Secrets von Lenya_C_Sharizardon ================================================================================ Prolog: A trainer's life ------------------------ Pokémon-Trainer. Was für eine idyllische Karrierevorstellung für ein elfjähriges Kind, das noch nichts von der Welt gesehen hat und bloß davon träumt, eines Tages jemand Großes zu sein. Man hätte die besten Freunde der Welt an seiner Seite, würde neue Orte besuchen, tolle Menschen kennenlernen, um mit ihnen seine und ihre Erfahrungen zu teilen und würde dabei vielleicht auf den ein oder anderen Schatz stoßen. Welch eine tolle Vorstellung. Es musste doch ein großartiges Gefühl sein, anderen Trainern zu begegnen und sie zum Kampf herauszufordern. Was gab es schöneres als einen richtig guten Kampf. Neue Pokémon, neue Attacken, vielleicht etwas, das man sich abgucken konnte. Und wenn man sie besiegte, kassierte man das Geld und zog weiter, bis man schließlich stark genug war, um in den Arenen anzutreten. Man würde einfach nach und nach alle Orden der Region einsammeln, schließlich zur Liga gehen und die Top Vier besiegen. Und schon war man Champ. Einfach, nicht wahr? Von wegen. Ich hoffe, ich muss euch nicht wirklich sagen, dass das wahre Leben eines Pokémon-Trainers völlig anders aussieht. Es war und ist nichts idyllisch daran, Tag für Tag durch diese verlassene Welt zu laufen, ohne zu wissen, was einen erwartet, in tiefsten Wäldern herumzuirren, in denen man sich nicht mal auskennt und die ganze Nacht dort zu campieren, bis der Morgen anbricht, irgendwann hoffentlich fremde Städte zu betreten, in denen eine Gestalt zwielichtiger ist als die andere, einen Unterschlupf für die Nacht zu finden, der meist auch bezahlt werden will. Und wie kommt man an Geld? Indem man andere Trainer herausfordert und sie mit einem Sieg ihres verdienten Geldes beraubt. Genauso kann es einem passieren, dass man selbst den Kampf verliert und sein eigenes Geld dem anderen übergeben muss, ohne zu wissen, wie man den nächsten Tag überstehen soll. So laufen die Dinge nun mal. Wenn man Glück hat, findet man vielleicht ab und zu etwas Wertvolles, das man in den kleinen Läden der Städte für etwas Geld verkaufen kann. Damit dürfte man dann wieder ein paar Tage über die Runden kommen. Ein bisschen Essen, Futter für die Pokémon, vielleicht ein Bett für die Nacht. Da überlegt man sich dreimal, ob sich die eine oder andere TM wirklich zulegt oder doch lieber etwas anspart, um noch ein bisschen länger über die Runden kommen zu können. Dabei sollte man nicht vergessen, dass auch die erschöpften Pokémon Hilfe brauchen, schließlich sind sie es gewesen, die einen die ganze Nacht vor ihren wilden Artgenossen schützten. Treue Freunde, die einem eigentlich nur das Überleben sichern. Doch wer tut das für sie? Etwa ihr Trainer? Wohl kaum. Ein Mensch wäre wohl kaum in der Lage, ein Pokémon vor einem anderen zu schützen. Der Mensch sollte endlich aufhören, sich einzubilden, er sei besser als jedes andere Geschöpf auf der Welt. Der Mensch ist das einzige Geschöpf auf der Welt, das ohne jede Rücksicht auf Opfer bloß am Profit interessiert ist und beinahe nichts auslässt, um sich weiter hochzuarbeiten. Das gilt auch für die Pokémon-Trainer, die tagtäglich weiterziehen, um einen nach den anderen zu schlagen, sich sein Geld einzustecken und mit der Erfahrung den nächsten herauszufordern, nur um am Ende so viele besiegt und davon profitiert zu haben, dass man irgendwann an der Liga teilnehmen kann. Wer sieht denn noch bitte die wirkliche Erfahrung, die das mit sich bringt? Für die meisten ist das doch bloß mehr Geld, ein paar Erfahrungpunkte und der beste Weg zum Levelaufstieg. Sie sollten eher mal drauf achten, ihre Pokémon richtig zu trainieren, anstatt sie bloß aufzuleveln, oder einfach ihren Mund halten und aufhören, sich darüber zu beschweren, warum sie auf gleichem Level dennoch haushoch verloren haben. Ja, manchmal hasse ich sie. Und manchmal hasse ich es, dass ich selbst ein Trainer bin und mich eigentlich zu dieser niederen Gesellschaft dazuzählen muss. Doch ich hatte nun mal meine Gründe. Persönliche Ziele. Ich hatte nie ein Interesse daran, der Champ der Pokémon-Liga zu werden, diesen verdammten Pokédex zu füllen, den Ōkido zu der Zeit entwickelte, und ich hatte auch nie vor, die Heldin zu sein. Das will ich heute noch nicht. Ich will einfach nur, dass endlich alle Geheimnisse aufgedeckt sind, dass sie entsprechend geschützt werden und die kriminellen Machenschaften gewisser Teams niemandem mehr Schaden zufügen. Und wenn ich das nicht erreichen und verhindern kann, dann soll es wer anders tun. Jemand, der dieser Aufgabe würdig ist. Und ich würde es wissen, wenn ich dieser Person begegne. Bis dahin bleibt mir nur die Möglichkeit, weiter im Geheimen zu forschen und die Polizei zu unterstützen, um nach und nach alle Verbrecher dieser Welt ihrer Strafe zuzuführen. Das ist das Mindeste, was ich noch tun kann. Kapitel 1: A few years ago... ----------------------------- Es klopfte an der Tür. "Rei? Rei-Schatz, bist du da? Hörst du mich?" Ja. Ich höre dich. Aber ich will nicht antworten. Ich erinnere mich immer noch an meinen ersten Tag, als wäre es gestern gewesen. Es ist alles da in meinem Kopf, die Bilder vor meinen Augen, die Geräusche in meinen Ohren. Ich war etwa elf, fast zwölf, und lebte allein mit meiner Großmutter in Saffronia City. Sie war wie eine Mutter für mich. Nein, sie war mehr als das. Sie war meine ganze Familie. Alles, was ich noch hatte. "Rei, mein Liebes! Du musst aufstehen!" Langsam regte ich mich. Ich war doch noch so müde, warum wollte sie, dass ich aufstehe? Die Nacht war doch schon so lang gewesen, schließlich war ich stundenlang mit Fukano in einem kleinen Stückchen vor dem Wald gewesen, um zu trainieren. Schließlich war Fukano inzwischen auch alt genug dafür, und Zeit verlieren, das wollte ich bestimmt nicht. Je früher ich ihm das Kämpfen beibrachte, desto besser. Ich würde es schließlich brauchen. Ich würde ihn brauchen. "Ich komme jetzt rein, Liebes." So übermüdet wie ich war, realisierte ich kaum, wie meine Großmutter mit einem eigentlich unüberhörbaren Knarzen langsam die Tür aufschob und in mein völlig chaotisches und beinahe zerbombtes Zimmer trat. Wenigstens schien sie das nicht sonderlich zu stören. Sie räumte einfach wieder auf, wenn ich weg war, und wartete schließlich ab, bis es Tage später wieder so aussah. Tatsächlich bestand das meiste Chaos nur aus Büchern. Büchern über Mythologie, über Legenden und Geschichten über urzeitliche Pokémon, und Forschungen, Studien, die sich quer über den hölzernen Fußboden, Schreibtisch und nur noch vereinzelt in den Regalen ausbreiteten. An meinen Wänden hingen Landkarten und Malereien legendärer Pokémon und solcher, die ich besonders fand. Wie gern wollte ich unbedingt mal ein Dragonir sehen. "Rei-Schatz, wie sieht es denn nur wieder bei dir aus. Du befürchtest wohl, dass mir langweilig wird. Aber bei deinem klugen Kopf kann ich dir das einfach nicht übelnehmen, du kommst da ganz nach deinem Vater." Sie schaltete das Licht ein und der plötzliche Umschwung von Dunkelheit zu Licht schmerzte meine Augen. Ich zuckte zusammen und hielt schützend die Hand vor mein Gesicht, während ich allmählich aufwachte. "Granny, es ist noch früh … warum tust du das?" "Weil es sehr wichtig ist, mein Schatz." Während ich mir noch halb verschlafen die Augen rieb und mich aufrichtete, setzte sie sich zu mir aufs Bett. Soweit ich die Augen offenhalten konnte, sah ich einen Brief in ihrer Hand. Und auch ihr zum einen erfreutes und zum anderes besorgtes Gesicht entging mir nicht. "Was ist los?", fragte ich sofort und starrte auf den Brief, sobald ich die Augen ganz offenhalten konnte. "Von wem ist der? Ist was passiert?" "Nein, es ist nichts passiert", sagte sie und ließ den Blick von mir abgewandt auf den Brief sinken. Sie hielt ihn mir entgegen. "Das ist eben mit der Post gekommen. Es ist ein Brief von Professor Ōkido, er will dich unbedingt sehen." "Professor Ōkido?" Jetzt war ich definitiv wach. Ich kannte Professor Ōkido bereits. Dieser Wahnsinnige, der um jeden Preis versuchte, einfach alles über Pokémon herauszufinden und niederzuschreiben, besessen von der Vorstellung, eines Tages ein Gerät zu entwickeln, das die Daten zu jedem einzelnen Pokémon speichern sollte. Ich war ihm einst mal begegnet, als ich mit meiner Großmutter in Azuria City gewesen war, um einen alten Freund zu besuchen, der zusammen mit seinem Sohn ein Pokémon-Lagerungssystem entwickelt hatte. Und Professor Ōkido war ebenfalls vor Ort gewesen. Er hatte diese Idee nicht einfach nur anerkannt, sondern sie als größten Fortschritt unserer Zeit angepriesen und war ihnen beiden beinahe auf die Knie gefallen. Es war nicht so, dass ich die Idee nicht ebenso gut gefunden hatte wie er. Nur hatte es mein Gedächtnis nie verlassen, wie er beinahe geheult hatte vor Glück und den guten Mann in seine Arme geschlossen hatte wie seinen eigenen Bruder, völlig überwältigt von der Fähigkeit, sich mit Technik auseinanderzusetzen. Von mir erhält der gute Mann heute noch Respekt, das gleiche gilt für seinen Sohn. Aber für Professor Ōkido? Nein, wohl eher nicht. Die Krönung des Ganzen war ja schließlich erst danach gefolgt. Er hatte noch die Nerven aufgebracht, mir eine Predigt über das Zusammenleben von Menschen und Pokémon zu halten, als ob ich das nicht schon längst gewusst und auch begriffen hätte. Mein Vater war schon in der Forschung gewesen, da war ich noch nicht mal geboren. Er hatte mir damals alles hinterlassen, beinahe seine ganzen Aufzeichnungen. Damals, als er mich verlassen hatte… "Gib mal her", sagte ich und nahm meiner Großmutter den Brief aus der Hand. "Liebe Rei, entschuldige bitte, dass ich dir diesen Brief zukommen lasse und damit deine Freizeit störe, doch es gibt wichtige Dinge, über die ich unbedingt mit dir sprechen möchte. Daher bitte ich dich, sobald wie möglich aufzubrechen und mich in meinem Labor in Alabastia zu besuchen. Es ist wirklich sehr wichtig. Liebe Grüße, Yukinari Ōkido. Ist das sein Ernst?" "Sei doch nicht so feindlich gesinnt, mein Liebes", sagte meine Großmutter und schenkte mir ein Lächeln, als sie meine Hand in die ihre nahm. "Er wird schon seine Gründe dafür haben, Rei. Geh einfach zu ihm hin und hör dir an, was er zu sagen hat. Vielleicht ist das hilfreich für dich." "Er wohnt in Alabastia!", erinnerte ich sie und starrte sie ungläubig an. "Wir leben in Saffronia City! Sag mir, wie viele Tage soll ich denn unterwegs sein? Selbst mit dem kürzesten Weg müsste ich immer noch drei Routen, zwei Städte und den Digda-Tunnel durchqueren! Wie soll ich das denn bitte schaffen, ohne Tage unterwegs zu sein?" "Darüber können wir immer noch reden. Jetzt zieh dich erst mal an und komm frühstücken, je früher du dich auf den Weg machst, umso schneller bist du wieder da." "Und wenn ich gar nicht hinwill?" "Rei-Schatz, red doch keinen Unsinn. Ich weiß, dass du Professor Ōkido nicht sonderlich magst, aber hör ihn dir doch wenigstens an." "Und wenn es etwas total Belangloses ist und es mich nicht interessiert?" "Du bist immer so stur, Rei!" Ich hatte sie wohl wieder etwas wütend gemacht. Ihr tadelnder Blick fiel auf mich herab, während sie sich langsam erhob und rückwärts Richtung Tür verschwand. "Ich mach dir ein paar Sandwiches. Den Rest kannst du dir dann auf deinen Weg mitnehmen. Ich leihe dir mein Tauboss aus, damit du rüber fliegen kannst. Dann bist du vielleicht auch schon etwas weniger gefrustet." "Ich bin nicht gefrustet!" Doch sie reagierte nicht darauf und zog einfach die Tür wieder hinter sich zu. Kopfschüttelnd starrte ich mit wütendem Blick auf die Tür. Dieser Ōkido. Wenn er nichts zu erzählen haben würde, dann würde er Fukanos Glut zu spüren bekommen. Und meine noch dazu. Er sollte bloß nicht auf den irrsinnigen Gedanken kommen, mit irgendwelchem Schwachsinn meine kostbare Zeit zu rauben! Aber irgendwie hatte sie auch Recht. Ich hatte absolut keine Lust darauf, mich mit ihm zu treffen, weil ich ihn einfach nicht mochte. Doch es half nichts. Wenn er irgendwelche Informationen hatte, die mir nützen würden, dann sollte ich ihn zumindest anhören. Also durfte ich keine Zeit verlieren. Ich sprang aus dem Bett und warf mein Kopfkissen in die Ecke, packte meine Klamotten vom Stuhl und beeilte mich, das Wichtigste so schnell wie möglich in meine Tasche zu packen. Nur wenige Minuten später stand ich unten in der Küche, fertig angezogen und den Rucksack gepackt. Meine Großmutter sah mich freudig an, während sie einen Teller mit Sandwiches zum Tisch trug. "Ich wusste doch, dass du zur Vernunft kommst. Jetzt stärk dich und beeil dich, damit du schnell nach Alabastia kommst." "Aber nicht ohne meinen Partner", gab ich bloß zurück und setzte mich, um zumindest ein bisschen zu essen. Ich sah hinüber in die Ecke, wo Fukano friedlich in seinem Körbchen schlief. Ja, er war mein Partner. Der einzige Freund, den ich wirklich hatte. Das Pokémon hatte wohl mal meinen Eltern gehört, soviel mir meine Großmutter erzählt hat. Nach ihrem Verschwinden war es meine Aufgabe geworden, mich um Fukano zu kümmern und es aufzuziehen. Und ich hatte nicht einen einzigen Tag versäumt, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. "Hier", sagte meine Großmutter und legte einen Pokéball auf den Tisch. "Dann bekommt es auch endlich mal ein bisschen mehr Bewegung. Stärk dich und dann macht ihr drei euch auf den Weg." Eigentlich hatte ich ziemlichen Hunger, doch irgendwie auch wieder nicht. Ich wollte unbedingt wissen, wieso Professor Ōkido diesen Brief an mich geschickt hatte und was denn so wichtig sein konnte, dass er mir das nicht auch in diesem Brief erklären konnte. Denn scheinbar konnte er das nicht. Nein, ich musste sogar zu ihm kommen, anstatt dass er sich mal auf den Weg machte. Doch das war nun mal die Pokémon-Welt… "Ich pack den Rest in meine Tasche", sagte ich schließlich und zog den Rucksack zu mir, um die übrigens Sandwiches zu verstauen. Auf dem Weg konnte ich sie sicher gut gebrauchen. Und außerdem liebte auch Fukano Sandwiches. "Hey, Fukano." Ich kniete mich vor sein Körbchen und strich mit der Hand sanft über sein weiches Fell. Fukano zuckte. Dann öffnete er die Augen, sah sich um, erkannte mich und setzte sich hechelnd auf, während seine Augen mir voller Freude entgegen strahlten. "Wir zwei gehen auf eine kleine Reise", erklärte ich ihm und streichelte ihm den Kopf. "Professor Ōkido möchte mich sehen und deshalb muss ich nach Alabastia. Tauboss wird mich hinfliegen, und du wirst mich begleiten." Fukano bellte freudig und wedelte mit dem Schwanz. Es brachte mich zum Lächeln. Fukano verstand wirklich besser als so mancher Mensch. Ich nahm seinen Pokéball vom Gürtel und ließ Fukano darin verschwinden. Dann stand ich wieder auf und warf mir den Rucksack um. "Willst du wirklich so gehen?", fragte meine Großmutter besorgt und musterte mich von oben bis unten. "Immer trägst du diese Kampfhosen und diese einfachen Tops. Warum ziehst du dir nicht was Hübsches an? Und warum immer diese Stiefel, du siehst aus, als willst du zur Armee…" "Granny", unterbrach ich sie und schenkte ihr ein Lächeln. "Ich will nicht hübsch aussehen, ich brauch was, das praktisch ich. Und das hier ist praktisch. Genau wie meine Handschuhe und meine Mütze." Ich zog mir beides über wandte mich zur Tür. "Also ich verschwinde dann mal. Je schneller ich das hinter mir hab, umso besser. Also mach's gut, Granny. Ich beeil mich." "Rei-Schatz?" "Ja?" Ich wandte mich noch einmal um. Meine Großmutter stand da, die Arme vor ihrem Körper hängend und die Hände übereinandergelegt, und betrachtete mich mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen, den ich damals nicht verstand. Heute versteh ich ihn. "Was ist denn?" "Mach's gut, Liebes", sagte sie, und kämpfte scheinbar mit den Tränen. "Ich weiß, das klingt merkwürdig. Aber mein Gefühl sagt mir, dass du so schnell nicht zurückkommst. Geh und finde deinen Weg. Finde die Antworten, nach denen du schon so lange gesucht hast. Und pass auf dich auf. Und auf Fukano." Eine Weile starrte ich sie einfach nur an. Dann nickte ich und verließ das Haus. Draußen ging gerade die Sonne auf. "Los, Tauboss!", rief ich und warf den Pokéball. Tauboss erschien und wurde neben mir zu dem einzigen anderen Geschöpft, das bereits auf der Straße war. Zielsicher strich ich ihm übers Gefieder. "Tauboss, du musst mich nach Alabastia fliegen. Und das so schnell wie möglich. Schaffst du das?" Tauboss ließ ein zuverlässiges, tiefes Gurren hören. Und kurz darauf flogen wir davon, weg von der aufgehenden Sonne in Richtung der blauen Dunkelheit. Kapitel 2: The cool guy and his rival ------------------------------------- Alabastia. Eine winzig kleine Stadt im Südwesten Kantos, ein kleiner Ort zwischen der Route 1 und dem Wasserweg Route 21, unbedeutend für jedermann, der nicht selbst aus Alabastia stammte oder unbedingt zu Professor Ōkido wollte. Und genau das wollte ich. Oder musste, eher gesagt. Denn von Wollen konnte hier gar nicht die Rede sein. Insgeheim hoffte ich immer noch, dass er mich mit seinen Spinnereien verschonte und ich schleunigst wieder zurückkehren konnte. Doch das wäre vermutlich zu einfach. Also machte ich mich mit Fukano an meiner Seite auf den Weg zu Professor Ōkidos Labor. Es lag am Rande der ohnehin schon winzigen Stadt auf einem Hügel. Ohnehin schon ziemlich angenervt stieg ich recht widerwillig die Stufen hinauf, während Fukano freudig neben mit her tapste, und ließ dabei den Blick über die Stadt schweifen. Na ja, vielleicht konnte man sie mögen, wenn man hier aufgewachsen und an sie gewöhnt war. Doch mit Sicherheit kannte hier jeder jeden. Da bevorzuge ich dann doch lieber Saffronia City. Um einiges größer, dafür kann man allerdings einfach man selbst sein, ohne dass gleich alle Nachbarn über einen Bescheid wissen. In meinem Fall wohl auch besser. Ich wäre nicht scharf darauf gewesen, von all meinen Mitbürgern als Kampfweib bezeichnet zu werden. "Nicht so schnell, Fukano", rief ich, doch offenbar voller Vorfreude hüpfte er voraus, rannte bis zum obersten Treppenansatz, drehte sich im Kreis und setzte sich schließlich fröhlich hechelnd und wartete aufgeregt. Es half nichts. Wenn Fukano sich auf etwas freute, schien er beinahe vor Neugierde und Aufregung zu explodieren. Schließlich kam auch ich endlich an und Fukano wuselte um meine Beine. "Jetzt benimm dich! Wir gehen jetzt da rein und dann hören wir uns an, was der Kauz zu sagen hat. Und dann verschwinden wir wieder." Fukano folgte meinem Befehl und nun eher zivilisiert betraten wir das Labor. Es war gleich eine andere Atmosphäre. Kaum hatte ich die Tür hinter mir zufallen lassen, da sauste auch schon der erste Assistent von der einen Seite zur anderen nur knapp an mir vorbei. Völlig irritiert sah ich ihm nach, wie er zu einem Schreibtisch ging, Sachen durchwühlte, schließlich fand, wonach er suchte, und mit aufs Papier geheftetem Blick wieder zur anderen Seite hinüber sauste. "Ah, Rei, ich habe dich schon erwartet!" Ich zuckte zusammen und folgte dem lauten Ausruf zum Ende des Labors. Es war beinahe wie erwartet. Professor Ōkido breitete die Arme aus, als ob er einem hunderte Jahre treuem Freund begegnen würde, lächelte voller Vorfreude und ließ den Blick vollständig von den beiden Jungen abgewandt, mit denen er zuvor wohl noch gesprochen hatte. Als ich mehr widerwillig auf ihn zukam, glaubte ich, die beiden Jungs mit den Augen rollen zu sehen. Wahrscheinlich hoffte ich einfach nur, dass sie genauso wenig von ihm angetan waren wie ich. Ich konnte die Blicke der beiden spüren, doch war bemüht, dies zu ignorieren. Völlig desinteressiert lehnte ich mich an das nächste Bücherregal und verschränkte die Arme. Professor Ōkido schien das allerdings in keinster Weise zu irritieren. "Das, meine Jungs, ist Rei. Sie kommt aus Saffronia City und ist sozusagen die dritte im Bunde." "Ist das so, ja?", sagte der eine und verschränkte ebenfalls die Arme, während er mich von oben bis unten musterte. Ich konnte mir ein kaum merkliches Grinsen nicht verkneifen. "Na wenn das so ist", setzte der andere an und streckte mir die Hand entgegen. "Ich bin Red. Freut mich, dich kennenzulernen." "Ganz meinerseits", erwiderte ich sehr knapp, gab ihm die Hand und hatte mich dabei kaum gerührt. Ich warf einen Blick hinüber zu dem ersten Jungen, der mich nachwievor mit hochgezogenen Brauen musterte, und dann wieder einen Blick auf Professor Ōkido warf. Der versetzte dem Jungen einen stechenden Blick und wandte sich dann entschuldigend an mich. "Verzeih mir sein Benehmen, er meint es nicht so." "Was denn?", fragte ich achselzuckend. "Er hat doch gar nichts gemacht." Er schien bloß genauso angenervt und ungeduldig zu sein wie ich. Professor Ōkido jedoch schien von meinen Worten gar keine Notiz zu nehmen und redete einfach weiter: "Er ist mein Enkel, musst du wissen, sein Name ist … verdammt, wie war nochmal sein Name?" "Opa!", sagte der Junge wütend und versetzte nun ihm einen stechenden Blick. Dann wandte er sich an mich und streckte mir auch seine Hand entgegen. "Ich bin Green. Hör nicht auf den, der kann sich sowieso nichts merken. Wundert mich, dass er überhaupt noch weiß, dass ich sein Enkel bin." "Aber Green, sag doch sowas nicht!", rief Ōkido empört und schreckte zurück, als ob er etwas Gruseliges gesehen hätte. "Mir ist für einen Moment bloß dein Name entfallen, das heißt aber noch lange nicht, dass ich mich nicht mehr an dich erinnere!" Jetzt rollte Green definitiv mit den Augen. "Professor, sagen Sie uns einfach, warum Sie uns hergerufen haben", schlug Red vor und unterbrach somit diese eigenartige Konversation. Glücklicherweise ging er sofort darauf und klatschte freudig in die Hände. "Jawohl! Also, meine Kinder … ich habe eine Aufgabe für euch. Für euch drei. Seht ihr das da auf dem Tisch? Das sind drei Pokémon." Ich ließ den Blick kurz hinüber zum Tisch schweifen, auf den er überdramatisch deutete. Auf ihm befanden sich drei Pokébälle, die völlig identisch aussahen. Die beiden Jungen wandten sich sofort um. Ihren Blicken nachzuschließen hatten sie auf diesen Tag wohl lange gewartet. Doch mir war es gleich. Ich hatte meinen Partner, das genügte mir. Außerdem war ich nicht hier, um mir ein Pokémon zu schnappen und dann für Professor Ōkido zu arbeiten. Der Professor stellte sich hinter den Tisch und wies ausladend auf die drei Bälle. "Meine drei Pokémon, die ich den neuen Trainern in dieser Welt überlassen möchte. Euer allererstes Pokémon! Es wird ein besonderes sein, also überlegt eure Wahl sehr gut. als erste haben wir Bisasam, ein Pflanzen-Pokémon. Dann Glumanda, ein Feuer-Pokémon. Und schließlich Schiggy, ein Wasser-Pokémon. Jedes von ihnen hat seine Stärken und Schwächen, doch es liegt an euch, was ihr daraus macht. Aus jedem einzelnen könnt ihr Vorteile ziehen, und jedes von ihnen wird auf seine Art und Weise liebenswert sein und den Weg in euer Herz finden." Oh, wie ich es hasste, wenn er so redete. Liebe, Freundschaft … das klang alles so überdramatisch und kindisch. Wenn man mit Pokémon kämpft, dann geht es nicht nur darum, miteinander befreundet zu sein. Man muss sich gegenseitig gut kennen, sehr gut kennen. Man muss sich gegenseitig ein tiefes Vertrauen entgegenbringen. Es bedarf einer sehr starken Bindung, die die meisten womöglich unterschätzen. Man braucht nicht einfach einen Freund an seiner Seite. Sondern einen Partner. Einen Partner, dem man bedingungslos vertraut und alle Kraft in ihn setzen kann. Und das war es, was ich gemeinsam mit Fukano erreichen wollte. Und zwar allein, er und ich. Und dafür brauchte ich keinen überschwänglichen, theatralischen Pokémon-Verrückten. "Red, ich möchte dich bitten, als erster eins auszusuchen." "Gut, in Ordnung", sagte Red und nickte. Er ging auf den Tisch zu und musterte nachdenklich die drei Pokébälle. Ich wandte mich in der Zeit meinem Partner zu. Fukano wuselte inzwischen voller Freude um den Assistenten herum, der mich zuvor beinahe umgerannt hätte. Ich pfiff ihn zurück, bevor der Assistent noch über ihn stolperte. "Fukano, komm her!" Hechelnd rannte er auf mich zu und sprang an mir hoch. Doch gerade wollte ich nicht groß darauf reagieren. Ich sollte ihn nicht zu sehr verwöhnen, außerdem wollte ich wissen, wie der Junge sich entschieden hatte. Und außerdem beobachtete ich währenddessen auch Green, der nachwievor mit verschränkten Armen dastand und ungeduldig mit dem Fuß wippte. Eine gewisse Arroganz zeichnete sein Gesicht, doch irgendetwas schien sich darunter zu verbergen. Ich wusste nicht, was es war. Aber ich wusste, dass da etwas war. "Ich denke, ich nehme das hier", sagte Red und nahm den mittleren Pokéball vom Tisch. Professor Ōkido nickte. "Eine sehr gute Wahl." "Na dann." Green verließ seine Haltung, ging nun ebenfalls zum Tisch hinüber und griff sofort, ohne auch nur einen Moment zu zögern, nach dem rechten Pokéball. "Dann nehme ich das hier." "Ebenfalls eine sehr gute Wahl." Den Spruch hätte er wohl ohnehin gedrückt, egal wer welche Pokémon gewählt hätte. Doch ich konnte nicht umhin, mir Green ein bisschen genauer anzusehen. Es konnte Zufall sein, doch seine Entscheidung bot ihm einen Vorteil gegenüber seinem Rivalen. Wenn dies seine Absicht gewesen war, dann war er gar nicht so dumm. "Und die hier sind auch für euch", sagte Professor Ōkido und hielt ihnen beiden etwas hin. Nun war ich doch ein wenig interessiert, doch wollte mich nicht unbedingt von meinem Posten entfernen. Die beiden Jungen nahmen das Gerät entgegen und betrachteten es mächtig interessiert. Professor Ōkido strahlte. "Das ist der Pokédex. Er speichert alle Daten über Pokémon, die ihr gesehen oder gefangen habt. Ich habe immer davon geträumt, ihn selbst zu füllen, indem ich alle Pokémon fange, doch ist es mir bisher nie gelungen … und jetzt bin ich zu alt, um mich auf die Reise zu machen. Deshalb lege ich dieses Schicksal in eure Hände. Vervollständigt den Pokédex, und erfüllt mir damit meinen Traum." Mein Interesse sank wieder auf den Nullpunkt. Für wie blöd hielt er uns denn? Wenn er den Pokédex nie hatte vervollständigen können, wie um alles in der Welt hätte er dann zu jedem Pokémon Daten sammeln können? Irgendjemand musste dieses Gerät schließlich erst mal mit diesen Informationen gefüttert haben, selbst Technik entwickelt sich nicht von selbst. "Gut, dann kann's ja losgehen", sagte Green, steckte den Pokédex ein und spielte mit seinem Pokéball, indem er ihn hochwarf und wieder auffing. Dann wandte er den Blick an Red. "Na was sagst du, Kampf gefällig? Jetzt, wo wir schon mal unser erstes Pokémon haben, da sollten wir es doch gleich austesten, was?" "Meinetwegen." "Gut." Er wandte sich kurz mir zu. "Wir sehen uns dann bestimmt später, Rei. Vielleicht hast du ja dann auch Lust auf einen kleinen Kampf." "Wir werden sehen", gab ich bloß zurück. Green nickte mit einem arroganten Grinsen und ging voran, um das Labor zu verlassen. Red folgte ihm wortlos. Nun, da beide verschwunden waren und ich immer noch in diesem Labor stand, konnte ich einen Seufzer nicht unterdrücken. Zugegeben, ich hatte mir auch nicht die Mühe gemacht. "Und nun zu dir Rei." "Wurde auch Zeit", sagte ich und machte tatsächlich ein paar Schritte in seine Richtung. Und zu meiner tiefen Verwunderung hielt er mir auch einen Pokédex hin. "Hier. Den kannst du brauchen." "Wozu sollte ich das?", fragte ich ihn und weitete die Augen. "Sie wissen genau, dass ich auf dieses klassische Trainer-Leben nicht scharf bin. Ich hab meine persönlichen Ziele, und das Vervollständigen des Pokédex gehört garantiert nicht dazu." "Ich weiß. Aber nimm ihn trotzdem. Ich bin mir sicher, dass du Verwendung dafür hast, wenn du auf die Reise gehst." "Wer hat gesagt, dass ich auf eine Reise gehe?" Professor Ōkido nahm das letzte Pokémon vom Tisch und hielt es mir entgegen. Doch ich wollte es ihm nicht abnehmen. "Was soll das, ich brauch das nicht! Ich hab Fukano und das reicht mir. Sie haben mich doch nicht ernsthaft dafür hierherbestellt?" "Nimm es", sagte er ernst, aber ruhig. Wieso sprach er auf einmal so ruhig? Das war mindestens genauso schlimm wie seine übernatürliche Fröhlichkeit, die sich bei ihm ja wohl eher dem Wahnsinn zuwandte. Hoffentlich sprang er mir am Ende nicht noch an die Kehle wie in einem skurrilen Horrorfilm. "Ich weiß, dass es da etwas gibt, worauf du eine Antwort haben möchtest." "Ich hab viele Fragen", antwortete ich unbekümmert. "Du weißt, was ich meine. Jetzt hör mir mal zu, Rei. Wenn ich die Antwort wüsste, würde ich sie dir gerne auf der Stelle geben. Aber ich kenne sie nicht. Ich kann dir nur sagen, was ich weiß. Den Rest musst du alleine rausfinden." Ich warf ihm einen skeptischen Blick zu. "Und das wäre?" "Bevor dein Vater verschwand, hat er an einer Forschung gearbeitet", sagte Professor Ōkido und flüsterte beinahe. Ich rollte mit den Augen. "Natürlich hat er das, er war Forscher, seit er nicht mehr im Einsatz war. Das tun die nun mal!" "Lass mich doch bitte ausreden." Er sprach immer noch so unheimlich ruhig, als ob er ein völlig anderer wäre. Und er hatte keine Vorstellung, dass mir das tatsächlich Angst einjagte. Und er redete einfach weiter, als ob er tatsächlich gar nichts bemerken würde: "Ich weiß, dass er an etwas Geheimen gearbeitet hat. Etwas, das er nicht mal mir sagen konnte, obwohl auch ich Pokémon erforsche. Und kurz vor seinem Verschwinden, da hat er mir etwas gegeben. Er wollte dass ich es für dich aufbewahre." Professor Ōkido nahm meine Hand und legte den Pokéball hinein. Doch gleichzeitig spürte ich da noch etwas anderes. Ich öffnete die Hand, um sehen, was er mir da mitgegeben hatte. Es war eine Kette, mit einem kleinen Anhänger, in dem ein Stein eingelassen war. "Ich weiß nicht, was es damit auf sich hat. Das musst du selbst herausfinden. Ich weiß, dass du eigentlich kein Starter-Pokémon benötigst, aber es gibt im Moment niemanden außer dir, der sich gut darum kümmern könnte. Es soll dein Freund werden. Finde deinen Weg, und du wirst finden, wonach du suchst." Völlig perplex starrte ich die Kette an. Professor Ōkido klopfte mir an die Schulter, ging an mir vorbei und sprach schließlich mit seinem Assistenten. Scheinbar war unser Gespräch beendet. "Komm, wir gehen, Fukano." Und beinahe wie gelähmt verließ ich das Labor. Wenn diese Kette von meinem Vater stammte und er sie an Professor Ōkido weitergegeben hatte, hatte er vermutlich eine Vorahnung gehabt, dass etwas passieren würde. Und ich musste herausfinden, was es war. Ganz egal, was es war. Kapitel 3: Let's start a journey -------------------------------- Professor Ōkidos Worte in den Ohren und die Kette und den Pokéball immer noch fest in der Hand trat ich hinaus in die Sonne von Alabastia. Hier sollte meine Reise nun beginnen. Ein unheimliches Gefühl beschlich mich. Meine Großmutter hatte mir vor meinem Aufbruch noch gesagt, dass sie glaubte, mich so schnell nicht wiederzusehen. War dies also ein Wink des Schicksals? Eine Botschaft, die ich nun für mich entschlüsseln musste, um ihre Sinn zu ergründen? Wenn dies eine Botschaft an mich sein sollte, dass ich mich wirklich auf den Weg machte, um Kanto zu durchkämmen und Hinweise über die Arbeit und das Verschwinden meiner Eltern zu finden, dann musste ich es tun. So wahr ich hier stand, mit Fukano an meiner Seite. Ich ballte die freie Hand zu einer Faust und sah entschlossen hinab auf die winzige Stadt und dem Ausgang Richtung Route 1. Und dort unten sah ich sie, die beiden Jungen, die sich jetzt schon mit einer unglaublichen Leidenschaft in den Kampf gestürzt hatten. Und ich konnte nicht abstreiten, dass auch ich zumindest ein wenig neugierig war. "Sieh mal, Fukano", sagte ich zu meinem Partner und legte mich zwischen den Steinen und Pflanzen des Hügels auf die Lauer, um sie heimlich zu beobachten. Fukano hüpfte auf eine kleine Anhöhe, um die gleiche Sicht zu haben wie ich, und blieb dabei völlig ruhig. So konnte ich wenigstens verstehen, was sie sagten. "War das etwa schon alles?", rief Green seinem Rivalen entgegen und grinste. Die beiden Pokémon, Schiggy und Glumanda, sahen bereits ziemlich erschöpft aus. Ich konnte sehen, wie ihre Blicke sich trafen und offensichtlich verrieten, dass jeder von ihnen gewinnen wollte. Das galt im Übrigen auch für ihre Trainer. "Glumanda, Glut!", rief Red und richtete den Zeigefinger nach vorn. Glumanda gehorchte und griff an. Doch das ließ Green nicht einfach so auf sich sitzen. Er warf seinem Rivalen einen triumphierenden Blick zu, und sprach erstaunlich gelassen zu seinem Pokémon: "Weich aus, Schiggy, und setz Blubber ein." Glumandas Glut hatte seinen Gegner erreicht. Doch Schiggy wich geschickt aus, holte tief Luft und zwang ihn mit einem Blubber zu Boden. Red stand da wie erstarrt, den Blick verunsichert auf sein Glumanda gerichtet. Doch der Kampf war entschieden. Glumanda wurde besiegt, Schiggy hatte gewonnen. "Das kann doch nicht sein…" "Das kann sehr wohl sein, Red", meinte Green und holte sein Schiggy in den Pokéball zurück. "Das ist eigentlich nur logisch. Schiggy ist ein Wasser-Pokémon! Und demnach gegenüber Glumanda als Feuertypen im Vorteil. Das hättest du wissen müssen." "Komm, Fukano." Ich verließ meinen Posten und ging die Stufen hinunter, um mit den beiden zu reden. Ich hatte einfach nicht das Gefühl, dass ihnen klar war, was es überhaupt bedeutete, ein Pokémon-Trainer zu werden. Und das sollten sie wissen. "Glumanda, komm zurück!", rief Red und holte sein Pokémon zurück. Ziemlich niedergeschlagen wandte er sich an den anderen. "Gut, dann war das eben der Grund, warum ich verloren habe. Ich werde ein richtig gutes Team aufstellen und dann kämpfen wir nochmal." "Jederzeit. Aber das muss wirklich gut sein, denn auch ich werde mir ein gutes Team zusammenstellen. Damit musst du rechnen. Hey, Rei!" "Hey", sagte ich und stellte mich zwischen die beiden Jungen. "Na das war ja nicht so besonders." "Was?", fragten sie gleichzeitig. "Na, euer Kampf. Man sieht, dass ihr noch Anfänger seid." "Ach, und du kannst es besser?" Red verschränkte wütend die Arme und musterte mich mit scharfem Blick. Es kümmerte mich nicht. Stattdessen konnte ich mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. "Ja, das stimmt. Aber es geht nicht um euren Kampf bezüglich der Pokémon, sondern um eure Einstellung. Für euch ist das wohl eher ein Spiel. Habt ihr euch eigentlich vorher Gedanken darüber gemacht, was es überhaupt bedeutet, ein Pokémon-Trainer zu sein?" "Du redest, als wäre es eine überaus große Aufgabe", lachte Red. "Ein Trainer zieht durch die Welt, trainiert seine Pokémon, um stärker zu werden, bestreitet Arena-Kämpfe, um die Orden für die Pokémon-Liga zu sammeln und sich schließlich den Weg freizukämpfen, um Champ zu werden, und besucht dabei die verschiedensten Orte. Das erklärt sich doch von selbst." "Du hast den Pokédex vergessen", erinnerte ihn Green und hielt seinen hoch, während sein Tonfall vor Ironie nur so strotze. "Schließlich haben wir zudem noch die überaus ehrenvolle Aufgabe, für meinen supergenialen Opa dieses Teil hier zu füllen, damit er seinen Spaß daran hat, während wir unser Leben aufs Spiel setzen." "Jetzt übertreib doch nicht!" Ich schüttelte den Kopf. "Ich weiß echt nicht, was ich von euch halten soll. Wirklich nicht." "Das musst du auch nicht, Rei", meinte Red bloß und schob die Hände in die Taschen. "Mir scheint einfach, dass du nicht sonderlich scharf darauf bist, Pokémon-Trainer zu werden, auch wenn du bereits ein Pokémon besitzt. Wir hingegen wollen das schon. Nur deshalb sind wir hergekommen und nur deshalb haben wir diese Entscheidung getroffen. Ich will Champ der Pokémon-Liga werden! Und ich werde hart dafür trainieren, sehr hart. Das solltest du auch tun. Egal, was deine Motive sind." "Jetzt pass mal auf", sagte ich drohend und trat langsam ein paar Schritte auf ihn zu, während ich völlig ruhig mit ihm sprach: "Was meine Motive sind, das geht dich einen feuchten Dreck an. Du solltest nur mal darüber nachdenken, was du hier eigentlich tust. Wie stellst du dir das vor? Glaubst du wirklich, dass du einfach so durch die Gegend ziehen, ein bisschen trainieren und Pokémon sammeln und so zum Champ werden kannst? Tut mir leid, aber dann hast du keinen blassen Schimmer, was wir hier tun. Und zwar wir alle." Green verschränkte die Arme und musterte mich mit kritischem Blick. Seine Arroganz war kaum zu übersehen. "Wir sind wohl ein bisschen überheblich, was? Was glaubst du denn, was wir hier tun?" Ich wandte ihm bloß das Gesicht zu, und behielt meine Fassade weiter aufrecht."Ich glaube, dass ihr beide keinen blassen Schimmer habt, wie das Leben eines Pokémon-Trainers wirklich aussieht. Was glaubt ihr denn, wo ihr euer Essen herbekommt? Das wird euch niemand umsonst geben. Was glaubt ihr, woher ihr Geld bekommt? Indem ihr andere Trainer besiegt und euch von ihnen die Belohnung einholt. Was glaubt ihr, wo ihr schlaft, wenn ihr draußen in der Wildnis seid? Ja, so ein Wald kann ein treuer Freund sein, wenn man keinen anderen Platz zum Schlafen hat. Auf euch wartet, genau wie auf mich, nicht nur ein hartes Training, sondern auch ein Kampf ums Überleben. Ihr habt keine Ahnung, wie das ist, sich in einem unbekannten Waldgebiet zu verlaufen, oder in einer Höhle gefangen zu sein. Ihr solltet immer auf alles vorbereitet sein, egal, was kommen kann. Denn nur eine falsche Entscheidung, die kann uns unser Leben kosten. Und daran solltet ihr immer denken. Genau wie an eure Partner. Gerade in einer solchen Situation, da ist der Partner neben euch der einzige, auf den ihr euch verlassen könnt." Ich konnte die verwirrten Blicke der beiden spüren. Blicke, die mich nach der genauen Bedeutung meiner Worte fragten. Doch ich hatte einfach die Hoffnung, dass sie sie irgendwann verstehen würden. Ich hoffte es wirklich… Ich ging an den beiden vorbei in Richtung Ausgang der Stadt. Doch ich war kaum ein paar Schritte gegangen - "Rei." Ich wandte mich um. Green musterte mich unheimlich scharf, doch es war weder eine Wut noch seine Arroganz. Und wieder wusste ich nicht, was es wirklich war. Bloß, dass da etwas war. "Ich würde gerne gegen dich kämpfen." Ich konnte mir ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen. "Nein. Nicht heute. Ich hab keine Zeit für sowas, nicht jetzt. Außerdem solltest du dich erst mal um dein Pokémon kümmern, schließlich hat es beim Kampf gegen Glumanda einiges abbekommen." "Ja, ich sollte mich auch um Glumanda kümmern", gab Red verlegen zu. Ich nickte. "Ja, das solltest du. Wie gesagt, da draußen ist dein Partner der einzige, auf den du dich verlassen kannst. Ich verspreche dir, Green, das nächste Mal, wenn wir uns sehen, dann kämpfen wir. Ich geb dir mein Wort." "Gut", sagte Green und wandte sich an seinen Rivalen. "Ich werde noch ein paar Kleinigkeiten erledigen und dann auch nach Vertania City aufbrechen, dort gibt es eine Arena. Die sollten wir ansteuern. Ich werde mir von meiner Schwester eine Karte holen, vielleicht hat sie für euch auch eine übrig." "Nicht nötig", sagte ich bloß und klopfte auf eine meiner Hosentaschen. "Ich bin schon längst versorgt. Als Pokémon-Trainer kann man nie gut genug vorbereitet sein." "Alles klar, ich schau dann nochmal eben bei Mum vorbei", sagte Red und wandte sich von uns ab. "Wir sehen uns dann später, notfalls komme ich nach!" Jetzt waren wir nur noch zu zweit. Und ich glaubte für den Moment tatsächlich, etwas beinahe Trauriges in Greens Augen zu sehen, nur für einen kurzen Moment. Schließlich sah er wieder auf und zeigte mir sein entschlossenes Gesicht. "Gut, dann werde ich mich auch um meine letzten Vorbereitungen kümmern. Ich will noch bevor die Sonne untergeht in Vertania City sein. Deine Tipps sind im Übrigen ganz gut, ich kann leider nicht abstreiten, dass du Recht hast. Es wird hart. Aber ich würde dir auch gerne einen Tipp geben: Wenn du dieses Pokémon schon in die Hand gedrückt bekommst, dann nutze es auch." Zugegeben, seine Worte hatten mich ein bisschen getroffen. Ich sah hinunter auf meine Hand, in der ich immer noch den Pokéball und die Kette hielt. Ich hatte mich so auf die beiden Jungs konzentriert, dass ich es gar nicht mehr bemerkt hatte. Ich sah Green an. Er versetzte mir einen letzten Blick, dann ließ auch er mich stehen und machte sich auf den Weg zu seinem Haus. Bevor er jedoch hineinging, wandte er sich ein letztes Mal um. "Ab jetzt sind auch wir Rivalen, Rei. Wir beginnen unsere Reise zeitgleich, auch wenn du uns etwas voraus hast. Sei gut gewappnet, denn auch ich habe meine Gründe, und auch ich werde hart trainieren, um meine Ziele zu erreichen. Merk dir das." Er betrat das Haus, und so stand ich schließlich völlig allein in dieser kleinen Stadt und wusste nicht, wo genau ich anfangen sollte. Also warf ich meinen Rucksack auf den Boden, stopfte den Pokéball hinein und sah Fukano an. Auch in seinen Augen lag etwas, das ich nicht deuten konnte. Mit meiner freien Hand strich ich ihm über den Kopf. "Wir werden jetzt auch aufbrechen. Vielleicht schaffen wir es noch vor den anderen, in Vertania City zu sein. Wir werden denen zeigen, was es heißt ein Team zu sein. Was sagst du, Partner?" Fukano bellte freudig und wedelte mit dem Schwanz. Ich lächelte. "Danke, Partner." Ich richtete mich wieder auf und betrachtete die Kette. Was mein Vater mir damit wohl hatte sagen wollen? Wieso hatte er sie mir nie vorher gegeben? Hatte sie vielleicht eine tiefere Bedeutung? Das musste ich nun selbst herausfinden. Also legte ich die Kette um, nahm den Rucksack wieder hoch und wandte meine Schritte in Richtung Ausgang. Gemeinsam mit Fukano verließ ich die kleine Stadt Alabastia, ließ sie weit hinter mir, und machte mich auf den Weg über die Route 1, um die nächste Stadt zu erreichen. Die erste Stadt, in der ich vielleicht noch vor den anderen einen Arenaleiter bezwingen konnte. Kapitel 4: Evergreen -------------------- Liebe Granny, ich denke, ich habe jetzt begriffen, was du zu mir sagtest. Denn du lagst richtig, ich werde so schnell nicht zurückkommen. Wenn ich herausfinden will, was damals passiert ist, dann muss ich mich auf die Suche machen, egal wie weit sie sich über Kanto erstrecken wird. Ich werde herausfinden, was mit meinen Eltern passiert ist, ich werde sie finden. Mit Fukano an meiner Seite kann mich niemand aufhalten, ganz egal, was kommen wird. Ich bin bereit, diesen Schritt zu gehen. Ich werde in der nächsten Stadt meine Ausrüstung weiter aufbessern und mich auch den Herausforderungen in den Arenen stellen, um mich selbst zu bessern. Schließlich gibt es kein besseres Training, als gegen die erfahrensten Trainer anzukämpfen. Zusammen mit meinem Partner werde ich herausfinden, welches Geheimnis sich hinter ihrem Verschwinden verbirgt. Ich werde nicht aufhören, bis ich die Wahrheit herausgefunden habe. Ich werde dich besuchen, sobald mein Weg mich wieder nach Saffronia City führt. Deine Rei Ich hatte meiner Großmutter diesen Brief geschrieben, damit sie es wenigstens von mir selbst erfuhr, dass ich vorerst nicht zurückkommen würde. Da ich Tauboss außerdem noch bei mir gehabt hatte, hatte ich ihn mit diesem Brief zu meiner Großmutter zurückfliegen lassen, und ohne mich. Ich hatte mich auf den Weg gemacht und die Route 1 betreten. Allerdings war dort nichts wirklich Spektakuläres geschehen. Route 1, ein holpriger Feldweg durchs Grüne, kaum Menschen. Der einzige, der mir begegnet war, war ein junger Mann vom Pokémon-Markt, der mir einen Trank geschenkt hatte. Na ja, vielleicht würde ich ihn mal brauchen. Aber wahrscheinlich eher nicht. Ach, und da war noch dieser Typ gewesen, der mir heller Begeisterung unbedingt hatte erklären müssen, dass man die Stufen hinabspringen, aber nicht wieder hinaufgehen könnte. Als ob ich die Gesetze der Physik nicht schon begriffen hätte. Auf dem Weg waren mir noch ein paar Rattfratz und Taubsi begegnet, die allerdings nicht besonders stark gewesen waren. Ein paar Bisse von Fukano hatten gereicht, um sie um zu besiegen. Das Training hatte ich dafür aber ausfallen lassen, um nicht zu viel Zeit zu verlieren und am Abend noch in Vertania City zu sein. Und wir hatten es geschafft. Nun stand ich hier, am Rande der Stadt, die sich Vertania City nannte. Eine schöne Stadt, die von dichtem Grün umgeben war, und deshalb auch das immergrüne Paradies genannt wurde. Den Namen trägt Vertania City wahrscheinlich heute noch. Es war bereits dunkel. Ich campierte am Rande der Stadt an einem kleinen Feuer, um mich etwas aufzuwärmen. Ja, ich vermied tatsächlich die Pokémon-Center. Zum einen wollte ich nicht mein Angespartes dafür aufgeben, und zum anderen hielt ich es für besser, mich gleich daran zu gewöhnen. Denn ein Bett würde ich auf dieser Reise ohnehin kaum sehen. Also besser, ich gewöhnte es mir gleich ab. Ein einfacher Schlafsack tat es auch. Und auch dafür musste ich meiner Großmutter danken. Ich war zunächst nicht davon ausgegangen, etwas zum Schlafen zu benötigen, doch sie hatte es bereits geahnt und mir alles eingepackt, was ich brauchte. Also saß ich da, mit Fukano am Feuer, und wir aßen die Sandwiches, die meine Großmutter uns gemacht hatte. "Morgen werden wir uns erst mal ein wenig umsehen", erklärte ich Fukano und tätschelte seinen Kopf. "Hier soll es eine Arena geben. Wir werden sie uns auf jeden Fall ansehen, und wer weiß, vielleicht bekommen wir ja schon unseren ersten Orden." Fukano bellte zuversichtlich. Er brachte ich damit einfach immer zum Lächeln. Und das, obwohl ich nicht gerade der fröhlichste und lustigste Mensch war. Ja, das mochten vielleicht immer schon einige an mir kritisieren. Doch es war mir egal. Wenn sie meine Geschichte tragen würden, wären sie genauso geworden. Ich gab Fukano das letzte Schinken-Sandwich und sah ihm zu, wie er es überglücklich aufmampfte. Fukano liebte Schinken. Was mich auch nicht sonderlich überraschte. Manche schienen mit bestimmten Vorlieben geboren worden zu sein. Es war eine recht kühle Nacht. Und ich hatte schon länger mehr keine Nacht draußen verbracht, so wie jetzt. Die Abgewöhnung brachte mir einen unruhigen Schlaf, Fukano hingegen schlief seelenruhig, als ob er nie einen anderen Platz zum Schlafen gehabt hätte. Er schlief die ganze Nacht durch, ich wurde jedoch am nächsten Tag gleich von den ersten Sonnenstrahlen geweckt. Es war noch schlimmer als der Weckruf meiner Großmutter am Morgen zuvor. Doch diesmal war alles anders. Ich wachte neben meinem Partner auf, irgendwo in einer fremden Stadt, und für einen Moment hatte ich sogar ganz vergessen, wo ich war. Doch als ich mich in der von grün umzäunten Stadt umsah, da fiel es mir gleich wieder ein. Ich stand auf und packte meine Sachen zusammen. Eigentlich wollte ich Fukano noch schlafen lassen, doch je früher wir aufbrachen, desto besser. Ich wusste, wie wertvoll Zeit war, und deshalb wollte ich auch keine verlieren. Ich brauchte einen Plan, wie ich vorgehen wollte. Und in Vertania City wollte ich anfangen. "Hey, Fukano", sagte ich und stupste ihn sanft. "Zeit aufzustehen. Wir haben heute einiges vor, und da brauch ich deine Hilfe." Fukano öffnete die Augen, wandte den Kopf, gähnte ausgiebig und streckte sich. Es dauerte glücklicherweise nie lange, ihn aufzuwecken. Er setzte sich hin und hechelte völlig munter vor sich hin, als ob er wenige Sekunden zuvor überhaupt nicht mehr geschlafen hätte. "Gut, komm. Wir sehen uns ein bisschen in der Stadt um." Vertania City war ein ganzes Stück belebter als das winzige Alabastia. Wir gingen zwischen den Häusern entlang auf der Suche nach einem Markt, schließlich brauchten wir erst einmal etwas zu essen. Auf dem Weg fiel mein Blick auf ein Schild mit der Aufschrift: "Tipps für Trainer: Die Attacken der Pokémon werden durch ihre Angriffspunkte, AP, limitiert. Um die AP wieder aufzufüllen, musst Du die Pokémon in ein Pokémon-Center bringen!" "Ihr habt vergessen, dass selbst eine Schwester Joy nicht umsonst arbeitet", antwortete ich zähneknirschend darauf. Und es stimmte doch. Allen wurde vorgegaukelt, sie sollten ganz einfach, sollten ihre Pokémon verletzt sein, ins Pokémon-Center gehen und alles wäre wieder gut. Keiner dachte daran, dass wirklich nichts im Leben umsonst ist. Weder eine Übernachtung, noch eine Behandlung. Es war schlicht und weg einfach eine Lüge. "Hey, wir haben den Markt gefunden!", rief ich aus, als wir schließlich am Pokémon-Center vorbei um die Ecke bogen. Dort stand ein kleines Haus mit der Aufschrift "Markt". Fukano rannte vor und wartete auf der Tür auf mich, wieder einmal völlig aufgeregt. Ich fragte mich, woher diese Neugierde auf Dinge kam, die eigentlich gar nicht wirklich interessant waren. Na ja, zumindest fand ich sie nicht interessant. Wir betraten den Markt. Und kaum war ich durch die Tür geschritten, da wehte mir schon eine hoch motivierte Stimme entgegen: "Hey, bist du zufällig aus Alabastia?" "Sollte ich das?", gab ich zurück und ging hinüber zum Verkäufer an den Tresen. "Ich bin hier, um mir was zu essen zu kaufen. Warum sollte ich ausgerechnet aus Alabastia sein?" "Na, ich hab dich hier noch nie gesehen", erklärte der Verkäufer und schob mit einem Finger seine Brille zurecht. "Und ich weiß zufällig, dass momentan ein paar neue Trainer ihre Reise in Alabastia beginnen sollten. Das weiß ich von Professor Ōkido." "Der schon wieder", seufzte ich und stützte mich auf den Tresen. "Und was hat das mit dir zu tun?" "Du kennst ihn also?" "Leider ja." "Das ist perfekt!" Er duckte sich weg, holte etwas hervor und knallte es schließlich freudestrahlend auf den Tresen. Es war ein Paket. "Dieser Spezial-Ball ist heute bei uns eingetroffen, und ich soll ihn Professor Eich so schnell wie möglich vorbeibringen." "Aha. Und warum tun Sie das nicht?", fragte ich leicht angenervt. Mein Desinteresse schien den Verkäufer allerdings keineswegs zu stören. "Ich muss arbeiten, ich kann hier nicht weg. Und wenn du ihn kennst und aus Alabastia kommst, dann kannst du ihm ja das Paket überbringen!" "Ist nicht Ihr Ernst." "Doch, doch, bitte tu mir den Gefallen!" "Ich komm nicht mal aus Alabastia! ich meine, ich komme schon aus der Stadt, weil ich zufällig gestern da war, aber ich bin dort nicht geboren und wohne da auch nicht! Es gibt keinen Grund, weshalb ich wieder dorthin zurückgehen würde." "Bitte! Tu mir den Gefallen, er braucht ihn wirklich sehr dringend!" Ich seufzte und warf den Blick auf Fukano. Er schien vor Freude nur so zu strahlen. Aber ich hatte nicht wirklich die Absicht, meine Zeit zu opfern, indem ich den Weg nochmal zurücklief. Aber vielleicht konnte das ja jemand anderes übernehmen. Ich wandte mich wieder dem Verkäufer zu."Was krieg ich dafür?" "Öhm…" Der Verkäufer kratzte sich nachdenklich am Kopf. "Ich hab nichts, aber der Professor wird dir bestimmt was geben." "Das reicht mir nicht." "Was … was möchtest du denn?" "Essen wäre nicht schlecht", schlug ich vor und wies auf meinen Partner. "Wir sind erst gestern aufgebrochen und müssen unsere Vorräte aufstocken. Geben Sie mir ein paar Schinken-Sandwiches und nehm das Paket." Der Verkäufer starrte mich einen Moment lang verdutzt an. Doch ich hielt seinem Blick stand. Fukano saß einfach neben mir und bellte freudig. Nach einigen Sekunden der Stille nickte der Verkäufer schließlich. "Ist gut. Sollst du haben. Vielen Dank dafür!" "Kein Thema", winke ich ab. Ich hatte tatsächlich nicht vor, wieder zurück nach Alabastia zu gehen. Allerdings war ich mir sicher, dass Red und Green auch in die Stadt kamen, wenn sie nicht sogar auch hier waren. Vielleicht konnte ich Green dazu bringen. Schließlich war der bekloppte Professor Teil seiner Familie. "Vielen Dank nochmal, und grüß Professor Ōkido von mir!", rief der Verkäufer mir nach, als ich mit den Schinken-Sandwiches den Laden verließ, und winkte mir zu. Ich reagierte jedoch nicht. Ich war eher froh, als ich endlich draußen war. Fukano hüpfte um mich herum und bellte. "Ist ja gut, du kriegst gleich was. Lass uns erst mal irgendwo sitzen." Während wir frühstückten, warf ich einen Blick auf die Karte. Es gab abgesehen von der Richtung, aus der wir gekommen waren, zwei Wege aus der Stadt hinaus. Der eine führte in Richtung Norden auf die Route 2 zum Vertania Wald, der andere nach Westen auf die Route 22 Richtung Indigo-Plateau. Ich konnte nicht abstreiten, dass mich dieser Gedanke neugierig machte. Ich wollte mir diesen Ort zumindest einmal ansehen. Aber zuerst mussten wir in die Arena. Also brachen wir nach unserem kleinen Frühstück auf. Die Arena befand sich etwas abseits der anderen Häuser auf einer winzigen Anhöhe. Es war das größte Gebäude der Stadt. Hätte ich nicht zuvor schon eine Arena gesehen, wäre ich wahrscheinlich von diesem Anblick erst mal gefesselt gewesen. Aber Saffronia City besaß schließlich auch eine Arena. ich hatte sie nie betreten, da ihre Leiterin ziemlich stark und auch ihre Person etwas … unheimlich sein sollte. Was genau dies bedeutete, wusste ich damals noch nicht. Ich warf einen Blick auf das Schild. "Vertania City Pokémon-Arena." Als ob die riesige Aufschrift des Gebäudes nicht schon ausgereicht hätte, um dies herauszufinden. Ich war neugierig, wie es wohl drinnen aussah, und drückte gegen die Tür. Doch sie ließ sich nicht öffnen. Ich ruckelte etwas am Griff, doch die Tür schien tatsächlich verschlossen zu sein. "Das kann doch nicht wahr sein!", rief ich und trat mit dem Fuß dagegen. "Na der Tag fängt ja richtig gut an! Erst dieser verdammte Verkäufer, der mir dieses verfluchte Paket für den Alten aufdrängt, und dann ist die Arena noch zu!" "Tja ja", sagte eine Stimme zu meiner Linken. ich wandte mich um. Ein alter Mann kam auf mich zu. "Diese Pokémon-Arena ist stets geschlossen!" "Echt jetzt?", platzte es aus mir heraus und ich lehnte mich gegen die Wand. Der alte Mann nickte und betrachtete nachdenklich die oberen Fenster des Gebäudes. "Ja, und das schon eine ganze Weile. Ich frage mich, wer hier wohl der Arenaleiter sein mag?" "Sagen Sie bloß, das weiß niemand?" "Nein", sprach er ruhig weiter und wandte mir wieder das Gesicht zu. "Keiner von uns hier hat ihn je gesehen. Vielleicht kommt er eines Tages zurück…" "Na toll…" Fukano bellte und lief wieder im Kreis. Ich seufzte tief und stieß mich von der Wand ab. "Na gut … vielen Dank für die Auskunft. ich hätte sonst wohl noch eine Weile hier gestanden. Dann mach ich mich mal auf den Weg, ich hab noch einiges vor." "Viel Erfolg!", sagte der alte Mann. Ich hüpfte die Stufe hinunter und Fukano folgte mir. Anscheinend war schon der zweite Tag meiner Reise nicht wirklich meiner. Jetzt musste aber etwas funktionieren, irgendwas. Ich hatte nun noch einen Grund weniger, mich länger in dieser Stadt aufzuhalten. Es blieb mir nur noch, die anderen beiden zu suchen und mich auf den Weg in Richtung Indigo-Plateau zu machen, auch wenn ich nicht weit kommen würde. Also entschied ich mich für letzteres, denn schließlich hatte ich keine Ahnung, wo ich Red und Green finden sollte. Und eigentlich hatte ich auch gar keine Lust, nach ihnen zu suchen. Also machten wir uns gemeinsam auf den Weg in Richtung Route 22. Sie war ein recht abschüssiger Weg, der zunächst einmal zur Siegesstraße führte, die man durchqueren musste, um das Indigo-Plateau zu erreichen. Wir betraten die Route und gingen vorsichtig den Weg entlang, langsam durchs hohe Gras, um nicht gleich ein Pokémon anzulocken, das uns attackierte, und schließlich den Weg weiter entlang. Doch kaum waren wir um die Ecke gebogen, da waren Stimmen zu hören. Stimmen, die ich jetzt schon sehr gut kannte, die sich offensichtlich stritten, während sie allmählich auf uns zukamen. "Ich hab dir von Anfang an gesagt, dass du da nicht weiterkommst!" "Ich darf doch wohl mal gucken, oder?" "Und? Was hast du gesehen? Was hat es dir gebracht?" "Was ist eigentlich dein Problem?" "Hey, Jungs", sagte ich und blieb stehen. Die beiden zuckten zusammen und hielten ebenfalls inne. Völlig verdutzt wandten sie den Blick voneinander ab und wandten sich mir zu. Erst in diesem Moment schienen sie mich wiederzuerkennen. "Hey, Rei", sagte Green und verschränkte die Arme. "Was tust du hier?" "Ach, ich wollte mir einfach mal die Gegend ansehen", sagte ich beiläufig und musterte die beiden abschätzend. "Aber ihr seid ja auch nicht sonderlich weit gekommen, wie ich höre?" "Nein, nicht wirklich", sagte Red. "Die haben uns gleich am Anfang schon nicht weitergelassen." "Weil wir keine Orden haben, du Idiot!", gab Green zurück und rollet mit den Augen. "Natürlich lassen die uns nicht rein." "Ihr habt die Arena also auch verschlossen vorgefunden." "Ja, haben wir", sagte Green. "Gestern Abend schon. Wir wollten unbedingt so schnell wie möglich loslegen, aber die Tür war verschlossen. Wir haben ein paar Leute gefragt, aber niemand wusste was." "Seltsamerweise kannte auch keiner den Arenaleiter", fuhr Red fort. "Die haben ihn scheinbar noch nie gesehen." Ich nickte. "Ja, das hat mir so ein alter Mann eben auch erzählt. Er meinte, dass die Arena schon lange geschlossen sei und er gerne wüsste, wer dort Leiter ist. Was soll's, ist eben kein guter Start." "Was hast du da überhaupt?", fragte Red und deutete auf das Paket, das ich immer noch im Arm hielt. Doch jetzt besserte es meine Laune. "Ach, das hat mir so ein Verkäufer in die Hand gedrückt. Ist wohl für Professor Ōkido, irgendein Spezial-Ball. Mehr hat der mir auch nicht wirklich gesagt, außer dass es unheimlich wichtig wäre. Hier, das kannst du übernehmen, schließlich ist er dein Opa." Ich hielt Green das Paket hin. Doch er machte keinerlei Anstalten, es entgegenzunehmen. Stattdessen versetzte er mir einen abweisenden und irritierten Blick. "Nein, ich will es nicht. Gib es Red." Das war natürlich auch eine Idee. Ich wandte mich seinem Rivalen zu. Er sah verwirrt zurück. "Hier, du machst das", sagte ich und drückte Red das Paket in die Hände. Und er nahm es - wohl eher aus Reflex - entgegen. "Hey! Warum soll ich das machen?" Green zuckte die Achseln. "Weil du nichts zu tun hast. Und weil ich keine Lust darauf habe." "Was soll das, du hast doch auch nichts zu tun!" "Doch. Training." "Das stimmt", bestätigte ich ihn und grinste. "Schließlich schulde ich ihm noch einen Kampf." Green nickte und wies auf mich, als ob ich Erklärung genug wäre. "Genau, sie schuldet mir noch einen Kampf. Sie hat versprochen, dass wir kämpfen, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Und das ist jetzt, also kämpfen wir. Wir sind also sehr beschäftigt." Red sah uns abwechselnd an. Ich musste zugeben, dass er mir in dem Moment ein bisschen leid tat. Aber auch nur ein kleines bisschen. "Gut, ich mach's", fauchte er und wandte sich in Richtung Vertania City. "Aber nur, weil ihr es seid!" "Tschüss", sagte Green bloß und winkte, ohne ihn überhaupt dabei anzusehen. Als Red schließlich verschwunden war, wandte er sich mir zu. Auch er konnte sich ein kaum merkliches Grinsen nicht verkneifen. "Das war fies", meinte ich und verkniff mir das Lachen. Green nickte anerkennend, und ohne die geringste Spur von Reue oder Schuld. "Jap. Das war fies." Wir warfen noch einen letzten Blick auf die Stelle, an der Red verschwunden war, dann wandten wir uns den wichtigeren Dingen zu: dem Kampf. "Gut. Jetzt und hier?", fragte Green und nahm einen Pokéball vom Gürtel. "Tun wir's", gab ich zurück und tat das gleiche. Allerdings brauchte ich Fukano nicht erst raus lassen, da er schließlich neben hier her wuselte und nun wie wild zu hüpfen begann, als er begriff, dass er an der Reihe war. Wir traten jeweils ein Stück zurück, um Platz für ein Kampffeld zu machen. Fukano hüpfte auf seinen Platz und hielt sich bereit. "Dann lass sehen, wie stark du bist", rief Green und warf seinen Pokéball. Innerlich war ich Feuer und Flamme. Das würde mein erster Kampf gegen Green sein, und auch der erste gegen einen Trainer seiner Art. Zuvor hatte ich bloß gegen kleine Kinder gekämpft. Der Pokéball flog und ein Taubsi erschien. Es setzte sich auf den Boden und behielt Fukano angriffslustig im Blick. "Wie ich sehe hast du dir ein Pokémon gefangen." "Ja, ein Flug-Pokémon im Team zu haben, schadet nie", meinte Green und legte los. "Los, Taubsi, Windstoß!" "Biss, Fukano!", rief ich. Fukano war schneller. Er biss Taubsi und das kleine Vögelchen schreckte zurück. Ich warf einen Blick hinüber zu Green. Es verunsicherte ihn keineswegs. "Versuch's noch mal, Windstoß!" "Wieder Biss, Fukano!" Und erneut war Fukano schneller. Er biss sich in Taubsis Flügel, doch es konnte sich ihm entreißen und flatterte in die Luft, um heftig mit den Flügeln zu schlagen. Fukano wurde vom Windstoß getroffen, der ihn trotzdem fest auf dem Boden zurück in meine Richtung schob. "Noch einmal Biss!", rief ich. Es war vielleicht lausig, dass ich ihm die ganze Zeit dieselben Befehle gab. Aber bisher konnte er außer dieser Attacke nur Brüller, und das half mir nun mal nicht wirklich. Der einzige Effekt wäre gewesen, dass Green mir sein Schiggy entgegengeworfen hätte. Und das würde er gleich ohnehin tun. Fukano knurrte verärgert, rannte los und sprang, um das in der Luft fliegende Taubsi zu erreichen. Und Taubsi wurde getroffen. Es stürzte ab und fiel zu Boden, besiegt. Ich konnte ein kleines, triumphierendes Lächeln nicht verbergen. Green holte sein Taubsi zurück und steckte den Pokéball zurück an den Gürtel. "Nicht schlecht. Dein Fukano ist echt cool." Fukano bellte glücklich. "Aber kann es den Kampf auch mit Schiggy aufnehmen?" Ich wusste, dass er das tat. Doch bisher wurde Fukano bloß von einem Windstoß getroffen, also hatte er kaum Schaden genommen. Es stand noch alles offen. "Los, Schiggy!" Green warf den zweiten Pokéball an seinem Gürtel und sein erstes Pokémon erschien. Seiner Verfassung nach zu urteilen hatte es sich von dem Kampf mit Glumanda wieder erholt. Ich ballte die Hände und streckte die Hand aus. "Los, Fukano, setz wieder Biss ein!" "Benutz Blubber, Schiggy!" Ich dankte Fukanos Initiative dafür, dass er wieder zuerst traf. Doch kaum hatte er seine Zähne in Schiggys Arm gebissen, traf ihn ein direkter Blubber. Es war ein Volltreffer. Ich biss die Zähne zusammen. Ich wusste, dass es ihm Schaden zufügen würde, genau wie im Kampf gegen Glumanda. Schließlich war Fukano ebenso wie Glumanda ein Feuer-Typ und dadurch im Nachteil. "Gib nicht auf, Fukano!", rief ich ihm zu. "Greif einfach weiter mit Biss an!" Das Spiel wiederholte sich. Doch ich konnte nichts anderes tun, als mit dieser Attacke anzugreifen. Und in dem Moment merkte ich, wie ungeeignet die Tatsache war, dass Fukano physisch stärker war und somit ein leichtes Angriffsziel bot. Es dauerte nicht lange, da ging Fukano zu Boden. Ich wollte ihn anspornen, wieder aufzustehen, doch es entwich mir kein Laut. Und in dem Moment wurde mir bewusst, dass ich verloren hatte. Ich hatte zwar fest an meinen Partner geglaubt, aber meinen Gegner nicht einberechnet. Eine der wichtigsten Regeln für den Pokémon-Kampf, und ich hatte sie schon missachtet. Ich stürzte nach vorn und kniete mich auf den Boden, um Fukano in den Arm zu nehmen. Ich sah zu Green auf. "Scheint, als hätte ich verloren." "Eigentlich ist das noch gar nicht entschieden", meinte er bloß. "Du hast doch schließlich noch ein Pokémon." "Vergiss es, ich brauche dieses Bisasam nicht!", stieß ich auf und erhob mich vom Boden, meinen Partner in den Armen. "Ich hab einfach nur nicht bedacht, dass Fukano im Nachteil ist." "Bisasam wäre im Vorteil." "Das ist mir egal", gab ich bloß zurück und sah weg. "Fukano ist mein Partner. Mein einziger Partner." Ich war dankbar, dass Green nichts weiter dazu sagte. Stattdessen holte er sein Schiggy zurück, trat auf mich zu und packte mich am Arm. "Wir sollten unsere Pokémon wieder aufpäppeln. Komm." "Ja, du hast Recht…" Zwar behauptete Green, er würde nur mit ins Pokémon-Center kommen, um sein Taubsi wieder zu heilen und Schiggys kleine Wunden zu versorgen, doch ich war mir nicht sicher, ob das wirklich so stimmte. Jedenfalls war ich ihm dankbar, das er einfach mit mir kam, ohne ein Wort zu verlieren, und ich Fukano am Ende gesund zurückbekam. Dafür war ich immer bereit, etwas Geld auf den Tisch zu legen. Kapitel 5: Deep in the forest ----------------------------- Route 2, eine von Bäumen umgebene Route, die aus einem kurvenreichen Weg und dem Vertania Wald bestehen, die parallel zueinander verlaufen. Die Verbindung zwischen Vertania und Marmoria City. Und vielleicht auch der Weg in Richtung einer Arena, die nicht geschlossen hatte. Kaum hatte ich mich auf der Route zurechtgefunden, offenbarte sich mir bloß ein einziger Weg: der Vertania Wald. Das Stück um den Wald herum wurde von Bäumen eingezäunt, an denen ich nicht vorbeikam. Wer weiß, vielleicht würde ich später noch vorbeikommen. Vor dem Eingang zum Vertania Wald sah ich mich ein wenig im Gras um, doch stieß ich zunächst bloß auf Rattfratz und Taubsi, genau wie vor der Stadt, und ab und zu sogar auf ein Raupy oder Hornliu. Allerdings hatte ich keine große Lust, Fukano gegen diese Kleintiere antreten zu lassen. Wir hatten Wichtigeres zu tun, und mussten schleunigst durch den Wald finden. Um die letzten Vorbereitungen zu treffen, saß ich mit Fukano in dem kleinen Durchgangshäuschen und ging noch einmal alles durch. Wir hatten zuvor noch Proviant gekauft, um gut vorbereitet zu sein, sollten wir die Nacht im Wald verbringen müssen. "Hey, wie süß, ein Fukano!" Ich sah zu, wie ein kleines Mädchen plötzlich auf uns zugerannt kam und sich zu meinem Partner auf den Boden hockte. Fukano freute sich wie wild und hechelte. "Oh, wie niedlich!" "Noch, es ist schließlich noch recht klein", sagte ich knapp und stand auf. Ich konnte einfach nicht gut mit Kindern. Außerdem mussten wir ohnehin aufbrechen. "Wenn ich groß bin, möchte ich auch mal Pokémon-Trainer werden!", erzählte das Mädchen freudestrahlend und streichelte Fukano, der es offensichtlich genoss. "Und dann möchte ich auch so ein tolles Pokémon als Freund haben! Hast du schon ein Rattfratz gefangen? Es ist klein, aber sein Biss ist heftig!" "Nein. Und ich hab auch kein Interesse daran." "So, das reicht jetzt", sagte eine Stimme, und eine Frau stand von einer der Bänke auf und legte die Hände auf die Schultern des Kindes. Offenbar war sie ihre Mutter. "Du kannst doch nicht einfach fremde Leute anquatschen! Entschuldige bitte, meine Tochter ist manchmal einfach etwas neugierig." "Schon in Ordnung", entgegnete ich kühl und holte Fukano in seinen Pokéball zurück. Für die Reise durch den Wald war es wohl besser, ihn drinnen zu behalten. Ich wandte meine Schritte in Richtung der zweiten Tür, als die Frau sich wieder aufrichtete. "Du gehst in den Vertania-Wald? Sei auf der Hut, dort verläuft man sich leicht!" "Ich komm schon klar. Vielen Dank." Und ohne einen weiteren Blick auf die beiden verließ ich das kleine Durchgangshäuschen und trat in den Wald. Gleich zu Beginn war ein Schild aufgestellt: Tipps für Trainer: Geschwächte Pokémon sind leichter zu fangen! Sind sie bei Kräften, könnten sie fliehen! Auch das sollte eigentlich logisch sein. Wobei es nicht allzu viele Pokémon gab, die wirklich die Flucht ergriffen. Die meisten zogen den Kampf vor. Würde ich mit Sicherheit auch tun, wenn sich jemand in meinem Territorium befände. Ich wandte den Blick vom Tipps-für-Trainer-Schild ab und sah direkt in die Augen eines Jungen, der hämisch grinsend vor einem Baum mitten auf dem Weg stand. Ich kannte ihn nicht, doch er fixierte mich so unheimlich, als ob er bloß darauf gewartet hätte, mich hier und jetzt an dieser Stelle anzutreffen. Ich hob den Kopf und schenkte ihm einen fragenden Blick. Der Junge grinste nur noch breiter. "Meine Freunde und ich haben doch schon erwartet…" "Ach, ist das so?", sagte ich unbekümmert und schritt auf ihn zu. Er nickte. "Ja, das ist so. Unsere Pokémon wollen kämpfen!!!" "Und was hat das mit mir zu tun?", fragte ich und verschränkte die Arme. Doch der Junge ließ sich nicht einschüchtern. "Du bist hier, und offensichtlich ein Trainer. Also pass auf, denn sobald sie dich sehen, werden sie dich herausfordern. Du hast gar keine Wahl, als zu kämpfen. Kämpfe, oder sie machen dich gleich fertig." "Alles klar, weiß ich bescheid", winkte ich ab und ging einfach an ihm vorbei. Es gab scheinbar überall Leute, die sich wichtig machen wollten. Auf solche Idioten gab ich nichts, schließlich konnte ich nicht jedem dahergelaufenen Jungen und seinen Wünschen nachkommen. Wahrscheinlich wollte der sich einfach nur wichtig machen, oder er war einfach pleite. Aber ich würde bestimmt nicht herhalten, um mir das Geld aus der Tasche ziehen zu lassen. Also durchkämmte ich Stück für Stück den Wald. Ich kämpfte mich durch dichtes Gestrüpp und fand dabei einen Pokéball. Immerhin, vielleicht könnte ich ihn irgendwann gebrauchen. Aber wahrscheinlich eher nicht. Mir reichte schließlich ein Partner, und das war Fukano. Ich kämpfte mich weiter durchs Gras und dichtes Gestrüpp, stieß dabei auf ein weiteres dieser Schilder ("Bei Vergiftungen hat sich das Gegengift aus dem Pokémon-Supermarkt bewährt", bestimmt so ein dämlicher Werbespruch), und als ich um ein paar Ecken bog, entdeckte ich gleich das nächste: Tipps für Trainer: Wenn du Kämpfe meiden möchtest, bleibe hohem Gras fern! Ich fragte mich, wer um alles in der Welt diese Schilder überall aufgestellt hatte. Bisher hatten sie keinen Inhalt getragen, der für einen Trainer wirklich interessant gewesen wäre. Dass wilde Pokémon im hohen Gras lebten, das wusste doch bereits jedes Kind. Mich beschlich ein jedoch ein unheimliches Gefühl, als ich mich weiter durch den Wald kämpfte. Ich begegnete einem Jungen, der sich darüber beklagte, dass ihm die Pokébälle ausgegangen waren. Noch während ich weiterging, hörte ich seine gequälte Stimme hinter mir, dass er offenbar nicht wusste, was er jetzt tun sollte. Scheinbar war ich bloß von Idioten umgeben. "Hey!" Ich schrak zusammen. Ich wandte den Kopf, um zu sehen, wer mich da plötzlich so angeschrien hatte. Ich seufzte ziemlich angenervt, als schließlich ein Käfersammler mit stechendem Blick auf mich zukam. "Du hast auch Pokémon! Los! Lass uns kämpfen!" Am liebsten hätte ich diesen Knirps zur Strecke gebracht. Doch das war nicht meine Art, nicht bei Kindern. Ich wollte einfach weitergehen, doch in seinen Augen lag etwas, das ich bisher auch nur bei Trainern gesehen hatte: dieser Blick, dem niemand entkam. Ich wusste, ich hatte keine Chance, ihm zu entkommen. Ich musste kämpfen. Ich grinste. "Nun gut. Dann zeig, was du drauf hast!" Ich schickte Fukano in den Kampf, der Käfersammler für Hornliu. "Fukano, setz Biss ein!" "Hornliu, Giftstachel!" Sie griffen beinahe gleichzeitig an. Nur wieder war Fukano nur wenige Sekunden schneller. Er biss zu, und währenddessen geschah beinahe das gleiche, was auch im Kampf gegen Schiggy passiert war: Fukano bot in dem Moment ein leichtes Ziel und Hornlius Giftstachel traf. Fukano jaulte und wich zurück. Er fiel ins Gras und lag für einen Moment einfach nur da. "Fukano!" Ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Er stand wieder auf, doch irgendetwas war anders. Beinahe jeder Schritt schien ihm auf einmal Schmerzen zuzufügen. Fukano war vergiftet. Mit wütendem Blick sah ich Hornliu und seinen Trainer an. Nun, ich war wütend auf sie. Aber das waren die Risiken eines Pokémon-Kampfes. Und diesen Risiken musste man sich immer bewusst sein. Also galt es jetzt, zu kämpfen. "Fukano, vorwärts! Setz Biss ein!" Er gehorchte und biss abermals zu. Hornliu ging zu Boden. Ihm folgte ein Raupy, doch mit zwei Bissen konnte Fukano auch dieses erledigen. Wir ernteten unsere Belohnung und zogen weiter, doch ich hatte nichts, um Fukanos Schmerzen zu lindern. Es war die erste Hürde, die ich zu überwinden hatte. Die wir beide zu überwinden hatten. Es gab für uns keinen Weg zurück, wir mussten vorwärts, wir hatten ein Ziel. Und je weiter wir gingen, umso mehr wurde mir bewusst, dass ich auf den Jungen hätte hören sollen. Ich musste mich korrigieren. Er war kein Idiot. Er war ein Mistkerl. "Hey! Ein Pokémon-Trainer stiehlt sich nicht so einfach davon!!!" Und schon waren wir in den nächsten Kampf verwickelt. Zwei Hornliu, ein Kokuna. Und auch die raubten Fukano wieder an Kraft. Wir kämpften uns nun gemeinsam durch den Wald, da ich ihn nun nicht mehr alleine lassen wollte. Ich brauchte ein Gegengift, dringend… Fukano bellte, doch unter seinen Schmerzen klang es eher kläglich. Er tapste durchs Gras und begann an einer Stelle plötzlich zu scharren. "Hast du was gefunden?" Ich ging auf die Knie. Es war Glück im Unglück. Dort lag tatsächlich ein Gegengift. Fukano jaulte auf. "Komm her", sagte ich und nahm Fukano auf meinen Schoß, während ich nach dem Gegengift griff. Wenn ich es jetzt nicht benutzen würde, würde ich es bereuen, auch wenn ich den Einsatz solcher Medizin nicht besonders guthieß. Es ging hier schließlich um meinen Partner. Und für den würde ich alles tun. Also setzte ich das Gegengift ein. Die Vergiftung wurde geheilt. Dankbar legte Fukano mir seine Pfote auf die Schulter. Ich lächelte. "Du glaubst doch wohl nicht wirklich, dass ich dich so einfach hängen lasse, Partner." Wir irrten sehr lange durch den Wald. Dabei waren die dichten Bäume nicht gerade ein Vorteil, es wurde immer schwieriger, das Sonnenlicht zu sehen. Und das machte es nur noch umso schwieriger, den Pfad nicht aus den Augen zu verlieren. Wir fanden einen Trank im Gestrüpp, um Fukano notfalls zu heilen. Denn noch hatten wir nicht alle Trainer besiegt. Und auch den Ausgang hatten wir noch nicht gefunden. Und mein Gefühl sagte mir, dass wir ihn heute auch nicht mehr finden würden. Es mussten Stunden vergangen sein, die mir eher wie Minuten vorkamen, in denen wir auf und ab kletterten, uns durch dichtes Gestrüpp zwängten, hin und wieder auf einen weiteren Käfersammler mit Raupy und Hornliu stießen und Fukano erneut Gefahr lief, vergiftet zu werden. Ich konnte es nicht leugnen. Ich hatte Angst. Genau wie damals, als… Nein, ich durfte keine Angst zeigen. Ich musste den Weg aus diesem Wald hinaus finden. Und nur Fukano konnte mir dabei helfen. Also gingen wir weiter, verirrten uns weiter, und standen irgendwann orientierungslos mitten im Wald. Ich war müde, und auch Fukano war durch die ganze Lauferei ziemlich erschöpft. Es wurde schon dunkel, das Licht wurde immer spärlicher und schon bald konnten wir kaum noch etwas sehen. "Es bringt nichts, Fukano", sagte ich, als wir eine winzige Lichtung erreichten, und warf meinen Rucksack ab. "Komm, wir ruhen uns aus. Wenn wir bei Nacht durch diesen Wald laufen, dann finden wir noch weniger den richtigen Weg. Lass uns hier übernachten, morgen brechen wir wieder auf, dann bist du auch wieder fit." Ich ließ mich ins Gras fallen. Fukano tapste müde um mich herum, legte den Kopf auf meinen Schoß und schloss die Augen. Ich strich ihm über sein weiches Fell, während ich mich umsah. Ein wenig unheimlich war es hier schon. Natürlich, ich hatte schon schlimmere Orte gesehen als den Vertania Wald, schließlich waren die Pokémon hier auch nicht besonders stark und wir waren schließlich nicht eingeschlossen, aber dennoch hatten wir keine Ahnung mehr, wo wir waren. Es war eine furchtbare Nacht. Der Wind pfiff unheilvoll durch die Blätter der Bäume, das Rascheln ließ mich jedes Mal aufschrecken. Ich konnte kaum schlafen. Fukano hatte sich mit geschlossenen Augen zusammengerollt, doch seine Ohren zuckten bei jedem ungewöhnlichen Geräusch. Womöglich schlief auch er nicht wirklich. Doch wir mussten, beide. Je eher wir schliefen, umso eher konnten wir wieder aufbrechen und diesen verdammten Wald verlassen. Und umso eher waren wir außer Gefahr … denn so völlig übermüdet mitten im Wald, waren wir für jeden ein leichtes Ziel… Kapitel 6: Between rugged mountains ----------------------------------- Sobald ich das erste Sonnenlicht sah, holte ich Fukano zurück und brach auf. Es war unheimlich still im Wald, bis auf die wenigen Geräusche der leise rauschenden Blätter und wilder Pokémon, die sich im hohes Gras verbargen. Doch so bei Tageslicht machte mir das alles schon viel weniger Angst. Ich war wohl eher ein Sonnenmensch, ich brauchte das Tageslicht. Nach einer kleinen Mahlzeit brachen wir auf. Wobei man sagen musste, dass wir alle beide ziemlich mitgenommen waren. Fukano war es kaum anzusehen, da sein Fell ihn vor den Pflanzen im Wald schützte, einzig die Erschöpfung war erkennbar. Und der Wille in seinen Augen, so schnell wie möglich den Ausgang dieses Waldes zu finden. Ich hingegen sah deutlich mitgenommen aus. Meine Arme waren vom Gestrüpp, an dem ich hängengeblieben war, völlig zerkratzt, und ich war völlig verdreckt vom Waldboden. Tja, genau deshalb zog ich mir nie etwas Hübsches an. So gern meine Großmutter das auch gehabt hätte. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie genau wir aus dem Wald fanden. Ich wusste nur, dass wir aus diesem Wald rausfanden. Und das dank Fukano. Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich aufgeschmissen gewesen. Wir führten einen letzten Kampf gegen einen der Trainersammler, dem ich zum Schluss noch eine Kopfnuss verpasste, weil diese Kampf-Aktion mit seinen Freunden einfach saudämlich und richtig mies gewesen war, und ließ ihn am Wegesrand sitzen. Fukano schnüffelte den Boden ab und fand schließlich den Ausgang. tatsächlich war er nicht mal weit von uns entfernt gewesen, doch im Dunkeln hätten wir ihn nie gefunden. Erleichtert durchquerten wir das Durchgangshäuschen und standen tatsächlich vor der nächsten Stadt: Marmoria City. Marmoria City war schon damals wirklich steingrau, umgeben von hochaufragenden Bergen, die die kleine, friedliche Stadt beinahe ganz in sich einschlossen. Ich musste zugeben, dass diese Stadt etwas Interessantes an sich hatte. Währen da nicht immer diese dämlichen Schilder. Tipps für Trainer: Unabhängig von der Dauer seines Einsatzes erhält jedes Pokémon für die Teilnahme an einem Kampf Erfahrungspunkte, EP! Natürlich. Das wollte ich doch hoffen, schließlich lernten wir beide, mit jedem Kampf, und sammelten so unsere Erfahrung. Aber man konnte sich ab und zu auch mal irren. Zuerst brauchten wir ein Pokémon-Center. Mir ging es halbwegs gut, aber Fukano brauchte dringend Hilfe, auch wenn er es nicht zeigen wollte… Glücklicherweise brauchte ich nicht lange, um es zu finden. Ohne auf die anderen Menschen zu achten, die gemütlich durch die Stadt spazierten, ging ich zügig darauf zu und stieß die Tür auf. Das Pokémon-Center war fast leer. Mein Blick fiel auf einen älteren Herren, der nahe des PCs stand, und auf einen jungen Trainer auf einer Sitzbank und ein Pummeluff, das ganz in seiner Nähe auf dem Boden saß. Ich ging an ihnen vorbei und direkt auf die Schwester zu. "Willkommen im Pokémon-Center", sagte sie freundlich. "Wir heilen deine Pokémon und machen sie wieder fit! Brauchst du unsere Hilfe?" "Leider ja", sagte ich, bückte mich und hob Fukano hoch. "Wir sind lange durch den Wald geirrt, wir sind ziemlich erschöpft. Er war auch zwischenzeitlich vergiftet, aber ich hab ein Gegengift gefunden." "Hm, ich werde es mir trotzdem einmal genauer ansehen", sagte Schwester Joy und musterte mein Fukano. "Einen Moment bitte. Ich kümmere mich sofort darum. Komm her, Fukano." Ich sah zu, wie sie Fukano mit sich nahm und verschwand. Jetzt hieß es nur warten. Hoffentlich fehlte ihm wirklich nichts. Doch besonders aufgrund seiner mangelnden Freude wusste ich, dass er nicht ganz auf der Höhe war, die er vorzutäuschen versuchte. "Hey, du da!" "Hm?" Ich drehte mich um. Der Junge auf der Sitzbank hatte sich vorgebeugt und den Kopf auf seine zusammengeballte Hand gestützt. "Dein Pokémon sieht ziemlich angeknackst aus." "Ach, echt?", gab ich bloß mit ironischer Stimme zurück und wandte mich wieder ab. "Und das muss ich mir von einem Jungen sagen lassen, der sich nicht mal den Schlafdreck aus den Augen wischen kann." Ich hörte, wie er sich hinter mich kräftig durch die Augen rieb und herzhaft gähnte. "Hach, ich bin wahrscheinlich schon wieder viel zu lange hier…" "Übernachtest du hier, oder was?" Himmel, der ging mir vielleicht auf den Senkel. Und das definitiv zu viel, um ihn einfach zu ignorieren. Und ihn schien es in keinster Weise zu stören, dass er mir auf die Nerven ging. Das war definitiv ein er der vielen Gründe, warum ich zu Menschen deutlichen Abstand hielt. Zumal ich ihnen auch nicht das Gefühl geben wollte, dass sie mich interessierten und sich sogar noch fröhlich mit mir unterhalten konnten. Außerdem hatte ich zu tun. "Hey, redest du auch mit mir?" Ich knallte die Hand auf den Tresen und drehte mich langsam wütend um. Ich sah dem Jungen direkt in die Augen, blinzelte nicht einen Moment. "Pass auf. Wenn ich mich mit dir wirklich unterhalten wollte, dann würde ich mich zu dir setzen und mit dir reden. Das tu ich aber nicht. Warum? Weil ich keinerlei Interesse daran habe. Ich bin beschäftigt. Und nein, ich übernachte nicht hier." "Warum nicht?" "Warum was nicht?" Ich verlor allmählich die Geduld. Doch den Jungen kümmerte es nachwievor nicht. "Warum du nicht hier übernachtest." "Tust du es denn?" "Natürlich." Er nickte eifrig und gähnte herzhaft. "Ich versuche schon länger, wieder aufzubrechen. Aber das Pummeluff da lässt mich einfach nicht gehen." Ich warf einen Blick auf das Pokémon, das frisch vergnügt und offenbar überglücklich auf dem Boden saß und uns beobachtete. Dann sah ich wieder zum Trainer zurück und wies auf das unscheinbare Pummeluff und hob skeptisch die Brauen. "Das da lässt dich nicht gehen?" Der Junge nickte. "Sobald ich versuche, auch nur in die Nähe der Tür zu kommen, fängt es zu singen an. Es scheint mich wohl gern zu haben." "Mein Beileid", gab ich kühl zurück, drehte mich wieder um und stürzte mich erneut auf den Tresen. Glücklicherweise kehrte Schwester Joy gerade in diesem Moment mit Fukano zurück. Sie setzte ihn vor mir ab und schenkte mir ein ermutigendes Lächeln. "Danke, gönne ihm noch ein bisschen Ruhe und dein Pokémon ist wieder topfit. Komm jederzeit wieder vorbei!" "Danke." Ich legte die Münzen auf den Tisch, nahm Fukano auf den Arm und strich ihm über den Kopf. Vielleicht war es wohl besser, wenn ich ihm erst ein wenig Ruhe gönnte. Ich konnte mir in der Zeit schließlich immer noch die Stadt ansehen, vielleicht gab es ja was Interessantes. "Und? Warum übernachtest du hier nicht?", fragte der Junge erneut, als ich gerade den ersten Schritt auf die Tür zu machte. Ich hielt noch einmal inne, völlig angenervt, da dieser kleine Bengel mir langsam mehr als nur auf den Senkel ging. "Warum sollte ich das tun?" "Das tun eigentlich alle Pokémon-Trainer." "Was weißt du schon vom Trainer-Dasein." Und damit verließ ich das Center. Draußen im Sonnenlicht setzte ich Fukano wieder ab. Er sah mich erwartungsvoll an. Ich fragte mich immer, was er wohl dachte. Sein Gesicht jedenfalls verriet, dass er bereit war. Doch kämpfen lassen konnte ich ihn nicht, so gern ich auch einfach in diese Arena hineinspaziert wäre, um den Leiter dort einfach zu besiegen. Trainer zu sein, das bedeutete auch, Verantwortung zu zeigen. Verantwortung gegenüber seinem Partner. Also zog ich es vor, mir doch erst mal die Stadt anzusehen und auch gezwungenermaßen mit den Leuten zu sprechen. Ich erfuhr durch einen alten Mann, dass es auch Attacken gab, die ein Pokémon nicht durch seine Erfahrung und den Levelaufstieg erlernen konnte, sondern nur ein Trainer sie ihm beibringen konnte. Ich hätte gern gewusst, was das für Attacken waren. Ich kannte zwar natürlich die inzwischen entwickelten Technischen Maschinen, auch kurz TMs genannt, die man für viel Geld kaufen konnte, aber ich vermutete, dass nicht nur das gemeint war. Ein anderer wollte mir Tipps zum Fangen geben, doch ich war nicht sonderlich interessiert. Ich hatte nicht vor, weitere Pokémon zu fangen. Ich hatte schließlich schon einen Partner. Kurz darauf begegneten wir einem merkwürdigen jungen Mann, der wie verrückt durch seinen kleinen Garten huschte und Schutz versprühte, damit ihm wilde Pokémon fernblieben. Ich konnte bloß den Kopf schütteln. Und auch Fukano legte fragend den Kopf schief. Wir kamen am Markt vorbei, doch ich wollte nicht hinein. Ich hatte immer noch die letzte Begegnung im Kopf, als dieser verrückte Verkäufer mir das Paket für den alten Ōkido in die Hand gedrückt hatte. Ob Red inzwischen schon wieder in Alabastia war? Na wenigstens hatte ich mich dafür nicht opfern müssen. Nachdem wir schließlich noch hatten mit ansehen müssen, wie ein kleines Mädchen verzweifelt versuchte, ihr Nidoran zu dressieren, das sie von einem Tausch erhalten hatte, bekamen wir eine kleine Lektion über Tausch-Pokémon. Dass sie als Außenseiter betrachtet wurden, deprimierte mich zugegebenermaßen ziemlich. Wieso nannte man ein Pokémon, das sich im Endeffekt viel schneller trainieren ließ, einen Außenseiter? Zumal, hätte man dieses Pokémon nicht gewollt, hätte man es sich auch nicht ertauscht. Was also sollte dieser Blödsinn? Dass die Gefahr bestand, dass ertauschte Pokémon nicht gehorchten, war natürlich klar. Dafür sollte man schon etwas an Erfahrung besitzen, und entsprechende Orden. Tatsächlich gab es nur zwei Dinge, die mich wirklich näher interessierten. Zum einen erzählte mir eine Frau, dass Piepi vermutlich vom Mond stammten, wie die Gerüchte besagten. So war einst ein Mondstein vom Himmel gefallen und auf einem Berg gelandet, der deswegen auch inzwischen Mondberg genannt wurde. Seit diesem Vorfall sollten dort Piepi aufgetaucht sein. Das war eine Sache, die ich bei Gelegenheit vielleicht näher untersuchen sollte. Es steckte wahrscheinlich wirklich etwas Forscher-Blut in mir. Und schließlich standen wir vor der Arena. Ich sah an dem riesigen Gebäude hinauf. Wie gern wollte ich einfach hineingehen und den Arenaleiter herausfordern, hier und jetzt. Fukano sah mich an, voller Vorfreude auf einen Kampf. Doch ich schüttelte den Kopf. "Nein, Fukano. Nicht jetzt. Wir werden noch ein bisschen warten, bis du wieder fit bist. Und dann fordern wir den Leiter heraus." Fukano senkte den Kopf und ließ die Ohren hängen. Tröstend hockte ich mich auf den Boden und kraulte ihm den Kopf. "Keine Sorge. Wir holen uns diesen Orden noch, auch wenn er eigentlich recht uninteressant ist. Die Erfahrung ist es wert. Sobald du fit bist, gehen wir da rein." Ich warf einen Blick auf das Schild neben dem Gebäude. "Marmoria City Pokémon-Arena. Arenaleiter: Rocko, der steinharte Pokémon-Trainer. Na das werden wir später noch sehen, wie steinhart er ist." Wir wandten uns schließlich von der Arena ab und zogen weiter durch die Stadt. Allmählich wurde es Mittag und wir besorgten uns ein schmackhafteres Essen als unsere kleinen Snacks. Es tat gut, endlich wieder Fleisch zwischen den Zähnen zu haben. Danach fühlte ich mich deutlich besser, und Fukano offensichtlich auch. Gut gestärkt schritten wir weiter durch die Stadt und ich überlegte, was wir als Nächstes tun sollten. Doch wir waren kaum ein paar Schritte weit gekommen, als uns jemand ansprach: "Hey, du! Warte mal!" Wir hielten inne. Ich wandte mich um und sah einen jungen Mann auf uns zukommen, der uns fröhlich anlächelte. "Du scheinst mir neu in der Stadt zu sein, oder wohl eher auf der Durchreise." "Ja. Und?", fragte ich bloß. Der Mann klatschte fröhlich in die Hände. "Gut, gut. Warst du schon im Museum?" "Nein." "Wirklich nicht?", rief er aus, wobei seine Überraschung meiner Meinung nach eher gespielt war. "Es ist aber einen Besuch wert! Folge mir!" Wäre ich in diesem Moment nicht gut drauf gewesen, hätte er mich wohl richtig kennengelernt. Doch da wir ohnehin nichts zu tun hatten, nickte ich bloß und wir folgten dem jungen Mann durch die kleine Stadt. "Es ist gleich da drüben!", sagte er und deutete auf ein weiteres riesiges Gebäude, das ganz im Norden der Stadt lag. Wir blieben davor stehen und er wies strahlend auf den Eingang. "Bitte sehr! Man muss zwar Eintritt bezahlen, aber das ist es wert!" "Na dann." Ich sah ihn nicht an, während er fröhlich davon hüpfte und vermutlich den nächsten Passanten erspähte, dem er einen Museumsbesuch aufzwingen wollte. Vermutlich arbeitete er auch für dieses Museum. Ich seufzte. Nun gut, wo wir schon mal da waren, konnten wir auch hineingehen. Wir hatten ohnehin etwas Zeit. Und vielleicht hab es ja doch etwas Interessantes. "Für Kinder kostet der Eintritt fünfzig Pokédollar!", rief der Mann an der Kasse, als ich mich anstellte. "Möchtest du hinein?" "Nur, wenn Sie mich nicht als Kind bezeichnen", gab ich zurück und knallte ihm die Pokédollar auf den Tisch, wobei ich ihm einen durchdringenden Blick versetzte. "Tun Sie das nie wieder." Der Mann nickte, brachte jedoch kein Wort heraus und nahm langsam das Geld vom Tisch. Ich wandte mich ab, tat gerade den ersten Schritt, als - "Na sieh mal einer an, wenn das nicht Rei ist." Green stand da, die Arme weit ausgebreitet, als ob er der Größte wäre. Ich musste grinsen. Skeptisch wandte ich ihm meinen Blick zu. "Na, da bin ich aber überrascht. Du hier?" "Sieht ganz danach aus." Er wartete, bis ich bei ihm war, dann wies er unbedeutend auf die Bilder und Glaskästen. "Ich hatte einfach Langeweile und dachte mir, ich schau mal vorbei. Red wird ja ohnehin länger brauchen, da wir ihn ja mit dem Paket zurückgeschickt haben." Es entging mir nicht, dass er sich immer noch darüber amüsierte. Und ich musste zugeben, dass auch ich die Vorstellung amüsant fand, wie Red wohl allein zurück nach Alabastia rannte, um dem Alten dieses Paket zu überreichen, während wir ihm schon Kilometer voraus waren. "Und? Warum bist du hier drin?", fragte Green und lehnte sich lässig an die Wand. Ich schenkte ihm ein kaum merkliches Grinsen. "Das Gleiche wie du. Ich hatte Langeweile und kam hierher. So ein Typ hat mich her geschleift, ich wette, der arbeitet hier." "Ja, ja, tut er auch", meinte Green und wandte den Kopf. "Der wollte mich eben auch anquatschen, aber ich hab ihn einfach ignoriert. Wenn wir schon hier sind, sollten wir uns auch ein wenig umsehen. Man sollte nie eine Gelegenheit verstreichen lassen, um etwas über Pokémon zu erfahren. Interessieren dich Fossilien?" "Ich stamme aus einer Forscher-Familie. Mein Vater hat mich oft zu seinen Expeditionen mitgenommen." "Na dann los." So gingen wir zusammen durch das Museum und sahen uns die Fossilien an. Ich ging um einen der Glaskästen herum und betrachtete die dort ausgestellten versteinerten Knochen. "Aerodactyl", erklärte Green, während ich mich bückte, um es mir näher anzusehen. "Soll ziemlich selten sein. Kein Wunder, wenn es ausgestorben ist. Schließlich stammt Aerodactyl aus der Urzeit. Inzwischen ist die Forschung so weit, dass man sie wiederbeleben kann. Daher gibt es doch hin und wieder ein paar Trainer, die eins besitzen." Ich hob beeindruckt den Kopf. "Du scheinst wohl über alles informiert zu sein." Green grinste selbstgefällig. "Ich bin eben gut." Zugegeben, er amüsierte mich. An Selbstvertrauen schien es ihm kein Stück zu mangeln. Und dumm schien er ebenfalls absolut nicht zu sein. Er schien völlig überzeugt davon zu sein, dass er der Tollste hier war. "Ich kann dir noch mehr erzählen. Es wurde zum ersten mal als Fossil in einem Bernstein gefunden und stammt daher mit Sicherheit aus der Urzeit, zu Zeiten der Dinosaurier. Den Forschungen nach soll es fies und grausam gewesen sein. Mit gezackten Klauen stürzte es sich auf seine Beute hinab und zerriss sie mit seinen Zähnen, die eine Schärfe von Sägeblättern besaßen. Es verwendete seine Flügel, um zu gleiten. Dabei konnte es sehr hohe und laute Schreie ausstoßen. Vermutlich war Aerodactyl zu der Zeit der König der Lüfte und starb vermutlich zusammen mit den Dinosauriern aus." "Wow. Ich muss zugeben, ich bin beeindruckt", sagte ich ehrlich und richtete mich auf. "Du machst deinem Großvater ja alle Ehre." Das Grinsen auf seinem Gesicht verschwand. Sein Blick wandte sich ab, und mit einem Mal wurde Green ziemlich kühl. "Vergleiche mich nicht mit meinem Opa. Mag sein, dass er in seinem Leben einiges geleistet hat. Aber das hat nichts mit mir zu tun. Vor allem habe ich nichts groß mit ihm zu tun. Er ist nur mein Opa, okay? Ich werde besser sein als er." Es lag etwas unheimliches Ernstes, aber auch Zielgerichtetes in seiner Stimme. Es schien ihm ungeheuer wichtig zu sein. Ich verstand nicht, wieso ihn meine Worte so getroffen hatten, doch ich respektierte ihn. Also nickte ich. "Ist gut. Ich werde es nicht wieder tun." "Danke." Und damit wandte er sich dem nächsten Glaskasten zu und wies kurz darauf. "Kabutops. Es zählt wie wenige andere auch zu den Urzeit-Pokémon, da es bereits ausgestorben ist. Es wird der Antike zugeschrieben und befand sich gerade in der Entwicklung vom Meeresbewohner zum Landbewohner. Diese Veränderungen lassen sich an seine Kiemen und Beinen erkennen. Den Forschungen nach war Kabutops ein sehr guter Schwimmer. Dafür zog es im Wasser die Beine an und bewegte bloß seinen Panzer. Mit seinen großen, sichelartigen Klauen attackierte es Beutetiere und ernährte sich von deren Blut." Nach einem kurzen Blick auf das zweite Fossil stiegen wir gemeinsam die Treppe hinauf und sahen uns ein Meteoritengestein an, das vom Mondberg stammte, und ein Modell eines Space Shuttles. Währenddessen präsentierte mir Green permanent sein Wissen, als wollte er alle anderen in den Schatten stellen. "Wenn du ein guter Pokémon-Trainer werden willst, musst du zum einen dein Team kennen, und zum anderen auch deine Gegner. Du kannst nur wirklichen Erfolg haben, wenn du die Stärken und Schwächen deines Partners kennst, und auch die deines Gegners. Das ist der Schlüssel. Und aus dem Grund arbeite ich an meinem Wissen über alle Pokémon dieser Welt. Ich seh mir nicht nur ihren Typen an, sondern auch ihre Lebensweise. Das gibt mir einen Einblick, wie mein Gegner tickt. Und es hilft mir, meinen eigenen Partner zu verstehen." "Also hast du doch über mich und mein Fukano wahrscheinlich auch schon informiert?" "Na was glaubst du denn." "Und, was hast du rausgefunden?" "Fukano ist eigentlich sehr friedfertig und besitzt einen ausgeprägten Geruchssinn. Es wittert Eindringlinge ziemlich schnell und versucht sofort, sie durch lautes Bellen, Kläffen und auch Beißen aus seinem Revier zu vertreiben. Dabei ist es furchtlos und schreckt auch vor starken Gegnern nicht zurück. Es ist tapfer und auch unheimlich loyal gegenüber Menschen, vor allem in Bezug auf seinen Trainer. Fukano zählt als das treuste aller Pokémon und würde seinen Trainer unter allen Umständen vor Gefahren beschützen. Es ist außerdem in der Lage, die Gefühlslage von Menschen und anderen Pokémon wahrzunehmen." "Wow. Na da muss ich mich ja echt vor dir in Acht nehmen. Du scheinst ja ziemlich gut Bescheid zu wissen. Nachher kennst du meinen Partner noch besser als ich selbst." Green grinste. "Ich bin eben nicht nur gut, ich bin der beste." Auch ich grinste und warf amüsiert den Kopf zurück, während ich loslegte: "Wenn Schiggy aus dem Ei schlüpft, bildet sich bereits ein Panzer auf seinem Rücken, der sich noch erhärtet. Er dient ihm als Schutz, da Schiggy sich bei Gefahr in seinen elastischen Panzer zurückziehen kann und sich so vor Angriffen schützt. Außerdem verringern die runde Form und die Furchen der Oberfläche den Widerstand im Wasser, weshalb es schnell schwimmen kann. Es greift überwiegend mit einem Wasserstrahl oder Sprühschaum an." Es war anzusehen, dass Green damit nicht gerechnet hatte. Während ich meine Worte ausgesprochen hatte, war das selbstgefällige Grinsen langsam aus seinem Gesicht verschwunden. Nun sah er mich mit aufgerissenen Augen an, fing sich jedoch gleich wieder und nickte anerkennend. "Gut! Ich kann nicht abstreiten, dass auch du deine Hausaufgaben gemacht hast." "Ich bin eben die beste", erwiderte ich genüsslich. Green verschränkte die Arme. "Verdammt, du bist gut. Aber gegen mich kommst du so schnell nicht an." "Ist das eine Herausforderung?" Wenn er mich herausfordern wollte, dann sollte er es ruhig sagen. Ich war bereit. Und ich würde mir nicht die Blöße geben, kampflos unterzugehen. Ich war mir sicher, dass ich mehr Ahnung und Erfahrung hatte als andere. Doch mein Gefühl sagte mir, dass Green zumindest von seinem Wissen her kein Anfänger war. "Wenn du so willst, dann ist es eine", grinste er und bemühte sich, auf mich herabzusehen. "Hast du denn schon einen Orden?" "Nein. hast du einen?" "Nein. Wollte ihn mir gleich abholen." "Dann lass uns die Herausforderung annehmen." Wir sahen uns gegenseitig an, als ob jeder den anderen übertreffen wollte. Doch wir hielten beide dem Blick des jeweils anderen stand. Es war ein Kampf. Ein Kampf, den ich unbedingt gewinnen wollte. Und ich spürte, dass es spannend werden würde. Also gingen wir die Treppen wieder hinunter, verließen das Museum und machten uns auf den Weg zur Arena, zu unserem allerersten Arena-Kampf. Kapitel 7: Unloved ------------------ Da standen wir, vor den Türen der Arena von Marmoria-City. Auf Greens Gesicht zeichnete sich ein ziemlich selbstgefälliges Grinsen, als ob er in Wahrheit seinen Orden schon längst in der Tasche hätte. Mir war bisher noch nie ein Mensch mit einem so großen Ego begegnet. Auf den Kampf war ich jedenfalls gespannt. "Na dann", sagte Green und lehnte seine Hände gegen die Flügeltüren. "Dann wollen wir doch mal sehen, was der gute Rocko so drauf hat!" Mit einem Schwung stieß er die Tür auf. Sie standen vor einem riesigen Raum, der wohl die ganze Fläche der Arena ausfüllte. Er war recht simpel gestaltet, die einzige Dekoration, wenn man es denn so nennen konnte, bestand aus großen Felsen, die sich an den Wänden und vereinzelt in der Mitte der Arena vorbeizogen. Tatsächlich erinnerte dieser Aufbau ein klein wenig an einen japanischen Steingarten. Green ging voran, ich folgte ihm und sah mich um. Ich konnte hinter einem der Felsen einen Trainer stehen sehen. Green schien davon nicht sonderlich viel Notiz zu nehmen. Er stolzierte los, direkt auf Rocko, den Arenaleiter, zu, der am Ende des Raumes wartete und nun bei unserem Erscheinen den Kopf hob. Doch er sagte nichts. Wie eine amüsierte, ansonsten teilnahmslose Zuschauerin mit hinter dem Rücken verschränkten Händen folgte ich Green durch die Arena. Doch er kam nicht weit. Er war tatsächlich so fixiert auf Rocko, dass er den Trainer zwischen den Felsen nicht bemerkte. "Bleib stehen, wo du bist, Kleiner!", schrie der Trainer plötzlich und sprang zwischen den Felsen hervor. "Es dauert noch Lichtjahre, bis du gegen Rocko antreten kannst!" Green hatte sich so erschrocken, dass er mit einem Satz zur Seite gesprungen war und den Trainer so irritiert musterte, als ob er ein gerade aus dem Boden gewachsenes Unkraut wäre. Ich musste mir ein Lachen verkneifen. Doch Green fasste sich schnell wieder und setzte wieder sein selbstgefälliges Grinsen auf. "Na gut, wenn du meinst. Dann fang ich eben mit dir an." Und kaum waren seine Worte ausgesprochen, begann bereits der Kampf. Der Trainer schien ein Pfadfinder zu sein, der interessanterweise lediglich Boden-Typen verwendete, obwohl wir uns doch angeblich in einer Gestein-Arena befanden. Doch das sollte nicht meine Sorge sein. Der Pfadfinder startete mit einem Digda. Doch es hatte nicht den Hauch einer Chance. Green setzte natürlich Schiggy ein, eine Aquaknarre reichte völlig aus, um Digda zu besiegen. Das Gleiche geschah auch mit dem zweiten Pokémon des Pfadfinders, einem Sandan. Eine Aquaknarre und der Gegner fiel zu Boden. Deprimiert zog sich der Pfadfinder nach diesem Kampf zurück und verfolgte Green mit ehrfürchtigem Blick, als er erneut auf Rocko zuging. "Na sieh mal einer an, ein Herausforderer", sagte Rocko, der bloß verschränkten Armen dastand und ihn abschätzend musterte. "Interessant. An Selbstvertrauen scheint es dir jedenfalls nicht zu mangeln." Green verzog keine Miene. "Ich bin hier, um mir meinen ersten Orden abzuholen." Rocko ließ die Arme sinken, doch sein Blick blieb weiterhin ernst. "Dann bin ich wohl dein Gegner, denn ich bin Rocko, der Arenaleiter von Marmoria City. Du willst also einen Kampf, dann soll es so sein. Meine Devise ist eine steinharte Verteidigung und felsenfeste Entschlossenheit! Deshalb trainiere ich Gestein-Pokémon. Ich sehe in deinen Augen beinahe dieselbe Entschlossenheit, die auch mich antreibt. Aber das bedeutet nicht, dass es deshalb einfacher für dich wird. Willst du es immer noch mit mir aufnehmen?" "Natürlich", sagte Green und schritt auf ihn zu. "Deshalb bin ich doch überhaupt hergekommen. Wie erbärmlich wäre ich denn, gleich wieder zu gehen?" "Wie ist dein Name?" "Green." Rocko nickte. "In Ordnung, Green. Dann zeige mir, wie gut du bist!" Mit einer ausladenden Armbewegung eröffnete Rocko seinem Gegner das Kampffeld. Ich setzte mich auf einen Stein, um ihnen zuzusehen, während die beiden sich einander gegenüberstellten und sich zum Kampf bereitmachten. Ich konnte eine gewisse Energie spüren. Etwas, das nicht mit einem gewöhnlichen Trainer-Kampf zu vergleichen war. Green wandte den Kopf und sah mir mit seinem selbstgefälligen Grinsen in die Augen. "Tja, Rei, ich würde dir ja so gern mein Talent zeigen, aber dieser Kampf ist dafür viel zu einfach." Aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie sich Rockos Augen verengten. Er nahm den ersten Pokéball. "Gut. Fangen wir an. Los, Kleinstein!" Rocko warf Kleinstein in den Kampf. Ein Pokémon vom Typ Gestein und Boden. Ich konnte mir schon denken, was Green tun würde. Sein Gesicht verriet, dass er mit so etwas gerechnet hatte. Er warf seinen Pokéball und wie erwartet erschien Schiggy. Es strotzte nur so vor Energie. Ein leichtes Lächeln zog sich über Rockos Gesicht. "Eine gute Wahl. Aber so einfach gebe ich mich nicht geschlagen, nur weil du im Vorteil bist. Los, Kleinstein, Tackle!" Kleinstein setzte zum Angriff an. Doch Green zuckte nicht einmal. Er sagte bloß: "Auqaknarre." Schiggy gehorchte. Es griff an, und Kleinstein wurde von dem Wasserstrahl direkt ins Gesicht getroffen. Es stoppte, und fiel dann zu Boden. Es war besiegt. Rocko blinzelte, wohl ein wenig schockiert. Mit halb geöffneten Mund stand er einige Sekunden nur da, dann rief er Kleinstein zurück und zog den nächsten Pokéball. "Nun gut. Kleinstein hast du locker geschlagen. Aber wie steht es mit diesem hier?" Und er warf sein zweites Pokémon in den Kampf. Ein riesiges Onix türmte sich vor ihnen auf. Es wirkte im ersten Moment ein wenig bedrohlich, doch ich wusste genau, was passieren würde. Denn auch Onix war wie Kleinstein ein Pokémon vom Typ Gestein und Boden. Die doppelte Wasserschwäche würde es genauso zu Boden zwingen. "Los, Onix! Kreideschrei!" Onix stieß einen hohen Schrei aus, der in den Ohren wehtat. Ich schlug mir sofort die Hände davor, um keine Kopfschmerzen zu kriegen. Schiggy hielt einen Moment inne und auch Green wich einen kurzen Moment zurück, dann rief er: "Aquaknarre, Schiggy!" Schiggy bewahrte die Fassung und stürzte los. Es geschah so schnell, dass kaum Zeit zur Reaktion blieb. Onix wurde seitlich von der Aquaknarre getroffen und wandte den Kopf ab. Doch es stand noch. Rocko nutzte die Gelegenheit für einen Angriff. "Setz Tackle ein!" Onix stürzte vor. Doch Green befahl Schiggy erneut die Aquaknarre und Onix konnte nicht einmal ausweichen. Es wurde erneut vom Wasserstrahl getroffen und sackte mit einem lauten Krachen zusammen, das den Boden unter uns erzittern ließ. Einen Moment danach herrschte Stille. Rocko rief Onix zurück und holte tief Luft. Er sah Green an und schritt langsam auf ihn zu. "Ich habe dich falsch eingeschätzt, Green. Nimm den Felsorden als Zeichen meiner Ehrerbietung!" Ich beobachtete, wie Rocko ihm etwas in die ausgestreckte Hand legte. "Das ist ein offizieller Orden der Pokémon-Liga! Die Pokémon der Person, die den Orden trägt, werden stärker. Von nun an können deine Pokémon jederzeit Blitz einsetzen!" "Hm", machte Green und betrachtete den Orden im Licht. "Na mal sehen, ob ich das brauche." Er war schon halb auf dem Weg davon, da rief Rocko ihm nach: "Warte! Nimm das hier mit." Green hielt inne und wandte sich erneut dem Arenaleiter zu. Er zog etwas aus der Tasche, das aussah wie eine gewöhnliche CD. Sie trug die Nummer 34. "Was ist das?", fragte Green skeptisch, als ob er es eigentlich schon gar nicht haben wollte. Doch er nahm sie dennoch entgegen, während Rocko erklärte: "Das ist eine TM. Eine TM enthält Attacken, die Pokémon erlernen können. Man kann sie allerdings nur ein einziges Mal verwenden. Wähle also sorgfältig jenes Pokémon aus, dem du eine TM geben möchtest! TM 34 ist Geduld. Dein Pokémon absorbiert die gegnerischen Attacken und kontert mit doppelter Kraft. Ich kam leider nicht dazu, dir diese Attacke vorzuführen. Schließlich hast du meine Pokémon vorher bereits besiegt." Green sah irritiert und gereizt auf. "Was ist das für eine sinnlose Attacke? Was bringt es, wenn man mit zweifacher Stärke kontern kann aber der Gegner die Zeit ausstallt, indem er wechselt oder Statusattacken nutzt?! Sowas sinnloses … tse ..." Ich hatte zwar zu dem Punkt noch keine Ahnung, was er damit meinte, doch es tat seine Wirkung. Vollkommen schockiert über seine Respektlosigkeit sah Rocko zu, wie Green die TM lieblos in seine Tasche stopfte. Ich konnte nicht abstreiten, dass er tatsächlich verdammt arrogant und unverschämt war. Mit mir hätte er so nicht reden können, wäre ich Arenaleiter gewesen. Aber das war ich ja schließlich nicht. Also sollte es mir egal sein. "So, Rei", sagte Green plötzlich und ließ sich amüsiert auf einen Stein zur anderen Seite fallen. "Jetzt bleibst noch du. Zeig, was du drauf hast." Ich ballte die Hände zu Fäusten und sprang abrupt auf. Das war meine Chance. Ich würde es vielleicht nicht so einfach haben wie Green, doch das zerrte nicht an meinem Willen. Schließlich hatte ich außerdem einen zuverlässigen Partner. "Noch ein Herausforderer", sagte Rocko und musterte mich abschätzend. "Du willst also auch gegen mich kämpfen?" "Das war der Plan", erwiderte ich bloß. "Wann können wir anfangen?" "Jetzt sofort." Rocko zog zwei weitere Pokébälle hervor und hielt sie hoch. "Was wäre ich denn für ein Arenaleiter, wenn ich bloß zwei noch nicht mal besonders starke Pokémon bei mir hätte? Man muss schließlich auf alles vorbereitet sein." "Gut", sagte ich und nahm ohne eine weitere Aufforderung Greens Platz in der Arena ein. Es war wirklich ein ganz anderes Gefühl, als gegen einen beliebigen, lausigen Trainer zu kämpfen. Ich war ziemlich angespannt. Eigentlich ging es mir gar nicht um diesen verdammten Orden, sondern bloß um die Herausforderung. Eine Herausforderung, die ich mir wohl selbst gestellt hatte. Rocko stellte sich wider auf seinen Platz, mir gegenüber, und sah mich erwartungsvoll an. "Und? Können wir anfangen?" "Und ob wir das können." Der Kampf begann. Rocko startete erneut mit einem Kleinstein. Ich natürlich mit Fukano. Beide standen sich gegenüber und starrten einander an. Fukano fletschte die Zähne und knurrte. Ich war deutlich im Nachteil. Es blieb mir nur übrig, meinem Partner zu vertrauen. "Los, Fukano! Biss!" Fukano bellte und rannte los. "Einigler", rief Rocko seinem Pokémon zu. Fukano biss zu und versenkte seine Zähne in Kleinstein. Doch das kümmerte es kaum. Ich sah, wie Fukano zurücksprang und Kleinstein sich einkugelte, um seine Verteidigung zu heben. Schaden hatte es wohl kaum genommen. "Noch einmal Biss!" Was blieb mir auch anderes übrig? Ich hatte bloß eine einzige andere Attacke, die mir womöglich kaum helfen würde. "Tackle, Kleinstein!" Fukano biss erneut zu, und wurde dann von Kleinsteins Tackle getroffen. Er wurde zurückgestoßen, stand jedoch weiterhin aufrecht. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie aussichtslos der Kampf eigentlich war. Aber ich wollte doch nicht gegen ein einfaches Kleinstein verlieren! "Brüller!" "Einigler." Fukano ließ sein Brüllen hören, doch Kleinstein blieb unversehrt und kugelte sich erneut ein. Doch so schnell gab ich nicht auf. Es ging weiter. Fukano attackierte weiter mit Biss, da Brüller Kleinstein zum einen nichts ausmachte, und zum anderen Onix kein besserer Gegner sein würde, sollte er wieder das gleiche Team benutzen wie im Kampf gegen Green. So oder so, ich müsste sie beide besiegen. "Du weißt, dass das so nichts wird, Rei", hörte ich Greens Stimme vom Rande des Kampffeldes. Es versetzte mir einen Stich. Ja, ich wusste es. Doch ich wollte es nicht einsehen. Ich konnte nicht einfach so aufgeben. Niemals! "Tackle!", befahl Rocko und Kleinstein griff ein letztes Mal an. Fukano wollte sich noch mit einem Biss wehren, doch es war bereits zu angeschlagen und Kleinsteins Attacke traf ihn mit voller Wucht. Er stürzte zu Boden. Er lag da, die Augen geschlossen. Besiegt. Dieser Anblick ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Mir war nun alles gleich. "Fukano!" Ich rannte aufs Kampffeld und schloss die Arme um meinen Partner. Er war verletzt und brauchte dringend Hilfe. Und zwar schnell. "Hast du noch ein weiteres Pokémon?", fragte Rocko. Ich sah auf. Ich fing auch Greens Blick, der mich durchdringend ansah. Und ich wusste genau, worauf er hinauswollte. Doch das wollte ich nicht. "Nein", sagte ich und stand auf. "Nein, ich habe kein weiteres Pokémon." "Rei", sagte Green scharf, doch ich ignorierte ihn. "Ich muss meinem Partner helfen. Entschuldige mich, aber das hat oberste Priorität." Und ohne einen weiteren Blick auf Green und Rocko stürmte ich aus der Arena. Fukano musste so schnell es ging ins Pokémon-Center, der Kampf hatte ihm so hart zugesetzt, dass er nicht einmal mehr die Augen offenhalten konnte. Ich musste ihm helfen. "Rei!" Draußen angekommen wandte ich mich um. Es war Green. Er war mir offenbar gleich gefolgt. Sein Blick war immer noch durchdringend. "Warum hast du das gemacht?" "Mein Partner hat Vorrang." "Das habe ich nicht gemeint." Er kam näher, ließ mich aber keine Sekunde aus den Augen. "Wieso hast du behauptet, du hättest kein weiteres Pokémon?" "Weil ich nun mal nur einen Partner habe!", antwortete ich und strich Fukano über den Kopf. Es war viel zu erschöpft, um sich überhaupt irgendwie aufrecht zu halten. "Wieso benutzt du Bisasam nicht?", fragte Green in scharfem Ton. "Glaubst du ehrlich, dass du mit nur einem Pokémon durch die ganze Welt reisen kannst?" "Was kümmert es dich?!", schrie ich los, und bereute es im nächsten Moment fast. Natürlich konnte Green das niemals verstehen. Genauso, wie er nichts dafür konnte. Gar nichts. Ich wollte loslaufen, doch Green packte mich am Handgelenk und zog mich zurück. Seine Augen schienen mich durchbohren zu wollen. "Du hast gegen mich verloren. Warum? Weil ich ein Wasser-Pokémon habe. Du hast gegen Rocko verloren. Warum? Weil er Gestein-Pokémon benutzt. Du warst in beiden Fällen im Nachteil, weil Fukano ein Feuer-Pokémon ist. Siehst du denn nicht, wie wichtig eine Typenvielfalt ist? Das ist auch der Grund, warum ich mir schon direkt ein zweites Pokémon dazu gefangen habe. Man muss die Schwächen seines Pokémon durch ein anderes wieder ausgleichen. Und du hast ein Pokémon, das Fukanos Typschwäche ausgleicht. Benutze es, verdammt nochmal! Dann gewinnst du auch und kommst weiter. Sonst kannst du gleich nach Hause zurück, mit so einer Einstellung kommst du nicht weit." Ich wandte mit zusammengebissenen Zähnen den Blick ab. Es waren mehrere Stiche ins Herz. Ein Moment, in dem ich, die eigentlich sehr stark war, mit den Tränen kämpfte. Ich wusste, dass er Recht hatte. Und dennoch wollte ich es nicht zugeben. Denn ich wollte keinen anderen Partner als Fukano. Und das würde Green wohl niemals verstehen… "Was tust du da?!", fuhr ich Green schließlich an, als er meinen Rucksack packte, den ich nur über die eine Schulter geworfen hatte, und ihn zu Boden riss. Ich drehte mich gerade um, da hatte Green sich schon hingehockt und ihn schon geöffnet. Er begann, darin herumzuwühlen. Wütend starrte ich ihn an. "Was fällt dir eigentlich ein?!" Er zog den Pokéball aus der Tasche, den ich in Alabastia bereits einfach achtlos hineingeworfen hatte, und hob ihn hoch, um ihn mir zu zeigen. "Dein Bisasam. Seit du es besitzt, hast ihm eigentlich nur gezeigt, wie ungeliebt es ist. Was macht dich so kalt, dass du dich kein Stück darum kümmerst?" Mein Magen verkrampfte sich. Green warf den Pokéball und Bisasam sprang heraus. In dem Moment war mir bewusst, was ich eigentlich getan hatte. Bisasam lag da, wandte verunsichert den Kopf und sah mich mit angsterfüllten Augen an, als ob es gleich weinen würde. Ich erstarrte vor Schreck. Green richtete sich auf und griff in seine Tasche. "In den Bällen verbrauchen Pokémon deutlich weniger Energie. Sie verlieren ihr normales Gewicht, da sie sozusagen komprimiert werden. Und in dem Zustand sparen sie ihre Energie, deshalb können sie auch tagelang ohne Essen auskommen. Aber du kannst sie nicht ewig einsperren und erwarten, dass dadurch alles gut wird." Wie gelähmt sah ich zu, wie Green sich bückte und dem Bisasam etwas zu Essen hinhielt. Doch das Pokémon wich verängstigt zurück. "Hey, keine Angst. Ich tu dir nichts. Aber jetzt wird alles wieder gut, vertrau mir. Alles wird wieder gut." Bisasam zögerte eine Weile. Doch dann schnupperte es an dem Futter in Greens Hand, und aß schließlich davon. Green schenkte ihm ein leichtes Lächeln. "Na siehst du. Es geht doch." Er richtete sich wieder auf. "Rei. Ich will dir nicht vorschreiben, was du zu tun oder zu lassen hast. Ich weiß auch nicht, was dich antreibt. Das geht mich auch nichts an. Aber du solltest wissen, dass wir allein in dieser Welt machtlos sind. Unser Team, darauf müssen wir vertrauen, um in dieser Welt zu überleben. Einzelkämpfer überleben nicht lange. Bisasam ist ein Teil deines Teams. Entweder du nimmst es an dich, oder du lässt es, aber dann gib es jemandem, der sich wirklich darum kümmert! Die Entscheidung liegt bei dir. Ich werde noch ein wenig in der Stadt bleiben und etwas trainieren. Aber nicht mehr lange. Morgen früh werde ich weiterziehen, ob du dabei bist oder nicht. Überlege dir, was du tun willst. Und zwar gründlich." Green versetzte mir einen letzten Blick, dann ging er davon und hielt nur noch einmal kurz inne, ohne sich rumzudrehen. "Und kümmere dich um Fukano. Es braucht wirklich dringend Hilfe." Immer noch wie gelähmt starrte ich ihn an. Doch er verschwand um die Ecke und ließ mich allein. Allein mit einem verletzten Fukano und einem völlig verängstigten Bisasam. Ich fiel auf die Knie. Was hatte ich nur getan… Ich konnte spüren, wie Bisasam mich erschrocken anstarrte, als ich wirklich zu weinen begann. Und ich hasste mich dafür. Es war nur ein Moment, in dem ich zusammenbrach, doch dieser reichte für mich, um mir für einen Moment den Boden unter den Füßen wegzureißen. Ich hatte versagt. "Es tut mir leid…", sagte ich, umklammerte Fukano und streckte die freie Hand nach Bisasam aus. "Es tut mir wirklich leid…" Und tatsächlich. Bisasam zögerte einen Augenblick, dann kroch es vorsichtig und langsam zu mir herüber und stupste mit dem Kopf an meine Hand. Ich schloss beide Pokémon fest in meine Arme und wünschte mir einfach nur, ich würde die Kraft haben, um mein Ziel zu erreichen. Denn dafür musste ich mehr als stark sein. Weit mehr… Kapitel 8: The first badge -------------------------- Von diesem Tag an beschloss ich, etwas zu ändern. Meine Emotionen hatten mich für einen Moment überwältigt und mir den Boden unter den Füßen weggerissen, doch ich war keine derjenigen, die nach dem Sturz auch unten blieben. Nein, ich war eine derjenigen, die bis zum bitteren Ende kämpften, bis es endgültig vorbei war. Und dabei hatte ich doch gerade erst angefangen. Schließlich hatte ich Ziele, die ich innerlich verfolgte, der Grund, weshalb ich mich überhaupt auf diese Reise begab. Zugegeben, Greens Erniedrigung hatte mich hart getroffen. Und ich war zu stolz gewesen, um ihm die Wahrheit zu offenbaren. Dennoch musste ich mir eingestehen, dass er verdammt nochmal Recht hatte und ich diesen Arschtritt auch definitiv gebraucht hatte. So erniedrigend es auch gewesen war, ohne Green hätte ich es nicht einmal in Erwägung gezogen, mir ein Team zuzulegen. Ich brauchte es wohl, um gegen Rocko zu gewinnen, da ich mit Fukano bloß wieder im Nachteil wäre, selbst wenn Rockos Pokémon nicht einmal eine Gesteinsattacke einsetzten. Fukano … nach dieser demütigenden Niederlage hatte ich ihn ins Pokémon-Center gebracht und untersuchen lassen. Schwester Joy hatte mir gesagt, ich sollte ihm einen Tag Ruhe gönnen. Zur Sicherheit war Fukano gleich im Center geblieben, während ich mich erneut auf den Weg gemacht hatte, um meine Gedanken zu sammeln. Ich machte mir immer noch Sorgen. Doch ich entschloss mich dazu, Bisasam zu trainieren und auf den Arena-Kampf gegen Rocko vorzubereiten. Tatsächlich fanden wir sogar einen Draht zueinander. Am Anfang, gerade ohne Green, war Bisasam noch gänzlich abgeneigt und verängstigt gewesen. Doch inzwischen, wo wir bereits den ganzen Tag zusammen verbrachten, schien es mich allmählich zu akzeptieren. Und tatsächlich musste ich zugeben, dass ich Bisasam mochte. Auch wenn ich nicht geübt darin war, mit Pflanzen-Pokémon umzugehen. Also setzten wir beim Training an. Ich musste erst einmal herausfinden, welche Attacken Bisasam überhaupt beherrschte. Tatsächlich konnte es anfangs nicht außer Tackle, Heuler und Egelsamen, doch mit etwas harter Arbeit brachte ich es so weit, dass es Rankenhieb erlernte. Damit konnte ich Rockos Pokémon besiegen, schließlich besaßen die Typen Gestein und Boden jeweils auch eine Pflanzen-Schwäche. Sie würden Kleinstein und Onix deutlich Schaden zufügen. Es war schon später Nachmittag, als wir eine kurze Pause einlegten, um Fukano aus dem Pokémon-Center abzuholen. Es ging ihm wieder besser, doch kämpfen lassen konnte und wollte ich ihn im Augenblick nicht. Erst die Niederlage gegen Green auf Route 22, dann dieser Überfall der Käfersammler im Vertania Wald, und schließlich die noch erniedrigende Niederlage gegen Rocko … fürs Erste hatte Fukano genug erlebt. Dennoch holte ich ihn nicht in seinen Pokéball zurück, sondern ließ ihn uns beim weiteren Training zusehen. Wir hatten uns einen Platz direkt vor der Stadt ausgesucht, sodass wir jederzeit vom hohen Gras zurückweichen konnten. Während wir gemeinsam an Bisasams Rankenhieb arbeiteten, lag Fukano genüsslich im Gras und badete im Sonnenlicht. Bald waren wir soweit, dass wir gegen Rocko antreten konnten. "Du scheinst dich ja wirklich ins Zeug zu legen." Ich erschrak und drehte mich um. Es war Rocko. Tatsächlich hatte ich wirklich nicht erwartet, ihn hier anzutreffen. Sofort nahm ich wieder eine aufrechtere Haltung ein, um nicht respektlos zu erscheinen. Schließlich war er Arenaleiter, und ich wollte nicht unbedingt Greens Verhalten imitieren. Rocko schenkte mir ein freundliches Lächeln und ging an mir vorbei, direkt auf Bisasam zu. Er bückte sich und tätschelte seinen Kopf. "Du trainierst aber fleißig. Dann nehme ich mal an, dass du gegen Kleinstein und Onix antreten wirst." Bisasam gab ein vergnügtes Geräusch von sich. Ich sagte nichts. Rocko wandte den Kopf und stand wieder auf. "Du hast also schon mal deine Lektion gelernt, Rei." Ich nickte. Sagte aber immer noch nichts. Mit einem Seufzer wandte Rocko sich wieder ganz mir zu. "Du bist nicht gerade redselig, kann das sein?" "Sollte ich das", gab ich kühl zurück und verschränkte die Arme. "Ich bin im Training. Wir haben einiges aufzuholen, ich darf keine Zeit verschwenden. Jeder Tag, den ich nicht weiterkomme, ist ein verlorener Tag. Deshalb bringen wir das Training auch zügig voran. Ich kann nicht allzu lange in dieser Stadt bleiben." "Hm." Er musterte mich nachdenklich. Ich hatte keine Ahnung, was das werden sollte, doch langsam verlor ich die Geduld. Vielleicht einfach schon, weil ich eigentlich keine Menschen mochte. Und noch weniger, wenn sie mich anstarrten, ohne zu sagen, was sie dachten. Also sagte ich ein wenig gereizt: "Was ist? Hab ich was im Gesicht?" "Nein." Er ließ seine Hände sinken. "Was ist denn?!" Er schüttelte den Kopf. "Nichts. Ich habe nur selten jemanden mit solch entschlossenen Augen gesehen. Ich frage mich, welches Ziel du wirklich verfolgst." "Das ist meine Sache", antwortete ich immer noch mit kühler Stimme. "Ich bin hier, und ich will diese Herausforderung bestehen und dann weiterziehen. Wenn ich Green noch einholen will, dann muss ich das mit morgen früh erledigt haben." "Du meinst, du willst deinen Orden?" "Darum geht's mir nicht. Ich will nicht den Orden, ich will diese Herausforderung bestehen. Orden haben für mich keinen Wert. Die Erfahrung hat für mich einen Wert." Rocko warf einen Blick auf Bisasam, ließ ihn dann zu Fukano hinüber schweifen und schließlich wieder zu mir. "Ich weiß, was es ist. Ein alter Freund von mir hatte denselben Blick drauf wie du. Nun gut. Du willst also diese Herausforderung?" "Ja." Ich verzog keine Miene. Rocko nickte. "Gut. Braucht ihr noch ein wenig Zeit? Ihr seid ja noch beim Training." "Ich denke, wir sind soweit", sagte ich und ballte meine Hände zu Fäusten. Ich war bereit für einen erneuten Angriff, und diesmal würde ich nicht verlieren. Denn diesmal war ich im Vorteil. Ich warf einen Blick auf Bisasam. "Na, was sagst du? bereit für einen richtigen Kampf?" Bisasam legte den Kopf schief. "Ich bin mir nicht sicher, ob das eine Zustimmung war", meinte Rocko abschätzend. "Du hast noch nie richtig gekämpft, oder?" "Wie denn auch", gab ich zurück. "Die anderen Trainer in der Umgebung hab ich schließlich schon mit Fukano besiegt." "Weißt du, mit deinem Tonfall bist du nicht weit von Green entfernt. Dabei solltest du vielleicht etwas mehr darauf achten. Schließlich schuldest du mir eigentlich noch was." "Wie?" Ich sah erschrocken auf. Das stimmte. Ich war so eilig mit Fukano aus der Arena gestürzt, dass ich Rocko nicht einmal sein Preisgeld ausgezahlt hatte. Eigentlich hatte ich also Schulden bei ihm. Bisasam hüpfte an ihm vorbei und nahm den Platz vor mir ein. Er nickte mir zu, in seinen Augen lag etwas Sicheres, das für mich Grund genug war. Ich grinste kaum merklich, dann sah ich zu Rocko auf. "Gut. Ich verzichte auf das Preisgeld, wenn ich gewinne, und ich bin frei von Schulden. In Ordnung?" "Einverstanden. Seid ihr bereit?" "Wir sind bereit." "Hier und jetzt?" "Hier und jetzt." Es war also so weit. Die Sonne ging langsam unter und tauchte unser Kampffeld am Rande der Stadt in ein orangenes Licht. Fukano gähnte herzhaft und setzte sich auf. Rocko und ich nahmen unsere Posten ein. Mein Blick wurde noch fester, als wir uns gegenüberstanden. Ich durfte den Ernst der Situation niemals aus den Augen verlieren. Ein Kampf war nicht bloß ein Spiel, es war weit mehr als das. Jeder Kampf bedeutete ein hohes Risiko, doch diesmal würde ich es ohne zu zögern eingehen. Der Kampf wurde eröffnet. Rocko schickte sein erstes Pokémon los und Bisasam wandte sofort seinem Gegner zu. Wieder war es ein Kleinstein. "Dann zeig mir, was du gelernt hast, Rei", rief Rocko und streckte die Hand aus. "Kleinstein, halt dich bloß nicht zurück!" "Mach dich bereit, Bisasam", sagte ich und zog mir meine Kappe ein Stück ins Gesicht. Jetzt würde ich ihm zeigen, dass ich besser war als er. Dass ich nicht umsonst hergekommen war und die Herausforderung angenommen hatte. Dieser Kampf war ein Teil eines großen Krieges, den ich niemals verlieren durfte. Und mein Kamerad und ich würden nicht untergehen. Niemals. "Tackle, Kleinstein!" Rocko begann den Kampf. Für mich das Startzeichen, um Bisasams Techniken einzusetzen. "Rankenhieb!" Beide griffen gleichzeitig an. Kleinstein knallte mit voller Wucht gegen Bisasam, dessen Ranken auf ihn einschlugen. Es hatte beide getroffen. Doch nur Kleinstein hatte es völlig umgehauen. Bisasam sprang zurück und wartete ab. Ich war mir nicht sicher, ob Kleinstein wirklich besiegt war. Es war noch nicht am Boden. "Noch einmal Rankenhieb!" "Einigler, und dann Tackle!" Wieder prallten die beiden aufeinander. Doch Kleinstein kugelte sich ein, während Bisasams Ranken erneut zuschlugen. Ein triumphierendes Lächeln zog sich über mein Gesicht. Kleinstein konnte sich nicht mehr rühren. Ich hatte den ersten von zwei Kämpfen gewonnen. "Nicht schlecht", sagte Rocko und holte Kleinstein zurück. Er musterte mich weiterhin abschätzend und zog den zweiten Pokéball. "Aber glaube nicht, dass Onix und ich nicht auch trainiert hätten. Wir haben ebenfalls die Zeit genutzt." Bisasam ging erneut in seine Angriffsposition. Ich innerlich auch. Doch ich musste ruhig bleiben. Man durfte seinen Gegner nie unterschätzen. Niemals. Also mussten wir weiterhin wachsam bleiben. Rocko warf den Pokéball. Und abermals standen wir Onix gegenüber. Es strotzte nur so vor Energie. tatsächlich konnte ich zwar nicht einmal sagen, ob es das Onix war, das gegen mich oder gegen Green gekämpft hatte. Doch gleichwohl, wir mussten es besiegen. "Los, Onix! Setz Tackle ein!" Ich atmete tief durch und setzte zu meinem Angriff an: "Rankenhieb!" "Weich ihm aus, Onix." Und tatsächlich, Onix schlängelte sich geschickt an Bisasams Ranke vorbei, sodass sie ihn knapp verfehlten. Der Tackle traf Bisasam in den Rücken und warf es über das halbe Kampffeld. Doch so einfach gab ich nicht auf. "Noch einmal Rankenhieb!" Doch es geschah wieder. Onix wich der Attacke aus und griff Bisasam aus dem Hinterhalt an. Ich musste es festhalten, irgendwie… Meine Hände waren immer noch zu Fäusten geballt. Nein, so durfte das nicht enden. Diesmal nicht. Es war an der Zeit, etwas auszuprobieren. Also wartete ich den richtigen Moment ab und änderte meinen Befehl: "Egelsamen!" Es klappte. Onix wollte erneut angreifen, doch stürzte sich beinahe direkt in die Falle. Es wurde bepflanzt, und Bisasam absorbierte seine Energie. "Jetzt Rankenhieb!" "Du musst dich befreien, Onix!" Aber es half nichts. Onix konnte sich kaum bewegen und nicht mal zu einem Tackle ausholen, da traf der Rankenhieb. Ich wartete ab. Doch besiegt war Onix noch nicht. "Hm, damit habe ich nicht gerechnet", gab Rocko zu, ohne die Fassung zu verlieren. "Aber so einfach gebe auch ich nicht auf. Onix, jetzt reiß dich los und dann noch Klammergriff!" Das brachte mich auf eine Idee. "Mach dich bereit", sagte ich leise zu Bisasam und es wandte unsicher den Kopf. Ich schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln. "Keine Angst, vertrau mir. Die Attacke steckst du ein, das ist deine Chance." Onix riss sich soweit los, dass es zumindest wieder angreifen konnte. Es stürzte sich auf Bisasam, dass bereits die Augen geschlossen hatte und wohl ein wenig verängstigt auf meine Anweisung wartete. Doch ich sagte nichts. Onix schlang seinen Körper um Bisasam, und in genau diesem Moment gab ich den Befehl: "Rankenhieb, und halt dich nicht zurück!" Noch bevor Onix seinen Körper enger um Bisasam ziehen konnte, war es schon getroffen. Bisasam attackierte mit all seiner Kraft, der Klammergriff löste sich sofort wieder und Onix krachte zu Boden. Stille. Ich hörte nichts mehr außer meinem wild schlagenden Herzen. Erst jetzt bemerkte ich wirklich, wie angespannt ich eigentlich war. Ich schwitzte, als hätte ich selbst gekämpft. Ich fühlte mich seltsam. Aber gut. Sehr gut sogar. Denn ich hatte gesiegt. "Meinen Glückwunsch", sagte Rocko, als er Onix zurückrief, und kam langsam auf mich zu, um mir die Hand zu reichen. Ich schüttelte sie, wusste aber nichts zu sagen. Rocko strahlte. "Ich denke, dieser Kampf wird dir schon etwas mehr Erfahrung auf den Weg mitgeben. Wie du siehst, ist es immer von Vorteil, verschiedene Typen im Team zu haben. Denn ein jedes Pokémon hat zwar Stärken, aber auch seine Schwächen. Denk immer daran." Ich nickte. Er holte etwas aus der Tasche, das ich bereits einen Tag zuvor schon gesehen hatte. "Ich möchte auch dir das Gleiche überlassen wie deinem Freund Green. Zum einen den Felsorden, der deinen Sieg über die Arena von Marmoria City beweist, und zum anderen diese TM. Vielleicht hast du ja mehr Verwendung für sie als der andere Trainer." Immer noch schweigsam nahm ich beides entgegen. Ich lächelte kaum merklich. Wahrscheinlich würde ich diese TM auch nicht nutzen. Green hatte mir schließlich bereits offenbart, dass diese Attacke einfach komplett sinnlos war. Und dass er die meiste Ahnung von uns dreien hatte, war wohl mehr als offensichtlich. Ich würde sie also wahrscheinlich eh nicht brauchen, nahm sie allerdings zumindest aus Höflichkeit an. "Danke", sagte ich schließlich, auch wenn mir dieses Wort immer schwerfiel. Rocko nickte mir zu. "Rei. Es gibt die verschiedensten Trainer auf der Welt. Du scheinst auch sehr begabt zu sein, du stellst dich dir bloß selbst in den Weg. Gehe in die Arena von Azuria City und teste dort dein Können. Bis dahin wirst du auch wieder vielen anderen begegnet sein, von denen du etwas lernen und durch die du Erfahrungen sammeln kannst." Ich mied seinen Blick. Aus irgendeinem Grund konnte ich ihm nicht in die Augen sehen. Stattdessen holte ich Bisasam zurück in den Pokéball und rief auch Fukano zurück. Ich wollte nur von diesem Ort verschwinden. Rocko machte Anstalten zu gehen. Und ich war dankbar darum. Fürs Erste wollte ich für mich sein, mir ein paar Gedanken machen, wie ich eigentlich vorgehen wollte. Und ob ich nicht gleich die Stadt verlassen sollte, auch wenn Green vielleicht am Morgen noch warten würde, ob ich mitkam… "Dein Vater wäre stolz auf dich. Du bist genau wie er." Ich wandte den Kopf. Doch ich sah nur noch den Rücken des Arenaleiters, während er davonging und in die Stadt verschwand. Ich war wie gelähmt. Er wusste, wer ich war? Und er kannte meinen Vater? Kapitel 9: Moon stones & good prices ------------------------------------ Der nächste Morgen brach an. Doch ich war schon eine ganze Weile lang wach. Ich lag im Gras, an einen Baum gelehnt, und drehte den Felsorden, den ich von Rocko bekommen hatte, in der Hand. Wenn man ihn so betrachtete, war er eigentlich ganz hübsch. Doch wenn man genau hinsah, war er nichts weiter als ein winziges Stück Metall. Für mich jedenfalls hatte er keinerlei Bedeutung. Ich bewahrte ihn in einem kleinen Säckchen auf, das ich in eine Innentasche meines Rucksacks stopfte. So wusste ich wenigstens, wo ich sie aufbewahrte, sollte ich irgendwann mal Verwendung dafür haben. Es war allmählich an der Zeit, aufzubrechen. Womöglich war Green sogar schon losgezogen. Ich war mir nicht sicher, ob er wirklich lange wartete. Und dennoch machte ich mich auf den Weg in Richtung Route 3. Und da stand er tatsächlich. Mit einem Fuß an die Felswand gelehnt und mit verschränkten Armen sah Green hinaus auf die Route, die zum Mondberg führte, als ob er nach etwas oder jemandem Ausschau hielt. Ich fragte mich, was genau er betrachtete. "Du bist also tatsächlich noch hier", sagte ich ruhig, als ich näherkam. Green wandte den Kopf, ohne seine Haltung zu verlassen. "Ich hab dir doch gesagt, dass ich bis zum Morgen warte." "Ich hätte nicht gedacht, dass du das wirklich tust." "Tatsächlich?" Er hob die Brauen und sah mich durchdringend an, als wollte er gleich fragen, ob ich ihm nicht glaubte. In Wahrheit glaubte ich eigentlich so ziemlich niemandem, bis er mir bewies, dass ich es konnte. Das hatte nichts mit Green zu tun. "Und, was beobachtest du da?", fragte ich ihn schließlich, um nicht auf seine indirekte Frage reagieren zu müssen. Ich war froh, dass Green wirklich nicht weiter nachhakte, sondern in Richtung Mondberg nickte. "Als ich vorhin hierherkam, habe ich ein paar äußerst zwielichtige Gestalten gesehen. Sie sind alle auf die Route 3 und in Richtung Mondberg verschwunden. ich weiß nicht, irgendwas ist an denen faul." "Wieso glaubst du das?" Green stieß sich mit dem Fuß von der Felswand ab, steckte die Hände in die Hosentaschen und trat ein paar Schritte auf mich zu. "Du würdest auch so denken, wenn du sie gesehen hättest. Ich wette darum, dass da was faul ist. Wir sollten uns vorsehen, wenn wir dieselbe Richtung einschlagen." Ich nickte. Ich wollte gerade etwas dazu sagen, als ein lauter Ruf mich unterbrach. "Hallo! Leute, wartet auf mich!" Es war Red. Völlig abgehetzt kam er aus der Stadt direkt auf uns zu. Green wandte den Kopf und starrte ihn mit hochgezogenen Brauen an. "Na sieh mal einer an, da ist ja unser Paketbote. Hey! Was hast du so lange gebraucht!" Völlig außer Atem erreichte Red uns endlich und kam langsam zum Stehen. "Ich - dachte echt - ich würde euch - nie einholen!" "Hol erst mal Luft", sagte Green bloß und klopfte ihm auf den Rücken. "Wir haben uns inzwischen eine schöne Zeit gemacht und uns gründlich umgesehen. Wie war deine Auslieferung?" Ich musste mir wieder mal das grinsen verkneifen. Red warf seinem freund einen bösen Blick zu, während er sich wieder aufrichtete und allmählich wieder normal atmete. "Wie schon. Professor Ōkido hat sich gefreut, sich bei mir bedankt und alles war gut." "Wann bist du hier angekommen?", wollte ich wissen. "Gestern Abend. Ich hab kaum geschlafen, weil ich unbedingt den Orden aus der Marmoria Arena haben wollte, um euch so schnell wie möglich einzuholen." "Und? Hast du ihn?" Red grinste, zog eine kleine Box aus seiner Tasche und öffnete sie. "Bitte schön. mein erster Orden. Ich nehme ja mal an, dass ihr euren auch bereits habt." "Ja, haben wir", sagte Green und blinzelte, während er verdutzt auf den Orden starrte. "Sag mal … wann hast du den denn geholt?" "Gerade eben", sagte Red fröhlich, klappte die Box wieder zu und steckte sie ein. "Ich war schon recht früh auf, da hab ich Rocko einen Besuch abgestattet und ihn herausgefordert. Der Kampf war echt nicht einfach, aber dadurch, dass ich ja dank euch den ganzen Weg nach Alabastia hin und wieder zurück laufen musste, hatte ich sehr gutes Training." Er versetzte uns abwechselnd einen Blick, doch wir reagierten beide lediglich amüsiert. Ich klopfte ihm auf die Schulter. "Na dann hättest du doch nichts gegen einen kleinen Kampf, oder?" Red zögerte. "An sich habe ich nichts dagegen. Aber nicht jetzt. Meine Pokémon sind noch nicht ganz wieder fit. Ich hab mir im Vertania Wald zwar ein Pikachu gefangen, aber ich würde auch gerne mit Glutexo antreten." "Dein Glumanda hat sich also entwickelt?" Damit hatte ich nicht gerechnet. Zugegeben, ich war beeindruckt. Von uns hatte sich sonst kein Pokémon entwickelt. Green seufzte und wandte sich wieder in Richtung Route 3. "Schiggy wird sich auch bald entwickeln, Bisasam sicher auch. Wir sollten uns eher auf den Weg machen, ich wüsste zu gern, was das eben für Leute waren." "Was für Leute?", wollte Red wissen. Green ging als erster los, wir folgten ihm. "Ach, ich hab vorhin so ein paar seltsame Gestalten angetroffen, die alle in Richtung Mondberg verschwunden sind. Dachte, vielleicht sehen wir uns das mal an. Wir müssen sowieso in die Richtung, also machen wir auch keinen Umweg." "Okay. Aber das Kämpfen überlasse ich im Augenblick euch." "Kein Ding", winkte Green ab und grinste. "Dann bleibt mehr für uns. Aber oben auf dem Mondberg müsste ein Pokémon Center sein, bis dahin sollten wir es zumindest schaffen, ohne dabei drauf zu gehen." "Gut. Und wenn wir oben angekommen sind, kriegst du auch deinen Kampf, Rei." "Einverstanden." Und so machten wir uns auf den Weg. Die Route führte uns auf unebenen Boden, da sie gleich auf den Mondberg hinaufführte. Von Steinen und Kratern übersät war sie das bisher größte Hindernis für uns. Nicht unbedingt aufgrund der Trainer, die wir abwechselnd besiegten und so eine Menge Geld einkassierten, ganz zu schweigen von dem Training für unsere Pokémon. Das Schwierigste war tatsächlich der Weg nach oben, da wir ab und an auch hochklettern mussten. Green ging immer voran, ich folgte ihm und Red war am Schluss. Eigentlich war ich so etwas gewohnt, mit meinem Vater war ich früher öfter Berge hochgeklettert. Ich hatte immer mehr von der Welt sehen wollen, also hatte ich ihn begleiten dürfen. Ich hatte zwar immer ein wenig Angst vor den riesigen Bergen und Höhlen gehabt, besonders da ich noch so klein gewesen war. Aber mein Vater hatte mich in den Momenten der Angst immer an die Hand genommen und mich geführt, mir gezeigt, dass er immer für mich da war… Ich verlor den Halt und rutschte ab. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich, in die Tiefe zu stürzen, Red hinter mir schrie auf. Doch kaum war es passiert, spürte ich, wie eine Hand meinen Arm fest packte. Ich sah auf. Green hatte sofort reagiert und mich festgehalten. Er lächelte mir zu. "Du solltest vielleicht aufpassen, wo du hintrittst." Er zog mich wieder hoch und ich hielt mich möglichst gut fest. Das war definitiv knapp gewesen. Irgendwann erreichten eine Ebene, auf der wir uns ausruhen konnten. Erschöpft ließen Green und ich uns auf größeren Steinen am Wegesrand nieder, von wo aus wir hinab auf den Anfang der Route 3 und Marmoria City sehen konnte. Ich genoss die Aussicht und nutzte daher die kleine Pause. Doch Red hingegen war voller Tatendrang. "Hey, ich husche mal schnell ins Pokémon-Center, danach dürften meine Pokémon wieder fit sein!" "Ja, mach das", sagte Green bloß und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, dass er sich beeilen sollte. Red nickte. "Gut, bis gleich." Und damit eilte er davon. Green schüttelte den Kopf. "Hauptsache wir haben gekämpft und er muss unbedingt ins Pokémon-Center. Eigentlich haben wir die ganze Arbeit gemacht." "Na dann geh doch auch", schlug ich amüsiert vor. "Was? ich laufe ihm doch nicht nach. Wie war dein Kampf eigentlich?" "Gegen Rocko? Ganz in Ordnung. Ich hab ihn besiegt, das ist alles, was für mich zählt." Ich sah stur hinab auf den Weg am Fuße des Berges. Ich wollte eigentlich nicht über das sprechen, was mir durch den Kopf ging. Sonst hätte ich Green womöglich gleich erzählt, dass Rocko womöglich meinen Vater gekannt hatte. Ich hatte ihn selbst nicht mehr danach gefragt. "Na, besonders zu freuen scheinst du dich ja nicht." Ich konnte Greens Blick im Nacken spüren, als ich mich abwandte. Ich reagierte nicht. Green seufzte. "Na wenigstens hast du's verstanden. Das ist doch auch schon etwas." Wir warteten eine ganze Weile und schwiegen uns nur an. Ich hatte nichts zu sagen, und er offenbar auch nicht. Es war an der Zeit, dass Red wiederkam. Ich mochte es zwar nicht, mit Menschen zu reden. Doch ich mochte es genauso wenig, mit Menschen nicht zu reden, mit denen man eigentlich reden konnte. "Na endlich", sagte Green plötzlich, den Blick in Richtung Pokémon-Center gewandt. Auch ich wandte den Kopf. Red kam freudestrahlend aus der Tür geschritten, seine Pokébälle in den Händen. "Hey, mir ist gerade was richtig Cooles passiert!" "Aha, was denn?", wolle ich wissen und drehte mich zu ihm herum. Red zeigte uns seine Pokébälle. Es waren inzwischen drei. Und er strahlte uns beide an. "Ich war gerade da drin, da hat mich so ein Händler angesprochen. Er hat mir ein neues Pokémon verkauft, für einen super Preis!" Green und ich starrten ihn an, tauschten kurze Blicke, und sahen wieder zu Red zurück, der jetzt einen der Pokébälle hochhielt. "Ich hab fünfhundert Pokédollar bezahlt, jetzt hab ich ein Karpador!" Green und ich tauschen erneute Blicke. Ich war mir nicht sicher, ob ich etwas sagen sollte. Doch das war glücklicherweise auch nicht nötig. Green sah seinen Freund einen Moment lang skeptisch an, drehte sich weg, und begann, laut zu lachen. Der freudige Gesichtsausdruck verschwand aus Reds Gesicht, da mehr als offensichtlich war, dass Green ihn wirklich auslachte. Doch auch ich musste mir das Lachen verkneifen, auch wenn er mir ein wenig leid tat. "Was … ist denn? … Hab ich was Falsches gesagt?" Doch Green hörte nicht auf, zu lachen. Er fasste sich an die Seite und wandte sich wieder Red zu. "Ich kann nicht glauben, dass du auf sowas reinfällst!" "Worauf?", fragte Red, der offensichtlich gar nichts verstand. "Er meint, dass der Typ dich verarscht hat", erklärte ich und verschränkte die Arme. "Tut mir leid, aber da muss ich ihm Recht geben. Dieser Händler hat dich echt übers Ohr gehauen." "Was?" Red war sichtlich bestürzt. "Wieso?" "Ein Pokéball kostet zweihundert", lachte Green immer noch weiter. "Karpador sind so einfach zu fangen, du hättest dir für den Preis zwei Pokébälle kaufen können, plus noch ein Gegengift!" Jetzt sagte Red gar nichts mehr. Er ließ den Kopf hängen und starrte traurig auf den Pokéball. Er tat mir tatsächlich ein bisschen leid. Aber ich war auch nicht der Typ Mensch, der sein Mitgefühl aussprach und einem sagte, dass es nicht so schlimm wäre. Ich hielt es für besser, ihm gleich zu sagen, dass das idiotisch gewesen war. "Außerdem, warum Karpador? Es kann doch ohnehin nichts außer Platscher!" Ich öffnete gerade den Mund, um etwas zu antworten, doch in dem Moment gewann etwas ganz anderes meine vollste Aufmerksamkeit. Es waren zwei Männer, die am Höhleneingang standen, und leise miteinander tuschelten. Es war zum einen Die Art, wie sie miteinander sprachen, als ob sie von keinem anderen gehört werden wollten. Und zum anderen die verdächtige, schwarze Kleidung, die auch mir ein ungutes Gefühl brachte. Ich stieß Green an, der daraufhin zu lachen aufhörte, und nickte in Richtung Höhleneingang. "Hast du die gemeint?" Green richtete sich auf und musterte die beiden Männer misstrauisch. "Ja, genau die mein ich. Ich hab vorhin noch mehr von denen gesehen." "Die sehen irgendwie übel aus", meinte Red, der unseren Blicken gefolgt war. Ich nickte. "Ja, das tun die. Ich denke, wir sollten die im Auge behalten. Hey, jetzt gehen sie rein." Wir beobachteten, wie die beiden Männer einander zunickten, und schließlich im Mondberg verschwanden. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. "Willst du denen wirklich nach?", fragte Red erschrocken, als ich plötzlich aufsprang und zielsicher auf den Eingang starrte. "Natürlich. Tut mir leid, aber wir müssen unseren Kampf doch noch verschieben. Mit denen stimmt offensichtlich was nicht, und ich will verdammt noch mal wissen, was." "Ich allerdings auch", meinte Green und stand ebenfalls auf. "Wir gehen dann wohl rein. Du kannst ja hier warten, wenn du dich nicht traust." Red machte ein wütendes Gesicht. Green grinste. Wenig später befanden wir uns im Innern des Mondbergs. Um wirklich auf alles vorbereitet zu sein, hatten Green und ich dem Pokémon-Center doch einen Besuch abgestattet. Schließlich hatten wir zu dem Zeitpunkt noch keine Ahnung, wer diese Typen überhaupt waren und vor allem wie gefährlich sie waren. Und schließlich wollten wir auch unsere Pokémon nicht in Gefahr bringen. Auch wenn ich mir sicher war, dass Fukano alles tun würde, um mich zu beschützen. "Wer was findet, darf's behalten", meinte Green schließlich nach einiger Zeit und hob etwas vom Boden auf. Red war empört. "Hey! Das ist eine TM, die könnte jeder von uns gut gebrauchen!" "Na und?", meinte Green unbekümmert und steckte sie ein. "Wenn du etwas findest, darfst du's auch behalten. Außerdem war das Aquaknarre, ich glaube nicht, dass du dafür Verwendung hast. Wem willst du die Attacke denn beibringen? Deinem Karpador?" Es war mir zumindest klar, dass das bloß ein Scherz war. Doch Red fand das scheinbar gar nicht witzig. "Schön, ich will dieses Pokémon auch gar nicht mehr. Ich hab's kapiert, vielen Dank auch…" "Jetzt sei doch nicht so stur", meinte ich bloß und gab ihm einen kleinen Schubs. "Du weißt doch, dass er das nicht ernstmeint." "Ich will es trotzdem nicht. Das hat mir gerade echt alles vermiest…" Green seufzte. Wir erreichten eine Leiter und kletterten hinunter. Ich war ganz froh, dass die Felswände an einigen Stellen Licht hinein ließen, sonst wäre ich womöglich gleich wieder geflohen. Ich mochte Höhlen nicht. Absolut nicht. "Wartet", sagte Green plötzlich und streckte den Arm auf, um uns zurückzuhalten. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Felswand und sah vorsichtig um die Ecke. "Da sind sie wieder. Wir sollten uns nicht gleich sehen lassen." Mit einem Mal war ich ziemlich angespannt. Mein Gefühl sagte mir immer mehr, dass Green Recht hatte und mit diesen Leuten wirklich etwas nicht stimmte. Und ich würde herausfinden, was es war. "Folgt mir", sagte ich leise zu den anderen und schlich los. Ich wusste sehr wohl, wie man sich verhielt, um nicht entdeckt zu werden. Glücklicherweise stellten die anderen beiden keine Fragen und folgten mir. Langsam kamen wir voran, suchten Schutz hinter den Felsen und behielten die zwei Männer von vorhin im Auge. Da wir inzwischen nah an ihnen dran waren, konnte ich sogar verstehen, was sie sagten. "… Ich hoffe, dass wir dann auch tatsächlich welche finden. Nicht, dass wir hier bloß unsere Zeit vergeuden und am Ende leer ausgehen." "Red keinen Quatsch, unsere Informationen sind zuverlässig. Wir werden etwas finden." "Und wenn nicht?" "Wenn nicht, dann finden wir sicher die einen oder anderen seltenen Steine. Also hör auf, rum zu jammern, und komm. Die anderen warten bereits auf uns." "Was wollen die?", flüsterte Red, doch ich legte sofort den Finger an den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ich wartete, bis die Schritte der beiden verstummten und sie wohl eine weitere Leiter hinunterkletterten. Dann wandte ich mich den anderen zu. "Es gibt nur zwei Gründe, hierherzukommen und nach etwas Bestimmten zu suchen, das wertvoll ist." "Und das wäre?" Ich tauschte ernste Blicke mit den beiden. "Mondsteine. Und vor allem Fossilien. Dinge, mit denen man eine Menge Geld machen kann." Kapitel 10: Team Rocket ----------------------- Jetzt wollte ich definitiv keine Zeit mehr verlieren. Ich hatte zwar keinen so hohen Gerechtigkeitssinn, wie man es vielleicht von mir erwartet hätte. Doch ich hatte so etwas wie Stolz und Ehre. Und wenn Menschen sich darauf hinabließen, mit Pokémon Geldgeschäfte zu machen, wie etwa mit diesen Fossilien, dann konnte ich als Trainerin nicht einfach tatenlos zusehen. Und so gingen wir weiter. Ich kletterte als erste die Leiter hinunter. Wir mussten nun im zweiten Untergeschoss sein. Ich sah mich sorgfältig um, um mich an einigen Punkten zu orientieren, nahm einen Stein vom Boden und begann, ein Kreuz in die Felswand zu ritzen. "Was tust du da?", wollte Red wissen und musterte mich irritiert. Ich ließ den Stein zu Boden fallen und richtete den Blick nach vorn. "Damit wir wissen, wo wir waren. In einer Höhle kann man sich leicht verlaufen. Deshalb hab ich die Stelle markiert. Man sollte sich nie einfach drauf los stürzen, ohne zu wissen, welche Wege man gehen muss. Wir hätten vorhin auch noch in andere Richtungen gehen können, vielleicht sind wir ja falsch?" "Das glaube ich eher nicht", meinte Green bloß. "Schließlich haben wir doch in erster Linie diese Typen verfolgt. Ich glaube kaum, dass sie gezielt in eine Sackgasse gehen." Wir setzten unseren Weg fort. Das einzig nervige war, dass die beiden hinter mir schon wieder mit ihren Kebbeleien anfingen, auch wenn sie es nicht böse meinten und nicht einmal besonders laut waren, sie sollten einfach nur den Mund halten. Ich musste auch auf Geräusche achten. "Könntet ihr bitte mal den Mund halten?", fuhr ich sie schließlich an und drehte mich zu ihnen um. "Ich versuche, mich zu konzentrieren. Und jetzt lasst den Mist mit diesem blöden Karpador, ich nehme es dir gerne ab, wenn du es nicht willst." Ich wandte mich wieder nach vorne, doch es war bereits zu spät. Die beiden Männer hatten uns gehört. Für einen Moment sank mir das Herz in die Hose. Die beiden bauten sich vor uns auf und grinsten unheilvoll. "Na sieh mal einer an", sagte der eine und verschränkte amüsiert die Arme. "Drei junge Trainer. Verfolgt ihr uns etwa?" "Um ehrlich zu sein, ja", erwiderte ich, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich spürte, wie Red hinter mir meinen Arm packte. "Rei, lass das…" Doch mit einer lockeren Bewegung entriss ich ihn meinen Arm wieder und verzog keine Miene. Der zweite Mann grinste noch breiter. "Meinst du nicht, dass das ein bisschen zu ehrlich war, Kleine?" Ich zuckte unbekümmert die Achseln. "Mag sein. Aber ich bin nicht der Typ Mensch, der groß drum herum redet. Sie haben mich gefragt, ich hab geantwortet. Ist das ein Problem?" "Du bist ganz schön vorlaut", sagte der erste und zog nun einen Pokéball aus der Tasche, mit dem er gekonnt spielte, um so wahrscheinlich so lässig wie möglich zu wirken. "Wie wäre es, wenn ich dir eine Lektion erteile? Oder du kannst dich auch gleich aus dem Staub machen, dann verschone ich dich und deine Freunde." "Was wollen Sie denn tun?", fragte Green schließlich und klang dabei ebenso selbstsicher wie ich. Ich wusste nicht, ob er wirklich keine Angst hatte oder einfach nur so tat. Jetzt wandte sich der zweite Mann ihm zu. "Ach, noch ein vorlautes Kind?" Ich spürte, wie Red hinter mir zitterte. Ihm waren die beiden wohl gar nicht geheuer, und unser Verhalten schon gar nicht. Zugegeben, einem anderen Kind hätte ich deutlich die Leviten gelesen und eine Abreibung verpasst, die sich gewaschen hätte. Aber ich war ja nun mal kein gewöhnliches Kind… "Ich werde euch fertigmachen, alle drei. Meine Pokémon sind ganz scharf auf einen Kampf." "Das sollten sie seinlassen", sagte ich und legte den Kopf schief. "Schließlich … wollten Sie doch noch ein paar Fossilien finden. Und um die werden Sie garantiert kämpfen müssen." "Ich gebe dir einen gut gemeinten Rat. Geh Erwachsenen nicht auf den Wecker, du Nervensäge! Los, Rattfratz!" Er warf seinen Pokéball und schickte Rattfratz in den Kampf. Ich ging in Kampfstellung, amüsiert darüber, dass sie wohl tatsächlich nicht besonders stark waren, wie ich es vermutet hatte. Ich griff nach Reds rechter Hand, in der er wieder den Pokéball mit dem Karpador hielt, riss ihm das Pokémon aus der Hand und warf es in den Kampf. "Rei, was tust du da?!" Karpador platschte auf den Steinboden und zappelte. Der Mann mit seinem Rattfratz starrte mich verdutzt an. Dann lachte er. "Ein Karpador, ist das dein Ernst? Das wird ja einfacher, als ich dachte!" Ich holte Karpador zurück, steckte es an meinen Gürtel und warf den nächsten. "Fukano, Biss! Green, du übernimmst den anderen." "Das musst du mir nicht zweimal sagen", entgegnete er und griff nach Schiggys Pokéball, während der andere Trainer mit einem Zubat startete. "Verschwindet, ihr Kleinkinder!" "Abgelehnt", sagte ich bloß und ließ Fukano angreifen. Es dauerte nicht lange, da war Rattfratz besiegt. Unser nächster Gegner war ein Sandan. Ich rief Fukano zurück und wählte erneut Karpador. "Du willst die Erfahrung, nicht wahr?", grinste Green mich kaum merklich von der Seite an. "Du weißt, dass Karpador nichts kann, aber durch die Erfahrung willst du es stärker machen." "So lange, bis es etwas kann", bestätigte ich ihn und schickte Bisasam in den Kampf. "Rankenhieb!" Während Schiggy sich zügig mit Zubat abgab, zwang Bisasam Sandan zu Boden. Es war kein langer Kampf. Doch er hatte alles gezeigt, was ich wissen wollte. Die beiden Männer riefen ihre besiegten Pokémon zurück und vergrößerten den Abstand zu uns. "Ich bin echt sauer!" "Das gibt es nicht!" "Die sind echt stark!" "Wir müssen die anderen warnen!" Sie rannten davon. "Hey!", rief Green ihnen hinterher und wollte sie offenbar aufhalten, doch ich streckte die Hand aus. "Was ist? Willst du die echt einfach laufen lassen?" "Was zum Teufel war das, Rei?!", fragte Red mit einer Mischung aus Wut und Angst. Ich schenkte ihm einen entschuldigenden Blick. "Tut mir leid, wenn ich dir Angst eingejagt habe. Ich hätte dich ja auch gerne kämpfen lassen, aber eigentlich wollte ich dich auch da raushalten." "Ach, und mich nicht?" Green hob die Brauen. "Rei. Was ist hier los? Du hast uns doch irgendwas zu sagen, oder nicht?" Ich zögerte, und sah die beiden für einen Moment bloß durchdringend an. Doch sie hielten meinem Blick stand. Vielleicht hatte ich sie tatsächlich unterschätzt. Also gab ich nach. "Gut. Habt ihr das rote R auf ihrer Kleidung bemerkt? Das steht für Team Rocket. Team Rocket ist eine kriminelle Organisation. Mein Vater hat mir mal von ihnen erzählt, als das Team gerade begann, sich zu formen. Es geht hier nur um Profit. Und mein Stolz als Trainer verbietet es mir, einfach darüber hinwegzusehen, dass Team Rocket sich womöglich seltene Fossilien aneignen und für eine Menge Geld verkaufen will. Wir sollten sie zuerst finden." "Und warum sind wir ihnen dann nicht nachgelaufen?" Ich grinste voller Vorfreude. "Sie sollen ruhig ein bisschen Angst haben. Denn ich werde mich ihrer annehmen und dafür sagen, dass sie diesen Tag niemals vergessen. Ach, und dein Karpador hier." Red sah zu, wie ich ihm den Pokéball vor die Nase hielt, er wollte ihn nehmen, da zog ich ihn mit einem amüsierten Lächeln zurück. "Das behalte ich jetzt. In Ordnung?" "In Ordnung", sagte Red und ließ die Hand sinken. "Aber ich kämpfe mit dir." "Das würde ich mir von euch beiden wünschen. Schließlich sind wir doch jetzt ein Team, oder nicht? Wir setzten unseren Weg fort. Und tatsächlich, wie erwartet hatten die beiden Männer die anderen Mitglieder ihres Teams vorgewarnt. Als wir weiter ins Innere des Mondberges vordrangen, warteten sie bereits auf uns. Doch sie waren schwach. Unheimlich schwach. Jeder von ihnen trat mit Pokémon wie Rattfratz, Zubat oder Sleima an, bloß ein einziger hatte zumindest ein entwickeltes Rattikarl. Doch auch das war keine große Hürde. Für keinen von uns. Fukano und Bisasam halfen ihrem neuen Teampartner mit seinen Erfahrungpunkte, Glutexo und Pikachu zwangen ihre Gegner locker zu Boden und auch Schiggy und Taubsi tobten sich ordentlich aus. Wir waren inzwischen so weit vorgedrungen, dass wir bald endlich etwas finden mussten. Die letzten beiden Zubat fielen zu Boden, nachdem Schiggy und Bisasam sie gleichzeitig angegriffen hatten. Die Rüpel holten sie zurück und liefen davon. "Na läuft doch großartig", meinte Green selbstgefällig und sah ihnen belustigt nach. "Die werden uns so schnell nicht mehr auf die Nerven gehen." "Das denke ich auch", erwiderte ich bloß. Ich wollte mich gerade wieder rumdrehen, um weiter zugehen, da stieß Red uns beide plötzlich in die Seite. "Was ist?" Red deutete nach vorn auf die beiden Pokémon. "Ich glaube, die beiden entwickeln sich." Wir wandten die Köpfe. Schiggy und Bisasam begannen, zu leuchten. Im ersten Moment war ich fast geblendet, da es im Mondberg zwar nicht ganz dunkel, das Licht aber sehr spärlich war. ich hielt mir schützend den Arm vor die Augen. Ich sah nur von der Seite, wie sich die Form der beiden Pokémon veränderte. Das Leuchten verblasste schließlich und offenbarte ihre neue Gestalt. Unsere Pokémon hatten sich zu Schillok und Bisaknosp weiterentwickelt. "Ha, das wurde auch Zeit", bemerkte Green und machte eine ziemlich arrogante Geste, während er voranging und sein Schillok in den Pokéball zurückholte. Red nickte. "Jetzt sind wir, was unsere Starter angeht, alle wieder auf dem gleichen Stand." "Mag sein. Aber dadurch ist noch lange nichts entschieden. Ich werde wohl trotzdem der bessere sein. Kommt, gehen wir." Wir folgten Green weiter durch den Mondberg. Ich gönnte mir die kleine Pause und sah mich interessiert um. Bisher hatten wir uns zum Glück nicht verlaufen. Doch ich hätte absolut nichts einzuwenden gehabt, wenn wir jetzt den Ausgang fanden. "Hey, schaut euch den mal an", sagte Red schließlich und deutete auf den Durchgang. Dort saß jemand auf dem Boden, und versuchte offensichtlich, etwas auszugraben. Als er Reds Stimme hörte, wandte er abrupt den Kopf und sprang auf. Er sah aus wie ein Streber. "Hey! Was wollt ihr?!" "Hier durch", antwortete Green sofort und hob skeptisch die Brauen. "Und was tust du hier?" "Das geht euch nichts an!", rief der Streber und breitete seine dürren Arme aus, als ob er damit verdecken könnte, was sich hinter ihm verbarg. Es war, wie ich es mir gedacht hatte. Er hatte wohl im Boden etwas gefunden. Vermutlich Fossilien. "Sind das … etwa Fossilien?", fragte red mit einem Blick auf die Gesteine hinter ihm. Damit trieb er dem Streber den Schweiß ins Gesicht. "Hey, ich hab euch gesagt, das geht euch nichts an! Verschwindet von hier!" "Also sind es Fossilien", schloss Green amüsiert und verschränkte die Arme. "Was für ein Glückspilz." "Besser als Team Rocket", meinte ich bloß unbekümmert. Dann waren sie eben in den Händen dieses Strebers. Er würde sicher sorgfältiger damit umgehen als dieses Team Rocket. "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!", rief der Streber und zog plötzlich einen Pokéball hervor. "Die Fossilien gehören mir!" "Ach, ist das so?" Wir alle vier wandten den Kopf. Wir waren nicht allein. Anscheinend hatten wir doch noch nicht alle Rüpel besiegt. Zwei von ihnen, die wohl noch übrig geblieben waren, schritten ganz langsam auf uns zu. Die Frau von ihnen sah uns böse grinsend an. "Pech nur, dass auch wir sie haben wollen." Eine unheimliche Anspannung lag in der Luft. Ich wusste, es würde gleich einen Kampf geben. Ein Kampf um die Fossilien, wie sie da so halb ausgegraben auf dem Boden lagen. Jeder von uns hatte schon die Hand am Pokéball, um ihn zu werfen. Wir kamen ohnehin nicht drum rum, also konnten wir auch gleich loslegen. "Entscheiden wir das doch in einem Kampf", schlug Red an die beiden Rüpel gewandt vor. "Dann werden wir ja sehen, wer die Fossilien bekommt." "Die gehören mir!" "Halt den Mund", fuhr ich den Streber an. "Wenn wir jetzt alle aufeinander losgehen, werden die Fossilien das vielleicht nicht überleben." Ich konnte nicht sagen, wer den am meisten durchdringenden Blick hatte. Jeder starrte einen der anderen an, als versuchten wir, mit unseren bloßen Blicken zu töten. Doch dann legte Green als erster los. Er stürzte vor und schob mich beiseite. "Red, hilf mir. Und Rei, du übernimmst den Streber!" "Zu Befehl!", rief ich vergnügt und warf Fukano in den Kampf. Auch die anderen warfen ihre Pokébälle, es war kaum möglich, zu sagen, wer der erste war. Green und Red kämpften zusammen gegen die beiden Rüpel mit ihrem Rettan und Smogon, ich übernahm den Streber mit seinem Sleima. "Los, Fukano, Glut!" "Giftwolke!!" Sleimas Attacke verfehlte ihr Ziel, und Fukanos Glut traf mit voller Wucht. "Noch einmal Glut!" "Aussetzer!" Der ganze Mondberg war erfüllt von unseren Rufen, den Attacken unserer Pokémon und den Geräuschen als den Felswänden, die sie verursachten. Der Streber schlug sich wacker, verlor aber schließlich gegen Fukano und konnte auch mit seinem Voltobal und Magnetilo kaum etwas ausrichten. Ein erbitterter Kampf, der mit drei Niederlagen endete. Und drei Siegen. Drei Siegen für uns. "Verdammt", sagte der Mann, der sein Smogon zurückrief, und trat ein paar Schritte zurück. Die Frau folgte ihm. "Diese Bälger haben uns besiegt!" "Tja, wir sind eben gut", sagte Green selbsterklärend und holte Schillok ebenfalls zurück. "Gut! Wir ziehen uns zurück!" Und wir ließen sie laufen. Was sollten wir auch groß aufhalten. Hoffentlich hatten sie ihre Lektion gelernt, denn von ein paar elfjährigen Kindern besiegt zu werden, brachte ihnen sicher keine Belohnung ein. Nun, da die beiden letzten Rüpel verschwunden waren, wandten wir uns alle drei wieder dem Streber zu, der nun deutlich eingeschüchtert auf den Boden kniete und uns ehrfürchtig ansah. "na gut!", sagte er hastig und legte bittend die Hände zusammen. "Ich gebe euch eins ab, einverstanden? Ich will nur eines!" "Ist gut", beruhigte ich ihn und wandte mich an die beiden Jungs. "Ich bin nicht sonderlich daran interessiert. Ich untersuche sie gerne, aber ich muss keins haben." "Ich muss es auch nicht unbedingt", sagte Green und wandte sich an den letzten. "Such du dir eins aus, Red. Du hast wohl am ehesten Verwendung dafür." "Meint ihr wirklich?", fragte er, als ob nicht sicher wäre, uns richtig verstanden zu haben. "Ja", sagten Green und ich gleichzeitig. "Wow, cool! Wenn ich es schaffe, das Fossil wieder beleben zu lassen, habe ich sicher ein seltenes Pokémon!" Voller Vorfreude trat Red vor und hockte sich neben dem Streber auf den Boden. "Was für Fossilien hast du denn da?" "Ein Dom- und ein Helixfossil", erklärte der Streber und deutete nacheinander auf sie. "Aus dem hier kann man Kabuto wiederbeleben, und aus dem anderen ein Amonitas. Das sind urzeitliche Pokémon, kaum jemand besitzt so eins." "Wow, urzeitliche Pokémon … ich könnte eins besitzen…" Green und ich tauschten vielsagende Blicke. Offenbar hatten sich dort zwei gefunden. Es war hoffnungslos. Wir lauschten dem aufgeregten Gespräch über die urzeitlichen Pokémon, bis Green schließlich laut seufzte, damit Red vorankam. Schließlich entschied er sich für das Domfossil, und überließ das andere dem Streber. Mit einem freundlichen Lächeln verabschiedete er uns, und wir setzten unseren Weg durch den Mondberg fort, Red überglücklich mit seinem Fossil, der Streber wahrscheinlich froh darum, dass wir ihm nicht mehr Schaden zugefügt hatten und er uns endlich los war. Kapitel 11: Floral Lagoon ------------------------- Wir hatten wohlbehalten aus dem Mondberg hinaus gefunden und waren auch keinem Rüpel von Team Rocket mehr begegnet. Allerdings hatten wir nicht gleich das Ziel, Azuria City anzusteuern. Tatsächlich wollten wir noch ein wenig trainieren, bevor wir in die Stadt gingen. Also nutzten wir die Zeit. Eigentlich wäre ich lieber allein geblieben. Ich war nicht unbedingt Einzelgänger, doch mit mir zu reisen, konnte früher oder später auch seine Konsequenzen haben. Und ich wollte niemanden in Gefahr bringen. Es reichte, wenn ich mir selbst das antat. Irgendwann würde ich mich in Gefahr bringen, das wusste ich. Und dennoch … irgendetwas hatten die beiden Jungs an sich, dass ich gerne Zeit mit ihnen verbrachte. Auch wenn dies natürlich so aussah, dass Green sich ständig stolz präsentierte und allen Anwesenden klarmachen musste, dass er der Tollste hier war, und Red hingegen nur Kopf für den Pokédex und dessen Vollendung hatte. Er war wohl der einzige, der diese Aufgabe wirklich ernst nahm. Na wenigstens einer, der dem alten Ōkido einen Gefallen tat. Während Green und ich bloß die Pokémon in unserem Team besaßen, hatte Red schon einige mehr gefangen und trainiert, um sie weiterzuentwickeln. Und großzügigerweise durften wir ihm natürlich dabei helfen, schließlich brauchten wir ja auch Training, das auch zufällig Erfahrungspunkte für seine eigenen Pokémon mit sich brachte. Aber wir verstanden uns ja allmählich ganz gut, und schließlich wollten Red und ich auch noch gegeneinander kämpfen, allerdings mit unseren festen Teams. Dazu kam es letztendlich nach ein paar Tagen hartem Training, da wir auch befürchteten, Team Rocket könnte erneut auftauchen, und für den Kampf wollten wir gewappnet sein. "Weich aus, Glutexo, und dann Kratzer!" "Lass das nicht auf dir sitzen, Fukano! Biss!" Glutexo sprang vor seinem Gegner zur Seite, holte aus und startete seinen Angriff. Doch Fukano wehrte sich nicht, sondern nutzte diesen Angriff, um gleich zuzubeißen. Damit hatte er sowohl getroffen, als Glutexos Kratzer gestoppt. Ich bekam langsam ein Gefühlt dafür, wie man physische Attacken für sich nutzen konnte. "Verdammt", stieß Red aus, doch fasste sich schnell wieder. "Noch einmal Kratzer, aber pass auf seine Zähne auf!" "Das wird nicht funktionieren", sagte ich zielsicher und setzte erneut zum Angriff an. "Konzentrier dich, Fukano! Du darfst dein Ziel niemals aus den Augen verlieren!" Wir sahen alle zu, wie Glutexo erneut ausholt, und Fukano fast im selben Moment seinem Gegner ins Bein biss. Glutexo schreckte zurück, wankte, und sank schließlich zu Boden. Und damit hatte ich sein zweites Pokémon besiegt, denn Bisaknosp hatte sich bereits um Pikachu gekümmert. "Du bist echt gut", gab Red zu und hob sein Pokémon auf den Arm. Er setzte sich an unseren kleinen Lagerplatz, der bereits von einem Feuer erhellt, an dem sich Green bereits niedergelassen und uns zugesehen hatte. Es wurde bereits Abend, die Sonne ging langsam unter und wir verweilten noch für diese Nacht an unserem Platz. Am nächsten Tag wollten wir nach Azuria City aufbrechen und die nächste Arena herausfordern - nun ja, das galt wohl eher für Green und Red, die scharf auf den Orden waren. Mich kümmerte das eher weniger. Zwar wollte auch ich den Leiter herausfordern, doch ich legte meinen Fokus eher auf etwas anderes. Schließlich wollte ich einen alten Freund besuchen, der dort in der Nähe wohnte. "Hey, Rei. Was ist?" Ich drehte mich um. Green saß lässig auf dem Boden und starrte mich an. "Du siehst aus, als wolltest du jemanden töten." "Wär doch möglich", sagte ich und schenkte ihm ein hinterlistiges Grinsen. Ich kam zu den beiden herüber und setzte mich dazu. Fukano folgte mir, wuselte einmal um mich herum, lief dann ums Feuer und tat dasselbe mit Red. "Es ist echt noch ziemlich verspielt", bemerkte Green. Ich nickte mit einem tiefen Seufzer. "Ja, das ist es. Das werde ich ihm wohl nach und nach abgewöhnen müssen. Wenn er älter wird, wird er es verstehen. Es wird noch den ein oder anderen Tag geben, da bin ich auf ihn angewiesen. Und dann will ich, dass es vorbereitet ist." "Aber was stört dich denn daran?", wollte Red wissen, der sich jetzt Fukano angenommen hatte und ihn streichelte. Fukano hechelte fröhlich und freute sich unheimlich darüber. Ich senkte den Blick ins Feuer. "Das musst du nicht verstehen. Es stört mich nicht, dass er verspielt ist. Er soll nur den Ernst der Lage verstehen. Irgendwann werden wir in der Situation sein, dass ich auf seine Hilfe angewiesen bin. Und bis dahin will ich, dass er es versteht. Dass er mich versteht." Ich wurde das Gefühl nicht los, dass die anderen beiden kein Wort davon verstanden. Das konnte ich ihnen aber auch nicht verübeln. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Green oder Red aus einer Familie wie meiner stammte. Sie waren sicher völlig anders aufgewachsen, hatten andere Vorstellungen von der Welt und wohl auch andere Werte kennengelernt als ich. Also fügte ich auf die fragenden Blicke hinzu: "Ich hab es euch schon einmal gesagt. Wenn es wirklich drauf ankommt, dann ist der Kamerad neben euch der einzige, auf den ihr euch verlassen könnt. Der Partner, der an eurer Seite kämpft, steht euch in diesem Moment näher als euer Bruder. Ihr vertraut ihm euer Leben an." Einen Moment herrschte bloß Stille. Dann sagte Green: "Du sprichst, als wären wir im Krieg." Ich lächelte. "Dann hast du es verstanden." "Du vergleichst einen Kampf mit dem Krieg?" "Wenn du genau hinsiehst, wirst du merken, dass es manchmal darin keinen Unterschied gibt. Wenn wir Team Rocket zum Beispiel nicht besiegt hätten, was hätten wir dann gemacht, hm? Was hätten die wohl mit uns gemacht? Du glaubst doch nicht wirklich, dass sie uns nach den Regeln eines Kampfes einfach verschont hätten." "Da kann ich dir nicht widersprechen … aber … Red, wo willst du hin?" "Psst!", machte red, der jetzt auf allen Vieren kroch und etwas im hohen Gras fixierte, und legte den Finger an den Mund. "Ich hab da was gesehen. Ich glaube, das ist ein neues Pokémon." Green starrte ihn ungläubig an. "Red, deine Pokémon sind k.o.!" "Ich weiß, aber das kann ich auch so schaffen." Ich blinzelte, tausche einen Blick mit Green, der genauso irritiert schien wie ich, und verschränkte die Arme. "Na dann lass mal sehen, wie du ohne Pokémon ein anderes Pokémon fangen willst." Wir sahen wirklich einfach bloß zu. Red kroch langsam ins hohe Gras, und zog dabei ganz langsam ein paar Bälle aus seinem Rucksack. Ich hätte nichtdaran geglaubt, dass es funktionieren würde, doch ich wurde eines Besseren belehrt. Red erhob sich langsam, näherte sich kaum merklich dem Pokémon, und warf schließlich einen der Pokébälle. Mit hochgezogenen Brauen musterten Green und ich das geschehen, wir glaubten wahrscheinlich beide, das die Sache schiefging. Doch Red hatte getroffen. Durch das hohe Gras konnten wir von unserem Platz aus nichts Genaues erkennen, doch nur wenige Sekunden später streckte Red den Ball siegreich in die Luft. "Ja!" "Das ist nicht dein Ernst?!" Green war aufgesprungen. Red drehte sich zu uns um und zeigte uns stolz seinen Ball, während er den Pokédex aus der Hosentasche zog und ihn öffnete. "ich hab eben mal Glück. Ich hab schon einige gefangen, und ja, manchmal klappt es echt, wenn sie einen nicht gleich bemerken oder einen nicht als Bedrohung ansehen. Ich hab so auch ein Rattfratz gefangen, und ein Taubsi. Bei Habitak war das wieder schwieriger, die lassen sich gar nicht gerne einfangen…" "Er hat mehr Glück als Verstand, kann das sein?", wandte sich Green fassungslos an mich. Ich hob ratlos die Hände. "Keine Ahnung. Du kennst ihn besser als ich." "Es ist unglaublich…" "Ein Menki", sagte Red und setzte sich wieder an seinen Platz, den Blick auf den Pokédex gerichtet. "Cool. Ein Kampf-Pokémon, bisher habe ich sonst noch keins." "Ich werde mir auch irgendwann einen Kampf-Typen zulegen", antwortete ich bloß. "Kann nie schaden. man weiß nie, wann man ein kräftiges, physisch starkes Pokémon braucht." "Sag mal", begann Red und machte sich nun wieder daran, Fukano am Kopf zu kraulen. "Kann es sein, dass deine Familie beim Militär war? Du machst ständig solche Andeutungen." Es war ein merkwürdiges Gefühl. Etwas schien mir die Brust zuzuschnüren. Ich versetzte Red einen stechenden Blick. "Das geht dich nichts an." "Oh … entschuldige …" Er wandte den Blick ab. ich wusste, dass er mir nicht zu nahetreten wollte. Und dennoch … ich konnte es nicht ertragen, dass er mich darauf ansprach. Aber ich hatte auch nicht die Absicht, ihnen mein Herz auszuschütten. Dafür kannte ich sie definitiv zu wenig. Außerdem ging das nur mich was an. Nur mich allein… Da standen wir nun. Der nächste Morgen war längst angebrochen, wir hatten uns auf den Weg gemacht und standen nun vor Azuria City, der nördlichsten Stadt Kantos. Sie war von einer merkwürdigen, blauen Aura umgeben und wurde auch als Stadt der blühenden Blumen bezeichnet. "So, wie ist der Plan?", fragte red in die Runde und sah sich erst einmal um. Green machte gleich Anstalten zu gehen. "Da jeder von uns sowieso was anderes vorhat, teilen wir uns wohl erst mal auf. Wir sehen uns dann sicher später wieder." "Wo willst du hin?", fragte Red verwirrt, doch er bekam keine Antwort. Green ging stattdessen einfach davon und winkte, ohne sich umzudrehen. "Viel Spaß!" Und damit ließ er uns allein. Ich zuckte amüsiert die Achseln. "Du kennst ihn doch." "Ja … aber gerade deshalb könnte er trotzdem mit mir reden. Wie auch immer, was sind deine Pläne?" "Ich werd mich wohl ein wenig umsehen. Du stürzt dich wahrscheinlich gleich wieder ins Training für die Arena?" Red nickte und machte ein selbstsicheres Gesicht. "Ich will mir diesen Orden holen! Aber dafür müssen meine Pokémon erst einmal wieder fit sein. Soweit ich weiß, ist die Azuria-Arena auf Wasser-Pokémon spezialisiert. Ich sollte Pikachu noch ein wenig trainieren, bevor ich dort rein gehe." "Vernünftig." "Also, du siehst dich dann ein wenig um?", fragte er und wandte sich langsam in Richtung Pokémon-Center. "Ich will dich hier nicht einfach so stehenlassen." "Über sowas machst du dir Gedanken?" Ich war ein wenig verblüfft. Doch andererseits konnten ja nicht alle Kinder verzogen sein. Vielleicht war ich einfach nicht an höfliche Menschen gewöhnt. Ich versuchte es mit einem Lächeln. "Mach dir deswegen keinen Kopf. ich komm schon klar. Du kannst ruhig gehen, wir sehen uns später bestimmt sowieso wieder." Red nickte. "Okay, ist gut. Dann … bis später." "Bis später." Und damit ging auch er davon. Ich atmete tief durch. Ein Moment der Ruhe. Nicht, dass ich die beiden nicht gern um mich gehabt hätte. Auf irgendeine Art und Weise verbrachte ich auch gerne Zeit mit ihnen. Doch ich genoss auch die Momente, in denen ich Ruhe hatte. Und das würde wahrscheinlich nicht lange anhalten, also musste ich die Zeit nutzen. Und so steuerte ich mein eigentliches Ziel an: Die Arena. Ja, die Pokémon-Arena von Azuria City. ich war nicht scharf auf den Orden, definitiv nicht. Aber ich würde um diesen Kampf wohl kaum herumkommen, es sei denn, ich würde es zulassen, diese Chance verstreichen zu lassen. Und ich konnte mich besser auf diesen Kampf konzentrieren, wenn Red und Green nicht dabei waren. Also machte ich mich auf den Weg. Je schneller ich den Kampf hinter mich brachte, umso besser. Ich warf einen kurzen Blick auf das Schild an der Tür. Leiterin Misty, die gruselige Arenaleiterin. Interessante Vorstellung. Dann wollte ich doch mal sehen, wie gruselig diese Misty wirklich war. So wandte ich mich der Tür zu, und ging schließlich einfach, ohne weiter nachzudenken, in die Arena hinein. Ich stand, wie es mir vorkam, in einer riesigen Schwimmhalle. Wie auch in Rockos Arena füllte der Raum das ganze Gebäude aus. Doch diese Arena hier erschien mir um einiges freundlicher und einladender. Ich konnte ein paar Schwimmer im Wasser und am Beckenrand erkennen, die offensichtlich recht vergnügt waren. Jetzt oder nie. Ich ging los. Den Blick zielgerichtet auf die Person geheftet, die am Ende des Raumes stand, und mit Sicherheit die Leiterin dieser Arena war. Ich ging um die anderen Trainer herum, das Ziel vor Augen, und blieb schließlich am Ende stehen. "Bist du Misty, die Arenaleiterin von Azuria City?" Es gab für mich nicht den geringsten Zweifel. Misty sah mich an und musterte mich interessiert. "Ja, das bin ich. Du musst neu sein, ich habe dich noch nie gesehen." "Ich bin auch nicht von hier", stimmte ich zu und nickte. "Mein Name ist Rei. Ich komme aus Saffronia City." "Saffronia City, das ist nicht weit von hier", sagte sie nachdenklich. "Und jetzt bist du wohl hier, um dir den Orden der Azuria-Arena zu holen." "Es geht mir allein um den Kampf. Der Orden interessiert mich nicht. Mir ist die Erfahrung wichtig, nicht der materielle Wert." Misty schien einen kurzen Moment irritiert, dann schien sie beeindruckt. "Wow. Du zeigst eine eigenartige Entschlossenheit, die ich im Augenblick noch nicht zu deuten weiß. Ich habe keine Ahnung, was dich dazu bewegt, aber ich kann dir vielleicht einen rat geben. Wenn ein Trainer zum Profi werden möchte, muss er sich eine Pokémon-Taktik erarbeiten." "Wie genau darf ich das verstehen?" "Auf welche Weise fängst du deine Pokémon?", wollte Misty wissen und hob den Kopf ein wenig an. "Meine Strategie zum Beispiel basiert auf dem gnadenlosen Offensiv-Einsatz von Wasser-Pokémon. Wie gehst du vor?" Ich zögerte. Dann gab ich es offen zu: "Ich hatte bisher nicht einmal wirklich vor, mir weitere Pokémon zu fangen. Meine Pokémon habe ich alle erhalten, keines jedoch selbst gefangen." Misty schien zu verstehen. "Ich seh schon. Du bist dir also noch nicht im klaren darüber, was deine Taktik ist. Dann gebe ich dir jetzt die Chance, es herauszufinden. Bist du bereit?" Sie zog einen Pokéball. Ich tat es ihr gleich. "Ich bin bereit." Misty eröffnete das Kampffeld. Ich würde mit Bisaknosp antreten, das stand für mich schon fest. Wenn ich eine Chance hatte, dann mit ihm. "Dann zeige mir, was du drauf hast, Rei. Los, Sterndu!" Sie warf schickte ihr erstes Pokémon in den Kampf. Und es war wie erwartet vom Typ Wasser. Ich grinste kaum merklich und zog mir die Kappte etwas herunter, damit es niemand sehen konnte. Dann richtete ich den Blick wieder auf die Arenaleiterin, zog meinen Pokéball und warf Bisaknosp in den Kampf. "Hm, ein Pokémon vom Typ Pflanze", sagte Misty und legte den Kopf schief. "Das kann interessant werden." "Das will ich doch hoffen", erwiderte ich voller Tatendrang und legte los: "Bisaknosp, Rasierblatt!" "Los, Sterndu, Tackle!" Doch Sterndu kam nicht einmal annähernd an seinen Gegner heran. Bisaknosp griff mit Rasierblatt an und die Attacke traf Sterndu mit voller Wucht. Es wurde zurückgeschleudert und lag schließlich zu Mistys Füßen am Boden. "Wow. Ein einziger Treffer." Ich grinste kaum merklich. "Wir haben eben viel trainiert. Ich wollte vorbereitet sein." "Das ist dir scheinbar gelungen." Sie rief ihr Sterndu zurück und holte ihr zweites Pokémon hervor. "Dann versuch ich es eben mit diesem hier. Auf geht's, Starmie, zeig, was du drauf hast!" Starmie, die Weiterentwicklung von Sterndu. Das erste vollständig entwickelte Pokémon, dem ich bisher begegnet war. Mit Sicherheit war es stärker als seine Vorstufe, doch auch das würden wir schaffen. "Okay, Bisaknosp, der erste Gegner war einfach, aber das muss nicht so bleiben!" "Leg los, Starmie, Sternschauer!" "Rasierblatt!" Starmie war schneller. Sein Sternschauer steuerte direkt auf Bisaknosp zu und es hatte nicht mal ansatzweise die Chance, auszuweichen. Den Schaden musste es wohl einstecken. Tatsächlich ertrug Bisaknosp die Attacke und setzte dann gleich zur eigenen an. Rasierblatt traf. "Nicht schlecht, nicht schlecht", gestand Misty und schien von unserem Kampf recht amüsiert. "Aber noch ist nichts entschieden. Noch einmal Sternschauer!" "Setz wieder Rasierblatt ein!" Die Attacken trafen sich. Und trafen auch den jeweiligen Gegner. Bisaknosp wurde durch den Aufprall von Sternschauer wieder in meine Richtung geschoben, Starmie durch Rasierblatt zur anderen Seite. Doch das Ergebnis war eindeutig. Bisaknosp stand. Starmie nicht. Wir hatten den Arena-Kampf mit drei bloßen Attacken gewonnen. "Wow! Du bist sehr gut!", sagte Misty anerkennend, während Starmie zurück in seinen Pokéball verschwand, und kam auf mich zu. "Hier. ich überlasse dir den Quellorden als Zeichen deines Triumphes." Sie nahm meine Hand, öffnete sie und legte das kleine Stück Metall hinein. "Der Quellorden lässt alle Pokémon bis Level dreißig deinen Befehlen gehorchen. Sogar Außenseiter gehorchen dir. Außerdem können deine Pokémon nun jederzeit Zerschneider einsetzen. Du kannst damit kleine Büsche zerhacken und so neue Wege freilegen. Und zu guter Letzt schenke ich dir noch meine Lieblings-TM." Sie streckte mir eine CD entgegen. Ich nahm sie entgegen. Sie trug die Nummer 11. "TM 11 ist der Blubbstrahl. Wasser-Pokémon können diese Attacke erlernen. Nun, ich wünsche dir viel Glück auf deinem weiteren Weg, Rei. Der Kampf hat auch mich dazu animiert, weiter zu trainieren." "Das freut mich", gab ich zurück und versuchte wirklich, überzeugend zu sein. "Auch ich werde weiter hart trainieren, um die nächste Herausforderung meistern zu können." Ich verabschiedete mich von Misty, verließ die Arena und besah mir erst einmal den Orden. Wer weiß, vielleicht würde ich sie ja doch noch irgendwann brauchen. Ich öffnete meinen Rucksack und nahm das kleine Säckchen heraus, um meinen zweiten Orden hineinzuwerfen. Dann verstaute ich noch die TM und sah hinauf in den strahlend blauen Himmel. So schrecklich war dieser Kampf doch gar nicht gewesen. Und Misty auch nicht. Tatsächlich war sie unheimlich nett. tatsächlich mochte ich sie. Doch jetzt war nicht der Zeitpunkt, um darüber nachzudenken, wie wenige Menschen auf der Welt ich eigentlich mochte. Schließlich hatte ich heute noch vor, einen Freund zu besuchen. Kapitel 12: Nugget Bridge ------------------------- Ich stattete dem Pokémon-Center einen kurzen Besuch ab, um mein Team wieder aufzupäppeln. Sie hatten nicht übermäßig Schaden genommen, weder durch den Kampf gegen Red noch gegen Misty. Doch es konnte auch nicht schaden, sie einmal untersuchen zu lassen. Nun hatte ich erledigt, weshalb ich überhaupt in die Stadt gekommen war. Also blieb mir nur noch mein alter Freund, der oben am Ende der Route nördlich von Azuria City, im sogenannten Haus am Kap, lebte. Und dorthin machte ich mich auf den Weg. Doch ich war kaum am Ende der Stadt angelangt, da wurde ich auch schon wieder aufgehalten. Es war Green. "Hey, wieder zurück?" "Hey, Rei", sagte Green lässig und blieb stehen. " Du bist also unterwegs zur Route 24?" Ich nickte. "Sieht ganz danach aus. Du gehst wahrscheinlich in die Arena, nicht wahr?" "Na sicher! Schließlich muss ich mir doch meinen nächsten Orden abholen. Durch das Training mit Red in den letzten Tagen dürfte ich ja gut vorbereitet sein. Zumal ich ein neues Pokémon bekommen habe." "Ach, tatsächlich? Dann lass mal sehen." Green grinste. "Ist das eine Herausforderung?" "Wenn du so willst", grinste ich zurück und zog Karpadors Pokéball. "Ich muss schließlich auch noch meinen neuen Partner trainieren, da kommst du mir ganz gelegen." "Na dann lass uns loslegen!" Wir waren wohl beide Feuer und Flamme. Green war voller Tatendrang und ließ mich nicht im Geringsten daran zweifeln, dass er sich für den Besseren von uns hielt. Er hatte wirklich ein verdammt großes Ego. Aber auch ich hatte Freude an Kämpfen gefunden, und ich wollte auf keinen Fall verlieren. Jetzt, wo sowohl Fukano als auch Bisaknosp antrainiert waren und zumindest ein paar brauchbare Attacken beherrschten, hatten wir auch eine realistische Chance. Auch wenn ich mir darüber im Klaren sein musste, dass Green absolut nicht zu unterschätzen war. "Auf geht's!" Er warf sein erstes Pokémon in den Kampf. Sein Taubsi hatte sich inzwischen zu Tauboga entwickelt. Ich rief Karpador gleich nach seinem Einsatz wieder zurück und wechselte Fukano ein. "Sandwirbel!" Bevor ich den ersten Befehl geben konnte, hatte Tauboga schon mit den Flügeln geschlagen und den Sand auf dem Boden aufgewirbelt, der seinem Gegner ins Gesicht flog. "Mach deine Augen zu!", rief ich sofort. Fukano wandte den Kopf ab und kniff die Augen zusammen, sodass er nicht viel abbekam. Ich hasste solche Attacken! "Biss!" "Sandwirbel!" Tauboga war einfach zu schnell. Wieder schlug es kräftig mit den Flügeln und schleuderte Fukano den Sand direkt ins Gesicht, und als er lostürmte, verfehlte er seinen Gegner knapp. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte, Greens selbstgefälliges Grinsen zu ignorieren. "Konzentriere dich, Fukano! Du hast noch andere Sinne, mit denen du Tauboga ausmachen kannst. Setz Glut ein!" "Ruckzuckhieb, Tauboga." Tauboga griff blitzschnell an und Fukano wurde getroffen, doch er hielt der Attacke stand und setzte zu seiner eigenen an. Die Glut traf Tauboga und es flog zurück, um sich vor weiterem Schaden zu bewahren. "Gar nicht so übel", gab Green zu, verlor dabei aber kein Stück seines Selbstvertrauens. "Noch einmal Ruckzuckhieb!" "Glut, Fukano!" Diesmal stürmten beide fast gleichzeitig los. Tauboga war zwar viel schneller als Fukano, doch er hatte so blitzschnell reagiert, dass sein Gegner geradewegs in seine Attacke hineinflog. Es war eine gute Idee gewesen, mit jedem Training an Fukanos Sinnen zu arbeiten. Wenn es seine Augen nicht einwandfrei benutzen konnte, blieben ihm immer noch sein ausgeprägter Geruchsinn und sein gutes Gehör. So einfach würden wir nicht aufgeben. Tauboga war inzwischen unheimlich geschwächt. Es war nun nur noch eine Frage der Zeit, bis ich es zu Boden zwingen würde. Ein letzter Angriff, ein Treffer, und Pokémon Nummer eins würde besiegt sein. Wir durften nur keinen Fehler machen. "Tackle, Tauboga!" "Noch einmal Glut!" Doch es entging mir nicht, dass sich Greens Blick ein Stück weit veränderte. Als ob er etwas wusste, von dem ich nichts ahnte. Tauboga stürzte sich auf Fukano, der sofort seine Glut einsetzte, doch Tauboga flog geschickt an ihr vorbei und traf seinen Gegner mit voller Kraft. Ich starrte die beiden an. Beeindruckend. Anscheinend hatten die beiden bereits eine tiefere Verbindung, als ich ahnte. Fukano steckte den Angriff ein und ging erneut in seine Kampfposition. Es wandte den Kopf, um meinen Befehl zu hören, doch ich sagte einen Moment lang nichts. Green war das perfekte Vorbild für das, was ich mit meinem wahren Partner vorhatte. Fukano sollte es sich auch zum Vorbild nehmen. "Warte ab, Partner", sagte ich leise, aber bestimmt. "Früher oder später wird er angreifen müssen. Und dann wirst du das tun, was du am besten kannst." Fukano gab ein kurzes, lautes Bellen zurück, das mir sagte, dass er verstanden hatte. Wir warteten ab. "Tackle!", befahl Green seinem Pokémon und es stürmte erneut los. "Noch nicht. Warte." Tauboga erreichte seinen Gegner, und in diesem Moment biss Fukano zu. Die Attacke hatte getroffen. Unter einem lauten Schrei stürzte Tauboga ab und fiel zu Boden. Green rief es sofort zurück. Doch er war immer noch recht amüsiert. "Das machst du wohl gerne, was?" Ich grinste mit abgewandtem Blick. "Das müsstest du doch wissen. Schließlich hast du mich jetzt schon bei mehreren Kämpfen beobachtet." "Hm." Es schien ihn tatsächlich amüsieren. Er sagte nichts weiter dazu und schickte sein nächstes Pokémon in den Kampf. "Los, Schillok!" Ich holte Fukano zurück, griff erneut zu Karpador, um ihm ein paar Erfahrungspunkte zu bescheren, und wechselte dann Bisaknosp ein. Ich wolle unbedingt, dass Karpador etwas lernte und sich so schnell wie möglich entwickeln konnte. Schließlich … war seine Weiterentwicklung ein recht gutes Pokémon. Der einzige Nachteil dieser Methode war bloß, dass sie mich jedes Mal einen Zug kostete. "Greif mit Tackle an, Schillok!" Bisaknosp kam gerade in den Kampf, da wurde es auch schon getroffen. Doch so eine leichte Attacke würde es locker einstecken, da war ich mir sicher. "Rasierblatt!" "Panzerschutz!" Schillok erhöhte seine Verteidigung und steckte die Attacke recht gut ein. Es war immer noch topfit. Durch die Weiterentwicklung war es offensichtlich noch stärker geworden und nur noch schwieriger für uns, es zu besiegen. Doch inzwischen hatte ich auch ein Pokémon, das ihm gegenüber im Vorteil war, ganz im Gegensatz zu unserem ersten Kampf. "Hör nicht auf, Bisaknosp! Bombardiere es mit Rasierblatt!" Es dauerte. Green erhöhte ständig Schilloks Verteidigung und ließ es bei Gelegenheit angreifen, sodass Bisaknosp immer wieder ein wenig Schaden nahm, jedoch kaum etwas bewirkte. "Egelsamen!", rief ich schließlich, als mir dieser Gedanke kam. Wenn Schillok ihm seine Kraft raubte, dann musste Bisaknosp sie sich eben zurückholen. Die Attacke traf. Schillok wurde bepflanzt, und Bisaknosp absorbierte seine Energie. "Verdammt, daran habe ich nicht gedacht", gab Green zu, verlor jedoch nachwievor nicht die Fassung. "Mach weiter, Schillok!" Doch jetzt war es zu spät. Die Schmarotzer-Attacke schadete Schillok und füllte die KP seines Gegners ganz allmählich wieder auf. Währenddessen griff Bisaknosp immer wieder an, und zwang Schillok letztendlich zu Boden. Den härtesten Gegner hatten wir also auch besiegt. "Du hast dazugelernt", sagte Green und ging zu seinem nächsten Pokémon über. "Dafür werde ich dir jetzt etwas zeigen. Ich habe es noch nicht antrainiert, deswegen kann es auch keine wirklichen Attacken. Aber du solltest es zumindest einmal sehen. Los geht's!" Er warf den Ball und das Pokémon im Innern offenbarte sich. Ich hatte bereits schon mal ein solches gesehen, da unter anderem meine Großmutter eines besessen hatte. Es war ein Abra. "Ein Psycho-Pokémon", bemerkte ich und nickte anerkennend. "Nicht schlecht. Mit ein bisschen Training kann daraus etwas werden. Aber nimm es mir nicht übel, wenn ich es gleich besiege. Rasierblatt!" "Teleport!" Tatsächlich ließ sich sofort auf den ersten Blick erkennen, dass Abra noch trainiert werden musste. Scheinbar beherrschte es bisher nur diese eine einzige Attacke, und die schlug fehl. Rasierblatt traf und Abra konnte ihm nicht einmal standhalten. Jetzt war nur noch ein einziges Pokémon übrig. "Gut, hier kommt mein letztes!", rief Green mit sicherer Stimme und warf den letzten Ball, den er noch übrig hatte. "Los, Rattfratz!" Und wieder wechselte ich zuerst zu Karpador und schließlich zu Fukano. "Hyperzahn!" "Biss!" Doch mir fehlte die Zeit, um Fukano rechtzeitig zum Angriff zu bringen. Er steckte die Attacke unter lautem Gejaule ein, biss dann selbst zu und ließ Rattfratz zurückschrecken. "Ruckzuckhieb!" "Glut, Fukano!" Die Feuer-Attacke hatte mit voller Wucht getroffen. Rattfratz flog zurück zu seinem Trainer und rappelte sich auf, den Blick angriffslustig auf Fukano gerichtet. "Sehr gut, Rattfratz! Noch einmal Hyperzahn!" "Biss, Fukano!" Zwei erneute Angriffe, die beinahe aufeinanderprallten. Eigentlich konnte ich kaum hinsehen, doch ich zwang mich dazu. Ein Pokémon-Kampf beinhaltete immer eine gewisse Gewalt. Und wenn ich das nicht akzeptieren konnte, war ich nicht für das Trainer-Leben gemacht. Ich vernahm ein wütendes Knurren. Fukano stand. Rattfratz auch, doch auf sehr wackeligen Beinen. Die beiden starrten sich an, als warteten sie darauf, dass einer blinzelte. Und dann brach Rattfratz zusammen. Green rief es zurück und fasste sich an den Kopf, doch er lächelte. "Verdammt. Ich hätte echt gedacht, ich krieg das hin." "Offenbar nicht." "Hey, schon gut!" Du hast gewonnen, ich seh's ein. Ich bin trotzdem der Beste." "Natürlich bist du das", grinste ich, als ob ich tatsächlich nicht den geringsten Zweifel daran gehabt hätte, und holte Fukano zurück. Green musterte mich abschätzend. "Ich glaube, das wird noch eine spannende Reise, Rei. Ich würde später gern wieder gegen dich kämpfen. Ich würd gerne wissen, wie sich deine Pokémon entwickeln." "Ich bin dabei. Es würde mich auch interessieren, wie du dich mit deinem Team entwickelst." "Na dann wir uns ja einig." Ich nickte. Und Green machte Anstalten, davon zu gehen. Doch als er direkt an mir vorbeikam, hielt er noch einmal kurz inne. "Soll ich dir was verraten? Ich war bei Bill und habe mir seine seltenen Pokémon zeigen lassen. Die Einträge im Pokédex waren mir zwar nicht sonderlich wichtig, aber es kann nie schaden, sie zumindest gesehen zu haben. Bill ist weltweit als Pokémaniac bekannt, er hat schließlich auch das Pokémon-Lagerungssystem für den PC entwickelt. Red sollte sich wohl bei ihm dafür bedanken, er wird es brauchen." "Soll ich dir auch mal was verraten?", erwiderte ich kaum merklich grinsend. "Bill ist ein alter Freund von mir. Und ja, er ist verdammt genial." "Verstehe." Und er ging weiter davon. "Na ja, ich hau ab. Mach's mal gut!" "Bis später", rief ich ihm nach und machte mich ebenfalls wieder auf den Weg. Um zum Haus am Kap zu kommen, wo Bill lebte, musste ich eine Brücke überqueren. Eine Brücke, die schon vom ersten Anblick voller Pokémon-Trainer war. Ich kannte diese Blicke allmählich sehr gut. Wenn ich an ihnen vorbeigehen würde, dann würden sie mich zweifellos in einen Kampf verwickeln. Doch es gab nur diesen einen Weg, da musste ich durch. Ich seufzte, und betrat schließlich die Brücke. Ich war kaum ein paar Schritte weit gekommen, da rief auch schon der erste: "Hey, bleib stehen! Das hier ist die Nugget-Brücke! Wenn du uns fünf Trainer besiegst, erhältst du einen wertvollen Preis. Willst du dein Glück versuchen?" "Na wenn das so ist", erwiderte ich und zog Karpador hervor. Was kümmerten mich ein paar Kinder, die mich zum Kampf herausfordern wollten? Ich hatte inzwischen schon genügend lausige Trainer besiegt, um sagen zu können, dass ich auch mit diesen hier fertigwerden würde. Ich behielt das Prinzip tatsächlich bei, Karpador immer zuerst in den Kampf zu schicken und dann Fukano oder Bisaknosp einzuwechseln. Zumal Raupy und Hornliu keine wirklichen Gegner für uns waren. Eine Glut-Attacke reichte aus, um sie zu besiegen. Und nicht anders war es bei den nächsten Trainern, von denen offenbar jeder glaubte, mich besiegen zu können. Doch ich kam mit meinen Partnern an Taubsi, Nidoran ♀, Rattfratz und auch Rettan und Zubat vorbei, ohne dass einer von ihnen groß Schaden nahm. Und nebenbei konnte Karpador ein paar Erfahrungspunkte ergattern. Ich würde froh sein, wenn es sich endlich entwickelte… Schließlich besiegten wir noch zu guter Letzt ein Menki, und endlich erreichten wir das Ende der Brücke. Jetzt wollte ich zumindest meinen Preis dafür haben. Ich schritt langsam von der Brücke herunter. Und mein Blick fiel gleich auf den Mann, der dort am Ende stand und mich mit verschränkten Armen musterte. Ich konnte es nicht ganz deuten. Doch auf mich wirkte er recht beeindruckt, auch wenn er es vielleicht nicht zugeben wollte. "Herzlichen Glückwunsch!", sagte er und hob den Kopf. "Du hast alle fünf Trainer besiegt. Du hast einen großartigen Preis gewonnen! Hier, bitte." Er streckte mir etwas hingegen. Ein wenig skeptisch musterte ich den Mann, doch dann nahm ich ihm das Geschenk ab. Es war ein Nugget. Daher also der Name Nugget-Brücke. Eigentlich war dieses Item völlig nutzlos, doch ich konnte es sicher für viel Geld verkaufen. Und Geld war nie sonderlich verkehrt, besonders, wenn man auf Reisen war. Also steckte ich es in meinen Rucksack. "Möchtest du auch Mitglied des Team Rocket werden?" Ich erstarrte Augenblicklich. Mein sonst einfach nur ernster und starrer Blick wechselte schlagartig zu Wut. "Aha. Daher weht also der Wind." "Heißt das, du kennst Team Rocket?" "Ja", sagte ich zähneknirschend. In diesem Moment hätte ich ihm das Nugget gerne an den Kopf geworfen. Ich war mir nicht sicher, ob er meine Haltung zu verstehen wusste. "Das ist sehr gut! DU bist ein starker Trainer, und das könnte uns wirklich nützen. Möchtest du beitreten?" "Im Leben nicht." "Wie bitte?" Ich zog Fukanos Pokéball und hielt ihn wutentbrannt in die Höhe. "Den Teufel werde ich tun, mich einer Verbrecherbande anzuschließen. Schließlich habe ich noch einen Funken Stolz und Ehre! Ich werde sicher kein Team Rocket-Mitglied." "Wirklich nicht?" "Nein." "Komm schon, werde Mitglied!", flehte der Mann und legte bittend die Hände zusammen. "Ich empfehle dir, ein Mitglied zu werden!" "Das ist mir egal." "Hm." Jetzt veränderte sich sein Blick von etwas Flehendem zu etwas eher Bedrohlichem, das mich jedoch nicht einschüchtern konnte, auch wenn er es offenbar gern versuchte. "Ich glaube, ich sollte ein wenig Überzeugungsarbeit leisten! Dieses Angebot kannst du nicht ablehnen!" "Hey!" Wir wandten beide die Köpfe. Und zu meiner großen Überraschung war es Red, der nicht weit von uns entfernt stand und uns zugerufen hatte. Im ersten Moment machte er einen selbstbewussten Eindruck, doch als der Rüpel sich ihm ebenfalls zuwandte, entwich seinem Gesicht wohl ein wenig die Farbe. "Du schon wieder!", rief der Rüpel empört. Doch Red fasste sich, kam zu uns rüber und sah ihn wütend an. "Hast du nichts anderes zu tun?!" "Hey, Red", sagte ich im Vergleich relativ freundlich und hob die Brauen. "Gibt es eine Erklärung dafür?" Red blickte recht finster drein und deutete auf den Rüpel. "Der hier versucht schon die ganze Zeit, Mitglieder für Team Rocket zu gewinnen. Ich hab eben schon gegen ihn gekämpft und ihn besiegt, aber scheinbar hört er einfach nicht auf." "Ist das so, ja?" Ich wandte mich mit durchdringendem Blick wieder an den Rüpel, der jetzt vor uns zurückwich und abwehrend mit den Händen wedelte. "Ihr müsst das verstehen! Ihr wärt verdammt gut für das Team Rocket, alle beide! Bei eurem Können würdet ihr sicher ganz einfach die rechte Hand vom Boss werden!" "Wer ist euer Boss?!", fragte ich ihn und packte ihn am Kragen seiner schwarzen Uniform. Er schrie auf, wohl weil ich selbst für mein Alter einen ziemlich festen Griff hatte und zudem auch noch den Pokéball in der Hand hielt, und schüttelte heftig den Kopf. "Vergiss es, Kleine. Das werde ich dir nie sagen." "Na dann nicht." Ich ließ ihn los und warf den Pokéball. Fukano sprang auf die Beine und knurrte. Wieder schrie der Rüpel auf. "Wah! Ist ja gut, ich komme euch nicht mehr in die Quere." "Beiß zu, Fukano." Fukano stürzte sich auf den Rüpel, der unter erneutem, verängstigten Aufschreien schließlich losrannte. Wir sahen zu, wie Fukano ihn über die Brücke jagte, bis er schließlich verschwand. Ich atmete tief durch. "Himmel, einer der vielen Gründe, warum ich Menschen nicht leiden kann." Red blinzelte. "Was ist?" "Du lässt Fukano einen Menschen angreifen?" Ich schenkte ihm einen skeptischen Blick. "Du glaubst doch nicht wirklich, dass Fukano ihm ernsthaft was antut? Er sollte ihm bloß etwas Angst einjagen, sonst nichts. Siehst du, da kommt er wieder zurück. Ach, und übrigens: das war mutig von dir. Hätte ich dir gar nicht zugetraut." Fukano kehrte zu mir zurück, und da wir sowieso nun schon zu zweit waren, gingen Red und ich den Weg zusammen. Er wollte ohnehin auch mal bei Bill vorbeischauen, daher passte es ziemlich gut. Wenig später erreichten wir das Haus am Kap. Endlich. Es musste schon ewig her gewesen sein, dass ich das letzte Mal hier gewesen war. "Worauf wartest du?", fragte Red ein wenig unsicher, während er mich musterte, wie ich einfach nur vor der Tür stand und an dem kleinen Haus hinaufsah. Ich lachte leicht auf. "Auf gar nichts. Ich musste mich nur an früher erinnern." Solange Professor Ōkido nicht in meinen Erinnerungen auftauchte. Leider war das nämlich auch der Tag gewesen, an dem ich diesen Verrückten kennengelernt hatte. Und diese Begegnung reichte für den Rest meines Lebens. "Gehen wir", sagte ich, und öffnete die Tür. Wir betraten das Haus und sahen uns erst einmal um. Doch es schien niemand hier zu sein. Fukano sauste an uns vorbei, drehte eine Runde durch den Raum und blieb schließlich mit schräg liegendem Kopf und verwirrten Gesichtsausdruck vor etwas stehen, das aussah wie ein Pokémon. "Was zum - ?" Auch Red schien verwirrt. "Ein … Rattfratz?" Ich seufzte. Ich hatte schon so eine Vorahnung, wieso Fukano so verwirrt war. Ich ging um das Pokémon herum und hockte mich auf den Boden. "Na, ist da wieder was schiefgegangen, alter Freund?" "In der Tat", antwortete das Pokémon geknickt. Red schrie auf und stolperte rückwärts. "Es - kann sprechen?!" "Natürlich kann ich sprechen!", kam eine empörte Antwort und er wandte den Kopf. "Ich seh zwar gerade furchtbar aus, aber … nein, ich bin kein Pokémon! Nenn mich einfach Bill." "Okay?" "Ja! Ich bin ein waschechter Pokémaniac! Du glaubst mir nicht, oder?" Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Ich spürte, wie sich alle Blicke auf mich richteten, während ich mich nach hinten fallenließ und für wenige Sekunden einfach nur dasaß und lachte. "Bill, was hast du angestellt? Du siehst echt furchtbar aus!" "Mir ist ein Experiment missglückt", erklärte er und kratzte sich am Kopf. "Dabei wurden meine Zellen mit denen eines Pokémon kombiniert. Ihr seht ja, was dabei rausgekommen ist … es ist schrecklich. Wie sieht es aus, helft ihr mir?" "Na sicher doch", sagte ich zwinkernd und stand auf. "Einem alten Freund kann ich doch keinen Wunsch abschlagen, erst recht nicht in so einer Situation. Also, was sollen wir tun?" "Ich danke euch!", rief Bill glücklich und sah dankbar von einem zum anderen. "Also, ich gehe in den Teleporter, und einer startet das Zellteilungsprogramm von meinem PC. Alles klar?" "Das sollten wir hinkriegen", meinte Red und ging zum PC hinüber. "Ach, das ist ja einfach. Okay, dann kann es losgehen." "Bitte sehr", sagte ich und wies ausladend auf den Teleporter. Bill hüpfte hinein und ich schloss die Tür hinter ihm. Durch sie hindurch hörte ich seine dumpfe Stimme dringen: "Okay, ihr könnt jetzt loslegen!" Ich nickte Red zu, der sich an den Computer wandte. Er startete das Programm, während ich lässig dastand und zusah und mich gar nicht groß über die Geräusche des Apparats wunderte. Ich hoffte nur, dass es auch tatsächlich funktionierte. Doch die Sache ging gut aus. Die Geräusche des Teleporters erstarben und vor uns trat der leibhafte Bill, so wie ich ihn kannte, aus der anderen Tür. "Ah, schon viel besser! Danke, Leute! Ihr habt echt was bei mir gut." Red und ich kamen auf ihn zu, und Fukano blickte nun um einiges weniger verwirrt drein. Er hatte wahrscheinlich von Anfang an gemerkt, dass Bill kein echtes Pokémon war. "So!", rief Bill plötzlich, klatschte in die Hände und sah nun um einiges besser gelaunt in die Runde. "Freut mich erst mal, dich zu sehen, Rei! Wie geht's deiner Großmutter?" "Ganz gut", gab ich zurück. "Sie ist immer noch in Saffronia City, ich bin allein hergekommen. Ich bin inzwischen selbst auf Reisen. Wie geht's deinem Vater?" "Auch sehr gut, er ist aber gerade noch unterwegs. Schade, dass deine Großmutter nicht auch kommen konnte, leider sieht man sich so selten. Aber cool, dass du auch auf Reisen bist. Ich nehme an, es ist wegen - ?" "Ja, unter anderem." Ich versetzte ihm einen Blick, der ihm klarmachte, dass ich über das Thema nicht sprechen wollte. Es wäre etwas anderes gewesen, wäre ich allein gekommen. Denn Bill kannte ich schon eine ganze Weile, und er wusste auch von meiner Geschichte. Aber gegenüber Red wollte ich das Thema nicht ausbreiten. "Hey, ihr könnt euch meine Pokémon-Sammlung ansehen!", warf Bill plötzlich ein und eilte hinüber zu seinem PC. "Hier, schaut euch die mal an." Neugierig ging Red auf ihn zu, ich folgte ihm. Bill tippte auf seiner Tastatur herum und deutete schließlich auf den Bildschirm, um uns Bilder seiner Pokémon zu zeigen. "Hier, die hab ich erst neulich untersucht." "Was ist das?", fragte Red und besah sich die Pokémon näher. Ich hatte sie schon mal gesehen. "Die Weiterentwicklungen von Evoli. Aquana, Blitza und Flamara." "Gleich drei verschiedene Entwicklungen?" Red war sichtlich fasziniert. Bill nickte stolz. "Ja, Evoli ist ein besonderes Pokémon. Es kann sich unterschiedlichen Bedingungen anpassen, und demnach ändert sich auch seine Gestalt bei der Weiterentwicklung. Inzwischen besitze ich sie alle." "Wow…" Red schien beinahe am Bildschirm zu kleben, während ich Bill einen vielsagenden Blick zuwarf. Dann sagte er: "Hey, wenn ihr beide auf Reisen seid, dann hab ich sogar was, das euch vielleicht interessieren könnte!" "Ach ja?" Ich hob skeptisch die Brauen. Bill kramte in seiner Hosentasche und zog zwei Tickets hervor. "In Orania City ankert ein großes Kreuzfahrtschiff, die M.S. Anne. An Bord befinden sich nur Trainer, das wäre vielleicht eine gute Herausforderung für euch." "Cool, danke", sagte ich und nahm die Tickets entgegen. "Aber willst du nicht hin?" Bill schüttelte den Kopf. "Nein. Sie haben mich zwar zu dieser Party eingeladen, aber ich mag so viel Trubel nicht. Und da ich ohnehin zwei davon habe, wäre das für euch ja perfekt." "Klar, wieso nicht." Red nahm zunächst keinerlei Notiz davon. Er war so auf die Pokémon fixiert, dass es eine ganze Weile dauerte, bis ich wieder seine Aufmerksamkeit erhielt und ihm die Tickets zeigte. Er freute sich, fühlte sich allerdings auch ein wenig schlecht dabei, dass wenn er mitkam, Green keine Karte bekommen konnte. Doch er willigte schließlich ein. Ich konnte sehr überzeugend sein. Wir plauderten noch eine Weile über Pokémon, was Red natürlich unheimlich faszinierte, verabschiedeten uns gegen Nachmittag von Bill und verließen das Haus. Draußen an der Luft atmete ich erst einmal tief durch. "Hach, ein herrlicher Tag, findest du nicht? Red? Hey, was ist?" Red machte ein ziemlich nachdenkliches Gesicht. Dann riss er plötzlich die Augen auf und starrte mich an. "Was ist denn mit dir los?" "Sag mal … hast du Green eigentlich getroffen?" "Ja, hab ich", gab ich achselzuckend zurück. "Unten an der Brücke. Wir haben gekämpft, er ist wieder in Richtung Stadt und ich bin die Brücke entlanggegangen und hab da gegen die Trainer gekämpft und schließlich dich getroffen. Wieso?" "Weil … das bedeuten könnte, dass Green bereits vor uns hier war." "Und?" "Rei, Bill war seit diesem Missgeschick die ganze Zeit ein Pokémon, schon während Green auf dieser Route war. Glaubst du … er hat was damit zu tun? Oder meinst du, er ist einfach reingegangen, hat sich die Pokémon angesehen, und ist wieder verschwunden?" Ich blinzelte. Doch so abwegig war dieser Gedanke gar nicht. Wenn Bill das Experiment schon vorher missglückt und er die ganze Zeit ein Pokémon gewesen war, dann war die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Green ihm während seiner Gestalt als Pokémon begegnet war. "Denkst du echt, er hat sich die Pokémon angesehen, Bill ignoriert, und ist dann einfach wieder gegangen?" Wir starrten uns einen langen Moment lang an. Dann blinzelten wir beide. "Nein, das trau ich ihm nicht zu … ich kenn ihn schon lange, sowas würde er nicht tun …" "Denk ich auch, so fies ist er nicht." "Stimmt, er kann recht gemein sein, aber sowas tut er nicht. Niemals." "Es sei denn … er wusste, dass du kommen und ihm helfen würdest?" "Was?" Red sah schockiert auf. Doch ich schenkte ihm bloß ein Lächeln, wandte mich ab und machte mich davon, auf dem Weg zurück in die Stadt. Kapitel 13: Port of sunsets --------------------------- Red und ich hatten uns darauf geeinigt, nichts über Bills Unfall und unsere Theorie diesbezüglich zu sagen. Wir machten uns gemeinsam auf den Weg zurück und trafen gleich auf Green, der uns ein wenig angenervt von einem weiteren Rüpel von Team Rocket erzählte, der offenbar eine TM geklaut und dafür ein Loch in eine Hauswand gesprengt hatte, welches uns einen direkten Weg hinaus aus der Stadt offenbarte. Allerdings waren wir noch nicht ganz aufbruchsbereit. Green musste uns natürlich offenbaren, wie einfach der Kampf gegen Misty gewesen wäre und präsentierte uns stolz seinen Orden, den Red sich als einziger von uns noch verdienen musste. Da Green auf ihn warten wollte, um später zu erfahren, wie sein Freund und Rivale sich geschlagen hatte, und ich hingegen keine Zeit verlieren wollte, machte ich mich vorerst allein auf den Weg. Ich musste die Zeit nutzen, um weiter zu trainieren. Also legten wir los. Auf dem Weg nach Orania City geschah zur Abwechslung mal nichts Ungewöhnliches. Ich trainierte vorwiegend mit Fukano und Bisaknosp und sorgte dafür, dass auch Karpador zumindest ein paar Erfahrungspunkte abbekam. Wir nahmen daher erst spät den unterirdischen Tunnel nach Orania City, um kurz vor der Stadt unser Training fortzusetzen. Schließlich durften wir nicht nachlassen. Denn schon bald würden wir dem nächsten Arenaleiter gegenüberstehen. Es war ein angenehmer Vormittag, als ich unser Training beendete und wir endlich die Stadt erreichten. Orania City, die Hafenstadt der einmaligen Sonnenuntergänge. Unser erstes Ziel war das Pokémon-Center. Ich musste sichergehen, dass meine Partner auch fit waren - zumindest Fukano und Bisaknosp. Dass Karpador mir eine Hilfe in einem Arena-Kampf sein würde, wagte ich zu bezweifeln. Nur wenig später, nach einer umfangreichen Untersuchung und dem Ergebnis, dass meine Pokémon in einem recht guten Zustand waren und sich schnell wieder erholten, trat ich wieder hinaus an die frische Luft. Ich sah mich um und überlegte gerade, wo ich als erstes hingehen sollte, da hörte ich eine Stimme: "Hey, Rei! Hier bin ich!" Es war Red, der einige Meter von mir entfernt stand und fröhlich winkte. Na dann hatte ich wenigstens einen von ihnen schon mal gefunden. Ich ging ohne ein Wort zu ihm hinüber, doch Red schien das keineswegs zu stören, er schien unheimlich gut gelaunt und voller Energie. Als ich ihm einen skeptischen Blick versetzte, sagte er sofort: "Und, freust du dich auch schon?" "Worauf?", fragte ich verdutzt. "Na auf die Party!", sagte Red hellauf begeistert und nickte mit dem Kopf in Richtung Hafen. "Dank Bill haben wir ja die Karten dafür bekommen. Ich hab mich schon mal umgehört, dort soll es auch einige Trainer geben! Die kommen bestimmt von weit her und haben seltene Pokémon, die ich bisher noch nicht gesehen habe. Ich kann es kaum erwarten, gegen sie zu kämpfen!" Ich konnte mir wieder mal ein grinsen nicht verkneifen,. "Freak durch und durch. Du nimmst die Sache mit dem Pokédex ziemlich ernst, was?" Red nickte bestimmt. "Ich habe mir ein Ziel gesetzt. Ich will diesen Pokédex vervollständigen, und das werde ich auch!" "Nur für den Alten? Das wäre es mir nicht wert." Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. "Was hast du gegen Professor Ōkido?" "Er ist ein wahnsinniger Schwachkopf." "Das stimmt doch gar nicht!" Ich hob die Brauen und sah Red scharf an. "Er kennt nicht mal den Namen seines Enkels. Findest du das normal?" "Ach, er ist doch schon was älter", entschuldigte er ihn und tat meine Worte mit einer Handbewegung ab. Doch ich hob bloß die Schultern. "Mir ist es egal. Ich kann ihn nicht leiden, aber wenn du ihn magst, dann ist das so. Ich meine nur, dass ich für so jemanden niemals eine solche Aufgabe erfüllen würde. Dafür wäre mir meine Zeit und Energie zu schade." "Du klingst fast so wie Green. Ich dachte eigentlich, er würde auch an seinem Pokédex arbeiten, aber da hab ich wohl falschgelegen. Ihn interessiert das kein Stück, mich hingegen schon. Und außerdem tu ich das nicht nur für den Professor, sondern auch, weil ich das will. Es ist mein persönliches Ziel, unabhängig davon, dass es auch sein Traum ist. Ich liebe Pokémon, und ich will jedes einzelne von ihnen sehen, ich will jedes von ihnen zumindest einmal gesehen haben!" "Na dann ist es ja gut", sagte ich und wandte mich ab. "Dann wünsche ich dir viel Erfolg." "Hey, wo willst du hin?" "Mal in der Arena vorbeischauen. Je schneller ich die Herausforderung annehme, umso besser." "Aber die Party!" Ich drehte mich wieder um. "Was ist damit?" "Die fängt gleich an, deshalb hab ich extra hier gewartet und nach dir Ausschau gehalten. Ich dachte schon, du würdest zu spät kommen … ich meine, wenn wir diese Karten schon mal haben, dann sollten wir sie doch nicht verfallen lassen, oder?" Er starrte mich erwartungsvoll, vielleicht sogar hoffnungsvoll, an und wartete meine Antwort ab. Ich seufzte. "Na gut, du hast Recht. Dann los, gehen wir. Bringen wir die Sache hinter uns." Jetzt war Red wieder so fröhlich wie vorhin. Er ging voran, ich folgte ihm, und während wir durch die Stadt in Richtung Hafen gingen, konnte er keine Minute ruhig sein. "Ich hab irgendwie das Gefühl, du freust dich kein bisschen. Gehst du nicht gern auf Partys?" "Nein." "Warum?" "Ich kann Menschen nicht leiden." "Oh", machte Red und schwieg zunächst. Dann sagte er: "Kann ich verstehen. Ich mag auch nicht zu viele Menschen um mich herum, wenn ich sie nicht kenne. Aber als Trainer kommt man da wohl leider nicht ganz drum herum. Außerdem sind wir ja zu zweit, dann wird es sicher nicht so schlimm." "Wo ist Green eigentlich?", fragte ich ihn, um das Thema zu wechseln. "Er hat doch extra auf dich gewartet, weil er wissen wollte, ob du den Orden kriegst. Hast du ihn?" "Ja, ich hab ihn", sagte Red und sah nachdenklich zum Himmel hinauf. "Aber wo Green ist, keine Ahnung. Wir haben ausnahmsweise mal im Pokémon-Center übernachtet, aber er ist schon früh aufgestanden und verschwunden. Ich hab keine Ahnung, wo er hin sein könnte, denn in die Arena wollten wir eigentlich zusammen." "Hm … hast du ihm von der Party erzählt?" "Nein…" Jetzt sah er zu Boden, als ob es ihm unangenehm wäre. "Ich wollte nicht, dass er sich ausgeschlossen fühlt. Ich meine … weil wir beide ja eine Karte haben und er nicht … findest du das albern?" "Nein", sagte ich bestimmt und meinte es auch so. Ich wandte ihm das Gesicht zu und versuchte es mit einem Lächeln. "Ich denke zwar nicht, dass es irgendwas ändern würde, ob er es nun wüsste oder nicht. Aber es ist toll von dir, dass du dir Gedanken um solche Dinge machst und nicht willst, dass er sich benachteiligt fühlt. Du bist ein echt netter Kerl, und daran ist nichts albern. Hm, sieht aus, als wären wir da." Ich konnte das riesige Schiff im Hafen sehen, das die Aufschrift M.S. ANNE trug. Auch Red sah nun wieder auf. "Ja, sieht aus, als wären wir da." "Na dann komm. Schauen wir mal, was da oben so los ist. Vielleicht triffst du ja tatsächlich ein paar Trainer mit seltenen Pokémon." Wir gingen den Hafen entlang und über den Steg, der uns zur M.S. Anne brachte. Den Geräuschen auf dem Schiff nachzuschießen, hatten die Leute dort eine Menge Spaß. "Willkommen auf der M.S. Anne!", rief ein Matrose uns freudig entgegen, als wir ankamen. "Verzeihung, habt ihr eure Tickets?" "Na sicher", strahlte Red und wir zeigten dem Matrosen unsere Karten. "Großartig! Dann wünsche ich euch viel Spaß!" "Danke!" Und wir betraten das Schiff. Und kaum waren wir drin, da sah Red schon voller Vorfreude rechts und links den Gang entlang, als ob er darauf wartete, dass ein Trainer um die Ecke kam, gegen den er kämpfen konnte. Ich klopfte ihm kurz auf die Schulter. "Sei nicht so ungeduldig, du wirst sicher noch zu deinen Kämpfen und neuen Pokémon kommen. Ich schlage vor, wir sehen uns überall mal um und schauen auch nach, was in den Kabinen so los ist." Red schien schockiert. "Du … willst einfach so in fremde Kabinen reinplatzen?" "Ja klar." "Aber … das tut man nicht." Ich wandte den Kopf und grinste. "Du bist echt viel zu anständig. Was glaubst du denn, was dich dort erwartet? Die M.S. Anne legt nur einmal im Jahr in Orania City an, und schließlich ist die Party in vollstem Gange, mal ganz abgesehen von den Trainern, die vielleicht dort warten. Willst du dir diese Chance wirklich entgehen lassen?" Er zögerte. Lange. Er starrte mich verbissen an, doch dann nickte er. "Gut, in Ordnung. Aber du gehst vor! Ich will nicht schuld sein, wenn sich jemand beschwert!" "Mit Vergnügen", sagte ich amüsiert und ging voran. "Schauen wir uns doch einmal um." "Wo willst du anfangen?", sagte Red hastig und lief mir nach, während ich zum Ende des Ganges ging und mich einmal umsah. "Hm. Ich würde sagen, wir gehen erst mal bis zum Ende durch diese Tür, kommen dann wieder zurück und nehmen die Treppe, und anschließend knöpfen wir uns die ganzen Kabinen vor und gehen zur anderen Seite. Was sagst du?" "Ist ein Plan…" Ich hätte wahrscheinlich alles sagen können und er wäre mir gefolgt. Wahrscheinlich wollte er wirklich nur, dass ich voranging. Aber das machte mir nichts. Ich mochte mich zwar nur ungern mit Menschen auseinandersetzen, doch ich wusste, sie gekonnt zu ignorieren. Wir betraten den ersten Raum und fanden uns offenbar in der Küche wieder. Überall wurde unter Hochdruck gearbeitet, und die Köche liefen eilend hin und her. "Aus dem Weg, ihr Leichtmatrosen!", rief uns einer entgegen, als wir mitten durch den Raum gingen, und sauste an uns vorbei. "Wir sind schwer beschäftigt!" "Wahrscheinlich sollten wir wirklich besser wieder gehen…", murmelte Red mir zu, doch ich ignorierte ihn und ging einfach weiter. Ich sah mich um und fasste die Mülleimer ins Auge. In dem Moment beugte sich ein anderer Koch von seinem Arbeitsplatz zu uns herüber. "Ihr solltet vielleicht wirklich besser von hier verschwinden, wir sind ziemlich im Stress. Aber vielleicht gibt es noch was Interessantes für euch, ich habe eben einen seltsamen Ball im Müll gesehen…" "Aha", sagte ich leicht triumphierend und schritt geradewegs auf die Mülleimer zu. "Wusste ich doch, dass es nicht umsonst war." "Was meinst du?", fragte Red und lief mir weiterhin hinterher. Ich ging an den Mülleimern vorbei und warf jeweils einen Blick hinein. "Aha, da haben wir doch was." Ich griff in einend er Eimer hinein und zog einen Ball hervor. "Na sieh mal einer an. Ein Superball. Und noch voll funktionsfähig. Siehst du, Red? Aus dem Grund solltest du dich immer gründlich umsehen. Es gibt heutzutage viele Leute, die sehr verschwenderisch leben und oft Sachen wegwerfen. Ein Blick in die Mülleimer schadet also nie." Und so machten wir uns wieder auf dem Weg, vorbei an all dem duftenden Essen - es gab offensichtlich Lachs-Filet - und begaben uns über die nächste Etage hinweg an Deck. Hier war die Stimmung deutlich ausgelassener und fröhlicher als unten in der Küche. "Hach, sieh dir nur mal diese Aussicht an!", rief Red und ließ den Blick über das Meer schweifen. "Das ist echt toll, ich -" "Hey, ihr das!", rief uns plötzlich jemand zu. Wir wandten die Köpfe. Ein Matrose baute sich vor uns auf. "Ihr seid doch Pokémon-Trainer, nicht wahr? Wie wäre es mit einem Kampf?" "Au ja!", sagte Red hoffnungsvoll und zog seinen ersten Pokéball. "Ich bin dabei! Du erlaubst doch, Rei?" "Nur zu", sagte ich und machte eine ausladende Geste. "Ich bin nicht scharf drauf. Du willst den Pokédex vervollständigen, nicht ich." "Okay, auf geht's!" Ich sah den beiden beim Kämpfen zu und beobachtete dabei vorzugsweise Reds Kampfstil. Schließlich konnte es nie schaden, ihn zu kennen. Mit Sicherheit würden wir noch öfter gegeneinander antreten. Der Kampf dauer jedoch nicht allzu lange. Red war zweifellos stärker als der Matrose und besiegte mit Pikachu beide Pokémon. Kein Wunder, denn die Pokémon des Matrosen waren Wasser-Typen, denen ein paar Donnerschocks ordentlich zusetzten. "Mist, da hatte ich wirklich keine Chance", sagte der Matrose ein wenig niedergeschlagen. "Dein Pikachu ist echt toll! Hier in der Gegend sieht man sowas eher selten. Mein Vater sagt, es gäbe hundert verschiedene Pokémon. Ich denke, es gibt mehr…" Ich wandte mich ab, als Red schließlich seinen Pokédex hervorholte und mit dem Matrosen ziemlich angeregt über die verschiedenen Pokémon sprach, die beide bereits gesehen und gefangen hatten. Gerade sah ich hinüber zur Stadt, als ich jemanden erkannte, der wohl ebenfalls die Aussicht genoss. "Misty?" Sie wandte sich um, als ich näherkam. Ihr zunächst träumerischer Gesichtsausdruck wandelte sich zu einem freudigen Strahlen, als sie mich erkannte. "Hey, Rei! Du bist also auch hier, damit hab ich gar nicht gerechnet. Wie geht's dir?" "Gut", sagte ich und stellte mich neben sie, um mit ihr zusammen die Aussicht zu genießen. "Ich hab durch einen guten Freund Karten bekommen, und da dachte ich, ich schau mal vorbei." "Verstehe", sagte Misty und warf einen kurzen Blick über die Schulter. "Red ist ein Freund von dir?" "Ja. Wir haben jeweils eine Karte bekommen, daher sind wir gleich zusammen hierher." "Er ist gut", sagte Misty anerkennend. "Sein Pikachu hat meine letzten beiden Teampartner ziemlich fertiggemacht, die anderen vier sind ja schon deinem Bisaknosp und dem Tauboga und Schillok von diesem Green zum Opfer gefallen." Es brachte mich zum Grinsen. "Ich wette, er war sehr von sich überzeugt, dass er diesen Kampf ohne Probleme gewinnt." "Wer, Green? Er ist also auch ein Freund von dir?" "Jep." "Verstehe." Jetzt zeigte auch sie ein amüsiertes Lächeln und versetzte mir einen vielsagenden Blick. "Ja, er war sehr von sich überzeugt. Aber ich hab es ihm nicht zu leicht gemacht. Zumal er kein Pokémon hatte, das wie dein Bisaknosp oder Reds Pikachu gegenüber dem Typ Wasser im Vorteil war. Er hatte zumindest ein bisschen an meinem Starmie zu knabbern." "Na wenigstens." Misty sah mich fragend an. "Höre ich da eine gewisse Schadenfreude? Man könnte fast meinen, du wolltest, dass er den Kampf verloren hätte?" Ich drehte mich um und lehnte mich lässig an das Geländer, wobei ich Red einen kurzen Moment beobachtete, der gerade noch mit dem Matrosen gesprochen hatte und nun von einem weiteren zum Kampf aufgefordert wurde. "Nein, eigentlich nicht. Ich wünsche ihm nicht unbedingt, dass er einen Kampf verliert, allerdings sollte er es auch nicht immer so leicht haben wie bisher. Tatsächlich hat er sich gleich den ersten Orden im wahrsten Sinne des Wortes abgeholt. Drei Attacken und Rocko war besiegt." "Wenn er da schon sein Schillok hatte, kein Wunder. Schließlich ist es doppelt im Vorteil." "Zweifellos. Nun, es war noch ein Schiggy, aber auch das hat vollkommen gereicht. Wie auch immer, bisher gewinnt er so ziemlich jeden Kampf mit Leichtigkeit. Und das lässt ihn natürlich nicht daran zweifeln, dass er der Beste ist." Wir tauschten kurze, vielsagende Blicke, dann mussten wir beide lachen. Ich hatte den Eindruck, dass Misty wenigstens genau wusste, dass ich es nicht böse meinte. Ich mochte Green tatsächlich, doch konnte ich es nicht abstreiten, ein wenig Schadenfreude zu genießen. Ich hätte diesen Kampf gerne gesehen, den er mit etwas weniger Leichtigkeit gewonnen hatte. Sie zwinkerte mir zu und nickte in Richtung Stadt. "Wenn er die hiesige Arena besuchen will, wird er wohl auf einen Gegner treffen, den er wohl nicht so leicht schlagen wird." Ich wandte den Kopf und folgte ihrem Blick. Ich sah die Arena am Rande der Stadt. Tatsächlich hatte ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht, um welche Arena es sich eigentlich handelte. Ein besonders ausgeglichenes Team hatte ich bisher schließlich nicht, da es bisher nur aus Fukano und Bisaknosp bestand, wenn man Karpador mal nicht mitzählte. Denn letzteres würde ich erst nach seiner Entwicklung im Kampf einsetzen können. "Was ist das für eine Arena?", wollte ich wissen. "Elektro." "Verstehe." Ich musste wieder grinsen. "Tja, das würde ich mir gerne ansehen. Mit Tauboga und Schillok wird er da wohl nicht weit kommen." Misty nickte eifrig und weitete die Augen. "Da wird er sich eine andere Strategie überlegen müssen. Zumal Major Bob ziemlich hart im Nehmen ist, an ihm werden sich einige die Zähne ausbeißen." Ich sah Misty an. Ein eigenartiges Gefühl beschlich mich, als ich eines ihrer Worte wiederholte: "Major?" "Ja, Major Bob heißt er", antwortete sie verwirrt. "Er war beim Militär, danach hat er die Orania-Arena übernommen und den Titel Major auch in seinen Namen als Leiter einfließen lassen." Ich wandte mich ab und ging wieder in Richtung Red. "Was ist los?", rief Misty mir nach, doch ich warf nur kurz einen Blick über die Schulter. "Ich habe etwas zu erledigen. Ich danke dir, Misty. Komm, Red. Wenn du fertig bist, gehen wir weiter." "Ist gut", sagte Red ein wenig verwundert, doch er fragte nicht. Ich sah noch zu, wie er den Kampf beendete und sein Preisgeld kassierte, dann kehrte ich ohne ein Wort ins Innere des Schiffes zurück und drehte mich dabei nicht einmal um. "Warum hast du es so eilig?", fragte Red, der jetzt rennen musste, um mich mit meinen zügigen Schritten einzuholen. Ich verzog keine Miene. "Ich will nur schnell hier raus. Das ist alles. Bevor wir die Treppe hier hochkamen, waren doch auch noch einige Kabinen. Vielleicht sollten wir dort weitermachen, bevor wie wieder ganz zurückgehen." "Ist gut…" Ohne überhaupt einmal nachzufragen, betrat ich die erste Kabine. Red schien nicht besonders angetan von meinem Verhalten, doch er brauchte sich nicht groß darum zu kümmern. Denn jetzt war ich an der Reihe. Zugegeben, ich hätte vielleicht freundlicher sein und auch etwas sagen sollen. Doch im Augenblick hatte ich nur eins vor Augen. Ich wollte kämpfen. Gegen jeden, der mir in die Quere kam. Vielleicht machte ich Red ein wenig Angst damit, denn ich konnte seine starren Blick in meinem Nacken spüren, während ich die Trainer herausforderte. Doch es war mir in diesem Moment gleich. Mistys Worte klangen mir immer noch in den Ohren, und es löste etwas bei aus, das nur selten zum Vorschein kam. "Na das ging ja recht einfach", sagte ich schließlich, als wir aus der letzten Kabine traten. "Das dürfte Fukano und Bisaknosp gut Erfahrung gegeben haben. Wenn wir hier fertig sind, werde ich der Arena einen Besuch abstatten." "Den Orden wollen wir doch alle", meinte Red und ich spürte wieder eine gewisse Unsicherheit in seiner Stimme. Ich machte ein abwertendes Geräusch. "An diesem Müll bin ich nicht interessiert." Wir bogen um eine Ecke, und stießen dabei gleich mit jemandem zusammen. Ich konnte gerade noch so gut ausweichen, dass ich weiteren Bodenkontakt vermied, doch Red stolperte rückwärts und fiel über seine eigenen Füße. "Au!" "Pass doch auf! Ach, ihr seid es." Red und ich sahen beide auf. Und wir waren beide nicht weniger überrascht als der andere. "Green! Was machst du denn hier?!" "Dasselbe könnte ich euch beide fragen." Er stand mit hochgezogenen Brauen und sah uns abwechselnd an, als erwartete er eine klare Antwort. "Bill hat mir Karten geschenkt", sagte ich unbekümmert. "Er wollte nicht kommen, und da er ein guter Freund von mir ist, hat er mir die beiden überlassen." Red rappelte sich wieder auf und sah zu Boden. "Und zufällig war Red dabei, also hab ich ihm die zweite Karte überlassen. Du warst ja ohnehin beschäftigt." Ich grinste. Green grinste ebenfalls. "Verstehe. So landeten wir also alle hier. Wieso hast du nichts gesagt, Red?" Red starrte immer noch zu Boden. Ich stieß ihn an. "Hey, jetzt schau nicht so. Das kannst du ihm doch ruhig sagen, ist dich schließlich vollkommen logisch." "Was ist denn?" "Ich wollte nicht, dass du dich ausgeschlossen fühlst…", murmelte Red, mehr zu seinen Füßen als zu Green, der ihn jetzt verdutzt anstarrte. Und schließlich lächelte er. "Ach, Red, du bist wirklich süß." "Was?" Vollkommen perplex hob er den Kopf und starrte ihn an. Green lachte. "War doch nur ein Scherz. Lieb von dir, dass du an mich denkst." Er zwinkerte dem immer noch perplexen Red zu, dann wandte er sich an mich. "Und, warst du schon in der Arena?" "Nein, noch nicht. Darum kümmere ich mich später noch. Ich wollte nur schnell diese Party über mich ergehen lassen. Und du?" "Bisher auch noch nicht. Ich wollte ebenfalls schnell hier vorbeischauen und die Karte einlösen, die mir meine Schwester geschickt hat. Ich hab gehört, der Leiter soll ein harter Typ sein." Wieder verspürte ich so ein komisches Gefühl. Doch ich bewahrte die Fassung und verzog keine Miene. "Das werden wir noch sehen. Du warst also schon oben?" "Ja, war ich", sagte Green und seine Miene verdüsterte sich. "Ich kam eigentlich hierher, weil ich hörte, dass hier ein Meister im Umgang mit dem Zerschneider sein soll. Nun, ich habe ihn gefunden. Allerdings ist der alte Mann offenbar seekrank. Er hat mir die VM gegeben und hing dann gleich wieder über seinem Mülleimer. Ich weiß nicht, ob ihr da hoch wollt." Doch mich kümmerte es nicht. Ich ging an ihm vorbei direkt auf die Treppe zu. Ich spürte die Blicke der anderen beiden, reagierte jedoch nicht. Ich hörte Green noch hinter mir sagen: "Na gut, dann sind wir nur noch zu zweit. Also, was hältst du von einem Kampf, wenn wir schon mal hier sind? Wäre ein gutes Training." Ich stieg die Stufen hinaus und ließ die beiden allein. Oben angekommen sah ich mich um. Ich stand in einer großen Kabine, die offensichtlich die des Kapitäns war. Und eben dieser musste es wohl sein, der dort in einer Ecke auf dem Boden hockte, den Kopf über einem Mülleimer hängend, den er fest umklammert hielt. "Hey, sind Sie in Ordnung?", fragte ich und kam näher. Der Kapitän sah auf. Sein Gesicht wirkte schon kränklich. "… es geht mir gar nicht gut!" Er würgte. "Anscheinend vertrag ich doch nicht mehr so viel, wie ich dachte…" "Ich weiß, was hilft", sagte ich und machte ihm damit einen Vorschlag. Der Kapitän würgte erneut, dann sah er mich fragend an. "Was denn?" Ich stellte mich hinter ihn und begann, seinen Rücken zu massieren. Er war furchtbar verspannt. "Ahh, das tut gut…", sagte der Kapitän. Ich war äußerst amüsiert. "Ich sag doch, ich weiß, was hilft. Man muss nur wissen, was man tun muss." Ich massierte ihn einige Minuten, bis ich schließlich merkte, dass es ihm langsam besser zu gehen schien. Der Kapitän ließ den Mülleimer stehen, richtete sich langsam auf und drehte sich zu mir um. "Ich danke dir! Es geht mir schon viel besser …" "Kein Thema", gab ich zurück und steckte die Hände in die Hosentaschen. Er musterte mich abschätzend. "Möchtest du den Umgang mit dem Zerschneider lernen? Ich könnte ihn dir beibringen, aber ich kann dir auch die VM mitgeben. Dann kannst du deinen Pokémon die Attacke selbst beibringen." "Nur keine Umstände, die VM würde mir völlig reichen", sagte ich freundlich. Der Kapitän nickte. Er öffnete eine Schublade seines Schreibtischs und zog eine CD, ähnlich der, die ich bereits von Rocko und Misty erhalten hatte, und reichte sie mir. "Danke", sagte ich und nahm sie entgegen. Der Kapitän atmete tief durch. "Gern geschehen. So, da es mir nun wieder bessergeht, können wir auch bald abreisen. Ich bin bereit!" "Sie reisen jetzt wieder ab?", fragte ich und steckte die VM in meinen Rucksack. "Jaja, diese Party ist sozusagen immer unsere Abschiedsfeier. Schließlich kommen wir erst in einem Jahr wieder. Schade eigentlich …" "In der Tat. Ein Jahr ist eine lange Zeit … nun denn, dann mache ich mich mal auf den Weg und sammel die Jungs unten ein. Dann gute Fahrt!" "Vielen Dank nochmal!", sagte der Kapitän glücklich. Ich wandte mich ab und stieg die Stufen hinunter. Ich hatte eigentlich erwartet, die anderen beiden noch dort kämpfen zu sehen, doch sie waren beide verschwunden. Der Gang war leer. Ein wenig verdutzt streifte ich weiter durch das Schiff, wandte mich zu den letzten Kabinen, die ich mit red erkunden wollte, doch auch hier traf ich keinen der beiden. Ich forderte die letzten Trainer heraus und holte mir so noch ein paar Erfahrungspunkte für meine Partner ein, doch Red und Green waren nirgends zu finden. Offenbar hatten sie die M.S. Anne bereits verlassen. Letztendlich ging ich allein von Bord und wartete am Steg. Es vergingen Minuten, lange Minuten, in denen auch die letzten in die Stadt zurückkehrten, die nicht mitfuhren. Und schließlich setzte sich die die M.S. Anne langsam in Bewegung, dem Sonnenuntergang entgegen, und unter Beobachtung vieler Menschen, die der Besatzung zuwinkten und sich verabschiedeten. Es machte sogar mich tatsächlich traurig. Denn ich wusste genau, dass solch ein Abschied für sehr lange Zeit sein würde… "Vater…" Kapitel 14: The Lieutenant -------------------------- Ich hatte die anderen beiden an diesem Abend nicht mehr gesehen. Wo auch immer sie waren, vermutlich im Pokémon-Center, ich hatte jedenfalls keine Lust mehr, nach ihnen zu suchen. Also suchte ich mir einen ruhigen Ort, um mein Lager aufzuschlagen. Und ehrlich gesagt, war es mir auch lieber, dass die beiden nicht dabei waren. Ich brauchte wohl etwas Zeit für mich… Ich saß da und streichelte Fukano, während ich an das dachte, was ich bisher wusste. Ich musste in die Arena. Unbedingt. Ich musste mit diesem Major Bob sprechen. Ich musste… Fukano auf meinem Schoß war völlig ruhig. Ich beugte mich über ihn, um sein Gesicht zu sehen. Er war bereits eingeschlafen. Ich jedoch würde in dieser Nacht wohl kaum schlafen können. Zu viele Fragen sammelten sich in meinem Kopf, zu viel, das ich unbedingt verstehen wollte. Zu viel, das ich über Vater wissen wollte… Es war eine furchtbare Nacht. Ich befürchtete schon, Fukano aufzuwecken, doch entweder hatten er wirklich einen festen Schlaf, oder er tat einfach nur so, jedenfalls schreckte er nicht ein einziges Mal auf. In meinen Träumen taten sich schattenhafte Gestalten auf. Sie suchten mich. Ich musste mich verstecken. Ich winkte Fukano zu mir und wir suchten Schutz hinter einem riesigen Felsen. Hier mussten wir für eine Weile sicher sein. Ich konnte mein Herz so laut schlagen hören, dass ich befürchtete, es würde unsere Position verraten. Langsam versuchte ich, ruhiger zu atmen und nicht auf die Aufregung und Anspannung zu denken, die mich durchzog. Stille. Lange Minuten vergingen, die mir wie Stunden vorkamen. Dann - "Da sind sie!" Ich schreckte auf. Wie hatten sie mich finden können?! Fukano ging in Angriffsposition. Und schon waren wir umzingelt. Sie bildeten einen Kreis um mich und meinen Partner, die Waffen auf uns gerichtet. Es gab nur eine Möglichkeit. Wir mussten kämpfen. Um unser Leben. Einige lachten. Ich sah von einem zum anderen, doch ich konnte sie einfach nicht alle gleichzeitig im Blick behalten. Doch wenn wir nicht aufpassten, dann würden sie uns auf der Stelle töten, ohne dass wir überhaupt irgendetwas tun konnten. "Mit wem fangen wir an?", sagte einer von ihnen und sah uns abschätzend an. Fukano knurrte und bellte und stellte sich genau zwischen uns. Die Gestalt lächelte, und lachte schließlich, laut und kalt, sodass ich eine Gänsehaut bekam. "Na gut, fangen wir mit dir an", sagte die Gestalt und richtete seine Waffe auf Fukano. Mein Herz blieb beinahe stehen, doch seine Stimme festigte sich nur noch. "Treuer Kamerad, am Ende erwartet dich doch das gleiche Schicksal wie alle anderen! Sieh dem Tod ins Auge!" "NEIN!" Ich schreckte auf. Ich hatte das Gefühl, meine Herz wäre gerade dabei, aus meinem Körper zu springen, als ich mich hastig umsah. Fukano lag nicht weit von mir entfernt und schlief seelenruhig. Ich atmete auf. Nur ein Traum. Nur ein verdammter Alptraum… Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und stand auf. Es war bereits Morgen. Da ich nun schon einmal wach war und wusste, dass es Fukano gutging, brauchte ich mich nicht noch einmal hinzulegen. Diese Bilder hatten für die Nacht gereicht. Und es brauchte eine ganze Weile, bis ich diese zumindest etwas verarbeitet hatte, sodass ich sie für kurze Momente ganz aus meinem Kopf verbannen konnte. Fukano schien ganz genau zu wissen, dass etwas nicht stimmte. Er hüpfte noch freudiger als sonst um mich herum, wohl in der Hoffnung, ich würde zumindest lachen. Doch ich tat es nicht. Jetzt war nicht die Zeit für Späße. Ich musste etwas wissen. "Gehen wir", sagte ich und zog los, Fukano folgte mir. "Ich will schleunigst in diese Arena. Ich muss dort etwas erledigen." Also machten wir uns auf den Weg in Richtung Hafen. Es waren inzwischen schon einige Leute auf den Beinen, doch ich konnte im Augenblick keinen von ihnen ansehen. Mein Blick war stur in Richtung Arena gerichtet, auf die wir allmählich zusteuerten, und die, wie ich nun sah, von einem großen Baum versperrt wurde. "Hm. Also war es doch gut, dass wir erst auf diese Party gegangen sind uns den Zerschneider besorgt haben. Sonst hätten wir nun ein riesiges Problem gehabt. Gut, Bisaknosp, erledige das." Ich ließ Bisaknosp kurz aus dem Pokéball, um den Baum zu zerschneiden und uns den Weg damit freizumachen. "Bestens. Komm du auch erst mal zurück, Fukano." Und so stand ich schließlich in der Arena. Ich befand mich in einem länglichen Raum, an dessen Ende sich eine Tür befand. Ich blinzelte. Das war eine ziemlich eigenartige Arena. In dem Raum befanden sich neben den Trainern nur gut fünfzehn Mülleimer, ordentlich aufgestellt, als ob sie eine tiefere Bedeutung hätten. Und dann fiel mein Blick auf zwei Jungen, die nach und nach in diese Eimer hineinblickten, und schließlich weiter zum nächsten gingen. Ich verschränkte die Arme und sah den beiden amüsiert zu. "Na, haben wir was verloren?" Die beiden sahen auf. "Aha, die gute Rei ist also doch noch dazugestoßen. Wir haben uns schon gefragt, wo du abgeblieben bist. Red hatte gemeint, dass du wenigstens noch mal kurz ins Pokémon-Center gehst, aber da bist du nicht aufgetaucht." "Ich hatte keine Lust mehr auf Menschen", sagte ich knapp. "Außerdem … wart ihr doch weg, als ich vom Kapitän zurückkam, oder nicht?" Green kratzte sich am Kopf und warf mir einen vielsagenden Blick zu. "Na ja, vielleicht haben wir es gestern ein bisschen übertrieben. Rattikarl hat einiges abbekommen, da hielten wir es für besser, den Kampf zu beenden und es ins Pokémon-Center zu bringen." Ich warf einen Blick auf Red. Doch der reagierte nicht und schien immer noch etwas in den Mülleimern zu suchen. Ich hatte ein wenig den Eindruck, dass er sich an diesem Gespräch absichtlich nicht beteiligte. "Und, wie geht's Rattikarl?", erkundigte ich mich bei Green. "Es ist was angeschlagen, aber das wird schon wieder. Ich hab ihn im Pokémon-Center gelassen, die Arena muss ich auch ohne ihn schaffen. Wenn wir denn wenigstens zum Leiter kommen würden…" Er ließ den Blick über die Mülleimer schweifen. Ich hob skeptisch die Brauen. "Nun, was wird das hier? Scheint so eine Art Rätsel zu sein?" "Du hast ja keine Vorstellung", sagte Green düster. "Es ist echt widerlich. Die ganze Zeit müssen wir den Müll hier durchsuchen. Dieser Major Bob hat überall Schalter anbringen lassen, und wir müssen beide finden, um die Tür zu öffnen. Leider müssen beide direkt hintereinander gedrückt werden. Wenn man also den falschen erwischt, müssen wir wieder von vorne anfangen. Die verändern jedes Mal ihre Position." Ich konnte nicht verbergen, dass ich amüsiert war. Green sah mich finster an. "Das ist nicht lustig! Ich bin definitiv nicht scharf darauf, im Müll herumzuwühlen!" "Hey, ich hab einen!", rief Red plötzlich und eilte mit weit aufgerissenen Augen zum nächsten Mülleimer und steckte die Hand hinein. "Mist! Das war der falsche…" "Schon wieder?", sagte Green genervt und ging zur anderen Seite. "Gut, dann fangen wir nochmal neu an. Wenigstens wissen wir, dass der zweite Schalter direkt neben dem ersten sein muss. Das schränkt die Möglichkeiten ja schon mal ziemlich ein." Ich sah zu, wie Green an der einen Seite entlang ging und höchst widerwillig in den Mülleimern nach dem ersten Schalter suchte. Red schien auf seiner Seite keinen Erfolg zu haben und kam zu ihm herüber, als Green plötzlich ausrief: "Hier ist Nummer eins! Es muss also einer der beiden hier sein!" Red hastete los und sah sofort in einem der Mülleimer nach - doch es war wieder der falsche. Green schien einem, Wutausbruch nahe. "Die Chance lag bei fünfzig Prozent, wieso hast du nicht den anderen genommen!" "Tut mir leid", entschuldigte sich Red sofort. "Ich dachte, ich würde Glück haben…" "Ja, offenbar nicht!" "Sind wir etwas aggressiv heute?", fragte ich an Green gewandt und hob die Brauen. "Mir scheint, als bist du nicht gerade der geduldige Typ." "Weißt du, wie lange wir schon hier sind?", fragte Green gereizt und ohne mich anzusehen, und machte sich wieder an den nächsten Mülleimern zu schaffen, weiterhin höchst widerwillig. "Wir sind sicher schon fast eine Stunde mit diesem Müll hier beschäftigt! Gut, wir haben die drei Trainer hier auch noch besiegt. Und trotzdem. Ich krieg langsam echt die Krise, wieso um alles in der Welt denkt jemand sich so einen Schrott aus?!" Er richtete sich wieder auf und versetzte Red einen Blick, der ihm sagte, dass er wieder den ersten gefunden hatte und Red jetzt bloß keinen Fehler machen sollte. Ein wenig eingeschüchtert musterte Red die nächsten Mülleimer, entschied sich für einen und steckte die Hand hinein. Ich konnte an seinem Gesicht sehen, dass er am liebsten ganz abgetaucht und gar nicht erst wieder aufgetaucht wäre. "Das darf doch nicht wahr sein!", legte Green nun los und schien mehr als verärgert. "Wie oft lagst du jetzt schon daneben?! Zwanzig Mal? Dreißig Mal?" "Hey, jetzt beruhig dich doch mal", sagte ich und warf einen kurzen Blick hinüber zu Red, der offensichtlich mit der Situation so gar nicht umgehen konnte. "Er gibt sich wenigstens Mühe. Ich glaube eher, dass du hier einfach eine Menge Glück brauchst, da kann er aber nichts für." Doch Green hörte mir nicht zu. "Weißt du was, lass am besten die Finger davon! Du bist sowas von ungeschickt, ehrlich! Ich mach das lieber allein!" "Bitte…", sagte Red bloß und machte ein paar Schritte rückwärts. "Ich hab's doch nur gut gemeint…" "Du kannst es aber scheinbar nicht!" "Tut mir leid…" Während Green, der mich jetzt offensichtlich ganz ignorierte, weiter giftete und Red unheimlich traurig an der Wand stand und zu Boden sah, entschied ich mich, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Ich ging an den Mülleimern vorbei und durchwühlte ihn, fand schließlich einen Schalter und drückte ihn. Dann ging ich zum nächstgelegenen - und drückte den zweiten. Die Tür öffnete sich. Alle beide wirbelten herum und starrten mich entsetzt an. "Das ist nicht dein Ernst!", sagte Green fassungslos, doch jetzt ignorierte ich ihn und schritt geradewegs auf den zweiten Raum zu, der sich nun offenbarte. "Rei, was tust du?!" "Ich mach jetzt die Tür zu", sagte ich bloß, betrat den Raum und schob die Tür zu. "Das ist doch nicht -", konnte ich ihn noch rufen hören, dann wurde es still. Sein Fluchen war nun nicht mehr zu hören. Ich wandte mich um. Ich stand unter Beobachtung. Das war er also, Major Bob. Der Arenaleiter von Orania City. Ich zeigte keinerlei Unsicherheit, trat ihm entschlossen gegenüber und salutierte, wie aus Reflex. Und er tat es mir gleich. "Rei Katagiri. Ich habe auf den Tag gewartet, an dem du mir gegenüberstehst." Ich konnte meine Überraschung nicht verbergen. "Sie - Sie wissen bereits, wer ich bin?" "Du bist deinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten", sagte er. "Und du hast genau den gleichen Blick wie er." Ich konnte das Gefühl nicht beschreiben, das ich verspürte. Doch eine gewisse Aufregung zeigte sich deutlich, als er diese Worte ausgesprochen hatte. Meine Hoffnungen waren erfüllt. Major Bob hatte also meinen Vater gekannt. "Ja, ich habe deinen Vater gekannt", erzählte er und machte ein paar Schritte auf mich zu. "Wir haben zusammen gedient. Er war ein großartiger Mann. Es ist wirklich schrecklich, wie die Sache ausgegangen ist…" "Sie wissen also, dass er verschwunden ist?", fragte ich leise. Ich hatte für einen Moment kaum Kraft, um meine Stimme zu erheben. Ich war beinahe wie gelähmt. Major Bob nickte, und etwas Trauriges lag in seinen Augen. "Ich begreife nicht, wie das passieren konnte … bis heute nicht. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er freiwillig untergetaucht ist!" "Hätte er denn einen Grund dazu gehabt?", fragte ich und spürte dabei, wie meine Stimme nun unheimlich kühl wurde. Ich wollte ihn nicht sehen lassen, wie sehr mich der Gedanke schmerzte. Ich wollte es niemanden sehen lassen. Major Bob sah mich eine Weile an. Dann nahm er einen von ein paar weiteren Mülleimern, die in einer Ecke standen, drehte ihn um setzte sich. Er wies einladen auf die übrigen, um mir wohl auch einen anzubieten, während er weitersprach: "Ich nehme an, dein Vater hat dir nicht viel über unseren Einsatz erzählt?" "Er kam nicht mehr dazu", antwortete ich knapp und nahm mir ebenfalls einen Eimer, um mich zu setzen. "An dem Tag, an dem er zu seinem letzten Einsatz aufbrach … da sah ich ihn das letzte Mal. Und bis dahin war ich noch zu klein, um das alles zu verstehen…" "Gut. Wo fange ich am besten an … ich sollte vielleicht erst einmal deine Frage beantworten. Ob er einen Grund gehabt hätte, unterzutauchen? Ich wüsste nicht, welchen. Lieutenant Katagiri war einer unserer treuesten und besten Männer. Ich verdanke ihm mein Leben." Ich starrte ihn an. "Wie darf ich das verstehen?" "So, wie ich es sagte." Ein ziemlicher Nachdruck lag in Major Bobs Stimme, als er sprach. "Offiziell heißt es immer, dass meine Pokémon mir im Krieg das Leben gerettet haben, aber … das ist nicht ganz die Wahrheit. Eigentlich war ich zunächst Pilot, meine Elektro-Pokémon haben mir immer schön für den Antrieb gesorgt. Doch dann kam dieser spezielle Einsatz, für den ich eigentlich gar nicht geeignet war, und dennoch forderte man ausgerechnet mich an. Es wurden gezielt Leute ausgewählt. Wie ich, und wie Lieutenant Katagiri. Das war das einzige Mal, dass wir zusammen dienten. Aber ich war dankbar, dass ausgerechnet er dabei war." "Was war das für ein Einsatz?", wollte ich wissen, doch Major Bob schüttelte den Kopf. "Ich kann dir leider nicht alles anvertrauen. Aber das ist auch nicht wichtig. Das Wesentliche war, dass wir zusammen in diesem Einsatz waren. Irgendwann wurde ich verletzt, ziemlich schwer. Ich konnte mich kaum noch rühren, meine Pokémon haben alles gegeben, um mich vor weiterem Schaden zu bewahren. Doch es war Lieutenant Katagiri, der mich letztendlich rettete. Er und sein Arkani haben mich sicher von dort weggebracht, sodass ich in Sicherheit war und Hilfe bekam. Wären die beiden nicht gewesen, dann wäre ich an Ort und Stelle mit der Zeit verblutet. Ich verdanke diesem Mann mein Leben. Und ich habe ihm nicht einmal dafür danken können." Ich schwieg. Seine Erzählungen drangen in meinen Kopf ein und wandelten sich dort in Bilder. Ich konnte es mir deutlich vor Augen führen. Ich hatte Vaters Arkani schließlich auch gekannt, und ich wusste genau, dass er der treueste Freund und Kamerad gewesen war, den man sich jemals hätte vorstellen können. Er wäre sogar gestorben, nur um jemand anderen zu retten. Und letztendlich… "Lieutenant Katagiri hat vielen Kameraden geholfen", fuhr Major Bob fort und riss mich so aus meinen Gedanken. "Er war uns allen ein treuer Kamerad. Leider wurde auch er am Ende schwer verletzt, kurz bevor unser Einsatz beendet war. Er wurde weitestgehend versorgt, doch wir alle machten uns Gedanken um ihn. Und dann plötzlich war er verschwunden. Ich begreife immer noch nicht, wie das passieren konnte … und vor allem, warum." "Das würde ich auch gerne wissen…", gestand ich und sah nachdenklich zur Decke. "Ich habe die Vermutung, dass es etwas mit seinen Forschungen zu tun haben könnte." "Du meinst, weil er sich auch an einigen Projekten beteiligt hat, dass in einem vielleicht etwas schiefgelaufen ist und er in was rein geraten ist?" "Möglich." Doch Major Bob war nicht überzeugt. "Ich weiß nicht. Natürlich, er hat sich der Forschung gewidmet und hauptsächlich legendäre Pokémon untersucht. Aber er war nie der Typ Mensch, der sich in krumme Sachen verwickeln ließ." Ich hoffte insgeheim, dass dem wirklich nicht so war… "Rei, hör mir zu", sagte Major Bob plötzlich und beugte sich vor, um mich mit scharfem Blick zu fixieren, dem ich unmöglich entkommen konnte. "Egal, was passiert ist. Sagen wir mal, du hättest Recht, und es hat wirklich was mit seinen Forschungen zu tun. Dann ist er zweifellos unwillentlich da rein geraten. Lieutenant Katagiri ist ein guter Mann! Ich würde ihm jederzeit wieder mein Leben anvertrauen! Er würde nie etwas tun, das sein Ehrgefühl verletzt oder ihn in krumme Sachen verwickelt. Niemals." Er stand wieder auf und schob mit dem Fuß den Mülleimer beiseite. Ich starrte auf seinen Rücken, während sich immer mehr Fragen in meinem Kopf sammelten, und ich platzte gleich mit der wichtigsten los: "Wissen Sie, woran mein Vater gearbeitet hat?" Ich wartete, hoffnungsvoll, doch Major Bob seufzte tief und warf mir einen beinahe mitleidigen Blick zu. "Ich kann verstehen, dass du das gerne wissen würdest, Rei. Aber auch ich bin nicht in alles eingeweiht. Ich weiß nur, dass er an mehreren, kleineren Projekten beteiligt war, die mit der Evolution und Fossilien zusammenhingen, und er sich auch dem legendären Vogel-Trio widmete. Und ich weiß, dass er an etwas ganz Großem dran war. Aber er hat nie davon gesprochen, was es war. Es musste etwas streng Geheimes sein, denn nur sehr wenige waren eingeweiht, und in unserer Einheit war Lieutenant Katagiri der einzige, der an dieser geheimen Forschung beteiligt war. Ich kann es dir beim besten Willen nicht sagen, ich war in diese Sache nicht eingeweiht." Ich verstand, und nickte. "Und was ist mit meiner Mutter? Haben Sie über sie etwas gehört, oder wissen Sie irgendwas?" "Auch da muss ich dich enttäuschen. Ich hab sie nie persönlich gekannt. Dein Vater hat ab und zu von ihr gesprochen, er hatte sie ja durch seine Arbeit kennengelernt, da sie bereits schon Jahre zuvor eine sehr ehrgeizige und anerkannte Forscherin war. Sie beschäftigte sich meines Wissens viel mit Genetik, das war ihr Fachgebiet. Ich glaube, sie lernten sich sogar durch dieses Evolutionsprojekt kennen. Er hat nur einmal kurz darüber gesprochen, es war nie groß Thema. Wir hatten schließlich auch einen Auftrag, den wir erledigen mussten. Da war keine Zeit für Familiengeschichten. Aber ich war genauso schockiert, als ich von ihrem Verschwinden hörte. Ich halte es durchaus für möglich, dass das kein Zufall ist. Nein, eigentlich glaube ich nicht an einen Zufall. Ein Forscher-Paar, das plötzlich ohne jeglichen Grund verschwindet? Nein. Da steckt mehr dahinter." Ich stand nun ebenfalls auf und schob meinen Mülleimer beiseite, mied jedoch Major Bobs Blick. "Ich glaube auch nicht, dass es ein Zufall ist. Ich bin mir fast sicher, dass es irgendetwas mit ihrer Arbeit zu tun hat. Und ich will wissen, was. Ich muss herausfinden, woran sie gearbeitet haben." "Übernimm dich nicht, Rei", sagte er scharf und wandte sich nun wieder ganz mir zu. "Ich sehe dir an, dass du die gleiche Entschlossenheit und den Ehrgeiz deines Vaters hast. Aber das bedeutet nicht, dass du dieser Herausforderung auch gewachsen bist!" Ich hielt seinem Blick stand, blinzelte nicht einmal, und zog den ersten Pokéball. "Ich bin nicht nur hier, um etwas über meinen Vater zu erfahren. Sondern auch, um mich Herausforderungen zu stellen! Wenn ich weiterkommen will, dann brauche ich ein starkes Team, das mich unterstützt!" "Du bist zweifellos wie dein Vater", sagte Major Bob und klang dabei ein wenig belustigt. "Nur war er nicht ganz so ernst wie du." "Wundert Sie, dass ich so bin wie ich bin?", fragte ich beinahe provokant. Er schüttelte den Kopf. "Nein. Es wundert mich nicht im Geringsten. Ich nehme deine Herausforderung an. Aber erwarte nicht, dass ich es dir allzu leicht mache! Ich werde dich, wenn nötig, bis an deine Grenzen treiben!" "Ich würde es mir gar nicht anders wünschen." Ein leichtes Grinsen huschte über unsere beiden Gesichter. Womöglich konnten wir beide die Energie spüren, die uns nun umgab. So nahmen wir unsere Plätze in der Arena ein und eröffneten schließlich den Kampf. Ich hatte mich schon festgelegt, wen ich ins Rennen schickte. Und so warf ich meinen Pokéball, und Fukano nahm seinen Platz ein. Major Bob, der sich für Voltobal entschied, musterte ihn ziemlich beeindruckt. "Erstaunlich. Ein Fukano, wie dein Vater eines hatte. Das ist doch nicht etwa - ?" "Doch, ganz genau", bestätigte ich und grinste noch breiter. "Der Vater dieses Fukano war das Arkani meines Vaters. Deshalb ist es auch ein ganz besonderes, es ist völlig anders trainiert als normale Fukano und kann um einiges mehr einstecken. Fast seine ganze Familie war beim Militär, sie sind alle damit aufgewachsen und wurden für die Einsätze trainiert. Noch ist Fukano recht jung, aber allmählich wird es immer stärker und wird schließlich in der Lage sein, in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten! Er wird immer mein Partner sein, egal, wie weit ich gehen werde. Los, Fukano, Glut!" Während Fukano zu seiner Attacke ansetzte, zog Major Bob etwas aus seiner Tasche und gab es Voltobal. Ich konnte es erkennen, dass es ein X-Tempo war. Offenbar wollte er damit Voltobals Initiative erhöhen, doch durch so ein Item wollte ich mich sicher nicht beirren lassen. Da Voltobal in diesem Moment nicht angreifen konnte, traf Glut und schadete ihm. "Jetzt, Voltobal, Tackle!", befahl Major Bob entschlossen. "Noch einmal Glut!" Es war eine ganz anderes Atmosphäre als in anderen Kämpfen. Gewöhnliche Trainer gaben ihren Pokémon einfach Anweisungen und spornten sie an, doch es war nun das erste Mal, dass ich gegen jemanden kämpfte, der wirkliche Befehle erteilte, so wie ich es tat. Es veränderte die ganze Atmosphäre, als ob wir nicht in einer Arena, sondern auf einem Schlachtfeld kämpfen würden. Doch es trieb meinen Ehrgeiz und meine Sicherheit nur weiter an. Als ob ich genau hierhingehörte. Voltobal landete einen Volltreffer, doch Fukano kümmerte es nicht und er griff an. Knurrend kehrte er zurück in seine Angriffsposition,, den Blick fest auf seinen Gegner gerichtet, der jetzt deutlich geschwächt war und zudem noch durch die Glut eine Verbrennung erlitten hatte. Ich würde Major Bob keine Chance lassen, dafür war mir diese Herausforderung zu wichtig. "Jetzt Biss!" "Kreideschrei!" Doch diesmal schlug ich mir nicht die Hände vor die Ohren, wie ich es in Rockos Arena getan hatte. Ich ließ den Schrei auch über mich ergehen, um genauso zu fühlen wie Fukano. Er hielt einen Moment inne, während Voltobal zusammenzuckte und wohl durch die Verbrennung Schaden nahm, dann stürmte er los und biss zu. Es war nicht unbedingt schön anzusehen, doch damit war der erste Gegner ausgeschaltet. "Voltobal, zurück!" Major Bob holte es zurück und richtete den Blick auf Fukano. "Ich sehe schon, was du meinst. Allein der Blick in seinen Augen ist nicht gleich dem eines gewöhnlichen Fukanos seinem Trainer gegenüber. Er ist nicht einfach dein Freund, er ist dein Partner, dein treuer Kamerad. Du kannst dich glücklich schätzen, Rei. Trotzdem werde ich so leicht nicht aufgeben, hier kommt mein Nächstes!" Und er schickte ein Pikachu in den Kampf. Ich blieb bei meiner bisherigen Strategie. "Fukano, Glut!" Fukano war definitiv schneller. Es attackierte Pikachu, doch genau in diesem Moment gab Major Bob seinen Befehl: "Donnerwelle!" Ich hätte mich in diesem Moment am liebsten selbst geschlagen. Daran hatte ich keine Sekunde gedacht. Ich war bloß fokussiert darauf, anzugreifen, dass ich an diese Möglichkeit keinen Gedanken verschwendet hatte. Und jetzt war Fukano paralysiert. Er jaulte auf und zog sich zurück. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Verdammt, so durfte es nicht enden. Zuerst mussten wir dieses Pikachu aus dem Weg räumen, das würde Fukano zweifellos schaffen, denn bloß die eine Attacke hatte ihm bereits ordentlich zugesetzt. Noch eine, und Gegner Nummer zwei wäre beseitigt. "Lass dich davon nicht unterkriegen, Fukano! Noch einmal Glut!" "Donnerschock!" Pikachu sprang auf seinen Gegner zu und versetzte ihm einen Donnerschock. Fukano jaulte erneut auf, konnte sich jedoch nicht rühren. Ich bekam eine Gänsehaut. ja, so manche Pokémon-Kämpfe waren einfach brutal. Aber so lange ich einschätzen konnte, wann der Punkt erreicht war, um ihn zu beenden, sah ich auch keinen Grund, bis dahin nicht alles zu geben. Meine Befehle waren klar. "Glut!" "Donnerschock!" Wieder griff Pikachu zuerst an. Doch Fukano ertrug die Attacke und schaffte es zu seinem Angriff, der Pikachu traf und es über das halbe Feld schleuderte. Gegner Nummer zwei wurde besiegt. Major Bob schien nur noch beeindruckter. "Mir scheint auch, dass du Fukano deutlich trainiert hast. Es ist viel stärker, als ich annahm. Dann wird es wohl Zeit, dass er sich an mir die Zähne ausbeißt. Hier kommt mein letztes Pokémon! Los, Raichu!" Ich hatte mir schon gedacht, dass er noch ein stärkeres Pokémon im Team haben würde. Und sein Raichu strotzte nur so vor Energie. Angriffslustig baute es sich vor uns auf, zund Fukano knurrte bedrohlich. Es würde nicht einfach werden, das war mir klar. Doch aufgeben kam für mich nicht in Frage. Und natürlich, ich hatte notfalls noch Bisaknosp, das ich einsetzen konnte. Doch ich wollte diesen Kampf unbedingt mit Fukano gewinnen. "Glut!", befahl ich, während Major Bob sich erneut bückte und diesmal Raichu ein X-Tempo gab. Trotz der Paralyse wollte er mich also unbedingt deutlich überholen. Anscheinend war ihm wirklich aufgefallen, dass Fukano schon ein paar Level über dem seiner Pokémon lag. Glut traf, doch Raichu schien kaum Schaden zu nehmen. Doch das verschreckte Fukano nicht im Mindesten. Er schien die gleiche Energie zu spüren wie ich. Er wandte kurz den Kopf und sah mir entschlossen in die Augen. Ich erwiderte seinen Blick und nickte. Es war das erste Mal, dass ich nichts sagen musste. "Setz Heuler ein, Raichu! Wir müssen den Gegner abschwächen!" Raichu befolgte den Befehl, und kurz darauf setzte Fukano erneut zur Glut an, doch mitten im Laufen hielt er plötzlich inne. Die Paralyse lähmte ihn, und er konnte die Attacke nicht ausführen. Er durfte sich nicht unterkriegen lassen. Niemals. Erneut suchte er meinen Blick und meine Augen verengten sich. Er durfte nicht aufgeben. Wir konnten diesen Kampf gewinnen. "Noch einmal Heuler!" Fukano biss zu, während Raichu erneut seinen Ruf verlauten ließ. Eigentlich war Biss eine ziemlich gute Attacke für Fukano, doch allmählich würde sie nichts mehr bringen, wir mussten also zwangsweise bei unserer vorherigen Strategie bleiben. "Konzentrier dich lieber auf Glut, Fukano! Dafür brauchst du deinen Angriff nicht!" "Donnerschock, Raichu!" Die Attacke traf mit voller Wucht, und die Paralyse lähmte ihn weiterhin. Wenn wir jetzt nicht angreifen konnten, dann würden wir verlieren. Zumindest Fukano. Und das wollte ich nicht. "Donnerschock!" "Glut!" Beide griffen an, und die Attacken prallten aufeinander und verteilten sich im ganzen Raum. Ich ging in Deckung, um keinen der Funken abzubekommen, und sah anschließend wieder auf. Fukano war deutlich angeschlagen, Raichu hatte auch einiges abbekommen. Jetzt oder nie. "Ich zähl auf dich, Fukano", dachte ich und entschloss mich ein letztes Mal: "Glut! Und gib alles, was du kannst!" "Setz ihm ein Ende, Raichu! Noch einmal Donnerschock!" Natürlich war Raichu immer noch schneller. Fukano wurde getroffen, ertrug die Attacke jedoch und griff ebenfalls an. Es war ein Volltreffer. Major Bob und ich standen völlig angespannt da und beobachteten die erschöpften Pokémon. Beide standen. Beide vollkommen angeschlagen und kurz vor dem Zusammenbruch. Sekunden evrgingen. Sekunden, die mir so ewig lang vorkamen. Und dann krachte einer von ihnen zusammen. Ein lautes Rumms erfüllte die Arena, als Raichu zu Boden fiel. Es war entschieden. Ich ließ mich zu Boden fallen und schloss Fukano in die Arme. "Du bist echt mehr als klasse, Partner. Ich danke dir. Du hast keine Vorstellung, wie viel mir das bedeutet." "Raichu, zurück mit dir, ruh dich etwas aus", sagte Major Bob und holte sein Pokémon zurück. Dann schritt er auf mich zu und hielt mir die Hand hin, um mir wieder aufzuhelfen. "Du hast eine sehr starke Verbindung zu diesem Fukano. Ich hab gesehen, was du versucht hast, und für einen Moment hat es sogar funktioniert. Damit ein Pokémon die Befehle seines Trainers auch ohne Worte versteht, bedarf es einer sehr engen Bindung. Nicht viele sind dazu in der Lage. Aber ich denke, dass du und Fukano ein solches Potenzial habt, um eine solche Verbindung aufzubauen. Arbeitet hart an euch, und ihr werdet auch diese Herausforderung meistern." "Ich danke Ihnen, Major", sagte ich ehrlich und hielt Fukano weiter fest ihm Arm, während ich den Pokéball vom Gürtel nahm. "Ich werde dafür sorgen, dass wir immer hart an uns arbeiten. Ich werde nicht aufgeben." Ich holte Fukano zurück in den Pokéball und sah Major Bob entschlossen ins Gesicht. Er lächelte zufrieden, dann zog er etwas aus der Tasche und reichte es mir. "Hier. Das ist der Donnerorden. Er erhöht die Initiative deiner Pokémon, außerdem kannst du damit jederzeit Fliegen einsetzen. Und das hier möchte ich dir auch noch mitgeben. Das ist die TM 24, sie enthält Donnerblitz. Vielleicht wirst du dafür noch Verwendung haben." Ich nahm den Orden und die Tm entgegen. Major Bob nickte mir ermutigend zu. "Du bist wirklich besonders, Rei. Es war mir eine Ehre, dass ich dich, die Tochter von Lieutenant Katagiri, einmal persönlich kennenlernen und sogar gegen dich antreten durfte." "Es war mir ebenso eine Ehre, Major", erwiderte ich. "Ich werde diesen Kampf als Erinnerung in Ehren halten. Ich werde mich jetzt wohl auf den Weg machen und hoffen, dass ich noch mehr herausfinden kann. Ich bin nachwievor entschlossen, der Wahrheit auf den Grund zu gehen." Major Bob nickte. "Dann schlage diesen Weg ein. Ich kann dir an dieser Stelle nur noch eine einzige Kleinigkeit verraten, die dich eventuell weiterbringen könnte." "Die wäre?", fragte ich sofort. Er holte tief Luft und sah zur Decke. "Mir kam eben der Gedanke, dass Lieutenant Katagiri mal mit einem älteren Mann zusammengearbeitet hat, der in Lavandia leben soll. Ich weiß nicht, ob dich das wirklich weiterbringt, ich kenne nicht mal seinen Namen. Doch diese Stadt ist nicht sonderlich groß, und die Wahrscheinlichkeit, dass es dort viele Menschen gibt, die mit geheimnen Forschungen betraut waren, ist sehr gering. Vielleicht solltest du dich dort zumindest einmal umhören." Lavandia … ja, in dieser Stadt war ich auch schon mal gewesen. Nur ein einziges Mal. Damals, als… "Dann wünsche ich dir viel Glück auf deinem Weg, Rei", sagte Major Bob. Ich nickte. "Danke. Ich werde mich auf die Suche nach diesem Mann machen. Und erhalte dann vielleicht endlich die Antworten, die ich brauche." Ich wandte mich ab und ging zur Tür. Doch ich hielt noch einen Moment inne und drehte mich ein letztes Mal kurz um. "Ich bin wohl tatsächlich etwas anders aufgewachsen als andere Kinder. Mein Vater würde mich jetzt zurechtweisen, würde ich vergessen zu sagen: semper fi." Und damit ging ich. Ich schob die Tür auf und trat wieder in den ersten Raum, in dem Green und Red sich inzwischen offenbar richtig gestritten hatten, und sofort damit aufhörten, als sie mich hörten. Es herrschte Stille, in denen ich spüren konnte, dass sie mich anstarrten. Doch ich würdigte sie keines Blickes. Ich wollte nicht, dass sie mein Gesicht sehen konnten. Und so lief ich einfach an ihnen vorbei und verließ die Arena, ohne auch nur ein einziges Mal zurückzublicken. Kapitel 15: Depression ---------------------- Es waren Tage vergangen. Nicht nur Tage, es mussten inzwischen schon fast zwei Wochen sein. Ich kann mich nicht erinnern. Ich wollte damals schon nicht über das reden, was passiert war, kein Stück. Fakt war, dass ich eines Tages endlich den Weg aus dem Felstunnel fand und von den Sonnenstrahlen beinahe geblendet wurde. Ich war am Ende meiner Kräfte, meine Haut völlig zerkratzt und aufgerissen, von oben bis unten mit Dreck besudelt. Ich erinnere mich noch, wie ich mich mit letzter Kraft an der Felswand festklammerte und versuchte, die Wärme auf meiner Haut zu genießen. Ich war völlig ausgehungert und fast am Verdursten. Meine Hände zitterten. Mein ganzer Körper bebte. Und schließlich konnte er mein Gewicht nicht mehr halten. Ich brach zusammen. Es war einige Zeit einfach nur alles schwarz vor meinen Augen. Ich fragte mich für einen Moment sogar, ob das nun doch der Tod war, der mich einholte. Und wie ich überhaupt darüber nachdenken konnte… Irgendwann spürte ich etwas, das meine Augen zu durchdringen schien. Ich öffnete sie, und wieder war es das Sonnenlicht, das mich blendete. Rasch hielt die Augen doch lieber geschlossen und versuchte, meine übrigen Sinne in Gang zu bringen. Ich spürte etwas. Ich lag auf etwas Weichem. Etwa ein Bett? Aber wo war ich? War ich denn doch noch am Leben? Wieso war ich nicht tot? Ich öffnete erneut die Augen und spürte in dem Moment eine warme Hand, die sich auf meine legte. Gefolgt von der Stimme eines alten Mannes: "Bleib ganz ruhig liegen, mein Kind. Du bist schwer verletzt, deine Wunden müssen heilen." "Was…" Ich war wie benebelt. Allmählich konnte ich meine Augen offenhalten. Ich sah in das Gesicht eines kahlköpfigen Mannes mit buschigen, weißen Augenbrauen. Er schenkte mir ein ermutigendes, wenn auch besorgtes Lächeln. "Wie … wie lange habe ich geschlafen? …", brachte ich mit viel Mühe hervor. Zu sprechen, kostete mich unheimlich viel Kraft. "Fast drei ganze Tage", antwortete der alte Mann. Schockiert richtete ich mich sofort auf. "Was?!" "Leg dich wieder hin", sagte der Mann und schob mich wieder in die Kissen zurück. "Deine Wunden sind noch lange nicht verheilt. Du bist dem Tod nur knapp entkommen." Erst jetzt bemerkte ich, dass jemand meine Wunden versorgt und verbunden hatte. Das musste dann wohl dieser Mann gewesen sein. Ich konnte mich kaum noch erinnern, was passiert war. Es war, als ob nur düstere Leere in meinem Kopf herrschte. Ich wusste weder wo ich war, noch wie ich hergekommen oder was passiert war. Ich wusste nichts. "Wer sind Sie?…", fragte ich leise und bemühte mich, ruhig dazuliegen. "Und wo sind meine Pokémon? Was ist mit ihnen?" "Denen geht es gut, keine Sorge. Sie sind alle wohlauf", antwortete der alte Mann. "Ich bin Mr. Fuji. Und du bist Rei, nicht wahr?" "Woher kennen Sie meinen Namen?…" Mr Fuji lachte auf. "Es war dir anzusehen. Du bist deinem Vater unheimlich ähnlich. Er hatte denselben entschlossenen Gesichtsausdruck wie du. Zudem bist du ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Und dann war da noch dieser Anhänger…" Ich neigte den Kopf ein wenig, um zu sehen, was Mr. Fuji tat. Er nahm den Anhänger vom Tisch, den mir Ōkido gegeben hatte, und seufzte. "Leider ist die Kette gerissen. Aber es sollte möglich sein, eine neue dafür zu finden. Der Anhänger selbst ist nicht beschädigt. Du solltest gut darauf Acht geben." Er hielt ihn mir entgegen. Ich hob eine zitternde Hand, und Mr Fuji ließ den Anhänger hineinfallen. Das Band war komplett durchgerissen. Ich schloss den Anhänger fest in meine Hand und legte sie auf meine Brust. Vielleicht war er doch so etwas wie ein Glücksbringer. "Er hat mal deinem Vater gehört", erzählte Mr. Fuji plötzlich. Ich wandte ihm wieder das Gesicht zu. "Sie kannten ihn?" "Oh ja." Mr. Fuji nickte eifrig. "Ich kannte ihn sogar nicht nur. Ich war sogar dabei, als er diesen Stein gefunden hat." Mein Herz fühlte sich an, als wollte es gleich aus meinem Körper springen. Ich starrte ihn an. "Was haben Sie mit ihm zu tun?" "Nun … das ist nicht so wichtig", sagte er abweisend und erhob sich. "Jedenfalls habe ich ihn einst mal auf eine kleine Expedition begleitet, bei der er diesen Stein gefunden hat. Er hat ihn in diesen Anhänger eingearbeitet und aufbewahrt, er wollte ihn dir überlassen, damit du eines Tages sein Geheimnis lüftest." "Wissen Sie, was es damit auf sich hat." "Nein", sagte er, und es klang ehrlich. "Ich war damals genauso fasziniert wie dein Vater. Ich hätte gerne herausgefunden, was es damit auf sich hat, aber ich bin ohnehin viel zu alt, um mich damit noch zu beschäftigen, und außerdem hat dein Vater ihn gefunden, also hatte er auch den Anspruch. Es war sicher eine kluge Entscheidung. So, nun ruh dich noch ein wenig aus…" "Nein, warten Sie!", rief ich, warf die Decke beiseite und wollte aufstehen, doch ich bereute es sofort. Ich konnte nicht einmal sagen, welcher Schmerz der schlimmste war. Mir wurde schwindelig. "Leg dich wieder hin", mahnte Mr. Fuji und sah mich ernst an. "Ich sagte doch, dass deine Wunden heilen müssen. Du wärst beinahe gestorben! Bleib, wo du bist, und ruh dich aus. Ich mache dir was zu essen." "…geht es Fukano gut?", fragte ich vorsichtig und ließ mich langsam ins Kissen zurückfallen. "Ich meine … er hat einiges abbekommen …" "Er ist bald wieder völlig gesund", sagte Mr. Fuji und schenkte mir ein Lächeln. "Wir haben uns natürlich auch gleich um deine Pokémon gekümmert. Was gar nicht so einfach war, muss ich dir sagen. Fukano hat mich erst an dich rangelassen, als er sicher war, dass ich niemandem was tun wollte. Er wollte dich um jeden Preis beschützen. Dein Bisaknosp und Garados haben sich auch helfen lassen, nur dein Machollo war noch etwas übellaunig…" "Ich habe es im Felstunnel erst gefangen", erklärte ich und schloss die Augen. Mir war absolut nicht gut. "Verstehe", hörte ich Mr. Fujis Stimme, gefolgt von seinen Schritten, die sich langsam entfernten. "Ich bin gleich wieder da. Ich schau einmal kurz nach den Pokémon und dann sorge ich dafür, dass du was zu dir nimmst." Ich sagte nichts. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich auch nur irgendetwas zu mir nehmen sollte, egal was. Ich wollte überhaupt nichts sehen. Ich fühlte mich einfach nur elend. Wenn doch nur die Schmerzen aufhören würden, dann könnte ich wenigstens klar denken… Ich war Mr. Fuji so unendlich dankbar. Ich konnte an diesem Tag und auch an den nächsten wirklich kaum etwas essen, eigentlich so ziemlich gar nichts, doch er gab nicht nach. Ich war die erste Zeit unfähig, mich überhaupt richtig aufzurichten, geschweige denn aufzustehen. Mein Körper war unheimlich geschwächt. Tage vergingen, sogar Wochen. Eine lange Zeit, in der ich bezüglich meines Trainer-Daseins komplett ausfiel. Ich brauchte mehrere Tage, bis überhaupt alleine wieder stehen konnte. An Training war gar nicht erst zu denken. Auch wenn das deutlichen Rückstand für mein Team bedeutete, ich konnte es einfach nicht. Ich war schon mehr als dankbar, als Mr. Fuji mir endlich erlaubte, ihm wenigstens im Haus ein wenig zu helfen. Und selbst das war schwieriger als ich dachte. Nach einiger Zeit verblassten die Schmerzen allmählich. Dabei hatte ich mich schon fast an sie gewöhnt. Ich war sogar inzwischen so weit, dass ich wieder alleine raus konnte, ohne dass jemand sich Sorgen um mich machen musste. Und mit der Zeit erfuhr ich auch ein wenig, was eigentlich passiert war. Offenbar hatte Mr. Fuji mich bewusstlos am Eingang des Felstunnels gefunden und mit nach Lavandia gebracht. Ich war also zumindest an meinem Ziel angekommen, wenn auch anders als erwartet. Seitdem ließ Mr. Fuji mich auch bei sich wohnen, teils gegen meinen Willen, doch ich war im Augenblick immer noch nicht stark genug, um mich weiter durchzuschlagen. Dafür erfuhr ich aber eine Möglichkeit, wie ich mich zumindest ein wenig nützlich machen konnte. Mr. Fuji hatte sein Haus mit der Zeit zu einem Waisenhaus für Pokémon gemacht. Offenbar wurden besonders in dieser Gegend häufig Pokémon verstoßen und ausgesetzt, oder lebten ohne ihre Eltern und wurden deshalb von Mr. Fuji in Obhut genommen. Er sorgte sich unheimlich liebevoll um sie, ich hatte noch nie jemanden so schnell Zugang zu fremden Pokémon finden sehen. Ich war mir sicher, dass er das schon mindestens sein halbes Leben getan haben musste. So war er es auch, der mich einiges über Pokémon lehrte und mich ihnen näherbrachte. Ich verbrachte so viel zeit mit ihnen, dass ich sogar anfing, Red zu verstehen. Ich konnte nachvollziehen, warum Pokémon ihn so sehr faszinierten. Sie waren beeindruckende Geschöpfe, und sich in sie einzufühlen war manchmal gar nicht so einfach, wie einige vielleicht glauben mochten. Das bekam ich deutlich an Machollo zu spüren. Natürlich, ich hatte es erst kürzlich gefangen und noch nicht einmal mit ihm trainiert. Aber es konnte mich offensichtlich überhaupt nicht leiden. Mit seiner Sturheit trieb es mich wahrlich an meine Grenzen, und das war definitiv gekonnt. Mich zur Weißglut zu treiben, schaffte man eigentlich nur, indem man gleich auf meinen wunden Punkt zielte. Machollo hatte das allerdings nicht nötig. Mr. Fuji musste mich echt zügeln, damit ich nachgab und allmählich Zugang zu ihm finden konnte. Und nach einigen Tagen harter Geduldspiele verstanden wir uns tatsächlich ein wenig. Es ging langsam alles wieder aufwärts. Ich kam wieder zu Kräften und auch mein Team hatte sich erholt. Fukano hatte es wirklich am schwersten von ihnen getroffen. Doch er war so glücklich, dass ich wieder halbwegs auf den Beinen war, dass man ihm nicht einmal mehr anmerkte, dass auch er einige Verletzungen erlitten hatte. "Hallo, Rei", grüßte mich Mr. Fuji eines Nachmittags, als er mit einer prallgefüllten Tüte voller Einkäufe nach Hause kam. Er kochte immer gern für alle, die sich im Waisenhaus um die Pokémon kümmerten und auch gerne blieben. Wenigstens bekam er, und somit auch ich, dadurch ein wenig Gesellschaft. Auch wenn ich jedes Mal froh war, wenn sie alle wieder gingen und wir wieder unsere Ruhe hatten. "Hallo, Mr. Fuji", sagte ich und nahm die Blumen vom Tisch. Mr. Fuji stellte die Tüte in der Küche ab und wandte schließlich den Kopf. "Dir ist doch nicht etwa kalt, oder?" "Nein." Ich zog die Jacke, die ich übergeworfen hatte, enger an meinen Körper. "Ich gehe nochmal raus." "Auch draußen ist es warm." Ich zögerte. Ich vermeid es, ihn anzusehen, mich überhaupt in seine Richtung zu drehen, und sagte bloß: "Ich will nicht, dass jemand Fragen stellt." "Verstehe." Dem folgte ein kurzes Schweigen. Ich drehte mich immer noch nicht um, doch anhand seiner Schritte konnte ich hören, dass er direkt auf mich zukam. Es wäre wirklich unhöflich, ihn nicht einmal anzusehen. Zumal ich ihm so viel zu verdanken hatte. Also gab ich doch nach und wandte mich um. Mr. Fuji sah mich an. Etwas Mahnendes lag in seinem Blick, doch er schien auch besorgt. "Rei, die meisten Wunden werden vielleicht heilen, doch es werden auch Narben zurückbleiben. Das weißt du." Ich nickte und hielt seinem Blick stand. "Und außerdem…" Er sah auf die Blumen in meiner Hand, "…solltest du nicht allzu oft an diesen Ort zurückkehren, Rei. Ich weiß, dass du lediglich dein Mitgefühl ausdrücken möchtest und seine Taten anerkennst und ihm Respekt erweist. Aber verweile nicht zu lange an diesem Ort. Der Gedanke an die Toten macht uns weniger lebendig, wenn wir nicht darauf achten, wie wir mit ihm umgehen." Ich sagte nichts. "Bist du zum Abendessen wieder zurück?" "Ja. Ich werde nicht lange bleiben." "Gut. Und denk an meine Worte, Rei", sagte Mr. Fuji und wandte sich ab, um die Tüte auszupacken. "Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir nur den Toten nachtrauern…" Ich ging hinaus und schlenderte durch die kleine Stadt. Tatsächlich umgab die Stadt Lavandia eine ziemlich seltsame Aura. Etwas, das sich kaum beschreiben ließ. Es war ziemlich ruhig in der Stadt, doch teils auch unheimlich. Vielleicht lag es an dem Pokémon-Turm, in dem angeblich Geister gab. Offenbar versetzte diese Vorstellung einige Leute in Angst und Schrecken. Doch ich scherte mich nicht darum. Schließlich hatte ich einen Grund, weshalb ich jeden Tag, den ich nun in dieser Stadt verbrachte, an diesen einen Ort zurückkehrte… Ich fiel auf die Knie und legte behutsam die Blumen vor das Grab. Es befand sich in einem Stockwerk des Pokémon-Turms. Wir hatten für unseren treuen Partner vor Jahren dort einen Grabstein aufstellen lassen. Und seitdem war ich schon nicht mehr dort gewesen, bis ich nach Lavandia zurückgekehrt war… Ich fuhr mit der Hand sachte über die Inschrift des Grabsteins. Carnino, darunter zwei Jahreszahlen. Ich spürte die raue Kälte, als meine Finger die Gravur berührten, und schloss die Augen. Carnino … hättest du dich doch nur nicht eingemischt … du konntest sie nicht alle retten… Ich erinnerte mich gern an ihn. Carnino war das Arkani meines Vaters gewesen, und damit auch der Vater meines Fukano. Er war nicht nur ein treuer Freund gewesen, sondern ein Partner. Ein Kamerad, dem man sein Leben hatte anvertrauen können. Wie mein Vater es getan hatte. Und er hatte es Tag für Tag getan, jedes Mal, wenn er im Einsatz gewesen war… Fukano ließ traurig die Ohren hängen. Ja, ich hatte ihn raus gelassen. Eigentlich hätte ich ihm die Sache gerne erspart, doch es hätte absolut nichts geändert. Ich hätte es eher als eine Beleidigung an Carninos Andenken empfunden, hätte ich seinen Sohn nicht zu ihm gelassen. "Ich weiß, Fukano", sagte ich und strich ihm über den Kopf, während mein Blick immer noch auf der Inschrift ruhte. "Ich trauere auch um ihn. Aber du musst immer daran denken: er hat sein Leben riskiert, um andere zu retten. Er hat gekämpft, bis zum bitteren Ende. Es war für ihn eine Ehre, sich für andere einzusetzen, für seine Kameraden. Er hat vielen das Leben gerettet, ohne an sich selbst zu denken, und ist in Ehre gestorben. Das darfst du niemals vergessen." Fukano setzte eine Pfote auf den Grabstein und ließ den Kopf hängen. Ich wandte den Blick ab und stand auf. "Es wird Zeit, Fukano. Mr. Fuji hat Recht, wir sollten nicht zu lange an diesem Ort verweilen. Komm." Er wandte den Kopf. Es war schwierig für mich, ihm in die Augen zu sehen und trotzdem stark zu bleiben. Also sah ich rasch weg und zog seinen Pokéball hervor. "Jetzt komm. Es ist besser so, Partner. Glaub mir." Ich wollte ihn zurückholen, doch ich konnte es nicht. Meine Hand zitterte, als ich Fukano zurückrufen wollte. Es ging einfach nicht. Ich konnte nicht einmal in sein trauriges Gesicht sehen. "Gehen wir…" Ich steckte den Pokéball wieder an, wandte mich ab und schloss für einen Moment die Augen. Ich versuchte bloß, meine Tränen zurückzuhalten. Warum hatte das alles überhaupt so kommen müssen? Warum hatten Vater und Carnino nicht einfach nach Hause kommen können? Warum?… Ich öffnete die Augen und wandte mich ab, um den Turm wieder zu verlassen. Doch in dem Moment blieb mein Herz beinahe stehen, als ich jemanden nur einige Meter weiter stehen sah, den Blick starr auf die Gräber gerichtet. Jemanden, die ich hier absolut nicht erwartet hätte. "Green!", sagte ich überrascht und schritt langsam auf ihn zu. Er hob den Kopf und starrte mich an. Seinem Blick nach schien er ebenfalls nicht damit gerechnet zu haben, jemanden hier anzutreffen. "Rei, was machst du denn hier?" Er war wirklich überrascht. Sein Blick wanderte von mir hinab auf Fukano, der langsam auf und zu getrottet kam. "Deine Pokémon sehen nicht tot aus … nun, wie wär's, was hältst du von einem Kampf, wenn wir uns schon mal hier begegnen?" "Hm, von mir aus", sagte ich achselzuckend und ließ den Blick über die Gräber schweifen. "Aber vielleicht nicht gerade hier. Sie verdienen doch alle Respekt…" Green nickte. "Ja, du hast Recht. Lass uns lieber nach draußen gehen." Mein Herz raste immer noch, während wir durch den Turm gingen und die Treppen hinabstiegen. Ich hoffte insgeheim, dass er nichts gesehen hatte. Ich wollte nicht, dass er irgendetwas mitbekam. Das ging ihn nichts an. Wir sprachen beim Abstieg kein einziges Wort. Ich befürchtete, Green würde mir meine Anspannung anmerken, doch er sah mich nicht einmal an. Und ich mied es auch, ihn anzusehen. Es schien nichts mehr wie vorher. Als ob nach und nach alles zerbrochen wäre… "Nun, da wären wir", sagte Green schließlich, als wir wieder hinaus ins Tageslicht traten und ging hinüber zu einer freien Stelle, an der sich genügend Platz zum Kämpfen bot. Doch auch an ihm war irgendetwas anders. Er war anders als sonst. Nicht so motiviert und überzeugt, dass er der Bessere von uns beiden war und diesen Kampf gewinnen würde. Nein, es fiel nicht ein Wort. "Gut, dann mal los." Und er warf sein erstes Pokémon in den Kampf. Es war sein Tauboga. Vielleicht war dies eine gute Gelegenheit, um einmal die Stärke der Weiterentwicklung zu testen. Und so wählte ich mein Pokémon: Garados. "Interessant. Du hast es also tatsächlich fertiggebracht, dieses Karpador zu entwickeln." "Sieht so aus. Im nachhinein war es vielleicht doch seinen Preis wert." Mein Blick richtete sich bloß auf Garados. "Okay, Garados. Biss!" "Windstoß, Tauboga!" Tauboga erhob sich in die Luft und erzeugte einen Windstoß, der direkt auf seinen Gegner zusteuerte. Die Attacke traf Garados frontal, doch es zuckte nicht einmal, sondern griff Tauboga an. Innerlich dankte ich Garados dafür. Es hatte einen Volltreffer eingesteckt und setzte trotzdem gleich zum Gegenangriff an, ohne auch nur einen Moment zu zögern. Und das, obwohl wir noch nicht allzu lange Partner waren und es nie zuvor gekämpft hatte. Und auch, weil ich ihm nicht einmal eine Selbstsicherheit darbieten konnte, die für mich eigentlich selbstverständlich war… "Wirbelwind!" "Damit kommst du nicht weit", sagte ich und ballte die Hände zu Fäusten. Ich musste stark und selbstsicher bleiben, wie sollte mir ein Team vertrauen, wenn ich es selbst nicht konnte? "Garados, noch einmal Biss!" Garados stürmte dem Wind entgegen und schließlich durch ihn hindurch. Es biss zu und warf damit Tauboga auf den Boden. "Tackle!" "Windstoß!" Doch Tauboga hatte keine Chance. Es wollte sich wieder aufrichten und angreifen, doch Garados zwang es gleich wieder zu Boden. Ich war erstaunt. Schließlich war das sein allererster, richtiger Kampf. Und dafür machte es seine Sache mehr als gut. Im Nachhinein war ich doch ganz froh, dass Red auf diesen Händler reingefallen war. "Garados, zurück!", rief ich und streckte seinen Pokéball aus. Es kehrte zu mir zurück, genau wie Tauboga zu seinem Trainer, der mich verwirrt anstarrte. "Du kämpfst nicht weiter mit Garados?" "Nein. Ich wollte es einmal antesten, jetzt, wo es sich entwickelt hat. Aber ich will jedem von ihnen eine Chance geben. Wir haben uns auch schließlich lange nicht gesehen." "Ja, das stimmt allerdings. In der Zeit ist einiges passiert." Ich nahm den vierten Pokéball und betrachtete ihn nachdenklich. Ist war vielleicht nicht klug, doch ich würde nie herausfinden, was es konnte, wenn ich es nie einsetzen würde. "Ich habe bereits mein nächstes Pokémon ausgewählt", sagte Green und warf ihn hoch. "Was wirst du tun?" Das Pokémon verließ seinen Ball und landete sicher auf allen Vieren. Es war ein Fukano. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie mein Partner zunächst den Kopf neigte und dann schließlich ansetzte, um loszulaufen, doch ich streckte die Hand aus. "Nein, Fukano. Das hier ist ein Kampf. Da ist keine Zeit, um sich näher kennenzulernen. Du musst dir ein bisschen mehr Disziplin aneignen. Gut, ich gehe das Risiko ein." Fukano wollte tatsächlich schon loslaufen, doch ich entschied mich für unser neuestes Teammitglied. Es war das erste Mal, dass ich es überhaupt einsetzte. Und die Situation schien es auch ein wenig zu überfordern. Machollo stand und sah sich erst einmal um. "Das wird unser erster Kampf, Machollo", sagte ich leise. "Ich erwarte keine Wunder. Aber ich muss wissen, auf welchem Stand du bist. Los, Karateschlag!" "Glut, Fukano!" Es geschah schließlich das, was ich befürchtet hatte. Machollo schlug auf seinen Gegner ein, doch wurde zeitgleich auch von der Glut getroffen. Und der Treffer schadete ihm deutlich. Machollo war anzusehen, dass es nicht lange durchhalten würde. "Fußkick!" "Noch einmal Glut!" Machollo traf zwar, doch wie erwartet ging es schließlich durch die Glut zu Boden. Damit war klar, dass wir noch einen weiten Weg vor uns hatten. Ich würde mit Machollo noch sehr hart trainieren müssen. "Hm, das ist also dein neuer Teampartner", sagte Green abschätzend. "Ein Pokémon vom Typ Kampf. Passt ja zu dir." "Ja, das tut es", erwiderte ich und warf erneut Garados ein. "Und mit ein bisschen Training wird das schon. Garados, übernimm den Rest! Biss!" "Brüller!" Greens Fukano ließ sein Brüllen hören, doch es machte keinerlei Eindruck. Garados ignorierte es und biss zu. "Setz auch Biss ein, Fukano!" Und diesmal traf es Garados. Ich versuchte, die Fassung zu bewahren und nicht die Konzentration zu verlieren, doch in meinem Kopf war immer noch alles so wirr, dass ich meine Aufmerksamkeit nicht voll auf den Kampf richten konnte. "Noch einmal Biss, Garados!" Ich hoffte, dass es funktionieren würde. Und glücklicherweise reichte es. Ein letzter Treffer, und Fukano lag am Boden. Garados wirkte auch ein wenig angeschlagen. Wieder holten wir beide unsere Pokémon zurück, doch diesmal war ich diejenige, die zuerst wählte. Ich entschied mich für meinen zweiten Partner. "Bisaknosp also", sagte Green und wählte seins. "Dann versuchen wir es mal." Er schickte Kadabra in den Kampf. Dann dürfte es wenigstens mehr Attacken draufhaben als Teleport. Und wenn es sogar eine Psycho-Attacke beherrschte, konnte es sogar gefährlich werden… "Gut, Bisaknosp, Rasierblatt!" "Aussetzer!" Daran hatte ich nicht gedacht. Ich hätte es eigentlich wissen müssen, doch ich hatte keinen Gedanken daran verschwendet. Bisaknosp hatte zu seiner Attacke angesetzt, doch der Aussetzer blockierte sie. Damit war diese Attacke fürs Erste raus. "Dann setz eben Tackle ein!" "Konfusion!" Da war sie also, wie erwartet. Doch Bisaknosp war inzwischen gut genug trainiert, um die Attacke einzustecken, und schließlich selbst anzugreifen. "Noch einmal Konfusion!" "Tackle!" Ich brauchte eigentlich nicht abzuwarten, was passierte, um mir den Ausgang dieses Kampfes auszumalen. Das Ergebnis war vorhersehbar, und schließlich rief Green sein besiegtes Kadabra zurück. "Gut, dann zeig ich dir noch ein Neues." Und er warf sein viertes Pokémon in dem Kampf. Ein Owei. "Nun gut", sagte ich und holte Bisaknosp wieder zurück. Dann wandte ich mich an meinen Partner neben mir. "Du brennst ja fast darauf, dich wieder auszutoben. Also los." Fukano bellte fröhlich und sprang vor, um sich seinem Gegner gegenüberzustellen. Er knurrte angriffslustig und machte sich bereit. Ich atmete in der Zeit tief durch. Ich war absolut nicht auf der Höhe. Auch wenn es gut für uns aussah, ich war nicht wirklich auf den Kampf konzentriert. "Okay, Fukano, Glut!" "Stakkato!" Fukanos Attacke traf zuerst und fügte Owei sichtlich Schaden zu. Doch auch Stakkato traf und bombardierte Fukano, der zurücksprang, um der Attacke auszuweichen, wenn auch vergeblich. "Glut!" Fukano gehrochte augenblicklich und griff erneut an. Und bevor Green noch etwas sagen konnte, war Owei besiegt. Fukano knurrte. Ich wagte es für einen Moment, Green anzusehen. Er lächelte nicht. Nicht mal ein bisschen. Er zog seinen letzten Pokéball und warf ihn ohne ein einziges Wort. Es war sein Schillok. Ich wollte Fukano zurückholen, doch er bellte sofort, als meine Hand sich dem Ball näherte, und knurrte erneut. "Hm, verstehe. Ein Kampf unter unseren ersten Partnern, was? na gut, wie du willst. Ich werde dich nicht aufhalten." "Du wechselst also nicht?" "Nein." "In Ordnung. Dann Blubber, Schillok!" "Biss, Fukano!" Und wieder einmal stürmten die beiden aufeinander los. Fukano biss zu, und wurde schließlich von Blubber getroffen. Doch ich war mir sicher, er würde die Attacke einstecken. Und das tat er auch. Er sprang zurück und ging erneut in Angriffsposition. "Greif weiter mit Biss an!" "Aquaknarre!" Der Wasserstrahl schoss direkt auf Fukano zu, während der erst noch losrannte. Er war langsamer als zuvor. offenbar hatte Schilloks Attacke zuvor seine Initiative gesenkt. Doch davon wollte ich mich nicht beeinflussen lassen. Beide Attacken trafen. "Lass nicht nach, Fukano! Greif weiter mit Biss an!" "Noch einmal Aquaknarre!" Fukano nahm sich zusammen und stürzte sich erneut auf Schillok, biss zu, und warf es dabei auf den Boden. Schillok lag wehrlos da, ich wartete auf seine Aquaknarre, doch nichts geschah. Wir hatten es besiegt. Doch aus irgendeinem Grund konnte ich mich kein bisschen darüber freuen. Ohne ein Wort holte ich Fukano zurück, verstaute den Pokéball neben den anderen an meinem Gürtel und steckte die Hände in die Jackentaschen. Auch Green rief sein Pokémon zurück. Er schritt langsam auf mich zu, bis er direkt vor zum Stehen kam. Er sah ebenfalls nicht glücklich aus. Ich wollte es nicht fragen, doch ich spürte, dass auch er etwas verbarg, über das er nicht reden wollte. "Ich vermute, ihr habt den Orden noch gekriegt?", fragte ich schließlich, bevor er mich nach meinem befinden fragen konnte. Green nickte und sah woanders hin. "Ja, wir haben noch eine Weile gebraucht und dann doch das Rätsel gelöst, du hattest da ja scheinbar mehr Glück." Ich wollte lächeln, doch ich konnte es nicht. "Ja, scheinbar. Wie auch immer, dann habt ihr beide ja wenigstens auch die Herausforderung bestanden." "Wir hatten auch ganz schön zu kämpfen. Hätte ich Kadabra nicht gehabt, wär ich echt aufgeschmissen gewesen. Ich musste wirklich alle einsetzen, und es war verdammt knapp. Red hatte es da einfacher. Mit Glutexo war er echt im Vorteil, und stell dir vor, der ist ein verdammter Glückspilz. Er hat wohl in Azuria City ein Bisasam geschenkt bekommen, und nach dem Arenakampf sogar noch ein Schiggy!" "Tatsächlich? Klingt echt, als wäre er ein Glückspilz. Meines Wissens sind diese Pokémon unheimlich selten. Tja, dann hat er jetzt ja alle Starter." "Sieht so aus. Wie auch immer, jedenfalls haben wir beide den Orden gekriegt und haben dich gesucht, aber du warst ja ganz schnell weg." Er wandte mir das Gesicht zu. Und wie aus Reflex drehte ich mich zur Seite, ob ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. "Ja. Ich hatte meine Gründe." "Das müssen ja schwerwiegende Gründe gewesen sein." Ich versetzte ihm einen kurzen, durchdringenden Seitenblick. "Wenn ich es dir hätte erzählen wollen, hätte ich es schon längst getan!" "Schon gut. Ich dachte bloß, dass du vielleicht drüber reden willst." "Nein!", sagte ich nachdrücklich und verschränkte die Arme. "Ich will über gar nichts reden." Green nickte. "Schon in Ordnung. Es war bloß gutgemeint. Ich mach mich dann mal auf ins Pokémon-Center, mein Team muss sich auskurieren." Mein Körper bebte wieder, als ob ich wieder in die ersten Tage in Lavandia zurückversetzt worden wäre. Green wandte sich ab und schritt davon, ohne mich noch einmal anzusehen. Und in dem Moment tat es mir leid. Er konnte schließlich nichts dafür… "Green?" "Ja?" Er wandte sich um. Ich zwang mich, ihm in die Augen zu sehen, doch das machte es nur noch schwieriger, meine Worte auszusprechen: "Seit ich hier bin, wohne ich bei Mr. Fuji. Vielleicht hast du schon von ihm gehört, er hat das Waisenhaus gegründet. Nun … er macht gleich Abendessen für uns alle. Vielleicht … magst du vielleicht auch kommen?" Ich wartete. Ich wusste nicht, ob ich meine Frage bereuen sollte oder nicht. Ich fühlte mich elend. Ich wollte niemanden um Hilfe bitten. Doch mir wurde in diesem Moment bewusst, wie sehr ich mir eigentlich einen guten Freund an meiner Seite wünschte. Green zögerte, dann sagte er: "Nein, ich denke nicht. Danke für die Einladung, aber ich bleibe erst mal im Center. Ich hab mich dort einquartiert, und solange mein Team nicht wieder fit ist, gehe ich nirgendwohin." "Verstehe…" "Also, wir sehen uns dann. Ich werd wohl noch ein paar Tage in der Stadt bleiben, wir werden uns also noch eine Weile sehen, Lavandia ist ja nicht gerade groß." Und damit ging er davon und wandte sich in Richtung Pokémon-Center. Ich sah ihm nach, mit gemischten Gefühlen. Wie gern wäre ich all das losgeworden … doch genauso wollte ich es am liebsten mit mir für immer begraben… Kapitel 16: Little's mother --------------------------- Ich hatte mich absolut nicht auf diesen Abend gefreut. Kaum war ins Haus zurückgekehrt, verbarrikadierte ich mich wieder im Gästezimmer und ließ mich aufs Bett fallen. Ich umklammerte meine Beine und versuchte, irgendwelche Antworten in meinem Kopf klarzukriegen. Doch er war leer. Völlig leer. Ich legte den Kopf auf meine Knie und schloss die Augen. Ich wollte nichts sehen. Ich wollte, dass es endlich aufhörte, dass diese Bilder endlich aus meinem Kopf verschwanden. Sie sollten einfach nur verschwinden, für immer… Es klopfte an der Tür. Ich schrak so heftig zusammen, dass ich aufsprang. "Ja?" Die Tür öffnete sich und Mr. Fuji kam ins Zimmer. "Ah, dann hab ich dich doch reinkommen hören. Das Essen ist gleich fertig, vielleicht kannst du mir noch ein wenig helfen." "Ja, natürlich", sagte ich, und wischte mir dabei hastig die Tränen aus dem Gesicht. "Ich komme." Mr. Fuji nickte. Er sah mich einen Moment lang an, dann trat er ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich fragte mich, was jetzt kommen würde. Mein Magen verkrampfte sich. Er sollte nicht schon wieder dieses Thema ansprechen, bitte… "Rei", sagte er ernst und sah mich durchdringend an. Ich konnte seinem Blick nicht einmal wirklich ausweichen. "Es wird irgendwann aufhören, glaub mir. Ich werde dir nicht sagen, was du tun sollst. Aber du brauchst hier für niemanden die Starke zu spielen. Für niemanden." "Aber ich bin stark!", entgegnete ich wütend. "Das weiß ich, Rei. Das weiß ich." Er wandte sich ab und ging wieder zur Tür. Und in diesem Moment kochte auf einmal alles wieder hoch, ich war so geladen, dass ich mich nicht mehr halten konnte, die Verzweiflung und die Angst überwältigten mich. "Mr. Fuji!" Er drehte sich langsam wieder zu mir um. "Ja?" Ich starrte ihn an, erneut den Tränen nahe. "Woher kannten Sie meinen Vater?" Eine Pause trat ein. Eine sehr lange Pause, in der wir uns bloß gegenseitig anstarrten. Ich wartete, voller Hoffnung und Angst. Mr. Fuji öffnete den Mund, sagte jedoch nichts. Und wieder herrschte eine lange Pause. Dann legte Mr. Fuji die Hand auf die Türklinke und wandte sich zum Gehen. "Nicht jetzt, Rei. Früher oder später wirst du alles erfahren, aber das ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Nicht jetzt. Eines Tages wirst du es verstehen, glaub mir." Und weg war er. Ich starrte auf die noch halb offene Tür. Ich verstand nichts mehr. Gar nichts mehr. Warum konnte er mir nicht einfach die Wahrheit sagen? Das Haus war wieder einmal voll. Wir waren locker ein Dutzend Leute am Tisch, die sich größtenteils angeregt unterhielten und überwiegend begeistert von ihren Schützlingen sprachen, um sie sich im Waisenhaus sorgten. Ich zog es jedoch vor, gar nichts zu sagen und mich allein auf mein Essen zu konzentrieren. Dabei hatte ich nicht einmal Hunger. Überhaupt nicht. Ich hörte ihnen nicht einmal zu. Mein Blick war stur auf den Teller gerichtet, während mir unzählige Gedanken durch den Kopf schossen. Ich bekam diese Bilder nicht aus dem Kopf. Je mehr ich es versuchte, umso klarer wurden sie. Und auch der Gedanke an Green konnte sie nicht fortwischen, nein, es machte alles nur noch schlimmer. "Hey, Rei!" Meine Sitznachbarin, ein Mädchen namens Reina, stieß mich an. Sie gehörte zu den wenigen, die tatsächlich jeden Tag ins Waisenhaus kamen, um sich intensiv um die Pokémon zu kümmern. Und sie war auch so ziemlich die einzige Person außer Mr. Fuji, mit der ich mehr als nur ein paar kurze Worte wechselte. "Was ist?", fragte ich und wandte ihr das Gesicht zu. Reina sah mich besorgt an. "Das frag ich dich. Du bist die ganze Zeit so komisch." "Was, ich? Nein", sagte ich hastig und widmete mich wieder meinem Essen. "Ich hab bloß nachgedacht." "Worüber?" "Über Machollo. Ich musste es ins Pokémon-Center bringen, es ist bei einem Kampf heute besiegt worden." Wow. Es war nicht einmal gelogen, und dennoch entsprach es nicht der Wahrheit, dass ich mir darüber Gedanken machte. Doch ich musste überzeugend geklungen haben. Denn Reina schien mir zu glauben. "Oh. Das tut mir leid. Hast du den Kampf verloren?" "Nein." "Aber wirklich glücklich wirkst du nicht darüber." Ich antwortete nicht gleich. Ich wollte sie nicht anlügen, zumal sie so unheimlich nett zu mir war, doch die Wahrheit sagen konnte ich auch nicht. Und selbst wenn … ich wollte es nicht. "Ach, der Kampf war einfach nicht so besonders. Und, na ja … Machollo und ich kommen langsam was besser miteinander klar, aber ich muss eben echt mit ihm trainieren. Ich kann es für einen richtigen Kampf noch nicht einsetzen." "Ach, das wird noch", meinte Reina zuversichtlich und wandte sich nun auch wieder ihrem Essen zu. "Ihr versteht euch doch schon ganz gut. Dann wird das mit dem Training auch kein Problem sein. Ich hoffe, es ist schnell wieder fit." "Ich soll morgen Mittag im Pokémon-Center vorbeischauen. Bis dahin müsste es wieder fit sein." "Was, tatsächlich?", sagte ein Mann an der anderen Seite des großen Tisches, so laut, dass Reina und ich ihm sofort unsere Blick zuwandten. Eine Frau ihm gegenüber nickte eifrig. "Ja! Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen!" "Aber … ich meine, wieso - ?" Der Mann schien schockiert. "Was ist denn los?", wollte Reina wissen und beugte sich vor, damit die Frau sie sehen konnte. Sie wandte den Kopf. "Es geht um den Pokémon-Turm. Seit gestern geschehen dort nämlich seltsame Dinge." "Seltsame Dinge?", wiederholte ich und wurde nun hellhörig. "Wie darf ich das verstehen?" Die Frau zögerte. "Nun - ich war gestern dort und dachte, ich hätte etwas Seltsames gehört. Ich hab mich umgedreht, aber da war niemand. Also dachte ich, ich hätte mir das alles nur eingebildet. Aber ich bekam ein ganz komisches Gefühl. Ich hatte das Gefühl, dass noch jemand dort war. Ich hab mich immer wieder umgedreht, aber ich war völlig allein." "Vielleicht hast du den Wind gehört", sagte der Mann nachdenklich. "Sowas kann manchmal echt gruselig klingen." "Nein, es war nicht der Wind! Das ist ja noch nicht mal alles!" Jetzt hingen alle am Tisch an ihren Lippen. "Vorhin, da war ich auch wieder im Turm. Ich wollte sichergehen, ob da nicht doch irgendwas war, und da hab ich es gesehen!" "Was gesehen?", fragte ein Junge neugierig. Ich wartete gespannt. Dann sagte die Frau angsterfüllt: "Einen Geist!" Einige am Tisch hielten vor Schreck den Atem an. Reina klappte der Mund auf und ich hatte den Blick wie gebannt auf die Frau geheftet, die nun selbst über ihre eigenen Worte erschrocken schien. "Ja, es war tatsächlich ein Geist! Ich hab geschrien und bin sofort davongelaufen! Ich werde nicht mehr in diesen Turm gehen, da drin spukt es!" "Hm", machte Mr. Fuji und faltete nachdenklich die Hände zusammen. "Und sonst hast du nichts bemerkt?" "Nein, gar nichts. Warum?" "Nun … es ist ungewöhnlich." "Was ist ungewöhnlich?" "Es gibt keine Geister, die einfach so nach Lust und Laune durch die Gegend spuken", mischte ich mich lautstark ein. Alle Blicke wandten sich nun mir zu. Ich starrte zurück. "Was denn? Ich meine, es muss dann schon irgendeinen Grund geben." "Es sind Geister", flüsterte die Frau zornig. "Ich glaube kaum, dass die einen besonderen Grund brauchen, um durch die Gegend zu spuken, wenn es ihnen einfach Spaß macht, Leuten Angst einzujagen." "Warum sollte es ihnen Spaß machen?", entgegnete ich zunehmend gereizter. "Wieso glauben Menschen eigentlich, dass sowas Spaß macht? Und außerdem, es gibt keine richtigen Geister." "Doch, die gibt es!" "Nein, gibt es nicht." "Doch!" "Sie hat nicht ganz Unrecht", sagte Mr. Fuji plötzlich und hob die Hand, um uns zum Schweigen zu bringen. "Es gibt keine Geister im klassischen Sinne. Wenn dort irgendetwas ist, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten." "Entweder ein Pokémon Typ Geist", sagte ich. "Oder die Seele eines Pokémon", sagte Mr. Fuji. Die Blicke der anderen am Tisch wanderten von Mr. Fuji zu mir und wieder zurück. Eine Weile sagte keiner ein Wort. Dann mischte sich Reina wieder ein: "Die Seele eines Pokémon? Ihr meint … eines Pokémon, das bereits verstorben ist?" Ich begann, weiter zu essen, verfolgte das Gespräch aber weiterhin wie gebannt. "Aber warum sollte die Seele eines Pokémon Leuten Angst einjagen?", fragte der Mann verunsichert. Ich zuckte die Achseln. "Vielleicht wollte es das ja gar nicht. Vielleicht hat es ja einen Grund, weshalb es auftaucht, und ist dann zufällig einem Menschen begegnet." Die Frau öffnete den Mund, um mich wieder anzugiften, doch Mr. Fuji brachte sie mit einer erneuten Handbewegung zum Schweigen. "Ich glaube auch, dass Rei Recht hat. Dass dort oben etwas ist, das vielleicht sogar gar nicht dort hingehört, mag ich nicht anzweifeln. Aber es ist mit Sicherheit kein Geist, der dort rum spukt, um uns Angst einzujagen. Mir sind inzwischen auch ein paar Dinge zu Ohren gekommen, die meine Vermutung stark bekräftigen, dass es sich wirklich um die Seele eines Pokémon handelt. Und wenn das der Fall ist, dann muss etwas passiert sein. Eine Seele kehrt nur ins Jenseits ein, wenn sie ihren Frieden findet. Entweder hat eine Seele dort noch lange nicht ihren Frieden gefunden, oder es geht dort irgendetwas vor, wodurch sich diese Seele gestört fühlt." "Und wenn es bloß ein Pokémon vom Typ Geist ist?", fragte der Junge und seine Augen leuchteten, als ob er ganz scharf darauf wäre, es selbst zu sehen. Reina funkelte ihn böse an. "Du bist doch nur scharf drauf, dir eines zu fangen! Vergiss es, du traust dich da doch nicht mal rein!" "Sei nett, Reina", mahnte Mr. Fuji. Dann wandte er sich wieder der Frau zu. "Was auch immer es ist, es muss untersucht werden. Ich werde mich selbst darum kümmern. Macht euch also keine Sorgen. Wenn es wirklich eine rastlose Seele ist, dann werde ich alles tun, damit sie ihren Frieden findet." Sein Tonfall machte deutlich, dass diese Angelegenheit damit erledigt war. Alle wandten sich nun wieder voll und ganz ihrem Essen zu, doch ich konnte die zornigen Blicke der Frau dennoch spüren. Es kümmerte mich nicht, dass sie wütend auf mich war. Sollte sie doch. Ich wusste, dass ich Recht hatte. Und entweder sah sie es ein oder eben nicht. Das sollte nicht mein Problem werden. Und trotzdem war ich froh, als Mr. Fuji und ich gut eine halbe Stunde später mit Aufräumen fertig waren und ich mich endlich zurückziehen konnte. Ich konnte diese ganzen Menschen einfach nicht mehr ertragen. So schnell ich konnte zog ich mich ins Gästezimmer zurück und warf mich mit dem Gesicht voran aufs Bett. Wäre Green doch wenigstens hier gewesen … dann hätte ich wenigstens einen Freund bei mir gehabt. Dann wäre es bestimmt viel leichter gewesen, all das zu ertragen… Ich wachte wieder einmal schweißgebadet auf, von der Angst völlig der zerfressen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, wo ich war. Dass ich nicht mehr im Felstunnel war, sondern in Lavandia, hier, im Haus von Mr. Fuji. Ich hatte diese Alpträume satt. So verdammt satt… Es brauchte erst eine kühle Dusche und eine gute Stunde, bis mein Kopf wieder halbwegs klar war. Ich war um einiges erleichtert, als ich zum Frühstück nur Mr. Fuji vorfand. Ich hätte im Augenblick auch keine anderen Menschen ertragen. Es war schon schlimm genug, überhaupt mit jemandem am Tisch zu sitzen, der einem das Gefühl gab, etwas sagen zu müssen. Doch ich schwieg, und er tat es glücklicherweise auch. Vielleicht wusste er, dass ich nachwievor nicht reden wollte. Erst, als ich aufstand, sprach er: "Ich werde mich gleich auf den Weg machen, um herauszufinden, was in diesem Turm vor sich geht. Bleib so lange besser dort weg, Rei. Ich hab ein ungutes Gefühl bei der Sache." "Ist gut", erwiderte ich nur und wandte mich ab. "Ich muss eh erst mal ins Pokémon-Center. Mal sehen, wie es Machollo geht. Vielleicht trainiere ich ein bisschen mit ihm, wenn es ihm besser geht." "Gut, dann tu das." Ich sah ihn flüchtig an. Dann nickte ich, warf mir die Jacke über und verließ das Haus. Ich war vielleicht ein bisschen früh dran, doch ich wusste nichts Besseres mit mir anzufangen. Ich sollte mich schließlich fürs Erste vom Turm fernhalten, was vielleicht auch ganz gut so war. Ich wusste, dass ich mir mit meinen täglichen Besuchen keinen großen Gefallen tat… "Dein Machollo ist wieder topfit!", sagte Schwester Joy fröhlich, als ich wenig später im Center stand und mich nach meinem neuen Teampartner erkundigte. Sie reichte mir den Pokéball und lächelte. "Es musste sich einfach nur etwas auskurieren, es ist also alles wieder in Ordnung." "Gut", sagte ich bloß, nahm ihr den Pokéball ab und legte ihr die Münzen hin. "Danke." "Vielen Dank! Komm jederzeit wieder bei uns vorbei!" Ich nickte, wollte mich gerade umdrehen, um das Center zu verlassen, da ließ mich ein lauter Knall gefolgt von einem Aufschrei zusammenzucken. Ich wirbelte herum. Ein paar Leute hatten sich an der Treppe versammelt, die hinauf zu den Zimmern führte, in denen einige Trainer sich für die Nacht einquartierten, und sahen ziemlich erschrocken zu Boden. "Ist alles in Ordnung mit dir?" "Ist dir was passiert?" "Nein, alles gut", antwortete eine Stimme am Boden, und jemand stand in der kleinen Menge auf und richtete sich. Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Ich legte den Kopf schief und musterte diesen Jemand, der mich in diesem Moment sogar beinahe zum Lachen brachte. "Ach, nein. Das konntest ja nur du sein, was?" "Wie?" Er sah auf. "Rei, was machst du denn hier?!" "Hallo, Red", sagte ich amüsiert, verschränkte die Arme und schritt langsam auf ihn zu, während die Menge sich nun wieder im Center verteilte, da offenbar nichts Ernstes passiert war. Ich blieb vor ihm stehen. "Hätte nicht gedacht, dass ich dich ausgerechnet so wieder treffe." "Na ja", begann er und kratzte sich verlegen am Kopf. "Ich bin manchmal einfach ziemlich eilig unterwegs…" Ich hob die Brauen. "So eilig, dass du dafür gleich die Treppe runterfällst?" "Nun - ja…" Ich musste tatsächlich fast lachen. "Du bist echt ein Tollpatsch, ist dir das mal aufgefallen? Wie auch immer, bist du schon lange hier?" "Wie man's nimmt. Ich bin viel unterwegs, ich habe inzwischen so viele Pokémon gefangen, die ich alle trainieren muss. Schließlich muss ich den Pokédex doch vollkriegen. Eigentlich wollte ich auch gerade wieder los zum Training, willst du vielleicht mit? Ich muss nur noch eben an meine Boxen und die aufnehmen, die ich noch entwickeln muss." "Na gut, warum nicht." Ich hatte ohnehin nichts Besseres vor. Also folgte ich Red hinüber zum PC und lehnte mich dagegen, währen er sich daran zu schaffen machte. "Ich hab nicht mehr viele übrig, die ich durch bloßes Leveln entwickeln kann … hm … ich hätte noch ein männliches Nidoran übrig, das ich zu Nidorino entwickeln kann … einen Mondstein für Nidoking hab ich nicht mehr übrig, aber dann muss ich damit noch warten." "Du hast deinen Pokédex schon ganz schön voll, was?", fragte ich belustigt. Der alte Ōkido wäre sicher stolz auf ihn. Wenn Red sich ranhielt, würde er bestimmt noch den Traum es Alten erfüllen. "Ich habe so ziemlich alles gefangen, was mir auf dem Weg bis hierhin begegnet ist", fing er an und seine Augen weiteten sich wieder vor Begeisterung. "Ich hab mich wirklich rangehalten und jede Ecke und Winkel abgesucht, bis ich mir sicher war, dass ich sie wirklich alle gefangen habe. Ja, und dann hab ich vor ein paar Wochen angefangen, sie zu trainieren, damit ich ihre Weiterentwicklungen auch im Pokédex habe. Die meisten Pokémon entwickeln sich durch bloßen Levelaufstieg, manche früher, manche später. Käfer-Typen zum Beispiel scheinen sich schneller zu entwickeln, Raupy und Hornliu haben sich unheimlich schnell entwickelt. Es gibt aber eben auch welche, die sich durch den Einfluss bestimmter Steine entwickeln, wie zum Beispiel dem Mondstein. Es gibt auch noch weitere, allerdings -" "Red", unterbrach ich ihn und sah ihn scharf an. "Ich weiß ja, dass du ein ziemlicher Freak bist, wenn es um Pokémon geht. Aber du redest zu viel." "Oh, tut mir leid…" Er ließ den Kopf hängen. Und plötzlich war seine Stimmung völlig anders. Ich hatte es doch nicht mal böse gemeint, doch seine übermäßige Begeisterung und die Freunde hatten sich auf einmal in etwas sehr Trauriges gewandelt. Ganz, als ob ich ihm etwas Schlechtes gesagt hatte. Ich überlegte hin und her, was an meiner Wortwahl vielleicht falsch angekommen war. Dann - "Hast du Green gesehen?" "Ja, habe ich", gab ich verwirrt zurück. "Ich hab ihn gestern im Turm getroffen, wir haben gegeneinander gekämpft und dann ist er wieder gegangen. Wieso?" "Im Turm?", wiederholte Red, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. Auch seine Stimme klang merkwürdig verändert. "Was habt ihr da gemacht?" Ich hob die Schultern, unsicher, worauf genau er hinauswollte. Und außerdem wollte ich ihm nicht offenbaren, weshalb ich da gewesen war. Also sagte ich bloß: "Nun, ich wollte mich einfach mal umsehen und bin deshalb rein gegangen. Und ich hab Green zufällig getroffen, keine Ahnung, was er dort wollte. Ich hab ihn nicht gefragt." "Verstehe…" "Wieso, was ist?" "Wir können", sagte Red so plötzlich, als ob nichts gewesen wäre, holte die ausgesuchten Pokémon aus der Box und wandte sich nun wieder ebenso fröhlich wie zuvor mir zu. "Auf geht's! Ich will den Pokédex in diesem Leben schließlich noch vollkriegen." Gut gelaunt hüpfte er zur Tür hinaus, ich folgte ihm. Ich war wohl nicht die einzige, die sich im Augenblick äußerst seltsam benahm. Erst Green, der seine Arroganz und Überheblichkeit vollkommen abgelegt hatte, und dann auch Red, dessen Stimmung schneller zu wechseln schien als das Wetter. Mich ließ der Gedanke nicht los, dass irgendetwas geschehen war, von dem ich nichts ahnte. "Okay, legen wir los!", rief Red motiviert, als wir uns einen Platz auf einer Route vor der Stadt ausgesucht hatten, und zog seinen ersten Pokéball. "Wir werden hier bestimmt auf wilde Pokémon treffen. Vielleicht entdecken wir ja sogar neue, wer weiß?" "Mach du mal", sagte ich belustigt und ließ mich auf einem Stein nieder, um ihm zuzusehen. Er war wirklich mit voller Leidenschaft dabei. Er suchte nach wilden Pokémon, gegen die er mit seinen kämpfen konnte. Ich bewunderte ihn ein wenig für seine unerschöpfliche Energie. Doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass auch er im Augenblick bloß etwas vorspielte. Als Erstes war sein Nidoran an der Reihe. Ich tat so, als würde ich Red einfach bloß zusehen. Doch ich sah in Wahrheit nichts von seinen Kämpfen. Mein Kopf war immer noch nicht klar genug, um vernünftig zu denken. Vielleicht war ich aktuell einfach nur schwer von Begriff. Es wollte mir einfach nicht in den Kopf. Er wechselte zu Kleinstein. Natürlich, Red war scheinbar von Natur aus ein lieber und netter Junge, der Pokémon über alles liebte. Daher hatte es mich doch eigentlich gar nicht gewundert, dass er so viel darüber reden wollte, und vielleicht auch gerne sein Wissen teilte. Hatte ich vielleicht einfach nur überreagiert? Hatte ich mich im Ton vergriffen, nur weil ich es nicht leiden konnte, wenn jemand so viel mit mir redete? War ich vielleicht einfach nur zu empfindlich und stieß deshalb anderen Leuten vor den Kopf? Nach einiger Zeit wechselte er wieder zu Nidoran. Nein. Es lag vielleicht nicht an mir. Ich war doch für meine Verhältnisse freundlich gewesen, und Red wusste doch, wie ich war. Er musste wissen, dass ich es nicht böse gemeint hatte. Aber wenn ihm das doch klar gewesen war … wieso war seine Stimmung dann plötzlich so verändert gewesen? Hatte es vielleicht mit etwas ganz anderem zu tun? Aber womit? Er schaffte es schließlich, Nidoran zu entwickeln, und freute sich beinahe wie ein kleines Kind, das eine besonders große Kugel Eis geschenkt bekommen hatte. Er warf einen Blick in seinen Pokédex und jubelte. "Super, dann brauch ich nur noch einen Mondstein, dann habe ich auch ein Nidoking!" Er entschied sich als nächstes für ein Habitak. Irgendetwas war hier faul. Irgendwas stimmte ganz und gar nicht. Ich wusste nur nicht, was. Red hatte so merkwürdig geklungen, als er nach Green gefragt hatte. Aber warum? Wieso hatte diese merkwürdige Traurigkeit in seiner Stimme gelegen? Es hatte beinahe geklungen, als ob Red sich nicht einmal freute, dass er hier war. Dabei waren die beiden doch Freunde. Red wechselte wieder zu Kleinstein. Verdammt, wieso kam ich nicht drauf? War es irgendwas, von dem ich vielleicht keine Ahnung hatte? War irgendwas zwischen den beiden passiert? Hatte es vielleicht Streit zwischen den beiden gegeben? Aber warum? Mein Kopf wollte scheinbar keine Antwort. Je mehr ich nachdachte, umso mehr wurde mir klar, dass ich absolut nicht begriff, was hier vor sich ging. Doch irgendetwas musste passiert sein, sie waren alle beide so völlig verändert, als ob sie nicht mehr sie selbst wären. Er wechselte zu einem Rattfratz. Ich beobachtete Red, wartete darauf, dass er seinem Pokémon eine Anweisung gab, doch er zögerte. Ich wandte den Blick ab. Was stimmte nicht mit ihm? "Rattfratz, hey! Komm zurück!" Ich hob den Kopf, um zu sehen, was passierte. Das Rattfratz war einfach davongerannt und huschte durchs Gras, Red ihm hinterher. "Hey! Bleib stehen!" "Was treibst du da?", fragte ich und stand auf. Ich lief ihm nach, zwischen kleineren Felsbrocken, Bäumen und Sträuchern entlang. "Hey, wo bist du?!" "Ich bin hier!", hörte ich seine Stimme aus den Tiefen des hohen Grases. "Ich hab dieses Pokémon vor Ewigkeiten gefangen und es seitdem in meiner Box gelassen. Es mag mich wohl nicht besonders…" "Also, ich weiß echt nicht mehr, was ich dazu sagen soll." Ich stemmte die Hände in die Hüften und sah auf Red hinab, der die Arme vor ausgestreckt bäuchlings im Gras lag und die Hände um sein Rattfratz klammerte. Er sah auf. "Na ja, es hatte von Anfang an irgendwie die Angewohnheit, einfach wegzulaufen. Ich hatte die Hoffnung, wenn es sich erst mal entwickelt, hört das vielleicht auf…" Ich sah ihm eine Weile zu, wie er angestrengt versuchte, irgendwie an den Pokéball von Rattfratz zu kommen. "Brauchst du vielleicht Hilfe?" "Nun … schon möglich", gab er zurück und hielt sein Pokémon weiterhin fest, das wie wild umher zappelte, um bei der nächsten Gelegenheit schon wieder davonzulaufen. "Welcher ist es?", fragte ich und bückte mich. "Der vorletzte." "Alles klar." Ich nahm den Pokéball und streckte die Hand aus. "Hier, bitte." "Danke", sagte Red und versuchte angestrengt, Rattfratz näher zu sich zu ziehen, doch es wehrte sich viel zu sehr, als dass er loslassen konnte. "Okay, ich nehm ihn gleich!" "Bist du sicher, dass es funktioniert?" "Auf dich wird es wohl noch weniger hören als auf mich." Er wartete den richtigen Moment ab, dann zog er blitzschnell eine Hand weg, ergriff den Pokéball und rief Rattfratz zurück. Es funktionierte. Ich konnte nicht anders, als einzusehen, dass Red zum Teil wirklich mehr Glück hatte als eigentlich jemals erlaubt war. Ich hätte das vermutlich nicht so hingekriegt. "Oh je, das war wohl keine gute Idee", sagte Red und setzte sich auf. Ich machte ein paar Schritte rückwärts, während er langsam aufstand, und trat plötzlich auf etwas. Für einen kurzen Moment verlor ich das Gleichgewicht, fing mich jedoch gleich wieder. Ich senkte den Blick auf den Boden. War es das, wofür ich es hielt? Ich bückte mich, um es mir näher anzusehen. Und ich hatte Recht. Es war ein Knochen. Blitzschnell erhob ich mich wieder und sah mich um. Allein mein Gefühl sagte mir schon, dass etwas hier nicht stimmte. Und zwar ganz und gar nicht. "Ich dachte wirklich, ich könnte dieses Rattfratz in den Griff kriegen. Anscheinend muss ich noch eine Menge lernen…" Ich schritt langsam durchs hohe Gras und hielt Ausschau. Zunächst sah ich nichts außer Gras, Steinen und Büschen. Doch hier musste irgendwas sein. Vielleicht… "Ich werde das schon irgendwie hinkriegen. Vielleicht nur nicht jetzt." Er klopfte sich das Gras von den Klamotten. "Mit etwas Übung geht das alles! Was ist los, Rei?!" Ich hatte mir die Hand vor den Mund geschlagen. Ich hatte es gefunden. "Was ist denn?", fragte Red erneut und kam auf mich zu, doch ich wandte mich blitzschnell um und packte ihn, um ihn davon abzuhalten. "Bleib, wo du bist, sieh nicht hin! Glaub mir, das willst du nicht sehen." Doch es war zu spät. Reds Augen waren starr auf das gerichtet, was ich auf dem Boden gefunden hatte: es war der leblose Körper eines Pokémon. Jetzt war es Red, der sich die Hand vor den Mund hielt. Er drehte sich um und sackte wieder zurück ins Gras. "Red!" Ich hockte mich zu ihm auf den Boden und packte ihn an der Schulter. "Bist du okay?" Ich befürchtete, dass er sich gleich übergeben würde. Doch nach einiger Zeit ließ er die Hand sinken, die Augen immer noch starr vor Entsetzen, und sagte mit halb erstickter Stimme: "Das … ist ein Knogga … oder?" "Ja … und es sieht nicht danach aus, als wäre es eines natürlichen Todes gestorben…" "Wer … wer tut sowas?" Er stützte sich an einem Fels ab und schüttelte den Kopf. "Wer tut sowas Grausames?" "Ich weiß es nicht…", antwortete ich und warf einen erneuten Blick auf das tote Knogga. Sein Körper war mit Wunden übersät. Wunden, deren Ursache ich mir nur allzu gut vorstellen konnte. "Ich glaube ich weiß, wer sowas tut. Red!" "Was? Wer?" Er wandte mir das Gesicht zu. Er war kreidebleich geworden. Ich stand auf und packe ihn am Arm, um ihn hochzuziehen. "Ich denke ich weiß, wer das war! Komm, wir müssen sofort zurück nach Lavandia!" "Wieso?" "Jetzt frag nicht und komm!" Ich schaffte es irgendwie, ihn wieder auf die Beine zu bekommen. Wir rannten den Weg zurück durch das hohe Gras, zurück in die Stadt. Ich wollte zu Mr. Fuji, er musste es erfahren, er war sicher schon vom Turm zurück, doch wenn meine Befürchtungen wahr waren, dann musste er es erfahren. Doch kaum hatten wir uns dem Haus genähert, da kam auch schon jemand auf uns zu, völlig aufgelöst, die Panik ins Gesicht geschrieben."Rei!" "Reina! Was ist los?!" "Es ist schrecklich!" Sie kam vor uns zum Stehen, offenbar den Tränen nahe. "Mr. Fuji ist doch heute Morgen in den Turm gegangen, um diese Sache zu klären, über die wir gestern gesprochen haben." "Und? Was war es denn?" Doch Reina schüttelte den Kopf. "Mr. Fuji ist immer noch nicht zurückgekehrt!" "Was?!" Mich traf der Schlag. Es musste doch schon Stunden her sein, dass er sich auf den Weg gemacht hatte, er hätte längst zurück sein müssen. "Was ist passiert?!" "Keine Ahnung! Wir machen uns alle Sorgen, aber keiner traut sich, in diesen Turm zu gehen und nach ihm zu sehen. Wir haben ja nicht mal kampffähige Pokémon, deshalb hab ich die ganze zeit nach dir gesucht! Du musst ihm helfen, bitte!" "Es passt zu perfekt zu dem, was wir eben gefunden haben…" "Was?", fragte Reina und sah mich an, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie die Wahrheit hören wollte. "Was habt ihr gesehen?" "Ein totes Knogga", antwortete ich sofort, bevor Red mich aufhalten konnte. Natürlich war Reina noch jünger als ich, doch die Sache geheim zu halten, würde niemandem was bringen. Und wir brauchten ihre Hilfe. "Ein … Knogga? Tot?" "Ja. Es wurde scheinbar sogar von Menschen getötet." "Aber … das ist furchtbar! Die Knogga hier haben doch kürzlich erst ihre Junge bekommen! Dann muss da draußen irgendwo ein einsames Tragosso herumirren, das ist schrecklich! Es wird alleine niemals überleben!" "Was?!" Red war ebenso schockiert. "Du meinst also, dass das junge Tragosso jetzt ganz allein da draußen ist?!" Jetzt weinte sie wirklich. Es war eigentlich absolut nicht meine Art, doch in diesem Moment konnte ich nicht anders, als sie in die Arme zu schließen. Vielleicht, weil ich mir auch insgeheim wünschte, dass es jemand mit mir machen würde … Ich drückte sie fest und wandte mich an Red. "Ich brauche deine Hilfe. Hier geht eindeutig etwas nicht mit rechten Dingen zu, und ich hab so eine böse Vorahnung, was." "Was … was kann ich tun?", fragte er, immer noch kreidebleich im Gesicht. "Hol dein Team! Lauf so schnell du kannst ins Pokémon-Center und pack dein stärkstes Team ein! Ich hoffe, wir werden es nicht brauchen, aber ich will vorbereitet sein." "Was hast du vor?!" "Wir gehen in diesen Turm", sagte ich entschieden und richtete den Blick direkt auf das große Gebäude, während Reina sich an mir ausweinte. "Mr. Fuji braucht unsere Hilfe. Die meisten hier kümmern sich um die ausgesetzten und verwaisten Pokémon, aber keiner von ihnen ist ein wirklicher Trainer. Wir sind im Augenblick die einzigen, die etwas tun können. Ich habe diesem Mann einiges zu verdanken, das ist das Mindeste, was ich ihm schuldig bin." Kapitel 17: Leave now --------------------- "Beeil dich!", sagte ich nachdrücklich. Red nickte und rannte augenblicklich davon in Richtung Pokémon-Center. "Ich warte hier vor dem Turm!" "Was soll ich tun?", heulte Reina, als ich sie losließ, und wischte sich die Tränen aus den Augen. "Du gehst zu den anderen und bittest sie um Hilfe. Ihr müsst das Tragosso finden. Ich habe so die Vermutung, dass das alles irgendwie zusammenhängt. Außerdem ist es, wie du gesagt hast. Alleine wird das Kleine nicht lange überleben. Außerdem wird es langsam dunkel. Ihr müsst es finden! Red und ich kümmern uns um Mr. Fuji." "Ist gut." Sie fasste sich wieder und eilte zurück zum Waisenhaus. Ich hoffte insgeheim, dass sie den Ernst der Lage erkennen und sich sofort auf den Weg machen würden. Die Sonne ging langsam unter, und im Dunkeln zu suchen, war eigentlich viel zu gefährlich. Besonders für jemanden, der keine starken Pokémon besaß, die ihn beschützen konnten. "Da bin ich wieder!", rief Red kurze Zeit später und kam auf mich zugerannt. "Ich bin bereit! Aber … kannst du mir vielleicht erklären, was genau jetzt eigentlich los ist?" "Das sag ich dir auf dem Weg. Los, komm." Ich ging voran und betrat als erste den Turm. Es herrschte vollkommene Stille. Eine Stille, die sogar ich unheimlich fand. Und Red schien es genauso zu gehen. "Ich fühle mich hier nicht sonderlich wohl … hier ist es außerdem total dunkel, man sieht die Hand vor Augen ja kaum … wieso wollte dieser Mr. Fuji überhaupt hierherkommen? Und wer ist er eigentlich?" "Mr. Fuji hat das hiesige Waisenhaus gegründet", erklärte ich und wandte mich zur Treppe. "Ich wohne bei ihm, und helfe ihm, mich um die Pokémon zu kümmern. Und er wollte hierherkommen, um etwas zu untersuchen. Und was das mit dem Licht angeht, das sollte das geringere Problem sein." Ich zog eine Taschenlappe aus einer meiner Hosentaschen hervor und schaltete sie ein. "Man kann nie gut genug vorbereitet sein." "Du denkst aber auch echt an alles." Wir stiegen langsam die Treppe hinauf. Ich wollte nicht gleich losstürmen, denn ich hatte schließlich so eine Ahnung, was sich hinter dieser ganzen Geschichte verbarg, und ich wollte absolut nicht riskieren, dass sie uns zuerst erledigten. Ich hatte die eine Hand nah an Fukanos Pokéball, um im Ernstfall gleich reagieren zu können. "Und was meinte dieses Mädchen vorhin, worüber ihr gestern gesprochen habt?", wollte Red wissen. Ich blieb möglichst kühl, um ihm nicht zu zeigen, welche Sorgen ich mir machte. Eigentlich hätte ich ihn gar nicht mitnehmen sollen, doch ich war mir nicht sicher, ob ich allein schon stark genug war. "Es ging um Geister." "Um Geister?" "Ja. Eine Frau war gestern hier und glaubte, sie hätte einen Geist gesehen. Scheinbar war das nicht die erste Geschichte in der Art, Mr. Fuji kam hierher, um sich um dieses Wesen zu kümmern. Entweder ist es ein Geist-Pokémon, oder eine rastlose Seele. Nach dem, was wir vorhin gesehen haben, glaube ich an Letzteres…" Wir gingen weiter und kamen dabei auch an Carninos Grab vorbei. Ich warf einen Blick darauf, doch im Dunkeln wirkte es tatsächlich unheimlich. Ich verspürte ein eigenartiges Gefühl im Magen. Carnino, wenn er uns doch jetzt nur helfen könnte… "Ich bin jetzt aber auch ganz froh, dass ich mein Team wieder bei mir habe", sagte Red und sah sich um. "Es ist ziemlich düster hier, und ziemlich still. Etwas unheimlich…" Nur ein Stück weiter hatte Green gestanden. Mir gingen Reds Worte vom Mittag durch den Kopf, denn sie waren berechtigt gewesen. Was hatte er dort gemacht? Er war doch schließlich nicht aus purer Langeweile hergekommen. Wenn man diesen Turm betrat, dann doch wohl nur aus einem guten Grund. Aber wen hätte Green hier besuchen sollen? "…wie gut, dass ich Schiggy und Bisasam wieder eingepackt habe. Mit Rattfratz wäre ich wohl eher aufgeschmissen…" Ich blieb stehen. Meine Augen waren starr ins Leere gerichtet. Mein Herzschlag erhöhte sich mit einem mal, als mir klar wurde, was hier eigentlich los war. Und ich meinte nicht die Sache mit den Geistern oder dem Knogga … sondern den Grund, weshalb sich Green so seltsam benahm. Ich ließ den Blick über die Gräber schweifen, an denen Green gestern gestanden hatte. "Was ist los?", fragte Red sofort und sah mich an, als ob er sich tatsächlich sorgte. Ich schüttelte hastig den Kopf. "Ach, nichts, alles gut! Ich dachte nur, ich hätte da was gesehen. War wohl bloß ein Schatten. Los, gehen wir weiter." Ich beschleunigte meine Schritte und beeilte mich, zur nächsten Treppe zu gelangen. Ich hatte das Gefühl, mein Herz wirklich laut schlagen zu hören, und hoffte insgeheim, dass Red nichts bemerkte. Mir war es soeben klar geworden. Doch wenn meine Vermutung richtig war, dann wollte ich sie nicht unbedingt vor jemand anderem ausbreiten, auch nicht vor Red. Erst recht nicht vor Red. "Glaubst du, es gibt diese Geister wirklich?", fragte er schließlich. Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Ich sagte ja, entweder ist es ein Geist-Pokémon oder eine rastlose Seele. Die Frage ist vielmehr, ob es sich zeigen wird…" "Was das angeht, da sind wir vorbereitet." "Wie meinst du das?" Red grinste. Er ließ den Rucksack von seinen Schultern gleiten und über den einen Arm baumeln, dann öffnete er ihn und zeigte mir etwas im Innern. "Das ist ein Silph Scope. Das hab ich von Professor Ōkido bekommen, als Dank für das Paket, du weißt schon. Ihr wart ja so nett und habt das mir überlassen." "Höre ich da eine Unzufriedenheit raus?", entgegnete ich und grinste. "Verdammt, du bist ein unverschämter Glückspilz. Das muss man dir echt lassen." "Tja, Professor Ōkido meinte, ich könnte wohl Verwendung dafür haben." Er machte den Rucksack wieder zu und setzte ihn auf, dann setzten wir unseren Weg fort. Ich musste zugeben, dass Red ein Silph Scope besaß, war unheimlich nützlich für uns. Wieder herrschte eine Weile Schweigen. Dann flüsterte Red plötzlich: "Sag mal, was vermutest du hier eigentlich? Ich meine, was da oben vorgeht?" Einen Moment lang sagte ich nichts. Es war vielleicht nicht gut, ihm alles zu sagen. Ich wusste schließlich, wie sehr ihm allein der Anblick des toten Knogga zugesetzt hatte, ich wollte es nicht noch schlimmer machen. Aber es brachte auch nichts, ihm zu verschweigen, was ich dachte. "Ich denke, dass dieses Team Rocket dahintersteckt." "Was?!" Wie erwartet war Red schockiert. "Du meinst … diese Typen, die wir am Mondberg getroffen haben? Die diese Fossilien haben wollten?" Ich nickte. "Genau die. Das ist für mich die einzige logische Erklärung." Red richtete den Blick auf die nächste Treppe. "Ich kann solche Menschen nicht verstehen … wie kann man so böse sein?" "Das hat nichts mit böse zu tun, Red. Die haben tiefgründiger Motive, von denen wir vielleicht nicht einmal was ahnen. Schlag dir dieses Gut-und-Böse-Denken aus dem Kopf. Früher oder später wirst du merken, dass die Welt sich so nicht einteilen lässt. Jeder von uns tut im Leben sowohl gute als auch böse Dinge. Auch du wirst vielleicht irgendwann mal was tun, was nicht gut ist. Genau wie ich. Wie jeder andere." Wieder ein Moment der Stille. Dann: "Rei, ich weiß nicht, ob es dir beim ersten Mal aufgefallen ist, aber die hatten sogar Peitschen bei sich. Ich meine, wozu brauchen sie die?" "Besser, du fragst mich nicht danach", sagte ich ehrlich und ging an ihm vorbei, um als erster die nächste Treppe erreichen und hoch zu leuchten. "Es würde dich nur verstören. Glaub mir, es gibt Dinge, die muss man nicht wissen. Viel wichtiger ist, dass du nicht dasselbe tust wie sie." "Ich - ich könnte nie sowas tun!", entgegnete er entsetzt. "Ich könnte niemals ein Pokémon für meine Zwecke missbrauchen! Pokémon sind Freunde, keine Werkzeuge!" Ich wandte ihm das Gesicht zu und lächelte. "Das weiß ich doch. Und diese Einstellung darfst du niemals ablegen, hörst du? Egal, was passiert. Versprichst du mir das?" Er sah mich eine Weile lang verständnislos an, doch dann nickte er. "Ja, ich versprech es. Für mich werden Pokémon immer Freunde bleiben." "Sehr gut." Ich wandte mich wieder um und stieg die Treppe empor zur nächsten Ebene. Wir mussten schon recht weit oben sein. Inzwischen war es so dunkel geworden, dass wir ohne Licht tatsächlich gar nichts hätten sehen können. Bald mussten wir Mr. Fuji finden, oder ein Mitglied von Team Rocket. Oder, wie ich auch vermutete, eine rastlose Seele. Plötzlich packte mich Red am Arm und brachte mich so zum Stehen. "Was ist?", fragte ich. Er legte den Finger an den Mund und deutete hoch zur Decke. Er senkte die Stimme: "Ich habe etwas gehört. Es klang wie Schritte. Wir sind also tatsächlich nicht allein." Auch ich lauschte nun gespannt. Doch ich hörte nichts. "Ich bin mir sicher, da war was", flüsterte Red und sah weiterhin konzentriert zur Decke. Ich war ganz froh, dass er wenigstens keine Angst hatte. Sonst wäre ich womöglich durchgedreht und würde allein weitergehen. Ich hatte hier schließlich etwas wichtiges zu tun, und dafür brauchte ich Unterstützung. "Okay, wir müssen vorsichtig sein", sagte ich mit gedämpfter Stimme und machte vorsichtig einen Schritt in Richtung der nächsten Treppe. "Besser, uns bemerkt möglichst niemand. Sonst erledigen sie uns, bevor wir sie erledigen können." Red nickte mit sicherer Miene. "Ist gut. Dann los." Wir wollten gerade weitergehen, als plötzlich ein Entsetzensschrei durch den Turm hallte, der mir beinahe das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ich sah Red an, der nicht minder schockiert war. "Was geht da oben vor?!" "Keine Ahnung. Aber das klang überhaupt nicht gut. Wir sollten uns beeilen." Doch das sollte nicht nötig sein. Kaum hatten wir den Blick auf die Treppe auf der anderen Seite des Raumes gerichtet, da hörten wir schon schnelle Schritte, die eben diese Treppe hinuntergerannt kamen. Und zu unserer beider Verblüffung gehörten sie zu jemanden, den wir ziemlich gut kannten und auch Reds Blick nach zu schließen wir beide hier nicht erwartet hatten. "Green!" Völlig perplex sah ich zu, wie er geradewegs auf uns zugerannt kam, und schließlich Red umarmte, der genau wie ich überhaupt nicht zu begreifen schien, was hier vor sich ging. "Green! Was tust du hier?!" Green zitterte am ganzen Körper und klammerte sich nur noch fester an ihn. Ihm stand die Angst ins Gesicht geschrieben, und er war offensichtlich noch zu entsetzt, um sprechen zu können. "Green! Was ist los?!", fragte Red erneut und packte ihn an den Armen, um ein Stück von sich wegschieben und ihn ansehen zu können, doch Green ließ nicht locker. "Was ist passiert?", fragte ich nun, da ich wirklich nicht sonderlich scharf darauf war, den beiden beim Kuscheln zuzusehen und außerdem dringend Mr. Fuji helfen musste. Vielleicht war er in Gefahr … wenn Team Rocket wirklich hinter der Sache mit dem Knogga steckte, dann waren sie es mit großer Sicherheit, die hier ihr Unwesen trieben und vielleicht sogar die Seelen der Verstorbenen damit störten. "Ich - ich hab einen G-geist gesehen!", brachte Green schließlich hervor. Er zitterte immer noch. Ich starrte ihn ungläubig an. "Das ist nicht dein Ernst!" "Doch, ich hab ihn gesehen!" "Du hast Angst vor Geistern?!" Völlig fassungslos starrte ich ihn an, wie er am ganzen Leib zitternd immer noch Red umklammerte, als ob dieser ihn beschützen konnte. Green funkelte mich an. "Das ist nicht lustig!" Doch ich musste mir tatsächlich das Lachen verkneifen. Ich hatte alles erwartet, aber das nicht. Ich grinste. "So so. Der großartige Green Ōkido hat also Angst vor Geistern." "Hey!" Ich stellte mich hinter Red und öffnete seinen Rucksack, um das Silph Scope herauszunehmen. "Gut, solange ihr zwei hier kuscheln wollt, gehe ich schon mal hoch und mache der Sache ein Ende." Bei diesen Worten ließ Green ihn so plötzlich los, als ob er gerade einen Stromschlag bekommen hätte. Er steckte die Hände in die Hosentasche und wandte sich verlegen ab, während ich mit dem Silph Scope an den beiden vorbeiging und den Fuß auf die erste Treppenstufe setzte. "Ich denke, ich weiß genau, was hier los ist. Ich werde mich um diese Sache kümmern. Inzwischen bin ich mir absolut sicher. Team Rocket steckt hinter der ganzen Sache." "Ich hab gesehen, wie einer von denen hier reingegangen ist", sagte Green, der sich jetzt zunehmend bemühte, seine Fassung wieder aufrecht zu erhalten. Wir beide starrten ihn an. "Wie bitte?!" "Ja! Deshalb bin ich doch überhaupt hier rein", erklärte Green und warf uns nur flüchtige Blicke zu. "Ich bin durch die Stadt gegangen und hab dann diesen Rüpel gesehen. Ich wollte wissen, was er hier treibt, und bin ihm gefolgt. Dann ist er hier in den Turm gegangen, nur deshalb bin ich überhaupt hier." "Das ist nur die Bestätigung. Gut, ich werde jetzt da raufgehen." "Das - das meinst du nicht ernst?!" "Doch, das tue ich. Es wird Zeit, dass eine rastlose Seele endlich ihren Frieden findet." "Aber - der Geist!" "Es gibt keine Geister", rief ich amüsiert und stieg die Treppe hinauf. Ich konnte es nicht fassen. Dass ausgerechnet Green Angst vor Geistern hatte, das hätte ich wirklich niemals vermutet. Aber scheinbar musste auch so ein großartiger Typ wie Green Ōkido zumindest eine kleine Schwäche haben. Ich war nun fast im obersten Stockwerk angekommen. Dort hinten musste die letzte Treppe sein. Und hier sollte dann vermutlich auch dieser Geist sein, von dem sie alle sprachen. Und der Green beinahe zu Tode erschreckt hatte. Ja, es amüsierte mich unheimlich. Ich näherte mich langsam der Treppe und leuchtete durch den Raum. Doch ich konnte absolut nichts Ungewöhnliches erkennen, das auf die Anwesenheit eines anderen Lebewesens hindeutete. Dabei musste es hier sein, hier irgendwo… "Rei!" Ich wandte mich um. Die beiden waren mir also doch noch gefolgt, wenn auch Green etwas widerwillig. Vielleicht waren sie auch einfach nachgekommen, weil sie sonst allein im Dunkeln gestanden hätten, was Green mit Sicherheit durch die Anwesenheit eines Geistes wohl nicht unbedingt beruhigt hätte. Red hingegen sah mir entschlossen ins Gesicht. "Du musst da nicht allein durch, wir kommen mit! Ich kann mir inzwischen auch denken, was hier vor sich geht. Und ich will, dass Team Rocket dafür bestraft wird!" "Sehr gut", sagte ich erleichtert und wandte mich der letzten Treppe zu. "Und wo hast du diesen Geist gesehen, Green?" "Da", sagte er bloß und deutete mit zittriger Hand auf die Treppe, die nur wenige Meter entfernt war. "Ich wollte nach oben gehen, und dann -" "Verstehe", sagte ich und lächelte. "Ihr müsst euch womöglich keine Sorgen machen." "Was? Keine Sorgen?!" "Das alles wird einen Grund haben, Green", hörte ich Red hinter mir sagen, während ich auf die Treppe zuging. Ich machte langsam einen Schritt vor den anderen. "Rei, tu das nicht!", rief Green, doch ich reagierte nicht. Und dann geschah es. Am Fuß der Treppe angekommen sah ich, wie etwas wie aus dem Nichts auftauchte. Langsam entstanden unheimliche Umrisse, die keine richtige Form zu haben schienen, und ein paar unheimlicher Augen sah mich wütend an. "Verschwinde von hier!" "Nein", sagte ich bestimmt, und setzte das Silph Scope auf. "Ich habe so eine Ahnung, wer du bist. Und das werde ich jetzt endgültig klarstellen." "Rei, was tust du da?!" Die Umrisse veränderten sich, als ich das Silph Scope einsetzte. Sie wurden klarer und nahmen allmählich eine Form an. Die Form eines Pokémon. Ich lächelte. "Du bist es also. Knogga." Hinter mir wurde es plötzlich still. Ich wandte mich zu den beiden um. "Es konnte nur diese eine Möglichkeit geben. Ich hab viel darüber nachgedacht, und es erschien mir nur logisch. Dieser Geist, von dem alle sprechen, ist die rastlose Seele eines Knogga. Dem Pokémon, dass wir vor der Stadt gefunden haben." "Du meinst - das ist gar kein echter Geist - sondern die Seele eines verstorbenen Pokémon?" "Genau, Green", sagte ich und wandte mich wieder dem Knogga zu, das mich misstrauisch beäugte. Doch ich verspürte keine Angst. Zumindest nicht vor ihm. "Wir haben deinen Körper draußen vor der Stadt gefunden. Danach sind wir sofort hierhergekommen. Im Augenblick sind bestimmt ein Dutzend Leute da draußen und suchen dein Junges. Ich habe Reina, ein Mädchen vom Waisenhaus, gebeten, sich sofort darum zu kümmern. Sie werden nicht ruhen, bis sie es gefunden haben. Es wird sich jemand um das Kleine kümmern. Darauf hast du mein Wort." Knogga hob den Kopf und beäugte mich weiterhin misstrauisch, doch weniger feindselig als zuvor. Es musste unheimlich aufgebracht sein und einen Hass auf die Menschen haben. Und dagegen musste ich etwas tun. "Sie sind dort oben, nicht wahr?", fragte ich und nickte mit dem Kopf in Richtung Decke. "Die, die dir das angetan haben. Die wahrscheinlich an dein Junges wollten, das du mit deinem Leben beschützt hast." Knogga nickte. "Gut." Ich zog Fukanos Pokéball vom Gürtel und wandte mich zu den anderen beiden um. Green hatte sich an Reds Arm geklammert und starrte wie gebannt auf den Geist, der sich für ihn nicht offenbarte. "Ich brauche eure Hilfe. Team Rocket hat dieses Knogga getötet, und das auch noch auf grausamste Weise. Red, du hast mich eben etwas bezüglich Team Rocket gefragt. Du kannst dir jetzt denken, wofür sie es brauchen. Um so etwas anzurichten wie das." Red schluckte. Ich nahm das Silph Scope ab und reichte es ihm. "Hier, bitte. Schließlich gehört es dir. Es gibt keinen Grund, weshalb wir uns fürchten müssten. Wenn wir Team Rocket von hier fortjagen und sicherstellen, dass Tragosso in guten Händen ist, dann wird auch Knogga seinen Frieden finden. Und das ist jetzt das Wichtigste, neben der Rettung von Mr. Fuji." "Also tun wir's!", sagte Red zuversichtlich und tat ein paar Schritte auf mich zu, dann wandte er sich an den letzten. "Und was ist mit dir?" "Nun -", setzte Green an und sein Blick wechselte zwischen uns und dem Geist hin und her. "Na ja … ich kann euch ja schlecht allein lassen, oder?" Ich grinste. "Natürlich nicht. Sonst würde es ja so aussehen, als ob du Angst hättest." "Ich hab keine Angst!" "Natürlich nicht", erwiderte ich amüsiert und atmete tief durch. "Gut. Dann gehen wir jetzt da hoch. Machen wir der Sache ein Ende, dann wird auch für alle wieder Frieden einkehren!" Ich war dankbar. Undendlich dankbar. Ich konnte es ihnen nicht sagen, weil sie es niemals verstehen würden, ohne dass ich ihnen meine ganzen Gefühle offenbarte … doch ich war so dankbar, dass sie mich nicht alleinließen. So ließ Knogga uns vorbei und sah uns in seiner Geister-Gestalt nach, wie wir zu dritt die Treppe hinaufstiegen. Dabei ließ Green es keine Sekunde aus den Augen und hielt so weit wie möglich Abstand. "Hey!", rief ich durch den Raum und hob die Taschenlampe. Ich war erleichtert. Am Ende des Raumes am Boden saß Mr. Fuji, gefesselt und geknebelt, doch er lebte, und er schien auch keine Verletzungen davongetragen zu haben. "Mr. Fuji!" Er wollte etwas sagen und schüttelte heftig den Kopf. Mir war klar, was er meinte. Ich hatte sie schließlich schon längst gesehen. Drei Rüpel traten aus der Dunkelheit und bauten sich vor uns auf. "Na sieh mal einer an", sagte der erste von ihnen und neigte den Kopf. "Da haben es doch tatsächlich welche zu uns geschafft." "Und dann auch noch drei Kinder", sagte der zweite und lachte. Der dritte nickte eifrig. "Na dann haben wir zumindest etwas, womit wir uns die Zeit vertreiben können." Mr. Fuji versuchte verzweifelt, sich aus den Fesseln zu befreien und schüttelte noch heftiger den Kopf. Doch ich konnte nicht umkehren. Nicht jetzt. Und auch vorher nicht. Ich hätte es nie gekonnt. "Ich bin nicht hier, um meine Zeit zu verschwenden. Ich will, dass ihr von hier verschwindet." Jetzt lachten sie alle. "Ach, und warum sollten wir das tun?", fragte der zweite und grinste bösartig. "Nur, weil du das sagst? Denkst du, wir haben Angst vor dir? Willst du uns wehtun?" "Wenn es sein muss", erwiderte ich scharf und hob den Pokéball hoch. "Wenn es sein muss, dann werde ich euch alle besiegen. Jeden Einzelnen. Stück für Stück." "Haha, was glaubst du denn, wer du bist?", lachte der erste. Meine Augen verengten sich. Eigentlich wäre es nicht klug gewesen, es ihnen zu sagen, doch mir war klar, dass sie längst von mir wussten. Demnach war meine Identität kein Geheimnis mehr, sondern die einzige Waffe, die ich neben meinem Team hatte. "Ich bin Lt. Katagiris Tochter." Das Lachen hörte schlagartig auf. Ich grinste unheilvoll. Meine Worte hatten ihre Wirkung getan. "Jungs, ich würde sagen, jeder von uns nimmt sich einen vor, was sagt ihr?" "Einverstanden", sagte Green und zog nun ebenfalls einen Pokéball. "Nichts lieber als das!", erwiderte Red und ließ an seiner Stimme erkennen, wie wütend er auf sie war. Zwei der Rüpel taten ein paar Schritt rückwärts, nur der erste starrte mich entsetzt an. "Du - du bist die Tochter von Lt. Katagiri?!" "Ja", sagte ich, ohne mit der Wimper zu zucken. "Leibhaftig." "Du bist ein Kind!" "Und dennoch hast du Angst vor mir?", fragte ich drohend und kam näher. "Na los, zeig dein wahres Gesicht. Ich mach euch alle fertig, wenn es sein muss. Ich habe keine Scheu, gegen euch anzutreten." Es trat eine lange Pause ein, in der nichts geschah. Ich wollte eigentlich erreichen, dass sie zuerst angriffen. Doch scheinbar hatten sie es tatsächlich mit der Angst zu tun bekommen. Und das bestärkte mich nur noch mehr, keine Miene zu verziehen und es ihnen heimzuzahlen. Es verstrichen lange Sekunden. Minuten. Sogar Mr. Fuji wurde wieder ruhig. Unsere Blicke trafen sich. Die Rüpel ließen uns keinen Moment aus den Augen. Und dann griffen wir beinahe alle gleichzeitig an. Die Rüpel warfen ein Smogon und zwei Zubat in den Kampf, wir hatten uns jeweils alle für unseren ersten Partner entschieden, sodass ihnen Schillok, Glutexo und Fukano gegenüberstanden. Es war einer der wenigen Momente, in denen Regeln keine Rolle mehr spielten. Wir warteten keine Sekunde ab, bis wir ihnen Aquaknarre, Glut und Biss befahlen, wir wollten ihnen keine Chance geben. Und glücklicherweise waren diese Rüpel tatsächlich nicht sonderlich stark. Auch ihr Golbat, Traumato und Rattfratz konnten den Attacken unserer Partner nicht standhalten. Es endete mit einer deutlichen Niederlage. Einer Niederlage, die den dreien noch mehr Angst jagte. "Wir - wir haben gegen ein paar Kinder verloren?!", brachte der erste heraus und starrte mich vollkommen schockiert an. Ich hielt seinem Blick stand. "Ja, das habt ihr. Und wir werden euch noch öfter das Handwerk legen, solltet ihr euch nicht zurückziehen. Ich weiß nicht, was euch antreibt. Und vielleicht will ich es auch nicht wissen. Aber ich will euch hier nie wieder sehen. Ist das klar?!" "Rei", begann Red hinter mir, doch ich streckte den Arm aus, den Blick weiter auf die Rüpel gerichtet. "Ich weiß, was ihr mit Tragossos Mutter gemacht habt. Und das ist unverzeihlich. Verlasst diese Stadt, und zwar für immer!" Die Rüpel tauschten Blicke. Dann wandte sich der erste wieder mir zu. "Gut, für dieses Mal habt ihr gewonnen. Aber wartet nur, das werden wir euch noch heimzahlen." "Ja, der Boss wird augenblicklich davon erfahren!", sagte der zweite und versuchte wohl, bedrohlich zu klingen. Doch er schüchterte mich nicht im Geringsten ein. Er brachte mir bloß ein amüsiertes Lächeln über die Lippen. "Na los, dann sagt es ihm. Sagt ihm, dass ihr von drei Kindern aufgehalten wurdet." Der dritte Rüpel sah nun noch entsetzter aus. "Niemals!" "Jetzt verschwindet von hier!", schrie ich beinahe und machte noch einen drohenden Schritt auf sie zu. Daraufhin schreckten sie zurück, und eilten den Blick immer noch auf uns geheftet vorbei hinüber zur Treppe. Wir sahen zu, wie sie verschwanden, als ich ihnen noch hinterherrief: "Sagt es ruhig eurem Boss! Und richtet ihm von mir aus, dass Rei Katagiri auf ihn warten wird!" "Rei, bist du verrückt?!", sagte Green fassungslos und starrte zuerst auf mich, dann auf die jetzt wieder leere Treppe, und wieder zu mir. "Du kannst es doch nicht wirklich darauf anlegen!" "Und ob ich das kann", entgegnete ich und lief los zum anderen Ende des Raumes. "Mr. Fuji!" Ich ließ mich vor ihm zu Boden fallen und befreite ihn von seinen Fesseln. Sobald er wieder sprechen konnte, legte er los: "Rei! Du bist vollkommen verrückt, du hättest niemals herkommen sollen!" "Aber jetzt bin ich hier", entgegnete ich und schnitt mit einem Messer die Fesseln durch. "Ich habe ein Ehrgefühl, das mir sagt, was ich zu tun habe. Sie haben doch nicht ernsthaft geglaubt, dass ich Sie einfach hier oben lasse?" "Aber - Rei!" Er war fassungslos. Hinter mir hörte ich einen leisen Aufschrei, und als ich mich umwandte, drückte sich Green ein wenig verängstigt an die Wand. Knogga war zu uns hochgeschwebt und sah uns an. Mr. Fuji hob den Kopf. "Du bist also die Seele des armen Knogga, das sie getötet haben." Der Geist nickte. "Nun. Hoffentlich findest du schnell deinen Frieden. Ich werde alles tun, um dein Junges zu finden." "Nicht nötig", sagte ich und stand auf. "Ich habe Reina gebeten, die anderen zusammen zu trommeln und das Kleine zu suchen." "Ihr wusstet also davon?", fragte Mr. Fuji erschüttert und stand langsam auf. Red nickte. "Ja, wir haben das Knogga draußen vor der Stadt gefunden, Rei hat sofort verstanden, was hier vor sich ging." "Aber - wie?!" "Das ist eine lange Geschichte", sagte ich und sah erleichtert in die Runde. "Wir können später in Ruhe darüber reden. Ich bin erst mal froh, dass wir diese Mistkerle von hier vertrieben haben. Danke euch, Leute. Wirklich." Ich konnte ihre Blicke spüren, und sah rasch zu Boden. Keine weiteren Fragen. Bitte… "Auch ich danke euch, ihr habt mich gerettet", sagte Mr. Fuji dankbar. "Durch euch ist wieder Ruhe eingekehrt. Und Knogga kann bald endlich seinen Frieden finden. Lasst uns zurückgehen, wir werden sicher schon vermisst." Und so stiegen wir wieder hinab. Ich konnte kaum beschrieben, wie erleichtert ich war, wie froh ich war, dass wir alle heil aus der Sache rausgekommen waren. Wir verließen den Turm, und trennten uns wieder. Green musste sich erst mal von seiner Begegnung mit dem Geist erholen und auch Red musste wohl einiges verarbeiten. So ging ich allein mit Mr. Fuji zu seinem Haus, in dem wir schon erwartet wurden. Die anderen waren wieder zurück. Reina hatte das Tragosso gefunden und sich darum gekümmert. Auch den Körper des toten Knogga hatten sie sorgsam eingepackt und mitgebracht, um es im Turm zu bestatten. Somit konnte Knogga auch endlich seinen Frieden finden, und auch die Geschichten über die Geister hörten somit wieder auf. Es war also alles nochmal halbwegs gutgegangen. Halbwegs… Es gab ein großes Essen. Sie waren alle gekommen, weil sie sich um Mr. Fuji gesorgt hatten, und waren alle mehr als froh, dass er heil zurückgekehrt war. Natürlich freuten sie sich auch, dass mir nichts passiert war und dankten mir, doch ich konnte darauf nichts erwidern. Ich wünschte einfach, ich müsste nicht länger so allein bleiben… "Hey, Rei!" Ich sah auf. Die Frau, die am Vorabend von den Geistern erzählt hatte, kam ins Esszimmer und deutete in Richtung der Haustür. "Da ist jemand, der glaube ich zu dir gehört." "Zu mir?", wiederholte ich irritiert. Und dann trat jemand neben sie ins Esszimmer. Und ich konnte kaum beschreiben, wie ich mich freute. "Green!" "Ich dachte, ich komme einfach mal vorbei. Ich hoffe, ich störe nicht", sagte er und schenkte mir ein, wenn auch noch etwas erzwungenes, Lächeln. Ich lächelte verhalten zurück und zog den Stuhl neben mir zurück. "Setz dich. Bei Mr. Fuji wird so großzügig gekocht, es ist immer genug für alle da." Er kam um den Tisch herum und setzte sich. Er schien beinahe wie zuvor, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob er nun alles halbwegs wieder in Ordnung war oder ob er immer noch spielte. Ich war jedenfalls froh, dass er da war. Kapitel 18: Lies ---------------- Es vergingen wenige Tage, in denen wieder Ruhe einkehrte. Die Geschichten über Geister, die im Turm herum spukten, waren endgültig beseitigt, Knogga war bestattet worden und die Stimmung war wieder um einiges fröhlicher als zuvor. Es gab nur noch zwei Dinge, die mich immer noch ein wenig beunruhigten: Red hatte die Geschehnisse offenbar noch nicht ganz überwunden, und Green verhielt sich nachwievor ein wenig seltsam. Nach Letzterem wollte ich natürlich nicht fragen, doch ein Teil von mir wollte es dennoch wissen. "Du gehst schon wieder?", fragte Mr. Fuji, als ich mich zur Tür wandte. Ich nickte, doch inzwischen konnte ich besser mit der Sache umgehen. "Ja. Aber ich will dort womöglich noch jemand anderen besuchen. Und mich von Carnino verabschieden." "Es ist also Zeit für dich, weiterzuziehen?" "Ja. Ich denke, ich bin so weit." Mr. Fuji lächelte und kam auf mich zu. "Rei. Ich weiß, dass du das womöglich nicht hören willst, aber du wirst uns fehlen. Wir hatten dich gerne bei uns. Und du sollst wissen, dass du jederzeit wieder herkommen kannst, wenn du hier bist." "Danke, Mr. Fuji", sagte ich ehrlich. "Danke für alles." Und zu meiner Überraschung schloss er mich plötzlich in seine Arme. "Du kommst wirklich sehr nach deinem Vater. Er wäre stolz auf dich. Auf alles, was du bisher getan hast. Pass auf dich auf." Er ließ mich wieder los. Und es wirkte beinahe so, als wären seine Augen mit Tränen gefüllt. Ich war mit der Situation ein wenig überfordert. Er schien mich wirklich gern zu haben. Ich wollte ihn erneut nach meinem Vater fragen, doch sein Blick verriet mir, dass ich nichts aus ihm herausbekommen würde. Also wandte ich mich langsam ab und verließ das Haus. Ich hätte nicht geglaubt, dass mir der Abschied so schwerfallen würde. Und es machte die Sache auch nicht besser, als ich ein letztes Mal Reina und die anderen besuchte. Sie wollte mich gar nicht erst gehenlassen. Doch es war nun mal das Beste, diese Stadt zu verlassen. Ich konnte nicht ewig hier bleiben. Es tat mir auf Dauer nicht gut. Und nicht nur mir… Also kehrte ich auch fürs Erste das letzte Mal in den Turm zurück. Ich wollte mich zumindest noch von Carnino verabschieden. "Du warst wirklich ein treuer Kamerad", sagte ich, als ich vor dem Grabstein niederkniete. "Es hat nie einen Partner gegeben wie du es warst. Ich werde dir das nie vergessen, was du alles getan hast. Und ich werde alles tun, damit du auch auf deinen Sohn stolz sein kannst. Du wirst immer in seinem Herzen bleiben, und auch in meinem." Ich stand auf und sah mich um. Jetzt war die Gelegenheit, um die Wahrheit herauszufinden. Aber irgendetwas in mir schien mich daran hindern zu wollen, als ob ich damit eine Grenze überschreiten würde. Überschritt ich damit denn wirklich eine Grenze, wenn ich mich an einem öffentlichen Ort umsah und zufällig etwas entdeckte, das lediglich meine Theorie untermalte? Oder sollte ich mich deshalb schlecht fühlen, weil es mich absolut nichts anging ich damit wirklich zu weit gehen würde? So oder so, es war mir nicht gleichgültig. Und ich wollte es wissen. Ich konnte es auch einfach für mich behalten, niemand musste je erfahren, dass ich hier war. Ich war niemandem Rechenschaft schuldig. Also konnte ich auch einfach so tun, als ob ich nie etwas gesehen hätte. Und dabei hatte ich ja noch nicht mal was gesehen. Ich atmete tief durch und wandte mich um. Keiner der wenigen Anwesenden achtete auf mich. Ich war also völlig unbeobachtet, und selbst wenn mir einer zusehen würde, würde er nichts sehen als einen Trainer, der sich einem Grab zuwandte. Und danach würde wohl niemand fragen. Langsam schritt ich an den Grabsteinen entlang. Aber nein. Ich konnte es einfach nicht. Ich hielt inne. Es war nicht an mir, ihm nachzuspionieren und herauszufinden, was er in diesem Turm gemacht hatte. Auch wenn ich es wissen wollte, es wäre etwas anderes gewesen, würde er es mir sagen. Vielleicht lag ich ja auch total falsch und interpretierte einfach zu viel in die Sache hinein. Ich sollte es am besten einfach lassen… Gut eine Viertelstunde später betrat ich das Pokémon-Center. Ich hatte mich entschieden, Red einen Besuch abzustatten. Ich wollte wissen, wie es ihm ging. Eigentlich war ich absolut nicht der Typ für Mitgefühl und Anteilnahme, die Welt war nun mal grausam und nicht so idyllisch, wie einige sie sich vorstellten. Damit musste man klarkommen. Und demnach war es mir auch recht egal, wie es anderen dabei ging, je früher man lernte, damit umzugehen, desto besser. Doch in diesem Fall war es anders. Es war mir nicht egal. Red war ein Freund, genau wie Green. Und auch wenn ich es mir absolut nicht eingestehen wollte … es ging mir näher als ich zunächst dachte. Ich stieg die Treppe zum oberen Stockwerk hinauf und überlegte, wie ich zu suchen anfangen sollte. Red hatte mir schließlich nicht gesagt, welches Zimmer er bewohnte. Und da ich weder eine Verwandte noch die Polizei war, würde mir wohl kaum einer Auskunft darüber geben. Also musste ich mir etwas anderes überlegen. Am oberen Treppenabsatz angekommen wandte ich mich zu beiden Seiten des Ganges. Es musste unzählige Zimmer hier geben, genau das richtige zu finden, würde wohl nahezu unmöglich sein. Doch ich war schließlich niemand, der leicht aufgab. Also machte ich mich auf die Suche. Einige Türen standen offen, hin und wieder eilte ein Trainer durch den Gang und von einer Tür zur anderen. Ich ließ den Blick an ihnen vorbeischweifen, doch Red schien bisher nicht dabei zu sein. Ich bog um die Ecke und ging den nächsten Gang entlang. Eigentlich war es wirklich aussichtslos, doch ich wollte nicht umkehren. Vielleicht würde ich ja Glück haben. Ich wollte zumindest wissen, wie es ihm ging. Schließlich … waren wir doch irgendwo Freunde. "Na sieh mal einer an." Ich schreckte zusammen und hob den Kopf. Ganz in Gedanken verloren wandte ich mich zu demjenigen um, der dort im Türrahmen eines der Zimmer stand und mich mit hochgezogenen Brauen musterte. "Was verschlägt dich denn hierher?" "Hey, Green", sagte ich und versuchte hastig, nicht allzu abwesend zu wirken und meine Haltung zu bewahren. "Ich dachte, ich könnte mal schauen, ob ich Red finde. Wollte mal sehen, wie es ihm geht." Greens Gesichtszüge erschlafften ein wenig. "Nun … nicht besonders gut. Du weißt ja, wie er ist." "Ihn nimmt das alles ganz schön mit, was?" Er nickte. "Warst du schon bei ihm?", fragte ich. Green versetzte mir einen vielsagenden Blick. "Natürlich. Aber er wollte lieber alleine in seinem Zimmer bleiben und hat mir gesagt, ich solle ihn in Ruhe lassen." Er trat zu mir in den Flur und zog die Tür hinter sich zu. "Gehst du weg?" "Nur ein bisschen die Beine vertreten", gab er ziemlich knapp zurück, und ohne mich anzusehen. "Ich will schließlich nicht den ganzen Tag hier drinnen hocken. Wenn du Reds Zimmer suchst, einfach den Gang lang bis zum Ende, dann rechts und die zweite Tür. Er wird dich nur wahrscheinlich nicht rein lassen." "Das lass mal meine Sorge sein." Green versetzte mir einen ziemlich finsteren Blick. "Ich mein es ernst. Es geht ihm gar nicht gut. Also erwarte nicht zu viel." "Ich hab selten hohe Erwartungen", gab ich zurück. "Ich werd sehen, was ich tun kann." "Gut." Er wandte sich ab und ging davon. "Viel Glück." Ich sah ihm nach, bis er um die Ecke bog und verschwunden war. Was trieben wir alle hier eigentlich für ein Spiel? Wieso machte es den Eindruck, als ob bloß einer dem anderen gleich die nächste Lüge auftischte? Irgendwie klang im Augenblick für mich nichts mehr glaubwürdig. Als wäre unser Leben nichts weiter als ein verlogener Haufen Müll. Es widerte mich an. Ich folgte Greens Beschreibung und stand schließlich vor der Tür, hinter der sich Red wohl völlig allein zurückgezogen hatte. Wahrscheinlich wollte er wirklich niemanden sehen, doch ich hatte meine Mittel und Wege, mich würde er nicht so schnell abwimmeln können. Allerdings bezweifelte ich auch, dass es Green wirklich egal war. In seinen Worten hatte ein eigenartiger Tonfall gelegen, als ob er mich sogar fast um Hilfe bitten würde… Ich klopfte an. Keine Reaktion. Ich klopfte wieder. Drinnen konnte ich Geräusche hören, doch es tat sich nichts. "Red, mach auf. Ich weiß, dass du da drin bist." Ich wartete. Doch immer noch tat sich nichts. Ich seufzte und hob die Stimme. "Entweder machst du mir die Tür auf und lässt mich rein, oder du musst damit leben, dass ich ganz plötzlich und unerwartet in deinem Zimmer stehe. Ich hab nicht nur Survival Trainings gemacht, ich kann auch sowas wie Schlösser knacken." Wieder wartete ich. Doch diesmal drangen lautere Geräusche durch, als ob jemand vom Bett aufstand und in Richtung Tür schritt. Und tatsächlich, nur wenige Sekunden später wurde innen ein Schlüssel rumgedreht und die Tür öffnete sie sich. Ich sah in Reds Gesicht, musterte ihn. Doch er sagte kein einziges Wort. Er sah mich bloß flüchtig an, wandte sich um und machte kehrt, ohne die Tür wieder zu schließen. Ich fasste dies als Einladung auf. Ohne zu zögern betrat ich das Zimmer, schloss die Tür hinter mir und wandte mich um. Zu beiden Seiten des einzigen Fensters im Raum standen zwei Hochbetten, und auf der rechten, unteren Matratze saß Red, die Beine halb angewinkelt und den Kopf an die Wand gelehnt. Er sah mich immer noch nicht wirklich an, nahm einen Gameboy vom Nachttisch und fixierte sich vollständig auf das Spiel, als ob ich überhaupt nicht im Raum wäre. Jetzt wusste ich, was Green gemeint hatte. Red schien völlig verschlossen, er machte nicht einmal den Anschein eines Versuchs, irgendetwas an sich heranzulassen. Doch so einfach würde ich nicht aufgeben, ich würde diesen Raum nicht verlassen, ohne ihn zum Reden zu bringen. "Was spielst du?", fragte ich, um ein Gespräch zu eröffnen. "Pokémon", gab er bloß zurück, ohne Blick davon abzuwenden. So deprimierend und drückend die Stimmung auch war, ich musste lächeln. "Das überrascht mich eigentlich nicht." Red sagte nichts. Ich holte tief Luft, wandte mich zur anderen Seite des Raumes und ließ mich auf der freien Matratze nieder, die Arme auf meine Knie gestützt. "Hör zu, Red. Ich komme gleich zur Sache, ich will nicht groß drum herum reden. Was in den letzten Tagen und Wochen hier passiert ist, geht uns allen nah. Sowas geht nicht spurlos an einem vorbei, an niemandem. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass solche Ereignisse uns aus der Bahn werfen." "Diese Mistkerle haben dieses arme, unschuldige Knogga zu Tode geprügelt, weil es sein Kleines beschützen wollte", sagte Red mit halb erstickter Stimme und hob den Kopf, sah mich jedoch immer noch nicht an. "Ich hab seinen toten Körper im Gras liegen sehen, wie soll sowas einen nicht aus der Bahn werfen?" "Ich weiß…" Ich konnte so sehr mit ihm fühlen. "Deshalb wollte ich auch nicht, dass du das siehst." "Dir hat es wohl weniger ausgemacht…" "Red", sagte ich scharf und sah ihn nun so durchdringend an, dass es ihn dazu veranlasste, mich wenigstens kurz anzusehen. "Jetzt hör mir mal zu. Das hat auch bei mir Spuren hinterlassen. Aber ich habe schon Schlimmeres durchgemacht und gesehen, als dass ich mich davon groß beeinflussen lassen könnte." "Schlimmeres?", wiederholte Red und riss die Augen auf. Ich befürchtete fast, dass er gleich losweinen würde. Hoffentlich nicht. Reden konnte ich ganz gut, wenn ich wollte, aber auf ausgewachsene Emotionen war ich nicht vorbereitet. Und seine Augen wirkten jetzt schon so gerötet, dass ich bereits mit dem Schlimmsten rechnete. "Was gibt es denn noch Schlimmeres?" "Frag mich bitte nicht…" Meine Stimme verlor sich. Es versetzte mir einen Stich. Ich wollte über ihn reden, nicht über mich. Kein bisschen. "Ich weiß inzwischen, dass dein Vater eine Art Held war und du verdammt stolz darauf bist. Aber ich bin nicht so knallhart wie du! Ich kann solchen Menschen nicht verzeihen, die so grausame Dinge tun, und ich werde sie auch niemals verstehen!" Ich senkte den Blick auf den Boden. Seine Worte trafen mich. "Was glaubst du eigentlich … denkst du, ich finde es cool, so hart zu sein? Bestimmt nicht. Ich tu das, weil ich es muss. Würde ich alles an mich heranlassen, jede kleinste Grausamkeit, die in dieser Welt geschieht, jede Ungerechtigkeit, dann wäre unfähig, überhaupt ein Trainer zu sein." "Tut mir leid, dass ich dann wohl zu schwach dafür bin", sagte Red mit einem gespielten Auflachen und wandte sich nun wieder seinem Spiel zu. Ich hätte ihn dafür ohrfeigen können. Es machte mich wütend, wenn jemand glaubte, ich wäre bloß eine gefühllose Kampfmaschine. Wäre das der Fall, dann wäre ich doch überhaupt gar nicht erst hergekommen! Und ich hasste es noch mehr, wenn sich Menschen grundlos fertigmachten. Dieser Idiot! "Red", setzte ich an, bemüht, nicht loszuschreien und meine zittrige Stimme im Zaum zu halten. "Ich sage nicht, dass du dich zu einem emotionslosen Mistkerl entwickeln sollst. Du sollst nur nicht alle Dinge so nah an dich heranlassen. Ich weiß, es ist nicht einfach. Absolut nicht. Aber wenn du dich in jede Situation reinhängst, gehst du nur selber dran kaputt. Was geschehen ist, ist geschehen. Wie mit diesem Knogga. Ja, es ist grausam und unverzeihlich, was Team Rocket getan hat! Aber Knogga ist tot. Egal, wie sehr du mitfühlst, es wird nie wieder zurückkehren. Es ist vorbei. Wir haben getan, was wir tun konnten. Wir haben dafür gesorgt, dass Knoggas Seele ihren Frieden gefunden hat und das Junge in Sicherheit ist. Und glaub mir, bei Mr. Fuji ist es in den besten Händen. Ich weiß, dass Reina sich darum kümmert." "Und was ist mit Team Rocket…" "Das überlässt du mir", antwortete ich selbstsicher. Meine Stimme hatte ihre Festigkeit wiedergewonnen. Zum Glück. "Ich hege einen persönlichen Groll gegen Team Rocket, belass es aber bitte dabei. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um diese Mistkerle zur Strecke zu bringen. Koste es, was es wolle." "Dafür hast du auf jeden Fall meine Unterstützung", sagte Red, nun etwas ruhiger, und tatsächlich lächelte er. Ich tat es ihm gleich. "Das ist lieb von dir. Aber zu deinem Besten, halt dich da raus. Ich meine es nur gut. Diese Typen im Turm, die waren nicht besonders stark. Und wir waren zu dritt, es war ein fairer Kampf. Aber die werden nicht immer fair kämpfen. Je gefährlicher wir werden, umso weniger werden die sich an irgendwelche Regeln oder Sitten halten. Wenn nötig, werden die uns auch mit allen Pokémon gleichzeitig angreifen. Ich muss hart trainieren, um sie schlagen zu können, und das so schnell wie möglich. Dass ich für die bloß ein Kind bin, ist mein Vorteil. Jetzt unterschätzen sie mich noch. So lange, bis sie wissen, dass meine Motive reichen, um mich anzutreiben, und ich ihnen eine gewisse Stärke voraushabe." "Glaubst du wirklich, das schaffst du?" Er wandte den Kopf und sah mir direkt in die Augen, besorgt. Ich erwiderte seinen Blick und nickte. "Ja. Das schaffe ich. Ich wollte auch eigentlich schon aufbrechen und das Training wieder aufnehmen, aber ich wollte auch nach dir sehen, deshalb bin ich hier." "Ja, jetzt bist du hier…" "Ja. So sind Freunde nun mal. Im Ernst, es ist wirklich nur ein gutgemeinter Rat von mir. Du hast ein großes Herz, vor allem für Pokémon. Das ist auch gut. Aber lass nicht jedes tragische Schicksal an dich ran. Diese Welt verlangt von uns, dass wir viel zu schnell erwachsen sein. Die wirklich guten Trainer durften auch nie wirklich Kind sein." "Ich hatte eigentlich eine recht glückliche Kindheit…", sagte Red nachdenklich, während er wieder weiterspielte, sich diesmal jedoch gleichzeitig auch voll und ganz auf unser Gespräch zu konzentrieren schien. "Ich kann mich zwar an meinen Vater kaum erinnern, aber ich hab immer glücklich mit meiner Mutter zusammen gelebt." "Und mit Green als besten Freund wohl auch", erinnerte ich ihn. Er nickte. "Ja, das auch … wir waren eigentlich schon befreundet seit ich denken kann…" "Siehst du?", sagte ich und lächelte amüsiert. "Du hast ein nettes Zuhause an einem ruhigen Ort, du hast einen guten Freund, deine Mutter, die dich sicher liebt, was willst du also? Ich für meinen Teil bin bloß ein armseliges Großstadtkind, das in eurem Dorf wohl bloß die Aufmerksamkeit aller und viel negative Kritik auf sich ziehen würde, dieses komische Kampfweib mit dem bösen Blick, das die ganze Zeit nur von Partnern und Kamerdschaft faselt und redet, als wären wir alle im Krieg." Ich hatte es geschafft. Red musste lachen. Ich war ungeheuer erleichtert. "Ja, manchmal bist du aber auch echt seltsam. Ich hab dich anfangs kein Stück verstanden. Und ehrlich gesagt, versteh dich immer noch nicht so wirklich." "Das macht nichts. Aber du willst wissen, warum ich so bin?" Jetzt fiel es mir um einiges leichter, über persönliche Dinge zu sprechen. Zumindest so weit, dass es nicht an meiner kaputten Gefühlswelt kratzte. "Wie du inzwischen ja rausgefunden hast, ja meine Familie hat zum Teil mit dem Militär zu tun. Mein Vater war Soldat, er hat vielen Menschen das Leben gerettet, unter anderem wohl auch Major Bob, wie ich jetzt weiß." Red ging offenbar ein Licht auf. "Dann habt ihr in der Arena über deinen Vater geredet?" "Ja. Die beiden haben mal zusammen gedient." "Deshalb warst du so seltsam … wir haben uns schon gewundert, wieso du so schnell abgehauen bist. Wir haben dich noch gesucht, aber du warst spurlos verschwunden." Ich nickte und versuchte, einen entschuldigenden Blick aufzusetzen. "Tut mir leid, es war einfach alles etwas viel. Ich hab ein paar Dinge erfahren, das musste ich alles erst mal in meinen Kopf kriegen. Er ist schon langer Zeit verschwunden und ich folge jedem kleinsten Hinweis, der mich zu seiner Arbeit und schließlich auch zu ihm führt." "Das muss hart für dich sein…" "Glaub mir, das ist es. Aber das hindert mich nicht daran. Würde es dich sicher auch nicht. Du würdest an meiner Stelle womöglich dasselbe tun." "Wahrscheinlich…" "Wie auch immer. Wenn ich ihn irgendwo in dieser Welt finden will, wo ihn nicht einmal die Polizei und das Militär gefunden hat, dann muss ich verdammt an mir arbeiten und trainieren, bis es kein Morgen mehr gibt! Ich muss Dinge ausblenden, Prioritäten setzen, stark sein. Nicht nur in der Einheit mit meinem Team, sondern auch in meinem Innern. Wenn ich innerlich Schwäche zeige, dann kann auch mein Team nicht stark sein. Pokémon spüren sowas noch besser als wir." "Ja, das tun sie", stimmte er mir zu. "Aber es ist eben nicht einfach, immer stark zu sein…" "Das ist richtig. Vielleicht wird von uns allen auch einfach viel zu viel verlangt. Ich sagte ja schon, diese Welt verlangt von uns, dass wir viel zu schnell erwachsen werden. Ich verlange nichts von dir. Aber bitte versprich mir, dass du dich von der Menschheit nicht unterkriegen lässt, okay? Bitte." Eine Weile sahen wir uns bloß an. Ich wusste nicht, was in ihm vorging. Ich hatte wirklich keine Vorstellung. Doch dann nickte er. "Gut, ich verspreche es." "Sehr gut", sagte ich und schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln. "Du bist gut. Du hast das Talent, um mal ein großer Trainer zu werden. Lass dir das niemals nehmen." Ein Lächeln stand ihm deutlich besser als diese Traurigkeit, die bis vorhin noch in seinen Augen geflackert hatte. Jetzt wirkte es auch nicht mehr so deprimierend, wie er dort auf dem Bett saß und Pokémon spielte, tatsächlich schien er nun eifriger dabei zu sein, als bisher. "Bist du gut?", fragte ich und nickte in seine Richtung. "Es geht", gab er abschätzend zurück. "Ich arbeite mehr daran, alle Pokémon zusammenzukriegen, als andere Trainer herauszufordern." "Sieht dir echt ähnlich. Ich würde ja eher durch die Gegend ziehen und alle plattmachen." "Willst du auch mal?", fragte Red plötzlich und hielt mir seinen Gameboy hin. "Ich hab noch mehr als genug zum Trainieren." "Gerne", sagte ich, streckte die Hand aus und nahm ihm den Gameboy ab. "Verdammt, ich hab das schon ewig nicht mehr gespielt. Wenn ich nur wüsste, wo ich meinen hingetan habe…" Ich merkte nicht einmal, wie die Zeit verging. Red schien wieder fröhlich, wir redeten viel über Pokémon, während ich einige auf seinem Spiel trainierte, als wäre nie etwas gewesen. Ich hoffte insgeheim, dass er sich meine Worte zu Herzen nahm und wirklich nicht länger alles an sich heranließ. Es würde ihm sicher guttun, nicht mit allem mitzufühlen. Red war wohl einer derjenigen, von denen man zu Recht sagen konnte, dass sie zu gut für diese Welt waren. Hoffentlich würde diese Eigenschaft für ihn in Zukunft nur positiv ausfallen… Die Sonne verschwand allmählich am Horizont und der Himmel verdunkelte sich, doch keiner von uns achtete darauf. Tatsächlich wusste ich nicht einmal, wie spät es war oder wie ich letztendlich wohl eingeschlafen sein musste. Irgendwann öffnete ich die Augen, einen Moment verwirrt, dass ich mich auf einem Bett wiederfand, das mir nicht vertraut war. Es brauchte eine Weile, bis ich mich erinnerte, dass ich im Pokémon-Center und dort in Reds Zimmer war. Ich warf einen Blick hinüber zum anderen Bett. Red schien tief und fest zu schlafen. Es musste schon sehr spät sein. Und eigentlich sollte ich gar nicht mehr hier sein. Ich war wohl noch beim Spielen eingeschlafen. Der Gameboy lag inzwischen ausgeschaltet wieder auf dem Nachttisch. Großzügig von Red, mich nicht einmal aufzuwecken. Ich setzte mich vorsichtig auf, um möglichst keine Geräusche zu machen. Vielleicht konnte ich mich davonschleichen, ohne dass jemandem auffiel, dass ich hier war. Also stand ich langsam auf und ging auf Zehenspitzen in Richtung Tür. Es konnte klappen. Ich musste einfach nur aus der Tür huschen und wäre dann so gut wie verschwunden. Doch - Ich schlug mir die eine Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien, als ich über etwas stolperte, mit der anderen Hand griff ich nach der Türklinke, um nicht auf den Boden zu fallen. Der Schreck saß noch, als ich mich umsah, um zu erkennen, worüber ich gestolpert war. Es war Reds Rucksack, den ich bei Tageslicht nicht einmal wirklich wahrgenommen hatte, und der jetzt umgekippt dalag, ein paar Pokébälle kullerten über den Teppich. "Verdammt", murmelte ich und sammelte die Pokébälle wieder ein. Ich wollte gerade den letzten greifen, als dieser plötzlich aufsprang. "Nein … nicht das auch noch…" Doch es war zu spät, um rechtzeitig zu reagieren. Das Rattfratz war aus seinem Pokéball gehüpft und sauste nun davon, gleich durch den schmalen Türschlitz, für den praktischerweise auch ich verantwortlich war, da ich mich ja unbedingt and er Türklinke hatte festhalten müssen, um mich aufzufangen. Na großartig. Hastig warf ich einen Blick hinüber zu Red. Er drehte sich gerade rum und kehrte mir so den Rücken zu. Doch seinem gleichmäßigen Atmen nach, war er nicht aufgewacht. Dem Himmel sei Dank. Ich war wütend auf mich selbst. Gut, das war dann wohl jetzt mein Problem. Also musste ich da durch. Ich nahm den leeren Pokéball vom Boden, warf einen letzten Blick hinüber zu Red, und huschte dann durch die Tür in den stockdunklen Flur. Ich konnte kaum etwas sehen. Das Zimmer war wenigstens noch durch das Fenster und die Laternen an der Straße beleuchtet gewesen, doch hier in den Gängen gab es keine wirkliche Lichtquelle. Ich schlich mich durch den Flur und tastete mich dabei an der Wand entlang. Es war stockdunkel. So würde ich wohl kaum ein Pokémon finden, vor allem nicht dieses Rattfratz. Warum um alles in der Welt musste er es auch wieder dabeihaben?! Die Minuten verstrichen, und es kam mir vor, als würde ich Stunden umherirren. Langsam gewöhnten sich meine Augen mehr und mehr an die Dunkelheit, doch eine besonders gute Sicht bot sich mir trotzdem nicht. Ich konnte zudem wohl kaum für Licht sorgen, ohne die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass hier jemand umherschlich, der gar nicht hier sein sollte. "Rattfratz, du bist echt anstrengend. Verdammt, wo bist du…" Ich war bestimmt schon eine halbe Stunde in diesen Gängen unterwegs, zum Glück ohne jemandem zu begegnen, es hatte also noch niemand bemerkt, dass irgendwas los war. Und dennoch warf ich jedes Mal, wenn ich an der Treppe zum Erdgeschoss vorbeikam, einen Blick hinunter und erwartete beinahe, dort jemanden zu sehen. Doch es war niemand da. Ich suchte jede Ecke ab, wagte es letztendlich sogar, die Treppe hinunterzugehen und dort nachzusehen. Doch außer einer ziemlich müde aussehenden Schwester Joy war niemand dort. Ich befürchtete fast, sie würde mich bemerken, als ich versehentlich mit dem Blick durch den Raum schweifend an eine Blumenvase stieß, doch genau in diesem Moment gähnte sie herzhaft, was das Geräusch wohl übertönte. Hastig eilte ich zurück, die Stufen hinauf und wieder durch die Gänge. Ich musste dieses Rattfratz finden, wie sollte ich Red bitte erklären, was passiert war? Mir fiel auf der einen Seite nichts anderes ein, als in Reds Zimmer zurückzukehren, schließlich konnte ich doch nicht einfach verschwinden, und andererseits egal wie, ich musste dieses Rattfratz um jeden Preis wieder einfangen! Also tastete ich mich weiter voran, schlich an den Zimmern vorbei und suchte dabei den Boden ab. Ich bog gerade um eine Ecke, da hörte ich etwas. Doch es klang nicht nach einem Rattfratz. Ich konnte es zunächst nicht zuordnen. Es war ein Geräusch, das aus einem der Zimmer drang. Ich kam vorsichtig näher, bemüht, bloß keinen Laut von mir zu geben und damit womöglich jemanden aufzuwecken, schlich die Türen nacheinander entlang, bis ich die richtige erreichte. Ich legte den Kopf an die Wand, um es besser hören zu können. Und jetzt wusste ich, was es war. Es klang, als ob dort jemand weinte. Nicht laut, doch gerade so, dass ich es hören konnte. Zudem hatte ich ein recht gutes Gehör. Ich seufzte lautlos. Es gab wohl noch andere Trainer außer uns, deren Leben gerade nicht so gut zu verlaufen schien. Aber da sollte ich mich nicht reinhängen. Ich hatte schließlich mit mir und den Jungs schon genug Probleme. Außerdem musste ich mich jetzt um dieses Rattfratz kümmern. Ich stieß mich von der Wand ab, warf noch einen kurzen Blick zur Tür und wandte mich ab. Doch genau in diesem Moment wandte ich mich erneut zur Tür um. Ich besah mir die Zimmernummer und ließ den Blick langsam durch den Flur schweifen. Mir gefror das Blut in den Adern. Wie gebannt starrte ich auf die Tür und hoffte, dass ich mich irrte. Im Dunkeln sah schließlich alles völlig anders aus als bei Tageslicht. Vielleicht irrte ich mich. Vielleicht aber auch nicht. Nein, eigentlich war ich mir sicher, dass… Ich schritt langsam auf die Tür zu, hob die Hand, die jetzt zitterte, und legte sie auf die Klinke. Es schoss mir alles durch den Kopf, ich wusste nicht, was ich tun oder sagen konnte. Wenn ich Recht hatte, dann… Ich zog die Hand zurück. Nein. So sicher ich mir auch war, ich wollte es nicht wissen. Wenn es wirklich sein Zimmer war, und er dort drinnen saß … dann wollte er so bestimmt nicht von irgendjemandem gesehen werden. Es war wohl das Beste, einfach so zu tun, als ob nichts wäre. Und dennoch, die Vorstellung, wie Green womöglich allein in diesem Zimmer saß und weinte … ich konnte mir weder die Situation vorstellen, noch den Grund. Schließlich handelte es sich um Green, dem arrogantesten und selbstgefälligsten Trainer, der mir je begegnet war. Widerwillig entfernte ich mich von der Tür und schritt rückwärts davon, den Blick jedoch nicht abgewandt. Ich ging so weit zurück, bis ich das Weinen nicht mehr hören konnte, dann wandte ich mich, den Blick immer noch auf die Tür geheftet, langsam ab und bog um die Ecke. Seit dieser Nacht habe ich angefangen, Green mit anderen Augen zu sehen. Ob ich nun Recht hatte oder nicht, es spielte keine Rolle. Je mehr ich an ihn dachte, umso klarer wurde mir, dass er deutlich mehr verbarg, als Red und ich vielleicht ahnten. "Rei." Ich zuckte zusammen und sah erschrocken auf. Es war Red, der jetzt den Kopf aus seinem Zimmer gestreckt hatte. "Was ist los?" "Ich hab Mist gebaut", flüsterte ich verärgert und bemühte mich, das eben Gehörte für diesen Moment komplett aus meinem Kopf zu verbannen. "Ich bin über deine Tasche gestolpert und dein Rattfratz ist wieder abgehauen, ich hab mich an der Türklinke festgehalten und die Tür dabei aufgerissen, ich Idiot. Jetzt suche ich schon seit bestimmt fast einer Stunde nach ihm." "Oh je", sagte Red leise und trat ebenfalls in den Flur. "Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe, ausgerechnet dieses Rattfratz zu fangen … suchen wir es besser, bevor es noch was anstellt…" Ich war noch ziemlich müde, als ich zum Frühstück ging. Kein Wunder, denn der Vorfall von letzter Nacht hatte mir echt den Schlaf geraubt. Immerhin hatten wir Rattfratz letztendlich unter einer alten Kommode im Flur gefunden und erfolgreich in seinen Pokéball zurückbefördert und wir hatten es doch für das beste gehalten, die Nacht einfach in Reds Zimmer zu bleiben, doch hatte die verbliebenen Stunden kein Auge zugetan. Red saß bereits als einziger von uns am Tisch und beschäftigte sich mit seinem Frühstück. Offenbar war Green dann noch in seinem Zimmer… "Morgen, Rei…", sagte Red bloß, als ich mich mit meinem Tablett ihm gegenübersetze. Er sah ebenfalls so aus, als ob er die Nacht kaum geschlafen hätte. Die Augen nur halb offen kaute er langsam an seinem Frühstück, während ich mich mit meinem ihm genau gegenübersaß und mir den diesmal wirklich sehr kurzen Schlaf aus den Augen rieb. "Du siehst auch nicht gerade wach aus", bemerkte ich und begann, zu essen. Er schüttelte bloß den Kopf und machte ein Gesicht als wollte er sagen: "Lass uns bloß nicht mehr drüber reden." "Gut", sagte ich bloß. Eine Weile herrschte Schweigen, doch es war erdrückend. Natürlich wusste Red nichts von dem, was ich letzte Nacht gehört hatte, und ich hatte gewiss nicht vor, mit ihm darüber zu reden, doch ich brauchte irgendein Gesprächsthema, irgendetwas, das bitte diese drückende Atmosphäre beseitigte. Doch leider fiel mir nur etwas Persönliches ein. "Sag mal … du meintest ja, du kannst dich kaum an deinen Vater erinnern. Was … ist denn mit ihm passiert?" Red hielt inne. Er warf mir nur einen flüchtigen Blick zu. "Er ist tot." Er versetzte mir einen Stich. Ich schluckte. "Oh … tut mir leid. Ich hätte nicht fragen sollen, das war dumm von mir." "Schon gut", winkte er ab und widmete sich wieder seinem Frühstück, ohne mich anzusehen. "Ich hab ja noch meine Mum. Wir kamen zu zweit immer sehr gut klar, ich habe keinen Grund, mich darüber zu beschweren. Na ja … ich wünsche mir zwar trotzdem manchmal, dass er noch da wäre … aber immerhin habe ich es besser als Green, seine -" Er brach ab und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich wollte er es sagen, aber nicht unbedingt die Familiengeschichte seines besten Freundes ausplaudern. Verständlich. Ich öffnete den Mund, um ihm etwas zu sagen, doch in genau diesem Moment stieß jemand dazu: Green. Im Gegensatz zu uns verschlafenen Geschöpfen war Green ordentlich angezogen und seine Frisur saß nahezu perfekt. Tatsächlich machte er den Eindruck, als hätte er keinen Schlaf nötig gehabt und sich lieber seinem Aussehen gewidmet. Red schien das Gleiche zu denken, denn er starrte ihn mit halb offenem Mund an, als wäre er nahezu schockiert. "Was ist?", fragte Green und nahm neben mir Platz. "Hab ich was im Gesicht?" "Nein…", murmelte Red und wandte sich wieder seinem Frühstück zu. Ich konnte mir ein belustigtes Lächeln nicht verkneifen, doch sogar das war zu anstrengend. Ich spürte Greens Blick und sah hastig woandershin. Ich wollte nicht, dass er mir ansah, was ich letzte Nacht mitbekommen hatte. Es war tatsächlich das Beste, so zu tun, als ob nie etwas vorgefallen wäre. "Wie um alles in der Welt kannst du morgens aufstehen und SO aussehen?" Red platzte so plötzlich damit raus, dass ich zusammenzuckte und eine Teil meines Essens vom Tisch warf. Green musterte mich nachdenklich. "Na du bist aber wohl ganz mit dem falschen Fuß aufgestanden. Und was meint er damit?" "Er meint", erklärte ich, während ich die Überreste vom Boden aufhob, "dass normale Menschen, die morgens aufstehen, in Etwa so aussehen wie Red und ich im Moment. Du hingegen passt da überhaupt nicht ins Bild." Green zögerte. Er blinzelte, starrte mich einen Moment lang an, dann sagte er irritiert, als ob wir von selbst darauf hätten kommen müssen: "Es kann ja nicht jeder so großartig aussehen wie ich." Wäre ich in besserer Verfassung gewesen, hätte ich sogar lachen können. Doch ich verzog keine Miene. Mir war nicht nach Lachen zumute, absolut nicht. "Und, wo wart ihr gerade?", fragte Green beinahe gut gelaunt und es war klar, dass er auf unser Gespräch anspielte. Wahrscheinlich hatte er uns schon von Weitem reden sehen. "Wir waren beim Thema Eltern", sagte ich trocken und sah Green flüchtig an. "Genau genommen bei deinen." Er hielt inne. Ganz langsam wandte er sein Gesicht zunächst an Red, sah ihn wütend an, dann an mich. "Kümmer dich um deinen eigenen Kram." "Das war meine Schuld…", sagte Red entschuldigend und starrte auf seinen Teller. "Ich hätte nicht davon anfangen sollen, tut mir leid." Green versetzte ihm einen durchdringenden Blick. Mir wurde nur noch schlechter, als mir ohnehin schon war. Scheinbar hatten wir gerade auch noch einen wunden Punkt getroffen. Ich hatte wohl im Augenblick ein Talent dafür, sorgfältig in den Wunden anderer herumzustochern. Wirklich ganz großartig. "Ich hab nichts erzählt!", sagte Red hastig. Er musste sich wirklich elend fühlen. Doch Green ging absolut nicht darauf ein, wandte sich bloß seinem eigenen Frühstück zu und fragte mit recht kühler Stimme: "Hast du gestern Nachmittag auch noch Post von Opa gekriegt? Er beschwert sich, dass ich im Augenblick nicht vorankomme und wohl nur auf der faulen Haut liege." "Ja, den hab ich auch gekriegt … aber er hat mich bloß gefragt, wie es bei mir mit dem Pokédex läuft und ob ich vielleicht Tipps brauche, er könnte mir noch ein paar Ratschläge geben." "Hätte mir eigentlich klar sein müssen…" Ich sprang auf und schob mein Tablett weiter in die Mitte des Tisches. Die anderen beiden starrten mich an. "Was ist los, Rei?", fragte Red erschrocken. Doch ich schüttelte nur angewidert den Kopf. "Vergesst es, ich krieg sonst noch das Kotzen." Ich packte meinen Rucksack vom Boden, warf ihn mir über und verließ zügig das Pokémon-Center. Ich hatte mich nicht einmal mehr zu den beiden umgedreht. Ich hatte es satt, so verdammt satt. All diese Lügen, die Schauspielereien, nichts davon war wirklich ehrlich. Ich hatte es endgültig satt. Eigentlich hatte ich mir geschworen, ihm nicht nachzuspionieren, doch im Augenblick war mir alles egal. Ich rannte zurück in den Turm, vorbei an neugierigen Blicken der Leute, die gerade ihre Liebsten besuchten, die Stufen hinauf bis hin zu der Stelle, an der ich Green zum ersten Mal in Lavandia getroffen hatte. Ich versuchte, mich möglichst genau zu erinnern. Wo genau hatte er gestanden? Und wo hatte er hingesehen? Ich ließ den Blick über die Namen unzähliger Verstorbener wandern, über Daten und Inschriften, und mit jedem einzelnen fühlte ich mich unwohler. Ich sollte nicht nachspionieren. Doch wenn es wahr war … dann konnte ich nicht so tun, als ob nie etwas passiert wäre. Mir wurde eiskalt. Ich ging auf die Knie und betrachtete einen der Grabsteine. Rattikarl. Darunter die aktuelle Jahreszahl. Ich hob den Kopf und starrte ins Leere. Also hatte ich zumindest damit schon mal Recht gehabt. Das erklärte auch, wieso er hier gewesen war, und wieso er es nicht mehr im Team gehabt hatte. Natürlich hätte er es auch einfach ablegen können, doch daran glaubte ich nicht. Denn das wäre des Zufalls einfach zu viel gewesen. Viel zu viel. Ich hatte meine Entscheidung getroffen. Gut eine halbe Stunde später rannte ich ins Pokémon-Center zurück, eilte die Treppe hinauf und jetzt bei Tageslicht konnte ich auch viel besser erkennen, wo genau ich war. Ich ging an den Türen vorbei, zählte sie ab, bis ich mir sicher war, an der richtigen angekommen zu sein. Ich klopfte nicht einmal, jetzt war keine Zeit für Höflichkeiten. Es war zum Glück nicht abgeschlossen, sodass ich einfach ohne jede Vorwarnung ins Zimmer treten konnte. Mein ganzer Körper zitterte vor Anspannung. Green, der gerade noch zum Fenster hinausgesehen hatte, wandte sich um, als die Tür mit einem Schwung aufging. Mit hochgezogenen Brauen starrte er mich an. "Also da, wo ich herkomme, klopft man erst mal an." "Du glaubst gar nicht, wie verdammt egal mir das gerade ist!", entgegnete ich und bereute es nicht einmal. Ich war so aufgewühlt und wütend auf alles, dass mir mein Tonfall vollkommen egal war. "Pack deine Sachen, sofort!" "Bitte?!" Ich stieß mit dem Fuß die Tür zu, atmete einmal tief durch und versuchte es etwas ruhiger: "Ich mein das ernst. Pack deine Sachen, wir verschwinden von hier." "Seit wann hast du über mich zu entscheiden?" "Seit du scheinbar selbst keine Entscheidungen mehr über dich treffen kannst", sagte ich und musterte ihn mit durchdringendem Blick. "Im Ernst. Wir alle sind aus bestimmten Gründen hier und hängen an diesem Ort fest. Ich weiß das." "Tatsächlich." Er wandte sich wieder ab und sah aus dem Fenster. "Was weißt du denn schon. Was geht dich das überhaupt an." "Du brauchst mir nichts vormachen", sagte ich ernst, und nun wirklich um einiges ruhiger, und ging nun ebenfalls hinüber zum Fenster. Ich wandte Green das Gesicht zu, doch es kümmerte ihn nicht. Er war geradezu dabei, seine übliche Fassade mit aller Gewalt aufrecht zu erhalten. "Ich mache niemandem was vor." "Oh doch, das tust du! Ich hab diese Lügen langsam satt! Ich weiß, warum du immer noch hier bist, und glaub mir, es ist keine gute Idee, ich weiß genau, wovon ich rede!" "Einen Dreck weißt du." "Green, jetzt hör auf damit. Bitte. Pack deine Sachen, ich hole Red und dann verschwinden wir von hier. Endgültig." "Gib dir keine Mühe, Red ist schon längst weg." "Was?" Ich starrte ihn ungläubig an. Green wandte den Kopf und versetzte mir einen vielsagenden Blick. "Ja, nach dem Brief von meinem ach so tollen Opa ist er gleich auf und davon. Den Pokédex vervollständigen, nehme ich an." "Warum sagst du das in diesem Unterton?" "Weil auch ich es langsam satt hab", gab er kühl zurück und fing an, seine Sachen einzusammeln. Wenigstens schien es, als würde er auf mich hören. Ich musste ihn aus dieser Stadt kriegen, egal mit welchen Mitteln. Sie tat uns auf Dauer allen nicht gut, und Green scheinbar am wenigsten. "Und jetzt hör auf, mich ständig nach irgendwas zu fragen. Ich hab nicht vor, dir mein ganzes Leben auszubreiten." "Das musst du auch nicht", erwiderte ich und wandte mich wieder zur Tür. "Ich will ehrlich sein. Es ist besser, wenn wir diese Stadt so schnell wie möglich verlassen." "Du musst es ja wissen." "Green. Du brauchst mir nichts vorzuspielen." "Rei, ich -" Ich wusste, dass er etwas dazu sagen wollte, doch ich schüttelte den Kopf. Er brauchte die Worte nicht auszusprechen, es genügte, dass ihm klar war, dass ich es wusste. "Ich weiß. Diese Stadt tut uns nicht gut. Sie macht uns alle depressiv." Er sah mich einen Moment lang nur an, dann nickte er langsam und machte sich weiter daran, seine Sachen zu packen. Ich machte langsam ein paar Schritte zurück und wandte mich wieder zur Tür. "Ich warte unten auf dich." "Rei?" "Ja?" Ein letztes Mal drehte ich mich um. Green stand da und sah mich nun weniger kühl an, als ob er jemand völlig anderes wäre als der, zudem ich zuvor ins Zimmer geplatzt war. "Danke." Ich nickte bloß und lächelte leicht. Dann verließ ich das Zimmer, schlenderte durch den Flur und stieg die Treppe hinunter, um im Erdgeschoss auf ihn zu warten. Je schneller wir aufbrachen, umso besser. Völlig egal, welchen Weg wir einschlagen würden, Hauptsache weit weg von hier. In der Hoffnung, dass diese Lügen bald endlich aufhören würden… Kapitel 19: Fears ----------------- Ich saß auf einem der Stühle des Centers, die Hände krampfhaft in den Schoß gelegt, um mich von meinem letzten Gefühlsausbruch runterzubringen, den Rucksack zwischen meinen Füßen. Ich hätte Green nicht so angehen sollen, doch ich hatte den Eindruck, dass er verstanden hatte. Manchmal war es vielleicht auch notwendig, einen etwas raueren Ton anzuschlagen. Ich hatte es schließlich nur gut gemeint. Und ich hoffte, dass er es auch so sah. Es dauerte nicht lange, da kam Green schon die Treppe herunter. Ich stand langsam auf, warf mir den Rucksack über die Schulter und ging auf ihn zu. Er hatte definitiv seine Fassade wieder aufgebaut, doch sie wirkte nicht mehr so übertrieben wie vorhin. Er wirkte wieder so großartig wie zuvor. Wir tauschten bloß kurze Blicke, doch keiner sagte etwas. Ich konnte an seinen Augen sehen, dass es vorerst genug der Worte war. Dies war weder der richtige Ort, noch der richtige Zeitpunkt. Also gingen wir. Ohne überhaupt besprochen zu haben, welche Richtung wir einschlagen wollten, verließen wir das Pokémon-Center und wandten uns nach Westen auf die nächste Route. Route 8, die die kleine Stadt Lavandia mit meiner Heimat, Saffronia City, verband. Vielleicht war es an der Zeit, nach Hause zu gehen. Wir erreichten den Weg, der uns aus der Stadt führt, als Green plötzlich noch einmal innehielt. Er wandte sich um, ich folgte seinem Blick, der sich auf den Pokémon-Turm richtete. Ich konnte es nicht länger mit ansehen. "Lass es, bitte", flehte ich leise und schob ich sachte weiter auf den Weg. "Ich weiß, es ist nicht einfach. Aber du kannst mir glauben, ich weiß sehr gut, wovon ich rede, verdammt gut…" Er wehrte sich nicht, und wir betraten die Route 8, die uns hoffentlich so schnell wie möglich weit weg von Lavandia bringen würde. In den letzten Wochen war so viel passiert, zu viel. Viel zu viel, das eigentlich nicht hätte sein sollen… "Du warst auch nicht ohne Grund dort drin, hab ich Recht?", fragte Green plötzlich, nachdem wir bereits einige Minuten einfach schweigend nebeneinander hergelaufen waren. Ich nickte. "Ich war wegen Carnino dort." "Wer ist Carnino?" Ich holte tief Luft. Ich spürte erneut diese Anspannung, doch die Wahrheit zu sagen, war das einzige, das mir jetzt helfen konnte. "Das Arkani meines Vaters. Der treueste Kamerad, den man sich vorstellen kann. Mein Fukano ist im Übrigen sein Sohn." "Wie - wie ist er gestorben?", fragte Green vorsichtig. Ich musste lächeln. Ich hatte ihn bisher noch nicht so reden hören. Er konnte also auch freundlich und mitfühlend sein. Als ob ich innerlich jemals daran gezweifelt hätte. Doch es erleichterte mir die Sache, ihm von Carnino zu erzählen. "Ich war selbst nicht dabei, ich habe erst später davon erfahren. Es passierte auf der Rückfahrt vom letzten Einsatz meines Vaters. Die Einheit sollte am Abend in Orania City ankommen. Ich habe mich damals so gefreut, meinen Vater endlich wiederzusehen. Wir alle haben am Hafen gewartet, meine Mutter, meine Großmutter und ich. Wir sahen das Schiff, und ich bin fast geplatzt vor Aufregung. Doch als es näherkam, da wussten wir, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich hatte so ein seltsames Gefühl, etwas war anders. Wir konnten Menschen schreien hören, irgendetwas ging da vor sich, doch keiner konnte etwas erkennen." Ich machte eine kurze Pause und wir gingen einfach weiter nebeneinander her, ohne dass Green weiter nachhakte. Er schien eher darauf zu warten, dass ich von selbst erzählte. Also setzte ich erneut an: "Wie gesagt, irgendetwas ging da vor sich. Was auch immer, ich wusste es nicht, wie konnte ich auch. Ich war zu klein, um es zu verstehen. Ich erinnere mich auch nicht mehr an alles. Aber ich weiß noch, dass plötzlich die Polizei am Hafen war. Wir wurden fortgeschickt, alle. Es brach eine Panik aus, alle liefen wild durcheinander … ich konnte nichts mehr sehen, weil ich zwischenall den Erwachsenen einfach viel zu klein war. Ich hab meine Mutter verloren, war völlig allein, meine Großmutter hat mich schließlich gepackt und von dort weggetragen. Ich weiß nicht, was genau passiert ist. Ich erinnere mich nur noch an die lauten Schreie, die Verzweiflung, die Angst … es war der Tag, an dem mein Vater verschwand. Einige Leute hatten das Schiff überfallen, dabei wollten sie wohl ein kleines Mädchen entführen, dass bei dem Einsatz gerettet wurde, aber sie haben es nicht geschafft. Dank Carnino. Carnino hat das Mädchen gerettet, und dafür sein Leben gelassen. Er starb auf diesem Schiff. Ich hab damals sehen können, wie sein lebloser Körper an Land getragen wurde. Er hat gekämpft, bis zum bitteren Ende. Er wurde getötet, um an dieses Mädchen heranzukommen." "Das muss schrecklich gewesen sein…" "Ja, war es", stimmte ich zu und warf ihm einen kurzen Blick zu. "Danach begann auch schließlich die große Suchaktion. Mehrere Soldaten aus der Einheit waren wohl plötzlich spurlos verschwunden. Darunter mein Vater. Natürlich war sofort klar, dass sie gegen ihren Willen mitgenommen worden waren, der Vorwurf, sie würden zu diesen Leuten gehören, war schnell vom Tisch." "Und du bist sicher, dass es nicht freiwillig war?" "Todsicher!", entgegnete ich scharf und funkelte ihn böse an. "Ich weiß, er ist meine Familie, aber ich schwöre dir, bei allem, das mir heilig ist, mein Vater würde sich niemals auf kriminelle Machenschaften einlassen! Erst recht nicht, wenn sein treuster Kamerad dafür sein Leben lassen muss! Außerdem hätte es seine Ehre verletzt!" "Schon gut, schon gut, ich hab's nicht so gemeint!", sagte er hastig und hob entschuldigend die Hände. "War ja nur eine Frage. Ich meine, vielleicht steckte ja einer der anderen drin. Kann doch sein." "Möglich. Ich kenne niemanden von ihnen, nicht mal einen Namen. Gut, ich weiß jetzt, dass Major Bob auch in der Einheit war, aber ich bezweifle stark, dass er in der Sache drinsteckte." "Hat man denn je rausgefunden, wer dafür verantwortlich war?" "Offiziell nicht." "Was heißt das bitte, offiziell nicht?", fragte Green, und ich konnte seinen durchdringenden Blick förmlich spüren. Ich biss mir auf die Lippe und wandte ihm erneut das Gesicht zu. "Was glaubst du wohl? Carnino ist verblutet. Weil er ausgepeitscht wurde." Es brauchte keine weiteren Worte, damit er begriff. Ich sah ihm direkt in die Augen, deren Ausdruck ich nicht ganz deuten konnte. Aber es reichte, um mich ihm zumindest ein wenig zu öffnen. "Ich hab die Vermutung schon länger. Sie kennen wohl auch meinen Vater, so wie sie reagiert haben, als ich ihnen gesagt habe, wer ich bin." "Deshalb also hast du ihnen deinen Namen gesagt? Und ich hab mich schon gefragt, was um alles in der Welt du dir dabei gedacht hast." "Ja, es war idiotisch nicht?", sagte ich und grinste. "Es hätte keinen Unterschied gemacht. Sie wüssten schon lange, wer ich war. Aber das war eben die wirkungsvollste Waffe, die mir zur Verfügung stand." "Du hättest sie einfach erledigen können!" "Sie wären alle auf einmal auf uns losgegangen, hätte ich sie damit nicht einschüchtern können! Wie auch immer, wir leben. Eigentlich wäre es unser Glück, wenn wir diesem Team Rocket nie wieder begegnen würden. Aber ich bezweifle, dass das der Fall sein wird. Ich glaube, die werden wir schneller wiedersehen, als uns lieb ist. Und für den Fall, der mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintreten wird, da ich garantiert nach diesen Mistkerlen suchen werde, will ich vorbereitet sein." Ich drehte mich und lief rückwärts weiter, um Green direkt ansehen zu können. "Ich habe also vor, mich gleich ins Training zu stürzen. Ich bin in den letzten Wochen so weit zurückgefallen, dass wir einiges wieder aufholen und uns verbessern müssen. Ich werde mich noch mehr reinhängen als bisher, denn dieser Kampf wird kein gewöhnlicher sein. Es ist kein Kampf mehr, es ist Krieg. Und darauf muss ich vorbereitet sein. Bist du dabei?" "Was, mit dir Krieg zu führen?", fragte Green mit hochgezogenen Brauen und lachte. Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu. "Ich werde dich nicht mitziehen lassen, falls du darauf aus bist. Aber ein Training ist nicht besonders effektiv, wenn man dabei nur gegen schwache Gegner antritt. Ich brauche Hilfe von jemandem mit Erfahrung." "Ich weiß, dass ich gut bin", gab er zurück und breitete die Arme aus, als ob dies selbstverständlich wäre. Ich zwinkerte ihm zu. "Natürlich bist du das. Du bist eben der Beste." "Na, sag ich doch." "Also, was ist, wird der großartige Green Ōkido mir nun helfen oder nicht?" Ich blieb stehen und sah ihn erwartungsvoll an. Green hielt ebenfalls inne und musterte mich abschätzend. Es hatte offensichtlich funktioniert. Er schien langsam wieder der alte, arrogante, selbstgefällige Trainer zu werden, wie ich ihn bisher kannte. Auch wenn ihn diese Eigenschaften sicher bei einigen Leuten anecken ließen, ohne sie war er einfach nicht mehr er selbst. Und ich würde kein zweites Mal mit ansehen wollen, wie so etwas passierte. "Ja, ich denke, das wird er", sagte Green schließlich. "Ein bisschen Training würde wohl auch meinem Team guttun, also ist uns beiden damit geholfen." "Gut, dann los", strahlte ich und ging voran, um mich nach einem geeigneten Platz umzusehen. Green wartete einen Moment, bis er mir schließlich folgte und mir nachrief: "Übrigens: Schön, zu sehen, dass du auch zu sowas wie einem herzlichen Lächeln fähig bist!" Es war, als würde ich wieder anfangen zu leben. Ich konnte mich endlich frei bewegen, ohne Schmerzen, die mich wieder zu Boden warfen. Ich fühlte mich besser, seit wir diese Stadt verlassen hatten. Ob es nun die eigenartige Aura von Lavandia war, oder einfach, weil ich mit Green trainierte, ich konnte es nicht sagen. Aber endlich fühlte ich mich wieder frei. Als würde ich mich zum ersten Mal in meinem Leben richtig austoben, meine angestaute Energie endlich freilassen. Die Stunden rasten nur so dahin, doch müde wurde keiner von uns. Sogar Fukano war wieder fröhlich und strotzte nur so vor Energie. Und als die anderen eine Pause einlegten, wollte er immer noch nicht aufhören. Erst, als es langsam dunkel wurde, beendeten wir das Training. Fukano schien davon gar nicht begeistert. Doch uns beiden war klar, dass er nur darauf aus war, Greens Fukano zu sehen. Die beiden verstanden sich wie Brüder. Inzwischen war es Abend. Wir hatten eine gute Stelle gefunden, an der wir die Nacht verbringen konnten. Und so saßen wir nach unserem knappen Abendessen zu zweit am Feuer und waren bloß in Gedanken. Ich wollte es nicht sagen, aber an diesem Tag hatte ich so viel Spaß gehabt wie schon lange nicht mehr. Es hatte gutgetan. Mehr als gut. Doch jetzt, wo wir einfach so dasaßen und uns anschwiegen, kehrten unzählige Gedanken in meinen Kopf zurück, die ich eigentlich lieber beiseite schieben wollte. Außerdem war es beinahe unerträglich warm. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und sah bloß stier ins Feuer. Das Knistern beruhigte mich, doch die Hitze wurde beinahe unerträglich. "Wieso ziehst du die Jacke nicht aus?", fragte Green plötzlich. Mein Magen verkrampfte sich. Ich sah ihn nicht an und schüttelte den Kopf. "Nein, es geht schon." "Was ist mit dir los? Dir ist doch total warm, und sonst bist du doch auch immer nur mit Top rumgelaufen. Außerdem ist es heiß, du schwitzt wie ein Jugong in der Sonne! Ich -" "Ich sagte nein!" Meine Stimme war so laut geworden, als ich ihm wütend das Gesicht zuwandte, dass Green mich erschrocken ansah und augenblicklich verstummte. Sein Blick ruhte eine Weile auf mir, doch ich wandte mich gleich wieder dem Feuer zu. Mein Magen verkrampfte sich nur noch mehr. Mir wurde schlecht. Green nickte und wandte seinen Blick ebenfalls in Richtung Feuer. Er hatte hoffentlich verstanden, dass ich es nicht wollte. Dass ich etwas verbergen wollte. Kein Wunder, er war doch schließlich alles andere als dumm. Und dennoch… Ich hielt es nicht mehr aus. Ohne ein Wort zog ich mir die Jacke aus und warf sie achtlos neben mich. Meine Augen waren immer noch auf die tänzelnden Flammen gerichtet, die nun durch das Licht das Ausmaß meiner Verletzungen beleuchteten. Ich hörte, wie Green erschrocken einatmete. Er wartete eine Weile, bis er etwas dazu sagte. "Das ist es also, was du die ganze Zeit versteckst." Ich sagte nichts. Am liebsten hätte ich mir Jacke sofort wieder übergezogen, um diese Narben zu verdecken… "Es hat damit zu tun, was im Felstunnel passiert ist, nicht wahr?" Wie gern hätte ihm gesagt, er sollte einfach seinen verdammten Mund halten. Ich wollte nicht, dass diese Sache jemals den Felstunnel verließ, niemals. Ich lehnte mich ein Stück zur Seite, um besser an eine meiner linken Hosentaschen zu kommen, und zog etwas heraus. Ich hielt es Green hin. "Hundemarken?", sagte er und nahm sie in die Hand. Ich nickte. "Ja. Die meines Vaters." Ich ließ sie in seine Hand fallen, damit er sie sich besser ansehen konnte. "Wenn er nicht im Einsatz war, habe ich sie immer bei mir getragen. Sie sind sowas wie ein Glücksbringer für mich. Als wenn mein Vater immer bei mir wäre, egal, was passiert." Ich war wieder um einiges ruhiger. Eigentlich hatte ich nie vorgehabt, mit irgendwem darüber zu reden, doch jetzt, wo ich schon einmal an diesem Tag zu reden angefangen hatte, bemerkte ich, wie gut es eigentlich tat. Ich schaffte es sogar, Green endlich anzusehen. "Mein Vater hat mich früher viel auf seine kleinen Expeditionen mitgenommen. Wir haben versteckte Orte erkundet, sie erforscht, nach Schätzen und unentdeckten Pokémon gesucht. Seen, Wälder … und auch Höhlen." Ich senkte den Blick auf den Boden. "Ist … ist irgendwas damals passiert?" Ein Zögern lag in Greens Stimme. Ich versuchte es mit einem Lächeln, ohne den Blick vom Boden abzuwenden, und sprach einfach weiter: "Ich habe unsere Expeditionen geliebt. Und ich hatte Angst. Aber ich war nun mal ein Kind, und dann ist es normal, Angst zu haben. Mein Vater hat mich immer ermutigt, versucht, mir die Angst zu nehmen. Er hat mir Mittel und Wege gezeigt, wie ich aus jeder unangenehmen Situation wieder rauskomme. Wir waren beide immer schon sehr naturverbunden. Er hat mir viele Tricks gezeigt, um mich allein in der Wildnis zurechtzufinden, sollte ich einmal in eine solche Situation geraten." Er grinste leicht. "Tja, das erklärt wohl, wieso du immer so gut vorbereitet bist." "Ja, das erklärt es", gab ich zurück und schaffte es nun wirklich zu einem Lächeln. "Man kann nie gut genug vorbereitet sein, gerade, wenn man allein da draußen ist. Es kann immer irgendetwas passieren, die Vorräte gehen aus, man wird angegriffen, man verliert die Orientierung…" "Ich nehme an … dir ist sowas schon mal passiert?" Das seltsam verkrampfte Gefühl in meinem Magen löste sich allmählich auf. Es war, als hätte ich all das schon lange jemandem erzählen wollen, jemandem wie Green. Und in dem Moment verlor ich auch all die Hemmungen und durchbrach die Barriere, die ich mir mühsam aufgebaut hatte, um mich vor anderen zu schützen. "Nein, nicht direkt…", setzte ich an und sah hinauf in den sternenbesetzten Himmel. Es war ein klarer Abend. "Dank des Survival Trainings, das ich mit meinem Vater gemacht habe, war ich bisher nie in einer wirklich ausweglosen Situation, wenn ich draußen irgendwo war. Zudem war er ja immer bei mir, er hat mich nie wirklich aus den Augen gelassen. Er war immer für mich da, egal, was passierte. So auch dieses eine Mal…" "Was ist passiert?", fragte Green leise, aber deutlich. Ich zögerte, dann begann ich, ihm meine Geschichte zu erzählen: "Mein Vater hatte eine Höhle entdeckt, die er erkunden wollte. Und begeistert wie ich war, wollte ich ihn natürlich begleiten. Er stimmte zu und nahm mich mit. Meine Großmutter war besorgt und zweifelte daran, dass es das Richtige für mich wäre, schließlich war ich noch klein. Doch ich wollte so unbedingt. Also kam ich mit. Wir machten uns auf den Weg zu dem Ort, den er entdeckt hatte, mit kompletter Ausrüstung, sollte etwas passieren und wir vielleicht länger fort sein müssen. Er war immer auf alles vorbereitet. Wir durchstreiften den Wald, beobachteten die Pokémon aus sicherer Entfernung und genossen einfach den Anblick der Natur. Und schließlich erreichten wir diese Höhle, von der er so begeistert und neugierig gesprochen hatte. Er war immer Feuer und Flamme, wenn er einen neuen Ort entdeckt hatte, den er erkunden wollte. Er lebte dafür. Nun … jedenfalls sind wir dort rein. Es war stockdunkel, doch Carnino, der uns immer begleitet hat, beherrschte Blitz. So konnten wir uns gut durchschlagen. Mein Vater markierte die Wände, damit wir uns nicht verlaufen würden. Ein bisschen Angst hatte ich schon, doch mein Vater wusste, wie er mich aufmuntern und mir die Angst nehmen konnte. Er gab mir seine Hundemarken und sagte, sie würden mich beschützen, egal, was passiert. Ich hab sie fest in meine Hand geschlossen, und hatte dann auch keine Angst mehr. Also gingen wir weiter, und drangen immer tiefer in die Höhle ein, hinein ins Unbekannte." Ich sah Green an. Er lauschte gespannt meinen Worten und sagte nun kein einziges mehr. Das machte es mir leichter, über meine Vergangenheit zu sprechen. Über etwas, das ich bisher noch nie jemandem erzählt hatte. "Dann ist es passiert. Irgendwo musste es einen Erdrutsch gegeben haben, die ganze Höhle erzitterte unter dieser Last … Felsbrocken fielen herab, ich verlor die Orientierung, ich hatte keine Ahnung mehr, wo ich war. Und dann war es nur noch dunkel. Ich war eingeschlossen, ich sah nichts, ich hörte nichts. Ich war völlig allein. Ich hab versucht, irgendein Geräusch zu hören, was zu sehen, ich hab mich an den Wänden entlang getastet, doch ich konnte mich nicht mal wirklich rumdrehen … ich war komplett eingeschlossen … ich wartete, lange … es kam mir vor wie Stunden … doch nichts geschah…" Unbewusst fuhr ich mit den Fingern über die Narben und wandte wieder den Blick ab. "Du hast keine Ahnung, wie das ist. Eingeschlossen in einer vollkommenen Dunkelheit, viel zu eng, um sich zu bewegen. Ich wusste nicht einmal mehr, aus welcher Richtung ich gekommen war, da waren überall nur Felsbrocken, die mir den Ausweg völlig versperrten … ich habe damals wirklich geglaubt, ich würde dort nie wieder rauskommen. Ich war mir sicher, das wäre das Ende. Ich würde dort sterben. Ich hab geweint vor Angst, die Hundemarken umklammert und bloß noch auf den Tod gewartet." Ich hob den Kopf, um Green in die Augen zu sehen. Es war schwierig, ihren Ausdruck zu deuten. In ihnen lag eine Mischung aus Entsetzen und Mitgefühl, das ich bisher so gar nicht von ihm kannte. Und er sagte immer noch kein Wort. "Irgendwann, als ich schon dachte, ich wäre tot, da hab ich was gehört", fuhr ich fort. Meine Stimme war inzwischen nicht mehr so fest. Die Erinnerungen fanden zurück in meinen Kopf und spielten sich wie lebende Bilder vor meinem geistigen Auge ab, als wäre das alles soeben erst passiert. Als wäre es erst kürzlich gewesen, und nicht vor Jahren. Ich schluckte. Ich versuchte bloß, die Fassung zu bewahren und weiterzusprechen. "Es war eine Stimme. Die meines Vaters. Er rief nach mir, doch ich war zu erstarrt, um zu reagieren. Ich bekam zunächst keinen Ton raus. Ich war verstummt. Als ob ich zu sprechen verlernt hätte. Ich saß einfach nur da, weinte stumme Tränen. Und wartete auf den Tod. Ich hatte noch nie solch eine Angst. Nie. Irgendwann … da hörte ich ein Geräusch, und die Stimme meines Vaters drang immer lauter zu mir vor. Ich begriff, dass sie real war, dass sich das nicht in meinem Kopf abspielte. Ich versuchte ebenfalls, laut zu schreien. Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich es geschafft habe. Ich weiß nur noch … wie ich eine Art Graben gehört habe … und die Stimme meines Vaters, die immer wieder nach mir rief … und irgendwann sah ich ein Licht. Es hat mich fast geblendet. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich realisieren konnte, was dort geschah. Carnino hatte angefangen, zu graben. Er war es, der mich aus dieser Enge befreite. Ich hab nur noch mehr geweint, als ich das Licht sah, und mein Vater hob mich über die Felsbrocken und trug mich raus. Carnino führte uns, den ganzen Weg zurück, ich hab bloß die Augen geschlossen und die Hundemarken fest umklammert … und dann sah ich wieder das Tageslicht. Die Sonne. Und mir wurde klar, dass es nichts Schöneres auf der Welt geben würde als das Licht und die Wärme der Sonne. Aber seit diesem Tag … habe ich Angst vor Höhlen." Als ich den Satz beendet hatte, sah ich Green erwartungsvoll an. Ich rechnete mit irgendeiner Reaktion, doch tatsächlich schien er zu getroffen, um irgendetwas zu sagen. Ich konnte ihm ansehen, dass er innerlich nach Worten rang, doch er brachte zunächst nichts heraus. "Tja, jetzt weißt du es", sagte ich schließlich, lehnte mich zurück und stützte mich auf den Händen ab. "Ich dachte, ich könnte irgendwann damit umgehen. Im Mondberg ging es ja auch, aber ihr wart dabei und es war hell, vielleicht deswegen. Aber der Felstunnel…" "Der ist stockdunkel, ich weiß", brachte Green schließlich heraus, wenn auch recht leise. "Das muss ein Alptraum für dich gewesen sein. Hattest du denn keinen Blitz?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Wir sind im Dunkeln da durch." "Himmel, du bist doch verrückt!" Er fand offensichtlich seine Stimme wieder. "Nach dem Ereignis wäre ich niemals allein im Dunkeln dort reingegangen!" "Ich hatte nicht mehr die Zeit, mich darum zu kümmern … ich wollte so schnell wie möglich nach Lavandia, und hab dabei nicht vorausgedacht. Green, sollte ich jemals wieder so etwas Dummes machen, bitte, halt mich auf." Doch ich konnte dabei sogar lachen. Green starrte mich ungläubig an. "Sowas Dummes? Du kannst dich drauf verlassen, dass du sowas nie wieder in deinem Leben tun wirst! Das ist nicht mal dumm, das ist wahnsinnig! Das wär ja fast, als würde ich in den Pokémon-Turm einziehen!" Doch auch er lachte darüber. Es tat unheimlich gut. "Apropos Pokémon-Turm", warf ich ein und musterte ihn mit einem Grinsen. "Warum um alles in der Welt hast du Angst vor Geistern?" "Keine Ahnung, was weiß ich!", antwortete er und gab mir die Hundemarken zurück, die ich nun wieder sorgfältig in meine Hosentasche steckte. "Gewöhnlich hat sowas doch einen Grund, so ziemlich jede Angst entwickelt sich erst später im Leben." "Ich hab ehrlich keine Ahnung", lachte er und zuckte die Achseln. "Ich weiß es nicht, das hatte ich irgendwie immer schon. Jetzt zieh mich aber nicht jedes Mal damit auf!" "Nein, mach ich nicht", sagte ich augenzwinkernd und hörte nicht auf, zu grinsen. "Ich werde dich nur dein Leben lang daran erinnern, wie du Red schreiend in die Arme gelaufen bist und ihn umarmt hast, den Grund dafür lasse ich schön außen vor." "Hey!" Ich sprang lachend auf, bevor er mich schlagen konnte, und hielt gezielt von ihm Abstand. "Na, war das nicht so? Und hast du dich nicht später wieder an ihn geklammert, als wir weiter oben waren?" "Das - das ist doch nicht wahr!", rief er entsetzt und sprang nun ebenfalls auf. "Das hab ich nie gemacht!" "Doch, hast du", sagte ich und lief weiter davon. "Hab ich nicht!" "Oh doch, das hast du." "Das ist nie passiert!" "Doch, ist es." "Na warte!" Ich lief ums Feuer herum und blieb stehen, während Green mir hinterherrannte und mich offensichtlich packen wollte, doch ich war schneller, ergriff seine Handgelenke und hielt sie fest. "Ja, worauf soll ich denn warten?" Er funkelte mich an, doch er wusste wohl, dass ich nur meine Späße trieb. Ich musste zugeben, dass es auch geradezu verlockend war. So konnte ich mein Grinsen auch nur langsam abstellen, als wir uns so gegenüberstanden und direkt ansahen. Ich hörte augenblicklich auf, ihn zu ärgern, und sah ihm einfach nur in die Augen. Lange. Und es war beinahe, als ob die letzten Wochen nie gewesen wären. Ich hatte mich lange nicht mehr so gut gefühlt. "Green … es gibt zwei Dinge, die ich gerne loswerden möchte." "Was denn?", fragte er. Einen Moment zögerte ich. Es war wieder so ein Moment, in dem mir das Sprechen schwerfiel. "Zum einen … das, was ich dir vorhin gesagt habe … das habe ich dir nie erzählt, okay?" Er nickte. "Verstanden. Von mir wird niemand etwas erfahren, kein Wort. Und was ist das zweite?" Ich öffnete den Mund, um es zu sagen, doch brachte ich zunächst wieder kein Wort heraus. Ich versuchte, den Blick von ihm abzuwenden, ließ ihn aber immer noch nicht los. "Keine Lügen mehr. Bitte. Es ist das eine, über bestimmte Dinge nicht zu reden. Du willst nicht über deine Eltern reden, ich nicht über meine Mutter oder was genau im Felstunnel vorgefallen ist. Das müssen wir jeweils respektieren. Aber ich will nicht, dass wir uns gegenseitig anlügen. Diese Schauspielerei, ich hab das so satt. Es ist für mich kein Problem, Fremde anzulügen. Aber was uns betrifft, und auch Red, da will ich diese Lügen nicht. Versprich mir bitte, dass wir das sein lassen, okay?" Green starrte mich einen Moment lang nur an. Er zögerte, doch dann nickte er schließlich. "Ab jetzt keine Lügen mehr. Versprochen." "Ich danke dir", sagte ich leise, und ich ließ meine Hände langsam sinken. Kapitel 20: Rainbow's colors ---------------------------- Es war früh am Morgen. Ich hatte mich bereits mehr oder weniger ausgeschlafen, ganz im Gegensatz zu jemand anderem, der immer noch seelenruhig dalag und fest schlief. Wir hatten am Abend noch lange geredet, vielleicht zu lange. Und so kurz die Nacht für mich letztendlich gewesen war, hatte ich seit Langem nicht mehr so gut geschlafen. Einen Moment lag ich einfach nur da, wandte den Kopf zur Seite und strich mir das vom Schlaf zerzauste Haar aus dem Gesicht. Green hatte mir den Rücken zugekehrt und schien wirklich fest zu schlafen. Vielleicht hatte er auch eine bessere Nacht verbracht im Gegensatz zu den letzten. Ich hoffe es für ihn. Vielleicht würde jetzt alles wieder besser werden… Ganz langsam setzte ich mich auf. Ich wollte ihn auf keinen Fall aufwecken, wenn er schon schlafen konnte. Also versuchte ich, langsam aufzustehen und möglichst keine Geräusche zu machen. Green regte sich ein wenig, doch er wachte nicht auf. Ich sah für einige Sekunden auf ihn herab. Auch sein Haar war vom Schlaf völlig zerzaust, doch selbst auf die Weise sah er immer noch gut aus. Ich musste mich tatsächlich fragen, wie er das eigentlich machte. Er war mir definitiv ein Rätsel. Ich wandte den Blick schließlich von ihm ab und sah mich um. Wenn ich schon so früh auf war, konnte ich wenigstens schon mal meine Sachen waschen. Dank des gestrigen Training hatten nicht nur meine Pokémon, sondern auch ich des Öfteren im Dreck gelegen. Wie gut, dass wir unser Lager gleich nahe eines Flusses aufgeschlagen hatten. Vorsichtig schlich ich mich hinüber zu meinem Rucksack, neben dem ich meine Klamotten hingelegt hatte, und warf dabei einen flüchtigen Blick über die Schulter. Doch Green schlief immer noch weiter und schien nicht zu bemerken, dass ich bereits auf den Beinen war. Ich war froh darum. Ich konnte mir schließlich auch gut vorstellen, dass er die letzten Wochen eher weniger Schlaf bekommen hatte, wie Red und ich wahrscheinlich auch. Ich nahm Hose, Top und Jacke vom Boden und wandte mich Richtung Fluss, der ein Stück hinter den Bäumen und Sträuchern lag. Besser ich kümmerte mich so schnell wie möglich darum, damit wir schleunigst weiterziehen konnten. Ich wollte Granny eigentlich so schnell wie möglich wiedersehen, es war einfach so viel passiert… Es knackte unter meinen Füßen. Ich zuckte zusammen und sah hinab. Durch meine inzwischen recht ausgeprägte Unaufmerksamkeit war ich auf einen Ast getreten, der nun unter lautem Knacken zerbrochen war. Ich biss die Zähne zusammen und wandte den Kopf. Green zuckte, drehte sich zur Seite und öffnete schließlich langsam die Augen. Verdammt, eigentlich hatte ich das vermeiden wollen. "Rei…?", fragte er noch halb verschlafen und starrte mich verdutzt an. Dann bemerkte er wohl, dass auch ich ihn anstarrte, und zog sich hastig die Decke über den Kopf. "Verdammt, was wird das?!" Ich war verwirrt. "Was wird was?" "Sieh mich nicht so an!" "Wie seh ich dich denn an?", fragte ich immer noch verwirrt. Er hob die Decke ein Stück an, sodass er mich gerade so böse anfunkeln konnte, und mir ging ein Licht auf. Ich legte den Kopf schief und grinste. "Sag bloß, weil ich dich mal nicht ganz so großartig gesehen habe wie sonst? Nun … dann ist es wohl zu spät, ich hab deine zerzauste Frisur bereits gesehen. Und dieses Bild wird für immer in meinem Gedächtnis bleiben." Er gab ein unzufriedenes Geräusch von sich und sah mich weiterhin böse an. Ich verschränkte die Arme und starrte ihn belustigt an. "Jetzt sei nicht so ein Mädchen. Ich hab's gesehen, ob du das wahrhaben willst oder nicht. Es bringt nichts, wenn du dich jetzt versteckst." "Warum tust du das?" "Warum tu ich was?" "Du weißt genau, was ich meine!" Und schließlich zog Green doch noch die Decke von sich und setzte sich auf, sodass seine zerstörte Frisur erneut gut zur Geltung kam. Verärgert wandte er mir das Gesicht zu. "Wenn du das irgendjemandem erzählst…!" "Mach ich nicht. Versprochen." "Ich meine das ernst!" "Hey, glaubst du, ich lüge dich an? Ich werd niemandem was sagen. Ich finde trotzdem, du siehst - " "Noch ein Wort…!" Ich gluckste. "Tut mir leid. Aber du siehst echt knuffig aus." Er warf mir einen letzten trotzigen, beinahe vernichtenden Blick zu, und wandte sich ab. Wenig später hatte ich mich am Ufer niedergelassen und genoss die angenehme Morgenluft. Ich hatte schon fast vergessen, wie sie sich anfühlte. Zu lange hatte ich in einem Bett geschlafen, zu viel Zeit hatte ich in irgendwelchen Gebäuden verbracht, fern der Natur. Ich hatte einiges aufzuholen. Ich schloss die Augen, genoss das Gefühl des angenehmen, leichten Windes auf meiner Haut, die ersten Sonnenstrahlen… Wie schön es doch war, endlich wieder lebendig zu sein. Ich öffnete die Augen und griff nach meinen Sachen. Je schneller ich damit fertig war, umso eher waren sie wieder trocken und ich müsste den ganzen Tag halbnackt rumlaufen. Fukano wollte ich besser noch nicht als Hilfe benutzen, ich war mir nicht sicher, ob er sich wirklich unter Kontrolle haben und nicht doch am Ende alles in Brand setzen würde. Also legte ich gleich los. Währenddessen überlegte ich, wie ich eigentlich weiter vorgehen wollte. Die Vorfälle hatten mich so aus der Bahn geworfen, dass ich meine Ziele für eine gewisse Zeit völlig aus den Augen verloren hatte. Dank Green waren mein Team und ich halbwegs wieder fit, doch ich brauchte noch andere würdige Gegner, um mir dessen wirklich sicher zu sein. Ein Arenaleiter wäre gut. Und die nächste Arena befand sich sogar in Saffronia City, ich konnte also gleich Granny besuchen. Sie würde sich sicher freuen, mich zu sehen. Schließlich hatte ich mich schon lange nicht mehr bei ihr gemeldet. Und von den Ereignissen der letzten Wochen ahnte sie sicher noch nichts … es war vielleicht auch besser so, sie hätte sich sonst definitiv Sorgen gemacht. Und ich wollte sie nicht beunruhigen. Besser, sie erführe erst jetzt davon, wo alles vorbei war und es mir gutging. Ich stand auf und warf das Top über einen der Äste eines Baumes, damit es trocknen konnte. Blieb noch die Hose. Verdammt, warum hatte man mich auch so durch die Gegend jagen lassen müssen, dann wäre mir das erst mal erspart geblieben. Andererseits, hätte ich mein übliches Training fortgesetzt, wäre es mir wohl kaum besser ergangen. Schließlich gehörte voller Körpereinsatz dazu. Ohne Körpereinsatz kein gutes Training. Ich saß gerade wieder am Ufer, um mich nun der Hose zu widmen, als ich Schritte durchs Gras auf mich zukommen hörte. Green kam gerade um einen der Sträucher herum, als sein Blick auf mich fiel und er sich erschrocken die Hände vor den Mund schlug und hastig wieder umdrehte. "Verdammt, Rei, wieso sagst du nichts?!" "Was?", fragte ich verwirrt und starrte auf seinen Rücken. "Was ist denn mit dir nicht in Ordnung?" "Du hättest doch sagen können, dass du so gut wie nichts anhast!" Ich blinzelte einen Moment verdutzt. "Ist das dein Ernst? Na, du bist ja drauf. Sag bloß, du hast noch nie ein halbnacktes Mädchen gesehen." "Nein?!", rief er entsetzt und blieb weiterhin von mir abgewandt. "Da, wo ich herkomme, lernt man Anstand!" "Hach, manchmal kannst du echt süß sein. Was ist nur los mit dir?", sagte ich amüsiert und wandte mich wieder der Hose zu. "Hätte nicht gedacht, dass dich das so verstört. Ich mein, wen kümmert in dieser Welt schon bitte Anstand? Offenbar niemanden. Außer dich natürlich." "Red würde das genauso sehen!" "Gut, der auch. Aber ich kann dir versichern, dieser Anblick wird nicht dein Leben zerstören. Außerdem wäre das jetzt gar nicht nötig gewesen, wenn du mich gestern nicht so durch die Gegend gescheucht hättest, unser Kampffeld hat sich ja schön weit ausgedehnt. Also stell dich nicht so an. Übrigens, wie wäschst du denn bitte deine Sachen, wenn dich diese Situation schon so verschreckt?" "Es gibt eine Reinigung?!" "Für sowas gebe ich doch kein Geld aus." Ich stand auf und warf die Hose auf den nächsten freien Ast, dann ging ich hinüber zu Green, immer noch amüsiert über sein Verhalten. "So, meine Sachen müssen jetzt erst mal trocknen, also was willst du tun? Dich den ganzen Morgen weigern, mich anzusehen? Na bitte, wenn du willst." Ich hüpfte gut gelaunt an ihm vorbei und ließ mich neben meiner Tasche ins Gras fallen. Dabei warf ich einen weiteren Blick auf Green, der inzwischen rot geworden war und nun wieder verlegen in eine andere Richtung sah. "Hättest du nicht wenigstens so lange noch deine Schlafsachen anbehalten können?!" "Die hängen da drüben", sagte ich und deutete auf den Baum, an dem ich alles zum Trocknen aufgehängt hatte. "Braucht noch eine Weile." "Wozu hast du ein Fukano, das dir helfen kann?!" "Ich bin doch nicht wahnsinnig!" "Soll ich dir meins ausleihen?" "Untersteh dich!" "Du machst mich fertig…" Ich seufzte, zog eine Decke von meinem Schlafplatz und warf sie mir um. "So besser, Mr. Ōkido?" "Danke", sagte er und klang dabei sogar wirklich ein wenig verärgert, doch wenigstens hörte er auf, wie unter Zwang in eine andere Richtung zu starren. "Was ist nur los mit dir?" "Was meinst du?", fragte ich unbekümmert und begutachtete die Sträucher neben mir, um mir ein paar genießbare Beeren zu pflücken. Tatsächlich hatte ich Glück. "Du bist total aufgedreht!", bemerkte Green und fixierte mich. Ich konnte seinen durchdringenden Blick spüren und ließ langsam die Hand sinken, mit der ich gerade ein paar der Beeren abgepflückt hatte. "Ich fange gerade wieder an, zu leben. Sowohl äußerlich als auch innerlich. Green, ich will dir nichts vorhalten, aber ich bin vor ein paar Wochen fast gestorben. Es grenzt fast an ein Wunder, dass ich immer noch lebe. Mit der Zeit hat sich mein Körper erholt, aber Lavandia ist einfach nicht der richtige Ort, um sich von seelischen Verletzungen zu erholen. Es war gut, dass wir die Stadt verlassen haben. Nicht nur für mich, für dich genauso." "Ich hatte meine Gründe, weshalb ich dort war." "Ich auch. Mr. Fuji hat mich davor gewarnt, und trotzdem habe ich jeden Tag Carnino besucht. Es ist nichts falsch daran, den Toten die Ehre zu erweisen. Aber auf Dauer macht es einen kaputt. Wenn ich das nächste Mal in Lavandia bin, werde ich Carnino wieder besuchen. Aber ich werde diese Stadt dann auch so schnell wie möglich wieder verlassen. Es mag diese eigenartige Aura sein, eine von Felsen umzingelte, kleine Stadt, umgeben von all den Toten … sie tut uns nicht gut. Und manchmal muss man sich eben von den Dingen entfernen, die einem nicht guttun, auch wenn es einem schwerfällt." "Lass uns besser nicht mehr darüber sprechen", bat er und senkte den Blick auf den Boden. "Sonst hätten wir auch gleich in Lavandia bleiben können…" "In Ordnung." Einen Moment lang herrschte Schweigen und die einzigen Geräusche drangen vom Wasser des Flusses her, vom Wind, der durch die Blätter raschelte, und dem Zwitschern der Vögel. "Ich geh mich frisch machen", sagte Green schließlich und wandte sich ab. Ich nickte. "Ist gut." Er ging um die Sträucher herum und streckte noch einmal den Kopf zurück. "Und du bleibst, wo du bist!" "Keine Sorge, ich bin doch kein Spanner", erwiderte ich und fing an, die Beeren zu essen. Ich musste grinsen. Was glaubte er denn. Als ob ich ihm gleich nachlaufen und ihn beobachten würde. Ein klein wenig Anstand besaß sogar ich. Immer noch in die Decke eingewickelt ließ ich mich ins Gras fallen und schloss wieder die Augen. Warum wollte ich eigentlich überhaupt in die Stadt gehen? Hier hatte ich doch alles, was ich wollte, was also brauchte ich mehr? Ich war viel zu lange von alldem ferngeblieben… "Wie sind eigentlich deine Pläne?", fragte Green einige Zeit später, als er zurückkam und anfing, seine Sachen zusammenzupacken. "Weiß nicht", sagte ich achselzuckend. "Eigentlich würde ich gerne ein wenig hier bleiben, andererseits hänge ich ziemlich zurück, ich sollte mich der nächsten Herausforderung stellen." "Also suchst du wie ich nach einer Arena", schloss er und ließ sich mir gegenüber im Gras nieder. Er sah nun wieder so perfekt aus wie immer. Tatsächlich fragte ich mich für einen Moment, wie um alles in der Welt er das eigentlich jeden Tag schaffte. Allein für die Haare hätte mir schon die Geduld gefehlt. "Das trifft sich jedenfalls gut, dann machen wir uns auf in die nächste Stadt, ich hab erst drei Orden, fehlen noch ein paar…" "Hast du vor, zur Liga zu gehen?", fragte ich und streckte die Hand aus, um ihm ein paar Beeren anzubieten. Green beäugte mich misstrauisch. "Hey, die sind schon nicht vergiftet! Ich habe mehr als genug Zeit in der Natur verbracht, um genau zu wissen, was man essen kann und was nicht. Jetzt nimm schon." "Na gut, auf dein Wort." Und er nahm sich welche. "Und ja, will ich. Dafür brauche ich nun mal alle acht Orden. Du sammelst die doch auch, oder nicht?" "Mehr oder weniger", sagte ich abschätzend. "Ich weiß nicht mal, wo genau ich sie habe. Für mich ist so ein Orden bloß ein Stück Metall, die Dinger sind mir eigentlich egal. Es geht mir vielmehr um die Erfahrung. Um stärker zu werden, muss man auch gegen starke Gegner kämpfen. Und die Arenaleiter eignen sich da nun mal ziemlich gut." "Hm. Dann würdest du sogar zur Liga gehen, nur wegen der Erfahrung?" "Jep. Sollte ich jemals den Wunsch verspüren, mich den Top Vier zu stellen, dann wohl nur aus diesem Grund. ich hab keine Interesse am Titel des Champs. Zu viel Aufmerksamkeit und zu viel Verantwortung. Ich bleibe lieber unscheinbar und unabhängig. Außerdem bin ich echt nicht scharf darauf, den Weltretter zu spielen, sollte mal irgendwas in Kanto passieren." Darauf musste Green lachen. "Das glaube ich dir aufs Wort. Die Rolle der Heldin steht dir auch nicht gerade." "Danke", erwiderte ich mit einem Lächeln. "Das war glaub ich das Netteste, was du bisher an diesem Tag zu mir gesagt hast." "Gerne doch." Er grinste. "So bin ich eben." "Wie auch immer, was die Arenen angeht…", setzte ich an, um auf das eigentliche Thema zurückzukommen, "In Saffronia City gibt es die nächste. Vielleicht sollten wir da ansetzen. Außerdem kann ich dann auch meine Großmutter besuchen, ich hab sie schließlich schon lange nicht mehr gesehen." "Stimmt, du kommst ja aus Saffronia. Hatte ich ganz vergessen, das hat Opa ja erwähnt…" Mir entging dieser seltsame Unterton in seiner Stimme nicht. Ich hielt inne. "Was ist das eigentlich zwischen dir und dem Alten?" Green sah zu Boden, zeichnete mit dem Finger wahllos Linien ins Gras und zuckte bloß unbekümmert die Achseln. "Was soll da sein." "Du weißt genau, was ich meine", sagte ich ernst und sah ihn durchdringend an, damit er mir nicht ausweichen konnte. "Was hat er gegen dich?" "Woher soll ich das wissen?", entgegnete er und hatte dabei wieder denselben gereizten, krampfhaft unbekümmerten Gesichtsausdruck wie an unserem letzten Morgen in Lavandia. Es gefiel mir nicht. Absolut nicht. "Gut, lassen wir das", sagte ich hastig und sprang auf, wobei ich sorgfältig darauf achtete, die Decke festzuhalten. "Vielleicht sollte ich dein Angebot doch annehmen und dein Fukano zur Hilfe nehmen. Mein Partner hat leider seine Gefühlsregungen noch nicht hundertprozentig im Griff, ich traue ihm durchaus zu, dass er vor Begeisterung gleich alles abfackelt. Und je schneller wir aufbrechen, desto besser. Wir haben in den letzten Wochen viel Zeit verloren." Und damit hatte ich ihn wohl wieder zum Lachen gebracht. Ich war ungeheuer erleichtert. Vielleicht sollen wir wirklich aufhören, über Persönliche Dinge zu sprechen. Gerade das Thema Familie schien bei uns beiden nicht gerade beliebt zu sein. Umso dankbarer war ich, dass ich eine gute Möglichkeit hatte, um wieder abzulenken. So zog ich mich wenig später - dank der Hilfe von Greens Fukano - wieder an und wir packten wir unsere restlichen Sachen zusammen, damit wir so bald wie möglich aufbrechen konnten. Und so machten wir uns schließlich auf den Weg weiter über die Route 8 in Richtung Saffronia City, Richtung Heimat. Ich konnte einfach nicht anders, als Green unterwegs viel über die Stadt zu erzählen. Es gab schließlich auch viel zu erzählen, über das Karate-Dojo, das auch einst mal als Arena galt, den Sitz der Silph Co. und über die offizielle Arena und den Geschichten über ihre angeblich merkwürdige Leiterin… Ich war so voller Vorfreude, endlich wieder nach Hause zu kommen. Eigentlich war ich gerne unterwegs, wie früher, als ich beinahe täglich mit meinem Vater unterwegs gewesen war, wenn er ich nicht gerade im Einsatz gewesen war. Aber jetzt bemerkte ich, wie gern ich dennoch wieder nach Hause kam. Allein wegen Granny. "Da vorne ist der Eingang zur Stadt", sagte ich plötzlich und deutete auf das große Durchgangshaus nur noch wenige Meter von uns entfernt. Auf einmal stieg die Vorfreude in mir auf, ich würde wieder nach Hause kommen, und Granny wiedersehen. "Das ist also die berühmte Stadt Saffronia City", sagte Green und neigte abschätzend den Kopf, den Blick auf die unzähligen hohen Gebäude hinter den Mauern gerichtet. "Und da wohnst du?" "Jep." "Hm. Ein ziemlicher Kontrast zu unserem kleinen Dorf." "Zweifellos." Ich lachte und schenkte ihm einen vielsagenden Blick. "Hier weiß wenigstens niemand, was du tust. Es ist ein Wunder, wenn deine Nachbarn dich überhaupt kennen. Ich bin jedenfalls froh, dass sie mich nicht kennen, ich würde ihnen gut Gesprächsstoff bieten." "Wieso?", fragte er, und wir erreichten das Durchgangshaus. Ich hielt an der Tür inne und sah ihn mit geweiteten Augen an. "Na, sieh mich doch an. Ich bin hier das Soldatenkind und Kampfweib, was glaubst du, wie interessant die Leute sowas finden. Menschen brauchen immer guten Gesprächsstoff, und meine Familie kommt denen da sicher gelegen. Wie gut, dass sie es nicht wissen. Ich glaube, die einzige, die mich wirklich kennt und sogar meinen Namen weiß, ist die Nachahmerin." "Die Nachahmerin?" "Jep", gab ich gut gelaunt zurück und stieß die Tür auf. "Eine Bekannte von mir. Wir können sie ja auch mal bei Gelegenheit besuchen, wenn du willst." Wir betraten das Durchgangshaus und schritten geradewegs auf die andere Seite zu. "Halt!" "Was ist?" Ich wandte mich um. Der Wachmann hatte sofort die Hand gehoben, kaum hatten wir die Mitte des Hauses erreicht. Green und ich blieben beide stehen und starrten ihn verwirrt an. "Ich schiebe hier Wache", betonte er lautstark und warf sich in die Brust. "Und hier ist kein Durchgang!" "Wieso nicht?", fragte Green unberührt. Der Wachmann funkelte ihn böse an. "Sei nicht so vorlaut! Oh, ich bin so durstig…" "Trinken hilft", bemerkte ich und klang dabei ebenso unberührt wie Green, was den Wachmann offensichtlich nur noch weiter provozierte. "Und für dich gilt das auch! Was seid ihr denn für vorlaute, unverschämte Kinder!" "Wir wollen einfach nur hier durch", sagte ich ruhig und wies ausladend auf die Tür zur anderen Seite. "Einfach nur nach Hause, ich wohne hier." "Das ist mir egal!", rief er plötzlich laut und gestikulierte wild mit den Armen. "Ich stehe den ganzen Tag hier und bin am Verdursten, da muss ich mir nicht auch noch Sprüche von frechen Kindern anhören! Der Durchgang ist gesperrt! Und jetzt raus hier!" Und ehe wir noch irgendetwas sagen konnten, hatte er uns bereits zur Tür hinausgeschoben und sie hinter uns zugeschlagen. Vollkommen perplex standen wir wieder draußen auf der Route 8 und tauschten Blicke. "Was war denn mit dem los?" "Keine Ahnung." Ich warf einen wütenden Blick hinüber zur Tür. "Und so frech waren wir nun auch wieder nicht! Was kann ich denn dafür, wenn er so dämliche Aussagen macht?!" "Frag mich nicht. Für ihn waren wir aber scheinbar besonders frech." "Dieser - verdammte - Mistkerl!", stieß ich aus und trat bei jedem Wort gegen die Hauswand. "Was bildet der sich ein?! Nur, weil er am Verdursten ist, weil er zu blöd ist, um sich vor seiner Schicht eine Flasche Wasser zu kaufen, lässt er uns nicht durch?!" "Rei…" "Was ist das für ein Mistkerl?! Am besten wäre für ihn, er würde dort an seiner eigenen Dummheit verrecken!" "Rei." "Ich will verdammt nochmal einfach nur durch diese Tür! Vielleicht sollte Fukano ihm mal was Feuer unterm Hintern machen!" "Rei!" "Was?!" Ich wandte blitzschnell den Kopf und verknackste mir damit beinahe den Nacken. Green musterte mich mit einem stechenden Blick. "Du drehst durch." "Ja, das tue ich! Problem damit?" Er grinste. "Davon wird dieser Wachmann dich auch nicht durchlassen." Ich versetzte ihm eine beinahe vernichtenden Blick. "Hör auf mit diesem Mist, das weiß ich selbst. Ich bin einfach nur sauer! Verdammt, ich hab Granny schon so lange nicht mehr gesehen … ich glaube zwar nicht, dass sie irgendwie von den Ereignissen der letzten Wochen erfahren hat, aber ich will trotzdem, dass sie es weiß. Ich muss mit ihr reden, ich bin ihr zumindest eine Erklärung schuldig." "Ich versteh dich ja. Aber willst du ernsthaft den Wachmann angreifen und dich mit der Polizei anlegen? Das bezweifle ich." "Ach, lass mich doch einfach mal wütend sein", fauchte ich und ging an ihm vorbei in die andere Richtung. "Komm, lass uns gehen. Ich will hier keine Wurzeln schlagen und noch mehr Zeit verlieren." "Und was schlägst du vor?" Ich wandte mich zu ihm um und hob die Arme. "Wenn dieser Typ uns nicht nach Saffronia rein lässt, dann gehen wir eben nach Prismania City! Dort gibt es auch eine Arena, und wir müssten nicht einmal groß über lange Routen spazieren, wir nehmen einfach den Tunnel, der unter der Stadt herführt. Der Ausgang liegt direkt am Rand von Prismania, ich bin hin und wieder dort gewesen. Ich war oft um Saffronia unterwegs, wie du dir sicher vorstellen kannst, ich kenne die Gegend gut." "Genauso gut wie Saffronia City?", fragte er mit einem Lächeln. Ich hielt seinem Blick stand. "Fast. Saffronia kenne ich natürlich besser. Wieso?" "Weil du die ganze Zeit auf dem Weg hierhin nur von Saffronia City geredet hast, und ich damit rechne, dass du über Prismania genauso viel reden kannst. Kenn ich gar nicht von dir, dass du so gesprächig bist. Aber ich muss zugeben, dass mich die Sache mit der Arenaleiterin schon interessiert. Was hat es mit der auf sich?" "Das erklär ich dir später mal", erwiderte ich, packte ihn am Arm und zog ihn mit mir, als ich mich gleich in Richtung eines winzigen Hauses wandte. "Dahinten müssen wir rein, der Tunnelpfad führt komplett unter der Stadt durch, wir sind also zügig auf der anderen Seite, wenn wir uns ein bisschen beeilen." "Du hast es ja so gar nicht eilig…" "Ich bin eben immer noch sauer!" Wir erreichten das kleine Haus. Ich ließ Green los und stieß die Tür so prompt auf, dass ich mich schon vor mir selbst erschreckte. Ich war wegen dieses Wachmanns immer noch völlig aufgeladen, er machte mich so wütend. Ich hätte Granny wiedersehen können, schon bald … doch jetzt mussten wir einen völlig anderen Weg einschlagen, nur weil dieser verdammte Idiot nichts zu Trinken bei sich und uns frech und unverschämt gefunden hatte. Dieser Mistkerl! "Gut", sagte ich schließlich und atmete tief durch. "Ich bin mies gelaunt. Du wirst jetzt dran glauben müssen, ich entschuldige mich also schon mal im Voraus dafür." Green hob die Brauen. "Ich muss also dran glauben, ja?" "Ja!", sagte ich und stieg als erster die Treppe hinunter in den Tunnelpfad. "Um auf deine Vermutung zurückzukommen, ja, über Prismania City kann ich dir auch einiges sagen! Und wenn es mich davon abhält, diesem Wachmann den Hals umzudrehen, wenn ich davon erzähle, dann tu ich das! Und zwar so lange, bis ich mich wieder beruhigt habe und wir ganz weit von diesem Mistkerl weg sind!" "Geht in Ordnung", sagte er unbekümmert und folgte mir durch den Tunnel. "Wie es aussieht, ist der Weg ziemlich lang. Nun, leg los. Ich bin ganz Ohr." Ich starrte ihn verdutzt an, doch er lächelte. Es amüsierte mich. "Nun, gut. Du bist es selber schuld." "Ich weiß. Also los, hau raus." Ich holte tief Luft, während wir wieder nebeneinander hergingen, und begann schließlich: "Prismania City ist die größte Stadt Kantos. Sie liegt zwischen der Route 7 und Route 16, die auch zum berühmten Radweg führt. Prismania City wird auch als die Stadt der Regenbogen-Träume bezeichnet, sie gilt als die bunte Stadt, in der Menschen und Pokémon zusammenleben. Klingt idyllisch, nicht? Es gibt einiges Nennenswertes in Prismania, da wäre zum einen das riesige Einkaufszentrum mit einer riesigen Auswahl an TMs, Bällen, Medizin und vielem mehr. Meine Großmutter liebt dieses Einkaufszentrum, wir sind hin und wieder mal für einen Nachmittag rübergegangen, zum Einkaufen vor allem. Du kannst mir glauben, es war jedes Mal ein ganzes Stück Arbeit, sie da wieder rauszukriegen. Sie liebt Einkaufen. Ganz im Gegensatz zu mir." "Was ist so schlimm da dran?" Ich versetzte ihm einen skeptischen Blick. "Erzähl du mir nicht, dass du gerne einkaufen gehst!" "Ich hab nur gefragt, was dich daran stört." Ich starrte ihn weiterhin an. "Okay, sag nichts weiter dazu. Du bist mir echt suspekt. Und was so schlimm daran ist? Was ist bitte nicht schlimm daran, sich unter eine Menge von materiellen Dingen besessener Menschen zu begeben, um sich die Masse an unnötigen Dingen anzusehen, für die man Geld zum Fenster rauswerfen kann? Den Großteil dieser ach so tollen Auswahl würden wir im Grunde niemals brauchen, und das ist es auch nicht wert. Ich kriege bloß Aggressionen, wenn ich zusehe, wie die Menschen vor irgendwelchen Klamotten stehen und darüber jammern, wie gern sie die doch haben würden und dass sie kein Geld dafür hätten. Den meisten scheint nicht klar zu sein, wie gut wir es haben. Zumindest, wenn nicht gerade umherzieht, wir haben alle ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch, die Menschen sollten aufhören, wegen solch belangloser Sachen zu jammern." Green blinzelte überrascht. "Über sowas machst du dir Gedanken?" "Ja! Du nicht? Okay, du bist vielleicht auch in einer etwas anderen Gegend aufgewachsen, wenn ich das mal so sagen darf. Glaub mir, hier laufen die Dinge ziemlich anders. Früher oder später wirst du das noch merken. Ich bin im Allgemeinen nicht sonderlich gut auf Menschen zu sprechen. Ich kann Menschen nicht ausstehen." "Das ist mir auch aufgefallen." "Wie auch immer, das Einkaufszentrum ist ja nur eine Sache, da wären natürlich noch das Pokémon-Center, die Spielhalle, die Arena…" "Letzteres würde uns ja wohl am ehesten interessieren." Ich nickte abschätzend. "Ja, da müssen wir so oder so hin. Beziehungsweise du, ich brauche diesen Orden nicht. Es wäre halt nur schade um die Herausforderung, die ich mir entgehen lassen würde. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob das überhaupt eine richtige Herausforderung wird." "Wieso?" "Weil es sich bei der Prismania Arena meines Wissens um eine Pflanzen-Arena handelt. Mit Fukano würde ich da locker durchkommen, und du mit deinem und Tauboga noch eher." Er grinste zufrieden. "Na, dann werde ich mir wohl mal meinen nächsten Orden abholen." "Ach, werden wir wieder überheblich?" Doch ich musste lachen. So gefiel er mir tatsächlich viel besser. Er setzte wieder sein selbstgefälliges Grinsen auf und sagte bloß: "Ich bin eben der Beste, was erwartest du?" "Schon klar", gab ich augenzwinkernd zurück, um ihn zu bestätigen. "Ich habe nichts anderes erwartet. Du bist eben großartig." Einige Minuten später erreichten wir das Ende des Tunnelpfads und stiegen die Treppe hinauf. Wir verließen das kleine Haus und traten erneut ins Tageslicht, nur wenige Meter vom Eingang der Stadt entfernt. Mein Blick fiel auf das Durchgangshaus, das sich ein Stück weiter zur anderen Seite befand und ebenfalls nach Saffronia City führte. Vielleicht sollten wir es von hier aus versuchen. "Und?" "Und was?" Ich wandte mich um. Green musterte mich abschätzend, als ob er auf etwas wartete. "Fühlst du dich besser?" Ich schwieg und senkte den Blick lieber auf den Boden, um ihn nicht ansehen zu müssen. Doch Green schien ganz genau zu wissen, was in mir vorging. "Weißt du … du hast allein am heutigen Tag mehr geredet als in der Zeit, seit ich dich kenne. Ich wusste gar nicht, dass du so gesprächig sein kannst." "Keine Angst. Das wird sich ganz schnell wieder legen", erwiderte ich kühl. Doch im selben Moment tat es mir wieder leid. Er konnte schließlich nichts dafür, dass ich so war wie ich war… "Ja, ich fühl mich besser. Viel besser." Green schenkte mir ein zufriedenes Lächeln. "Bestens. Dann hat es ja was gebracht." Einen Moment lang sahen wir uns bloß an. Ich wusste nicht, was ich sagen konnte. Ich war nicht der Typ, der sich groß dankbar zeigte oder dies überhaupt irgendwie deutlichmachen wollte. Also räusperte ich mich schließlich und wandte mich in Richtung Prismania City, die nun direkt vor uns lag. "Also, willkommen in Prismania City, der Stadt der Regenbogen-Träume! Und? Wo willst du als Erstes hin? Ich würd ja sagen, wir schauen einmal kurz im Center vorbei und sehen dann weiter", schlug ich vor. Green ließ den Blick nachdenklich durch die große Hauptstraße schweifen. "Klingt sinnvoll. Danach können wir uns ja was umsehen und mal in der Arena vorbeischauen. Je schneller wir den Sieg in der Tasche haben, desto besser." "Ich würde damit zumindest noch bis morgen warten. Ich würde gern noch ein bisschen trainieren, bevor ich mich diesem Kampf stelle. Aber es gibt ja weitaus genug in Prismania, das man sich ansehen kann. Gibt es irgendwas, das dich besonders interessiert?" "Nun …" Er zögerte. "Also, dieses Einkaufszentrum fände ich schon ganz interessant." Ich seufzte. "Weißt du, irgendwie hab ich das schon geahnt…" Kapitel 21: Evolution --------------------- Am Nachmittag kehrte ich schließlich von einem kleinen Abstecher in die Seitenstraßen von Prismania City ins Pokémon-Center zurück und ließ mich auf einen der Stühle fallen. Green, der nur einen Platz weiter saß, wandte den Kopf. "Und? Erfolg gehabt?" "Jep", antwortete ich und legte entspannt die Hände hinter den Kopf. "Es geht mir jedenfalls viel besser. Ich hab mich ein bisschen umgesehen, aber nicht wirklich viel Interessantes entdeckt." "Aber du hast was entdeckt?" Ich hob die Schultern. "Schon möglich." "Also hast du." Er musterte mich mit hochgezogenen Brauen, doch ich lächelte bloß. "Später. Sind unsere Pokémon schon alle durch?" "Noch nicht", sagte Green und warf einen Blick hinüber zur Tür, hinter der die Schwester eine knappe Stunde zuvor mit unseren Pokémon verschwunden war. "Dürfte aber nicht mehr allzu lange dauern. Es war ja keiner aus unseren Teams wirklich schwer verletzt." Ich nickte zustimmend. "Gut, dann können wir ja bald aufbrechen." "Wir haben ja auch einiges vor, nicht wahr?" Mir entging der freudige Unterton in seiner Stimme nicht. Natürlich, er wollte nachwievor unbedingt in dieses Kaufhaus. Hätte ich ihm doch bloß nie davon erzählt. Aber jetzt war es ohnehin zu spät, ich hatte es ihm sogar noch versprochen, also musste ich es auch halten. Ich freute mich jetzt schon darauf, dieses Gebäude wieder zu verlassen. "Was ist, hast du es dir wieder anders überlegt?" Doch er sah mich dabei vorwurfsvoll an, sodass widersprechen ohnehin zwecklos gewesen wäre. Also schüttelte ich den Kopf. "Nein, ich gehe mit dir in dieses Kaufhaus! Aber erwarte nicht zu viel von mir. Ich werde deine Begeisterung nicht teilen, damit musst du leben." "Ach, das kommt noch." Er grinste voller Vorfreude. "Vielleicht solltest du dir auch mal ein neues Outfit zulegen. Meinst du nicht?" "Wag es ja nicht!" In diesem Moment öffnete sich die Tür eines der Zimmer und Schwester Joy trat heraus. Sie ließ den Blick durch den Raum schweifen, und schließlich entdeckte sie uns und kam geradewegs auf uns zugeschritten. Green stand auf. "Eure Pokémon sind alle wieder topfit", sagte die Schwester fröhlich und streckte uns die Pokébälle entgegen, von denen wir die jeweils unseren wieder an uns nahmen. "Dann wäre das schon mal erledigt", sagte Green und grinste. "Dann sind wir bereit, uns meinen nächsten Orden abzuholen. Wird ja langsam Zeit." "Oh, wir werden also schon wieder mal überheblich." "Mit dem Team sollten die Chancen recht gut stehen", warf Schwester Joy ein und wirkte plötzlich nachdenklich, als sie sich an mich wandte. "War dieses starke Fukano eigentlich von dir? Ich muss zugegeben, ich war ziemlich angetan von ihm. Es strotzt ja nur so vor Energie, ich habe selten ein so starkes Fukano gesehen!" Ich erstarrte für einen Moment. Es war vielleicht nicht klug, jedem gleich alles zu offenbaren. Green schien das Gleiche zu denken, er warf mir einen durchdringenden Seitenblick zu, der mich deutlich nachdenken ließ. Ich sollte wirklich vorsichtiger sein. "Es ist eben ein besonders gut trainiertes Fukano", antwortete ich schließlich mit einem Lächeln, gab der Schwester das Geld für die Behandlung und wandte mich ab. "Vielen Dank jedenfalls." "Besucht uns jederzeit wieder!" Ich verließ das Pokémon-Center, Green dicht hinter mir, und so traten wir wieder hinaus an die Luft. Ich atmete tief durch. "Du wolltest es ihr doch nicht wirklich sagen, oder?" "Was, warum Fukano so stark ist?", fragte ich und ließ den Blick die Straße auf und abwandern. "Nein, nicht wirklich. Ich muss vorsichtiger sein. Ich nehme an, du hast es schon von selber bemerkt." "Natürlich", erwiderte er und klang dabei ein wenig empört. "Das ist mir eigentlich recht schnell aufgefallen. Dein Fukano hält weit mehr aus als normale Fukano je aushalten könnten. Ich fand das schon ein wenig merkwürdig." "Das liegt wohl in der Familie." "Scheint wohl eine besondere Familie zu sein. Wonach guckst du?" "Nichts, schon gut. Ich dachte eben nur, ich hätte ein paar zwielichtige Gestalten gesehen, aber vielleicht hab ich mich auch geirrt. Jedenfalls kann ich gerade nirgendwo Menschen entdecken, die für mich nach Verbrechern aussehen. Komm, gehen wir. Je schneller wir in dieses Kaufhaus gehen, umso schneller sind wir auch wieder raus." "Warte ab, wir werden schon auch was für dich finden." Und er grinste wieder voller Vorfreude. Er musste es unheimlich genießen, mich damit zu ärgern, und es ärgerte mich umso mehr, dass es auch noch klappte. Ich warf ihm lediglich einen bösen Blick zu und knurrte: "Kein Interesse, ich verzichte." Doch ich musste es wohl oder übel über mich ergehen lassen. So standen wir schließlich vor dem riesigen Gebäude des Prismania Einkaufszentrums. Erinnerungen kamen wieder auf, wie ich einst mit Granny dort einkaufen gewesen war und sie gerade die Videospiel-Abteilung ausgebaut hatten. Granny war damals völlig aus dem Häuschen gewesen und hatte sich unbedingt ein Spiel kaufen wollen. Ich hatte ihr damals schon gesagt, sie sollte besser die Finger davon lassen. Tja. Was soll ich dazu sagen. Sie hatte für sich und mich jeweils ein Spiel gekauft und die nächsten Tage mit nichts anderem mehr verbracht. Letztendlich hatte sie jedoch eingesehen, dass Videospiele nicht so ganz ihr Ding waren, und hatte mir ihres auch noch dazu geschenkt. So war ich zu meinen ersten Videospielen gekommen. Und auch zu meinen einzigen. "Im Prismania City Einkaufszentrum findest du alles, was du brauchst! Na das klingt doch großartig! Was ist denn mit dir plötzlich los?" "Wie?" Greens Worte rissen mich aus meinen Gedanken in die Wirklichkeit zurück. Ich lächelte nur und schüttelte den Kopf. "Nichts, ich hab mich bloß an was erinnert. Also, wollen wir?" "Mit Vergnügen", grinste er. Und wir gingen hinein. Sofort wurde mir erneut bewusst, was an diesem Kaufhaus mir alles nicht gefiel. Zum einen die Größe, so viel Raum, den man für weitaus sinnvollere Dinge hätte nutzen können, zudem diese Musik, die einen womöglich beeinflussen sollte, sich hier wohlzufühlen, und da wären noch all die Menschen, die ich nach Möglichkeit immer zu meiden versuchte. Ich seufzte. "Worauf hab ich mich da nur eingelassen…" Doch Green achtete nicht sonderlich darauf, sondern ging gleich hinüber zum Schild an der Treppe, wohl um nachzusehen, was auf welcher Etage angeboten wurde. Ich folgte ihm wortlos und warf ebenfalls einen Blick darauf. EG: Kundeninformation S1: Utensilien für Trainer S2: Videospiele und Bekleidung S3: Schmuck und Geschenkartikel S4: Drogerie und Schreibwaren Dachgarten: Getränke- und Snack-Automaten Ich hob die Brauen und wandte ihm das Gesicht zu. "Du hast aber jetzt nicht vor, jede Ecke in diesem Kaufhaus durchzugehen, oder etwa doch?" "Na, wenn wir schon mal hier sind", sagte Green und ließ von dem Schild ab. "Ich würde sagen, sehen wir uns das doch mal genauer an. Ich würde sagen, wir arbeiten uns einmal durch jede Etage durch?" Jetzt schon ziemlich erschöpft schlug ich mir mit der Hand gegen die Stirn. "Na wenn du meinst. Aber dann lass uns bitte oben anfangen, dann kann ich mir wenigstens noch was zu Trinken holen, bevor ich in den nächsten Stunden Gefahr laufe, auszutrocknen." "Gut." Er wandte seine Schritte gleich in Richtung Fahrstuhl, doch ich bevorzugte die Treppe, ganz zu seiner Verwunderung. "Du willst die ganzen Stufen bis nach oben hoch laufen?" "Der Mensch ist viel zu bequem geworden", gab ich bloß zurück und stieg die Treppe hinauf. "Außerdem trainiert es die Beine. Du kannst ja fahren, wenn du willst. Dann sehen wir uns oben." Doch dazu kam es nicht. Kaum hatte ich den oberen Absatz zum ersten Stockwerk erreicht, da stand Green schon wieder hinter mir. Wir sprachen kein einziges Wort, als wir bis zum Dacharten hinaufstiegen, was in seinem Fall wohl auch gar nicht möglich gewesen wäre. Ich war immer noch nahezu entspannt, als wir schließlich die letzten Stufen hinaufstiegen, während Green jedoch ein wenig außer Atem schien. Ich drehte mich skeptisch um. "Na, eine besondere Ausdauer scheinst du aber nicht zu haben. Du bist doch wohl nicht jetzt schon erschöpft?" "Was, ich? Nein", sagte er ein wenig gereizt und lehnte sich doch ein wenig schwer atmend an die Wand. "Ich - niemals!" "natürlich nicht." Ich zwinkerte, ging hinüber zum nächsten Getränkeautomaten und besah mir das Angebot. Es gab Tafelwasser, Sprudel und Limonade zur Auswahl. Das günstigste sollte mir genügen. "Ich glaub - das brauche ich jetzt auch", brachte Green hervor und wandte sich zum nächsten, während ich bereits die Münzen einwarf. "Könnte dir nicht schaden. Wenigstens hast du jetzt ein bisschen deine Beinmuskulatur trainiert. Solltest du öfter machen." "Was stimmt nicht mit dir!" Ich nahm die Flasche Tafelwasser aus dem Schacht, erhob mich wieder und zuckte die Achseln. "Keine Ahnung, sag es mir. Was stimmt denn nicht mit mir?" Green starrte mich vollkommen entsetzt an, brachte jedoch kein Wort hervor. Er schüttelte nur noch den Kopf und widmete sich dann ganz dem Automaten. Ich grinste zufrieden. Scheinbar konnte ich ihn immer aufs Neue schockieren. Ich ließ den Blick über die Terrasse schweifen. Außer uns waren nur zwei Leute hier. Ein Junge, der an einem der Tische saß und sich einen Snack genehmigte, und ein kleines Mädchen, das merkwürdig schlapp zur Seite gewandt auf einem Stuhl hing. Die Kleine sah nicht gerade wirklich gesund aus. "Hey, bist du in Ordnung?" Das Mädchen sah langsam auf. "Ja … ich denke schon …" Auch Green wandte jetzt den Kopf, um meinem Blick zu folgen. Und er schien ebenso zu denken wie ich. "Du siehst aber gar nicht gut aus." Wir gingen zu dem Mädchen hinüber, das nun versuchte, aufrechter zu sitzen und so wohl den Eindruck zu vermitteln, dass es ihr gut ginge. Doch es täuschte uns beide nicht. "Komm, was ist los?" "Ich bin durstig…", sagte sie leise und sah zu Boden. "Ich möchte gern was trinken. Ich wollte mir was am Automaten holen, aber mein Kleingeld reicht nicht…" "Wie lange bist du schon hier?", fragte Green und musterte das Mädchen irritiert. "Eine ganze Weile schon … bestimmt schon über eine Stunde. Mein Bruder wollte unbedingt zu den Videospielen, da wollte ich nicht mit … ein Königreich für ein Getränk …" "Hier, nimm meins", sagte ich und reichte ihr die Flasche. Ihre Augen leuchteten, als sie mich ansah. "Wirklich?" "Ja, jetzt nimm schon. Ich hab noch genug, um mir noch eine Flasche zu holen." "Wow. Das ist superlieb von dir!" Das Mädchen nahm mir dankbar die Flasche aus der Hand und trank einen kräftigen Schluck, während ich mich kurz an Green wandte. "Wenn wir unten bei den Videospielen sind, dann knöpfe ich mir diesen Typen mal vor. Das gibt's ja wohl nicht." "Nur zu gern." "Vielen Dank!", sagte das Mädchen glücklich, kramte in ihrer Tasche und zog etwas hervor, das sie mir entgegenstreckte. "Bitte." Ich starrte sie verdutzt an. "Du brauchst mir doch nichts zu schenken." "Bitte, nimm es als Geschenk! Ohne dich wäre ich hier wohl ausgetrocknet." Langsam nahm ich ihr die TM, wie es schien, aus der Hand und warf einen Blick darauf. Sie trug die Nummer 13. "Hm, Eisstrahl", sagte Green interessiert und wandte sich skeptisch wieder an das Mädchen. "Bist du sicher, dass du die nicht behalten willst?" "Ich brauch sie nicht", sagte sie achselzuckend und stellte die Flasche, die schon halb leer war, auf den Tisch. "Es dauert sicher noch Jahre, bis ich einmal Pokémon-Trainerin werde, und ich mag Eis-Attacken ohnehin nicht so, die sind mir viel zu kalt … also habe ich eh keine Verwendung dafür." "Nun - gut", sagte ich verblüfft und sah von einem zum anderen. "Danke. Ich werd sehen, dass sie bei mir Verwendung findet. Aber vorher rede ich mal ein Wörtchen mit deinem Bruder." Das Mädchen lächelte, auch wenn sie es wohl ein wenig zu unterdrücken versuchte. Schließlich zog ich mir noch eine Flasche Tafelwasser und wir machten uns auf den Weg durch das Einkaufszentrum. In der Drogerie begutachteten wir vor allem die leistungsfördernden Mittel für Pokémon an, die deren Werte verbesserten, und dafür aber auch ziemlich teuer waren. Ich sah mich kurz in der Schreibwaren-Ecke um und kaufte mir schließlich ein alt aussehendes Notizbuch. "Was willst du damit?", fragte Green neugierig, als ich das Buch bezahlte und in meinen Rucksack steckte. "Mir Notizen machen", erwiderte ich und ging hinüber zur Treppe. "Vielleicht werde ich ja mal auf das ein oder andere stoßen, das ich dokumentieren will." "Was soll das wieder heißen?" Doch ich antwortete ihm nicht und betrat die nächste Etage. Wir gingen vorbei an unzähligem Schmuck, und ich war mehr als froh, dass Green sich scheinbar auch nicht für diese Flut von glänzenden und schimmernden Ketten, Ringe und dergleichen interessierte. Das hätte mir sonst womöglich noch den Rest gegeben. Doch ich bemerkte bereits, wie ich wieder einmal für Verwirrung sorgte, als ich plötzlich stehenblieb. "Was ist?", fragte Green verdutzt und hielt ebenfalls inne. "Was gefunden?" "Möglich", sagte ich bloß und ging langsam auf eine Auswahl verschiedenfarbiger Steine zu, die ich nun näher in Augenschein nahm. "Evolutionssteine…" "Du könntest dir einen Feuerstein für dein Fukano holen", schlug Green vor und begutachtete die Steine nun ebenfalls. "Dann kannst du es zu Arkani entwickeln." "Das werde ich früher oder später auch tun." Ich nahm einen der Feuersteine in die Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. "Schon erstaunlich. Im Grunde ist es eigentlich bloß ein Stein. Aber im Innern besitzt er Kräfte, die Pokémon dazu bringen, sich weiter zu entwickeln. Ich frage mich…" "Ich könnte mir eigentlich auch einen für Fukano mitnehmen", überlegte Green und schien meine letzten Worte somit gar nicht gehört zu haben. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, dann besah ich mir die Wasser- und Donnersteine. "Was willst du denn mit den anderen? Du hast doch sonst keine Pokémon, die sich durch Steine entwickeln. Warte -" Sein Blick fiel auf die Pokébälle, die ich bei mir trug, während er offensichtlich nachzudenken begann. "Fukano war dein Erstes, dann Bisaknosp, Garados und schließlich Machollo. Seit wann trägst du ein fünftes Pokémon mit dir rum?!" Doch ich grinste bloß, nahm den fünften Ball vom Gürtel und warf ihn Green zu, der ihn auffing. "Das ist mein Erfolg von vorhin. Ich habe drei Möglichkeiten, wie ich es entwickeln kann, und ich mache mir gerade Gedanken, welche der drei Varianten am besten wäre. Auch fürs Team." "Ein … Evoli?" Er starrte mich verdutzt an. "Und ich dachte schon, Red wäre ein Glückspilz! Die sind unheimlich selten, wie bist du da rangekommen?!" "Scheinbar habe ich auch mal Glück", sagte ich amüsiert und legte zwei der Steine auf die Theke, um sie zu bezahlen. "Diese beiden, bitte." Green starrte mich fassungslos an. Seinem Gesicht nach wollte er unbedingt etwas dazu sagen, ihm fiel jedoch nichts dazu ein. Ich packte die Steine sorgfältig in den Rucksack und drehte mich wieder zu Green um. "Und? Willst du dir auch noch welche holen?" "Ja." Immer noch fassungslos nahm er einen Blatt- und einen Feuerstein aus dem Regal und bezahlte sie, während ich mich noch ein wenig umsah und auf ihn wartete. Doch es schien in dieser Etage nichts Interessantes mehr zu geben. "Hier, dein Evoli." Green streckte mir den Pokéball entgegen. "Oh, danke", sagte ich und riss mich aus meinen Gedanken, wann ich dieses Evoli und vor allem Fukano eigentlich entwickeln sollte, nahm den Ball entgegen und befestigte ihn schließlich wieder an seinem Platz. Ich wollte noch ein wenig warten. Zumindest bei Fukano wollte ich mir noch ein wenig Zeit lassen, bis ich mir absolut sicher war. "Also, dann sind wir hier durch?" "Sieht so aus." "Gut. Dann auf!" Und ich ahnte schon, was gleich auf mich zukommen würde. Allein dieser freudige Unterton in seiner Stimme ließ mich schon Böses ahnen. Warum nur hatte ich mich darauf eingelassen. Er sollte es bloß nicht wagen, seine Androhungen wahr zu machen. "Und, in was wirst du dein Evoli entwickeln?" "Na ja, es gibt ja nur drei Möglichkeiten", sagte ich nachdenklich und zählte sie an den Fingern ab. "Aquana, ein Wasser-Typ, Blitza, ein Elektro-Typ, und Flamara, ein Feuer-Typ. Ich hab die drei schon bei Bill gesehen, bei unserem Besuch hat er uns seine Sammlung gezeigt." "Möglicherweise gibt es noch mehr … und ja, ich weiß von dieser Sammlung. Ich war ja auch da." Ich wandte den Kopf. "Stimmt, du warst ja vor uns da. Vor diesem Unfall." "Was? Ich hab keine Ahnung, was du meinst." Green setzte eine Unschuldsmiene auf, die mich nicht im Geringsten täuschen konnte. Es amüsierte mich. "Hab ich's mir doch gedacht. Du warst also schon da, als es passiert ist. War es dir wirklich egal, oder wusstest du, dass wir kommen?" "Keine Ahnung, was du meinst", sagte er erneut und sah absichtlich in eine andere Richtung, dennoch konnte ich das Grinsen auf seinem Gesicht sehen, das er offensichtlich nicht unterdrücken konnte. Ich hatte es ja geahnt. "Also, ich hätte mich ja für Aquana entschieden", sagte er schließlich, und kam damit auf das eigentliche Thema zurück. "Aber du hast ja schon Garados im Team. Und da du Fukano als Partner hast, wird Flamara wohl auch ausscheiden. Ich schließe daraus, dass du es zu Blitza entwickelst." "So ist es. Ich denke, ein Elektro-Pokémon könnte früher oder später noch ganz nützlich sein." Ich hielt inne und holte tief Luft. Da waren wir nun. Genau dort, wo ich am wenigsten sein wollte. Ich wandte Green das Gesicht zu und funkelte ihn an. "Gut. Du darfst dich in dieser Auswahl von Klamotten gerne austoben, das ist mir egal. Aber mich lässt du gefälligst dafür in Ruhe!" "Das werden wir noch sehen." Und ehe ich noch irgendetwas sagen oder überhaupt reagieren konnte, schob er mich schon voran geradewegs in die Damenabteilung, während er sich bereits voller Vorfreude umsah. Ich seufzte tief. "Warum tust du mir das an…" Doch Green ignorierte meine Worte. Er sah sich nachdenklich um, als ob ich ihm nie widersprochen hätte und ganz scharf darauf wäre, mir ein neues Outfit zuzulegen. "Hm, was wäre denn das Richtige für dich … ich glaube, du solltest mal einen ganz anderen Stil ausprobieren." "Kein Interesse." "Wart's doch erst mal ab, ich finde sicher was für dich." "Ich will es aber nicht." "Nun … wie wäre es mit einem Kleid?" "Untersteh dich!" Und wieder ignorierte er mich. Allmählich machte er mich sogar ein bisschen wütend. Ich spürte schon, wie sich ein paar Leute bereits zu uns umwandten, wohl hauptsächlich, weil ich allmählich ein bisschen laut wurde. Ich wandte den Kopf und starrte zurück, sodass sich die Leute ganz schnell wieder umwandten, dann funkelte ich Green an und senkte die Stimme: "Wenn du mich provozieren willst, dann kannst du das verdammt gut! Behandel mich nicht wie ein Mädchen!" "Aber du bist ein Mädchen", grinste er und setzte erneut eine Unschuldsmiene auf. Ich starrte ihn zornig an. Doch Green lachte bloß und sah sich erneut um. "Hey, wie wäre das?" Und er hielt einen Rock mit Blumenmuster hoch. "Ich dreh dir gleich den Hals um!", fauchte ich, riss ihm den Rock aus der Hand, hängte ihn zurück und packte ihn fest an den Armen, damit er mir nicht mehr ausweichen konnte. "Hör auf damit!" Er lachte wieder. Doch irgendwas war anders. Ich erstarrte und ließ ihn langsam los. "Du machst das mit Absicht. Du meinst es gar nicht ernst, du findest es echt lustig. Warum tust du das?" Green hörte auf zu lachen. "Du dachtest doch nicht wirklich, dass ich dich in einen Blümchen-Rock stecken würde? Obwohl … das würde ich zu gern sehen." Ich holte aus, um ihm eine Kopfnuss zu verpassen, doch diesmal war Green schneller und hielt meine Hand fest. "Na, na, so nicht. Du ruinierst mir bloß die Haare." "Warte nur! Das werde ich dir heimzahlen!" "Ach, wie denn?" Er legte den Kopf schief und setzte wieder sein typisches, selbstgefälliges Grinsen auf. Doch ich wusste genau, was ich nur zu sagen brauchte. Ich grinste ebenfalls und sah nachdenklich zur Decke. "Weißt du, ich erinnere mich noch daran, wie du Red im Pokémon-Turm umarmt hast und -" "Hör auf damit!", zischte er sofort und sah sich hastig um. Doch ich verschränkte amüsiert die Arme und ging einfach an ihm vorbei. "Dann hör du auf, mich mit Klamotten zu schikanieren, dann erinnere ich dich nicht an deine liebevolle Kuschelattacke." "Das - so war das doch gar nicht! Hey, ignorier mich gefälligst nicht!" "Du ignorierst mich doch auch", erwiderte ich mit Singsangstimme und lachte. Green war nicht begeistert, doch er ließ mich wenigstens mit dem Thema Klamotten in Ruhe und sah sich nach einem eigenen Outfit um. Ich freute mich zwar trotzdem darauf, das Kaufhaus bald wieder verlassen zu können, doch wenigstens blieb ich jetzt von Schlimmerem verschont. Solange Green nicht von mir verlangte, dass ich ihm die Beraterin spielte. Ich wünschte mir insgeheim, dass er bald fertig war, doch scheinbar war Green in der Hinsicht genauso schlimm wie ein typisches Mädchen. Er sah sich mehr als gründlich um, fand hin und wieder etwas Interessantes, probierte das ein oder andere Teil an und begutachtete sich sorgfältig im Spiegel, während ich einfach nur an die Wand gelehnt dastand und mich tatsächlich fragte, ob es auch irgendetwas gab, das ihm nicht stand. "Na, was meinst du?", fragte er einmal, als er wieder aus der Umkleide kam und sich vor den Spiegel stellte. Es war wirklich erstaunlich. "Du siehst großartig aus!" "Findest du?" Er musterte sich kritisch im Spiegel. Ich seufzte. "Verdammt, du bist echt schlimmer als ein Mädchen. Wie lange sind wir schon hier, bestimmt eine Stunde? Bist du bald mal fertig?" "So gut wie", sagte er gut gelaunt und verschwand wieder in der Kabine. "Noch hab ich nicht alles durch." Ich schlug mir erschöpft mit der Hand gegen die Stirn. "Womit hab ich das eigentlich verdient…" Ich wandte mich ab und schritt langsam weiter durch das Stockwerk. Wie konnte man nur so viel Freude an Klamotten haben? "So, da bin ich wieder", sagte Green schließlich, als er wieder neben mir auftauchte. "Weiter geht's." "Immer noch nicht zufrieden?", fragte ich mit hochgezogenen Brauen und beobachtete ihn, wie er bereits den nächsten Kleiderständer durchsah. "Hm, ich könnte mir ein neues Shirt zulegen…" Ich wandte mich ab und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Wir waren inzwischen fast an der Videospielabteilung angekommen. Erneut kam mir die Erinnerung in den Kopf, wie Granny damals vor dem Regal gestanden und völlig fasziniert ihr erstes Pokémon-Spiel in den Händen gehalten hatte. Ich konnte mich genau erinnern. Ich musste lächeln, als mein Blick genau auf die Stelle fiel, von der sie damals zunächst gar nicht mehr weggekommen war. Und in diesem Moment holte ich mich wieder ins Jetzt zurück, als ich ein Stück einer roten Jacke sah, die mir verdächtig bekannt vorkam. Ich trat ein paar Schritte vor, um besser in den Gang sehen zu können, während ich mit einer Handbewegung versuchte, Green auf mich aufmerksam zu machen. "Hey! Ist das nicht Red?" "Was meinst du passt besser, lila oder grün?" "Was?" ich wandte mich irritiert um. Green hielt die beiden Shirts hoch und sah mich fragend an. Ich holte tief Luft, um ruhig zu bleiben. "Das eine passt zu deinem bisherigen Stil, das andere zu deinem Namen, jetzt guck doch mal!" Ich packte ihm am Arm und zog ihn zu mir, damit er ebenfalls in den Gang sehen konnte, und wandte mich wieder um. Es war tatsächlich Red. Er stand da und las die Rückseite auf der Verpackung eines Spiels, das ich aus der Entfernung nicht näher erkennen konnte. Einen Moment lang standen Green und ich einfach nur da, dann drückte er mir plötzlich die beiden Shirts in die Hand. "Halt das mal." "Was - ?"Doch kaum hatte ich den Mund geöffnet, da hatte Green mich schon völlig verdutzt stehen lassen und war zu den Videospielen hinüber geeilt. Dieser Kerl machte mich wirklich fertig. Ich stand kurz einfach nur da, dann hängte ich die Shirts wieder zurück und rannte ihm nach, um ihn zumindest noch einzuholen. "Hey, Red." Red zuckte zusammen und sah auf. Green lehnte sich lässig ans Regal, während ich hinzutrat. "Warum so erschrocken? Sind doch nur wir." "Ich hab mich nicht erschreckt", sagte er bloß und sah wieder auf die Verpackung. Ich hatte stark den Eindruck, dass er unseren Blicken auswich. Er schien sich auch nicht groß über unsere Anwesenheit zu freuen. "Und, was gefunden?", fragte Green interessiert. Red schüttelte bloß den Kopf und stellte das Spiel wieder ins Regal zurück. "Ich hab eh nur geguckt. Ich war gerade fertig." Green und ich tauschten Blicke. Er schien das Verhalten seines Freundes wohl ebenso seltsam zu finden wie ich. "Wo willst du hin?", fragte ich schließlich, als Red schließlich an uns vorbeiging. Er wandte nur kurz den Kopf. "Weiß noch nicht. Vielleicht in die Spielhalle oder so." Wären wir nachwievor in Lavandia gewesen, hätte ich es auf den Vorfall mit Tragosso und Knogga geschoben. Doch die Stadt lag Kilometer weit von uns entfernt, und dennoch schien Red noch niedergeschlagener als vorher. "Gut, wenn du in die Spielhalle gehst, kommen wir gleich mit", sagte Green plötzlich und klang auf einmal so motiviert wie zuvor. Ich warf ihm einem Seitenblick zu, doch er sah nicht zurück. "Da wollten wir eh noch hin, der Arena statten wir morgen einen Besuch ab." "Ist gut." Und damit ging Red voran. Wir tauschten erneute Blicke, doch keiner wagte es, etwas offen zu sagen. Also folgten wir Red, die letzten Treppen hinunter ins Erdgeschoss und wieder hinaus auf die Hauptstraße. Mit einem Mal herrschte eine ziemlich seltsame, beinahe drückende Stimmung. Wieder an der Luft atmete ich tief durch und streckte mich. "Hach, endlich bin raus aus dieser Hölle. Wunderschön." "Hey, so schlimm war's nun auch wieder nicht!", sagte Green empört. "Außerdem ist es ja nicht so, dass du dir nichts gekauft hast!" "Mag schon sein. Was soll's." Die anderen beiden wandten ihre Schritte schon in Richtung Spielhalle, als mir etwas einfiel. "Wartet mal." "Was ist?", fragte Green und die beiden drehten sich verwirrt zu mir um. Ich griff nach dem fünften Pokéball, den ich inzwischen mit mir trug, und warf ihn. Das kleine Evoli tauchte in unserer Mitte auf, gähnte herzhaft und sah sich verwundert um. Es blinzelte. "Wo hast du das denn her?" Reds Augen leuchteten, als er sich auf den Boden kniete und dem Evoli den Kopf streichelte. "Das ist ja echt niedlich! Wie hast du das bekommen?" "Ja, gute Frage", stimmte Green zu, verschränkte die Arme und sah mich durchdringend an. "Wie bist du da überhaupt rangekommen?" "Hab's gefunden." "Gefunden?" Ich nickte. "Tatsächlich, ja. Ich bin in dieses Haus gegangen und hab mich dort umgesehen, es lag im Pokéball auf dem Tisch und gehörte niemandem. Da hab ich es an mich genommen. Es wird bestimmt eine gute Unterstützung für mein Team, es muss sich bloß ein bisschen eingewöhnen." "Es scheint auf jeden Fall schon mal einen Freund gefunden zu haben." Wir sahen beide zu, wie Red nun um einiges fröhlicher mit Evoli spielte. Es drehte sich auf den Rücken, wedelte mit dem Schweif und patschte mit seinen Pfoten nach Reds Fingern, die er immer im letzten Moment wieder wegzog. Red lachte. Green warf mir einen zufriedenen Blick zu, den ich erwiderte. "Ich denke, vielleicht warte ich doch noch ein wenig mit der Entwicklung. Ob ein paar Tage früher oder später, das macht vorerst auch keinen Unterschied. Lassen wir Evoli erst mal Evoli sein." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)