Die Motus von Futuhiro (Magister Magicae 5) ================================================================================ Kapitel 4: Zentrale ------------------- Victor wollte gerade die Gestalt einer Fliege annehmen und ungesehen am Türsteher vorbeisummen. Nicht, daß er einen Grund dazu gehabt hätte. Er liebte es einfach nur, den Türsteher dann und wann ein bisschen zu ärgern. Der rühmte sich immer, daß keiner ohne seine ausdrückliche Erlaubnis an ihm vorbei in das Bürogebäude kam. Victor liebte das dumme Gesicht, wenn er aus dem Gebäude herauskam und dem Türsteher noch einen schönen Tag wünschte, dieser sich aber gar nicht daran erinnern konnte, ihn überhaupt reingelassen zu haben. Ein „Eh, Akomowarov, warte mal!“ hinderte ihn jedoch an seinem Schabernack, bevor er diesen in die Tat umsetzen konnte. Victor sah sich um, wer da nach ihm gerufen hatte. Einer der örtlichen Unterbosse der Motus schloss zu ihm auf. Victor erinnerte sich, daß der Schutzgelder von ein paar Ovinniks kassierte, damit die Motus sie in Ruhe ließ. Ovinniks waren kleine, böse, russische Haus- und Hofgeister, die Scheunen abbrannten, wenn sie sauer waren. Sie standen auf der blauen Liste der Motus und wurden eigentlich von der Motus versklavt, wenn man ihrer habhaft wurde. Victor hatte dieser Schutzgeld-Aktion schon länger mal einen Riegel vorschieben wollen, denn der Kerl behielt die Kohle natürlich für sich. Die Motus sah keinen Rubel davon. Aber Victor hatte in letzter Zeit zuviel anderes zu tun gehabt. Nun, jetzt hatte es auch keine Priorität mehr. „Hey, ich muss nächste Woche nach Irland.“ „Okay!? Und?“, meinte Victor nur verständnislos. „Ich brauch dafür einen falschen Pass und eine nicht registrierte Waffe.“ Victor nickte. „Das mit dem Pass werde ich dem Boss ausrichten. Den bekommst du. Eine neue Waffe nicht. Deine kann nicht zurückverfolgt werden. Du brauchst keine neue.“ „Die kann ich aber nicht mitnehmen. Die kriege ich nicht durch die Metalldetektoren und Gepäckkontrollen am Flughafen.“ „Wozu brauchst du überhaupt ne Waffe? Ist ja nicht so, als ob wir in Irland keine Leute hätten, denen wir Aufträge geben könnten, die eine Waffe erfordern!“ „Glaubst du, ich führe Verhandlungen mit einem bis an die Zähne bewaffneten Waffenhändler und hab selber keine Knarre einstecken? Bin ich lebensmüde?“ Victor seufzte. „Schön. Ich kümmer mich darum, daß du in Irland von einem Kontaktmann eine neue zugespielt bekommst.“ „Alles klar.“ Der Mann drehte sich um und wollte sich wieder verkrümeln. „He!“, machte Victor streng und hielt ihn an der Schulter fest. „Was denn noch?“ „Wie wär´s mal mit einem 'danke' oder einem 'auf Wiedersehen'?“ Der Kerl musterte ihn empört von oben bis unten. „Bist du empfindlich, oder was!?“ „Ich bin hier der verdammte Vize-Chef der gesamten Motus! Ich bin dein Vorgesetzter! Und ich verlange, daß ich auch so behandelt werde!“, zischte Victor wütend und verfluchte innerlich sein viel zu harmloses Erscheinungsbild. „Wahrscheinlich nicht mehr lange, du Genius!“, bekam er die höhnische Antwort. „Wie einer wie du überhaupt zum Vize-Chef aufsteigen konnte, ist mir sowieso ein Rätsel. Du bist ja nichtmal ein Mensch.“ Victor nahm langsam die Form eines riesigen, schwarzen Wolfes an – als Gestaltwandler konnte er das – und fletschte seine monströsen Reißzähne. Ein kehliges Knurren entrang sich ihm, das dem Außendienstler das Gesicht einschlafen ließ. Wenn er in seiner menschlichen Gestalt nicht ernstgenommen wurde, dann musste er eben eine bestialische annehmen. Ja, die Motus-Typen hielten nicht viel auf Genii, das wusste er. Aber sich vor solchen Genii schützen zu wollen, die Menschen angriffen und töteten, und perse alle Genii auf der Welt zu verachten, war schon ein gewaltiger Unterschied, der Victor entschieden gegen den Strich ging. Gut, gleich ganze Genius-Spezies artenweise auszulöschen, ohne konkreten Anlass, wie die Motus es tat, war auch nicht besser, aber in der Begründung immerhin noch nachvollziehbarer. Der Typ hechtete schreiend in die Männertoilette, der große Wolf hinterher. Er schloss sich panisch in einer Klokabine ein. Der auf diese Weise ausgesperrte Wolf begann draußen wie in Rage zu toben, sich knurrend gegen die Holztür zu werfen, mit den riesigen, krallenbewährten Tatzen daran zu schaben und mit der langen Schnauze darunter hindurch zu schnappen. Sicher hätte er die gesamte Kabinenkonstruktion kurz und klein geschlagen, wenn nicht gleich darauf der Türsteher dazugekommen wäre und dem Ganzen mit einem „Victor, jetzt lass doch den kleinen Pisser in Ruhe!“ Einhalt geboten hätte. Victor ließ knurrend von der Tür ab, wechselte in seine menschliche Gestalt zurück und atmete erstmal tief durch. Dann drosch er mit der Faust gegen die Klotür. „Mach auf!“ „Nein!“, wimmerte es von drinnen total verstört. „Aufmachen, hab ich gesagt! Sonst schwöre ich bei Gott, daß ich eine Gestalt annehme, die unter der Tür durchpasst, und zu dir rein komme!“ Zögerlich wurde das Schloss der Kabine wieder herumgeriegelt. Victor stieß sie wütend auf, bevor sie die freiwillige Chance dazu bekam. „Wenn du mich das nächste Mal so blöde schräg ansiehst, weil ich ein Genius bin, hast du ausgestunken, daß das klar ist! Du bist nichtmal magisch begabt, du Heuchler! Du bist hier in der Motus gleich gar nichts wert! Ich erwarte von jetzt an immer einen ehrfürchtigen 'guten Tag' und 'guten Weg', wenn du mir vor die Nase gerätst, und ein unterwürfiges 'Dank für die Güte' für jede noch so kleine Gefälligkeit, die ich dir zugestehe! Haben wir uns verstanden!?“ Der Mann, der inzwischen zitternd auf den zugeklappten Klodeckel gesunken war, nickte nur verängstigt, ohne ein Wort heraus zu bekommen. Victor betitelte ihn noch mit einem bösen Schimpfwort und schickte sich dann zufrieden an, zu gehen. „Victor, war das jetzt wirklich nötig?“, wollte der Türsteher tadelnd wissen, der sich ihm kopfschüttelnd anschloss. „Ja. ... Ach ja, kassier von ihm die Schutzgelder ein, die er seit 4 Monaten an der Motus vorbeigeschmuggelt hat!“, trug er dem Türsteher auf, so laut, daß auch der Mann in der Klokabine es noch hörte. Dann machte er sich endlich auf den Weg zu seinem eigentlichen Ziel. Dem Büro des Chefs. „Ya vernulsya ...“ [Ich bin wieder da ...] Im Büro stolperte Victor beinahe über eine Leiche in ihrer eigenen Blutlache, als er herein platzte. Irgendein unbedeutender Laufbursche. Ein Kobold. Ein feiger, schleimiger Arschkriecher, der sich erhoffte, indem er der Motus half, kein Opfer derselben zu werden. Victor kannte ihn nur flüchtig. „Gut. Hast du gestern die Mission erfüllt?“, wollte der Boss stoisch wissen, ohne von dem Glas aufzusehen, das er gerade mit Wein voll goss. „Ja. ... Was ist denn mit dem passiert?“ „Ich hab ihn umgelegt.“ „Ich seh´s schon. Hat er´s denn verdient?“ „Er hat mir erzählt, daß wir an die Polizei verpfiffen wurden.“ „Aha?“, machte Victor erstaunt. „Überbringer schlechter Nachrichten sind dir nicht willkommen, was?“ Er stieg achtlos über die Leiche hinweg und kam ohne Eile zum Schreibtisch herüber. Ein Motusanhänger mehr oder weniger, was soll´s. Konnte ja nur gut sein. „Nichtsnutziger Haufen unfähiger Vasallen! Wie ich sie hasse, alle miteinander! Statt den Bullen mit dem Briefumschlag abzufangen, kam er lieber direkt zu mir gekrochen, um zu petzen. Inzwischen liegt der Umschlag in irgendeiner Polizeistation!“ „Konnte er dir wenigstens noch erzählen, wer´s war, bevor du ihn gemeuchelt hast?“ Das Gesicht des Chefs verdunkelte sich wütend. Er knallte die Weinflasche auf den Tisch und sah ihm endlich direkt in die Augen. Er beantwortete das nicht. Stattdessen wandte er sich seinem Laptop auf dem Schreibtisch zu. „Ich habe eine Telefonkonferenz einberufen. Wir wollen unsere Außenstellen ja nicht in Unkenntnis lassen. Wir warten nur noch auf dich. Du als Vize-Chef solltest da nicht fehlen.“, brummte er. Das war spürbar nicht das, was er Victor eigentlich hatte mitteilen wollen. Victor nickte nur ungerührt. Er war völlig ruhig und gelassen. Ihm schienen diese Neuigkeiten keine Bauchschmerzen zu bereiten. Wie beiläufig zeigte er das alte Magie-Buch hoch, das er der Nachtmahr-Familie entwendet hatte, und legte es dann auf den Schreibtisch. Als wolle er mit der erfüllten Mission seine Treue bekräftigen. Dann kam er mit um den Laptop herum, damit die Webcam ihn erfasste und damit auch er die anderen sehen konnte. Der Boss war noch mit dem Anwählen aller wichtigen Funktionäre beschäftigt. Auf dem Bildschirm waren noch 5 der 8 Monitore schwarz. Ruppert Edelig war schon aus England zugeschalten. Das war ihr Finanz-Chef. Sah aus, als würde er noch im Morgenmantel stecken. Victor überlegte, wie spät es in England wohl gerade war. Ruppert hob kurz grüßend die Hand, als er Victor im Kamerawinkel auftauchen sah, der Russe gab nur ein knappes Nicken zurück. Und aus Barcelona war Ramon Djego zugeschalten, der Verantwortliche für die Waffengeschäfte und Kluster-Chef der spanischen Zweigstelle. Im dritten Bildschirm sah Victor sich selbst hinter dem Boss Vladislav stehen. Der vierte Monitor blitzte auf. Dietmar Unger aus Düsseldorf, einer der Haupt-Sklavenhändler und Leiter der deutschen Zweigstelle, der erstmal seine Katze vom Schreibtisch scheuchte, welche mitten durch das Sichtfeld trampelte. Neben der Moskauer Zentrale hatte die Motus noch Außenstellen in nicht weniger als 7 Ländern Mitteleuropas und dem Nahen Osten. Der Boss hatte in jeder davon einen eigenen Geschäftsführer eingesetzt. Er hatte alles gerne in Abteilungen. Keiner kannte die gesamte Organisation. Reine Vorsicht, falls einer dieser Kluster auffliegen sollte. „Eh, u menya vopros.“ [Ich habe eine Frage.], meldete Ramon Djego, der die Zeit wohl gern für ein persönliches Anliegen nutzen wollte, bevor alle anderen zusammengetrommelt waren. Sein Russisch war trotz seines spanischen Akzentes tadellos zu verstehen. „Hier treiben sich ein paar Muchachos herum, die Genii abschlachten und behaupten, sie würden zur Motus gehören. Weißt du davon mehr als ich, Amigo?“ Der Boss schüttelte abgelenkt den Kopf, während er die letzte Nummer fertigwählte. Inzwischen waren noch zwei weitere Gesprächspartner in die Videokonferenz gekommen, in unterschiedlichen Stadien des Halbschlaf- und Wachzustandes. Keiner von denen war es gewohnt, früh aufstehen zu müssen, um etwa einer ehrlichen Arbeit nachzugehen. Bei denen liefen lediglich viele illegale Sachen spät in der Nacht ab. „Nein. Hab nichts gehört. Machen sie dir Ärger?“, gab er zurück. Ramon Djego reagierte seinerseits mit einem Kopfschütteln. „Nein. Ich dachte nur, du solltest davon wissen. Sie verfolgen hier ein paar Chupacabra.“ „Klär mich auf.“, bat der Boss interessiert. „El Chupacabra sind Ziegensauger, die wohl hauptsächlich hier in Spanien auftauchen. Diese Genii fallen über Ziegen und Schafe her. Menschen lassen sie normalerweise in Ruhe. Ich denke, da haben ein paar Bauern ihre Viehherden eingebüßt und wollen sich jetzt unter unserem Deckmantel ihre berechtigte Rache verschaffen.“ Der Boss überlegte kurz. Chupacabra standen nicht auf der 'schwarzen Liste'. Warum auch, wenn sie für Menschen keine direkte Gefahr waren? Kein Fall für die Motus oder jemanden, der sich als Motus ausgab. „Ignorier sie.“, beschloss er dann. „Wir haben gerade ganz andere Sorgen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)