Pretty Boy von Serato ================================================================================ Kapitel 15: Teil 15- Verarscht ------------------------------ Pretty Boy   Teil 15- Verarscht   Ich werfe mich ungefragt auf den selben Futon auf den ich schon vor ein paar Tagen aufwachte und rolle mich erschöpft zusammen. Die Sonne war bereits wieder aufgegangen als Haruno und Shiba endlich Feierabend hatten. Wir sind alle seit über vierundzwanzig Stunden auf den Beinen und bestreiten einen unausgesprochenen Dauergähn-Wettkampf. Fängt einer an, ziehen die anderen nach. So ging das den ganzen Weg bis zu ihnen nach Hause. Ich Feigling habe mich nicht getraut den Laden allein zu verlassen, falls Susu auf mich gewartet hätte. Konnte und wollte ihm einfach noch nicht begegnen, dafür brodelt es noch immer zu sehr in mir. Ich bin unglaublich sauer, aber auch fürchterlich enttäuscht. Dinge würden meinen Mund verlassen, die ich hinterher bereuen würde. Nein. Ich brauche eine Nacht oder zwei oder tausend, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen und dann versuch ich ein Gespräch mit ihm in die Wege zu leiten. Jetzt wäre es ein Fehler. Hoffentlich nutzt auch er die Zeit um darüber nach zu denken und wirft sich nicht dem nächstbesten in die Arme, der unaussprechliche Dinge mit ihm macht, von denen ich wieder nichts erfahre und sicherlich keine Ahnung habe. Susu hat recht, ich bin vielleicht zu naive, aber ist das wirklich so schlecht wenn es mich vor solchen extremen Erfahrungen bewahrt? Jedenfalls kommt er mir nicht so einfach davon. Wenn er sich mir nicht anvertrauen kann, muss es einen Grund dafür geben, welcher das auch immer sein mag. Ich bin nie auf die Idee gekommen ihm etwas zu verheimlichen. Immer hilft er mir bei meinen Problemen. Immer ist er für mich da. Er ist meine Familie. Meine Zuflucht. Bis heute Abend hatte ich geglaubt, Susu hätte sich nur äußerlich verändert und wäre nach wie vor der Mann den ich vor meiner Reise kannte. Aber was ist wenn auch er sich in diesem Jahr verändert hat, so wie ich auch. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, muss ich mir eingestehen, dass ich überhaupt keine Ahnung davon habe was er durchmachen muss. Ich hatte nur einen kurzen Einblick in sein Leben, aber ein Tag ist nichts im Vergleich zu den Jahren die er schon so leben muss. Hätte ich mehr tun müssen? Ich war doch selbst fast noch ein Kind, abgelenkt von meinen eigenen Problemen, dass ich blind für seine war. Nur wie könnte ich ihm helfen? Kann ich ihm den helfen oder braucht es jemand anderen der dazu Fähiger ist?   Haruno verschwindet als erster im Bad und es wird still. Nach kurzer Sondierung der Lage entdecke ich Shiba. Befreit von seiner edlen Arbeitskleidung, in denen er wirklich umwerfend aussah und zurück in seiner üblichen schwarzen Hose und dem weißen langärmligen Knopfhemd. Er lehnt an der kleinen Küchenzeile und sein Blick ruht auf mir. Auf mir weiter unten. „Ich weiß nicht ob ich mich geschmeichelt fühlen soll, dass du mir dauernd auf den Arsch starrst.“, versuche ich mich gelassen zu geben, während ich jedoch genau weiß, dass mein Herz dem Flügelschlag eines Kolibris Konkurrenz machen könnte. Verlegen legt er eine Hand über seinen Mund, hält den Blick an mir aber fest. Die Wohnung ist so klein wie mein Zimmer, trotzdem ist er zu weit weg um den Ausdruck in seinen Augen deuten zu können. „Ich verstehe nicht, wie deine Eltern dich so vor die Tür schicken konnten.“, nuschelt er hinter seiner Hand. „Es wäre genauso provokant, wenn du nackt gegangen wärst.“ „Das war Susus Idee. Er hat auch meine Eltern abgelenkt, während ich mich vorbei geschlichen habe.“, gestehe ich kleinlaut, worauf ich ein lautes schnaufen bekomme. Ja, es ist nicht fair Susu die Schuld dafür zu geben, schließlich habe ich mit gemacht. Wenn ich nur etwas mehr Willenskraft hätte, hätte ich nein sagen können. „Und wie viele haben dich jetzt schon wieder begrapscht?“ „Uhm...“ Seine Augenbrauen schießen in die Höhe. „So viele?“ „Nein... Ja... Na ja... Nur Kniffe in den Po. Mehr nicht.“ „Kniffe? Mehrzahl?“ „Ähm... wenn ich mich nicht verzählt habe fünfzehn...“, nuschle ich immer leiser werdend, dass die Zahl nur noch als flüstern über meine Lippen kommt. Gereizt stöhnend rauf er sich die Haare, dass seine schöne Frisur den Halt verliert und mir die Sicht auf seine Augen wieder wie ein Vorhang zugezogen wird. Wir schweigen. Bin mir nicht sicher, ob ich was sagen soll. Ich habe das Gefühl mich entschuldigen zu müssen, weiß aber nicht genau wofür. Für die Kniffe, weil ich sie mit der Hose provoziert habe? Für meinen Leichtsinn mich wieder so ins Getümmel gestürzt zu haben? Gar meine Naivität, die scheinbar immer mehr zum Problem wird? An und für sich war der Abend toll, bis Susu mich aus dem Host Club abholte jedenfalls. Hätte ich gewusst was er sich da zumutet, hätte ich ihn niemals gehen lassen. Mit wenigen Schritten taucht Shiba neben mir auf und öffnet die Fenster. Die morgendliche Luft draußen ist kühl und kriecht nur langsam in das aufgeheizte Zimmer. Zu dem Rauschen der Dusche gesellt sich nun auch der Klang der Welt. Autos fahren langsam unter dem Fenster entlang. Von weiter weg sind Unterhaltungen zu hören. Melodien von Handys und Ampeln. Ich schließe kurz die Augen, doch der Hammer der Müdigkeit schlägt auf mich ein und lässt mich Sternchen sehen. Ich bekomme meine Augen nicht wieder auf und meine Gliedmaßen werden mit jedem Atemzug schwerer. Eine Hand gleitet durch mein Haar, die nicht mir gehört und lässt mich zufrieden seufzen. „Du bist sicher, dass du nicht lieber zu Hause schlafen möchtest?“ Seine Stimme, die nun nicht mehr gereizt klingt, rettet mich vor dem abdriften ins gelobte Traumland und hält mich im hier und jetzt. Auch wenn ich zuerst nur summende Töne von mir geben kann, schaffe ich es doch noch zu Antworten. „Ich war mir nie sicherer. Hina schläft bei ihrem Freund, Miyu wurde bei einer Freundin abgeladen und ich bin geplant die ganze Nacht weg. Egal was meine Eltern da allein zu Hause tun, ich will sie nicht dabei erwischen.“ „Hör mal, es ist früh morgens und deine Eltern sind keine zwanzig mehr. Egal was sie getan haben, es ist längst vorbei und sie schlafen zufrieden in ihrem Bett.“ „Oder sie fangen gerade wieder an, schließlich haben sie sich lange nicht mehr gesehen.“ Ich kann es nicht verhindern, dass ein Bild vor meinen Augen aufflackert, wie sie die Kücheninsel schänden. Sofort schlage ich sie auf und ein Teil der Müdigkeit verpufft. Shiba der neben mir sitzt fängt meinen Blick auf, während er seine Hand langsam zurückzieht. „Mach weiter, dass ist schön.“, brumme ich schmollend. „Und wenn du einschläfst?“ Seine Tonlage hat sich verändert. Seine Stimme klingt jetzt tiefer und leiser. „Das reden hilft.“, antworte ich ebenso flüsternd. Einen tiefen Atemzug später gleiten seine Finger wieder durch mein Haar. „Dann erzähl.“ Ein seliges lächeln liegt auf meinen Lippen, als ich wieder die Augen schließe. Dieses mal richte ich meine Aufmerksamkeit mehr auf seine Hand und bemerke nach wenigen Bewegungen ein gelegentliches zittern in ihr. Bei der Hitze und seinen langen Klamotten wird er kaum frieren können. Liegt es etwa an mir? „Mach ich dich nervös?“ Ein kurzer laut der Belustigung bekomme ich zu hören. „Nein, nicht unbedingt nervös.“ „Sondern?“ Seine Hand stoppt abrupt. Darauf wartend, dass er mir Antwortet erstreckt sich die Pause ins unerträgliche. Ungeduldig sehe ich zu ihm auf. „Du hast jetzt aber nicht mit den Schultern gezuckt, während ich die Augen zu hatte oder?“ Mit einem gezwungenen unsicheren lächeln schaut er auf seine Hand, die sich nicht von meinem Haar trennen konnte, sich aber auch nicht weiter hindurch pflügt. „Was ist wirklich mit dir los? Du warst heute so... anders. Vor allem als wir bei mir waren. Du wirktest...“ Ich weiß kein anderes Wort, dass es besser beschreibt als: „Verloren.“ Schmerz flackert in seinen Augen auf und er entzieht mir seine Hand.“Verloren?“, wiederholt er leise, um zu testen wie dieses Wort auf seiner Zunge schmeckt. Seinem Blick nach bitter. Er atmet klangvoll aus, wobei sein Atem zu beben scheint. Mitten ins schwarze. Toll gemacht, Misaki. „Sieh dich bitte um.“ Seine Stimme klingt dünn. Ich tue ihm den Gefallen und sehe die, nach wie vor, schäbige Wohnung, die viel zu klein und eng ist und das obwohl kaum etwas drin steht. Als ich mich dem sattgesehen habe, schaue ich erwartungsvoll zu Shiba hoch. Seine Augen wandern noch über das Elend und ich gedulde mich. Ich weiß mittlerweile, dass ich mir bei ihm Zeit nehmen muss bei wichtigen Gesprächen. So wenig wie er redet, legt er sich die Worte die er sagt mit bedacht zurecht. Um so wichtiger sind dann die paar Sätze die er sagt. Schwerfällig richte ich mich auf und lehne mich neben ihn an die Heizung. „Takeo...“, flüstere ich seinen Vornamen, als ich nach seiner Hand greife. Ein Ruck geht durch ihn, als hätte ich ihn aus einem Albtraum geweckt. Ich verflechte unsere Finger ineinander und streiche behutsam mit dem Daumen über seinen Handrücken. „Nichts was du sagst könnte mich schlechter von dir denken lassen. Du bist und bleibst mein Ritter in glänzender Rüstung.“, erinnere ich ihn und wage ein lächeln. Fest drückt er meine Hand und ich erahne ebenfalls ein dünnes lächeln auf seinen Lippen. „Ich-“, beginnt er und wird von einem laut singendem Haruno unterbrochen, in schrillen Tönen die einem die Zehnnägel hochklappen lassen. Erschrocken sehen wir uns an und prusten laut los. „Dein ernst? Er ist einer dieser Menschen die unter der Dusche singen? Aber schön zu hören, dass Mr. Perfect gar nicht so perfekt ist.“ „Er kann ziemlich viele Dinge nicht. Spiel mit ihm Karten, er hat ein miserables Pokerface.“ „Miserabler als sein Gesang?“, spotte ich amüsiert. „Unterirdisch, ja.“ Als unser lachen versiegt, überlege ich angestrengt, wie ich auf unser voriges Thema zurück kehren kann, überraschenderweise erweist mir Shiba selbst diesen Gefallen. „Ich hatte höllische angst heute.“ Schnell blinzelnd sehe ich zu ihm auf. „Wovor?“ Er weicht meinem Blick aus und sieht sich erneut in der Wohnung um. Schwer geht sein Atem, bevor er antwortet. „Alles was du hier siehst gehört Ren. Seine Familie besitzt nicht viel, sie führen ein einfaches Landleben. Aber als er mit mir in diese Wohnung zog, haben sie, seine Freunde und selbst weit entfernte Familienmitglieder, ihm alles mögliche an Dingen für die Wohnung geschenkt. Ein paar Töpfe hier. Ein Schrank da. Ausrangierte Futons. Das ist alles sein´s. Alles was ich mein nennen kann, ist ein alter Rucksack, den ich mit Kleidung und einer Zahnbürste vollstopfte bevor ich von zu Hause abgehauen bin und auf seiner Türschwelle auftauchte.“ Überrascht klappt mir der Mund auf. Abgehauen? Ich wollte etwas sagen, aber er hebt den Finger. Ein leichtes Kopfschütteln lässt mich meinen Mund schließen. „Rens Eltern sind sehr Konservativ. Ich war ein geduldeter Gast. Anfangs. Sie mögen mich nicht besonders, weil sie meine Familie kennen. Wir waren lange Nachbarn während der Grundschule und...“ Er seufzt tief und klingt dabei unendlich traurig. „Mein Vater, Bruder und ich sehen uns sehr ähnlich. Wir haben die selben Augen. Wenn deine Familie... ich... ich weiß nicht...“ Der Griff um meine Hand wird fester, dass es beginnt zu schmerzen. Überdeutlich spüre ich das Beben seines Körpers, die Angst und den Druck der auch jetzt noch auf ihm lastet. „Du hattest angst einer von ihnen erkennt dich und deine Familie, weshalb sie dich raus schmeißen würden?“ Er nickt und bestätigt meinen weiterführenden Gedankengang. Mit einem mal fällt mir immer mehr auf. „Deswegen versteckst du dich hinter diesem Zottel Pony. Weil du nichts anderes hast, trägst du auch bei dreißig Grad im Schatten diese langen Sachen. Und deshalb seit ihr so kurz vor den Prüfungen der Mittelschule hier zusammen gezogen. Weiß deine Familie wenigstens ob du noch lebst?“ „Ich hoffe nicht.“ „Warum?“, entrüste ich mich. „Wovor bist du abgehauen?“ „Das möchte ich dir nicht sagen.“ Ein heftiger Stich durchzieht mein Herz. „Was zum... jetzt fängst du schon genauso an wie Susu. Weil ich Naiv bin? Bin ich nicht vertrauenswürdig oder denkt ihr alle, dass ich nicht belastbar genug bin um mir so etwas anzuvertrauen? Hab genug eigene Scheiße hinter mir. Ich kann damit umgehen. Ich bin nicht so leicht kaputt zu kriegen.“, schreie ich fast schon zornig und keuche im nächsten Moment erschrocken über mich selbst. Wow. Wo kam das denn her? „Ich weiß aber nicht, ob ich damit umgehen kann, wenn du mich genauso mitleidig ansiehst, wie Diejenigen die von meiner Vergangenheit wissen.“ Langsam entzieht er mir seine Hand. Starr sieht er auf seine Füße, während er seine Arme eng vor der Brust verschränkt. Er hat komplett dicht gemacht. Mit einem Mal ist ein Tal großer Abstand zwischen uns, in dem Geheimnisse, Missverständnisse und Feigheit uns den Weg zueinander versperren. Ich wollte zu schnell zu viel wissen. „Sorry.“, erwidere ich geknickt, erhalte aber nur ein Schulterzucken. Na ja, besser als komplett ignoriert zu werden. Dicht ziehe ich die Beine an mich und schlinge die Arme um sie. Mein Blick schweift durch den Raum und auf einmal sehe ich ihn nicht mehr als diese kleine schäbige Absteige. Das hier ist ihr Reich. Hier können sie sein wer sie sind. Sich frei bewegen. Haben sich mühsam hier eingerichtet. Shiba hat vielleicht keinen Besitz, aber etwas viel wertvolleres. Ren Haruno. Nichts auf dieser Welt könnte Harunos Freundschaft ersetzen. Er hat ihm diese Möglichkeit der Freiheit gegeben und wie es scheint tatsächlich völlig selbstlos. Haruno ist wirklich etwas ganz besonderes. Ich sehe, dass Shiba nach wie vor in seiner abblockenden Haltung verharrt. Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe. Wie kann ich diese Situation nur entkrampfen? Ich kann schlecht einen Witz erzählen. Und wenn ich ihm etwas über mich preisgebe? Etwas harmloses versteht sich. Unter keinen Umständen möchte ich eine Diskussion über meine Vergangenheit anzetteln. Etwas harmloses. Etwas wie.... Was würde Susu tun? Aus den Augenwinkeln wage ich einen weiteren Blick herüber. „Ähm... könntest du mir bitte ein Hemd oder so zum schlafen leihen?“ Er brummt ergeben und wippt sich hoch zum aufstehen. Schnell werfe ich nach. „Und eine Unterhose noch.“ Stutzig hält er in seiner Bewegung inne. „Die wird dir nicht passen, bei deinen schmalen Hüften. Kannst du deine nicht auf Links drehen?“ „Zu erst einmal, uhrg. Ich hoffe inständig du machst das nicht. Und zum anderen kann ich das nicht, ich trage keine.“ Seine Augen weiten sich. Immer wieder klappt sein Mund auf um etwas zu sagen, doch mehr als einmal schluckt er es herunter. Er entscheidet sich für ein schwaches lächeln und einen unsicheren Blick. „Du verarscht mich.“ Angebissen. „Ich besitze nur Boxer-Shorts. Selbst ein Slip würde man sehen unter dieser, na ja, nennen wir es mal Jeans-Shorts.“, gestehe ich trocken und reibe mit den Handflächen über die abgeschnittenen Hosenbeine, die einen Deut zu viel Haut präsentieren. Der Panther in ihm verfolgt die Bewegung meiner Hände, mit einem Ausdruck in den Augen, der einem ausgehungertem Wildtier gleicht. Sein Mund steht einen Spalt offen. Nun pirscht er sich an. Langsam beugt sich die groß Katze zu mir herüber und stützt eine Hand neben meinem Kopf an der Heizung ab. Mit jedem Herzschlag kommt er mir weiter entgegen. Die andere Hand legt sich auf mein Knie, zieht es mit sanften Nachdruck zu sich und legt meine empfindliche Mitte frei. Die Hitze in seiner Hand lässt ganz neue Ideen in mir aufkochen wie dieser Tag enden könnte. „Beweis es.“, wispert er mit rauer Stimme und ein prickeln kriecht unter meiner Haut. Verdammt, dass läuft zu gut. Mit bedacht gleiten meine Hände über den festen Stoff zum Knopf, während seine meinen Oberschenkel hinunter streicht. Die Reibung seiner rauen Haut entfacht eine Spur aus Feuer. Ich bin tatsächlich gewillt es einfach laufen zu lassen und das Feuer zu einem unkontrollierbaren Waldbrand ausarten zu lassen. Wäre da nicht... „Oh, Haruno.“, bemerke ich mit einem Blick an Shiba vorbei. Schreckhaft springt dieser auf und dreht sich zur Badezimmertür. Doch sieht nichts. „Was?“, wundert er sich atemlos. „Verarscht.“, kicher ich hingegen und überspiele mein Herzklopfen. In einer Mischung aus Ungläubigkeit und erstaunen sieht er zu mir herab. „Das hast du nicht ernsthaft getan.“, versucht er drohend zu klingen, aber seine Mundwinkel steigen in ungeahnte Höhen zu einem breiten grinsen. Frech strecke ich ihm die Zunge raus und augenblicklich wandelt sich sein belustigtes lächeln zu einem fiesen grinsen. Er wackelt mit den Fingern vor mir, als ob sie zu mir kriechen und kommt mir näher. „Nicht. Ich bin kitzelig. Lass das.“ Schnell suche ich Schutz auf dem Futon und strecke meine Arme nach der Decke aus um mich schützend einzurollen, doch er ist schneller und greift meine Hüfte. Mit einem Festen Ruck zieht er mich zurück. Schnell und ohne ein Wort zu verlieren, picken seine Finger in meine Seiten und ich pruste haltlos auf. „Hör auf! Hör auf!“, quieke ich zwischen dem Gelächter und bemühe mich von ihm los zu kommen. Kurzerhand setzt er sich auf meinen unteren Rücken, greift einen meiner ihn tretenden Füße und fährt seine Fingerspitzen über die reizbare Haut. Ein Gewirr aus lachen, schreien und flehen rinnt mir unkontrolliert über die Lippen. „Was macht ihr da?“, fragt Haruno überrascht, den ich fast überhört hätte, bei meinem lauten schreien. „Shiba ärgert mich.“, schießt es aus meinem Mund, bevor er sich zuerst rechtfertigen könnte. Regel Nummer Eins unter Geschwistern, immer dem anderen die Schuld geben. Training fürs ganze Leben. „Was? Du hast angefangen!“, erwidert er empört. „Gar nicht Wahr.“, behaupte ich todernst und strecke ihm wieder die Zunge raus. „Na warte.“ Und wieder foltert er meinen Fuß, den er nach wie vor im Schwitzkasten hält. Erneut breche ich in lachen aus und winde mich unter ihm, aber ich kann mich kaum rühren. „Schon gut. Schon gut.“, ergebe ich mich kreischend und klopfe meine Hand auf den Futon unter mir, wie beim Wrestling. „Tut mir leid.“ Erleichtert atme ich auf, als er tatsächlich los lässt. Sprunghaft steht das Pantherchen auf und holt aus dem Wandschrank ein Hemd. „Vergiss das andere nicht.“, erinnere ich ihn breit grinsend. Er schnaubt, doch ich sehe ihn ebenfalls grinsen, bevor er mich mit den Kleidungsstücken abwirft und ich mich wieder quieken höre.     Nach der Dusche fühle ich mich schmutziger als zuvor. Ich weiß, ich hätte mich zusammen reißen müssen, aber mehr als Lebhaft kam mir diese raue Hand in Erinnerung, die mein Bein hinunter glitt, mit einem eindeutigen Ziel, dem meine Jeans im weg war. Dieser gierige Blick, für den ich mir sofort das letzte bisschen Kleidung vom Leib gerissen hätte. Der sexy Ton seiner Stimme. Ich konnte mich nicht zügeln. Zu meiner Verteidigung, ich bin immer noch ein hormongesteuerter junger Mann in der blühte meiner Jahre und sexuell frustriert. Als Buße für meine Triebe habe ich jetzt Bissspuren auf meinem Arm. Ich hab nicht bemerkt wie fest ich tatsächlich zugebissen habe als ich kam. Unter keinen Umständen hätte ich auch nur einen einzigen Laut riskieren können, so hellhörig wie das hier alles ist. Verlegen trete ich aus der Tür in den Wohnbereich mit einem T-Shirt von Haruno und seiner Boxer-Shorts die sich verzweifelt an meine Hüften klammert. Unsicher stehe ich vor den Futons und verstecke mein zerbissenen Arm mit meiner Hand, während Shiba hinter mir im Bad verschwindet. Okay, kleine Rätselaufgabe. Zwei Futons, drei Personen. Finde den Fehler. Hilflos wanke ich von einem Bein aufs andere und werfe einen verstohlenen Blick auf die heraus blitzende sehnige Brust des Top Models zu meinen Füßen. Wenn Schönheit töten könnte, wäre er der letzte Mensch auf Erden. Dieser Anblick, wie er da liegt, mit seinem feuchten Haar und dem Vorgeschmack auf seinen nackten Körper, reicht um mich wie Butter zerfließen zu lassen. Er hat die Arme unter seinem Kopf verschränkt und schaut vom Bett zu mir auf. Ein breites Grinsen liegt auf seinen Lippen, als könnte er meine Gedanken lesen. „Keine Angst. Der böse Wolf frisst dich heute nicht.“ Nervös lächle ich ihm zu. „Ich sehe dich eher als Prinzen.“ Bellend lacht er auf. Aber wo wir schon mal bei Märchenfiguren sind. „Habe ich bei euch auch einen peinlichen Spitznamen?“ Er behält sein breites grinsen bei und scheint nicht mal überlegen zu müssen. Er hat bereits eine Antwort für mich parat. „Du bist Bambi.“ Meine Augenbrauen schießen in die Höhe. „Wie kommt ihr auf Bambi?“, frage ich verdattert. „Na ja, du hast uns auch mit Tieren verglichen, aber in erster Linie wegen deiner riesigen Augen und weil du so niedlich bist.“ Er klopft neben sich auf Shibas Futon und ich folge seiner Aufforderung mich zu setzen. „Zum anderen...“ Sein lächeln nahm einen verlegenen touch an, dass ich ihn am liebsten um den Hals fallen würde. „Weil du eben noch unschuldig wie ein Reh bist. Und keine Panik, Takeo und ich haben die Schlafverhältnisse bereits geklärt. Du schläfst in seinem Bett und er bei mir. Also kuschel dich schön ein und schlaf, damit du auf eurem Ausflug nicht zu erledigt bist.“ So unschuldig bin ich auch nicht. Ich habe gerade eure Fliesen geschändet. Verlegen ziehe ich die Decke zu mir und bin mir sicher, dass es hell genug in der Wohnung ist um die Röte auf meinen Wangen zu erkennen. „Du kümmerst dich auch um jeden.“, murmle ich schüchtern. „Nur um die, die mir wichtig sind, Misaki. Und das sind nicht viele Menschen, aber für die tu ich alles.“ Ich begegne seinem Blick, der mir durch Mark und Bein geht. Ein Blick der sagt “du bist das Wichtigste für mich“. Etwas berührt mich tief drin und mein Herz umhüllt sich mit wärme, wobei ich nicht benennen kann ob sein Blick oder seine Worte Schuld daran sind. Seine Gesichtszüge liegen entspannt als er sich zu mir beugt und einen zarten Kuss auf meine Wange platziert. „Schlaf jetzt.“ Mein Arm schnellt hervor und umklammert seinen Nacken. „Haruno...“ Mein Mund steht offen aber die Worte versieden. Planlos zucken meine Augen umher ohne zu sehen. Was sollte das werden? Was wollte ich sagen? „Ich... ähm...“ „Du sollst doch Ren zu mir sagen.“, unterbricht er mein Gestammel, wofür ich ihm überaus dankbar bin. Verlegen senke ich den Blick. „Tut mir leid.“ Seine Hand streicht über meine Wange und sofort schmiege ich mein Gesicht hinein mit einer Selbstverständlichkeit als würden wir das seit Jahren so machen. Diese Berührung hat etwas wohltuendes. Etwas wärmendes. Etwas, dass meint, jetzt kann es nur noch besser werden. Tief atme ich die schwüle Luft ein, die uns schwer umgibt, aber eine süße Note trägt, die eindeutig von dem Duschgel kommt. Ein wahnsinnig durchwühlender Tag war das. Und auch wenn Harunos lächeln das letzte ist das ich sehe, bevor ich die Augen schließe, sind die panthergleichen wilden Augen das letzte an das ich denke.     „Misaki... Hey... Wach auf...“ Sanftes rütteln unterstützt die tiefe Stimme über mir. Widerwillig reiße ich mich von meinem Traum los und blinzle verschlafen hinauf auf einen Schopf zotteliger kastanienbrauner Haare. „Hey. Ich bring dich nach Hause. Deine Mutter hat schon zwei mal angerufen. Ihr wollt los.“ Unverständliches Zeug murmelnd ziehe ich die Decke über meinen Kopf. Wie spät ist es? Wie lange habe ich geschlafen? Definitiv zu kurz, denn zu behaupten ich fühle mich wie erschlagen ist noch untertrieben. Eher als wäre ich ein Bombentestgebiet. Es zieht und zupft an der Decke. Schreckhaft zucke ich zusammen als eine Hand unter meine Kniekehlen rutscht. Eine zweite folgt unter meinem Rücken und mit einem hellen Schrei von mir, der dem kleinen Mädchen in mir vor Neid erblassen lassen könnte, hebt der Panther mich hoch auf seine Arme. „Was machst du da?“, quieke ich. „Sssssch.“ Erhalte ich als erste Reaktion. Prüfend blickt er nach unten und ich folge verwirrt seinem Blick. Haruno dreht sich grunzend um sich selbst, schläft jedoch weiter. Der Glückliche. „Ich hab deiner Mutter versprechen müssen dich so schnell wie möglich nach Hause zu bringen.“ „Ja, schon gut. Jetzt bin ich definitiv wach. Lass mich runter.“, flüstere ich ohne verhindern zu können das sich Hitze in meinen Wangen ausbreitet. Er verzieht den Mund und anstatt mich runter zu lassen, wippt er mich prüfend auf und ab. „Du musst mehr essen. Meine Gewichte wiegen mehr als du. Wie kannst du trotz der Kochkünste deiner Mutter so wenig wiegen?“ Erst nach weiteren Protesten und wildem Gestrampel lässt er mich auf meine Füße zurück sinken, wofür er sich dann noch einen Knuff auf den Arm von mir einfängt.     „Lieber süß oder deftig?“ „Deftig.“, antworte ich ohne überlegen zu müssen. „Ich esse lieber einen guten Eintopf oder Frittiertes, als Waffeln oder Eis. Lieblings Getränk?“, frage ich schließlich zurück. Nachdenklich schweift sein Blick kurz Richtung Himmel. „Nicht überlegen. Das erste was dir einfällt.“, erinnere ich ihn. „Kaffee, schwarz.“, antwortet er darauf. Angewidert strecke ich überspielt die Zunge raus, worauf er schmunzelnd seine Schulter gegen meine stößt. Leise lachend gehen wir weiter nebeneinander. Für den Weg nach Hause habe ich eine von Harunos Jogginghosen bekommen. Während ich schlief hat Shiba meine Jeans-Shorts entsorgt. „Hund oder Katze?“ Mein lachen wird lauter. „Das fragst du noch? Katze natürlich. Vor allem die großen die hinter ihrem Zottel Pony kaum was sehen können.“ Ich schwöre er wird rot. Er zupft zwar besagten Pony zurecht und verdeckt mehr als unnötig sein Gesicht, aber an seinen Ohren die zwischen den Haaren heraus lucken erkenne ich es immer noch deutlich genug. Rot. Sich räuspernd schließt er wieder zu mir auf, nach dem er kurz ins straucheln kam. „Lieblings Sportart?“, frage ich daraufhin. Wieder musste er kurz überlegen, wobei sein Blick erneut Richtung Himmel wandert. „Die eine Sportart gibt es nicht. Wenn ich ihn selbst betreibe definitiv keinen Mannschaftssport. Bei einem guten Fußball oder Baseballspiel schau ich gerne zu, aber ich bin beim Sport lieber für mich allein. Dann geh ich ins Fitnesscenter, schwimme oder wie Ren sicher schon gepetzt hat Kendo.“ „Warum machst du es jetzt nicht mehr?“ „Ich bin dran mit meiner Frage.“ Schnaufend stupse ich ihn mit der Schulter an. „Spielverderber.“ „Schummler.“, kontert er grinsend. „Na gut, aber meine Frage bleibt dieselbe.“ Er greift nach meinem Handgelenk und dreht mich zu sich, worauf wir beide stehen bleiben. Fragend schaue ich zu ihm hoch und erhasche einen Blick auf seine Augen hinter dem zotteligen Haaren. Ich kann nicht genau bestimmen, was das für ein Blick ist. Aus Sorge oder sogar Schmerz? Jedenfalls wirkt er aufgewühlt. „Shiba? Alles okay?“, frage ich verunsichert. Seine Lippen ziehen sich zu einem schiefen grinsen das seine Augen nicht erreicht. „Das war ja noch eine Frage.“ „Dann wird es Zeit das du deine endlich stellst.“, antworte ich mit flauem Gefühl im Magen. „Ich habe tausende von Fragen, die du sicher alle nicht beantworten würdest. Beantworte mir aber diese eine ehrlich.“ Er legt eine Pause ein, in der ich genug Zeit habe tief durch zu atmen und nicke schwach. „Warum bist du als Mädchen an die Schule gekommen?“ Schlagartig wird mir schwarz vor Augen. Hektisch blinzle ich mehrere male, aber meine Sicht bleibt verhangen. Unzählige Bilder tauchen vor meinen Augen auf. Die Mädchen die den Mülleimer über meinem Tisch leerten. Die Jungs dessen Fäuste ich spürte bis ich Blut schmeckte. Mein verquollenes verheultes Gesicht im Spiegel. Die Nächte auf der Straße, weil ich angst hatte so nach Hause zu gehen. Akira, der mir die kalte Schulter zeigte und unsere letzte Begegnung. Das letzte was er zu mir sagte. Es tut mir leid. Immer wieder zieht sich mein Herz zusammen bei dieser Erinnerung. Ein gebrochenes Herz. Gebrochen wegen seines Stolzes. Wie soll ich das beantworten ohne zu viel zu erzählen? Kaltes kribbeln rauscht durch meine Gliedmaßen. Erst jetzt merke ich, dass ich den Atem anhalte. Als ich darauf ins schwanken gerate spüre ich zwei Arme die mir stützend unter die Achseln greifen. Halt suchend graben sich meine Finger in sein Hemd. Nicht zum ersten mal, dass sie sich auf diese Art selbstständig machen. Starke Arme schlingen sich um meinen Rücken und geben mir den gesuchten Halt. „Misaki, ich weiß nicht was ich machen soll. Ren ist in so etwas besser.“ Meine Stirn landet mit einem dumpfen Geräusch auf seiner Brust. Der Stoff des Hemdes raschelt unter mir. Das, seine Stimme und das unerträglich laute pochen meines Herzens ist alles was ich höre. „Warum?“ Tief atme ich ein, als würde ich alle vergessenen Atemzüge in einem Zug wieder aufholen wollen. Sein männlich herber Geruch, mit einer leicht süßlichen Note des Duschgels das wir beide benutzt haben, steigt in meine Nase. Ich nehme noch einen Zug von dieser Mischung, was bewirkt, dass das Pochen in meinen Ohren ruhiger wird. Mit dem schwindenden Blutdruck, kommt auch mein Sehvermögen zurück. „Warum ausgerechnet diese Frage?“ Meine Stimme gleicht einem gespanntem Gummiband, dass dermaßen überdehnt ist, dass es jeden Augenblick zu reißen droht. Ich spüre wie seine Hand über meinen Rücken gleiten. Einmal. Noch mal. Dann stoppt sie so abrupt wie es anfing. Zögerlich beginnt er zu sprechen. „Da ich von Anfang an wusste, dass du kein Mädchen bist, ist mir auch schnell aufgefallen, dass du auf Männer stehst. Es war nicht zu übersehen wie du Ren ständig angesehen hast. Daher dachte ich erst, es wäre so ein Ding von dir. Gibt genug die als Frau herum laufen, oder dieses geboren im falschen Körper und so.“ Seine Hand setzt sich wieder in Bewegung und hätte fast sein nervöses schwanken von Fuß zu Fuß verborgen. „Aber dann ist mir was aufgefallen.“ Ich schlucke hart. Klar, Mr. Beobachtungsgabe entgeht nichts. „Du willst überhaupt nicht als Frau gesehen werden, auch wenn du selbst Witze darüber machst.“ Langsam hebe ich meinen Blick. Nie hätte ich geglaubt wie schwer es mir fallen würde ihn an zu sehen. „Du verhältst dich einfach nicht wie ein Mädchen. Bist total genervt wenn deine Schwester an deinem Aussehen werkelt. Privat trägst du nur Kleidung die dir viel zu groß ist und keine Mädchensachen. Dein Zimmer ist nicht so kitschig dekoriert wie der Rest eures Hauses. Es gibt noch so viel mehr, aber das wichtigste ist...“ Eine Hand trennt sich von meinem Rücken, um über meine Wange zu wandern. Zögerlich trifft die raue Haut auf meine weiche. „Du wirkst unglücklich.“ Mit großen Augen starre ich ihn sprachlos an. „Irre ich mich?“ Fast unmerklich schüttle ich verneinend den Kopf. Chaos. Das blanke Chaos herrscht in meinem Kopf. Schlimmer denn je. Wie kann ich nur Ordnung da hinein bringen? Schwer atmend lege ich meine Stirn wieder auf seiner Brust ab. Hell leuchtet das weiße Hemd unter mir und ich fixiere meinen Blick auf einen der Knöpfe. „Ich...“, frustriert stöhne ich, da ich nicht weiß wie ich beginnen soll, geschweige denn was ich überhaupt sagen soll und wie viel. Ich will vergessen. Alles. Wie kann ich vergessen, wenn es mich immer wieder einholt? „Keine folge Frage.“, fordere ich also. „Und wir reden nie wieder darüber.“ „Versprochen.“, antwortet er knapp. „Und wenn du mich danach anders behandelst trete ich dich. Jedes mal.“ Er schnauft belustigt. „So fest du kannst.“ Ich schließe die Augen und höre mich zittrig Atmen. Chaos. Gib dem Chaos einen Anfang.„Der wahre Grund... warum ich in Amerika war, ist... ich wurde seit der Mittelstufe massiv gemobbt. Angefangen hat es damit, weil ich schon immer eher feminin aussah. Wie ein Roter Faden hat sich das durch mein Leben gezogen. Ja, ich hasse es als Frau gesehen zu werden, aber ich hatte Panik nach meinem neu Anfang wieder in diesen Kreislauf zu fallen. Es war eine unüberlegte Panikreaktion, als ich mir die Uniform meiner Schwester schnappte und so zur Schule kam.“ Sobald mein Mund still stand, rollte eine Flut an Gefühlen über mich hinweg. Euphorie, Panik, Trauer, Wut, aber vor allem Erleichterung. Nie habe ich mich jemandem außer Susu oder meiner Familie anvertraut. Hätte nie für möglich geglaubt das je eines Tages zur Sprache zu bringen. Und das einem jungen Mann, denn ich quasi erst kennen gelernt habe und der mindestens genauso kaputt ist wie ich. Ich spüre wie mein Gesicht sich nicht entscheiden kann, ob es lächeln oder die Stirn in tiefe Falten legen soll. „Ich habe mich mit Mishiro zerstritten.“, höre ich ihn sagen. Irritiert schaue ich zu ihm auf. „Was?“ „Die Antwort auf deine Frage, warum ich jetzt kein Kendo mehr mache.“ Dann erinnere ich mich wieder an meine aufgestellten Forderungen. Er hält sich tatsächlich daran. Und zu dem Wirrwarr aus Gedanken und Gefühlen mischt sich etwas neues hinzu. Glück. Fest schlinge ich meine Arme um seinen breiten Rücken und drücke ihn in eine Umarmung. Klangvoll presse ich ihm die Luft aus den Lungen, wenn er nicht mit Absicht übertreiben sollte. Nun kann sich mein Gesicht endlich zu einem breiten lächeln entscheiden. Auch er drückt mich, aber mit mindestens neunzig Prozent weniger Kraft. Bei dem Gedanken muss ich ein leises lachen von mir geben. „Scheinbar bin ich nicht der einzige der Anhänglich geworden ist, seit du mir erlaubt hast auf dem Schuldach mit dir zu kuscheln. Ich hatte dich wenigstens vorgewarnt.“ Fest presst er seine blassrosa Lippen aufeinander, während die röte von seinem Hals immer höher in sein Gesicht steigt. „Ich werde mich zusammen reißen, wenn dich das stört.“ „Untersteh dich mir auch nur eine Umarmung vorzuenthalten.“ Auf mal wird er ganz still. Langsam hebe ich meinen Blick und sehe zu ihm hoch. Doch seine Augen sehe ich nicht. Der Vorhang an dichten Zottel Haaren hängt vor ihnen, der ihn von der Welt abschirmt. Leider gerade auch vor mir. Hab ich wieder was falsches gesagt? Gerade als das unangenehme prickeln von Nervosität in meinen Nerven sich anbahnt, sagt er etwas zu mir, dass mehr einen flüstern gleicht. „Nur Umarmungen?“ Beim Klang der tiefen Stimme, die rauer klingt als gewöhnlich, jagt ein Schauer meine Wirbelsäule hinunter. Einer der mehr als nur auf eine Weise angenehm ist. „W... Wie... ähm...“ Ich räuspere mich. „Wie meinst du das?“ Seine Mundwinkel zucken und hätten fast ein lächeln gebildet. „Ich frage dich, ob ich aufhören soll mich zurück zu halten.“ „Hast du denn... Warum... also...“ Während ich nicht zu vollständigen Sätzen fähig bin, spüre ich seine Hand meinen Rücken hoch gleiten, bis sie meinen Nacken umfasst. Sofort stoppt mir der Atem, als hätten meine Lungen vergessen wie... na, dieses... Wie war die Frage? Er beugt sich vor und da lüftet sich der zottelige Vorhang. Wie gebannt starre ich in diese dunklen wilden Augen und setze mich der Gefahr aus spontan selbst in Flammen auf zu gehen. Sein Griff um meinen Nacken wird fester und zieht mich näher zu sich. Nah. Sehr nahe. Zu nahe. Er wird doch nicht...? Seine Nasenspitze streift über meine Wange und etwas das wie ein Wimmern klingt stiehlt sich aus meinem Mund. Als ich seinen Atem auf meinen Lippen spüre, kneife ich die Augen zu. Was muss ich machen? Lippen spitzen? Öffnen? Aber ist das nicht zu früh? Küsst man beim ersten mal überhaupt mit Zunge? Wieder rutsch mir ein fiepsen über die Lippen, der sich nicht annähernd so laut und verzweifelt anhört wie in meinem Kopf, da ist es mehr ein langes AAAAAH! Doch es passiert gar nichts. Nur zögerlich öffne ich meine Augen und muss feststellen, dass er mich mit einem breiten lächeln Triumphierend an grinst. „Verarscht.“ Meine Augen werden so riesig, dass ich befürchten muss sie fallen mir gleich aus den Kopf. „Du Schuft, verwendest meine eigenen Tricks gegen mich.“ Darauf wird sein grinsen noch breiter und offenbart seine weißen Zähne. Geschlagen lege ich eine Hand über meine Augen und kann das aufkommende lachen nicht zurück drängen. Oh, verdammt. Lass dir nichts anmerken, Misaki. Tret ihn! Tret ihn! Ich muss irgendwas machen. Ich hab einen knallroten Kopf und eine Latte in der Hose. Tret ihn jetzt endlich mal, verdammt! „Ich hoffe du weißt was das bedeutet?“, frage ich und bringe mein unsicheres lachen zum verstummen. Als ich zwischen meinen Fingern hindurch blicke, sehe ich wie er fragend die Augenbrauen hebt. „Das bedeutet Krieg.“ Sein Grinsen ändert sich schlagartig. Ein Mundwinkel ist höher als der andere und seine Augen sind verengt. Es wirkt verrucht. „Kann´s kaum erwarten.“   Ende von Teil 15 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)