Between evil voices and innocent hearts von Platan (Weltenträume) ================================================================================ Kapitel 20: Du hast es versprochen ---------------------------------- Die Stimmung zwischen Dad und mir war der Inbegriff von Awkwardness geworden. Vorgestern hatten wir uns noch gegenseitig rührselig in den Armen gelegen, vor Freude geweint – eigentlich nur ich – und unser Glück kaum fassen können. Es war so gewesen, als hätte sich niemals etwas verändert. Daher hatte ich schon fest damit gerechnet, wir könnten einfach unser harmonisches Familienleben von damals wieder aufnehmen. Falsch gedacht. Du hast recht, Ciar, ich sollte echt weniger denken, ging es mir durch den Kopf. Aber jetzt tue ich es schon wieder. Früh morgens hatte Dad mich aufgeweckt und darauf bestanden, mit mir zu frühstücken. Widerwillig war ich dieser Bitte nachgekommen, doch machte mich die Müdigkeit heftig fertig. Stöhnend wie ein Zombie saß ich am Küchentisch. Um nicht mit dem Gesicht geradewegs in meinem Müsli zu landen und darin zu ersaufen, musste ich mich krampfhaft bemühen nicht im Sitzen einzupennen. Daran lag es aber nicht, dass wir irgendwie kein Gespräch miteinander führen konnten und nur schweigend herumsaßen. Nicht nur. Schon weil ein wichtiger Teil unserer Familie fehlte, ließ sich das Leben von einst nicht wiederherstellen. Wahrscheinlich nie. Obendrein waren zehn Jahre vergangen, die wir getrennt voneinander durchgemacht hatten. Unsere Beziehung schwebte momentan zwischen Vertrautheit und Fremdartigkeit. Halt ein ganz komisches Gefühl. Warum sollte es mir das Leben auch mal leicht machen? „Schmeckt es?“, brach Dad dann die peinliche Stille. Sein Frühstück bestand nur aus einem Kaffee und der Morgenzeitung. Wenn er anscheinend nicht der Typ war, der morgens etwas aß, warum musste ich es dann tun? Im Wachstum konnte ich mich kaum noch befinden. Da ich mir aber geschworen hatte, dass Dad es mit mir zukünftig etwas einfacher haben sollte, fing ich keine Diskussion an, sondern tat ihm weiterhin den Gefallen zu essen. „Schon, ja“, antwortete ich schläfrig. „Sonst würde ich es nicht essen.“ „Nun, du isst nicht wirklich etwas davon“, merkte Dad an, wobei er die Zeitung umblätterte. „Du starrst zwar in die Schüssel, tust aber sonst nichts.“ „Oh.“ Mit einem Platschen fiel der Löffel in die Milch und ich lehnte mich weit zurück, um mich gähnend zu strecken. „Sorry, aber ich bin halt noch zu müde. Du kennst mich doch.“ „Wir werden deinen Biorhythmus niemals in normale Bahnen gelenkt bekommen, oder?“ Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern. „Never ever.“ „Hm, ich versuche trotzdem, mir etwas anderes einfallen zu lassen“, beschloss Dad, nach wie vor auf die Zeitung fixiert. „Meinen sturen Kopf hab ich eindeutig von dir.“ „Etwas Gutes musst du ja haben.“ Sofort unterbrach ich das Strecken und beugte mich wieder nach vorne, sichtlich überrascht. „Nee, oder? Scherzt du hier gerade echt mit mir?“ „Ich versuche es jedenfalls“, gab Dad zu. Er ließ nun doch gänzlich von der Zeitung ab und sah mich unsicher an. „Es war aber nicht meine Absicht, es so negativ klingen zu lassen. Entschuldige.“ „Owww“, entglitt es mir entzückt. „Mach dir keinen Kopf. Solche Scherze kenne ich von Ciar, der macht das andauernd mit mir.“ „Und das stört dich nicht?“ „Nein, es ist immer ziemlich lustig.“ Bisher hatte ich mich noch bei keinem unserer Wortgefechte ernsthaft verletzt gefühlt. Bestimmt wollte Ciar mich mit denen immer nur von finsteren Gedanken ablenken, sobald er bemerkte wie meine Stimmung absackte. Darin war er unheimlich gut. Eine Weile ließ Dad sich meine Worte durch den Kopf gehen, offenbar zweifelte er an den Spaß bei solchen Scherzen. Ihm fehlte schlicht die Gewohnheit darin und die Offenheit. Oder es konnte ihm als Therapeut nur unverständlich sein. „Solange es dich nicht kränkt, ist es wohl in Ordnung“, meinte er schließlich, was mich beruhigte. Dann wechselte er plötzlich das Thema: „Ich würde dich gerne etwas fragen.“ Ich zog meinen Löffel aus der Schüssel hervor und machte im Anschluss eine einladende Geste, wodurch sich einige Tropfen Milch auf dem Tisch verteilten. „Schieß los.“ „Es geht um deinen Namen“, begann Dad vorsichtig. In seinen Augen funkelte eine stumme Erwartung. „Du trägst noch den vom Livio-Waisenhaus. Könntest du dir vorstellen, wieder deinen richtigen Familiennamen anzunehmen?“ Ich kam nicht mal dazu einen Ton von mir zu geben, da fügte er noch etwas hinzu: „Natürlich nur, wenn du das willst. Das soll kein Zwang sein.“ Unbewusst fing ich an in meinem Müsli herumzurühren. Dieses Angebot weckte das warme Gefühl von Geborgenheit in mir, weil es mir sagte, dass ich in meiner Familie wirklich willkommen war. Andererseits plagte ich mich noch mit Ungewissheit herum, wegen der ich zögerte. Bevor ich zustimmen konnte, müsste ich erst Klarheit darüber haben, weshalb ich damals überhaupt ins Waisenhaus abgeschoben worden war. Sicher hätte es genug andere Alternativen gegeben, Sephira zum Beispiel. Je länger mein Schweigen anhielt, desto mehr glaubte ich Dad zu enttäuschen. Seine Mimik war zwar unverändert, aber es musste ihn schmerzen, dass ich nicht sofort freudestrahlend zusagte. Nur eine Frage stand der Antwort im Weg. Sie musste bloß ausgesprochen werden. Aber … Aber ich traute mich nicht. Ich hatte Angst, die Antwort könnte mir nicht gefallen und mich wieder von Dad distanzieren. Wäre wenigstens Ciar bei mir, dann hätte ich mich stark genug dafür gefühlt und den nötigen Mut gehabt. „Äh, klar doch!“, platzte es dann rasch aus mir heraus. Lachend überspielte ich meine Verlegenheit. „Das bietet sich ja auch an. Ich bin immerhin dein Sohn und wäre so den Stempel als Waisenkind los.“ „Bist du sicher?“ Dads Stimme klang behutsam. „Du musst dich nicht jetzt entscheiden. Denk so lange darüber nach, wie du willst.“ „Nein, nein. Nicht nötig, echt!“ Ich machte irgendwelche unbestimmten Bewegungen mit der Hand. „Ich will wieder Valentine heißen. Der Name ist auch viel cooler~.“ „Findest du?“ „Und wie! Es gibt Videospielfiguren mit dem Namen, die ich bewundere.“ Irritiert hob Dad eine Augenbraue. „So?“ „Sei nicht eifersüchtig.“ Für mich kam seine Reaktion genau so rüber. „Du bist mein größtes Vorbild.“ Mit einem beschwingten Seufzen stand ich von meinem Platz auf, bevor er darauf etwas sagen konnte, und legte den Löffel neben der Schüssel ab. „Sei nicht böse, Dad, aber ich bin echt kaputt. Wenn ich nicht noch ein paar Stündchen Schlaf nachhole, hast du ab heute einen Zombie als Sohn.“ Ratlos neigte Dad minimal den Kopf zur Seite, doch sogar diese Geste wirkte an ihm irgendwie lässig. „Wenn du wirklich meinst, dass du den Tag sonst nicht überstehst, dann leg dich ruhig nochmal hin. Ich wecke dich aber gegen Mittag wieder, damit es nicht zu spät wird.“ „Das reicht mir, danke~.“ Winkend stapfte ich zur Tür, mit der ich fast zusammenstieß, worauf ich jedoch unbeirrt weiterging. Außerhalb der Küche verschwand das Lächeln prompt aus meinem Gesicht und machte einer betrübten Miene Platz. Jeder Schritt ins obere Stockwerk kam mir schwerer vor. Ich bin so ein Feigling. Dieses Gespräch hatte sich regelrecht dazu angeboten endlich nachzufragen, warum ich im Waisenhaus aufgewachsen war. Dank dem Thema mit dem Familiennamen hätte es perfekt gepasst, Dad darauf anzusprechen. Verdammt. Verdammter Mist. In meinem Zimmer zog es mich zuerst zum Handy, das ich mir vom Nachttisch schnappte. Anschließend warf ich mich auf das Bett und überprüfte, ob ich neue Nachrichten bekommen hatte. Keine einzige. Nicht sonderlich fördernd für meine Stimmung. Interessierte es Ciar nicht, wie es mir ging? Wollte er nicht wissen, was ich von unserer Freundschaft in der Kindheit hielt? Wie ich über sein Liebesgeständnis dachte? Letzteres war mir aber selbst noch unklar. Mir fiel die ominöse Textnachricht mit dem unverständlichen Inhalt ins Auge, die ich gestern im Echo-Institut bekommen hatte. Wieder packte mich auf der Stelle das Gefühl, Ciar entfernte sich mit jeder Sekunde von mir. So weit weg, dass ich ihn nicht mehr erreichen könnte. Bescheuert. „Mann, du hast es versprochen“, beschwerte ich mich enttäuscht. Ich ließ mich tiefer ins Bett sinken und legte das Handy neben mir ab. „Du hast versprochen, dass du an meiner Seite bleibst. Wo bist du dann jetzt?“ Müde fielen mir die Augen zu, aber ich schlief nicht ein, sondern dachte an unsere Kindheit zurück. Spielte einige dieser Erinnerungen in meinem Kopf ab. Sie waren so lange vergessen gewesen. Jetzt wollte ich einiges davon einfach nur zurückholen und mich von den negativen Gedanken ablenken.   ***   In der Regel trafen wir uns immer am Wochenende, natürlich heimlich. Eine beständige Ruhe und Frieden zeichneten Limbten aus, ein gemütliches Dorf wie einem Bilderbuch entsprungen. Besser hätten wir es nicht treffen können. Das war der beste Ort für Kinder, um zu spielen und aufzuwachsen. Unsere geheime Freundschaft verschaffte Limbten noch den letzten Touch. An einen bestimmten Tag konnte ich mich am deutlichsten entsinnen. Die Sonne stand schon am höchsten Punkt, aber da Limbten von einer Menge Natur umgeben war, fand man dort stets irgendwo ein schattiges Plätzchen. Wir ruhten uns gerade aus, als ich plötzlich etwas hörte. „Ciar, du klingelst wie eine Tür!“, wies ich ihn verwirrt darauf hin. Darüber musste er erheitert lachen. „Quatsch, das ist nur mein Handy. Ich hab es noch nicht lang.“ „Du hast schon dein ganz eigenes Handy?!“ Bewundernd sah ich ihn mit großen Augen an. „Boah, wie cool!“ „Finde ich eher nicht“, seufzte Ciar schwer. Er ignorierte das Klingeln, statt das Gerät hervorzuholen. „Meine Eltern haben es mir nur gegeben, um mich besser überwachen zu können. Ihnen gefällt es nicht, wenn ich alleine unterwegs bin.“ Für mich gab es da eine simple Lösung: „Dann bring sie doch mit hierher. Papa und Mama stört das sicher nicht. Ich will sowieso, dass sie dich endlich auch kennenlernen.“ „Das ...“ Unbeholfen zupfte er ein paar Grashalme heraus. „Das will ich aber nicht.“ Sobald es zu diesem Thema kam, wirkte Ciar auf einmal besorgt. Schon fast richtig traurig. Ihn so zu sehen tat mir jedes Mal leid, obwohl ich nicht verstand wovor er Angst haben könnte. Eigentlich fühlte ich insgeheim aber genauso wie er. Auch ich wollte in Wahrheit nicht, dass er zu mir nach Hause kam. Mein Zimmer hätte ich ihm dagegen gerne gezeigt, doch das ging nicht. Bei mir zu Hause wäre auch Eri da, meine kleine Schwester. Sobald sie sich kennenlernten, mochte Ciar sie bestimmt viel mehr als mich und würde nur noch mit ihr spielen. Eri war nämlich ein ganz normales, liebes Mädchen, ohne eine so unnatürliche Haarfarbe wie meine. Im Gegensatz zu mir hatte sie eine Menge Freunde, jeder gewann sie schnell lieb. Ich wollte, dass Ciar nur mein Freund blieb. Ich wollte ihn nicht verlieren. „Na gut“, stimmte ich daher zu. „Das mit dem Handy ist trotzdem cool. Papa sagt, ich bekomme erst mein eigenes wenn ich alt genug bin. Etwa vierzehn Jahre, meinte er. Das dauert noch so lange!“ „Sieben Jahre, oder?“ „Sag ich ja, viel zu lange.“ „Glaub mir, so spannend ist ein Handy gar nicht“, beharrte Ciar. Inzwischen war das Klingeln verstummt. „Ich hätte darauf noch meine vier Jahre warten können. Damit kann ich eh nur telefonieren oder Fotos machen.“ „Fotos?!“, platzte es aus mir heraus, als hätte man bei mir einen Schalter umgelegt. Wie ein Flummi sprang ich von der Wiese auf, wo wir uns zum Ausruhen hingelegt hatten, und war ganz hibbelig. Blinzelnd sah Ciar mich an, der meine plötzliche Aufregung nicht verstand. Statt etwas zu sagen, griff ich nach einer seiner Hände und zog ihn ungeduldig ebenfalls auf die Füße. Mir war etwas Großartiges eingefallen! „Komm, schnell!“ „Wohin denn?“, wollte Ciar wissen, überrumpelt von meinem Energieschub. Noch vor wenigen Minuten hatten wir ausgiebig fangen gespielt und waren auf Bäume geklettert, bis ich eine Pause brauchte. Ciar wurde aber niemals müde, dafür beneidete ich ihn. Egal, wie viel wir tobten, er war danach nicht erschöpft. So viel Energie zu haben musste praktisch sein. Was man alles anstellen könnte, ohne sich zwischendurch ausruhen zu müssen … die Möglichkeiten waren überwältigend! „Komm mit!“, bat ich drängend. „Ich zeig dir was.“ „Was denn?“ „Das siehst du dann~.“ Zu meiner Freude wehrte Ciar sich nicht dagegen, dass ich ihn mit mir zog und durch Limbten führte. Wie immer bewegten wir uns eher versteckt in der Natur, statt mitten durch das Dorf zu marschieren, wo uns jeder sehen könnte. Wäre auch nur halb so lustig. So gab es oft etwas Spannendes zu sehen, selbst wenn es nur Eichhörnchen waren. Limbten war nicht groß, darum kamen wir schnell am Ziel an. Bei einem der Wohnhäuser, das durch die Mittagssonne noch einladender aussah als es schon war. Das rote Ziegeldach und die weißen Vorhänge strahlten dadurch fast magisch – und blendeten auch viel zu sehr. „Hier, mach ein Foto davon.“ Meine Aufregung wurde durch das erschöpfte Keuchen kein bisschen getrübt. „Das ist mein Haus~.“ „Dein Haus?“ Sonderlich begeistert schien Ciar darüber nicht zu sein, er wollte sogar zurückweichen, aber nicht meine Hand loslassen. „Ich hab doch gesagt, dass ich-“ „Es geht nur ums Foto“, quatschte ich ihm lebhaft dazwischen. „Ich möchte nur, dass du ein Foto machst. Dann gehen wir wieder.“ Ciars Blick wanderte zwischen dem Haus und mir hin und her, merklich sprachlos. Normalerweise wirkte er schon so reif, dass es amüsant war, ihn mal so zu erleben. Mit seinen drei, fast vier Jahren Vorsprung kam ich mir manchmal viel zu kindisch für ihn vor, dennoch ging er auf jedes Spiel ein, das ich vorschlug. Das mochte ich an ihm. Lächelnd erklärte ich ihm, warum er ein Foto machen sollte: „Wenn du weißt, wie mein Haus aussieht, kannst du mich ganz leicht finden. Egal wann.“ Weil er mich nur schweigend ansah, wandte ich nervös den Blick ab und scharte mit einem Schuh über den Boden. „Äh, also nur für den Fall … ich meine ...“ Eigentlich wusste ich selbst nicht so recht, warum Ciar unbedingt ein Foto machen sollte. Falls er mich eines Tages satt hatte und nicht mehr mein Freund sein wollte, brachte auch das Bild von meinem Haus nichts mehr. Vielleicht aber doch. Jedenfalls wüsste er dann, wohin er überhaupt gehen musste, sollte er mich doch nochmal sehen wollen. Unsere Zeit zusammen hielt nicht ewig an, davon war ich überzeugt. So hatte ich es bisher erlebt. Ein sanfter Händedruck von Ciar holte mich aus diesem Gedankengang heraus. „Machst du dir immer noch Sorgen darüber, dass ich dich irgendwann nicht mehr besuchen komme?“ Ertappt. Obwohl ich es nicht laut ausgesprochen hatte, erkannte er genau was mich beschäftigte. Eventuell lag es auch daran, dass meine Hand zu zittern angefangen hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir nicht bewusst gewesen, wie groß meine Angst tatsächlich war, ihn als Freund zu verlieren. Sei es dadurch, weil er mich nicht mehr mögen könnte oder … „Das wird passieren“, murmelte ich vor mich hin. Spätestens wenn ich ihn auch mal ernsthaft verletzte, hätte er einen guten Grund dazu mich fallenzulassen. Das wäre sogar verständlich. Jemandem Schmerzen zuzufügen war böse, egal ob es mit Absicht oder aus Versehen geschah. In einem dieser heroischen Filme wäre ich der Bösewicht, den jeder nur loswerden wollte. Der zu nichts zu gebrauchen und nur lästig war. Es war zum Heulen. „Wird es nicht“, betonte Ciar ernst. Ehe ich ihm widersprechen konnte, hatte er auch schon meine andere Hand gegriffen und drückte nun beide zuversichtlich. Seine Augen waren so klar und aufrichtig, ich brachte keinen Ton heraus. Zwar war Ciar schon von Natur aus übermäßig cool, aber in diesem Moment hatte er die Skala restlos gesprengt. „Egal, was passiert, ich werde dich nicht verlassen“, versicherte er mit eindringlicher Stimme. „Ich komme immer zu dir zurück. Du bist nicht nur ein Freund für mich, ich brauche dich. Glaub mir, wir bleiben zusammen. Das verspreche ich dir.“ Wow, wie ein richtiger Filmheld, der gerade eine Siegeshymne verkündete – oder so ähnlich. Das ließ mein Herz höher schlagen. So etwas hatte noch niemand zu mir gesagt, nicht mal Mama oder Papa. An diese Worte wollte ich wirklich gerne glauben. „Auch dann, wenn du jemanden kennenlernst, den du viel mehr magst als mich?“, wandte ich ein, um ganz sicher zu sein. Über diese Befragung schien Ciar nicht genervt, er nahm es ernst. „Das ist unmöglich, du bist der einzige, den ich gern habe.“ „Und wenn ich dir mal weh tue?“ „Auch dann nicht.“ Er blieb überzeugt von sich und seinen Gefühlen für mich. „Du kannst nichts tun, um mich loszuwerden. Wusstest du nicht, dass ich wie ein Fluch bin?“ Angespannt sog ich die Luft ein und starrte ihn gebannt an. „Im Ernst?!“ „Ach, Ferris~.“ Lachend schwang Ciar unsere Hände durch die Luft, wie ein Springseil. „Was soll ich denn machen, damit du dir keine Sorgen mehr machst? Sollen wir Blutsbrüder werden?“ „D-das klingt nach Schmerzen“, kommentierte ich blass. „Dann muss dir mein Wort reichen.“ Das tat es. Schon bei meiner ersten Frage war ich längst von seiner Aufrichtigkeit berührt gewesen, besonders von seinem Versprechen. Coole Leute brachen sie niemals, also konnte ich Ciar vertrauen. Er würde auf immer und ewig mein Freund bleiben. Aufmunternd nickte er mir zu. „Und wenn uns mal jemand oder etwas trennen will, räume ich dieses Problem aus dem Weg. Ich mache alles und jeden fertig, wenn es sein muss.“ Freudig sprang ich in die Luft, so wie es mein Herz tat. „Danke, danke, danke!“, jubelte ich heiter. „Du bist der Beste, Ciar!“ „Ich weiß“, tat er selbstverliebt. Meine gute Laune steckte ihn an, doch er überließ mir das Hüpfen. „Soll ich das Foto jetzt trotzdem noch machen?“ Summend dachte ich kurz nach, bis ich zustimmte. „Ja, mach eins. Zur Erinnerung.“ Schaden konnte es nicht. Eines Tages könnte ihm das Foto womöglich doch nützlich sein, zumal es nicht viel Arbeit war eins zu knipsen. Erwartungsvoll beobachtete ich ihn dabei, wie er mit dem Handy dastand und konzentriert den besten Winkel suchte, bis ein leises Klicken bestätigte, dass es vollendet war. Das Foto war gespeichert. „Als nächstes machen wir eins zusammen“, beschloss ich, wofür ich mich schon dicht zu ihm stellte. Überfordert stieß Ciar etwas Luft aus und hob das Handy an. „Ich weiß aber nicht, ob das was wird. So etwas mache ich zum ersten Mal.“ „Käsekuchen!“ „Moment, lass mich doch erst mal gucken, wie ich uns beide ins Bild bekomme“, haspelte Ciar, der leicht gestresst mit dem Handy herumhantierte. Den restlichen Tag über hatten wir im Anschluss damit verbracht, allen möglichen Unsinn zu fotografieren oder dumme Sprachaufnahmen zu machen, über die wir dann herzlich lachten. So lange, bis der Akku schlapp machte.   ***   Was für eine unbeschwerte und schöne Zeit das gewesen war. Wie gut, dass ich mich daran endlich wieder erinnern konnte. An diese Kindheit zurückzudenken war unbeschreiblich wohltuend. Als ich die Augen öffnete, hatte ich ein Lächeln auf den Lippen. Ciar … er hatte sein Versprechen gehalten. Die ganzen zehn Jahre über, trotz der Tatsache, dass ich ihn vergessen hatte. Das tut mir leid, ich hätte nicht an ihm zweifeln dürfen. Zwar habe ich noch keine Nachricht von ihm bekommen, seit er mich mit Dad alleine gelassen hatte, aber er dachte sicher an mich. Sobald er konnte, kam er zu mir zurück. Hab ich recht? Gemütlich legte ich mich auf die Seite, um diesmal noch etwas zu schlafen. Erst viele Stunden später, am Mittag, bemerkte ich dann, dass die schräge Nachricht mit den hieroglyphischen Aneinanderreihungen von Buchstaben verschwunden war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)