Never give up on you von C-T-Black ================================================================================ Kapitel 1: Ich gebe dich niemals auf ------------------------------------ Ein ohrenbetäubender Donnerschlag weckte Rin aus ihrem Schlaf. Es war stockdunkel in ihrem Zimmer und sie tastete nach der Lampe. Der Klang des starken Regen der auf das Dach prasselte war das einzige hörbare Geräusch und doch hatte Rin das Gefühl, dass hier noch etwas anderes war. Sie fand die Lampe genau in dem Moment, als ein Blitz vom Himmel zuckte. Ein Blitz, der ihr Zimmer taghell erleuchtete und ihre offene Tür wie ein Tor in eine andere Welt erscheinen ließ. Rin war sich hundert prozentig sicher, dass sie die Tür in den Garten geschlossen hatte. Dass sie jetzt offen stand beunruhigte sie. Die Lampe vergessend stand Rin auf und ging zur Tür, doch ohne das Licht eines Blitzes konnte sie absolut nichts erkennen. „Hallo?“, rief sie in die stürmische Nacht, doch die einzige Antwort blieb das Klappern der Holzelemente vor den Shōji. Rin zog ihren Yukata enger um ihren Körper und wollte gerade wieder die Tür schließen, als ein weiterer Blitz vom Himmel zuckte. Sofort hielt sie inne und starrte die Engawa entlang. Einige Meter von ihrem Zimmer entfernt lag jemand auf dem Boden und wurde vom Regen durchnässt. In den Sekunden, in denen der Blitz den Garten erhellte, konnte sie keine Regung von der Person ausmachen, was sie zögern ließ. Ihr Haus wurde von einigen Wachen beschützt. Wenn diese Person an diesen vorbei gekommen war, dann konnte sie unter Umständen gefährlich sein. Doch wenn er bewusstlos war… Wenn er Hilfe brauchte… Rin rannte zurück in ihr Zimmer, entzündete ihre Lampe und griff nach ihrem O-Mamori, das Nachts immer neben ihrem Bett lag. Sie ließ ihre Hand über den seidenen Stoffbeutel gleiten und ergriff den goldenen Stab, als er in ihrer Hand erschien. Wenn sie sich diesem Eindringling schon näherte, wollte sie lieber auf alles gefasst sein. So lief sie zurück zur Tür und hob die Lampe in die Höhe um ihren Weg zu erleuchten. Der Mann lag immer noch an der gleichen Stelle und als sie ihn erreichte ließ sie das Licht über seinen ganzen Körper wandern. Er trug einen weißen Kimono, dessen Ärmel in rot übergingen und einen passenden Hakama. Dazu einen gold-violetten Obi und einen Pelz, den er über der Schulter trug. Seine offenen silberweißen langen Haare klebten an ihm. Doch das faszinierendste an ihm war sein Gesicht. Es war fein geschnitten und ließ sogar im bewusstlosen Zustand eine gewisse Art von Stolz erkennen. Dazu kamen die magentafarbenen Streifen auf seinen Wangen und der blauviolette Halbmond auf seiner Stirn. „Ein Yōkai?!“, flüsterte sie zu sich selbst. Rin hatte schon öfter welche gesehen, doch nie war sie einem so nah gekommen, wie in diesem Moment. Langsam kniete sie sich neben ihm auf den Boden, stellte ihre Lampe ab und legte ihren Stab neben sich. Da er sich immer noch nicht rührte, ließ sie ihren Blick erneut über seinen Körper wandern. Er trug eine Rüstung über seiner Brust, doch diese war auf der linken Seite beschädigt. Sicher war er in einem Kampf verwickelt worden und jetzt verletzt. Von ihrer jetzigen Position konnte Rin nur nicht genau erkennen, welcher Art die Verletzung war, weshalb sie sich über den Yōkai beugte und schließlich eine Hand auf die Rüstung legte um sie etwas zur Seite zu ziehen. Diese Berührung musste den Yōkai allerdings aus seiner Bewusstlosigkeit gerissen haben, denn schneller als Rin reagieren könnte, hatte er ihre Hand gepackt und von seiner Rüstung gerissen. Im nächsten Moment lag Rin auf der Engawa und der Yōkai kauerte mit einem wütenden Knurren über ihr. Seine Augen leuchteten rubinrot und die Streifen auf seinen Wangen hatten sich in Zick-Zack-Linien verwandelt. „E- Es tut mir Leid. Ich wollte dir nicht weh tun.“, brachte Rin hervor. Sie sollte sich fürchten. Das wusste sie. Doch sie hatte sich lediglich vor dieser Geschwindigkeit erschreckt. Jetzt. Einen Moment später, schlug ihr Herz aus einem anderen Grund wie wild. Sie konnte es sich nicht erklären, doch aus irgendeinem Grund, verspürte sie keine Angst. Über die Lippen des Yōkai drang ein weiteres Knurren. Doch dann schwankte er und Rin konnte etwas Warmes, Flüssiges auf ihre Hand tropfen spüren. Sie brachte ihre Hand in ihre Blickfeld und erkannte Blut darauf. Überrascht sah sie wieder zu dem Yōkai auf, der seine Augen geschlossen hatte und seine Augenbrauen angestrengt zusammenzog. „Du bist schwer verletzt. Lass mich das ansehen, bevor du daran stirbst!“, befahl sie ihm und er stieß nur resignierend seinen Atem aus. Sofort befreite sich Rin aus seinem Griff und drängte ihn zurück. So das er wieder auf der Engawa lag. Ihr war dabei bewusst, dass sie das nur schaffte, weil er es wollte. „Ich brauche deine Hilfe nicht!“ Seine Worte ließen Rin kurz inne halten. Seine Stimme war so kalt und dennoch lag etwas darin, dass ihr sagte, dass er es nicht so meinte und dass ihr Sorgen bereitete. „Warum bist du dann hier her gekommen?“, fragte sie trotzdem und musterte ihn einen Moment. Er hatte die Augen noch geschlossen und schien auf die Frage nicht antworten zu wollen. Deshalb ließ sich Rin nicht länger aufhalten, kniete sich auf seine linke Seite und sah sich die Verletzung an. Es waren drei tiefe, kreisrunde Wunden. So als wäre er von etwas aufgespießt worden. Bei dem Gedanken lief Rin ein kalter Schauer über den Rücken. „Ich muss dir die Rüstung ausziehen, sonst kann ich dir nicht helfen. Und ich brauche noch ein paar Sachen…“ Noch während sie sprach ging Rin in Gedanken ihren Kräutervorrat durch. Sie hatte alles was sie brauchte in ihrem Zimmer aufbewahrt. Deshalb entschloss sie sich erst die Medizin zu holen, bevor sie ihm die Rüstung auszog. Sie war vielleicht das Einzige, was seine Wunden noch einigermaßen zusammen hielt und verhinderte dass er verblutete. „… Warte hier. Ich bin gleich zurück.“, erklärte sie deshalb und lief zurück in ihr Zimmer. Sie suchte ihre Kräuter zusammen, nahm eine Schale und frisches Wasser und einiges an Verbandsmaterial. So beladen kam sie zurück auf die Engawa und fand den Yōkai noch im Lichtkegel ihrer Lampe vor. Nur das er sich mittlerweile selbst die Rüstung ausgezogen hatte. Rin blieb einen Moment stehen und lächelte. Doch das Lächeln verschwand, als sie die Blutlache unter ihm sah. Wenn sie ihm nicht half, dann würde er hier schneller Sterben als ihr lieb war. Deshalb beeilte sie sich an seine Seite zu kommen. „Da bin ich wieder.“, sagte sie leise. Sie breitete alle Materialen aus und hielt nur noch einmal inne, als sie dabei war seinen Kimono von seinem Oberkörper zu ziehen. Wenn ihre Eltern wüssten, was sie hier tat. Sie würden sie in ihrem Zimmer einschließen, bis sie verheiratet wurde. Wohl oder übel duldeten sie, dass Rin sich in der Heilung auslebte, doch Verletzungen, die es erforderten, dass man sich vor ihr auszog, hatte sie nie behandeln dürfen. Vor allem nicht bei Männern. Rin schluckte und dann streifte sie den Kimono von seinen Schultern. Dabei rief sie sich immer wieder ins Gedächtnis, dass vor ihr ein Yōkai lag. Er war kein Mann und könnte niemals einer sein, auch wenn sein Körper so sehr einem glich. Als ihre Hand über seine Brustmuskeln, hinunter zu seinen Bauchmuskeln glitt, waren diese Gedanken allerdings verschwunden. Ehrlich gesagt dachte Rin in diesem Moment an gar nichts. So leer war ihr Kopf noch nie gewesen und als der Yōkai einen beschwerlichen Atemzug nahm, schlug ihr der Geruch von wilden Winden entgegen. In der hintersten Ecke ihres Gedächtnisses flackerte bei diesem Geruch etwas auf, doch sie konnte es nicht greifen. An irgendetwas versuchte ihr Kopf sie zu erinnern, doch sie kam nicht darauf was es war. Doch darüber konnte sie sich später noch Gedanken machen. Jetzt musste sie sich erst einmal um diese Wunden kümmern. Also wusch Rin die Wunden aus, presste blutstillende Kräuter darauf und nachdem die Blutung aufgehört hatte, trug sie eine wundheilende Paste auf die Wunden und verband seine Brust. Irgendwann im Laufe ihrer Behandlung war das Gewitter vorüber gezogen und jetzt unterbrachen nur noch vereinzelte Tropfen, die in Pfützen fielen, die Stille der Nacht. Während sich Rin die Hände wusch, ließ sie ihren Blick noch einmal über ihr fertiges Werk wandern. Er hatte Glück gehabt, dass keine inneren Organe verletzt worden waren, denn so hatte sie im Helfen können. Andernfalls wäre er hier gestorben. Und Rin war unendlich froh, dass er noch lebte. Doch bald würde die Sonne aufgehen und spätestens dann, würden ihn die Wachen finden. Deshalb räumte sie all ihre Sachen zurück in ihr Zimmer und versuchte schließlich den Yōkai zu bewegen. Nur war das leichter gesagt als getan. Bewusstlos, wie er war, schaffte sie es nicht ihn auch nur einen Millimeter zu bewegen. „Bitte… du musst aufwachen. Ich muss dich von hier weg bringen, sonst töten dich die Wachen, sobald sie dich finden!“, flehte sie, während sie versuchte ihn wach zu rütteln. Leider reagierte er darauf nicht. Sicher hatte er zu viel Blut verloren und befand sich an der Grenze zum Tod. Von dort würde sie ihn nicht einfach so wegholen können. Und ihn zu bewegen würde die ganze Sache nur schlimmer machen. Deshalb ging Rin alle ihre Möglichkeiten durch und kam zu einem Schluss. Es war Wahnsinn. Das wusste sie nur zu gut, als sie zurück in ihr Zimmer lief und ein kleines Tantō holte. Aber sie wusste keine bessere Lösung. Sie kannte sich zu wenig mit Yōkai aus um zu wissen, was sie genau tun konnte. Es grenze schon an ein Wunder, dass die Kräuter, die für Menschen bestimmt waren, auch bei ihm gewirkt hatten. Aber lieber wollte sie einmal in ihrem Leben etwas Verrücktes wagen, als es hinterher zu bereuen. Die Schneide glitt in ihre Haut wie durch Butter. Das Tantō war perfekt geschliffen. Eigentlich, um sie vor Eindringlingen zu beschützen. Doch das hatte sie noch nie gebraucht. Wahrscheinlich war ihr Blut, dass Erste, das dieser Dolch jemals gesehen hatte und obwohl es brannte, drückte Rin die Klinge tiefer in ihre Haut. Sie hatte vorgehabt einmal über ihre ganze Handfläche zu schneiden, doch schon als der erste Blutstropfen von ihrer Hand fiel, war der Yōkai erwacht und riss ihr das Messer aus der Hand. „Was tust du da?“, rief er aufgebracht. Wieder hatte sich Rin aufgrund seiner Geschwindigkeit erschreckt, doch nachdem der erste Schrecken überwunden war, blinzelte sie. Seine Augen hatten die Farbe von rubinrot in flüssiges Gold gewechselt. Ein Goldton, der sie immer wieder in ihren Träumen verfolgte. „Du- du hast so viel Blut verloren… Ich wollte dir meines geben…“, sagte Rin leise und wurde rot, als ihr klar wurde, wie dumm sie klang. Sie schlug ihren Blick zu Boden, bis sie seine Lippen an ihrer Hand spürte. Überrascht sah sie wieder zu ihm auf, doch er begegnete ihrem Blick nicht. Er konzentrierte sich einzig und allein auf ihre Hand. Einen unendlich langen Moment sah Rin dabei zu, wie er immer wieder über den Schnitt in ihrer Hand leckte. So lange bis ihr ein Seufzen über die Lippen drang und er zu ihr sah. Sie hatte zuerst nicht realisiert, dass das Geräusch von ihr gekommen war, doch als es ihr klar wurde, stieg ihr die Röte ins Gesicht. „Tu nie wieder so etwas Törichtes!“ Die Kälte war aus seiner Stimme verschwunden, als er das sagte. Sie war durch etwas ersetzt worden. Eine Art Knurren, das nicht zur Warnung gedacht war und in Rins Körper wiederhallte wie ein Echo. „Woher kenne ich dich?“ Die Frage war über ihre Lippen gekommen, bevor es Rin überhaupt bewusst wurde. Doch sie wollte es wissen. Es nagte an ihr, dieses Gefühl ihn zu kennen. Obwohl sie sich sicher war, ihm noch nie begegnet zu sein. Aber vielleicht verband sie etwas aus einem früheren Leben. Ein Schatten legte sich über das Gesicht des Yōkais und er löste sich von ihr. Mühsam stand er auf und griff nach seiner Rüstung. „Wir kennen uns nicht.“, sagt er von ihr abgewandt. Sofort sprang Rin auf und trat ihm in den Weg. „Warum bist du dann ausgerechnet hier her gekommen? Woher konntest du wissen, dass ich dir helfen kann? Und… woher kommt dieses Gefühl, dass du in mir erzeugst?“ Rin musste es einfach wissen. Diese Begegnung konnte unmöglich ein Zufall sein. Daran konnte sie einfach nicht glauben. „Ich wusste es nicht. Ich wollte hier eigentlich jemanden ausweiden um mich selbst zu heilen. Diese Begegnung war nichts als Zufall und nur weil du es aufregend findest einem Yōkai so nah zu sein, kann ich dir auch nicht helfen.“ Da war sie wieder. Diese Kälte. Nur jagte sie diesmal einen Schauer durch Rins Körper. Wenn er wollte, dann konnte er ein gefährliches Raubtier sein. Ein Raubtier, dem die Gefühle eines Menschen vollkommen gleich waren. Der nichts darauf gab, was andere von ihm hielten. „Das glaube ich nicht…“, sagte Rin leise und trat einen Schritt näher. Er war gefährlich. Das war ihr klar und dennoch war es ihr egal. Alles in ihr schrie plötzlich danach ihm nah zu sein. Auch wenn sie es sich nicht erklären konnte aber sie spürte, dass sie etwas verband. Deshalb streckte sie auch ihre Hand aus und griff nach seiner, doch noch bevor sie diese erreichen konnte, war er verschwunden. Aufgeregt lief Rin an den Rand der Engawa und versuchte in der Nacht etwas zu erkennen, doch der Yōkai war nirgends zu sehen. Er war einfach in der Dunkelheit verschwunden und nichts deutete darauf hin, dass er jemals hier gewesen war, außer das Blut in dem Rin stand. Am nächsten Morgen hatte Rin zuerst geglaubt, das alles nur geträumt zu haben. Doch dann hatte sie vor der Tür ihr Tantō gefunden. Perfekt gereinigt und in makellosem Zustand. Da hatte sie gewusst, dass sie sich diesen Yōkai nicht eingebildet hatte. Dass sie diese goldenen Augen, von denen sie stets träumte, wirklich gesehen hatte. Doch seit dieser Nacht waren drei Monate vergangen und sie hatte ihn nicht wieder gesehen. In den ersten Wochen hatte sie im Ort und der näheren Umgebung nach ihm gesucht. Hatte sich gedacht, dass er mit seiner Verletzung nicht allzu weit kommen könnte. Aber sie hatte sich getäuscht und ihn nicht wieder gefunden. Und heute würden ihre Eltern sie mit dem Sohn eines reichen Kaufmanns verheiraten. Heute, würde sie die Gedanken an diese goldenen Augen für immer aufgeben müssen. Es war eine arrangierte Ehe, gegen die Rin bis jetzt noch war. Aber gegen ihre Eltern kam sie nicht an und sie wollte ihre Ehre nicht beschmutzen indem sie einer Fantasie hinterher jagte. Heute war der Tag, an dem sie erwachsen werden musste. Denn es war ja wohl kindisch jemanden hinterher zu jagen, der überhaupt nicht in ihre Welt gehörte. Ihre Dienerin war gerade damit fertig geworden, sie in ihren Braut-Kimono zu kleiden und hatte den Raum für einen Moment verlassen, so dass Rin ein letztes Mal durchatmen konnte. Sie trat an ihren Schrank und zog die oberste Schublade auf. Darin lag das Tantō, das sie vor drei Monaten dort hinein gelegt hatte und seitdem nicht mehr angesehen hatte. Er hatte es ihr zurück gebracht. Frei von allen Spuren ihrer Dummheit. Und auch auf ihrer Handfläche war keine Narbe zurück geblieben. Für einen Moment war Rin versucht, die Wunde noch einmal aufzuschneiden, doch dann legte sie den Dolch zurück und schloss die Schublade. Es war eben doch nur ein Zufall gewesen. „Bist du so weit Liebes?“ Die Stimme ihres Vaters riss Rin aus ihren Gedanken und sie ging zur Tür um sie zu öffnen. „Ich bin so weit.“, sagte sie, während ihr Vater die Augen aufriss. „Du siehst bezaubernd aus.“, sagte er hingerissen und reichte ihr eine Hand, die Rin ergriff. Die Feier fand außerhalb des Dorfes in einem Tempel statt. Als Rins Vater sie in den Innenhof führte, erwartete ihr zukünftiger Mann sie bereits am anderen Ende. In diesem Moment blieb Rin stehen und ein letzter Widerstand flackerte in ihrem Inneren auf. Sie konnte das nicht tun. Alles daran fühlte sich falsch an… Der warme Händedruck ihres Vaters brachte sie dazu auf die Hand zu sehen, die er hielt. „Keine Angst. Er wird ein guter Mann sein.“, versuchte er sie aufzubauen. Tatsächlich hatte sie ihn erst einmal gesehen und dabei vielleicht drei Sätze mit ihm gewechselt. Sie kannte ihn nicht. Konnte nicht einschätzen wie er war. Und doch hatte ihr Vater vertrauen in diesen Fremden. Sie spürte, wie sie nickte und schließlich einen Fuß vor den anderen setzte. Es war, als betrachtete sie sich von außerhalb. Als sah sie gerade eine Fremde zum Altar schreiten. So, als wäre sie vollkommen unbeteiligt an dieser Szenerie. Bis ihr Vater ihre Hand in die ihres zukünftigen Ehemanns legte. Sie war zu klein. Zu verschwitzt und doch schenkte sie ihm ein kleines Lächeln. Wenn es so sein sollte. Dann würde sie seine Frau werden, aber bevor sie sich in ihr Schicksal ergab schickte sie ein letztes Gebet zu den Göttern. Und so als hätten sie sie erhört, explodierte im nächsten Moment das Gebäude neben ihnen. Sofort brach Panik aus und Rin warf sich zu Boden um nicht von den umherfliegenden Steinen getroffen zu werden. Von ihrem zukünftigen Ehemann war nichts zu sehen, als sie wieder aufsah. Im Gebäude zu ihrer Rechten befand sich ein riesiges Loch und Staub wirbelte um die zerfallenen Mauern. Und aus diesem Schutt trat ein gewaltiger weißer Hund. Irgendetwas an diesem kam Rin bekannt vor und als sie die magentafarbenen Streifen und den Halbmond erkannte, wusste sie, dass es sich um den Yōkai handelte, den sie verarztet hatte. Wieder blutete er. Diesmal aus mehreren kleineren Verletzungen, die quer über seinen ganzen Körper liefen. Doch er stand noch. Bei seinem Anblick sprang Rin auf die Füße, was seine Aufmerksamkeit auf sie zog. Eine Sekunde lang, gab es diesen Moment zwischen ihnen. Ein Moment, in dem es nur sie beide gab und egal wie weit sie auseinander standen. Es fühlte sich an, als stünden sie sich direkt gegenüber. Und dabei konnte Rin diesen Gedanken endlich greifen, der ihr die ganze Zeit im Kopf herumgeschwirrt war. Ein Gedanke, dem Unzählige folgten. So viele, dass Rin fast in die Knie ging. Es waren alles Erinnerungen. Erinnerungen an ein Leben vor diesem hier. Bevor sie in das Haus ihrer vermeidlichen Eltern gekommen war. Ein Leben an Sesshōmarus Seite. Er war es gewesen, der sie nach dem finalen Kampf hier her gebracht hatte. Um ihr ein friedliches Leben zu schenken. Eines, ohne die ständigen Kämpfe, in die er immer verwickelt wurde. Und doch hatte er immer über sie gewacht. Es war kein Zufall gewesen, dass sie immer von seinen Augen geträumt hatte. Immer wieder hatte sie ihn gesehen, auch wenn es ihr Gehirn als Einbildung abgetan hatte. Aber er hatte sie all die Jahre beschützt, das wusste sie jetzt. Und sie wusste auch, dass sie ihn niemals aufgeben konnte. Sie wollte es ihm entgegen rufen. Wollte ihm sagen, dass sie sich wieder an alles erinnerte. Doch in diesem Moment stieß ein gewaltiger Drache aus den Wolken herab und spie sein Feuer nach Sesshōmaru. Auch wenn Rin einige Meter entfernt stand, konnte sie die Hitze des Feuers spüren und wich zurück. Die panischen Schreie und das Chaos um sich herum nahm sie dabei kaum war. Alle Hochzeitsgäste versuchten sich in Sicherheit zu bringen, doch Rin konnte nur da stehen und zusehen, wie Sesshōmaru den Flammen auswich und auf das Dach des Haupthauses sprang. Als der Drache bemerkte, dass er sein Ziel verfehlt hatte, brüllte er auf und schlug mit seinem Schwanz nach ihm. Doch auch diesem Angriff konnte er ausweichen. Nur leider übersah er, dass der Drache seinen Schwanz sofort nach dem ersten Angriff über ihn hob und ihn nachfolgend auf ihn niedersausen ließ. Sesshōmaru wurde unter dem Schwanz begraben und der Schlag zerstörte das halbe Haupthaus. Jetzt war es Rin, die panisch aufschrie und ungeachtet der Gefahren auf das Gebäude zulief. Hinter ihr hörte sie noch ihren Vater rufen, doch darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Sie erreichte das Haus gerade, als einige Soldaten aus dem Ort anrückten um den Drachen zu vertreiben. Auch wenn sie hier wenig Kontakt mit Yōkai hatten, waren doch alle Männer darauf trainiert mögliche Gefahren schnellstmöglich zu beseitigen. Rin erreichte das Haupthaus und kletterte auf den Trümmerberg. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie sein Fell unter einigen Steinen hervorblitzen sah. Sofort begann sie die Trümmer beiseite zu schaffen, bis sie Sesshōmarus Oberkörper befreit hatte. „Sesshōmaru!“, rief sie ängstlich. Beim klang seines Namens von ihren Lippen, öffnete Sesshōmaru seine rubinroten Augen. „Verschwinde von hier.“, war allerdings das Einzige, was er nach einem langen Moment sagte. „Niemals! Ich werde dich nicht noch einmal allein lassen. Nicht nach all der Zeit!“ (Hier wäre der Moment, das Lied in Dauerschleife laufen zu lassen^^ https://www.youtube.com/watch?v=ac5xNUfzCY4) Sesshōmaru schloss die Augen und seufzte auf. „Ich kann dich nicht beschützen Rin. Ich kann Bakusaiga nicht ziehen und habe meine Titel verloren. Das hier ist nur das Ende, das viel früher hätte kommen sollen.“ Seine Stimme klang traurig und geschlagen. So als hätte er sich selbst aufgegeben. Etwas, das Rin nicht von ihm kannte. Alles sah danach aus, als läge er am Boden und käme nicht mehr alleine hoch. Doch Rin war nicht bereit ihn aufzugeben. „Dann lass ihn uns gemeinsam besiegen. Ich kann ganz gut mit dem Stab kämpfen!“, erklärte sie und ließ ihre Hand über ihr O-Mamori gleiten, dass sie stets bei sich trug. Wieder erschien der goldene Stab in ihrer Hand und sie streckte Sesshōmaru eine Hand entgegen um ihm aus dem Trümmerhaufen zu helfen. Doch er wendete seinen Blick ab. „Geh einfach Rin. Du hast ein Leben bei diesen Menschen. Eins, ohne Gefahren!“ Rin fragte sich ernsthaft, was in den letzten Jahren geschehen war, dass er so sprach. Hatte der Verlust seiner Titel und seiner Ländereien auch seinen Stolz mit fortgewischt? Sie konnte es sich nicht vorstellen. „Es ist ein Leben das ich niemals wollte, Sesshōmaru. Eins, in dem ich heute verheiratet werden sollte. Aber das ist mir alles gleich. Ich würde immer wieder zu dir kommen und dabei wäre mir egal, was ich zurücklasse oder verlieren könnte, solange ich bei dir sein kann. So wie ich es schon immer wollte!“ Bei diesen Worten sah Sesshōmaru sie wieder an und da lag ein Schimmer in seinen Augen, der Rin Hoffnung machte und ihr gleichzeitig erklärte, was in den letzten Jahren vorgefallen war. „Ich kann für dich stark sein, Sesshōmaru… Und ich kann zu meiner Entscheidung stehen. Auch wenn du perfekt allein die Welt mit deinem Strahlen erhellen kannst… Wenn du mich willst, dann werde ich für immer dir gehören und dieses magische Band zwischen uns der ganzen Welt zeigen!“ Rin ergriff seine Hand. Sie wartete nicht mehr darauf, dass er ihre nahm. Ihre Finger verschränkte sie mit seinen, bevor sie sich vor beugte und ihn küsste. Es war ihr erster Kuss, doch sie würde ihm niemanden lieber schenken als Sesshōmaru. Dem Mann, der ihr Leben auf den Kopf gestellt hatte und ihr gezeigt hatte, dass alles möglich war. Und dem sie jetzt zeigen konnte, dass er alles erreichen konnte, was er nur wollte. Während des Kusses ergriff sie Bakusaiga und zog es aus seiner Scheide. Sesshōmaru hatte ihr die Wahrheit gesagt. Ein Geheimnis, dass er wohl schon viel zu lange mit sich herum trug. Es war ein Beweis seines Glaubens in sie gewesen und sie würde ihm beweisen, dass daraus Stärke entstehen konnte. „Kämpfe. Für mich und unsere Zukunft. Und dann komm hier her zurück und mach mich zu deiner Frau, bevor ich an einen Menschen gebunden bin, den ich nicht ertrage anzusehen.“, hauchte Rin an seinen Lippen, während sie ihm Bakusaiga in die Hand drückte. Mit festem Griff schlossen sich seine Finger um das Heft und als er sich von ihr löste, leuchteten seine Augen, wie sie es gewohnt war. Voller Entschlossenheit und Hoffnung. Hoffnung auf etwas, das er nicht zu hoffen gewagt hatte. Liebe. „Bring dich in Sicherheit. Ich werde dich finden.“, sagte Sesshōmaru nach einem Moment mit einem Knurren in der Stimme, dass Rin erzittern ließ. Noch einmal küsste er sie, bevor er sich aus den letzten Trümmern befreite und zum Angriff überging. Bei seinen ersten Worten war es Rin klar geworden. Sesshōmaru hatte aufgegeben. Weil er unter einer Entscheidung litt, die er einmal für richtig gehalten hatte und bei der er sich die letzten Jahre immer eingeredet hatte, dass es so sein sollte. Er hatte sich damals dafür entschieden seine Liebe weg zu geben um ihr ein Leben zu ermöglichen, von dem er glaubte dass es sie glücklich machen könnte. Doch er hatte sich geirrt und es jede Sekunde lang bereut. Er hatte sie nicht los lassen können und genau aus diesem Grund war er vor drei Monaten zu ihr gekommen. Nicht nur weil er wusste, dass sie ihm helfen konnte. Sondern auch, weil er geglaubt hatte zu sterben und sie noch einmal sehen wollte. Eine Träne rollte über Rins Wange, beim Gedanken daran, wie abgrundtief Sesshōmaru sie liebte. Er musste es nicht einmal aussprechen. Sie wusste es. Und zu wissen, dass sie ihn auch liebte. Dass sie ihn wollte. Das machte ihn stark. Er hatte sich aufgegeben, um seinen Gefühlen ein Ende zu bereiten. Doch jetzt hatte er wieder Kraft gefunden. Kraft in dem, wonach er sich am meisten gesehnt hatte. Ihrer Liebe zu ihm. „Du willst mich also sitzen lassen, für einen unzivilisierten Yōkai? Was für eine Schande für deine Familie!“ Beim Klang dieser Stimme fuhr Rin herum. Ihr Verlobter stand keine fünf Meter von ihr entfernt und sah sie mit einem Blick an, als wäre sie ein Stück Dreck unter seinem Schuh. „Zu dumm, dass ich deine Mitgift dringend brauche. Mein Vater will mir nämlich keinen Cent mehr von meinem Erbe überlassen, solange ich keinen eigenen Erben habe. Deshalb brauche ich dich.“, sagte er mit einer Kälte in der Stimme, die Rin erschaudern ließ. Als er auf sie zu kam, wich Rin zurück, doch sie stolperte über einen Stein und ging zu Boden. Mit einem selbstzufriedenen Grinsen kam ihr Verlobter auf sie zu, packte sie am Handgelenk und zerrte sie von den Trümmern. „Lass mich auf der Stelle los. Ich werde niemals in diese Ehe einwilligen!“, rief Rin aufgebracht und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Der Griff um ihr Handgelenk wurde allerdings nur noch fester während er sie in den nahen Wald brachte, wo sie einen verängstigten Priester vorfand. „Vermählen sie uns! Jetzt sofort!“, verlangte ihr Verlobter. Der Priester sah von ihm zu Rin und dann zu seinem Tempel. „Sollten wir nicht warten bis dieser Angriff vorüber gegangen ist? Sicher wollen ihre Familien eine angemessene Feier-“ Der Priester wurde unterbrochen, als Rins Verlobter ihn am Kragen packte und schüttelte. „Sie hören mir jetzt genau zu. Ich scheiß auf die Familie. Verheiraten sie uns. Jetzt sofort. Ohne viel drum rum und ohne irgendwelche Bestätigungen ihrerseits!“, zischte er dabei drohend. Wieder sah der Priester zu Rin, doch so wie er zitterte, wusste sie, dass er nachgeben würde ohne weitere Fragen zu stellen. Rin schloss die Augen und begann noch einmal zu beten. Sie machte sich keine Sorgen um Sesshōmaru. Er würde den Kampf gewinnen, das wusste sie. Aber wenn sie nach dem Kampf die Frau eines anderen sein sollte. Es könnte ihn über eine Klippe stoßen, über die sie ihn nie wieder ziehen könnte. Nachdem sich der Priester vom ersten Schock erholt hatte, begann er eine knappe Zeremonie, während der Rin immer wieder versuchte sich aus dem Griff ihres Verlobten zu befreien. Doch er hielt so fest, dass Rin sicher blaue Flecken davontragen würde. Der Priester war so gut wie am Ende, als sich eine grüne Giftpeitsche um seinen Hals schlang und seinem Leben ein jähes Ende bereitete. Erschreckt von diesem Ereignis ließ der Verlobte los und Rin überlegte keine Sekunde. Sie hatte gesehen woher die Peitsche gekommen war und lief ohne zu zögern zu deren Ursprung. „Sesshōmaru!“, rief sie erleichtert, als sie ihn erreichte und in seine Arme rannte. Für einen Moment drückte er sie an sich und atmete ihren Geruch tief ein. Dann löste er sich wieder von ihr und ließ seine Fingerknöchel über ihre Wange gleiten. Rin schmiegte sich in die Berührung und schloss kurz die Augen. „Geht es dir gut?“, fragte er und Rin hätte bei seiner Sanftheit fast geweint. Weil sie ihrer Stimme nicht vertraute, nickte sie deshalb nur und sah ihn wieder an. Sesshōmaru presste seine Stirn an ihre und jetzt war er es, der die Augen schloss. „Lass mich das hier beenden und dann will ich dich von hier fortbringen!“ Wieder nickte Rin und Sesshōmaru löste sich von ihr, um ihrem Verlobten gegenüber zu treten. Es dauerte keine fünf Minuten, bis Sesshōmaru zurück an ihrer Seite war. Er blieb vor ihr stehen, so das Rin ihren Blick einmal über seinen Körper wandern lassen konnte. Sie konnte keine Verletzungen mehr erkennen, was sie unendlich erleichterte. Wahrscheinlich hatte seine Selbstheilungsfähigkeit unter seinen Zweifeln ebenfalls gelitten. Doch jetzt war er wieder der Mann, den sie kannte. Entschlossen sich zu nehmen was er wollte und doch bereit seinen Stolz für sie zu vergessen. „Lass uns nach Hause gehen!“, sagte Rin und streckte ihm ihre Hand entgegen. Sesshōmaru nickte und legte seine Hand in ihre. Dabei verschränkte er seine Finger mit ihren und hielt sie fest, bis er sie nach Hause gebracht hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)