Besenritt von Alaiya ================================================================================ Kapitel 1: Besenritt -------------------- Mit langsam taub werdenden Fingern krallte sich Mona am Gewand ihrer Freundin fest, die Augen zusammengekniffen. „Warum müssen wir mit einem Besen fliegen?“, jammerte sie – übrigens nicht zum ersten Mal, seit sie in Dublin gestartet waren. Anastasia seufzte. „Weil ich keine Lust habe zu laufen“, erwiderte sie. „Aber wieso der Besen?“ „Weil es die schnellst mögliche Methode ist zu Connlas Quelle zu kommen.“ Mona blinzelte und bereute es gleich einen Moment später wieder. Die Landschaft unter ihnen war so lächerlich klein, wie eins der Modelle, die ihr Onkel immer baute, und so weit entfernt, während alles, was sie daran hinderte, ihr entgegen zu fallen, ein alter Holzbesen war. Sie mochte es nicht. Sie mochte es gar nicht. Wieder kniff sie die Augen zu und drückte den Kopf an Anastasias Rücken. Diese lachte leise, aber nicht herablassend und griff nach ihrer Hand. „Jetzt hab dich nicht so. Ich pass' ja auf.“ „Halt besser den Besen fest“, jammerte Mona. Ihr Hintern tat weh. Ihre Beine taten weh. Vor allem aber schmerzte ihr Schritt. Wer auch immer der Meinung gewesen war, dass verzauberte Besen eine Fortbewegungsmethode darstellen sollten, war entweder ein Masochist oder hatte da unten keine Nerven mehr. Na ja, oder vielleicht gab es ja auch so etwas wie einen Anti-Schmerz-Zaubertrank genau dafür. Dabei versuchte sie schon das Gewicht besser zu verteilen, indem sie die Füße angezogen und auf die Reisigzweige abgelegt hatte. Davon einmal abgesehen war es kalt und auf dem einfachen Besen gab es nichts, was sie vor der Kälte beschützen konnte. „Warum können wir kein Auto nehmen?“, fragte sie nach einer Weile. Anastasia drehte den Kopf kurz zu ihr um. „Habe ich dir doch gesagt. Es gibt Orte, zu denen man auf so einem Weg nicht kommt.“ „Aber laufen geht doch“, protestierte Mona. Immerhin hatte Anastasia das ja gesagt. „Es dauert nur lang“, erwiderte diese und fügte dann hinzu: „Wenn man läuft ist man offener für die Umgebung. Um zur Quelle zu kommen, muss man das sein. Deswegen fliegen wir.“ „Oh, ja, sehr offen“, kommentierte Mona trocken. Noch einmal wagte sie einen Blick nach unten. „Das ist doch verrückt!“ „Nicht wenn du auf einem Besen fliegst, seit du sechs bist.“ Noch einmal sah Anastasia sich zu ihr um. „Du wolltest mitkommen, oder?“ Mona verzog das Gesicht. Die Antwort war natürlich, dass sie gebettelt hatte mitzukommen. Sie hatte einen der magischen Orte sehen wollen. Immerhin war es etwas, wozu man – als einfacher, nicht magischer Mensch – so selten kam. Sicherlich, es gab einige magische Orte auf der grünen Insel, über die auch ein einfacher Mensch stolpern konnte, sogar ein paar, die man gezielt besuchen konnte. Die meisten jedoch erforderten zumindest eine grundlegende Kenntnis der Magie, um betreten zu werden, oder die Begleitung von jemanden, der eine solche Kenntnis besaß. Jemand wie Anastasia. Als sie auch nach mehreren Sekunden keine Antwort erhalten hatte, griff Anastasia erneut eine der tauben Hände, die sich an ihrem Gewand festhielten und löste sie vorsichtig. Mona zuckte zusammen. „Du vertraust mir doch, oder?“, fragte sie und führte Monas Hand langsam zum Stil des Besens, damit sie sich an diesem festhalten konnte. Mona wimmerte. „Ich vertraue dir, aber dem Besen nicht...“ Ein Zittern lief durch das verzauberte Holz und entlockte Anastasia erneut jenes leise, melodische Lachen. „Das hört er gar nicht gerne.“ „Warum hat dein Besen eine Meinung?“, fragte Mona leise. „Weil es der Geist des Holzes ist, der ihn in der Luft hält“, erklärte Anastasia. „Und glaub mir, du musst keine Angst haben. Ich habe Eachna seit ich zwölf war und sie hat mich noch nie fallen gelassen.“ Mona sah sie fragend an. „Eachna?“ „So habe ich sie genannt“, erwiderte Anastasia und tätschelte den Besenstil. Wieder durchlief ein Zittern den Besen, doch dieses Mal hatte Mona ganz eindeutig den Eindruck, dass es eher einen gewissen Stolz bedeutete. Die magische Welt war schon irgendwie verrückt. „Och, Schätzchen, jetzt komm schon“, meinte Anastasia schließlich und legte ihre Hand über Monas. „Öffne die Augen, entspann' dich und genieß' die Aussicht.“ Sie reckte ihr Gesicht dem Gegenwind entgegen und ein paar der blonden Haare, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, flogen Mona ins Gesicht und juckten an ihrer Nase. Jetzt bloß nicht Niesen! Sie schüttelte den Kopf und legte ihn seitlich auf den Rücken Anastasias, um so zu verhindern, weiter von ihren Haaren gekitzelt wurden, während auch ihre eigene braune Mähne hinter ihr her wehte. Sie bereute es so sehr keine Mütze zu tragen. Überhaupt bereute sie es, dass sie nur ein T-Shirt und eine kurze Hose trug. Fraglos, es war ein heißer Sommer, doch hier oben... Eine Bewegung unter Anastasias Gewand – mehr oder minder eine schwarze Tunika, eine traditionelle Bekleidung der Hexen – ließ Mona zusammenzucken. Beinahe hätte sie ihre Freundin losgelassen, doch dankbarer Weise wurde ihr gerade noch rechtzeitig klar, dass es Pea war, der offenbar seine langen Ohren ein wenig im Wind schlackern lassen wollte. Sollte nicht gerade ein Hase Angst in der Höhe haben? Eine weitere Bewegung und dann kletterte der weiße Hase – und Pea war ein Hase, kein Kaninchen, wie er jedem, der es nicht verstand, mit einem Biss deutlich machen würde – beinahe als wolle er sie damit aufziehen auf Anastasias Schulter und thronte dort wie... Wie... Nun, Mona fiel kein geeigneter Vergleich ein. Doch auf jeden Fall thronte der Hase. „Sei besser vorsichtig, Pea“, meinte Anastasia zu ihrem Familiar und lachte leise, als dessen Schnurrhaare sie an der Wange kitzelten. Der weiße Hase war fast so groß wie eine Katze und hatte ebenso ein Gemüt. Er streckte sich, rang aber im nächsten Moment um sein Gleichgewicht und kauerte sich so doch wieder an Anastasias Hals. „Wann sind wir da?“, fragte Mona kleinlaut, nachdem erneut ein paar Minuten vergangen waren. „Es ist nicht mehr weit.“ Ihre Freundin sah sich um. „Schaust du dahinten der Hügel mit dem Hain dahinter?“ Vorsichtig öffnete Mona die Augen und sah in die Richtung, in die Anastasia zeigte. Tatsächlich sah sie einen grasüberwachsenen Hügel, auf dessen Spitze zwei Felsen aufeinander getürmt zu sein schienen, während ein recht kleiner Hain, noch nicht ganz ein Wäldchen, dahinter wuchs. Und sie waren noch immer mehr als hundert Meter in der Höhe. „Ja“, wimmerte sie. „Da hinten ist es“, sagte Anastasia nur. „Noch eine Minute und wir landen.“ Und das taten sie auch, wobei Mona nicht sicher war, ob dieses Landemanöver nicht schlimmer war, als der gesamte Flug. Anastasia seufzte, als Mona neben ihr auf die Knie ging. Sie waren direkt neben den beiden Felsen auf der Spitze des Hügels gelandet. Ein sanfter Wind wehte über den Hügel und den anliegenden Hain und die frühsommerliche Sonne wärmte Monas durchgefrorenen Körper zumindest etwas auf. Sie hörte Vögel singen. Ja, die hatten es gut. Die hatten ja Flügel. Sie bibberte und holte tief Luft, als Anastasia sich nun neben sie kniete und einen Arm um sie legte. „Ich habe doch gesagt, dass ich dich nicht fallen lasse“, meinte sie und küsste sie liebevoll auf die Stirn. „Siehst du. Alles in Ordnung.“ Mona nickte nur, unsicher ob sie es aktuell schaffen würde, auch nur ein Wort heraus zu bringen. Noch einmal ließ Anastasia ein Seufzen hören, strich dann aber durch Monas Haar. „Ist doch gut. Es ist alles gut.“ Auch Mona seufzte. „Ist es nicht“, flüsterte sie dann. „Wir müssen ja noch zurück.“ „Ach je“, murmelte Anastasia und ließ ihre Hand von Monas Haaren, über ihre Wange zum Kinn wandern, um es hochzudrücken, sodass die junge Nicht-Hexe sie ansehen musste. Monas Herzschlag beruhigte sich, als ihre Augen die ihrer Freundin trafen. Doch dann fiel ihr wieder der Besen ein – nicht zuletzt, da dieser neben Anastasia aufrecht in der Luft schwebte und sich zu ihnen hinüber zu beugen schien. Schließlich lächelte Anastasia. „Vielleicht können wir uns ja einen fliegenden Teppich leihen“, meinte sie dann und küsste Mona. Kurz gab sich Mona dem Kuss hin, doch dann begriff sie, was Anastasia da gesagt hatte. „Fliegender Teppich?“, flüsterte sie, ihre Lippen noch immer gegen die ihrer Freundin. Diese lachte. „Ja, sicher. Etwas exotisch, aber vielleicht ein wenig bequemer.“ Sie lächelte sie an. „Und auch wenn er es nicht zugibt: Onkel Myras hat eine Sammlung.“ Sie zwinkerte und stand auf. „Wollen wir dann?“, fragte sie. Mona nickte und kämpfte sich auf die Beine. „In Ordnung.“ Wieder lachte Anastasia glücklich. „Wunderbar. Die Eicheln sammeln sich immerhin nicht von allein.“ Und während Pea weiterhin auf ihrer rechten Schulter saß, bot sie Mona ihre Hand an, ehe sie gemeinsam zu dem seltsamen – und bei genauem Hinsehen vielleicht doch etwas unheimlichen – Hain hinabgingen, während Eachna, der Besen, ihn wie ein braves Pferd folgte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)