, und betrat schließlich die Brücke. Ich war kaum ein paar Schritte weit gekommen, da rief auch schon der erste: "Hey, bleib stehen! Das hier ist die Nugget-Brücke! Wenn du uns fünf Trainer besiegst, erhältst du einen wertvollen Preis. Willst du dein Glück versuchen?" "Na wenn das so ist", erwiderte ich und zog Karpador hervor. Was kümmerten mich ein paar Kinder, die mich zum Kampf herausfordern wollten? Ich hatte inzwischen schon genügend lausige Trainer besiegt, um sagen zu können, dass ich auch mit diesen hier fertigwerden würde. Ich behielt das Prinzip tatsächlich bei, Karpador immer zuerst in den Kampf zu schicken und dann Fukano oder Bisaknosp einzuwechseln. Zumal Raupy und Hornliu keine wirklichen Gegner für uns waren. Eine Glut-Attacke reichte aus, um sie zu besiegen. Und nicht anders war es bei den nächsten Trainern, von denen offenbar jeder glaubte, mich besiegen zu können. Doch ich kam mit meinen Partnern an Taubsi, Nidoran ♀, Rattfratz und auch Rettan und Zubat vorbei, ohne dass einer von ihnen groß Schaden nahm. Und nebenbei konnte Karpador ein paar Erfahrungspunkte ergattern. Ich würde froh sein, wenn es sich endlich entwickelte… Schließlich besiegten wir noch zu guter Letzt ein Menki, und endlich erreichten wir das Ende der Brücke. Jetzt wollte ich zumindest meinen Preis dafür haben. Ich schritt langsam von der Brücke herunter. Und mein Blick fiel gleich auf den Mann, der dort am Ende stand und mich mit verschränkten Armen musterte. Ich konnte es nicht ganz deuten. Doch auf mich wirkte er recht beeindruckt, auch wenn er es vielleicht nicht zugeben wollte. "Herzlichen Glückwunsch!", sagte er und hob den Kopf. "Du hast alle fünf Trainer besiegt. Du hast einen großartigen Preis gewonnen! Hier, bitte." Er streckte mir etwas hingegen. Ein wenig skeptisch musterte ich den Mann, doch dann nahm ich ihm das Geschenk ab. Es war ein Nugget. Daher also der Name Nugget-Brücke. Eigentlich war dieses Item völlig nutzlos, doch ich konnte es sicher für viel Geld verkaufen. Und Geld war nie sonderlich verkehrt, besonders, wenn man auf Reisen war. Also steckte ich es in meinen Rucksack. "Möchtest du auch Mitglied des Team Rocket werden?" Ich erstarrte Augenblicklich. Mein sonst einfach nur ernster und starrer Blick wechselte schlagartig zu Wut. "Aha. Daher weht also der Wind." "Heißt das, du kennst Team Rocket?" "Ja", sagte ich zähneknirschend. In diesem Moment hätte ich ihm das Nugget gerne an den Kopf geworfen. Ich war mir nicht sicher, ob er meine Haltung zu verstehen wusste. "Das ist sehr gut! DU bist ein starker Trainer, und das könnte uns wirklich nützen. Möchtest du beitreten?" "Im Leben nicht." "Wie bitte?" Ich zog Fukanos Pokéball und hielt ihn wutentbrannt in die Höhe. "Den Teufel werde ich tun, mich einer Verbrecherbande anzuschließen. Schließlich habe ich noch einen Funken Stolz und Ehre! Ich werde sicher kein Team Rocket-Mitglied." "Wirklich nicht?" "Nein." "Komm schon, werde Mitglied!", flehte der Mann und legte bittend die Hände zusammen. "Ich empfehle dir, ein Mitglied zu werden!" "Das ist mir egal." "Hm." Jetzt veränderte sich sein Blick von etwas Flehendem zu etwas eher Bedrohlichem, das mich jedoch nicht einschüchtern konnte, auch wenn er es offenbar gern versuchte. "Ich glaube, ich sollte ein wenig Überzeugungsarbeit leisten! Dieses Angebot kannst du nicht ablehnen!" "Hey!" Wir wandten beide die Köpfe. Und zu meiner großen Überraschung war es Red, der nicht weit von uns entfernt stand und uns zugerufen hatte. Im ersten Moment machte er einen selbstbewussten Eindruck, doch als der Rüpel sich ihm ebenfalls zuwandte, entwich seinem Gesicht wohl ein wenig die Farbe. "Du schon wieder!", rief der Rüpel empört. Doch Red fasste sich, kam zu uns rüber und sah ihn wütend an. "Hast du nichts anderes zu tun?!" "Hey, Red", sagte ich im Vergleich relativ freundlich und hob die Brauen. "Gibt es eine Erklärung dafür?" Red blickte recht finster drein und deutete auf den Rüpel. "Der hier versucht schon die ganze Zeit, Mitglieder für Team Rocket zu gewinnen. Ich hab eben schon gegen ihn gekämpft und ihn besiegt, aber scheinbar hört er einfach nicht auf." "Ist das so, ja?" Ich wandte mich mit durchdringendem Blick wieder an den Rüpel, der jetzt vor uns zurückwich und abwehrend mit den Händen wedelte. "Ihr müsst das verstehen! Ihr wärt verdammt gut für das Team Rocket, alle beide! Bei eurem Können würdet ihr sicher ganz einfach die rechte Hand vom Boss werden!" "Wer ist euer Boss?!", fragte ich ihn und packte ihn am Kragen seiner schwarzen Uniform. Er schrie auf, wohl weil ich selbst für mein Alter einen ziemlich festen Griff hatte und zudem auch noch den Pokéball in der Hand hielt, und schüttelte heftig den Kopf. "Vergiss es, Kleine. Das werde ich dir nie sagen." "Na dann nicht." Ich ließ ihn los und warf den Pokéball. Fukano sprang auf die Beine und knurrte. Wieder schrie der Rüpel auf. "Wah! Ist ja gut, ich komme euch nicht mehr in die Quere." "Beiß zu, Fukano." Fukano stürzte sich auf den Rüpel, der unter erneutem, verängstigten Aufschreien schließlich losrannte. Wir sahen zu, wie Fukano ihn über die Brücke jagte, bis er schließlich verschwand. Ich atmete tief durch. "Himmel, einer der vielen Gründe, warum ich Menschen nicht leiden kann." Red blinzelte. "Was ist?" "Du lässt Fukano einen Menschen angreifen?" Ich schenkte ihm einen skeptischen Blick. "Du glaubst doch nicht wirklich, dass Fukano ihm ernsthaft was antut? Er sollte ihm bloß etwas Angst einjagen, sonst nichts. Siehst du, da kommt er wieder zurück. Ach, und übrigens: das war mutig von dir. Hätte ich dir gar nicht zugetraut." Fukano kehrte zu mir zurück, und da wir sowieso nun schon zu zweit waren, gingen Red und ich den Weg zusammen. Er wollte ohnehin auch mal bei Bill vorbeischauen, daher passte es ziemlich gut. Wenig später erreichten wir das Haus am Kap. Endlich. Es musste schon ewig her gewesen sein, dass ich das letzte Mal hier gewesen war. "Worauf wartest du?", fragte Red ein wenig unsicher, während er mich musterte, wie ich einfach nur vor der Tür stand und an dem kleinen Haus hinaufsah. Ich lachte leicht auf. "Auf gar nichts. Ich musste mich nur an früher erinnern." Solange Professor Ōkido nicht in meinen Erinnerungen auftauchte. Leider war das nämlich auch der Tag gewesen, an dem ich diesen Verrückten kennengelernt hatte. Und diese Begegnung reichte für den Rest meines Lebens. "Gehen wir", sagte ich, und öffnete die Tür. Wir betraten das Haus und sahen uns erst einmal um. Doch es schien niemand hier zu sein. Fukano sauste an uns vorbei, drehte eine Runde durch den Raum und blieb schließlich mit schräg liegendem Kopf und verwirrten Gesichtsausdruck vor etwas stehen, das aussah wie ein Pokémon. "Was zum - ?" Auch Red schien verwirrt. "Ein … Rattfratz?" Ich seufzte. Ich hatte schon so eine Vorahnung, wieso Fukano so verwirrt war. Ich ging um das Pokémon herum und hockte mich auf den Boden. "Na, ist da wieder was schiefgegangen, alter Freund?" "In der Tat", antwortete das Pokémon geknickt. Red schrie auf und stolperte rückwärts. "Es - kann sprechen?!" "Natürlich kann ich sprechen!", kam eine empörte Antwort und er wandte den Kopf. "Ich seh zwar gerade furchtbar aus, aber … nein, ich bin kein Pokémon! Nenn mich einfach Bill." "Okay?" "Ja! Ich bin ein waschechter Pokémaniac! Du glaubst mir nicht, oder?" Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Ich spürte, wie sich alle Blicke auf mich richteten, während ich mich nach hinten fallenließ und für wenige Sekunden einfach nur dasaß und lachte. "Bill, was hast du angestellt? Du siehst echt furchtbar aus!" "Mir ist ein Experiment missglückt", erklärte er und kratzte sich am Kopf. "Dabei wurden meine Zellen mit denen eines Pokémon kombiniert. Ihr seht ja, was dabei rausgekommen ist … es ist schrecklich. Wie sieht es aus, helft ihr mir?" "Na sicher doch", sagte ich zwinkernd und stand auf. "Einem alten Freund kann ich doch keinen Wunsch abschlagen, erst recht nicht in so einer Situation. Also, was sollen wir tun?" "Ich danke euch!", rief Bill glücklich und sah dankbar von einem zum anderen. "Also, ich gehe in den Teleporter, und einer startet das Zellteilungsprogramm von meinem PC. Alles klar?" "Das sollten wir hinkriegen", meinte Red und ging zum PC hinüber. "Ach, das ist ja einfach. Okay, dann kann es losgehen." "Bitte sehr", sagte ich und wies ausladend auf den Teleporter. Bill hüpfte hinein und ich schloss die Tür hinter ihm. Durch sie hindurch hörte ich seine dumpfe Stimme dringen: "Okay, ihr könnt jetzt loslegen!" Ich nickte Red zu, der sich an den Computer wandte. Er startete das Programm, während ich lässig dastand und zusah und mich gar nicht groß über die Geräusche des Apparats wunderte. Ich hoffte nur, dass es auch tatsächlich funktionierte. Doch die Sache ging gut aus. Die Geräusche des Teleporters erstarben und vor uns trat der leibhafte Bill, so wie ich ihn kannte, aus der anderen Tür. "Ah, schon viel besser! Danke, Leute! Ihr habt echt was bei mir gut." Red und ich kamen auf ihn zu, und Fukano blickte nun um einiges weniger verwirrt drein. Er hatte wahrscheinlich von Anfang an gemerkt, dass Bill kein echtes Pokémon war. "So!", rief Bill plötzlich, klatschte in die Hände und sah nun um einiges besser gelaunt in die Runde. "Freut mich erst mal, dich zu sehen, Rei! Wie geht's deiner Großmutter?" "Ganz gut", gab ich zurück. "Sie ist immer noch in Saffronia City, ich bin allein hergekommen. Ich bin inzwischen selbst auf Reisen. Wie geht's deinem Vater?" "Auch sehr gut, er ist aber gerade noch unterwegs. Schade, dass deine Großmutter nicht auch kommen konnte, leider sieht man sich so selten. Aber cool, dass du auch auf Reisen bist. Ich nehme an, es ist wegen - ?" "Ja, unter anderem." Ich versetzte ihm einen Blick, der ihm klarmachte, dass ich über das Thema nicht sprechen wollte. Es wäre etwas anderes gewesen, wäre ich allein gekommen. Denn Bill kannte ich schon eine ganze Weile, und er wusste auch von meiner Geschichte. Aber gegenüber Red wollte ich das Thema nicht ausbreiten. "Hey, ihr könnt euch meine Pokémon-Sammlung ansehen!", warf Bill plötzlich ein und eilte hinüber zu seinem PC. "Hier, schaut euch die mal an." Neugierig ging Red auf ihn zu, ich folgte ihm. Bill tippte auf seiner Tastatur herum und deutete schließlich auf den Bildschirm, um uns Bilder seiner Pokémon zu zeigen. "Hier, die hab ich erst neulich untersucht." "Was ist das?", fragte Red und besah sich die Pokémon näher. Ich hatte sie schon mal gesehen. "Die Weiterentwicklungen von Evoli. Aquana, Blitza und Flamara." "Gleich drei verschiedene Entwicklungen?" Red war sichtlich fasziniert. Bill nickte stolz. "Ja, Evoli ist ein besonderes Pokémon. Es kann sich unterschiedlichen Bedingungen anpassen, und demnach ändert sich auch seine Gestalt bei der Weiterentwicklung. Inzwischen besitze ich sie alle." "Wow…" Red schien beinahe am Bildschirm zu kleben, während ich Bill einen vielsagenden Blick zuwarf. Dann sagte er: "Hey, wenn ihr beide auf Reisen seid, dann hab ich sogar was, das euch vielleicht interessieren könnte!" "Ach ja?" Ich hob skeptisch die Brauen. Bill kramte in seiner Hosentasche und zog zwei Tickets hervor. "In Orania City ankert ein großes Kreuzfahrtschiff, die M.S. Anne. An Bord befinden sich nur Trainer, das wäre vielleicht eine gute Herausforderung für euch." "Cool, danke", sagte ich und nahm die Tickets entgegen. "Aber willst du nicht hin?" Bill schüttelte den Kopf. "Nein. Sie haben mich zwar zu dieser Party eingeladen, aber ich mag so viel Trubel nicht. Und da ich ohnehin zwei davon habe, wäre das für euch ja perfekt." "Klar, wieso nicht." Red nahm zunächst keinerlei Notiz davon. Er war so auf die Pokémon fixiert, dass es eine ganze Weile dauerte, bis ich wieder seine Aufmerksamkeit erhielt und ihm die Tickets zeigte. Er freute sich, fühlte sich allerdings auch ein wenig schlecht dabei, dass wenn er mitkam, Green keine Karte bekommen konnte. Doch er willigte schließlich ein. Ich konnte sehr überzeugend sein. Wir plauderten noch eine Weile über Pokémon, was Red natürlich unheimlich faszinierte, verabschiedeten uns gegen Nachmittag von Bill und verließen das Haus. Draußen an der Luft atmete ich erst einmal tief durch. "Hach, ein herrlicher Tag, findest du nicht? Red? Hey, was ist?" Red machte ein ziemlich nachdenkliches Gesicht. Dann riss er plötzlich die Augen auf und starrte mich an. "Was ist denn mit dir los?" "Sag mal … hast du Green eigentlich getroffen?" "Ja, hab ich", gab ich achselzuckend zurück. "Unten an der Brücke. Wir haben gekämpft, er ist wieder in Richtung Stadt und ich bin die Brücke entlanggegangen und hab da gegen die Trainer gekämpft und schließlich dich getroffen. Wieso?" "Weil … das bedeuten könnte, dass Green bereits vor uns hier war." "Und?" "Rei, Bill war seit diesem Missgeschick die ganze Zeit ein Pokémon, schon während Green auf dieser Route war. Glaubst du … er hat was damit zu tun? Oder meinst du, er ist einfach reingegangen, hat sich die Pokémon angesehen, und ist wieder verschwunden?" Ich blinzelte. Doch so abwegig war dieser Gedanke gar nicht. Wenn Bill das Experiment schon vorher missglückt und er die ganze Zeit ein Pokémon gewesen war, dann war die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Green ihm während seiner Gestalt als Pokémon begegnet war. "Denkst du echt, er hat sich die Pokémon angesehen, Bill ignoriert, und ist dann einfach wieder gegangen?" Wir starrten uns einen langen Moment lang an. Dann blinzelten wir beide. "Nein, das trau ich ihm nicht zu … ich kenn ihn schon lange, sowas würde er nicht tun …" "Denk ich auch, so fies ist er nicht." "Stimmt, er kann recht gemein sein, aber sowas tut er nicht. Niemals." "Es sei denn … er wusste, dass du kommen und ihm helfen würdest?" "Was?" Red sah schockiert auf. Doch ich schenkte ihm bloß ein Lächeln, wandte mich ab und machte mich davon, auf dem Weg zurück in die Stadt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)