Pretty Boy von Serato ================================================================================ Kapitel 16: Teil 16- Bienchen und Blümchen ------------------------------------------ Pretty Boy   Teil 16- Bienchen und Blümchen   Als der Mietwagen hält schlage ich flatternd die Augen auf. Gefolgt von einem ausgiebigen gähnen und strecken, nach dem ich die gesamte Fahrt in einer unbequemen Haltung verschlafen habe. Ich wische mir die Sabber vom Kinn und tue es meiner Familie gleich und steige aus dem Auto. Mit Ehrfurcht schweift mein Blick über meine Umgebung. Grün. Wo ich auch hinsehe, alles grün. Hätte ich nur mal ein dieser Survival-Dokus im Fernseher gesehen. Wer weiß, was sich in diesem Grün alles versteckt hält. Ich bezweifle, dass wir hier auf Godzilla treffen, aber sicher der ein oder andere Käfer, der dem Konkurrenz machen kann. So viele Bäume, Büsche und Pflanzen bin ich nicht gewohnt. Unser Garten zu Hause ist schön, aber in der Großstadt Tokios muss man schon eine Weile laufen für ein Fleckchen grün. Dabei fällt mir etwas ein, das meinen Magen eiskalt brodeln lässt. Mit schwitzigen Händen hole ich mein Handy aus dem Rucksack und stelle schockiert fest, kein Netz. Verdammt. In welches Höllenloch haben sie mich hier verschleppt? Mit Sack und Pack laufen wir den kleinen Parkplatz entlang, wobei ich den kleinen Koffer von Miyu tragen muss, die energiegeladen vor uns her hüpft. Dad und ich haben für diese eine Nacht nur eine kleine Tasche. Ich hätte auch darauf noch verzichten können. Mehr als eine Unterhose und Zahnbürste braucht es doch nicht. Mum und Hina haben gepackt, als würden sie sich eine ganze Woche hier einquartieren. Als wir den geschotterten Parkplatz verlassen ertürmt sich vor uns ein Imposantes Gebäude, dass aussieht als wäre es noch aus der Kaiserlichen-Zeit bestehen geblieben. Zwei gestufte Stockwerke, mit einem geschwungenem Dach auf dem Verzierungen zu erkennen sind. Die Fassade sieht neu aus und strahlt weiß, doch die dunklen Holzbalken zeigen einen Gegenpart zum neuen. Eine Mauer, die weit um das Gebäude herumführt, grenzt es von dem Wald ab und schließt das kleine Königreich in sich ein. Wir gehen durch die riesige offenstehende Holztür und finden uns in einem fast schon Buddhistischen Garten wieder. „Okay... Was genau machen wir hier?“, frage ich misstrauisch in die Runde, denn was macht man mitten im nirgendwo, in einem alten Haus und verdammt noch mal ohne Netz. Schnaufend überreicht Mum Dad ihren Koffer für die letzten Stufen die uns vom Eingang trennen. Mit einem verschmitzten Grinsen nimmt er ihn Widerstandslos entgegen und geht weiter. Ein wenig außer Atem lächelt Mum mir zu. Auch heute ist es wieder heiß. Bis eben konnten uns die Bäume kühlen Schatten spenden, aber auf dem Weg gibt es keinen Schutz. „Wir werden heute mal richtig die Seele baumeln lassen. Das hier ist eine Onsen.“, kichert Mum gut gelaunt. Onsen bei dem Wetter. Tolle Idee. Wettervorhersage für heute, es könnte Sarkasmus regnen. Lieber hätte ich den Tag auf Shibas Futon verbracht. Wahlweise auch mit ihm oder Haruno zusammen. Genervt verziehe ich das Gesicht und betrete das Imposante Gebäude. Von Innen sieht es genau so aus, wie man es sich vorstellt, wenn man es von Außen gesehen hat. Tatami-Matten auf dem gesamten Boden. Schiebetüren mit Reispapier. Der Empfangstresen aus dunklem Kirschholz ist präsent in der Mitte des Raumes platziert. Bald hätte ich gelacht als ich den Souvenir-Shop an der linken Seite des Raumes ausmachte. Doch das beste ist ein Schild, auf dem den Besuchern Gratis WLAN versprochen wird. Halleluja, die Hölle hat einen Hinterausgang.   Es dauert nicht lange bis wir auf unser Zimmer gebracht werden. Viele Gäste haben sie zur Zeit nicht. Sofort verbinde ich mich mit dem Internet und erhalte prompt eine Nachricht von Haruno. Zuerst bin ich enttäuscht, weil ich noch immer auf ein Lebenszeichen von Susu warte. Allmählich beginne ich mir sorgen zu machen. So wie er aussah. Hoffentlich ist nichts weiter passiert. Sollte er bewusstlos in irgendeiner Gosse liegen und keiner hilft ihm, werde ich mir nie verzeihen können weggelaufen zu sein. Ich öffne Harunos Nachricht und sehe, dass er in unserem Dachhocker-Gruppenchat geschrieben hat. »Haruno: Hey Bambi. Wo hat es euch denn hin verschlagen?« Von der Uhrzeit her ist die Nachricht schon vor zwei Stunden geschickt worden, als ich noch friedlich im Auto vor mich hin gesabbert habe. »Hey Igelchen. Wir sind am Arsch der Welt in eine andere Epoche gefallen. Würde mich nicht wundern, wenn wir Nachts von Ninjas überfallen werden. Wenigstens gibt es WLAN. Was macht ihr?« »Haruno: Schmeiß den Haushalt. Takeo kam spät vom Joggen zurück und schläft jetzt endlich, hat die Nacht wieder kein Auge zu getan. Was habt ihr jetzt vor? Schwertkampf und Wurfstern Übungen für die Verteidigung vor den Ninjas?« Kein Auge zu getan? Hoffentlich lag das nicht an mir, weil ich sein Bett für mich beansprucht habe. Mein Blick wandert durch das Zimmer. Mum und Hina erkunden neugierig alles. Dad verstaut die Koffer in einer Ecke und Miyu läuft durch eine Schiebetür in einen kleinen Garten der zu unserem Zimmer gehört. Statt zu Antworten schicke ich ihm ein Foto von unserem Zimmer mit Blick in den Garten. »Haruno: Schick mir lieber Fotos von dir. Vermisse dich. Hättet mich ruhig wecken können, damit ich mich von dir verabschiede. Jetzt fehlt mir meine Portion Misaki. Wie soll ich heute Abend nur überstehen ohne die?« Am Ende hängt er noch ein Emoji mit Träne dran. Kein Wunder das er die Mädchen alle um den Finger wickeln kann, wenn er so süße Sachen sagt. Ich würde ihm jetzt auch am liebsten um den Hals fallen. Ihm seine Portion Misaki verabreichen und mir den ein oder anderen Kuss verabreichen lassen. Sehnsüchtig seufze ich tief und ergebe mich dem Umstand, dass dies im Moment nicht Möglich ist und ich die Zeit mit meiner Familie genießen sollte solange es geht. Doch dann schlägt Mum wandern vor und ich wünsche mir eine spontan einsetzende Grippe.   An Mums Hand balanciert Miyu über Baumstämme. Dad, Hina und ich laufen etwas weiter hinter ihnen, weil Miyu mit einer Geschwindigkeit von Baum zu Baum rast die Flash neidisch werden lassen könnte. Irgendeine verborgene Superkraft muss sie besitzen, wenn sie bei der Hitze noch so Fit ist. Der Rest von uns ist ziemlich fertig. Hina stupst mir ihren Ellenbogen in die Seite und hat sofort meine Aufmerksamkeit. „Wie kommt es eigentlich, dass du mit Subaru los ziehst und mit dem Griesgram nach Hause kommst?“ „Er ist kein Griesgram.“, verteidige ich ihn sofort und strafe meine große Schwester mit einem finsteren Blick. „Ich meine ja nur.“, grinst sie weiter als ob sie mehr wüsste als ich. „Es ist nur sehr verdächtig.“ „Was willst du mir damit unterstellen?“, frage ich deutlich misstrauisch und mustere sie abschätzend. „Sie will wissen, ob du bei ihm geschlafen hast.“, mischt sich Dad ein, der sich unwohl mit der Hand über den Nacken fährt. „Ja, hab ich.“, erwidere ich wahrheitsgetreu. Erschrocken zucke ich zusammen als meine Schwester einen lauten schrillen Schrei von sich gibt und sich mit den Händen Luft zu fächelt. Eine Überreaktion, die sie immer dann an den Tag legt, wenn ihr kleines Fan Herz mit neuen Ereignissen gefüttert wird. „Papa heute Abend musst du Sushi springen lassen. Wir haben was zu feiern.“ „Was gibt es denn da zu feiern?“, wundere ich mich. „Na, deinen Wandel von einem Jungen zu einem Mann.“, erwidert sie übertrieben begeistert. Ich schwöre, wenn sie könnte, würde sie jetzt eine Parade für mich aufmarschieren lassen. Sie fängt selbst schon fast an zu tanzen und springe abwechselnd von einem Bein auf das andere. „Meinen Wandel?“ Klingt das nur so dumm oder bin ich wirklich der einzige der hier nichts versteht? Sie klimpert mir mit ihren langen Wimpern zu und gurrt. „Bienchen und Blümchen, schon mal gehört?“ Verständnislos starre ich sie an. „Deine Entjungferung.“, übersetzt Dad. „Was?!“ Abwehrend schüttle ich meine Hände und sehe hektisch zwischen beiden hin und her. „Ich hab nur bei ihnen übernachtet. Susu hatte... er war... beschäftigt. Ich bin zu Haruno und Shiba auf ihre Arbeit und bin mit ihnen zusammen nach Hause. Weil sie zusammen wohnen.“, verteidige ich mich, zumal mein nicht vorhandenes Sexleben nichts ist was ich mit meiner Familie teilen möchte. „Ich bin mit zu ihnen, weil ich angst vor dem hatte was mich zu Hause erwartet. Schließlich warst du lange weg und mit Mum allein im Haus.“ Mit knallrotem Kopf wendet er sich augenblicklich Richtung Wald, der ihm plötzlich unglaublich Interessant vorkommt. Ein Schauer überkommt und schüttelt mich. Sehr unauffällig Dad. Sehr unauffällig. Würg. „Dann lief da gar nichts zwischen euch?“, fragt meine große Schwester enttäuscht. „Nein. Ich hab euch doch gesagt, wir sind nur Freunde.“, antworte ich etwas genervt. Sie zieht eine Augenbraue hoch und spitzt die Lippen. „Und genau das glaub ich dir nicht. Der süße Haruno hat dich schließlich schon vor unseren Augen auf die Wange geküsst. So wie er gestern darauf war ist er total in dich verschossen und dennoch kommst du mit Mr. Obergriesgram nach Hause.“ Ich verdrehe die Augen und lege einen Zahn zu. „Wie auch immer.“, pampe ich sie an. Hastig ergreift sie mein Handgelenk und hindert mich an der Flucht nach vorn. „Misaki, sei mir nicht böse. Du erzählst ja nie was. Ich mach mir nur Sorgen. Jedes mal müssen wir uns fürchten, ob du überhaupt wieder kommst wenn du dich missverstanden fühlst oder ob wir erst ein paar Tage später in der Zeitung über deinen Leichenfund informiert werden. Ich meine ja nur, Haruno macht einen netten soliden Eindruck. Wir wollen alle nur, dass du endlich wieder glücklich wirst und was war hinter dir lassen kannst.“ Sie zieht an mir, dass ich widerwillig zu ihr stolpre. Ich bin noch nicht ganz bei ihr, da öffnet sie schon die Arme. Kampflos lasse ich mich in die Umarmung fallen und seufze schwer. Fest drückt sie mich an ihre Brust und wiegt mich sachte. „Ich will auch.“, erschallt es von weiter weg und höre Mum heran traben, die sich gegen uns wirft und mit knuddelt. In der Mitte des Knäuels koche ich vor Hitze und sehe hilfesuchend zu Dad, der uns nur belächelt und nicht mal daran denkt mir zu helfen. Miyu sehe ich weiter vor uns. Die kleinen Ärmchen eng vor der Brust verschränkt und den Blick stur in den Wald gerichtet. Von ihr habe ich erst recht keine Hilfe zu erwarten.     „Wir sehen uns dann später.“, verabschiedet sich Mum mit einem Kussi bei Dad und geht mit meinen Schwestern in die Onsen im Damenbereich. Ich hänge wieder an meinem Handy und lese die neuen Nachrichten von Haruno. »Haruno: Misaki, schimpf mit Takeo. Er hat mich gehauen, weil ich gepetzt habe, dass er nicht geschlafen hat.« »Haruno: Jetzt hat er es schon wieder getan. Aua!« Ich kann es mir bildlich vorstellen, wie Shiba genervt von Harunos Offenheit ist. Er wird ihn hinter seinem Zottelponny böse an funkeln und Haruno wird es ignorieren. Wie konnten die beiden sich nur anfreunden? Schmunzelnd tippe ich eine Antwort in den Gruppenchat. »Reißt euch mal zusammen, sonst bring ich euch nichts aus dem Souvenir-Shop mit.« »Haruno: Bring mir dich mit, mehr brauche ich nicht.« Prompt steigt mir eine Hitze zu Kopf, die mich leuchtend rot werden lassen muss, denn als ich beschämt zur Seite sehe, bemerke ich den Blick mit dem Dad mich bedacht. „W... Was ist denn?“, stottere ich verlegen. Breit zieht sich das lächeln auf seinem Gesicht. „Reiß dich los, damit wir auch ins heiße Wasser können. Und danach bestellen wir Sushi für alle.“ Na toll. Ich bin wirklich nicht gut darin Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. „Ja, gleich.“, räuspere ich mich um Haltung wahrend. Um ungestört zu sein gehe ich in den Nebenraum, in dem eine Reihe von Futons bereit liegen und sehe wieder auf mein Handy. Eine ungelesene Nachricht habe ich noch, von jemandem Namens Yamada. Erst beim lesen fällt mir wieder ein, dass Yamada Susus “Kleiner“ ist. »Yamada: Schönen guten Tag Watanabe-san. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass es Tsuba gut geht.« Befreit atme ich auf. Ich kann nicht annähernd in Worte fassen wie erleichtert ich bin das es Susu gut geht. Er liegt also nicht halbtot im Bett des nächsten perversen Arschlochs, liegt nicht bewusstlos auf einer Baustelle und wird mit Beton übergossen oder wurde von einer reichen alten Frau aufgegriffen, die ihn als Haustier hält. »Ich danke dir Yamada. Ich habe schon befürchtet, dass was passiert sein könnte, wollte mich aber noch nicht melden.« »Yamada: Er meinte schon ihr habt euch gestritten. Daher schreibe ich dir. Ich mach das nicht gerne hinter seinem Rücken, aber ich bin dir was schuldig. Vielleicht sogar für immer.« »Was ist passiert? Wie ist er zu dir gekommen?«, will ich interessiert wissen. Yamada schreibt. „Misaki, bist du soweit?“, ruft mein Vater von nebenan. „Ja,gleich. Geh schon mal vor. Bin sofort bei dir.“ „Die Jungs laufen dir schon nicht weg.“, lacht er. „Nee, ist wichtig. Einen Moment.“, erwidere ich und werde immer nervöser je länger ich auf die Antwort warten muss. »Yamada: Ich habe ihn stark alkoholisiert vor einer Bar aufgegriffen, als er dabei war jemanden neues kennen zu lernen. Darauf habe ich ihn, mit etwas Kraftaufwand, mit nach Hause genommen. Das fand er nicht witzig. Hat mir ein blaues Auge verpasst, aber danach wurde er ruhiger. War es also Wert. Er hat erzählt, dass ihr euch im Streit getrennt habt, weil es ihm unangenehm war was passiert ist und er nicht darüber reden wollte. Ich hoffe du bist ihm nicht böse deswegen. Er fürchtet, dass du ihn jetzt wieder alleine lässt. Mach das bitte nicht. Melde dich bei ihm, er traut sich nicht.« Unfähig meine Beine davon zu überzeugen standhaft zu bleiben lasse ich mich auf einen der Futons plumpsen und schlage die Arme über meine Augen. Zittrig entweicht mir der Atem, während meine Gliedmaßen ein eiskaltes kribbeln ausstrahlen. Was habe ich Susu angetan?! Ich, als sein bester Freund, lass ihn einfach in Stich. So wie damals schon mal, als ich nach Amerika abgehauen bin ohne ihm etwas zu sagen, weil ich nur daran denken konnte hier weg zu kommen. Weg von allem. Immer fliehe ich vor meinen Problemen. Immer verdränge ich sie. Nie weiß ich anders damit umzugehen. Verletze die Menschen um mich herum und stoße sie vor den Kopf. Ich bin gefangen in meiner Angst. In einer dunklen Spirale aus Angst die mich immer tiefer mit sich zieht. Meine Probleme verschwinden nicht. Egal wie schnell ich renne. Egal wohin ich flüchte. Wie kann ich mich befreien? Wie kann ich diese Last auf meiner Brust los werden die mich lähmt? Eine warme Hand legt sich auf meinen Arm und lässt mich zusammenschrecken. Mit großen feuchten Augen sehe ich zu Dad auf. „Was ist los?“, fragt er ehrlich besorgt. Schwerfällig richte ich mich auf, bis ich sitze und bemühe mich tief durch zu atmen, um mich zu fangen und etwas Zeit heraus zu zögern, was aber nur bewirkt, dass meine Augen um so mehr brennen. „Ich habe mich gestern mit Susu gestritten.“, gestehe ich mit dünner Stimme. „Deswegen habe ich bei Haruno und Shiba übernachtet. Susu... er...“ Ein leises schluchzen schüttelt mich. Angst. Immer ist sie da. Immer. Selbst bei meinem Dad. Sie schnürt mir den Hals zu und hindert mich daran die Dinge zu sagen die wirklich wichtig sind. Ich möchte das er Susu mag. Das wird er nicht wenn er weiß was passiert ist. Ich mag es nicht was Susu meint tun zu müssen. Es gibt andere Wege. Es muss andere Wege geben. Ich will... „Ich will ihm helfen, aber ich weiß nicht wie. Es geht ihm schlecht.“ Wieder schaffe ich es nicht die ganze Wahrheit zu gestehen, auch wenn es keine Lüge ist. Ich lüge meine Familie nicht an, aber ich erzähle ihnen nie die ganze Wahrheit. Ich bin voll mit Geheimnissen. Voll mit erdrückenden Schuldgefühlen. Voll von Angst. „Ich weiß nicht... Dad... wie?...“ „Vielleicht kannst du es nicht.“ Erschrocken schnellt mein Blick zu ihm auf. „Was?!“ Er räuspert sich. „Verzeih, dass klang harsch. Ich meine damit nur, vielleicht bist nicht du derjenige dessen Hilfe er braucht, sondern die eines anderen. Vielleicht will er sich nicht von dir helfen lassen. So wie du dir nicht von uns helfen lässt, obwohl wir es uns so sehr wünschen. Ihr braucht jemanden anderes der gewillt ist euch zu helfen und von dem ihr bereit seit euch helfen zu lassen.“ Seine Hand streicht durch mein langes Haar und ich sehe ein zögerliches lächeln, dass seine Augen nicht ganz erreicht, weil sie zu viel Sorge ausstrahlen. „Bei deinem lächeln eben hatte ich die Hoffnung das du diesen Jemanden vielleicht endlich gefunden hast. Gib deinem Freund Zeit und sei für ihn da, dass ist alles was du im Moment für ihn tun kannst. Ich bin mir sicher, er wird diesen Jemanden finden von dem er sich helfen lassen wird. Hab Geduld.“ Nachdenklich lege ich den Kopf an seine Schulter, worauf er mich in den Arm nimmt. Eine Geste die mir Ruhe schenkt, trotz allem. Ich hasse es so viel unausgesprochen zu lassen zwischen uns, aber Dad hat recht, er ist nicht derjenige der mir helfen kann. Er kann sich nicht in meine Lage versetzen. Er ist nicht Objektiv genug. Keiner in meiner Familie ist das. Und auch wenn ich Susu immer alles erzählen konnte, sind meine Probleme die ich mit mir habe nie besser geworden. Ich gehe auf seine Lösungsvorschläge nicht ein, weil sie mich eine zu hohe Überwindung kosten. Traut er sich mir deswegen nicht an? Weil ich mir von ihm nicht wirklich helfen lasse. Ich muss dringend mit ihm reden. „Danke Dad.“, schniefe ich. „Du bist echt verdammt schlau.“   Im heißen Bad der Freiluft Onsen hatte ich mir noch viele Gedanken gemacht. Dad muss es bemerkt haben, denn er stellte mir keine weiteren Fragen und ließ mich in Ruhe meine Gedanken ordnen. Es blieb bei oberflächlichen Gesprächen. So kommt es, dass ich im Souvenir-Shop wieder an meinem Handy hänge, während Mum und meine Schwestern sich begeistert umsehen. Meinen Einkauf habe ich schon erledigt, ich muss nicht Stundenlang stöbern. Von meinem Taschengeld ist nicht mehr viel übrig, daher war die Auswahl überschaubar. Ich weiß nicht, ob die beiden sich darüber freuen werden, aber ich fand es ganz witzig. Eine kleine Hartgummi Figur im Anime Designe für jeden als Handyanhänger mit einem Schriftzug, der auf einer länglichen Stofffahne steht, die man als Displayputztuch verwenden kann. Also nicht nur kitschig, sondern auch nützlich. Damit könnte ich meine Wahl dieser viel zu niedlichen Anhänger rechtfertigen. Für Haruno habe ich tatsächlich einen putzigen kleinen Igel finden können. Leider gab es keinen Panther für Shiba, aber eine schwarze Katze, das ist nah genug dran. Den richtigen Schriftzug zu finden war schwieriger. Ich wollte das gleiche für beide, aber der einzige der gleich war war BFF. Das schien mir unpassend. Wir kennen uns schließlich erst eine Woche und das ist auch nicht wirklich das was ich für sie empfinde. Es ist mehr als Freundschaft, aber best friends forever trifft es nicht. Nun bekommt Haruno den Prince mit passendem Krönchen auf dem Igel und Shiba den Hero, bei dem die Katze mit Cape eine heldenhafte Pose einnimmt. Ich kann mir vorstellen, dass Haruno es mir zu liebe mag, aber Shiba ist das sicher zu kindisch. Während ich nun darauf warte das meine Familie fertig wird, habe ich Yamada noch eine Nachricht geschickt, ob Susu noch bei ihm ist. Es dauert einige Minuten bis er antwortet, in denen ich immer wieder ungeduldig auf das Display starre. »Yamada: Nein, leider nicht. Nachdem ich ihn verarztet hatte ist er eingeschlafen. Als ich wenig später nach ihm sehen wollte war er weg.« Enttäuscht lasse ich das Handy sinken und sehe zu meiner Familie. Dad sitzt bereits im Restaurant des Hotels und wartet auf uns. Es trifft mich schmerzlich, dass Susu Yamadas Hilfe nicht annimmt. Ich habe große Hoffnung in ihn gesetzt. „Oh, wie niedlich.“, höre ich meine große Schwester vor Begeisterung rufen, als sie ein paar Geta Holzschuhe mit Floralen Mustern hoch hält. Diese Begeisterung für niedliche Dinge muss Mütterlicherseits vererbbar sein an das weibliche Geschlecht dieser Familie, denn auch meine kleine Schwester hyperventiliert bald beim Anblick eines weißen Hasen Plüschtiers, den sie nicht mehr rausrückt. Das ich diese niedlichen Anhänger gekauft habe ist reiner Zufall. Zufall! Zufall sage ich und dabei bleibe ich auch. Ich bin nicht auf niedliche Dinge fixiert. Gut, ich lass Ausnahmen gelten, wie meine Bento Boxen aber das war es auch. Na ja, die Häschen Bilderrahmen in meinem Zimmer würde ich ungern missen. Die sind schon süß. Aber das war´s! Denke ich... Obwohl... Harunos und Shibas lächeln ist noch viel niedlicher, aber ich denke das zählt nicht. Nein, ich bin mir sicher das zählt nicht. Das ist als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen. Mum hält einen Stoffbeutel hoch mit auffälligem Muster. „Hina, der Kinchaku würde perfekt zu deinem Yukata passen. Was meinst du? Bald ist doch Sommerfest.“ Prüfend nimmt sie ihn entgegen und untersucht akribisch alle nähte und Optik. Während meine große Schwester scheinbar eine Reihe von Qualitätstests durchführt wendet sich Mum mir zu. „Hast du denn alles für das Sommerfest?“ Unsicher schweift mein Blick über das breite Sortiment. „Keine Ahnung. Denke schon, wachse da ja seit Jahren nicht raus.“ „Schau dich wenigstens um. Die Qualität ist hier besser als in der Shopping Meile.“, stachelt sie mich gut gelaunt an. Ergeben seufze ich und stecke mein Handy weg. Desinteressiert wandere ich um die Ständer und tu wenigstens so als würde ich schauen. Das Sommerfest findet an einem Sonntag statt, dass heißt Haruno und Shiba hätten frei. Vielleicht können wir zusammen los gehen. Ich will nicht schon wieder den Aufpasser für meine kleine Schwester spielen. Gut, dass letzte Fest für mich ist zwei Jahre her. In Amerika werden andere Feste gefeiert. Der vierte Juli war der Hammer. Thanksgiving hat mir gut gefallen. Michael hat mich und Dad zu seiner Familie eingeladen. Den Tag habe ich viele neue Wörter gelernt. Weihnachten hat fast schon erschreckende Ausmaße. Aber so ein Sommerfest in Japan hat etwas magisches an sich. Gutes essen, spiele, geschmückte Tempel und Straßen und das beste von allem zum Schluss, das Feuerwerk. Haruno sieht bestimmt umwerfend im Yukata aus. Und wenn ihn dann während des Feuerwerks die bunten Lichter umspielen und er mich ansieht, gar lächelt. Sich vielleicht zu mir herunter beugt. Der Gedanke lässt einen Schauer meinen Rücken hinunter jagen und sorgt unpassender weise für leichtes Wachstum in den Südlichen Regionen. Endlich würde ich auch Shiba mal in was anderem sehen als diese blöden langärmligen weißen Hemden und der schwarzen Hose die ihn wie ein Vertreter der Christlichen Kirche aussehen lassen. Stutzig halte ich inne und führe den Gedanken weiter aus. Er hat doch gar nichts anderes anzuziehen, dass heißt er hat auch keinen Yukata für das Sommerfest. Wenn er ohne geht, würde Haruno vielleicht auch keinen tragen wollen. Er braucht also dringend einen Yukata, damit ich beide darin bewundern kann. Mit plötzlich aufkeimendem Interesse durchstöbere ich die Massen an Stoffen und versuche mir vorzustellen welche Farbe zu seinen kastanienbraunen Zottelhaaren, den dunklen Augen und der beigen Haut passen würden. Nur ungern möchte ich meine Schwester zu rate ziehen. Das nimmt dann Ausmaße an, bei denen wir heute aufs Abendbrot verzichten müssten, weil bereits alle Feierabend haben bis sie fertig ist. Zudem dürfte ich mir wieder einiges anhören warum ich einem Freund was zum Anziehen schenken möchte. „Bist du soweit?“, ruft meine Mutter von der Kasse. Ich brumme ihr beschäftigt etwas zu, was sie unmöglich aus der Entfernung hören kann. Und dann finde ich ihn. An der Wand hängend, versteckt hinter grauen und blauen Stoffen. Der einzige Yukata in einem atemberaubenden dunklen olivgrün mit dünnen schwarzen Mustern die viel zu Modern aussehen auf diesem traditionellen Gewand. Der Stoff ist fein gewebt und die nähte sauber. Das Muster allen Anschein nach nicht bedruckt sondern Hand bemalt. Die Qualität hat ihren Preis. Ich schlucke hart als ich das Preisschild betrachte. Probehalber ziehe ich ihn über und wie erwartet ist er mir zu groß, dann würde er ihm vielleicht passen. „Ich glaube nicht das du da noch rein wachsen wirst.“ Mum kam in der Zeit zu mir und geht prüfend um mich herum. Verlegen streiche ich den weichen Stoff glatt und schaue an mir herunter. „Ich würde ihn dennoch gerne kaufen, nur mein Geld reicht dafür nicht. Könnte ich vielleicht einen Vorschuss auf mein Taschengeld bekommen?“ Sie greift vorsichtig in meinen Nacken und holt das Preisschild hervor. Mein Herz bleibt stehen als sie scharf die Luft einzieht. „Liebling, dass ist viel Geld für einen Yukata der dir nicht mal passt. Du findest sicher noch was anderes.“ „Der ist nicht für mich. Soll ein Geschenk werden. Bitte Mama, dass ist der einzige in der Farbe.“ Ich bemühe mich um einen herzerwärmenden Welpen blick und schaue flehend zu ihr auf. Wenn ich Mama sage knickt sie meistens ein. Mum lässt mich zu erwachsen wirken sagte sie mal. Sie seufzt tief und spielt mit dem Preisschild zwischen ihren Fingern während sie überlegt. „Misaki...“, setzt sie an und mein Herz wird schwer bei ihrem bedauerndem Tonfall. „Der ist zu teuer. Das würde ein zu großes Loch in unsere Haushaltskasse reißen. Der Ausflug war schon teuer genug. Das geht nicht auch noch.“ „Aber es ist doch nur geliehen. Du bekommst das Geld ja wieder.“, starte ich einen weiteren Versuch. „Aber es würde diesen Monat fehlen. Tut mir leid. Nein.“ Ich spüre ihre Hand in meinem Haar. Ruckhaft entziehe ich mich ihr und weiche ein paar Schritte von ihr weg, während ich Kommentarlos den Yukata ausziehe und zurück hänge. „Misaki...“, beginnt sie erneut, doch ich unterbreche sie bevor sie mehr sagen kann. „Dad wartet.“ Ohne auf Mum oder meine Schwestern zu wartet gehe ich los. Enttäuschung und Wut brodeln abwechselnd in mir auf und Scham, weil es absolut dumm ist deswegen enttäuscht oder wütend zu sein. Mum hat recht. Er ist einfach zu teuer. Ich werde Monate brauchen um den abzubezahlen. Aber das wäre es mir wert gewesen. Für Shiba. Ich bin nicht weit gekommen, als sich zwei Arme um meine Hüfte schlingen. Erschrocken fahre ich meinen Kopf herum und sehe Hina hinter mir. Verschmitzt grinst sie mich an und beginnt mich zu knuddeln. „Mi-sa-ki?“ Ich höre die Sensationsgier in ihrer Stimme, die meinen Namen musikalisch trällert. „Jaaaaa?“, frage ich misstrauisch und so was von nicht trällernd. Sie legt ihren Kopf auf meine Schulter und schaut zu mir auf. Spielerisch lässt sie ihre Augenbrauen wackeln. „Für wen sollte denn der Kimono sein?“ „Geht dich nichts an. Du machst dich nur wieder lustig über mich.“ Sie kräuselt die Nase und stupst mich mit ihrem breiten Becken an. „Gut dann frag ich anders.“ Sofort lässt sie mich los und baut sich vor mir auf. „Warum möchtest du den Yukata verschenken?“ Überrascht öffne ich meinen Mund, doch zögere eine Antwort heraus. Unwohl graben sich meine Finger in den Stoff des Yukatas, den das Hotel nach dem Bad bereit gelegt hat und den wir alle tragen. „Ist er für Haruno?“, fragt sie offen, worauf ich den Kopf schüttle. Unwohl trete ich von einem Fuß auf den anderen. „Nein, für...“, beginne ich unsicher. „Für Shiba.“ Sie legt den Kopf schief und sieht mich fragend an. „Warum für ihn?“ Schwer liegt die Zunge in meinem Mund. Ist es ein Vertrauensbruch wenn ich ihr von seinem Schicksal erzähle? Recht wäre es ihm sicher nicht. Aber dann würden wieder Dinge unausgesprochen zwischen mir und meiner Familie stehen. Hina kann nichts für sich behalten. Ich entscheide mich für eine unverfängliche Version der Wahrheit. „Er hat keinen.“ Sie seufzt schwer und greift nach meinen Schultern, die sie locker massiert. „Du behältst schon wieder die Hälfte für dich. Das sehe ich dir doch an der Nasenspitze an. Das ist okay, ich frag nicht weiter nach, aber es wäre schön gewesen wenn du wenigstens ein mal ehrlich zu mir währst was deine Liebesgeschichten angeht. Du weißt doch wie sehr mich dein Glück freuen würde.“ „Das ist keine Liebesgeschichte. Wir sind Freunde. Nur. Freunde.“, sage ich verbissen. „Ja, ja, ich weiß.“, winkt sie ab, als ob sie es nicht mehr hören könnte. „Nein wirklich. Ich liebe Shiba doch nicht. Natürlich mag ich ihn sehr, aber Haruno mag ich genauso gern. Kann man denn als Schwuler Mann nicht mit anderen Männern befreundet sein, ohne das gleich alle denken da läuft was?“, rede ich mich in rage. „Klar, Shiba ist ein toller Mann. Ich könnte mich glücklich schätzen wenn so ein lieber, aufrichtiger und humorvoller Kerl... Ich meine... na ja...“ Wieder spiele ich unsicher mit dem Stoff des Yukatas zwischen meinen Fingern. „Er ist nur so traurig... Ich wollte ihm lediglich eine Freude machen. Er hat nichts und gönnt sich noch weniger. Ich möchte ihn glücklich sehen. Ich will,... dass er glücklich ist. Das ich derjenige bin der ihn glücklich macht.“ Schüchtern hebe ich meinen Kopf und wage einen flüchtigen Blick in das Gesicht meiner Schwester, die mir wortlos lauscht. „Ich mag es wenn er mich anlächelt und alles in mir wie verrückt kribbelt. Es ist so schön mit Haruno und Shiba. Sie machen mich glücklich. Ich möchte dieses Glück mit ihnen teilen. Haruno ist schon glücklich wenn ich bei ihm bin. Er ist unkompliziert. Umso mehr Spaß macht es, wenn ich ihn mit meinem Verhalten überrasche. Er lächelt dann immer so niedlich und... irgendwie ist dann immer alles nicht mehr so schlimm...“ Meine Stimme bricht abrupt als sich ein verdammtes schluchzen anbahnt, dass ich mühevoll hinunter schlucke. „Du siehst also, wir sind nur Freunde, denn es ist unmöglich, dass man zwei Menschen gleichzeitig Lieben kann. Also bitte, hör auf zu sagen da läuft was.“ Schief lächelt sie mich an und stemmt die Hände in die Hüfte. „Kann bei dir denn gar nichts normal ablaufen?“ Hilflos hebe ich die Schultern. Ein Schritt braucht sie nur um mich zu erreichen und in den Arm zu nehmen. Sachte wiegt sie mich in ihren Armen und seufzt theatralisch. „Was sollen wir nur mit dir machen?“ Ein schwaches lächeln bildet sich auf meinen Lippen, dass weit von Freude entfernt ist. „Ich glaube, ich bin ein hoffnungsloser Fall.“ Sie küsst meine Stirn und wischt anschließend über die Stelle mit ihrem Daumen. „Geh dich erst mal beruhigen. Ich sammle die anderen ein und bring sie zu Papa. Der denkt sicher schon das Souvenir Bermuda hat uns verschluckt.“ „Nein schon gut. Ich geh schon zu Dad.“   »Haruno: Wann seit ihr morgen wieder da?« »Nach dem Mittagessen fahren wir los und sind frühen Abend zu Hause wenn es keinen Stau gibt.« »Haruno: Schade, dann ist es sicher unangebracht wenn ich noch so spät zu dir komme oder?« Ich zögere bevor ich eine Antwort tippe. Gerne würde ich ihn sehen. Die ganze Zeit schon wäre ich lieber bei ihnen als hier und das trotz Dads Anwesenheit. Jetzt erst recht nachdem der Traum platzte beide im Yukata auf das Sommerfest zu begleiten. Er hätte großartig an Shiba ausgesehen. Bis zum Fest wird er sich keinen kaufen, wenn er nicht mal ein paar Yen für ein T-Shirt ausgibt bei den Temperaturen. So gerne hätte ich ihm den Yukata gekauft. Gerade weil er sich nichts gönnt. Seit Monaten leben sie zusammen in der gemeinsamen Wohnung und alles was er hat sind diese blöden Hemden und Hosen. »Ich frag meine Eltern ob ich zu euch kann.« Antworte ich schließlich, denn ich will sie beide sehen. Vielleicht kann ich wieder bei ihnen übernachten. Dieser Gedanke zaubert endlich wieder ein lächeln auf meine Lippen. „Legst du jetzt bitte dein Handy weg?“, höre ich eine dunkle Stimme die ich als die meines Vaters einordne. Fragend schaue ich auf. „Was ist denn?“ „Wir möchten jetzt essen. Es wäre schön, wenn du daran teilnimmst.“ Augenrollend verstaue ich mein Handy in dem schmalen Obi des Yukatas. Als ich meine Aufmerksamkeit unserem Abendessen widme, dass mein Vater bestellt hat während wir noch im Souvenir-Shop waren, könnte ich glatt wieder mit den Augen rollen. Sushi. „Mit wem schreibst du denn da immerzu?“, fragt Mum neugierig. War meine Familie eigentlich schon immer so anstrengend? „Nur mit meinen Freunden, Mum.“ Mehr möchte ich dazu auch gar nicht sagen, aber sie lässt nicht locker. „Welcher von beiden?“ Genervt werfe ich den Kopf in den Nacken und stöhne. „Ich hab mehr als zwei Freunde, Mum.“ „Ja gut, Subaru oder die andern beiden.“, lenkt sie ein. „Also wer?“ Traurigerweise sind das wirklich schon alle, es sei denn ich zähle ab sofort Subarus Kleinen dazu, dann wären es schon vier. Mit Michael sogar fünf. Wow, ich glaube ich hatte nicht mal vor dem Mobbing so viele Freunde. Glücklicherweise kommt Hina zurück von den unerforschten tiefen der Damentoilette in denen sie scheinbar tauchen gegangen ist oder wegen der guten Akustik ein Musical einstudierte, denn mal eben kurz, wie sie sagte, hat scheinbar eine völlig andere Bedeutung. „Mum, da ist Hina. Frag sie lieber, wann sie gedenkt endlich zu Heiratet und Kinder kriegen will.“ Ja, meine Mum hat für jeden ein Lieblings Thema mit dem sie uns in den Ohren liegt, welches wir leid sind. Da Hina nun schon so lange mit ihrem Freund zusammen ist, ist es aktuell das Thema Heiraten. Wenn es nach Mum geht so schnell wie möglich, damit ihre Enkelkinder endlich auf den Weg gebracht werden können. Hina hat aber mehr Interesse an ihrer Kariere. Was ich nachvollziehen kann. Schließlich hat sie endlich eine Große Chance bekommen und fängt ab Montag an am Filmset die Stars einer neuen Daily Soap zu stylen. Miyu hingegen wird streng kontrolliert, dass sie sich auch ja von den dummen Jungs fern hält. Wenn Mum könnte, würde sie ihr einen dieser aufblasbaren Sumoringer Kostüme anziehen und sie so zur Schule schicken, damit ihr keiner zu nahe kommen kann. In Miyu werden noch große Erwartungen gelegt, nachdem Hina “nur“ Kostüm- und Maskenbildnerin geworden ist und schulisch bei mir auch keine großen Leistungen zu Stande kommen, hoffen meine Eltern, dass wenigstens sie einen Akademischen weg einschlägt wie Dad. „Ey! Reite mich nicht in die Scheiße, sonst bring ich das hier zurück.“, mault Hina und hält eine große Tüte von Souvenir-Shop hoch. „Hina Schatz, nicht solche Wörter.“, erwidert Mum nur. Ich spüre wie mein Herz gegen meine Brust hämmert, als sie sich neben mich setzt und mir die Tüte überreicht. Oh verdammt, bitte, lass sie mich nicht verarschen. Zögerlich berühre ich die große Papptüte. „Das ist kein Geschenk von mir an ihn, also krieg ich das Geld wieder.“ Hart schlucke ich und wage einen vorsichtigen Blick hinein, während die anderen um mich einen langen Hals machen. Da ist er, dieser wunderschöne olivfarbene Yukata, der göttlich an Shiba aussehen wird. Nur schwer kann ich meinen Blick davon lösen und schaue meine Schwester mit großen feuchten Augen an. „Hina... Ich... Aber...“, stammle ich wirr auf der suche nach den richtigen Worten. Die nächste Reaktion kommt von Mum. „Gott, Hina! Der hat doch ein vermögen gekostet. Wie kannst du dir das leisten?“ Sie schnieft mit der Nase und zuckt lässig mit den Schultern wie ein Profi. „Im Gegensatz zu euch habe ich Modisches Verständnis und weiß, dass dieses Muster von der vorletzten Generation der angesagten Yukata Modestücken ist. Ich hab also mit der Verkäuferin verhandelt und ihr gesagt, dass sie froh sein kann wenn sie für das alte Ding überhaupt noch einen Abnehmer findet, zumal es auch noch der letzte ist. Diese Lagerkosten fallen schließlich auch in die Inventur unter Vermögen an. Also eine unnötige Steuerbelastung.“ Verdammt, wann hat meine Schwester Wirtschaft studiert? Ungläubig hole ich den Kassenbon hervor und verpasse mir damit beinahe eine Maulsperre als ich den neuen Preis sehe. „Du hast die Frau über den Tisch gezogen! Das sind fünfundsiebzig Prozent Nachlass.“ Ich habe nicht heimlich Wirtschaft studiert, ich kann nur rechnen. Sie grinst breit und ich falle ihr um den Hals, weil mir noch immer die Worte fehlen, die meinen Dank zu Ausdruck bringen könnten.   Ende von Teil 16 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)