Pretty Boy von Serato ================================================================================ Kapitel 1: Teil 1- Freunde Widerwillen -------------------------------------- Pretty Boy Teil 1- Freunde Widerwillen Ich bin der König der Idioten! Zu Hause schien mein Plan irgendwie herausragend grandios und jetzt wo es ernst wird mach ich mir fast in die Hose. Ach Quatsch, Rock. Ich habe die alte Schulmädchenuniform meiner großen Schwester an, stehe nun hier vor meinen neuen Klassenkameraden und soll mich vorstellen. Was daran das Problem ist? Ich bin ein Junge. Wie gesagt, zu Hause hielt ich das noch für eine super Idee, sie war nur nicht sonderlich gut durchdacht. Wie ich darauf kam, war jedoch ganz leicht. Bis zur Oberstufe wurde ich nur gehänselt und gemobbt, weil ich aussehe wie ein Mädchen. Klar, ich habe den Körper eines Jungen aber es scheint, die Pubertät ist an mir vorbei geschlendert, ohne bei mir halt zu machen, denn es ist wirklich der Körper eines Jungen und nicht der eines Mannes. Mit zwanzig Jahren habe ich nicht ein einziges Haar dazu bekommen, das vorher nicht da war. Meine Muskeln sind kein bisschen ausgeprägt, alles an mir ist glatt, weich, rund. Ich könnte genauso gut aus einem schlechten Lolita Film entsprungen sein. Ich komme voll und ganz nach meiner Mutter. Sogar meine Schwestern haben mehr von meinem Vater abbekommen als ich. Das einzige was ich von ihm habe, ist volles Haar. Sehr praktisch. Nicht für mich, aber für meine große Schwester. Sie lernt Kostüm- und Maskenbildnerin und liebt es, sich an mir auszutoben. Daher sind meine Haare auch viel zu lang, wenn auch nur Schulterlang. Nur zu allem Überfluss, hat sie sich gestern Abend noch mit ihrem neuen Lockenstab an mir ausgetobt und nun sehe ich aus wie Goldlöckchen in Matrosenuniform. Ich bin begeistert. Für die, die nicht zwischen den Zeilen lesen können: das war Sarkasmus. Ich wollte lediglich den Hänseleien endlich entkommen und habe heute Morgen unbedacht die Uniform geschnappt, die mir sogar zu groß ist. Aber wie schlimm wird es erst, wenn raus kommt, dass ich überhaupt kein Mädchen bin? Sichtlich nervös klammer ich mich also an meine Schultasche und wünsche mich gerade in das nächste Loch, oder dass irgendjemand die Gütigkeit verspürt, mir eine Bratpfanne über zu ziehen. Na ja, jedenfalls so etwas ähnliches geschieht, es hat nur nicht den gewünschten Effekt. Gerade als ich mich Vorstellen will, platzt ein Junge in den Raum. Er ist ziemlich außer Atem und hat ein breites Lächeln im Gesicht. „Tschuldigung! Ich war etwas verhindert.“, gibt er knapp von sich und drängt sich schnell an den Tischen vorbei, um an seinen Platz zu gelangen. Von über all scheint es plötzlich kleine rosa Herzchen auf ihn zu schießen. Ich bin nicht stolz darauf, aber ich habe ein empfindliches Gespür für weibliche Empfindungen. Wenn man Jahre allein mir Mutter, einer zwei Jahre älteren und einer zehn Jahre jüngeren Schwester verbringt, sensibilisiert das, ohne dass man sich dagegen wehren könnte. Wenn es also einen Frauenversteher gibt dann bin ich das. Den Orden für dieses Talent brauch ich aber beim besten Willen nicht, mein Geschlecht hat schon genug Gründe bekommen mich zu verhauen. Dementsprechend sagen mir die vielen Herzchen, dass der Typ ziemlich beliebt sein muss. Bevor ich dazu komme, ihn genauer zu mustern, erinnert mich der Lehrer mit einem lauten Räuspern, dass ich mich noch vorzustellen habe. Ich verstelle meine Stimme etwas, damit es nicht zu sehr auffällt. „Ich bin Misaki Watanabe. Zwanzig Jahre alt.“ Ein überraschtes raunen flutet sofort den Raum und unterbricht mich. Ich kann mir schon denken woran es liegt. Ich bin viel zu alt für das erste Oberschuljahr und bevor ich jedem einzelnen eine Erklärung liefern muss, das gesamt Paket für alle. „Ich hatte die Oberschule abgebrochen und ein Jahr in Kalifornien verbracht. Mein Vater arbeitet dort und ich hab ihm Gesellschaft geleistet. Nun bin ich zurück und setze die Schule fort.“ Es hat lange gedauert meine Eltern zu überzeugen, dass ich eine Auszeit brauche, sie haben es nicht verstanden wie sehr mich die Hänseleien meiner Mitschüler belasten. Ich fing an die Schule zu meiden und trieb mich viel auf der Straße rum. Obwohl ich nicht zur Schule ging, wurde ich versetzt, da man in unserem japanischen Schulsystem nicht sitzenbleiben kann. Meine Noten waren dementsprechend katastrophal, erst da lenkten sie endlich ein. Ein Jahr Auszeit von meinen Mitschülern. Ein Jahr ohne Beleidigungen, ohne angegrabscht zu werden und ohne Schläge weil ich als “Schwuchtel“ bloßgestellt werde. Doch als es soweit war, wieder zur Schule zu gehen, packte mich erneut die Panik vor dem Mobbing. Scheinbar hatte mein Gehirn einen Kurzschluss, anders kann ich mir die Aktion nicht erklären, dass ich als Mädchen verkleidet hier stehe. Dass ich damit bis jetzt durchkomme, wundert mich nur noch mehr. Im Klassenbuch muss doch stehen, dass ich ein Junge bin. Der Lehrer ist wahrscheinlich gerade selbst ziemlich irritiert. Bevor ich noch mehr erklären muss, setze ich mich schnell auf den letzten freien Platz. Es sind Einpersonentische, so muss man nicht um Ellbogenfreiheit kämpfen. Ich habe einen Platz am Fenster was jetzt im Hochsommer nicht sehr prickelnd ist. Der Typ, dem die Herzchen immer noch zufliegen, sitzt am Nachbartisch. Ich würde ihn eher mit Gelächter überschütten. Seine Frisur sieht lustig aus. Der Hinterkopf ähnelt dem Rücken eines Igels in Schwarz mit lila Strähnen, während der Pony fein auf die Stirn fällt, aber ich muss gestehen, er hat ein hübsches, fein definiertes Gesicht. Schmale Mandelaugen, aus denen zwei bernsteinfarbene Augen herausstrahlen. Eine grade Nase, ein spitzes Kinn, er sieht aus, als wäre er vom Cover einer Teenzeitschrift entsprungen. Wahrscheinlich kommt er bei den jungen Mädchen deshalb so gut an. Vorsichtig lasse ich meinen Blick über ihn wandern. Er ist dünn mit breiten Schultern, aber durch seine hochgekrempelten Ärmel der Schuluniform bekomme ich einen Vorgeschmack auf den scheinbar muskulösen Körper, jedenfalls die Arme sind schon recht ausgeprägt. Vielleicht macht er aber auch nur Sport, wo die Arme besonders benötigt werden. Handball vielleicht. Mein Blick wandert wieder zu seinem Gesicht und ich erschrecke mich fürchterlich, als ich sehe, dass er mich breit angrinst. Er hat bemerkt, dass ich ihn mustere. Wie peinlich! Schnell wende ich mich in Richtung Tafel. Ich bin so angespannt, ich könnte Walnüsse mit dem Arsch knacken. Es tut schon fast weh. Der Unterricht ist genauso unangenehm. Ich weiß fast gar nichts mehr. Ich komme mir so dumm vor. Noch schlimmer ist nur, dass der Typ immer wieder zu mir rüber grinst. Gerade in den Mädchensachen will ich so wenig wie möglich auffallen und jetzt macht der Teenieschwarm hier ein Grinse-Kontest, als warte er darauf, dass einer ihn Fotografiert. Habe ich vielleicht was im Gesicht? Schnell taste ich es unauffällig ab, um mich zu vergewissern, doch ich finde nichts auffälliges. Vielleicht findet er meine Frisur ja nur genauso zum lachen, wie ich seine. ~~~ Ich habe mich nicht ein bisschen konzentrieren können. Immer wieder musste ich mich vergewissern, ob dieser verdammt hübsche Junge mich noch frech angrinst. Ahnt er etwas? Sehe ich doch gar nicht so sehr nach einem Mädchen aus, wie mir immer eingeredet wurde? Ein tiefer Seufzer kommt über meine Lippen. Erschöpft lege ich meinen Kopf in den Nacken und betrachte die vorbei ziehenden Wolken. Ich sitze hier auf dem Flachdach des Schulgebäudes, das eigentlich ein Notausgang ist und genieße die Ruhe, die hier herrscht. Wahrscheinlich ist auch nur keiner hier, weil es so furchtbar heiß ist und die Klimaanlage drinnen wirklich die bessere Zuflucht gewährt. Kaum klingelte die Schulglocke, kamen die neugierigen Mädchen zu mir und wollten mehr über mich wissen. Ich habe kaum ein Wort verstanden, weil sie alle durcheinander gesprochen haben. Das war mir zu viel Tumult. Kurzerhand entschuldigte ich mich und ging mit der Ausrede, ich müsse auf Toilette. Wenn ich darüber nachdenke, wenn ich wirklich muss, muss ich wohl oder übel wirklich auf die Mädchen Toilette. Wenn die so aussehen wie bei Jungs, werde ich definitiv in die Kabinen gehen. Aus dem Frauenhaushalt, aus dem ich komme, wurde mir sowieso von Anfang an eingeredet, im sitzen zu pinkeln, daran soll es also nicht scheitern. Mein Magenknurren erinnert mich daran, was ich eigentlich vor hatte nachzuholen, weil ich es zu Hause nicht geschafft hatte zu Frühstücken. Ich kuschel mich lieber in mein warmes Bett und genieße die Zeit dort, als in der kalten harten Welt, die ihre Fühler nach mir streckt. Kurzerhand packe ich meine mit viel Liebe zubereitete Lunchbox aus. Mit viel Liebe daher, weil meine Mutter einfach alles verniedlicht, die Würstchen sehen aus wie glückliche Oktopusse, die Äpfel wie kleine Häschen, oder auch Reisbällchen mit Gesichtern aus Algenblättern. Furchtbar kitschig, aber das Auge isst mit und so esse ich es wirklich lieber. Hab mich wohl schon zu sehr daran gewöhnt. Ich mach es mir bequem und will gerade den ersten Happen nehmen, als plötzlich die Tür aufspringt und ein junger Mann in die Sonne tritt. Seine dunkelbraunen Haare schimmern rötlich im Sonnenlicht. Sie hängen ihm tief ins Gesicht, so dass ich seine Augen gar nicht sehen kann. Erst als er vor mir zum Stehen kommt und mich überrascht ansieht, kann ich sie deutlich erkennen. Scharfgeschnittene Augen, wie die einer wilden Katze, die hinter seinen Haaren bedrohlich hervorstechen. Er ist sehr groß, so dass ich weit nach oben blicken muss. „Der Zutritt ist hier verboten!“, belehrt er mich mit dunkler Stimme. Wundernd betrachte ich ihn. „Du bist doch auch hier. Krokette?“, biete ich an und halte ihm meine Lunchbox hoch als Zeichen des Friedens. Ich hab nun mal ausgerechnet heute meine Friedenspfeife vergessen, aber mit Essen haben die Menschen sich doch schon seit Jahrtausenden versöhnlich gestimmt, warum sollte ich aus diesen Lehren nicht profitieren können? Sein Blick fixiert aber etwas anderes als mein Essen. Es dauert eine geschätzte Ewigkeit, bevor mir klar wird, was es ist, das er so ausgiebig mustert und wovon er seine Augen nicht abwenden kann. Ich Idiot habe nicht aufgepasst und sitze mit diesem furchtbar kurzen Rock breitbeinig vor ihm. Mit hoch rotem Kopf presse ich blitzschnell die Beine zusammen und ziehe den Rock soweit es geht rüber, während die andere Hand immer noch das Essen hoch hält. „Willst du oder nicht?“, quietsche ich nervös. Ihm wird kaum entgangen sein das ich Shorts trage. Den Teufel werd ich tun und Mädchenunterwäsche anziehen. Ist es etwa schon am ersten Tag aus mit meiner Scharade? Wird mich ab Morgen wieder der Hohn und Spott meiner Mitschüler treffen? Ich spüre, wie meine Hand bei diesem Gedanken zu zittern beginnt. Das habe ich davon, wenn ich so unachtsam bin. „Darf ich auch so ein cooles Oktopuswürschen?“, höre ich seine tiefe Stimme und ich schaue wieder etwas irritiert zu ihm hoch. „Ähm… Klar… Bedien dich“, stottere ich. Er nimmt sich eins und setzt sich neben mich. „Watanabe heißt du doch oder?“, fragt er. Ich bin immer noch sichtlich unruhig und klammer mich an meine Box. „Ja“, antworte ich heiser. „Ich sitze schräg hinter dir. Takeo Shiba heiße ich.“ Er wirft einen gierigen Blick auf meinen rettenden Halt. „Darf ich noch so ein Spieß? Das sieht toll aus.“ „Ja klar.“ Willig reiche ich es ihm. „Seit wann nimmst du denn was von Mädchen an?“, ertönt eine charmante Stimme. Ausgerechnet das Tennie Model gesellt sich zu uns und setzt seinen Grinse-Kontest fort. „Ihr scheint euch ja gut zu verstehen.“ „Wenn du immer so lange brauchst um hier her zu kommen, muss ich mir eben neue Freunde suchen, die die Zeit mit mir vertrödeln“, erwidert Shiba. Der andere lacht. „Aber ein Mädchen? Du hast es doch sonst nicht so mit ihnen.“ Er kniet sich vor mich hin und nimmt meine Hand. „Ich bin Ren Haruno. Willkommen an der Schule.“ Sanft positioniert er seine Lippen auf meinem Handrücken, küsst ihn, als wäre ich eine Prinzessin und schmunzelt in mein verdutztes Gesicht. „Wunder dich nicht, er ist zu jeder so“, erklingt es neben mir. „Ich wunder mich ehrlich gesagt nur über diese Dreistigkeit“, kontere ich nüchtern. „Na da hast du ja eine gefunden, die genauso Charmant ist wie du“, lacht das Teenie Model. War das jetzt eine Beleidigung? Fühlt sich jedenfalls danach an. „Dann wirst du sie ja genauso schätzen wie mich“, erwidert er. Sie! Er hat sie gesagt! Er scheint doch nichts bemerkt zu haben. Da fällt mir wirklich ein Stein vom Herzen. Wenn ich nicht in Gesellschaft wäre, würde ich jetzt vor Freude peinlich tanzen, aber dem ist ja zum Glück nicht so und ich erspare mir das Schämen über mich selbst. „Du bist doch sicher gut in Englisch oder Misaki-chan?“, fragt mich der Igelkopf. Entsetzt starre ich ihn an. „Nenn mich nicht so! Wir sind keine Freunde!“ „Jetzt schon. Takeo-kun scheint dich zu mögen, also Willkommen im Club. Gib uns Englisch Nachhilfe“, sagt er voller Überzeugung. Ich staune nicht schlecht über sein riesiges Ego, das scheinbar keine Grenzen kennt. Aber jemand der so viel Aufmerksamkeit bekommt, entwickelt so was wohl von alleine, nur das seins schon ungesund aufdringlich ist. Und was soll das bitte für ein Club sein? Club der Freaks? Club der Dachhocker? So einem Club will ich nicht angehören. „Ich helfe dir auch in den jetzigen Unterrichtsstoff rein zukommen“, bietet Shiba an. Irgendwie hab ich den Eindruck als hätte ich gar keine andere Wahl. Wenn ich jetzt wirklich mit den beiden befreundet sein soll, dann war es das mit unauffällig. Gut, ich bin vielleicht der Junge in Weiberklamotten, aber wer ist hier bitte verrückter? Ende von Teil 1 Kapitel 2: Teil 2- Leben in Zuckerwatte --------------------------------------- Pretty Boy Teil 2- Leben in Zuckerwatte Ren Haruno, Anwärter auf Japans next Topmodel und Takeo Shiba, komischer Kauz mit seltsamen Geschmack, meinen ihr Angebot tatsächlich ernst. Nach der Schule sind sie mit zu mir nach Hause gegangen und ich konnte sie nicht davon überzeugen, es zu lassen. Ich hätte lieber in der Schule mit ihnen gelernt, das wäre nicht weiter wild gewesen, aber meine Mutter erwartet mich und so bleibt mir nichts anderes übrig als das hartnäckige Pack mit zu nehmen. Ist das jetzt Glück, dass ich am ersten Tag “Freunde“ gefunden habe, oder ist das ein Hinterhalt und sobald sie etwas peinliches über mich erfahren haben, treten sie es in der Schule breit und das Mobbing geht von vorne los? Wenn dem so ist, haben sie jetzt genug Gesprächsstoff, nachdem sie nun bei mir zu Hause sind. Es fängt schon an, als wir vor meinem Haus stehen und sie es sichtlich überrascht mustern, denn das Haus hat einen leuchtend pinken Anstrich und fast jeder Quadratmeter des Gartens ist mit Blumen bedeckt. Wenn mein Vater in seiner Urlaubszeit herkommt, würde er sicher auch am liebsten weiterlaufen und uns nur außerhalb der pinken Reichweite treffen. Da er aber hier nicht wohnt, tobt meine Mutter sich aus, um alles, wirklich alles zu vermädchenhaften, auch mein Zimmer. Besonders stolz ist sie auf diese furchtbar kitschige Tagesdecke mit Rüschen. Die Platzdeckchen hat sie selber gehäkelt und die Gardinen sind voll von kleinen Häschen. Mein Zimmer ist allerdings noch harmlos im Vergleich zum Rest des Hauses. Meine Mutter war so großzügig, die Farben Rosa und Pink aus meinem Zimmer zu verbannen. Meiner Scharade kommt es jedenfalls zugute. Wir sitzen alle drei an einem Couchtisch vor meinem Bett und lassen uns von meiner Mutter bewirten. Sie platzt fast vor Freude, weil ich gleich am ersten Tag “Freunde“ mit nach Hause bringe. Das passiert das erste Mal. Sie ist lediglich etwas verwirrt, was meinen Aufzug angeht. Sie fährt die harten Geschütze auf und bringt uns selbst gemachten Eistee und Kuchen auf hübsch verzierten Tellern. Das ist das gute Geschirr, dass sie sonst nur zu besonderen Anlässen rausholt. Ich weiß ja nicht, mit wem sie die beiden verwechselt, aber ein Besuch der Queen ist das nicht, aber dann würde sie sicher das Hochzeitsgeschirr rausholen und Pastete servieren. Ausgiebig sehen sich die beiden in meinem Zimmer um. Die Möbel hat ein Freund meines Vaters selber gebaut, ich hätte mich auch mit Ikea Möbeln zufrieden gegeben. Die meisten Möbel sind so alt, wie ich, weil die kostbaren Stücke schon vor meiner Geburt für mich gefertigt wurden. Sogar der Wickeltisch steht noch da, lediglich der Fernseher steht drauf, fällt dann vielleicht nicht so auf, wenn man es nicht weiß. Trotzdem peinlich. Shibas Blick bleibt an einem Poster von einer Mangaserie hängen, während Haruna ein Foto meiner Familie gefunden hat und den kitschigen Rahmen in die Hand nimmt, auf dem kleine Häschen sich umarmen. „Das ist deine ganze Familie? Wer ist das alles?“, fragt er angetan. Ich beuge mich dicht zu ihm und zeige mit dem Finger drauf. „Meine Mutter hast du ja schon gesehen, die mit den Zopf ist meine kleine Schwester, sie ist jetzt zehn Jahre alt. Das ist meine große Schwester, sie ist 22.“ „Steht sie auf Jüngere?“, unterbricht er mich und grinst breit. „Sie hat einen Freund, unterstehe dich ihr krumm zu kommen!“, mahne ich ihn. Ich bin immer noch ihr Bruder und fühle mich verpflichtet, sie zu beschützen, auch wenn sie stärker als ich ist und ich weiblicher aussehe. „Das bin ich und das ist mein Vater“, erkläre ich. „Was macht er eigentlich in Amerika?“, wundert er sich. „Er arbeitet in Kalifornien als Geologe und sucht nach einer Möglichkeit der Erdbebenfrüherkennung.“, sage ich stolz. „Und warum nicht in Japan? Wir haben auch Erdbeben.“, wundert er sich immer noch. „Die Amis zahlen mehr.“, erwidere ich knapp. „So und jetzt Schluss, aus, Ende! Lernen! Dafür seid ihr schließlich hier“, bestimme ich. Shiba hält sein Wort und hat mir die ersten Dinge erklärt, die im Unterricht durchgenommen werden. So langsam kommt mein verlorenes Wissen wieder. Das erste Jahr der Oberschule war ich ja noch größtenteils anwesend und der Stoff hat sich nicht geändert. Aber Englisch lernen mit den Zweien ist der Horror. Entweder stellen sie sich absichtlich doof an oder sie haben ein fehlendes Gen, was verhindert, dass sie Fremdsprachen lernen können. Ich knie neben Shiba und versuche ihm anhand einer Grafik die Zeitformen zu erklären, als ich bemerke, was für ein breites Kreuz er hat. Er sinkt immer so in sich hinein, dass es mir vorher überhaupt nicht auffiel. „Sag mal, kannst du überhaupt etwas sehen hinter deinem Zottelpony?“, frage ich ihn. „Es genügt“, murmelt er. „Er versteckt sich dahinter, weil ihm die Mädchen sonst wieder kreischend nachrennen würden“, lacht der Igelkopf euphorisch. „Papperlapapp! Wenn du nichts siehst, kannst du auch nicht vernünftig lernen!“, mahne ich bestimmend und schnappe mir eine der Haarklammern, die meine Schwester immer bei mir liegen lässt, nachdem sie sich an mir ausgetobt hat und klemme ihm kurzerhand seinen langen Pony zurück. „So, viel besser!“, lächle ich ihn breit an. Er sieht plötzlich wirklich ganz anders aus, auch wenn er gerade verlegen auf sein Heft starrt, aber jetzt stechen seine panthergleichen Augen deutlich unter seinen geschwungenen Augenbrauen hervor. Ein schönes ovales Gesicht mit einem kantigen Kiefer. Schmale blassrosa Lippen, über die er kurz mit der Zunge fährt um sie zu befeuchten, was sie für einen kurzen Moment schimmern lässt. Sein Nasenrücken hat einen kleinen Huckel, der kaum auffällt. Er wirkt insgesamt älter als das Teenie Model, aber ich muss zugeben, dass beide sehr hübsch sind. Sie sehen wirklich aus wie Männer, hübsch aber männlich. Warum kann ich nicht auch so aussehen? Warum bin ich nicht nach meinem Vater gekommen? Das wurmt mich sehr. Ich spüre, wie sich etwas um meine Hüfte legt. Harunos Arm hat sich selbstständig gemacht und es macht auch nicht den Eindruck als ob er so schnell loslassen würde. „Du musst mir Aufgabe sechs noch mal erklären“, meint er. Strafend mustere ich ihn und kneife in seine Hand, die so frech auf meiner Hüfte ruht. Ein leises lachen dringt vom Anderen an mein Ohr. Es ist mittlerweile ziemlich spät und wir machen gerade Schluss mit Lernen, als meine große Schwester in mein Zimmer kommt. „Oh, du hast ja Besuch“, sagt sie überrascht. Sogleich starrt sie mich irritiert an, denn ich stecke immer noch in ihrer Uniform. „Kann ich mal mit dir sprechen?“, kommt es gedehnt von ihr. Langsam folge ich ihr in ihr Zimmer. Ich komme mir vor als würde ich zum Kriegsgericht geführt werden. Knarrend fällt die Tür hinter mir ins Schloss, ihre Hand ruht noch auf der Türklinke, als sie sich mir mit ernstem Blick zuwendet. Nervös halte ich mich am Saum des Rockes fest und starre auf den Boden. Ich dachte, das Gespräch mit meiner Mutter würde mir schwerer fallen, als das mit ihr. „Also...“, beginnt sie. „Was für einen perversen Scheiß macht ihr da?“ „Was?“, keuche ich schockiert. „Du hast da zwei Kerle in deinem Zimmer und du hast meine Uniform an. Zwingen die dich dazu? Muss ich die Polizei rufen?“, sagt sie vollen Ernstes. „Nein, das ist meine eigene Schuld. Ich bin heute früh schon so zur Schule gegangen, frag nicht warum, ich kann es mir selber nicht wirklich erklären“, nuschle ich. „Und die da nebenan halten dich jetzt ernsthaft für ein Mädchen?“, wundert sie sich. „Alle halten mich für ein Mädchen, das was doch eh schon immer mein Problem. Bitte verrate mich nicht“, flehe ich. Sie seufzt tief und nimmt mich dann in den Arm. „Ach, du Dummerle.“ Sanft streichelt sie mir übers Haar. „Pass bloß auf dich auf. Mach nicht noch mehr Dummheiten.“ Sie hält kurz inne und sieht zu mir runter. „Bist du wirklich mit den Locken zur Schule? Oh je, ich mach dir für Morgen ein ganz süßes Styling“, freut sie sich. Wie schön, dass sie wieder was positives daran finden kann. Jetzt hat sie erst recht einen Grund ihrem Handwerk an mir nachzugehen. Es klopft laut an der Tür und Harunos Stimme erklingt. „Misaki-chan wir müssen los.“ Ich eile zu ihnen. „Alles ok?“, fragt Shiba. Ich nicke verhalten und bringe sie zur Tür. Schweigend sehe ich ihnen zu, wie sie ihre Schuhe anziehen. Es sind nur drei Jahre, dann ist die Oberschule beendet. Drei Jahre werde ich als Frau durchhalten müssen, oder schon wieder die Schule wechseln. Als Notlösung gäbe es noch die Arbeitswelt, auch wenn ich ohne Oberschulabschluss nicht viel machen kann, aber nie wieder will ich mich dem aussetzten, was hinter mir liegt! Eine Hand legt sich auf meine Schulter und reißt mich aus meinen Gedanken. Zwei wilde Augen schauen in meine, Besorgtheit liegt in ihnen als er fragt: „Ist wirklich alles in Ordnung? Haben wir dir ärger gemacht?“ „Alles bestens. Sie war nur etwas besorgt“, gestehe ich leise. Nickend nimmt er die Hand von mir. Der Igelkopf drängt sich gekonnt zwischen uns. „Ok, dann bis morgen, Süße. Gute Nacht“, sagt er, drückt mir einen Kuss auf die Wange und ergreift schnell die Flucht, bevor ich ihm hätte an die Gurgel springen können. Shiba verbeugt sich nur kurz und folgt seinem Freund dann. Fassungslos sehe ich ihnen nach. Was für zwei komische Typen. Ein Unterschied wie Feuer und Eis, aber passen zusammen wie Blitz und Donner. Beim Abendbrot musste ich meiner Mutter dann auch noch erklären, was eigentlich los ist. So wie meine Mutter ist, nickt sie nur verständnisvoll und lässt mich machen. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen sie zu haben. Während meine Schwester schon fieberhaft überlegte, wie sie mich morgen zur Schule schicken wird. Ich glaube, ich mache lieber einen auf krank. Ende von Teil 2 Kapitel 3: Teil 3- Hackordnung ------------------------------ Pretty Boy Teil 3 - Hackordnung So warm. So weich. So kuschelig. Ich wünschte ich müsste nie aus meinem Bett aufstehen, doch das Leben kennt keine Gnade. Kaum habe ich den nervigen Wecker mit der Wand bekannt gemacht, platzt meine große Schwester herein. „Guten Morgen “Schwesterherz“.“, grinst sie über beide Wangen. „Los aufstehen, duschen und Haare waschen. Die furchtbaren Locken müssen raus. Ich mach dir einen ganz süßen Zopf.“, spricht sie voll Tatendrang. „Tu es mir gleich und geh ins Bett. Schule geht um neun los und es ist erst sechs.“, murmle ich und zieh mir die Decke über den Kopf. Aus den Augen aus den Sinn, nur leider macht sie dabei nicht mit. Ich bin noch nicht mal in meine Schlafposition zurückgekehrt, da zieht sie mir erbarmungslos die Decke weg. Sofort schnappt die Kälte nach mir. Wie ich diesen Moment hasse. „Jetzt aber dalli, sonst mach ich dir Pippi Langstrumpf Zöpfe!“, zetert sie. Ich habe mir im Badezimmer viel Zeit gelassen, um Hina zu ärgern, so heißt meine große Schwester. Sie wohnt noch bei uns, weil ihr Job nicht genug abwirft um alleine zu wohnen und ihren Freund kennt sie nicht lange genug um bei ihm ein ziehen zu wollen. Meine Mutter würde sie aber auch nur ungern gehen lassen. Für sie sind wir immer noch kleine Babys, die alle paar Minuten umsorgt werden müssen. So lange sie mein Essen nicht zu einem Brei mixt stört es mich nicht weiter. Ein schönes Lotterleben erwartet mich in Hotel Mama. So vertilge ich mein leckeres Omelett auf das meine Mutter mit Ketchup “Viel Erfolg“ geschrieben hat, während meine Schwester ihren Plan meiner Haare entsprechend umsetzt. Sie bewirft mich mit irgendwelchen Fachbegriffen. Warum auch immer sie das tut, denn ich versteh kein Wort, aber ich lass sie sich austoben. Wieder steht mir ein Tag bevor an dem ich in Mädchenkleidern zur Schule muss. Ich Idiot. Und es folgen auch noch viele viele viele weitere Tage. Drei Jahre können verdammt lang werden. Nostalgisch denke ich an die Zeit zurück, als ich in Kalifornien bei meinem Vater war. Dort war ich den ganzen Tag nur am Strand und habe mir von ein paar einheimischen jungen Männern das Surfen beibringen lassen. Die sahen verdammt gut aus. Echte Sunny Boys. Meine Haut nahm auch schon einen goldenen Ton an in der Zeit dort, aber an sie kam ich lange nicht ran. Einer hatte es mir besonders angetan; Michael. Ein Gott unter den Wellenreitern. Dank Internet haben wir immer noch Kontakt miteinander. Immer wieder versichere ich ihm, ich werde wieder kommen und immer wieder freut er sich auf ein mögliches wiedersehen. Das ist der Zucker, der mich daran hindert ihn zu vergessen, denn möglich ist es das ich zurück kann so lange mein Vater dort arbeitet. Aber das würden meine Eltern wohl nur zu lassen, wenn ich einen Notendurchschnitt von 1,0 habe, da der Flug ziemlich teuer ist. Also lernen, lernen, lernen. Da kommt mir die Hilfe von Haruno und Shiba ganz recht. Ihnen scheinen die Ohren zu klingeln, denn meine Mutter bringt die beiden aufdringlichen Typen in die Küche. „Was wollt ihr denn hier?“, keuche ich debil mit vollem Mund. Haruno, der Igelkopf, grinst wie immer über beide Wangen. „Wir holen dich ab. Euer Haus liegt fast auf unseren Schulweg.“ „Er lügt. Das ist ein Umweg von 15 Minuten. Er wollte nur schauen ob er Frühstück abgreifen kann.“, flüstert mir Shiba zu. Doch er hat Erfolg. Der Gluckeninstinkt meiner Mutter schlägt an und stellt den beiden ungefragt einen Teller hin. Auch sie haben einen Ketchup Spruch wie ich. „Greift zu Jungs. Junge Männer müssen viel essen, um groß und stark zu werden.“, gluckst sie freudig. „Danke Watanabe-san.“, sagen sie fast im Chor und bedienen sich. Vorgestern war die Welt noch in Ordnung und jetzt habe ich die beiden aufdringlichen Schmarotzer am Hals. Ich verstehe immer noch nicht wieso gerade ich. Wäre ich als Junge in die Schule gekommen, hätten sie mich doch links liegen lassen. Der Gedanke versetzt mir einen kleinen Stich. Aber wahrscheinlich wollen sie wirklich nur die Englisch Nachhilfe. Nur das lernen sie zehn mal schneller in einer Nachhilfeschule als bei mir. Ich komm gegen ihr resistentes Fremdsprachengen nicht an. „Schatzi, ihr müsst los, sonst kommt ihr noch zu spät. Und komm pünktlich nach Hause, du musst auf Miyu-chan aufpassen.“, belehrt sie mich. „Ja Mama.“, antworte ich gedehnt. Miyu ist meine kleine Schwester. Verwöhntes kleines Biest. Da sie die jüngste ist wird sie gerade zu mit Liebe überschüttet von meiner Mutter. Und wenn sie streit anfängt waren immer wir es. Ich liebe meine Familie, jeden von ihnen, aber es ist kaum zu glauben wie hinterlistig sie in Wirklichkeit ist. Für ihre zehn Jahre sehr beeindruckend. Einmal hat sie sich nachts in mein Zimmer geschlichen und mir mit Edding einen Vollbart aufgemalt, damit ich endlich wie ein Mann aussehe. Es hat drei Tage gedauert bis ich es wieder abgewaschen hatte. Meine innere Alarmleuchte blinkt drohend rot. Etwas stimmt hier nicht. Kaum in der Schule angekommen werde ich von überall finster angestarrt. Sie tuscheln. Über mich? Wissen sie es schon? Mein Puls steigt fühlbar. Fast alle Mädchen an denen wir vorbei kommen funkeln mich giftig an. Mir schnürt sich die Kehle zu. Ich weiß gar nicht was hier los ist. Gedanken kommen in mir hoch, die ich für immer tief in mir begraben wollte. Habe ich mit meiner Scharade wirklich nur einen Tag durchhalten können? Ich sehe mich schon in den nächsten Flieger zurück nach Kalifornien sitzen, als eins der Gift versprühenden Mädchen ihre Arme um Harunos Arm schlingt. „Hey Haruno-kun.“, grüßt sie das angehende Teenie Model. Mit abschätzenden Blicken fährt sie ihre Augen an mir auf und ab, als wäre ich etwas das sie nicht mal mit der Zange anfassen würde. „Wer ist die da?“, fragt sie überbetont. „Meine liebe, kein Grund zur Eifersucht. In meinem Herzen ist genügend Platz für euch alle.“ In vollendeter Perfektion greift er nach ihrer Hand, beugt sich zu ihr herunter und küsst ihren Handrücken, wie ein wahrer Prinz. Wären wir in einem Manga wäre hier jetzt alles voll von Rosen und das giftige Biest hätte Herzchen in den Augen. Ein leichter Würgereiz überkommt mich. Ein stupsen von der Seite lässt das kitschige Bild in meinem Kopf verschwinden. Shibas Mund formt ein breites grinsen. „Ich sagte doch, dass macht er bei jeder.“ Haruno beendet seine perfektionierte Choreografie in dem er ihr zuzwinkert und sie auf später vertröstet. Etwas sagt mir das es kein später geben wird. Geschweige, dass er überhaupt weiß wer sie war. Aber das ich sie unweigerlich kennen lerne werde, kann ich mir gut vorstellen, denn die finsteren Blicke verfolgen mich bis in den Klassenraum. Wo vorher Herzchen flogen die den Igelkopf bald hätten steinigen können, haben die Augen der Mädchen diesmal nur noch mich als Ziel. Und nein, ich bekomme keine Herzchen. Ich hätte mich nicht auf den Nachhilfekram einlassen sollen, dass hab ich jetzt davon. Aber wenn ich aufkläre das ich gar nichts von ihm will, habe ich vielleicht wieder meine Ruhe. Meine Gedanken verwirren sich immer mehr, so das ich vom Unterricht gar nichts mitbekomme. Dabei sollte ich wirklich mal zusehen, dass ich den ganzen versäumten Stoff aufhole. Sonst habe ich wirklich keine andere Wahl als einen schlecht bezahlten Job annehmen zu müssen. Auf dem Bau werden immer Kräfte gesucht, nur kann ich mir schlecht vorstellen das ich halbes Hemd Ziegelsteine stapeln soll oder Zementsäcke schulter. Lieber wäre mir ein Bürojob in dem ich nur einer von vielen bin und nicht auffalle. Aber für so was braucht man einen Abschluss. Also konzentriere dich Misaki! Aufmerksamkeit auf den Lehrer. Alles andere muss bis zum klingeln der Schulglocke warten. Einiges kommt mir wirklich noch bekannt vor. Auch wenn vieles hinter grauen Schleiern verborgen ist, aber je mehr ich höre desto mehr erinnere ich mich. Anfangs ging ich ja noch regelmäßig zur Schule. Fremd ist mir der Lehrstoff also nicht. Dennoch ist es nicht weniger langweilig. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Die Mädchen die mich eben noch angifteten, sind nun selbst vertieft in den Lehrstoff und versuchen x2 aus der Gleichung zu lösen um es auf die f(x) und y Achse eintragen zu können. Kurvendiskussion schimpft sich das. Ich verfluche es innerlich. Wofür brauche ich das, wenn ich nicht gerade einen Job in der Raumfahrt in Sicht habe?! Dann landet mein Blick bei Haruno, der im Duckfacelook sein Bleistift zwischen Oberlippe und Nase balanciert. Dieser Anblick lässt mich laut auf prusten. Vor Schreck über mich selbst schlage ich die Hände über meinen Mund. „Gibt es etwas an dem du uns teilhaben lassen möchtest Watanabe?“, sagt der Lehrer streng und straft mich mit einen finsteren Blick. Ich schüttle nur den Kopf, der eine ungesunde rote Farbe angenommen hat. Ich habe angst wieder lachen zu müssen, wenn ich den Mund auf mache. „Wenn du noch mal den Unterricht störst fliegst du raus.“, fügt er hinzu und richtet sich wieder seiner Beispielgleichung, die er erklären wollte bevor ich ihn störte. Ich wage einen verstohlenen Blick rüber zu dem Teenie Model. Der mich charmant wie eh und je breit angrinst. Verdammt, er weiß das ich wegen ihm lachen musste. Das muss Balsam für sein riesen Ego sein. Als würde er nicht sowieso schon auf einen anderen Stern leben, auf dem er unerreichbar ist für Jedermann und für mich. Der Gedanke lässt mich erneut erröten, aber versetzt mir auch einen kleinen Stich. Schnell richte ich mein Blick wieder auf meine Mitschriften, doch meine Konzentration bleibt weiter an ihm hängen. Er ist sich bestens bewusst, dass er unverschämt gut aussieht und spielt mit den Frauen wie es ihm passt. Er hat doch an jedem Finger mindestens zehn Frauen. Ich verurteile ihn nicht dafür, kann es aber auch nicht gut heißen. Er war wahrscheinlich nie in der Situation einer unerfüllten Liebe und musste den Schmerz ertragen die dieses mit sich bringt. Meine Stimmung verdüstert sich zusehends. Doch bevor ich vollkommen in meiner Melancholie verfalle klingelt die Schulglocke schrill und reißt mich wieder ins hier und jetzt. „Wir sehen uns an unserem Platz Süße.“; zwinkert mir der Igelkopf zu und flüchtet. Irritiert starr ich ihm nach. Ich musste mich jedoch nicht lange fragen warum er so schnell verschwindet. Ein paar der Mädchen springen auf und folgen ihm sogleich. Wahrscheinlich haben sie allesamt leere Versprechungen von ihm bekommen, die sie nun versuchen ein zu fordern. Die Armen merken nicht, dass er mit ihnen spielt. Wieder spüre ich dieses Stich in der Brust. Ein tiefer Seufzer entweicht mir. Mit unserem Platz meint er sicher das Dach. Dort scheinen sie regelmäßig zu sitzen. Als ich mich dort gestern breit gemacht habe, kamen sie auch zusammen. Nach dem Motto mitgehangen mitgefangen, haben sie mich kurzerhand in ihren „Club“ aufgenommen. Ich bin mir noch nicht sicher was ich davon halten soll. Ich wollte nicht auffallen. Mich ruhig verhalten. Unscheinbar bleiben. Und schon am zweiten Tag hasst die Mehrheit der Mädchen mich, weil er mich in seiner nähe akzeptiert. Meine Wangen erröten wieder bei dem Gedanken. Shiba tippt auf meinen Handrücken und er erhält meine volle Aufmerksamkeit. „Dann lass uns mal auf unseren Platz Süße.“, sagt er mit verstellter Stimme, um wie sein Freund zu klingen. Ein breites Grinsen kann er sich dabei nicht verkneifen. Ich kicher wie ein kleines Mädchen. Verdammt! Ich werde wirklich langsam zu dem was ich vorgebe zu sein. Wir brechen auf, aber kommen nicht weit. Auf dem Gang, vor der Tür zum Klassenraum, stehen die drei Mädchen mit denen ich heute früh Bekanntschaft machen musste. Mir stockt der Atem und mein lächeln versteinert. Ich wusste ich sehe sie wieder, hätte aber nicht damit gerechnet das es so schnell passiert. „Hey Watanabe.“, grüßt sie mich. Ihre Lippen lächeln, ihre Augen aber nicht. Woher kennt sie meinen Namen? Haruno hatte ihn doch gar nicht erwähnt. Sie müssen nachgeforscht haben. Ich scheine sie sehr zu beschäftigen. Was gäbe ich jetzt für mein Rüschen beladenes Bett. Ich hätte doch krank machen sollen. Sie wendet sich Shiba zu. „Hey!“, sagt sie gedehnt, offensichtlich kennt sie sein Namen nicht. „Ich möchte mir Watanabe kurz ausleihen.“, sie bezwinkert ihn zuckersüß und schwenkt dabei ihre Schultern hin und her. Wie ein kleines Mädchen, dass ihren Papa zu einer zweiten Kugel Eis überreden will. Er aber schlingt unverfangen seinen Arm um meine Schultern. „Tut mir leid, wir wollen gerade essen gehen. Sie kann nicht.“ Papa hat gesprochen. Ich bin stolz auf ihn. Er merkt, dass mir die Mädchen nicht wohl gesonnen sind. Er hat eine gute Beobachtungsgabe, dass ich mir schon mal aufgefallen. Gestern nach dem Gespräch mit meiner Schwester. Er war sehr um mich besorgt. Ob er meine Reaktionen beobachtet hat als wir auf sie trafen? Nein quatsch. Es ist einfach nur sehr Offensichtlich. Aber ich will das aus der Welt schaffen. Sie und alle anderen sollen wissen, dass ich nichts von dem Igelkopf will. Vielleicht habe ich dann meine Ruhe. „Ist schon gut Shiba. Geh schon mal vor.“ Überrascht sieht er zu mir runter. „Bist du dir sicher?“, überschlägt sich seine Stimme. Ich nicke stumm und folge den Mädchen. Sie führen mich wortlos hinter die Schule, wo die Mülltonnen stehen. Hier ist weit und breit keiner. Kurz überdenke ich meine Moralvorstellungen und frage mich, ob ich zurück schlagen darf wenn sie jetzt auf die Idee kämen mich verprügeln zu wollen. Aber so was machen Mädchen doch nicht... oder? Mein Unterbewusstsein quietscht nervös und steckt mich damit an. Ich verlagere immer wieder mein Gewicht von einem Bein zum anderen. Meine Hände sind schwitzig. Ich wollte es doch so. Ich wollte die Sache klar stellen. Also reiß dich zusammen! „Du heißt doch Watanabe, oder?“, beginnt die Dominantere von ihnen, die sich auch an Haruno ran gemacht hat. Ich nicke. „Du bist erst seit gestern an der Schule?“, fragt sie weiter. Wieder nicke ich. Sie kommt näher an mich heran. „Dann hör mal gut zu! Ren Haruno gehört uns allen und nicht nur einer allein. Hör auf ihn für dich zu beanspruchen. Viele von uns kennen ihn schon seit der Mittelstufe und kamen ihm nicht so nahe wie du jetzt.“ Redet sie da von sich? „Ihr versteht das falsch.“, verteidige ich mich. Meine Knie zittern so wie meine Stimme. „Wir sind nicht mal Freunde oder so was. Er hat mich aufgefordert ihm und seinem Kumpel Nachhilfe in Englisch zu geben. Er will gar nichts von mir.“ „Willst du was von ihm?“, kommt es wie aus der Pistole geschossen zurück. Ich hole Luft, doch zöger kurz. „Nein, natürlich nicht.“ „Sie hat gezögert.“, sagt eine der anderen hinter der Aufdringlichen, die mich nun finster mustert. Sie kommt noch einen Schritt näher. Ich schlucke schwer. Ich bin verzweifelt auf der suche nach meiner Stimme. Wie kann ich das nur richtig stellen damit sie mir glauben. Sie hören nur das was sie hören wollen. Klar, er sieht gut aus, aber aussehen ist nicht alles. Und selbst wenn ich Interesse hätte, ich bin ein Junge und er steht auf Frauen. Wieder ist da dieser Stich in meiner Brust. „EY! Wasn da los?“, ruft eine helle Stimme außerhalb unseres Kreises. Das Mädchen vor mir stöhnt genervt. „Das geht dich nichts an Mishiro.“ Sie muss sich nicht mal umdrehen, um zu wissen wer es ist. Ich jedoch recke neugierig meinen Kopf und sehe eine junge Kriegerin des Kaisers. Nein natürlich nicht. Aber wie sie mit dem Holzschwert dort steht, mit der Sonne im Rücken, lässt sie wahnsinnig Imposant aussehen. Sie trägt eine Kendo Uniform und hält das Schwert lässig auf ihrer Schulter gelehnt. Den Helm unterm Arm geklemmt kommt sie auf uns zu. Ihre langen schwarzen Haare hat sie zu einem Zopf gebunden, der hin und her wippt beim gehen. Trotz des hohen Zopfes reicht ihr das Haar noch bis unter die Schulterblätter. Meine Schwester wäre begeistert sie als Versuchsobjekt zu haben. Die drei weichen zur Seite. Sogar ihnen flößt sie Respekt ein. „Du sollst die Mädels in ruhe lassn. Die können nix dafür, dass er nix von dir will.“, sagt sie streng mit leichtem Dialekt und zieht die perfekt gezupften Augenbrauen zusammen. „Schon gut.“, zischt die nun nicht mehr ganz so dominantere zurück. Sie winkt ihre Clique ab und sie verschwinden. Ich glaube so richtig klarstellen konnte ich es nicht, aber vielleicht habe ich ja trotzdem meine ruhe, dank ihr. Ach ja, ich sollte ihr wirklich danken. Ich lächle gezwungen und setze an, doch sie unterbricht mich bevor ich was sagen kann. „Du hast nicht gerade viel Selbstbewusstsein, nech? Komm mit!“ Sie greift mein Handgelenk und zieht mich hinter ihr her. Widerwillig stolpere ich ihr nach. „Hey! Danke das du mir geholfen hast, aber lass mich bitte los.“ „Nö. Ich werd dir noch mehr helfn.“, sagt sie nur knapp und lässt mich im ungewissen. Wo bin ich da schon wieder rein geraten?! Ende von Teil 3 Kapitel 4: Teil 4- Normalität ----------------------------- Pretty Boy Teil 4 - Normalität Festen Griffes und Schrittes zieht sie mich immer noch hinter sich her. Sie ist stark, wie es sich für eine Kriegerin des Kaisers gehört. Ach, jetzt fange ich schon wieder mit diesem Quatsch an. Nein, natürlich ist sie keine Kriegerin! Ihre Kleidung sagt mir aber, dass es hier an der Schule einen Kendo Club gibt, oder sie ist ganz einfach verrückt. Scheinbar ziehe ich solche Leute seit neusten magisch an. Also wäre diese Variante denkbar. Ich schaffe es einfach nicht mich gegen sie zu wehren. Sie schüchtert mich ein mit ihrem Auftreten. Und was soll das eigentlich heißen, sie will mir noch mehr helfen? „Bitte lass mich los. Haruno und Shiba warten auf mich. Sie machen sich sicher schon sorgen.“ Ich lache mich innerlich aus für diese Bemerkung. Sie merken wahrscheinlich nicht einmal das ich nicht da bin. Der Igelkopf wird noch immer vor den Scharen kreischender Mädchen flüchten. Er ist jetzt schon ein echter Superstar. Auf ihn wartet eine rosige Kariere im Showbusiness. Shiba hingegen sitzt auf dem Dach, mit meiner mehr als üppig gefüllten Bentó Box und ringt mit sich, oder hat sich längst darüber hergemacht und verspeist all die niedlich angerichteten Snacks. Sie kommt zum stehen und mustert mich nachdenklich. „Takeo Shiba?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen nicke ich stumm. Sie kennt ihn? Abwechselnd sieht sie zu mir und in die Richtung in der sie mich zieht. Sie ringt mit sich und kaut auf ihrer Unterlippe. Nach einem Augenblick jedoch schüttelt sie fast unmerklich den Kopf. Sie hat eine Entscheidung gefasst und zieht mich weiter. Wir gehen durch eine schwere metallene Doppeltür. Sie führt in eine große Halle. Das Parkett ist auf Hochglanz poliert. Die Wände haben auf halber Höhe eine Holzvertäfelung. Sprüche wie „Erfolg“, „Stolz“ und „Innere Ruhe“ prangen auf großen Bannern an den Wänden. In einer Ecke der Halle steht eine viel zahl an Ausrüstungsutensilien, so wie eine Mehrzahl des bereits gesehenen Holzschwertes. Sie ist also doch nicht so verrückt wie befürchtet. Ein leises 'wow' kommt mir über die Lippen. In der Halle stehen noch drei weitere Krieger und Kriegerinnen des Kaisers. Verdammte Fantasie! „Was soll ich hier?“, stammle ich verlegen. Die drei bemerken uns und kommen breit lächelnd auf uns zu. „Mishiro-senpai! Wen hast du da mit gebracht?“; fragt das einzige Mädchen der drei. „Sie wird unsrem Club beitretn.“, bestimmt sie. Mir fällt die Kinnlade runter. Bitte was? Wann habe ich das denn entschieden? Überrascht und nach Worten suchend stottre ich vor mich hin, bekomme jedoch keinen klar verständlichen Satz heraus. Mishiro wendet sich mir ruckartig zu. Ich kann ihren Blick nicht deuten, er wirkt ernster als sie möchte denke ich. „Das sind Hidaki,...", sie zeigt auf einen groß gewachsenen Jungen mit weichen Gesichtszügen. Er wirkt wie ein sanfter Riese. „Kitazawa,...“, fährt sie fort und zeigt auf den zweiten Jungen. Ich stutze. Seine Augenbrauen sehen aus wie zwei dicke Nori Blätter. Sie lassen ihn wahnsinnig grimmig aussehen, selbst jetzt wo er lächelt. Ich muss unwillkürlich schwer schlucken. Nun zeigt sie auf das Mädchen. „Und Sakuragi. Sie is mit mir am längstn hier. Wir habn den Club gegründet. Ich bin Haruka Mishiro die Leiterin und Trainerin des Clubs.Wie heißtn du?“, erkundigt sie sich nun mit ihrem leichten Akzent. Ich zwinge mich zu einem schwachen lächeln. „Ich heiße Misaki Watanabe. Ich bin seit gestern an dieser Schule.“ Und habe mich definitiv für die falsche Schule entschieden! Ich wollte so weit weg wie möglich von meiner alten. Da hin wo mich hoffentlich keiner kennt. Kalifornien wäre mir lieber gewesen, aber weil mein Vater nur einen befristeten Arbeitsvertrag hat, darf auch ich nicht länger bleiben. Und auf die schnelle eine willige Amerikanerin zu heiraten, um bleiben zu dürfen, kommt für uns nicht in frage. Für ihn nicht, weil er meine Mutter abgöttisch liebt und für mich, weil... ja, weil ich mit Frauen nichts anfangen kann. Das wäre ihr gegenüber nicht fair. „Schön das du hier bist.“, sagt Sakuragi und reißt mich zurück in diese diffuse Situation. „Wir brauchen dringend neue Mitglieder, sonst müssen wir unseren Club schließen. Noch ein Mitglied und wir können wieder an Turnieren teilnehmen.“, strahlt sie mit engelsgleicher Sanftmut. Ich schmelze dahin. Sie ist wahnsinnig niedlich. Große Augen, kleine runde Nase, Haare wie Seide. Das perfekte Gegenstück zu Haruno. Wenn sie sich zusammen tun wären sie genauso erfolgreich wie Brad Pitt und Angelina Jolie, vor ihrer Trennung. Ich fasse mir unwillkürlich an die Brust. Da ist er wieder. Dieser Stich. Nicht das erste mal, dass ich ihn heute spüre. Wahrscheinlich bin ich einem Herzinfarkt nahe, bei dem was hier im Stundentakt mit mir geschieht. Ich will doch nur in meinen pinken Albtraum zurück und mich in mein Rüschen beladenes Bett kuscheln. Ich wette, ich könnte eine Woche durchschlafen, bei dem was mein Gehirn gerade alles verarbeiten muss. „Ähm... t... tut mir leid, aber... ich werde den Club nicht beitreten.“, schaffe ich es endlich auszusprechen. Ich sehe sofort drei enttäuschte Gesichter, nur bei Kitazawa bin ich mir nicht sicher ob es Enttäuschung ist oder Wut. Seine Augenbrauen verwirren mich. „Doch!“, bestimmt Mishiro und sieht mich ernst an. „Was? Nein, ich...“, setze ich an. „Du hast zu wenig Selbstbewusstsein.“, fällt sie mir ins Wort. „Kampfsport wird dir innere stärke geben. Die Mädchen werden dich nicht in ruhe lassen. Ich kenne sie. Du darfst dich nicht so herumschubsen lassen.“ „Aber du darfst das?“, ich strafe sie mit einem finsteren Blick. Sie stockt. Das erste mal, seit dem ich ihr begegnet bin, löst sie ihre Körperspannung und macht einen leichten Buckel während sie tief seufzt. Sie verharrt so und alle sehen sie erwartungsvoll an. Mishiro sieht zu mir auf von ihrer leicht gebückten Haltung. Ihr Gesicht wirkt weniger streng als eben. Sie hebt eine ihrer perfekt gezupften Augenbrauen und sagt, „Überleg es dir wenigstns. Es kommt uns beidn zu gute. Wir gewinnen ein weiteres Mitglied und du wirst Selbstbewusster. Das könnt dir wirklich nich schaden.“ Ich nicke stumm. Ich sehe in ihren Gesichtern ihre Hoffnung. Sie werden schließen müssen, wenn sie nicht noch zwei Mitglieder finden. Das ist schade, aber den Teufel werde ich tun und mich in der Mädchen Umkleide umziehen! Mit mir sollten sie besser nicht rechnen. Wir verabschieden uns von einander und Mishiro begleitet mich mit raus. Sie sieht in die Ferne und sagt kein Wort. Ihr Rücken ist wieder gerade und gestreckt. Eine stolze Kriegerin steht hier neben mir und möchte, dass ich ihrer Armee beitrete. Aber selbst wenn diese Verkleidung nicht wäre, würde ich mir diesen Sport zutrauen? Ein wenig Selbstbewusstsein wäre nicht schlecht, aber das lässt sich nicht so schnell aufbauen wie zerstören und wenn mich eins die letzten Jahre gelernt habe, dann traue niemandem. Selbst deine angeblichen Freunde können sich gegen dich stellen. Mein Blick wird finster. Es schmerzt an die vergangene Zeit zu denken. Ich will nie wieder so leiden müssen. Ich muss mich selber davor schützen, die selben Fehler erneut zu begehen. „Ich erwart deine Antwort zu Morgn.“, sagt sie ruhig und mustert mich mit einem für mich undefinierbaren Blick. Sieht sie mir meine Gedanken an? „Misaki-chan!“, schreit eine mir vertraute Stimme. Mein Herz macht einen Sprung. Vor Schreck? Ungläubig schaue ich in die Richtung des Rufes und sehe Haruno und Shiba auf mich zu rennen. „Verdammt Liebes! Jag uns nicht so einen Schrecken ein. Takeo hat mir erzählt was los ist. Wir haben dich überall gesucht.“, keucht er völlig außer Atem. Schweißtropfen laufen seine Schläfe herunter. Mir schießt die Hitze in den Kopf und meine Wangen werden leuchtend rot. Ich senke meinen Blick. Das ist mehr Sexappeal als ich vertragen kann! Schwer schluckend deute ich auf meine Retterin neben mir. „Das ist Haruka Mishiro. Sie hat die Mädchen verjagt.“ Haruno wendet sich sofort an sie und legt sein unwiderstehliches lächeln auf. „Danke, dass du unserer Freundin geholfen hast. Misaki-chan ist noch neu hier, wäre toll wenn du auch weiterhin ein Auge auf sie hast.“ Er greift nach ihrer Hand und will seinen Prinzen Kuss vollziehen, doch sie zieht ihm die Hand weg. Mit weit aufstehendem Mund betrachte ich diese Szene ungläubig. Es gibt tatsächlich jemanden der seinen Charme nicht erliegt. Das hätte ich nie für möglich gehalten. Was für eine Willenskraft. „Das werde ich, wenn sie sich dem Kendo Club anschließt.“, während sie das sagt sieht sie nur mich an. Beklommen senke ich meinen Blick. Haruno wirkt wie vor den Kopf gestoßen. Das ist ihm wohl noch nie passiert. Er bemüht sich sichtlich um Fassung und räuspert sich. „Nun, dazu wird sie sicher keine Zeit haben, weil sie viel Lehrstoff auf zu holen hat, aber trotzdem danke.“ „Das ist immer noch ihre Entscheidung und nicht deine.“, erwidert sie kühl. Wieder stutzt er. Wow. Ich bin genauso sprachlos, wie das angehende Teenie Model mit seinem angekratztem Ego. Er bemüht sich seine freundliche Maske bei zu behalten und zum ersten mal bemerke ich, dass ich ihn noch nie nicht lächelnd gesehen habe. Das muss doch anstrengend sein immer zu lächeln. Ich dachte er wäre einfach dauerhaft gut drauf, er hat genug gründe dafür, aber kann es sein, dass das nur Show ist? Ich lege meinen Kopf schief und beobachte ihn. Shiba stupst mir auf die Stirn. „Wenn du zu viel nachdenkst, bekommst du Falten.“, seine Stimme ist sanft und lässt mein Trommelfell vor entzücken vibrieren. „Drei gegen ein erschien mir sehr unfair. Da hab ich Haruno geholt. Ich hoffe das war okay. Ich habe mir sorgen gemacht. Geht es dir wirklich gut?“ Er legt seine Hände auf meine Schultern, beugt sich dicht zu mir herunter und sieht mir in die Augen. Die Wildtier gleichen Augen funkeln mich lauernd an hinter seinem Zottelpony. Ich spüre wie die Härchen in meinem Nacken sich aufstellen. Er hat sich sorgen gemacht? Um mich? Warum? Ein wohliger Schauer durchflutet mich. Er hat sich um mich gesorgt. Um mich. Warum ist egal. Aber das hat schon lange keiner mehr außerhalb meiner Familie getan. Und wenn ich in seine unglaublichen Augen sehe, sehe ich das er es wirklich ernst meint. Seine Augenbrauen sind zusammengezogen und bilden zwischen ihnen selber leichte Fältchen. Den Kopf leicht schief gelegt. Seine Hände noch immer auf meinen Schultern ruhend. „Misaki... du weinst ja...“, keucht er überrascht. „Was?“, wundere ich mich und fasse mir an meine Wangen die tatsächlich ein wenig feucht sind. Wie peinlich! Als Mann in meinem alter noch zu heulen! Noch bevor ich ihm oder mir eine Erklärung bieten kann, drückt er mich fest an sich. Ich schnappe überrascht nach Luft. Ich stehe hier in Shibas Armen. In seinen Armen! Der sonst so schüchterne und zurückhaltende, sich immer sorgen machende Shiba, springt über seinen Schatten und umarmt mich. Dabei ist er doch derjenige der Mädchen immer auf Abstand hält, laut Harunos Dauerkommentarschleife. Eine Hand ruht zwischen meinen Schulterblättern und die andere auf dem Bündchen meines Rocks. Meine Nase reibt an dem dünnen Baumwollstoff zwischen seiner Brust. Ich richte seinen Schweiß. Er riecht so gut. Ich schließe meine Augen für einen Moment und nehme diesen Geruch in mir auf. Es riecht süßlich. Ich vergrabe meine Finger in seinem Hemd. Ich war noch nie einem Mann so nahe. Er ist so warm. Mein ganzer Körper kribbelt wie wahnsinnig und in meinen Lenden zieht es angenehm. Ich sende ein Stoßgebet in den Himmel, dass mein Unterleib sich nicht zu selbstständig macht. Wie sollte ich mich da je raus reden?! Schweren Herzens drücke ich mit meinen Händen gegen seine Brust und er lässt wirklich locker. Sein Blick ist jedoch nicht weniger besorgt. Meine Hände ruhen noch immer auf seiner Brust. Ich schaffe es nicht mich ganz von ihm zu lösen. Mein inneres ich jault auf, 'Wie kannst du ihn nur weg drücken? So was passiert dir nie wieder! Nimm jede Zärtlichkeit von ihm an die du kriegen kannst!' Ich rüge sie dafür. Sage mir wie ein Mantra, 'Du bist ein Junge in Mädchenkleidern. Du wirst sie und dich selbst verletzen wenn du sie zu nah an dich ran lässt!' Ich atme tief durch und ziehe zitterig meine Hände von ihm. „Tut mir leid.“, sage ich schwach. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass ihr euch sorgen macht.“ Ich schaffe es nicht in sein Gesicht zu sehen. Wahrscheinlich würde ich sofort wieder in seine Arme springen, wenn ich noch einen Blick in seine wundervollen Augen werfe. Aber wir sind auch nicht allein. Ich wende mich den anderen beiden zu, die mit offen stehenden Mündern uns anstarren. Ein wenig blass um die Nase und völlig regungslos. Ich werde tief rot. Denn für einen kurzen Moment hatte ich wirklich alles um mich vergessen. Er vielleicht auch, was eine passable, wenn auch keine befriedigende Antwort auf mein immer wieder hallendes 'Warum tust du das?' ist. Allerdings könnte ich mir die Frage selber auch immer wieder stellen. Ich weiß doch wie es letztes mal ausging. Es tut heute noch weh wenn ich daran denke. Was vermutlich mit ein Grund meiner Tränen war. Mir wird bewusst wie ich nervös an meinem Rock zupfe. Wie bringe ich nur wieder Normalität in diese Situation? Obwohl normal hier wohl gar nichts mehr ist. Eine Kriegerin des Kaisers, ein angehendes Teenie Model, ein lauernder Panther und mitten drin das total verkorkste Mädchen mit Zauberstab. Tadaa! Ich könnte mir die Hände vors Gesicht schlagen bei dem Gedanken. Meine kleine Schwester hat recht, manchmal bin ich echt peinlich. „Wir sollten zurück, es klingelt gleich.“ Shiba ist derjenige, der uns in die “Normalität“ zurück führt, mit einem prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. Die sieht ziemlich schwer aus. Wir verabschieden uns von Mishiro. Sie erinnert mich an morgen, wirft Haruno einen vernichtenden Blick zu, aber Shiba... was ist das? Obwohl sie ein Mädchen ist und ich verdammt gut darin bin ihre Gefühle und Stimmungen zu deuten, ist sie für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Es ist nicht das erste mal, dass ich nicht erkenne was in ihr vor geht. Das muss an ihrer stählernden Willenskraft liegen, dass sie sogar Harunos Charme widerstehen kann. Schaffe ich das auch wenn ich ihrem Club beitrete? Zurück im Klassenzimmer kommt auch gleich der Lehrer herein. Nach der obligatorischen Begrüßung geht es mit dem Unterricht los. Englisch. Endlich etwas das ich kann und ich genieße das kleine bisschen mehr Normalität das sich mir bietet. Ein Blick zur Seite lässt mich schmunzeln. Ich sehe förmlich die riesigen Fragezeichen über den Köpfen der beiden. Sie sprechen sich gegen seitig ab, bevor sie mir ihr Ergebnis stolz präsentieren. Wie Kinder die über beide Wangen strahlen, weil sie einen Frosch gefangen haben und nun total verdreckt vor den Eltern stehen. Ich lobe sie, auch wenn das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit nicht ganz richtig ist, aber wer will schon kleinlich werden, wenn die beiden sich so schön freuen. Belustigt beobachte ich sie. Ich merke wie sich mein Gesicht zu einem entspanntem lächeln formt. Ich werde wehmütig, wenn ich die beiden so sehe, aber eine mir unbekannte wärme schlingt sich mit um mein Herz. Muss schön sein, wenn man so eng miteinander befreundet ist. Immer wieder fragen sie mich statt dem Lehrer. Zu recht, denn ich merke, dass sogar ich dem Lehrer noch was beibringen kann. Seine Aussprache ist grässlich. Aber der Gedanke daran, dass ich vor einem Jahr in Kalifornien so mit Michael redete lässt mich erneut schmunzeln. Er hatte bestimmt große Probleme mich zu verstehen. Sehnsüchtig seufze ich auf. Michael... ich muss dringend mal wieder mit ihm Skypen. Nach dem Klingeln höre ich viele stöhnende Stimmen. Sie sind alle froh das Englisch vorbei ist. Haruno rennt an mir vorbei, ohne ein Wortwechsel. Das übliche Spielchen beginnt von vorn. Ist das die neue “Normalität“? Frage ich mich und sehe zu Shiba. Meine Wangen werden warm. Sofort schießt mir wieder seine Umarmung in den Sinn. Er wollte dich nur trösten du Idiot! Mach nicht mehr aus der Sache, als es ist! Zeter ich mit mir. Er kommt auf mich zu und ich zucke unweigerlich zusammen. Verdammt! Mach es doch noch offensichtlicher, dass dir das unangenehm ist! Schimpfe ich weiter mit mir. Aber ist es das wirklich? Oder hofft mein Körper nur auf mehr? Tja Pech! Er hält mich für ein Mädchen und das wird der Schock seines Lebens, wenn er meinen Zauberstab findet. Ein gequältes lächeln liegt in meinem Gesicht. Manchmal hasse ich meine Gedanken. „Alles in Ordnung?“, ich höre seine Besorgtheit heraus. „Mach dir keine sorgen um mich, ich hab nur einen Bärenhunger!“, lächle ich ihn gezwungen an. Ich sehe, dass ihn das nicht überzeugt. Doch wir gehen. Auf unseren Platz, der offengestanden unerträglich heiß ist. Ich ächze unter der Sonne. Das ist die einzige Situation in der ich den Rock in den höchsten tönen lobe. Ich spüre jedes kühle Lüftchen, dass ich mit dem größten vergnügen empfange. Ich setze mich im Schneidersitz und breite das Essen vor mir aus. Meine Mutter hat viel zu viel eingepackt und ich ahne warum. „Bedien dich.“, gestatte ich ihm also, denn ich sehe, dass er nicht mehr als eine Wasserflasche bei sich hat. Er reagiert nicht. „Keine falsche Bescheidenheit! Gestern hättest du mir doch am liebsten auch alles weg gefuttert.“, lächelnd sehe ich zu ihm hoch. Er starrt mich an, mit hoch rotem Kopf. Die Hitze scheint ihm auch nicht zu bekommen. „Ich darf mich... bedienen?“, raunt er heiser und schluckt. Er kniet sich langsam vor mir und dem essen hin. Seine Augen wandern vom essen hoch zu meinen. Ich sehe einen ungezähmten Schleier in ihnen. Der Panther zeigt sein Gesicht und ein angenehmer Schauer durchflutet mich. Es prickelt bis in die Fingerspitzen. Was macht er nur mit mir? Ein Blick und ich gerate völlig aus der Fassung. Haruno reißt freudestrahlend die Tür zum Dach auf und bekommt den Hammer der Hitze ab. Ich sehe ihn förmlich zu Boden sinken und ächzen. „Setz dich anders hin. Das bringt Ren nur auf dumme Gedanken.“, rät mir Shiba sich räuspernd abwendend, als er seinen Freund sieht, der fix und fertig auf uns zu kriecht. Ich schaue an mir runter. Stimmt, ein Schneidersitz ist keine gute Wahl für einen Rock. Alles wichtige ist verdeckt, aber er ist doch recht hoch gerutscht. Es ist eben erst mein zweiter Tag als Frau. Ich setze mich auf meine Knie, die Beine aneinander gedrückt, aber nicht zu fest das wichtige “Dinge“ abgeklemmt werden. Ich muss wohl bei meiner Mutter Unterricht nehmen wie sich ein Mädchen verhält. „Ach Misaki-chan...“, ächzt er weiter. „Meine Rettung!“ Zitterig streckt er die Hand aus und greift sich einen zwinkernden Onigiri mit Pflaumenmus Füllung. Und jemand muss ihm Manieren bei bringen, kicher ich leise. „Das ist aber kein gutes benehmen, dass du hier an den Tag legst. Man fragt schließlich erst bevor man sich bedient.“, spiele ich empört, doch es fällt mir schwer ein grinsen zu verkneifen. Er wird hellhörig und sieht gequält zu mir auf. „Oh liebste Misaki. Verzeih mir mein Fehlverhalten.“, spielt er mit und küsst mehrmals mein Handrücken. „Wie kann ich mein schlechtes benehmen nur je wieder gut machen?!“, sagt er zwischen den küssen. „Schon gut! Schon gut! Es ist dir verziehen.“, lache ich nun. Es tut gut zu lachen. Es ist lange her. Mir wird dabei ganz warm ums Herz. Fühlt sich so Freundschaft an? Ende von Teil 4 Kapitel 5: Teil 5- Farce ------------------------ Pretty Boy Teil 5- Farce Mir raucht der Kopf, vor Hitze und Japanisch in der letzten Stunde. Das hat mir den Rest gegeben. Erschöpft und stöhnend unter der Sonne, die nicht mehr ganz so weit vom Horizont entfernt ist, in Richtung nach Hause. Dicht verfolgt von meinen zwei “Dachhockerclubfreunden“. Sie sagen zwar wir sind Freunde, aber ich würde es doch lieber als Zweckgemeinschaft bezeichnen wollen. Damit fühle ich mich wohler. „Hey Misaki-chan, gib mir mal deine Handynummer.“, sagt Haruno aus heiterem Himmel. Er fragt nicht mal, er fordert es einfach. „Nein.“, antworte ich knapp. Er stutzt. „Was? Warum nicht?“, keucht er überrascht. „Armer Ren.“, schaltet sich nun Shiba ein. „Bei zwei Frauen an einem Tag abgeblitzt. Das zieht deine Bilanz ganz schön in den Keller.“ Shiba und ich müssen lachen. Ich kläre ihn lieber auf, bevor er auch anfängt zu weinen und Shiba sich genötigt fühlt ihn umarmen zu müssen. Bei dem Gedanken schießt mir die röte ins Gesicht. Macht aber auch keinen Unterschied. Von der Hitze haben wir alle einen hochroten Kopf. „Du hast nicht bitte gesagt.“, grinse ich breit mit hochgezogener Augenbraue in seine Richtung. Er erwidert mein grinsen süffisant. „Tut mir leid Misakileinchenschatzi. Darf ich bitte bitte deine Handynummer haben? Bitte mit Zuckerguss und Einhornstreuseln oben drauf.“ Er schmiegt sich an meinen Oberarm während er sich spielerisch einschleimt. „So jetzt reicht es aber!“, der Panther erhebt seine Stimme und fährt seine Krallen aus. Am Nacken gepackt zieht er das Igelchen von mir. Wieder kann ich mir ein lachen nicht verkneifen. Willig überreiche ich ihm aber mein Handy. „Gib deine Nummer ein, ich kenne meine nicht.“ Gierig, als wäre es die Erfüllung seines Lebens, nimmt er es dankend aus meiner Hand. Dabei reibt unsere Haut aufeinander und ich stutze. Er hat schon oft meine Hand genommen, aber erst jetzt bemerke ich, dass sie ziemlich rau sind. Ich hätte gedacht als angehendes Next Top Model wären sie sanft und weich, aber sie sind alles andere als das. Ich sehe ihm zu was er mit meinem Handy anstellt, habe aber nur Augen für seine Finger. An ein paar Fingern sind Schnitte und sogar kleine Blasen, alte und neue. Sie sehen aus, als würde er täglich zu Hause im Garten das Unkraut jäten, nur ohne den Dreck unter den Nägeln. Und wieder stutze ich. Mir wird gerade bewusst, dass ich gar nichts über sie weiß. Wohnt er überhaupt in einem Haus wie ich? Müssen sie im Haushalt viel helfen, was die Blasen erklären würde? Sie wissen die wichtigsten Dinge über mich, außer der Zauberstab Sache. Das haben wir bereits gestern alles geklärt, weil sie so aufdringlich waren. Sie kennen meine Mutter, haben meine große Schwester gesehen. Den Rest meiner Familie auf Fotos betrachtet. Sie wissen wo ich wohne, sogar wie mein Zimmer aussieht. Sie wissen was ich gemacht habe bevor ich in ihre Klasse kam. Was weiß ich schon über sie? Sie sind Freunde und wenn ich ihren Umgang miteinander beobachte, die allerbesten, da können nicht mal Ernie und Bert mithalten. Sie wohnen in der selben Richtung. Sind schlecht in Englisch. Hocken auch in der größten Hitze auf dem Dach. Aber die wichtigen Dinge... andererseits, würde diese seltsame Beziehung zwischen uns Intimer werden wenn ich es weiß, befürchte ich. Ich würde nicht mehr auf den Stand der Zweckgemeinschaft zurückkehren können. Plötzlich erklingt das Opening von Pokemon. Ja, ich erkenne die Musik und nein, es ist mir nicht peinlich. Haruno jedoch summt sogar mit, bevor er den Anruf von meinem Handy auf seines abbricht. Ungläubig starre ich ihn an. Dein ernst? Pokemon? Bist du acht? „Ähm... ist dir das nicht peinlich, wenn deine Verehrerinnen das hören?“, versuche ich es diplomatisch zu ergründen. Er zuckt mit den Achseln und tut es mit einem Ton vollen pusten aus seinem Mund ab. Er überreicht mir mein Handy und wieder spüre ich die raue Haut. Er tippt auf seinem Handy weiter herum, bis auch Shibas Handy einen Kurzton von sich gibt. Nach ein paar weiteren Handgriffen, gibt auch mein Handy einen Benachrichtigungston von sich. Neugierig schaue ich auf das Display, was er da verbrochen hat. Eine Whatsapp Nachricht. Ich öffne die App und sehe, dass er uns drei in eine Gruppe gesteckt hat. Als ich den Namen der Gruppe lese, breche ich erneut in Gelächter aus. 'Die Dachhocker' prangt in der oberen Ecke. Damit trifft er genau meine Gedanken. Mit dem pinken Albtraum im Rücken möchte ich mich verabschieden, doch sie gehen weiter in Richtung meiner Haustür. „Hey hey hey! Was soll das werden?“, krächze ich. „Lernen.“, antwortet Shiba trocken und klingelt. „Nein nein nein! Ich muss auf meine kleine Schwester aufpassen, wir werden nicht zum lernen kommen.“ , quieke ich nervös. Verdammt! Meine kleine Schwester weiß noch nichts von meiner Maskerade. Sie hat gestern bei einer Freundin übernachtet. Sie wird mich doch ohne Skrupel auffliegen lassen. Die Panik steigt in mir auf. „Ich möchte heute nicht lernen, ich bin zu erschöpft!“, sage ich hektisch, doch die Tür öffnet sich bereits. Ich ziehe den Atem scharf ein, doch als ich in das sanfte lächeln meiner Mutter blicke, atme ich erleichtert auf. „Oh, hallo Jungs.“, sie freut sich ehrlich die beiden zu sehen und schiebt sie ins Haus. „Macht es euch gemütlich, ich muss nur kurz mit Misaki reden.“ „Danke Watanabe-san.“, sagen sie im Chor. Sie schließt die Tür hinter sich und steht mit mir im Garten. Ihre Augen strahlen so viel wärme aus. „Ach mein lieber Misaki.“, sagt sie mit einem Schwall der Besorgnis. Sie streicht mir mit ihrer zarten Hand über meine Wange. Das ist wahrer Balsam für meine Seele. „Hast du etwa schon wieder geweint?“ Woher weiß sie das denn? Das ist schon eine gefühlte Ewigkeit her. „Hat dich wieder jemand geärgert?“ Ich nehme ihre Hand in meine und drücke sie sanft. „Nein Mum, alles gut.“, drücke ich zwischen meinen Lippen hervor. Nervös sehe ich auf die Haustür. Sie sind allein mit ihr. Ich muss da schnell rein. Ich habe keine Zeit das jetzt und vor allem hier vor der Tür zu klären. „Ich habe Miyu-chan gesagt sie soll sich benehmen.“ „Sie weiß es?“, stoße ich überrascht aus. „Natürlich, ich habe gehofft das deine Freunde kommen.“, lächelt sie verschwörerisch. „Ich mag sie, aber macht nichts was ich nicht auch tun würde!“ Ich keuche schwer. Was soll das schon wieder heißen? Sie geht mit mir ins Haus und wir sehen die beiden am Esstisch ihre Schulsachen ausbreiten. „Tschüss Jungs! Ich hab für euch Abendessen mit vorbereitet, lasst es euch schmecken. Passt gut auf meine Mädchen auf, aber benehmt euch!“, sie hebt drohend den Zeigefinger, aber es sieht einfach nur niedlich aus. Man kann sie gar nicht ernst nehmen. „Ja Watanabe-san. Danke Watanabe-san.“, sagen sie wieder im Chor und meine Mutter verlässt zufrieden das Haus. Wie peinlich Mum! Ich habe sie so lieb. Nur sie kann wie ein Glücksbärchie drohen. Aber was sollte dieses 'tut nichts was ich nicht auch tun würde'? Eltern und ihre seltsamen Sprüche. Sichtlich nervös und ein wenig verwirrt trete ich auf die beiden zu. Ausschau haltend, nach dem kleinen Teufel. „Ihr... habt meine Schwester noch nicht gesehen?“, frage ich vorsichtig. „Nein. Hey, wollen wir erst essen bevor wir lernen, oder danach?“, fragt mich Haruno, der unsicher ist ob er jetzt seine Schulsachen auf den Tisch verteilen soll die er noch in den Händen hält. Pff... Essen... Mir ist der Appetit vergangen. Lieber würde ich jetzt unter die Dusche, danach in mein Rüschen beladenes Bett und die letzten zwei Tage komplett vergessen. Ich habe allerdings genauso wenig kraft mich jetzt noch zu konzentrieren wie Hunger. „Na ja, ich glaube wir nutzen die Ruhe und lernen, bis-“, ich breche meinen Satz ab, als ich ein Tür knallen höre. Die Farbe in meinem Gesicht verabschiedet sich. Kreidebleich starre ich zur Treppe, die zu den Schlafzimmern im ersten Stock führt. Ich höre Schritte. Mein Mund wird trockener als die Sahara. Das erste was ich sehe, sind die kleinen nackten Füßchen. Mit jeder Stufe manifestiert sich meine ausgemalte Albtraum Situation immer weiter. Eine Jeans Shorts. Ein T-shirt auf dem Engel steht. Die größte Lüge der Welt, wenn ihr mich fragt. Jetzt sehe ich sie ganz. Ihr schulterlanges Haar ist zu zwei Zöpfchen auf ihrem Kopf drapiert. Ich schlucke schwer. Sie sieht sich um und erblickt uns. Ihre ohnehin schon übertrieben großen Augen werden noch größer. Sie bricht sofort in schallendes Gelächter aus. Panisch blicke ich zwischen ihr und den beiden hin und her. In ihren Gesichtern steht ihre Verständnislosigkeit. Ich packe mir das Fliegengewicht und ziehe sie um die Ecke in das Wohnzimmer. „Was soll denn das?“, herrsche ich sie an. Sie kann immer noch nicht aufhören zu lachen. Sie hält sich ihren Bauch dabei und japst nach Luft zwischen dem nicht enden wollenden Gelächter. Ich komm mir vor wie der dämlichste Idiot der Welt. Was vielleicht auch stimmt, wenn man bedenkt was ich an habe. „Ich dachte Mum hat dich darauf vorbereitet?! Warum lachst du?“, quietsche ich hysterisch, doch darauf bedacht, dass wir nicht gehört werden. „Ja, aber es zu hören ist was anderes als es zu sehen. Du siehst so albern aus! Wie kommst du auf so eine dumme Idee?“, japst sie um Fassung ringend und muss sich ein paar tränen weg wischen. Das darf Shiba nicht sehen. „Ich... keine Ahnung! Ich hatte panische Angst. Ich... Ich wollte nur nicht wieder gemobbt werden...“, versuche ich mich in Erklärung. „Und in wie weit ist das jetzt besser? Denkst du, du kommst damit drei Jahre durch? In der Damenumkleide vom Sport liegst du doch mit Nasenbluten ohnmächtig am Boden wenn du die nackten Mädchen siehst.“, fängst sie wieder an zu lachen. Nervös zupfe ich an meinem Rocksaum. Ich bestreite ja nicht, dass das die wahrscheinlich dümmste Idee meines Lebens ist, aber ich kann nicht mehr zurück. „Mach einfach mit...“, sage ich kleinlaut. Sie betrachtet mich eingehend mit ausdrucksloser Mine. Oh nein,... was kommt jetzt? Ich schlucke schwer. Sie baut sich vor mir auf und grinst breit. „Dafür brauch ich aber was für meine Motivation.“ Ich wusste es. „Und an was hast du gedacht?“ „Die drei Jahre bekomme ich deinen Nachtisch, du kommst zu all meinen Schulischen Veranstaltungen und wenn ich mich mit Freunden treffen möchte bringst du mich hin ohne zu meckern.“ Ich stöhne genervt. Dazu habe ich weder Lust noch zeit. „Nachtisch geht in Ordnung. Werde halt dick!“, grinse ich sie neckisch an. „Für das andere habe ich keine Zeit. Ich muss viel lernen.“ Sie streicht sich nachdenklich über ihr Kien. „Dann musst du mich eben mit zu deiner Schule bringen.“, grinst sie nun. „Nein nein! Ich komm zu deinen Veranstaltungen! Aber Mum muss dich zu deinen Freundinnen bringen. Das wird wirklich zu viel.“, hasple ich hektisch. Sie reicht mir ihre Hand. „Deal.“ Ich ergreife sie schnell bevor sie sich was anderes ausdenkt. „Deal.“ Ich atme auf, doch der schwierige Teil kommt jetzt. Ich darf sie ja nicht einfach in ihr Zimmer einsperren. Ich führe sie zurück in die Küche. Mit schwachen lächeln und deutlich nervös stelle ich sie vor. „Leute, dass ist meine kleine Schwester Miyu. Miyu das sind Shiba und Haruno.“ „Du bist ja niedlich.“, strahlt Haruno. Ich spüre ein Zupfen an meinem Ärmel. Miyu starrt Haruno mit riesigen Augen an. „Vergiss unsern Deal, ich will das er an meine Schule kommt.“, flüstert sie heiser. Ein lächeln huscht über meine Lippen. Es ist der Wahnsinn, was dieser Mann für eine Wirkung auf die Frauenwelt hat. Er muss nur lächeln und schon liegen sie ihm zu Füßen. Selbst bei kleinen Mädchen. Ich hätte nicht gedacht, dass sie schon aus der 'Jungs sind doof Phase' raus ist. Sie werden so schnell groß. Und sie hat einen guten Geschmack. Sie setzt sich auf den freien Platz neben Haruno und starrt ihn einfach nur an. Wow. Ich habe sie das letzte mal so sprachlos gesehen, als sie auf einen riesigen Osterhasen traf, der ihr ein buntes Ei überreichte. Da war sie allerdings fünf. Später hat sie eine Woche versucht es auszubrüten. Daran bin ich nicht ganz unschuldig. „Ich sage doch wir kommen nicht zum lernen. Also lasst uns essen.“, kapituliere ich seufzend. Shiba springt auf. „Ich helfe dir.“ Haruno und Miyu verstehen sich bestens. Sie hat ihre Stimme wieder gefunden und redet ohne Punkt und Komma von den neusten Erlebnissen in ihrer Schule. Ja, Jungs sind immer noch doof, aber Haruno eben nicht, so wie sie ihn an himmelt. Sie haben eine neue super liebe Lehrerin in Handarbeiten. Und ihre beste Freundin hat jetzt den selben Handyanhänger wie sie an ihrer Tasche. Viele unbeschwerte Mädchen Geschichten und zum Glück kein Wort über mich. Trotz des Deals trau ich dem Frieden nicht ganz. Aber wenn sie es ausplaudert wird Haruno auch nicht mehr herkommen, dem ist sie sich sicher bewusst. Vielleicht kann ich ja den Nachtisch neu aushandeln. „Misaki?“, höre ich neben mir. Blinzelnd sehe ich in Shibas Gesicht. Ich habe ihn völlig ausgeblendet. Augen und Ohren waren an Miyu geheftet. „Was schaust du denn immer zu Haruno? Er kommt gut mit Kindern klar, du musst dir um deine Schwester keine sorgen machen.“, tippt er mir wieder auf die Falte zwischen meinen Augenbrauen. „Ich gäbe viel dafür zu wissen was du denkst.“ Seine Stimme löst erneut einen angenehmen Schauer in mir aus und lässt mich erröten. „Ich mach mir nur sorgen um das was Miyu sagen könnte. Ich bin nicht scharf auf peinliche Geschichten aus der Vergangenheit.“, sage ich Wahrheitsgemäß, aber Shiba lässt es breit grinsen. „Ich glaube ich muss mich gleich mal mit ihr unter vier Augen unterhalten.“ „Untersteh dich!“, quietsche ich mit hoch roten Kopf. Meine übertriebene Reaktion lässt ihn herzhaft lachen. Seine perlweißen geraden Zähne strahlen mich an. Die Reißzähne des Panthers blitzen hervor. 'Beiß mich' schreit mein Unterbewusst sein und ich rüge es dafür. Solche Gedanken sind mehr als unangebracht, in diesem Moment. Unter der Dusche, kein Problem, aber nicht hier in der Küche mit meiner kleinen Schwester in Sichtweite. „Hey! Was gibt es da zu lachen? Schließt uns nicht aus!“, protestiert Haruno. „Ich habe Misaki nur von deinen miserablen Kochkünsten erzählt.“, neckt er ihn während er den Tisch deckt. „Hey! Wenn es dir nicht schmeckt was ich zaubere, dann setz mich nicht auf den Haushaltsplan.“, rümpft Haruno die Nase. Ich werde hellhörig. „Ihr wohnt in einer WG?“ Die beiden tauschen einen Blick aus, den ich nicht deuten kann. Haruno streicht sich bedächtig über sein Kinn und sieht mich an. Es herrscht stille. Ich traue mich nicht einmal aus zu atmen und halte ihn quälend lange an. Hätte ich das nicht wissen sollen? Aber sie selbst haben doch damit angefangen. Wenn ich es nicht wissen soll, dürfen sie doch nichts in der Richtung erwähnen. Ich muss es wissen, dieses Spielchen spiele ich schließlich auch. Haruno findet sein breites Zeitschriftenlächeln wieder, dass auf die Kamera wartet. Den Zeigefinger gesteckt auf seinen Lippen, als wenn es ein Geheimnis wäre. Ich finde meinen Atem wieder nach dieser Geste. „Seit ihr Schwul?“, erklingt die helle Stimme meiner Schwester in der Stille. Mir fällt fast die Schüssel Reis aus der Hand. „MIYU!“, herrsche ich sie an. „Was denn?“, fragt sie naiv wie sie ist. Sie ist eben immer noch nur zehn Jahre alt. Und auch wenn ich gerade gefühlt zehn Jahre älter geworden bin, liebe ich meine Familie trotzdem. Egal wie peinlich sie mir ist, oder anstrengend, oder aufdringlich oder nervig. Ich seufze genervt. „Woher kennst du das Wort überhaupt? Aus der Schule?“ Sie schüttelt kräftig den Kopf, dass ihre Zöpfchen hin und her schwingen. „Mama und Hina reden ab und zu darüber.“ Ich stelle das Essen auf den Tisch bevor es mir doch noch aus der Hand fällt und ergreife sofort den Stuhl, der mir einen rettenden halt bietet. Wieso reden sie über so was? Ahnen sie etwas? Oder wissen es bereits? Mir gegenüber haben sie nie etwas in der Richtung erwähnt oder angedeutet. Oder? Mir wird schlecht. Ein Rauschen flutet meine Ohren. In meinem Kopf klingt es wie ein Radio auf Sender suche. Viel Rauschen und ab und zu eine Stimme, die ich als meine erachte. Aber ich verstehe sie nicht, zu schnell kommt das grässliche Rauschen zurück. Ich sitze. Wie auch immer ich das hin bekommen habe. Das essen steht auf dem Tisch und wie aus weiter Entfernung bekomme ich mit wie Miyu sich bedient und isst. Ihr Mund bewegt sich. Sie redet, aber ich höre sie nicht. Wissen sie es? Hallt es, zwischen dem Rauschen in mir. Wissen sie es? Werden sie es akzeptieren? Wie lange spielen sie dieses Spiel schon vor mir? Wer weiß es noch? Ein Druck auf meinen Schultern holt mich zurück. Zu mir kommend blinzle ich schnell. Shibas Hand ruht auf mir. Er sieht mir in die Augen wie nur er es kann. Wilde Augen voller Sorgen. „Was ist denn plötzlich mit dir? Du bist blasser als die Wand und wirkst wie abwesend.“ Jetzt wo ich wieder bei mir bin, merke ich das Miyu und Haruno weg sind. Ich springe hastig auf. „Wo ist meine Schwester?“, keuche ich atemlos. „Ren bringt sie gerade ins Bett. Keine Sorge, er kann wirklich gut mit Kindern umgehen. Vor allem mit solch kleinen Prinzessinin die ihn anhimmeln.“ Er kann sich ein grinsen nicht verkneifen. Mit sanften Nachdruck zieht er mich zurück auf den Stuhl. Seine Hand tätschelt meine. Shiba hat es also auch bemerkt, dass Miyu für ihn schwärmt. Er ist viel zu Aufmerksam. Meine Scharade wird er auch bald durchschaut haben, dann wird er mich nie wieder so ansehen. Ich schlucke hart bei diesem Gedanken. „Also was ist los?“, fragt er, doch ich schweige. Was soll ich darauf schon Antworten? Ich schiebe gerade Panik, weil ich möglicherweise eine Scharade in einer Scharade spiele?! Das wirft jedoch eine menge ungewollter Fragen auf. „Geht es dir nicht gut?“, fragt er nun mit Nachdruck. Ich nicke stumm. „Soll ich dich ins Bett bringen?“, grinst er schelmisch und sieht in mein knallrot angelaufenes Gesicht. „Na, da steckt ja doch noch Leben in dir.“, lacht er amüsiert. Er lacht, aber ich glaub mein Herz hat einen Sprung ausgesetzt! „Du willst also nicht darüber reden?“, fragt er erneut. Ich wende meinen Blick ab und schüttle den Kopf schwach. Er seufzt tief, dass er mir quasi aus der Seele spricht. „Na gut, dann werde ich mal Ren einsammeln und gehen. Ich glaube nach lernen ist uns allen nicht mehr und es ist spät. Oder sollen wir bleiben bis deine Mutter wieder kommt?“ Wieder schüttle ich stumm mit dem Kopf. Ich habe einfach keine Kraft meine Stimme zu erheben. Weder die noch meinen Kopf. Ich starre weiter vor mich hin. Lebe ich eine Farce? Ende von Teil 5 Kapitel 6: Teil 6- Susu ----------------------- Pretty Boy Teil 6- Susu Tick Tack Tick Tack Alles was ich höre ist dieses verdammte tick tack der Küchenuhr. Die Zeit läuft einfach weiter. Was würde ich dafür geben sie rückwärts laufen zu lassen, aber ich bin weder Superman noch Einstein. Es ist dunkel. Der Tisch ist noch immer gedeckt. Shiba und Haruno sind gegangen. Miyu schläft. Tick Tack Tick Tack Ich kaue auf meiner Unterlippe. Mittlerweile schmerzt es, doch ich mache weiter. Der Schmerz hilft mir mich zu konzentrieren. Immer wieder gehe ich im Kopf durch was ich fragen werde und ich habe schreckliche Angst vor der Antwort. Nervös wippt mein Bein auf und ab. Tick Tack Tick Tack Der Schlüssel fällt ins Schloss und leise öffnet sich die Tür. Als das Licht angeht, sehe ich meine Mutter mit glänzend roten Apfelbäckchen. Ich weiß meine Mutter ist keine Heilige, auf ihren Buchclubtreffen trinkt sie gerne zwei drei Gläschen zu viel Wein und schleicht sich dann immer beschwipst ins Haus. „Oh! Misaki, du bist ja noch wach.“, stellt sie überrascht fest. Ich sollte Morgen mit ihr reden, wenn sie bei klarem Verstand ist, aber solange kann ich nicht warten. „Wieso redet ihr vor Miyu über sexuelle Orientierungen?“, meine Stimme bricht hörbar ein bei dieser Frage. Ich bin mir unsicher, ob ich das Thema wirklich aufwirbeln soll. Vielleicht wissen sie es ja gar nicht. Vielleicht hat Hina einfach nur einen Schwulen Arbeitskollegen. Soll ja nicht selten vorkommen, dass Maskenbildner vom andern Ufer sind. Aber was sollten dann diese sinnlosen Sprüche meiner Mutter? 'Tu nichts was ich nicht auch tun würde' oder die Ermahnung, dass Shiba und Haruno sich benehmen sollen. „Waaas?“, zieht sie mit heller Piepsstimme in die Länge. „An so etwas kann ich mich gar nicht erinnern. Das muss sie aus der Schule haben.“ „Das war auch mein erster Gedanke, nach dem sie meine Klassenkameraden gefragt hatte ob sie Schwul sind. Sie sagt aber, dass ihr da ab und zu drüber redet.“, ich betone deutlich scharf das 'ab und zu', denn das waren Miyus genaue Worte. „Oh je. Ich werde wohl noch mal mit ihr reden müssen. Ich hatte ihr aber gesagt sie soll sich benehmen.“, schwört sie mit Hand aufs Herz. „Darum geht es mir nicht.“, werde ich lauter. „Warum redet ihr über so etwas?“ Sie seufzt tief und legt den Kopf schief. Ich sehe ihr an, dass sie überlegt. Um nichts falsches zu sagen oder um sich raus zu reden? „Wir sollten morgen darüber reden Schatz. Mit Hina zusammen wenn sie von ihrem Freund zurück ist.“ Um sich raus zu reden also. „Wenn ich jetzt schlafen gehen soll, werde ich die ganze Nacht kein Auge zu tun.“, zische ich. Wieder seufzt sie, diesmal tiefer und lauter. Sie kommt schwankend zu mir und setzt sich an den Tisch. Nervös spielt sie an ihrem Ehering. „Du hast eine ziemlich schwere Zeit hinter dir.“, sagt sie langsam und bedächtig. „Ich habe mir nur einen Rat von Hina geholt. Sie sagt wir sollen dich in ruhe lassen, du wirst es uns schon sagen wenn es soweit ist.“ Sie starrt auf ihre Hände während sie redet. Seit sie sich zu mir gesetzt hat, hat sie mich nicht einmal angesehen, aber ich möchte in ihr Gesicht sehen, nur so kann ich erahnen was in ihr vorgeht. „Aber...“, ihre Stimme beginnt zu zittern. „Du hast nie etwas gesagt. Ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll.“ Sie holt tief Luft und hält den Atem an. „Misaki, bist du Schwul?“ Zögerlich hebt sie ihren Kopf und unsere Blicke treffen sich. Sie hat angst. Ihre Gesichtszüge zucken kaum merkbar. Ihre Stirn ist in Falten gelegt und ihre Augen glänzen feucht. Sie ist den Tränen nahe. Wenn ich jetzt nein sage, ist es das was sie hören will und alles wäre gut für sie. Nur ich würde weiter lügen müssen. Bis an mein Lebensende? Nein, ich muss die Wahrheit sagen. Ich möchte mir gar nicht erst ausmalen wie mein Leben wird, wenn ich immer aufpassen müsste mich nicht zu verraten. Die letzten zwei Tage der Scharade waren schon anstrengend genug. Drei Jahre im Vergleich zum Rest meines Lebens ist ein himmelweiter unterschied. „Ja...“, antworte ich leise. Sie schluchzt sofort laut auf. Die Dämme brechen. Tränen laufen ihre Wangen herunter, nun kann sie sie nicht mehr zurück halten. Ich hätte nie damit gerechnet, dass es so schlimm für sie sein könnte. „Ist es meine Schuld?“, schluchzt sie. „Hab ich dich nicht männlich genug aufgezogen, durch die ganzen Mädchensachen? Bist du es, weil dein Vater zu wenig Zeit mit dir verbracht hat und du immer nur bei uns warst? Vielleicht ist es ja nur eine Phase? In deinem Alter ist man schon mal neugierig.“ Es ist schwierig sie zu verstehen, wenn sie redet und gleichzeitig heult wie ein Schlosshund, aber das was sie sagt gefällt mir nicht, milde ausgedrückt. „Du wirst nie Heiraten können, oder Kinder kriegen. Bitte Misaki, versuch doch normal zu sein.“ Jetzt reicht es! Ich hau auf den Tisch und ein lauter Knall hallt durch den Raum. Erschrocken starrt sie mich an. Immer wieder wird sie von schluchzern geschüttelt. „Misaki...“, keucht sie. „Das ist doch keine Krankheit, die man nur auskurieren braucht. So etwas ist in einem drin, da kann keiner was für.“, knirsche ich mit den Zähnen. Ich vermeide es sie anzusehen. Es erschreckt mich, wie sie darüber denkt, dass hätte ich nie erwartet. Sie war doch bis eben so locker und nun geht ihre perfekte heile Welt plötzlich unter, weil sie nicht auf meiner Hochzeit tanzen kann? „Ich kann dich gerade nicht ansehen. Ich habe angst etwa zu sagen was ich bereuen könnte, aber ich hoffe, dass du deine Haltung dazu noch mal überdenkst, sonst haben wir ein Problem miteinander.“ Ich stehe langsam auf. Sie rührt sich nicht. Sie versucht ihr weinen zu unterdrücken und holt unkontrolliert Luft. Immer wieder schüttelt es sie. Sie hat sichtlich mühe sich zu beruhigen. Ich kann das nicht mit ansehen. Es tut weh sie so aufgelöst zu sehen. Ich gehe zum Eingang und schnappe mir meine Schuhe. „Misaki? Wo willst du so spät noch hin?“, fragt sie hektisch. Ich atme tief durch und gehe durch die Tür. „Misaki! Bitte lauf nicht wieder weg.“, ruft sie und ich höre ihre angst, aber ich bin zu sauer. Das Schloss fällt hinter mir zu. Ich muss weg. Einfach nur weg. Egal wohin. So setze ich einen Fuß vor den anderen. Ziellos gehe ich durch die Straßen, die von den Laternen schwach beleuchtet werden. Die kleine perfekte Vorstadt Idylle. In einigen der Häuser brennt noch Licht. Ich sehe Männer im Anzug nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommen. Drinnen werden sie freudig begrüßt von Frau und Kind. So etwas gab es bei uns schon ewig nicht mehr. Mein Vater war schon immer viel Unterwegs um Erdvorkommen vor Ort zu studieren. Es ist seine große Leidenschaft im Dreck zu wühlen. Wahrscheinlich liebt er es mehr als meine Mutter, sonst wäre er doch nicht so viel weg. Und jetzt die Sache mit Kalifornien. Über zwei Jahre ist er schon dort und drei weitere sind noch geplant. Wenn er wieder da ist, wird Miyu in der Pubertät sein. Hina wahrscheinlich ausgezogen. Aber ich? Die magische drei. In drei Jahren kommt mein Vater und ich bin hoffentlich mit der Schule fertig. Wie wird Dad es auffassen, dass ich schwul bin? Wird er so reagieren wie Mum? Wird es noch schlimmer? Jagt er mich aus dem Haus? Die Kraft weicht aus meinen Beinen im Angesicht meiner Hilflosigkeit und ich sinke zu Boden. Mitten auf dem Weg. In der tiefsten Dunkelheit. Am vielleicht zweitschlimmsten Punkt meines Lebens. Habe ich die Kraft das noch mal durch zu stehen? Ich finde mich in hell beleuchteten Straßen wieder. Bunte riesige Werbeanzeigen prangen an den Fassaden der Hochhäuser. Selbst Dienstag Nacht ist hier im Zentrum Tokios die Hölle los. Ich habe kein Geld bei mir. Ich bin kopflos losgestürmt, dass ich nicht mal mein Handy dabei habe. Und zu allem Überfluss stecke ich immer noch in der viel zu großen alten Schuluniform meiner großen Schwester und stinke sicherlich wie ein Iltis nach dem heißen Tag. Wenigstens ist es jetzt abgekühlt. Eine angenehm warme Sommernacht. Zu Fuß hat es lange gedauert, aber endlich bin ich in Shinjuku ni-chóme angekommen. Hier bin ich schon zur meiner Mittelschulzeit immer her gekommen, nach dem ich mir bewusst geworden war, dass ich vom anderen Ufer bin. Denn hier ist die Schwulenszene Tokios. Ich habe viel Zeit damals hier verbracht. Hier werde ich verstanden. Hier hatte ich immer wen der mir zuhörte. Hier kann ich ich selbst sein. „Oh verdammte Scheiße! Misaki, bist du das?“ Als ich mich der Stimme zuwende, blicke ich in ein vertrautes Gesicht. Zugegeben, er hat sich sehr verändert, aber sein freundliches Gesicht erkenne ich sofort wieder. Er hat deutlich mehr Tattoos und Piercings als vorher und auch seine regenbogenfarbenen Haare sind mir neu, aber er ist es. „Susu?“, frage ich deutlich überrascht. Ich habe wirklich nicht gedacht überhaupt noch jemand bekanntes hier zu treffen. Er rennt mich fast um und umarmt mich überschwänglich. „Gott verflucht! Bist du eine Transe geworden, oder zwingt dich dein Sugar Daddy diese niedliche Matrosenuniform zu tragen?“, er lacht sich halb tot bei meinem Anblick. Susu heißt eigentlich Subaru Tsuba und hat mir hier alles gezeigt. Er ist für mich, wie dieser eine verrückte Onkel, der scheinbar in jeder Familie existiert. Den man immer wieder zu Familienpartys einlädt und alle hoffen, dass er nicht kommt. Nur man selbst freut sich wahnsinnig auf ihn, weil die Zeit mit ihm so viel Spaß macht. Er ist fünf Jahre älter als ich und lebt seit zehn Jahren in dieser Szene. „Wir haben uns viel zu erzählen. Lad mich auf eine Nudelsuppe ein.“ „Ich muss dich enttäuschen, ich habe kein Geld bei mir.“ Ich zwinge mir ein lächeln auf und zucke entschuldigend mit den Schultern. Er überlegt nicht lange und grinst mich verschwörerisch an. „Na, dass soll uns nicht aufhalten. Klimper ein bisschen mit den Wimpern und lehn dich nach vorn, hast einen schönen Einblick ins Dekolletee. Das kriegen wir schon hin.“ „Was?“, quieke ich erschrocken und verschränke die Arme vor der Brust. Es hat tatsächlich geklappt. Ich staune über meinen Mut, aber Susu´s Art stiftet einen einfach zu Blödsinn an. Das letzte mal hab ich als Kind was umsonst bekommen, als ich noch niedlich und klein war. Allerdings habe ich seine Handynummer gleich mit dazu bekommen. Susu lacht sich schlapp über meinen verdatterten Gesichtsausdruck. Seine riesigen Tellergleichen Ohrringe wackeln dabei. Sie sind so groß wie das Puppenservice meiner kleinen Schwester. Als wir uns das letzte mal sahen, fing er gerade erst damit an sie zu weiten. Sein übergroßes Tanktop lässt mir einen großzügigen Blick auf all seine neuen Tattoos. Viele Schriftzüge auf einer anderen Sprache. Wahrscheinlich Latein, da hat er ein faible für. Und Tattoos von Kussmündern. Die hatte er damals schon, nur sind es mehr geworden. Er sagt, dass soll seinen Bettgeschichten es leichter machen wo er es gern hat. Ich habe es zwar nicht mit eigenen Augen gesehen, aber die hat er auch dort wo der Stoff der Jeansshorts das bisschen Haut bedeckt auch. Es ist nicht so, dass er sie mir nicht hätte zeigen wollen, er ist der erste der sich die Hosen runter zieht wenn einer ruft “hier“, er ist nicht wählerisch, ich wollte es nur nicht genauer wissen. Mit seiner Freizügigkeit komme ich nicht so recht klar, aber seine offenherzige Art macht jedem den Umgang mit ihm leicht. „Du kommst also frisch aus Kalifornien? Das erklärt deine sexy Karamell gefärbte Haut.“, grinst er anzüglich und zeigt mit seinen Essstäbchen auf mich, die er langsam runter wandern lässt. „Bist du überall so braun?“, fragt er als sie auf meinen Rock zeigen. Die röte schießt mir ins Gesicht. Wieder seine freizügige direkte Art. Ein wenig bewundere ich das ja. Ich hätte auch gerne gelegentlich den Mut, dass zu sagen was ich denke. In Gedanken versunken sehe ich ihm beim essen zu. Als er mit seiner Nudelsuppe fertig ist, schiebe ich ihm meine zu. Meine letzte Mahlzeit ist zwar eine Weile her, da ich das Abendbrot mehr oder weniger habe ausfallen lassen, aber durch den Zoff mit Mum habe ich einfach keinen Appetit. Susu allerdings sieht so aus, als ob er schon länger nichts mehr gegessen hat. Er ist schrecklich dünn geworden. Sein Schlüsselbein und seine Schulterknochen stehen so weit hervor, dass man sie locker mit den fingern ergreifen kann. „Bei dir läuft es wohl gerade nicht so gut?“, frage ich ehrlich besorgt. Er zuckt mit den Schultern. „Es gibt gute und schlechte Tage. So ist das, wenn man auf der Straße lebt. Ich bin ein warnendes Beispiel für alle kleinen Jungs die von zu Hause abhauen.“, zwinkert er mir grinsend zu und streicht sein buntes Haar zurück. Die Seiten seines Schopfes sind rasiert, was einen Irokesenschnitt übrig lässt, der in den schönsten Farben der Regenbogenfahne leuchtet die an jeder Ecke zu sehen ist. „Egal was bei dir zu Hause ablief, ihr packt das. Ich kenne niemanden der so behütet und verhätschelt wurde. Ich meine, Herr Gott, du merkst nicht mal das dich jeder Kerl hier sabbernd angafft.“ Was?! Ich sehe mich um. Einige wenden sofort den Blick ab. Andere halten ihn und Prosten mir zu. Reflexartig mache ich mich klein und schaue verlegen auf meine Hände. Ja okay, ich werde angesehen, aber sabbernd?! „Ach Süßer, du merkst es wirklich erst wenn es dir einer sagt was? Na ja, spätestens dann wenn du auf einen Penis “fällst“. Dein Zukünftiger tut mir leid, er wird es echt schwer haben dich davon zu überzeugen, dass du es Wert bist geliebt zu werden.“, kichert er und nimmt sich meine Nudelsuppe. Mein Zukünftiger. Das hört sich so fern an. So als ob es nie geschehen würde. „Du bist immer noch Jungfrau, oder?“, fragt er betont laut. Ich schrecke zusammen. „Sei doch leise!“, herrsche ich ihn flüsternd an. Er lacht. Lacht aus vollem Herzen. So sehr, dass er fast vom Stuhl fällt. Ein lächeln huscht über meine Lippen. Man kann ihm einfach nicht böse sein. Er ist wie das Leben sein sollte, leicht, locker und einfach hundert Prozent natürlich. „Ach Schatz. Du bist Jung und verdammt noch mal wahnsinnig heiß. Wenn du nicht bald mal in die Gänge kommst leg ich dich übers Knie, aber nicht auf die keusche Art.“ „Dann hätte ich es wenigstens hinter mir.“, murmle ich verlegen, den Blick nicht von meinen Händen weichend. Am Rande meines Blickfeldes sehe ich, wie seine Hand näher kommt. Sie findet ihr Ziel auf meinen und drückt sie sanft. Langsam hebe ich meinen Kopf und unsere Blicke treffen sich. Seine Augen sind leicht zusammen gekniffen und seine Lippen zu einer schmalen Linie gepresst. Er sieht leidend aus. Meine so daher gesagte Bemerkung hat ihn verletzt, oder an etwas erinnert. „Verzeih, war nicht ernst gemeint.“ „Das hoffe ich doch, denn du hast wirklich mehr verdient. Und mit mehr meine ich das volle Programm. Blumen, Pralinen, Schmetterlinge, Feuerwerk, Regenbögen und Einhörner!“, sagt er aus voller Überzeugung und mit einem Feuereifer, der sofort auf einen über geht. Ich kann mir ein lachen einfach nicht verkneifen. Einhörner? Was geht nur in seinem Kopf vor? Völlig unerwartend steht ein junger Mann an unserem Tisch und schiebt mir zwinkernd einen Zettel zu. Er geht so schnell wie er kam und lässt uns beide völlig verdutzt zurück. Susu schnappt sich das Stück Papier, noch bevor ich überhaupt begreife was das war und schaut neugierig nach. „Na aber Hallo! Der liebe Aoi würde dich gerne näher kennen lernen und hat dir prompt seine Nummer da gelassen.“ Er Pfeift beeindruckt und grinst mich Stolz an. „Das ist schon die zweite.“, bemerke ich erschrocken. „Was ist nur los? Als ich vor einem Jahr hier war, ist nie was passiert.“ „Da warst du ja auch ein Häufchen Elend. Hast immer nur auf deine Hände gestarrt und niemanden an dich ran gelassen, obwohl du gelegentlich den Barkeeper voll gesülst hast. Du hast nicht ein einziges mal gelacht. Ich habe dich heute das erste mal lachen sehen und das steht dir deutlich besser, als diese miesepetrige Mine. Du hast dich verändert Misaki. Etwas ist anders an dir. Und egal was es ist, behalte es bei, es tut dir sichtlich gut.“, sein sanftes lächeln und seine Worte wärmen mein Herz. Die wohl Hippste Ramenbar die ich je gesehen habe schließt. Es dämmert bereits. Es ist ruhig auf den Straßen. Das größte Gewusel ist dem einzelnen Pärchen, Errungenschaften und allein gebliebenen gewichen. Die Partymeute ist längst weg. Wir haben so lange geredet, dass ich die Zeit total vergessen habe. „Du solltest jetzt wirklich nach Hause gehen Misaki. Deine Mutter ist sicher krank vor sorge. Du kannst ihr das nicht noch mal antun.“ „Das weiß ich nur zu gut, aber so wie wir auseinander gegangen sind, will ich einfach noch nicht zurück.“, mit zusammen gezogenen Augenbrauen sehe ich ihn an und greife nach einem Ende seines Tanktops. Bei ihm konnte ich meine Sorgen für einen Abend vergessen, dass möchte ich noch nicht los lassen. Er seufzt tief. „Ach Schatz, was soll ich bloß mit dir machen?! Sieh mich doch nicht so mit deinem unwiderstehlichen Hundeblick an.“ Er kaut auf seiner Unterlippe, während er überlegt. „Du bist mein einziger Freund Susu.“, gestehe ich kleinlaut und wieder seufzt er. Diesmal mit einem lächeln im Gesicht, aber aufrichtige Sorge steht in seinen Augen. „Du hast einen grässlichen Geschmack was Freunde angeht. Gut, komm mit zu mir. Es ist aber nicht gerade bequem.“ Und er hat nicht gelogen. Wir sind lange gelaufen und unter einer großen Brücke am Ziel angekommen. Er ist nicht der einzige der hier campiert. Auf beiden Seiten der Stützpfeiler erstreckt sich ein geordnetes Chaos. Jeder der hier vorbei kommt, wird denken es ist eine wilde Müllkippe, aber zwischen drin sieht man vereinzelt Männer sitzen. Er führt mich zu seinem Zelt, dass bald mehr aus Klebeband besteht als aus Stoff. Eine provisorische Abgrenzung zu den anderen Zelten mit Autoreifen, in denen er Flaschen lagert. Wenige Kleidungsstücke auf einer improvisierten Wäscheleine und mitten drin Susu, der optisch überhaupt nicht rein passt. „Du darfst dich geehrt fühlen, du bist der erste den ich mit her bringe.“, sagt er nervös. Ich muss gestehen, dass er wirklich ein abschreckendes Beispiel da stellt, wie er selbst sagte. „Wie kam es dazu das du hier gelandet bist?“, frage ich kleinlaut. Er verzieht das Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse, während er sein Gewicht unruhig von einem Bein zum anderen wechselt. „Na ja, es kann halt nicht jeder so nette Eltern haben wie du. Mein Vater hat mich halb tot geprügelt, als er mich mit seinem Arbeitskollegen erwischte. Und jedes weitere mal wenn ich versucht hatte die wogen zu glätten und nach Hause kam auch. Ich war nicht mehr willkommen und auch nicht mehr zu Hause. Erst war ich bei Freunden untergekommen, aber die hatten mich schnell satt. Ich verlor immer wieder meinen Job und seit etwa sechs Jahren lebe ich hier.“, er zuckt entschuldigend mit den Schultern, als ob es ihm leid täte das seine Geschichte nicht spektakulärer ist wie in einem Hollywoodstreifen der mit einem Knall endet. Mich jedoch haut es fast aus den Latschen. „Dir wird das nicht passieren Misaki. Dir ist ein besseres Leben vorherbestimmt.“, sagt er in einem beruhigenden Ton und nimmt meine Hand in seine. „Regenbögen und Einhörner?“, frage ich schwach lächelnd. „Regenbögen und Einhörner!“, bestätigt er mir grinsend. Ende von Teil 6 Kapitel 7: Teil 7- Bunt-Bunter-Ni-chóme --------------------------------------- Pretty Boy Teil 7- Bunt-Bunter-Ni-chóme Ein schönes Gefühl in den Armen eines anderen aufzuwachen. Besonders, wenn es nicht wieder die eigene kleine Schwester ist die sich Nachts zu einem ins Bett geschlichen hat, weil sie einen Albtraum hatte. Susu schläft tief und fest, er ist es ja gewöhnt. Ich jedoch habe keine drei Stunden geschlafen, verrät mir der Blick auf seine Uhr die neben dem Schlafsack liegt. Es ist einfach zu eng, zu hart und vor allem zu laut. Zudem habe ich angst, dass jederzeit jemand ins Zelt rein kommen könnte. Ich will ihn aber auch nicht wecken. Geduldig halte ich still und versuche diesen Moment des Friedens zu genießen. Wir liegen mit den Gesichtern zueinander und seine Arme sind um meinen Kopf geschlungen. Ich habe seine Brust genau vor der Nase und ertappe mich dabei immer wieder seine Brustwarze anzustarren. Ein großer roter Kussmund umrahmt das Piercing das darin steckt und immer wieder ertappe ich mich dabei es berühren zu wollen. Nicht der Lust halber, sondern der Neugier. 'Ob das wohl weh tut?', frage ich mich wiederkehrend. Die Autos die über uns hinweg rauschen machen einen Heidenlärm, der Berufsverkehr ist im vollen Gange. Mir kommt in den Sinn, dass ich die Schule verpassen werde, wenn ich jetzt nicht los gehe. Ich verpasse wie Haruno vor der Heerscharen von Mädchen flüchtet. Ich werde mit Shiba meine Bento Box nicht teilen können. Ein Tag an dem wir nicht gemeinsam lachen oder lernen. Ein Tag an dem wir nicht gemeinsam auf dem Dach sitzen, trotz der Hitze. Bei diesen Gedanken werde ich ganz melancholisch. Ich kenne sie erst zwei Tage, dennoch vermisse ich sie sehr. Betrachte ich sie wirklich als Freunde? Wie konnte das nur so schnell passieren? Ich wollte mich doch davor schützen, stattdessen mache ich die selben Fehler abermals. Ich schrecke zusammen. Was ist, wenn sie heute wieder zu mir kommen um mich abzuholen? In welcher Stimmung werden sie meine Mutter auffinden? Sie wird sicher weinen. Ich bin einfach abgehauen und keiner weiß wo ich bin. Ich habe meinen Eltern nie alles erzählt was damals wirklich vorgefallen ist. Von dem Mobben wissen sie, aber nicht von den Folgen. Eine Hand trifft auf mein nacktes Bein, die nicht meine ist und rutscht geschwind unter meinen Rock. Ich schrecke fürchterlich auf. Susu lacht herzhaft über meine Reaktion. „Tut mir leid, aber das wollte ich tun seit ich dich Gestern entdeckt habe.“ „Und ich hab mich nicht getraut dir an die Nippel zu gehen.“, protestiere ich gespielt beleidigt. „Uuuuh Misaki, am frühen Morgen schon zu spielen aufgelegt?“, grinst er anzüglich und schmeißt sich mit seinem vollen Gewicht auf mich rauf. Ich quieke laut auf und lache, als er beginnt mich wild zu kitzeln. Ich versuche ihn von mir zu schmeißen, aber er kennt keine Gnade und lässt seine langen dünnen Finger erbarmungslos in meine Seiten stechen. Vor lauter lachen kommen mir die tränen. Es tut schon weh. Ich lache so selten, dass ich sicher Muskelkater davon kriegen werde. Er stoppt, als er meine tränen bemerkt. Ein keuscher Kuss nimmt das feucht von meinen Wangen. „Jetzt bring ich dich schönes Geschöpf auch noch zum Weinen, ich Untier!“ Ich atme tief durch um mein Atem wieder zu beruhigen. Ich habe zwar nicht die Weisheiten Buddhas studiert, aber das kriege ich gerade so noch hin. „Hör auf das dauernd zu sagen.“, gebe ich kleinlaut von mir. Befangen wende ich meinen Blick von ihm ab, denn große verwirrte Augen treffen auf meine, denen ich nicht stand halten kann. „Was genau meinst du? Du willst das ich aufhöre dich schön zu nennen?“, tastet er sich mit verblüfft kippender Stimme an meine bitte heran. Ich nicke bestätigend. „Niemals.“, sagt er stur. „Ich werde es dir immer wieder sagen, auch wenn es dir zu den Ohren raus hängt. So lange bis du es endlich Kapierst.“ Er liegt bäuchlings auf mir und nimmt mein Gesicht in beide Hände. „Du bist unglaublich schön Misaki! Wenn du einen Raum betrittst nimmt deine gesamte Pressens in komplett ein. Du bist schön von innen und außen.“ Er löst die kläglichen Reste meines Zopfes und lässt seine Hände in meinen Haaren versinken. „Du magst dich vielleicht nicht, weil du für deine Maßstäbe nicht männlich genug aussiehst, aber für dein eher feminines äußeres gibt es genug Liebhaber. Ich würde nichts an dir ändern wollen. Deine dicke sonnen gebleichte Mähne ist super weich.“ Demostativ krault er liebevoll durch mein Haar. „Du hast unglaublich schöne graue übertrieben große glänzende Augen, die von langen Wimpern umrahmt werden, wie ein edles Gemälde, wie sie es eben sind. Deine weichen Gesichtszüge die dich so liebevoll aussehen lassen, wie du nun mal wirklich bist. Deine vollen sinnlichen Lippen, die zum küssen einladen.“ Beim betrachten meiner Lippen kaut er auf seiner, bevor er eine Hand aus meinem Haar löst und sie langsam meine Wange herunter streichen lässt. „Deine wahnsinnig sexy Karamell Haut, wobei mich immer noch interessiert, ob sie überall so braun ist.“, zwinkert er mir breit grinsend zu. „Du bist purer Sex auf zwei Beinen Misaki. Ich fasse es einfach nicht, dass du immer noch Jungfrau bist. Du hast ein zerstörtes Selbstbewusstsein, nur weil so ein Arschloch meint deine Liebe mit Füßen treten zu dürfen. Ich könnte mich heute noch darüber aufregen.“, knurrt er. „Das ist nicht seine Schuld.“, wende ich kleinlaut ein. „Doch Misaki! Verteidige ihn nicht auch noch. Er war der schlimmste von allen. Wage es bloß nicht ihn in Schutz zu nehmen, nur weil du ihn geliebt hast.“, bellt er mich an, wie ein großer Wachhund, als ob er damit alle bösen Gedanken vertreiben könnte. Es dauert einen Moment, bis er seinen Griff in meinen Haaren lockert und beginnt sie aufs neue zu kraulen. Es scheint eine beruhigende Wirkung auf ihn zu haben. Ein klangvoller Seufzer entweicht ihm, bevor auch seine Gesichtszüge wieder an Sanftmut gewinnen. „Tut mir leid. Ich weiß, dass ist ein sensibles Thema für dich. Aber keine Angst, wir finden einen Partner für dich, der deiner würdig ist und dann vergisst du den Mistkerl ganz schnell. Wie wäre es wenn du mich Wochenende regelmäßig in Ni-chóme besuchen kommst? Dann gehen wir auf die Jagd. Irgendwo muss der schwule Mr. Perfekt ja sein.“, sein Enthusiasmus kehrt nun auch zurück, der leider eine ansteckende Wirkung aufweist und auch mein lächeln zurück holt. „Oder ich komm zu dir an die Schule und lass mein Schwulenradar auf schnuppertour gehen.“, grinst er breit. „Oh, bloß nicht!“, keuche ich erschrocken. „Was soll das denn heißen?“, spielt er beleidigt und zieht eine Grimasse. Wieder stürzt er sich auf mich und startet seine erbarmungslose Kitzelfolter aufs neue. Susu wird mich nicht los. Nachdem wir zusammen in seinem Zelt schliefen und bereits nach wenigen Stunden wieder aufwachten, verlass ich ihn nicht. Teils weil ich angst habe nach Hause zu gehen, nach dem was er mir erzählt hat. Teils weil er mir leid tut, gerade eben nach dem was er mir da gestern erzählt hat. Gut, meine Mutter wird wohl kaum die Hand gegen mich erheben, dennoch weiß mein Vater nichts davon. Oh Gott, mein Vater. Wie wird er reagieren? Sein einziger Sohn. Seine jetzige Hoffnung seinen Namen weiter zu führen zerplatzt. Würde er so reagieren wie Susus Vater? Ich traue es ihm nicht zu, aber die Reaktion meiner Mutter hat mich schließlich auch überrascht. Susu versucht jedenfalls mich davon zu überzeugen zur Schule zu gehen, oder wenigstens nach Hause. Je länger ich warte desto schlimmer wird es mir fallen, sagt er. Nein! Ich bleibe! Ich begleite ihn auf seinen täglichen Gang auf der suche nach Gelegenheiten. Egal ob Geld, Arbeit oder hin und wieder einen Flirt, mit für meinen Geschmack zu alten Typen. Am frühen Vormittag machen bereits wieder die ersten Läden in Ni-chóme auf und ich versuche mein Glück dabei uns ein Mittagessen zu organisieren. Im zweiten Geschäft funktioniert es, dank Susus erfahrener Anleitung. Ich merke schnell, dass sein Tagesablauf wahnsinnig kräftezehrend ist und das erste das ich vermisse sind Mums liebevoll gestaltete Bento Boxen, die ich jetzt gut vertragen könnte. Stattdessen begnügen wir uns mit einem Melonenbrötchen. Ich treffe ein paar von seinen bekannten. Allesamt schwul versteht sich. Dem einen sieht man es mehr an als dem anderen, aber Susu nimmt ja kein Blatt vor den Mund und klärt mich großzügig auf. Er lebt in einer ganz anderen Welt als ich. Ist zwar frei von allem, aber zu welchem Preis? Man sieht ihm an, dass es ihm nicht gut geht. Ist es das wert sein “Ich“ auszuleben? 'Versuch doch normal zu sein?', sagte meine Mutter. Die Erinnerung daran schmerzt, aber ich bin selbst schuld sie damit konfrontiert zu haben. Vielleicht war es für uns beide zu früh das anzusprechen. Abends blüht das Leben in den Straßen, trotz Mitte der Woche. Elektrizität erfüllt die Luft, die nur zur Nacht zu spüren ist und vibriert durch jeden Körper. Die Partymeute ist da. Will das leben spüren. Will frei sein. Will was erleben. An jeder Ecke sehe ich eng umschlungene Typen. Sehe aufgebrezelte Männer. Sehe Jungs wie mich die sehr feminin wirken. Überall überragen die Farben des Regenbogens. Als Fahne, als Kleidungsstück, sogar auf den riesigen Anzeigebildschirmen an den Wänden der Hochhäuser oder eben wie in Susus Fall seine Haare. Dieser erkennt aus der ferne wieder jemanden bekanntes und schmeißt sich in eine Gruppe von drei jungen Männern. Es scheint, als würde er hier wirklich jeden kennt. Er wird ständig gegrüßt oder in ein kurzes Gespräch gezogen. Auch sie begrüßen ihn freudig und winken mich auch dazu, nach dem er auf mich zeigte. „Schickes Outfit kleiner.“, bemerkt einer breit grinsend und lässt seinen Blick übertrieben auffällig an mir auf und ab wandern. Verlegen streiche ich meinen Rock zurecht. Warum musste ich auch Hals über Kopf losstürmen?! „Ja, danke. War auch nicht meine erste Wahl.“ „Kommt wir gehen einen trinken, die erste Runde geht auf mich Subaru.“, sagt einer der drei. Ehe ich mich versehe stehen wir in einer Tanzbar und ich habe einen übertrieben bunten, mit Früchten verzierten, Strohalm beladenen und Lametta besteckten Cocktail in der Hand. Ein wahres Kunstwerk und Zungenbrecher. “Babuschkas Chi Chi“, der wunderbar nach Ananas schmeckt. Sie versichern mir das da kein Alkohol drin ist, weil ich offiziell mit zwanzig noch nicht trinken darf. Und er schmeckt auch einfach nur quietsche süß. Da kann man sich dran gewöhnen. Das Licht ist schummrig, aber der Laden ist klein genug, dass man gerade so auf die andere Seite des Clubs sehen kann. Die Bar ist mitten drin und man kann sich von allen Seiten dran setzen, so das außenstehende sich erst mal einen Weg durch kämpfen müssen, was allerdings auch zur Kontaktknüpfung genutzt wird. Im hinteren Bereich der Bar führt ein Korridor zu den Toiletten, Personalräumen und einer Lounge. Susu hat mir verboten dort hin zu gehen, er meint mein Jungfräulichen Herz würde das nicht verkraften. Nach dieser Aussage ist die Neugier natürlich groß, aber ich schaffe es sie zu zügeln, denn ich habe auch von meiner Position als Mauerblümchen genug zu sehen. Wir sitzen in der nähe der Tanzfläche, die man nicht als solche erkennen kann. Sie ist vielleicht zwei mal zwei Meter groß, aber das stört niemanden, denn im ganzen Laden stehen und Tanzen sie. Ein Pärchen tanzt sehr lasziv miteinander, schon vom zusehen muss man sich fremdschämen. Die Musik ist so laut, dass jeder dem anderen ins Ohr brüllt und die Lichter der Tanzfläche funkeln und glimmern schnell in den unterschiedlichsten Farben. Es sind so viele Eindrücke die auf mich einprasseln, doch es ist einfach der Wahnsinn. Ich sehe belustigt zu, wie Susu wild in der Mitte der Tanzfläche zappelt und einfach nur unglaublich glücklich lacht. Immer wieder wird er angetanzt und fremde Körper reiben sich an seinem. Gelegentlich ein Kuss, der fast immer sehr intensiv ausartet. Dabei hält er sich zurück, wegen mir. Immer wieder schaut er zu mir und lächelt mir entschuldigend zu. Ich amüsiere mich auf meine Weise. Mir genügt das zusehen. Gesellschaft habe ich auch. Einer der Bekannten von Susu blieb bei mir und verfolgt ebenfalls angetan das treiben der Masse. Ich verstehe nur die Hälfte von dem was er versucht mir zu zubrüllen, aber ich lächle und nicke einfach freundlich. Ist vielleicht auch besser so, ich muss nicht noch einen Kommentar von ihm zu meinem Outfit ertragen. Aber er ist so freundlich und versorgt mich mit weiteren Drinks. Einer bunter und beladener als der andere, in verschiedenen süßen Geschmacksrichtungen. Ich versichere ihm, mich zu revanchieren, weil ich momentan kein Geld dabei habe. Ich denke ich habe mittlerweile jede Farbe des Regenbogens durch, jetzt fehlt nur noch das Einhorn oder? Wenn ich mich so umsehe, haben ziemlich viele hier ein dickes Horn, nur nicht auf der Stirn. So viele enge Hosen sieht man nicht mal im Bekleidungsgeschäft. Die Atmosphäre ist erregend. In manch dunklen Ecken erkennt man zwei aufgeheizte Männer die weit mehr tun als nur Küssen. Immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich meine Finger in diesen verfluchten Rock grabe. „Hey!“, ruft mir mein Geselle zu. „Wie wäre es wenn wir mal frische Luft tanken?“ Ich nicke ihm zu und schaue nach Susu, um ihm bescheid zu sagen, aber sehe ihn nicht. Ich zögere, er wäre unklug zu gehen ohne was zu sagen, doch ich lasse mich mitreißen. Beim aufstehen verliere ich jedoch das Gleichgewicht und falle prompt auf meinen Barhocker zurück. Ich merke, dass seine Arme mich stützend aufrecht halten, vielleicht hätte mein Po sonst noch unsanft Bekanntschaft mit dem Boden gemacht. Susus Theorie könnte sich dann doch noch erfüllen, dass ich auf einen Penis falle. Wie war noch mal sein Name? Er hat ihn zwar gesagt, aber ich habe ihn mir auf die schnelle nicht gemerkt. Er schlingt meinen Arm um seine Schultern und wir gehen ins freie. Mir ist total schwindelig, aber die frische Luft tut gut. Ich weiß gar nicht warum es mir so schlecht geht, die Drinks waren doch Alkoholfrei. Viellicht ist es ja ein Zusammenspiel vom Schlafmangel, meinen momentanen Problemen und der schlechten Luft im Club. Der Gedanke an Club lässt mich kichern. Wenn ich eine solche Bar eröffnen sollte nenne ich sie 'Dachhockerclubfreunde'. „Was lachst du denn?“, lächelt er mich an. Verdammt, wie heißt er noch? Ach, ich nenne ihn einfach Mr. X, dass klappt schon. „Ich musste nur gerade an was lustiges denken.“, schmunzle ich vor mich hin. Ich lehne mich an die Mauer des Clubs und schließe meine Augen, während ich die kühle Luft tief in mir aufnehme. Schnell merke ich, dass das eine schlechte Idee war. Die Welt dreht sich plötzlich schneller, sobald die Augen geschlossen sind. Mir wird entsetzlich schlecht. Mein Magen tanzt in mir auf und ab im schönsten Tango. Als würde es nicht schon reichen, dass mein Kopf meint, er müsse Kreuzfahrt bei hohen Wellengang spielen. Mr. X steht dicht vor mir und stützt mich, wenn er das nicht tun würde, würde ich sicher umkippen. „Du gehst nicht oft weg oder?“, fragt er mich. „Früher war ich oft hier. Aber ich hab mir ein Jahr Auszeit genommen. Von früher kenne ich Susu.“, lalle ich. „Seit ihr ein Paar?“, fragt er interessiert. Ich lache. „Oh nein! Er ist wie ein großer Bruder für mich. Was schön ist, ich hab nur Schwestern. Eine große und eine kl-“ Ich stocke. Oh nein! Mir wird immer schlechter. Ich habe mühe meinen Mageninhalt bei mir zu behalten. Bloß keine falsche Bewegung! „Dir geht es ziemlich schlecht oder? Ich kann dich gern mit zu mir nehmen. Ich habe eine große bequeme Couch.“ Seine Finger gleiten durch mein Haar und halten ein paar Haarspitzen fest. „Ich werde mich gut um dich kümmern.“ Warnend, in einem kräftigen rot, leuchtet meine innere Alarmleuchte auf. Ihr aufblitzen erkenne ich selbst durch meinen Schleier des Schwindels und Übelkeit hindurch. Plötzlich lässt er mein Haar los und weicht etwas zurück, die stützende Hand nicht von mir lassend. „Ah, Subaru!“, stimmt er freudig überzeugend an. Susu kommt zu uns und sieht mich besorgt an. „Hey Misaki. Ich hab dich gesucht. Du siehst ja schrecklich aus.“ „Dabei wolltest du mir doch immer wieder sagen, dass ich schön bin.“, kicher ich wieder. Susu haut Mr. X auf den Hinterkopf. „Du Arsch! Warum hast du ihn so abgefüllt?!“ Er kaut sich auf der Unterlippe und seine Augen wandern hektisch hin und her. „Was mach ich denn jetzt mit dir? So kann ich dich nicht nach Hause bringen.“ „Den kriegen wir schon wieder nüchtern. Hol ihm mal ein Glas Wasser. Ich hab ihn im Griff, dass er nicht umfällt.“, lächelt Mr. X, der böse doppel Agent. Wieder muss ich kichern. Susu haut ihn darauf erneut. „Benimm dich! Ich bin sofort wieder da.“, er straft ihn mit einem finsteren Blick und erhobenen Finger, bevor er schnell rein rennt. „Sehr schade.“, seufzt er. „Dein Anstandswauwau hat die Witterung aufgenommen. Dann wirst du dich ein anderes Mal revanchieren müssen. Aber auch diesen kurzen Moment können wir nutzen.“ Er kommt mir wieder deutlich zu nahe und auch wenn er lächelt jagt er mir angst ein. Es sieht so bedrohlich aus. So fordernd. So gierig. Als ob er sich etwas nehmen will, dass ich nicht bereit bin herzugeben. Seine Lippen legen sich auf meinen Hals und seine Zähne beißen vorsichtig in mein Fleisch. Ein kalter Schauer schüttelt mich. „Nein. Du bist nicht mein Einhorn.“, lalle ich schwach. „Meine Güte, du verträgst ja gar nichts.“, lacht er in meinen Nacken. Ein bitterer Geruch kriecht mir in die Nase der vom ihm ausgeht und wieder kämpfe ich mit mir und meinem Magen. Bis auch noch seine Hand forschend die Innenseite meines Oberschenkels ertastet und sie zu empfindlichen Teilen wandern lässt. „Mal sehen, ob du auch ein echter Junge bist.“ „Nein!“, sage ich deutlich bestimmender und greife nach seiner Hand. „Nein, ich will das nicht!“ Ein seltsames dumpfes Geräusch erklingt und ich sehe den doppel Agenten wie in Zeitlupe zu Boden gehen. Ein harter rechter Harken hat ihn genau aufs Kinn erwischt, noch bevor sein Kuss mich erreichen konnte. Ich verliere meinen stützenden Halt und mein Gleichgewicht, doch zwei starke Hände fangen mich auf. Ungläubig schaue ich hinauf. Eine Hand gehört Haruno, die andere Shiba, der jedoch seine rechte Hand mit schmerzverzerrtem Gesicht schüttelt. „Was macht ihr denn hie-“, und beim 'hier' war es soweit. Die Drinks kommen wieder aus mir raus, gefolgt von unschönen lauten. Geistesgegenwärtig schnappt sich das Igelchen meine Haare und hält sie aus der Schusslinie. Sanft streichelt er über meinen Rücken, selbst als ich nach ein paar weiteren Ausbrüchen wieder aufhöre. Der Panther fährt erneut seine Krallen aus, als Mr. X es wagt sich zu erheben. Sie reden in einem scharfen Ton miteinander, aber ich höre es nur dröhnen in meinem Kopf. Meine Augen werden schwer und nur beiläufig bekomme ich mit das Susu dazu kommt. Was für ein Chaos. Ich habe es total verbockt. Wie soll ich ihnen jetzt noch in die Augen sehen können? Ende von Teil 7 Kapitel 8: Teil 8- Tiger statt Kater ------------------------------------ Pretty Boy Teil 8– Tiger statt Kater Ich liege auf einer Wiese und fahre meine Hände über das satte grün, dass angenehm meine Handflächen kitzelt. Die Andeutung eines Lächelns liegt auf meinen Lippen, als ich über ein Gänseblümchen streiche. Ein Ort der Ruhe und Entspannung. Die Luft ist klar und wohltuend. Tief nehme ich sie in mir auf. Die Sonne scheint warm auf mich herunter und versucht mein innerstes zu erhellen, dass sich hinter dichten Nebeln zu verstecken versucht. Wolken ziehen vorbei in Form von männlichen Genitalien. Ungläubig reibe ich mir die Augen. Doch sie sind immer noch da. Nicht einer oder zwei, nein der ganze Himmel ist voll von ihnen. Ich kicher wie ein unreifes Kind bei diesem Anblick. Dumpfes gestampfe ist von weiten zu hören, dass näher zu scheinen kommt. Ein Geräusch das ich zuvor noch nie hörte. Ich erhebe mich und halte Ausschau nach dem Ursprung. In der Ferne sehe ich zwei helle Gestalten auf mich zu kommen. Je näher sie kommen, desto mehr erkenne ich was da schnellen Schrittes auf mich zu kommt. Zwei Gestalten reiten auf strahlend weißen Pferden auf mich zu. Sie bewegen sich schnell. Kurz vor mir erkenne ich sie wieder. Haruno und Shiba in glänzender heller Rüstung, wie strahlende Ritter auf dem Weg die holde Prinzessin zu retten und sie sitzen nicht auf Pferden, sondern auf Einhörnern. Was zum Teufel ist hier los? Sie reiten in einen dunklen Wald weiter, ohne bei mir halt zu machen. „Wartet!“, rufe ich hilfesuchend hinter ihnen her. Plötzlich ertönt Musik hinter mir und eine ganze Parade im Christopher Street Day Style erscheint, nur das jeder Teilnehmer aussieht wie Susu. Jeder sieht anders aus, aber es ist und bleibt der Susu den ich kenne und lieb habe. Susu in Lack und Leder. Susu in Krankenschwester Outfit. Susu als übertrieben geschminkte Transe, was ihm ausgesprochen gut steht. Susu als Amor. Und viele viele mehr. Sie feuern mich an. Wollen das ich ihnen folge. Mut schöpfend nicke ich und renne ihnen nach. Der finstere Wald kommt schritt für schritt näher und ehe ich mich versehe umringt er mich. Von Finsternis verhüllt taste ich mich durch den Wald weiter voran, suche die hellen Gestalten die hier drin verschwanden. Nur Schemenhaft erkenne ich meine Umgebung und komme nur schleppend voran. Das knacken eines Astes in der Ferne lässt mich hellhörig werden. Ich folge dem Geräusch und finde mich auf einer Lichtung wieder. Der Himmel ist verschwunden über den Kronen der Bäume die sich in der Mitte der Lichtung vereinigen und das Licht nicht hindurch lassen. Wieder höre ich ein Geräusch, kann es aber nicht Orten. Ich sehe mich um und erschrecke fürchterlich bei dem Anblick der sich mir bietet. Am Rande der Lichtung rings herum stehen Schatten. Ihre Form gleicht denen von Menschen. Sie flüstern leise. Sie sind überall, werden immer mehr und sie kommen auf mich zu. Ein dämonischer Eindruck festigt sich in mir und löst bekannte Gefühle in mir aus, die ich nur zu gern vergessen hätte. Hektisch suche ich einen Fluchtweg. Sie kommen. „Hässliche Transe!“, höre ich. „Schwuchtel!“, sagen sie. „Nein.“, keuche ich stumm. Mein Herz schlägt wild. Ich drehe mich hilfesuchend um mich selbst, aber überall sind diese Schatten mit ihren fiesen Fratzen. Sie zeigen mit dem Finger auf mich und ihr anfängliches flüstern wird zum schreien. „Du bist keiner von uns!“ „Abschaum!“ „Geh sterben!“ Ich sinke auf meine Knie. Mache mich klein. Halte mir die Ohren zu. „Nein.“, jammere ich. „Nein nein nein nein. Nicht schon wieder.“ Tränen laufen meine Wangen hinunter. Sie umzingeln mich. Rütteln an mir. „Du hättest sein Ende verdient!“, schreien sie alle auf mich ein, bis plötzlich die Baumkronen aufbrechen und die herein dringende Helligkeit sie alle verjagt. Ich zittere am ganzen Leib. Die Finger tief in mein Fleisch gegraben. „Nein...“, hallt es noch in mir nach. Verängstigt hebe ich langsam und vorsichtig meinen Blick. Ein hellstrahlender Regenbogen erstreckt sich zu meinen Füßen. Zitterig berühre ich ihn und werde sogleich hoch in den Himmel gezogen. Rasend schnell, dass es mir die Luft abschnürt. Immer höher, bis ich über den Wolken auf einer von ihnen Lande. Wieder zu Luft kommend sauge ich sie gierig in mich ein. Angstvoll und auf allen Vieren blicke ich hinab. Eine dunkle Welt erstreckt sich unter mir, in der nur ein kleiner heller Fleck existiert. In der Susu sicherlich immer noch mit sich selbst Party macht und es ordentlich krachen lässt. Vorsichtig erhebe ich mich und sehe mich mit klapprigen Beinen um. Auf einem getürmten Haufen aus Wolken sehe ich einen gigantischen goldenen Thron in Form eines übertrieben beladenen Herzens der mit rotem Samtstoff gepolstert ist. Als ich sehe wer darauf Platz nimmt, bleibt mir die Luft weg. Mit weit aufgerissenen Augen starre ich ihn völlig entgeistert an. „Das kann nicht sein.“, keuche ich überrumpelt. „Akira?!“ Er nickt mir wissend zu und ich schrecke fürchterlich auf. Mein Herz schlägt wie wild. Selbst in meinen Ohren höre ich es laut rauschen. „...Akira.“, keuche ich leise. „Guten Morgen Dornröschen.“, höre ich eine mir vertraute Stimme. Immer noch benommen von diesem Traum, oder viel mehr Albtraum, sehe ich mich allmählich um. Ich habe mühe meine Augen offen zu halten. Immer wieder fallen sie mir zu. Noch nie waren sie so schwer. Undefinierbare laute dringen aus meiner Kehle beim Versuch mich aufzurichten. Ich fühle mich als wäre ich überfahren worden, vom Blitz getroffen, dann vom Dino zerkaut und nun das was am anderen Ende wieder raus kam. Mit schmerzverzerrtem Gesicht fasse ich mir mit beiden Händen an den Kopf. Soviel zu Alkoholfrei. Nie wieder fasse ich so was an! Warum existiert so etwas, wenn es einem nach dem Verzehr so unglaublich schlecht geht? Welcher Sadist hat sich das ausgedacht? Stellt ihn an den Pranger und schickt Mr. X zu ihm! Als ich meine Augen wieder öffne, hält er mir ein Glas Wasser und zwei Tabletten hin. Dankend nehme ich sie ihm ab und schlucke sie schnell herunter. „Tut mir leid für die Umstände.“, sage ich gequält und lasse meinen Blick gesenkt. Ich schaffe es nicht ihm in die Augen zu sehen. Ich habe angst vor dem was ich in ihnen sehen werde. Abscheu? Ekel? Sogar Hass? Das muss ich nicht sehen. Das empfinde ich schon selbst über mich. „Ich werde euch selbstverständlich in Zukunft in ruhe lassen.“ Haruno nimmt mir das leere Glas wieder ab. „Ja, dass war scheiße von dir.“, sagt er scharf. „Aber schließ keine voreiligen Schlüsse, komm erst mal richtig zu dir und dann reden wir.“, wird er ruhiger. „Takeo wird auch gleich wieder da sein. Er holt dir Wechselkleidung von zu Hause.“ Ich sehe an mir herunter und stelle zu allem Übel fest, dass ich nur ein übergroßes weißes Knopfhemd trage das Shiba gehören muss. Selbst für Haruno wäre es zu groß. „Ähm... wo ist meine Uniform?“, frage ich nervös. „Bei Katsuragi-san unserer Nachbarin. Sie ist so freundlich und wäscht sie. Du hast die ganz schön voll gekotzt.“, antwortet er mir beiläufig während er auf seinem Handy tippt. „Oh.“, gebe ich nur knapp von mir und presse die Lippen aufeinander. Sie wissen es. Zitterig grabe ich meine Finger in die Bettdecke. Sie wissen es. Meine Augen brennen als sie sich füllen. Sie wissen es. Ein leiser Schluchzer kommt über meine Lippen, den ich vergebens zu unterdrücken versuchte. Sie wissen es. „Hey, Hey, Hey!“, stößt er überrascht aus und kommt zu mir. Neben mir kniend nimmt er mich kommentarlos in den Arm. Erschrocken zucke ich zusammen. „Was?“, keuche ich überfordert. „Egal ob Prinzessin oder Prinz, ich kann niemanden weinen sehen. Jetzt sind Takeo und ich wenigstens wieder gleich auf.“, grinst er mir belustigt zu, bei der Erinnerung das Shiba mich zuletzt in den Arm nahm als mir die Tränen kamen. Sanft drückt er mich an sich, dass mein Kopf auf seiner Brust ruht. Ich höre sein Herz. Kräftig schlägt es. Kräftig und ruhig. Langsam schließe ich die Augen und lausche ihm. Ich höre auch meins, dass viel schneller schlägt. Ein müdes lächeln huscht über meine Lippen. Wir sitzen einfach nur da und er hält mich, sanft und vorsichtig wie ein rohes Ei. Träume ich immer noch? Das kann doch unmöglich echt sein. Ich mach so eine Scheiße und er tröstet mich wie ein kleines Kind? Das hab ich nicht verdient. Einen zeternden Drachen zu dem meine Mutter im Ernstfall mutieren kann ja, aber nicht das hier. Was kümmert sie das alles? Befangen reibe ich meine Nase an dem weichen Stoff seines T-Shirts. Er riecht frisch geduscht. Ich sicherlich immer noch nach Kotze, Kneipe und vielleicht sogar ein wenig nach Susu, nachdem wir uns in dieses enge Zelt gequetscht haben. Nach einer weile höre ich unsere Herzen die sich ein Takt teilen. Aber nicht sein ruhiges Tempo, sondern meins. Vorsichtig wage ich einen Blick hinauf und entdecke den Anflug von einem roten Schatten um seine Nase. Und schon schlagen sie nicht mehr gleich. Genauer gesagt explodiert meins gleich bei diesem hoffnungsschnürenden Anblick. Ok, ok! Noch mehr Verwirrungen kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. „Ähm, ist das hier eure WG?“, lenke ich ab. Er lächelt stolz und sieht sich um. „Ja. Takeo und ich wohnen seit fünf Monaten hier zu zweit.“ „Aber da wart ihr ja noch in der Mittelstufe und auch noch kurz vor den Abschlussprüfungen.“, wundere ich mich. „Wie habt ihr das bei euren Eltern durchbekommen?“ Er zuckt mit den Schultern und verzieht die Unterlippe. „Das möchte ich nicht ohne Takeos Einverständnis erzählen. Das wäre ihm sicher nicht recht.“ So kann man auch viel sagend nichts sagen. Aber ich traue mich auch nicht weiter zu fragen. Es scheint mir wie ein Wunder überhaupt hier sein zu dürfen. Ich fordere mein Glück lieber nicht heraus. Erneut lasse ich meinen Blick schweifen. Dieses mal fallen mir die Augen nicht ständig zu. Ich bin immer noch Todmüde, aber gefühlt viel zu nervös um je wieder schlafen zu können. Die Wohnung ist nur knapp größer als mein Zimmer zu Hause. Außer dem Badezimmer gibt es keine weiteren Räume. Die kleine Kochnische die aussieht als wäre sie seit Generationen in dieser Wohnung steht direkt neben dem Eingangsbereich. Gegenüber vom Eingang sind zwei Fenster unter dem die zwei Futons nebeneinander liegen, in dem ich gerade sitze. Ein sehr großer Couchtisch steht mitten im Raum, um denn zwei Sitzkissen liegen. In einer Ecke stehen immer noch Kartons, wahrscheinlich weil es hier vorn und hinten an Stauraum mangelt. Das einzige Regal neben dem Wandschrank ist voll von Büchern, Mangas, DVD´s, CD´s und Videospielen. Neben dem Regal steht auf einer kleinen TV-Bank der Fernseher und eine Play Station vier gleich dazu. Fotos wie bei mir sehe ich keine. Und für einen Männerhaushalt ist es hier ungewöhnlich sauber und ordentlich. Klar liegt hier und da was herum, aber ich würde in meiner eigenen Wohnung verloren gehen und Bergsteiger mit Rettungshunden graben dann nach mir. Ich bin zu verwöhnt, meine Mutter macht alles, dass ist jetzt keine Beschwerde, ich finde es toll, nur werde ich mich auch an andere Verhältnisse gewöhnen müssen wenn ich nicht mehr willkommen bin zu Hause. Ich werde dann wohl mein Zelt neben Susus aufschlagen müssen. Plötzlich ertönt das Opening zu Pokemon und mein inneres Kind dreht sein Cap um und grölt mit. Das große Kind neben mir summt jedoch wirklich mit. Sein Blick aufs Display lässt ihn schmunzeln und er wirft mir noch einen vieldeutigen Blick zu bevor er ran geht. „Hallo, hier bei Ren Haruno.“, meldet er sich förmlich. Der Anrufer spricht so laut, dass Haruno den Hörer immer wieder etwas vom Ohr weg halten muss. Ich möchte nicht lauschen und für mich wird es sowieso höchste Zeit im Bad zu verschwinden, Mutter Natur ruft. Doch Haruno hält mich in der Bewegung auf, in dem er seinen Griff um meine Schultern festigt. „Nein, keine Sorge. Wir haben ihm kein Haar gekrümmt.“ Er lacht. „Was denn, soll ich dir ein Foto mit der heutigen Tageszeitung schicken?“ Fragend mustern ihn meine Augen. Mit wem redet er denn da? Mit meiner Familie? Aber Shiba ist doch bei ihnen und wird sicher sagen das alles Okay ist. Amüsiert schüttelt das Teenie Model seinen Kopf und reicht mir sein Handy. Das Display leuchtet auf bei der Bewegung und mein Blick fällt sofort auf den Namen. Eilig nehme ich es ihm ab. „Susu?“, frage ich verblüfft. „Nu du kleine Schnapsdrossel?! Geht es dir gut, außer dem Kater versteht sich?“ Er klingt unfairerweise wie das blühende Leben, während ich, na ja, wir erinnern uns an die bildliche Darstellung der Dino Hinterlassenschaften. „Kater?! Du meinst den riesen Tiger der auf meinem Kopf herum kaut wie auf einem Kaugummi?! Ja, mir geht es gut.“ Ein wenig verlegen sehe ich zu Haruno, der mich sofort wieder mit seinem perfekten Zeitschriftenlächeln anstrahlt. Dank ihnen geht es mir gut. Wer weiß wie weit Mr. X der böse Doppelagent sonst noch gegangen wäre. Ich möchte nicht wie ein kleines Mädchen klingen, dass scheinbar tief in mir lauert, aber meinen ersten Kuss will ich ganz bestimmt nicht an so einen X-beliebigen verschenken. Auch wenn dieser Tag noch weit in der Zukunft liegen mag und ich quasi auf glühenden Eiern, äh Kohlen sitze. Susu atmet erleichtert auf. „Zum Glück. Es tut mir so leid was passiert ist. Ich hätte besser auf dich aufpassen sollen. Ich hab die Situation einfach unterschätzt. Und dann lass ich dich auch noch mit den Zweien mit gehen. Ich hatte bedenken, aber du wolltest es so. Dein Igelchen und Pantherchen kannst du das nächste mal aber gerne mitbringen. Dann kommt dir keiner mehr zu nahe.“ Mir rutscht das Blut in den Keller. „WAS?! Woher kennst du diese Spitznahmen?“, keuche ich erschrocken. „Na von dir. Weißt du das nicht mehr? Du redet viel lustiges Zeug wenn du betrunken bist.“, lacht er laut in den Hörer. Das Blut kommt heiß zurück geschossen und lässt mich knallrot anlaufen. Meine Kopfhaut prickelt unangenehm. „Verdammt nein! Ich kann mich an nichts erinnern! Was hab ich denn bloß alles erzählt?“, quieke ich hysterisch wie meine kleine Schwester wenn ich einfach ins Bad komme. Wenn ich es genauer bedenke, seit dem Moment ihres Auftauchens weiß ich nichts mehr. Was habe ich nur alles erzählt? Wie haben sie mich hier her bekommen? Und wie verdammt noch mal bin ich in dieses Hemd gekommen? Haben sie es mir etwa angezogen? Noch bevor er mir Antworten konnte, entreißt mir besagtes Igelchen das Handy aus der Hand. „Nein, nein, nein! Ich bin noch nicht fertig!“, japse ich schnell und greife nach dem Ding, dass mir wie der Heilige Gral vorkommt. So hoch er kann hält er es und lacht mich aus. „Misaki warte, nicht so hektisch.“ Ich bekomme sein Handgelenk zu packen und sehe das die Verbindung noch steht. „Susu, leg nicht auf.“, rufe ich. Er packt meine Hüften und wir verlieren unseren Halt. Mit einem Rums liegen wir auf dem mit Laminat ausgelegten Boden, der auch schon bessere Tage gesehen hat. Er auf diesem und ich auf ihm. Mir stockt der Atem für einen Moment und ich schrecke hoch. Auf meine Ellenbogen gestützt starre ich ihn an. „T... Tut mir leid! Hast du dir weh getan?“, stottre ich nervös. Seine Hand löst er jedoch nicht von meiner Hüfte, als er sich den Hinterkopf reibt. Sein Handy liegt unbewacht auf dem Boden, aber Susu muss warten. „Zeig mal her.“, fordere ich ehrlich besorgt und lasse eine Hand behutsam durch sein Haar gleiten. „Misaki...“, haucht er kaum hörbar. „Das ist eine deutlich unkluge Situation.“ Sanft ruhen seine Augen auf mir. Das allein reicht um mein Herz bis zum Hals schlagen zu lassen. Sein perfektes Zahnpasterlächeln kommt zum Vorschein und er löst seine Hand aus seinem Haar, die er zögerlich auf meine Wange positioniert. „Haruno, ich-“, er legt seinen Daumen über meine Lippen und ich schlucke jedes weitere Wort hart herunter. „Ren. Nenn mich endlich Ren.“, bietet er mir ruhig an. Ich nicke kaum merkbar. Wild zucken meine Nervenenden. Ich kann kaum atmen, die wärme die von ihm zu mir rüber strömt schnürt mir die Luft ab. Langsam fährt sein Daumen meine Lippen nach, diese Bewegung macht mich fast wahnsinnig und in südlicheren Gefilden beginnt es angenehm zu ziehen. Mein Mund öffnet sich wie automatisch ein Stück und ich glaube ihn zu schmecken. Ich höre ihn die Luft scharf einziehen. „Misaki.“, keucht er atemlos. „Wärst du doch nur wirklich eine Frau.“ Schmerzhaft zieht sich meine Brust zusammen. Da kann nicht mal der Tiger in meinem Kopf mithalten. „Soll ich später wieder kommen?“, ruft jemand aus dem Flur und wirft mit einem lauten Knall die Tür zu. Haruno lächelt verlegen und schiebt mich behutsam von sich. „Wir haben nur herum gealbert.“, räuspert er sich und steht auf. „Das hat ganz schön lange gedauert, wollten sie dich gleich da behalten?“ Der Panther knurrt kurz. „Ich musste warten bis Watanabe-san fertig war. Sie hat Frühstück für uns alle eingepackt.“ Ich fühle mich wie in einer starre, unfähig mich zu rühren, unfähig zu reagieren, auch als eine Tüte vor mir auf den Boden landet. 'Wärst du doch nur wirklich eine Frau'? Das hat ganz schön gesessen. Ja. Alles wäre leichter wenn es so wäre. Aber so ist es nicht, so wird es nie sein. Wie konnte ich auch nur auf dieser dummen Hoffnung bauen einem von ihnen würde wirklich was an mir liegen. So viel Glück steht mir nicht zu. Freunde? Okay,... aber dann hört auf mit dieser scheiß Doppeldeutigkeit. Das kommt doch sicher nicht nur mir so vor als würde es ständig zwischen uns knistern, oder? Ich brauche eine objektive Meinung! Wer könnte dafür in frage kommen? Ich schrecke fürchterlich zusammen als Shiba vor meiner Nase die Hände zusammen klatscht. „Hör auf zu träumen, geh duschen und zieh dir was an.“, sagt er streng. „Es wird Zeit das wir reden, also beeil dich.“ Ich komme mir vor wie ein kleines Kind, dass in die Keksdose gefasst hat. Jetzt blüht mir auch noch eine Standpauke vom Papa in Spe. Eins der Dinge auf die ich jetzt am wenigsten Lust habe. Er wirkt auch deutlich angefressener als Haruno. Muss ich mich jetzt auf eine Runde guter Cop-böser Cop gefasst machen? Mir steht ein Anruf zu. Ich will meinen Anwalt Herr Susu. Auf wackeligen Beinen erhebe ich mich und merke in der Bewegung, dass ich nur das Hemd an habe. Nur das Hemd. Der Stoff reibt empfindlich auf meiner nackten Haut. Bitte sag mir einer, dass ich mich selber umgezogen habe! Verunsichert sehe ich zu den beiden, die damit beschäftigt sind in der schäbigen Küche das Essen her zu richten. Ich hebe schnell die Tüte auf und merke wie der Stoff rutscht. Mit einer Hand ziehe ich das Hemd so weit ich kann herunter und wackle unsicher in Richtung Badezimmer. Ich greife nach der Türklinke und zöger kurz. „Ähm... Danke, wollte ich noch sagen.“, gebe ich kleinlaut zu und sehe noch mal verlegen zu den beiden, die beide verdächtig tief den Kopf schief legen. Purpurrot ergreife ich wieder das Hemd und verschwinde im Badezimmer. Ende von Teil 8 Kapitel 9: Teil 9- Zocker Barbie -------------------------------- Pretty Boy Teil 9- Zocker Barbie Immer wieder ertappe ich mich dabei über diese eine Stelle an meinem Hals zu streichen. Im Spiegel habe ich ihn entdeckt. Einen dunkel leuchtenden Knutschfleck genau dort wo der böse Doppelagent eine Leibesvisitation an meinem Hals mit seinem Mund durchführte. Verdammt, der wird eine Weile bleiben. Allerdings war das nicht das einzige unangenehme das ich im Spiegel entdeckt habe. Ich sehe, um es einfach aus zu drücken, total scheiße aus. Dicke Augenringe, zottelige Haare und irgendwie schwächlicher als sowieso schon. Mag am Schlafmangel liegen, oder meinem Hunger oder was auch immer, aber fest steht und das ohne zu übertreiben, ich sah schon mal deutlich besser aus. Die warme dusche tat verdammt gut und spülte vieles fort, den Geruch zum Beispiel, aber leider nicht meine Probleme die auf der anderen Seite der Tür auf mich warten. Irgendwann bringe ich den Mut auf wieder in das Zimmer zu treten, nach dem ich nun doch ziemlich lange unter der Dusche brauchte. Sie sitzen am Couchtisch und unterbrechen ihre Unterhaltung als ich aus dem Badezimmer komme, dass wie der Rest der Wohnung klein, schäbig und fremd ist. Das Essen steht auf dem Tisch und eine der Bettdecken wurde provisorisch als Sitzkissen für mich zusammen gefaltet. Mir kommen diese billig produzierten Gerichtsshows vom Fernsehen in den Sinn, dass hier ist noch mal eine Spur ärmer und ich habe nicht mal meinen Pseudo-Anwalt hinzu ziehen können. Nervös zupfe ich an meinen Klamotten und streiche mir mein nasses Haar zurück. Man soll doch ordentlich vors Gericht treten. Um ehrlich zu sein, würde ich mich jetzt sogar in der verfluchten Schuluniform wohler fühlen. Auch wenn es absurd klingt, aber sie hat mich geerdigt und mir immer in Erinnerung gerufen auf zu passen. Jetzt trage ich lediglich meine Jeans-Shorts und ein altes T-Shirt vom Freizeitpark in der nähe, in dem ich mit meiner Familie war vor einigen Jahren. Das es noch passt spricht mal wieder dafür, dass ich nach meiner Mutter komme. Sie ist nur knapp kleiner als ich, während mein Vater mindestens einen Kopf größer ist. Ich ergebe mich meinem Schicksal und setze mich zu ihnen. Haruno rechts von mir. Shiba links von mir. Und mein Rückkrad am anderen Ende der Welt. Betretenes schweigen füllt den Raum. Gewissermaßen, denn ich höre quasi Shibas Blut kochen. „Deine Mutter ist eine tolle Köchin.“, versucht Haruno die Stimmung zu lockern und beginnt als erstes sich an den Köstlichkeiten zu bedienen. „Möchtest du einen Kaffee?“, fragt er mit vollem Mund. Schlechte Manieren wie eh und je. Ich schüttle lediglich den Kopf auf seine Frage und klemme mir das 'Iiihe Schwein' was meine kleine Schwester sonst mir immer an den Kopf wirft. Ich habe wahnsinnigen Hunger, aber gleichzeitig ist mir auch fürchterlich schlecht. Doch bei dem Anblick fängt mein Magen unglaublich laut an zu knurren. Peinlich berührt sinke ich noch ein ganzes Stück mehr in mich zusammen. Das einzige was ich die letzten vierundzwanzig Stunden gegessen habe war ein Melonenbrötchen und das Obst der Cocktails, von denen aber sicher nichts in mir blieb. Das Essen meiner Mutter hat nie besser ausgesehen. Eine bunte Mischung an Obst und Gemüse liebevoll zurecht geschnitten und drapiert. Kleine Herzkarotten. Paprika Schmetterlinge. Zucchini Frösche. Mit Lebensmittel gefärbter Reis in der Farbabfolge der Fahne die ich die letzten Tage an jeder Ecke gesehen habe. Als Friedensangebot hisst man doch die weiße, aber genau das soll es wohl sein. Ein Friedensangebot. Ein wenig peinlich, aber so ist meine Mum eben. Peinlich, klein, niedlich, aufdringlich, oft total verpeilt und scheinbar komme ich voll und ganz nach ihr. Ich würde gerade so gerne aufspringen und nach Hause rennen, um sie in den Arm zu nehmen. All meine Wut und der Ärger über sie sind wie weggeblasen, nach dem was ich gesehen und erlebt habe. Ich will nicht wie Susu leben müssen. Ich will keine fremden Hände auf meinem Körper spüren. Ich will, dass das klappt. Ich will, dass Mum mich so akzeptiert wie ich bin. Will zurück in mein idyllisches Familienleben, in das pinke Albtraum Haus und den Häkeldeckchen und den Häschen Gardinen. Ich will nicht mehr wegrennen. Ich lasse meinen Blick schweifen über das üppige Angebot und bleibe stutzig an Shibas rechter Hand hängen, die auf dem Tisch ruht. Autsch! Sie ist sichtbar geschwollen und auf drei der Knöchel seines Handrückens hat sich eine Blutkruste gebildet. Stimmt ja. Jetzt fällt es mir wieder ein. Verdammt, wie sieht dann erst Mr. X aus? „Shiba, deine Hand!“, entrüste ich mich. Er brummt nur kurz auf und rührt seinen Kaffee mit der linken Hand. Ich weiß ja, dass er kein Mann vieler Worte ist, aber das ist grotesk. „Bist du wahnsinnig geworden? Du kannst doch nicht auf jemanden einschlagen. So etwas lässt sich auch anders lösen. Welcher Teufel hat dich da denn geritten?“ „Misaki!“, herrscht mich Haruno an, der mich sofort verstummen lässt. „Halt dich bitte zurück was das angeht. Die Anzeige gegen Takeo läuft schon. Wir regeln das.“ Mir steht der Mund offen. Ich weiß gerade gar nicht was ich sagen soll. Anzeige? Wann ist das denn passiert? „Sag uns lieber was dich geritten hat einfach abzuhauen? Deine Mutter ist fix und fertig.“, führt er fort. Okay, als erste Frage hätte ich eher erwartet: 'Warum läufst du als Mädchen herum?', oder so etwas wie: 'Bist du tatsächlich schwul?'. Aber das es ihr schlecht geht verstärkt meine Bauchschmerzen nur um so mehr. „Ich hatte Zoff mit ihr.“, nuschle ich verlegen mit gesenktem Blick. Er zieht die Augenbraue hoch. „Nur Zoff?“ „Ziemlich heftigen Zoff!“, gestikuliere ich wild mit den Händen. Wie auch immer Zoff gestikuliert wird, aber ich weiß einfach nicht wohin mit ihnen. Wenn ich sie nicht in Bewegung halte, merke ich wie ich wieder diesen Punkt an meinem Hals knete. Es ist mir so unglaublich peinlich, dass mir so etwas passieren konnte. Und der Zustand von Shibas Hand macht es nur schlimmer. „Egal was war, wir bringen dich nachher nach Hause und ihr klärt das. Sobald deine Mutter anruft gehen wir los.“ Warum ist er nur so schrecklich vernünftig?! Das traut man ihm überhaupt nicht zu wenn man ihn nur in der Schule begegnet. Da ist er einfach der unerreichbare Frauenheld, der alles auf die leichte Schulter nimmt und jetzt wo es ernst wird ist er so wahnsinnig erwachsen, dabei sind sie jünger als ich. Neben ihm bin ich wirklich dieses verdammte unreife Mädchen, dass in mir zu schlummern scheint. Ich pule nervös an einem kleinen Maiskolben. Ich habe noch nichts runter bekommen. Mein Magen rebelliert. Irgendetwas ist noch seltsam. Warum fragen sie meine erwarteten Fragen nicht? Wundert sie das gar nicht? Wer ist denn bitte so übertolerant? „Woher wusstet ihr wo ihr mich suchen müsst?“, frage ich schließlich misstrauisch. Es kam nur schwer aus meinem Mund und meine Stimme kippte hörbar, aber irgendwas ist faul. Wieder Antwortet mir Haruno. „Wussten wir nicht. Vorher waren wir schon in der Schule, Polizei, Krankenhäuser, Bahnhöfe und im Park, während deine große Schwester die Telefonkette startete. Sie meinte, dass es nicht das erste mal ist das du abgehauen bist.“ Er isst weiter, aber die Antwort stellt mich nicht zufrieden. Es kann ja nicht von ungefähr kommen, dass sie mich im Schwulenviertel suchen. Ich atme tief durch. Konzentriere mich auf meine Stimme, um nicht völlig zu verkacken. „Wusstet ihr, dass ich kein Mädchen bin?“ Unsere Blicke kreuzen sich und er stoppt, als er sich gerade eine panierte Garnele zu Leibe führen will. Er sieht aus als hätte ihn gerade einer einen Eiswürfel in den Nacken geworfen. „Ja.“, höre ich aus der anderen Richtung. „Von Anfang an.“ Nur langsam drehe ich meinen Kopf in seine Richtung. Soweit ich das in meiner Schockstarre eben so hinbekomme. „Von Anfang an?“, echoe ich. „Wie?“ Haruno wirft unschuldig die Hände in die Luft. „Ich habe es dir ja abgekauft, aber Takeo hat es mir Montag gleich erzählt als wir wieder zu Hause waren.“ „Ey!“, schimpft er zu Haruno. Wieder gilt mein Blick dem Panther. Hilflos zucken meine Schultern, die meinen verzweifelten Blick bekräftigen. „Aber... wie?“, kommt es mir über die Lippen gewürgt. „Mein ganzen Leben muss ich mir schon dämliche Kommentare anhören, dass ich aussehe wie ein Mädchen. Wie?“ Sich stöhnend ergebend fährt er sich mit beiden Händen durch sein Haar und zuckt kurz schmerzlich zusammen. Für einen Moment schließt er seine Lieder und sammelt sich bevor er spricht. „Du siehst einem vielleicht ähnlich, aber du verhältst dich nicht so.“ Seine Haare für einen Moment nach hinten aus seinem Gesicht gestrichen, schaut er mir direkt in die Augen, mit seinen unglaublich schönen, dass mein Herz kurz einen Sprung macht. „Oben auf dem Dach. Ich hatte einen freien Blick auf die Beule in deiner Shorts die du unter dem Rock trugst.“, gesteht er schließlich. Ich glaube ich sterbe gerade. Ein kleines bisschen jedenfalls. Ja, ich glaube genau so fühlt es sich an. Hingerafft in der Blühte meiner Jahre, weit vor meiner Zeit. Auf meinem Grabstein wird stehen 'Lief in Mädchenkleidern herum, der Idiot'. Nur wegen dieser zwei... dieser... Argh! Verdammt! Ich kann ihnen nicht mal irgendwelche fiesen Dinge an den Kopf werfen, ohne das ich sie hinterher bereuen würde. Nicht mal wenn ich sie nicht laut ausspreche. Dafür waren sie viel zu nett zu mir. Stattdessen landet mein Kopf tonvoll auf den Tisch. Autsch. Nach einem Moment der Stille höre ich Shibas unsichere Stimme. „Misaki?“ „Warum lasst ihr zu, dass ich mich so zum Affen mache, was seit ihr den für Freunde?“, schimpfe ich schlapp und nicht ganz ernst gemeint. „Na ja, wir wollten dich nicht gleich wieder verschrecken. Wir brauchen die Englisch Nachhilfe echt.“ Das hab ich gemerkt und wie sie die brauchen. Dann sollen sie sich eben eine Paukschule suchen. Die können das besser vermitteln. Was können sie schon groß von mir lernen? He, she, it, das s muss mit. Mehr Weisheiten habe ich nicht auf Lager. Das sie sich so ins Zeug legen und einen auf Tolerant und Friede-Freude-Eierkuchen machen nur deswegen frisst gerade ganz schön an meinem mickrigen Ego. Ich komm mir so verarscht vor. Erst diese Heimlichtuerei, dann dieses verfluchte knistern ständig und nun das. Zurück zur Zweckgemeinschaft also. Für meinen Geschmack, legen sie sich dafür ein wenig zu sehr ins Zeug. Ich merke wie angespannt ich bin. Es zieht schmerzlich in den Muskeln. Und Haruno hält einfach nicht die Klappe. „Versteh das bitte nicht falsch. Wir mögen dich, gerade weil du so verrückt bist. Und seit gestern Abend sogar noch ein wenig mehr, weil du da dein ganzes Ausmaß an Verrücktheit gezeigt hast, mit dem was du da alles vor dich hin geplappert hast. Aber wir brauchen die Nachhilfe in Englisch dringend, weil wir Japan nach unserem Abschluss verlassen werden.“ Ich schrecke hoch und starre ihn mit großen Augen an. Nein, ich habe mich nicht verhört, dafür sprach er zu deutlich und ruhig. Sie halten mich für verrückt und sie gehen. Sie gehen nicht aus diesem Grund, aber sie gehen. Verlassen Japan. Verlassen alles was sie kennen und haben. Verlassen mich. „Verlassen, weil ihr Urlaub macht? Eine Weltreise?“, frage ich zittrig und deutlich blass um die Nase. Doch Haruno schüttelt verneinend den Kopf. Sie können doch nicht einfach gehen. Haruno wird doch Japans Next Top Model und super berühmt. Und Shiba und ich sitzen dann bei seinen Shows in erster Reihe und feuern ihn an, oder was man da eben so macht im Kreis der schönen und reichen. Aber ich bin wohl der letzte der irgendwelche Zukunftsplanungen für uns äußern darf. Wir kennen uns gerade mal vier Tage. Sie sich wer weiß wie lang. Ich weiß nichts über sie. Sie wissen nichts über mich. „Was habt ihr denn vor?“, frage ich vorsichtig, auch wenn ich mir nicht sicher bin ob ich es wirklich hören will. Aber bevor meine Fantasie sich die kuriosesten, schrecklichsten und angsteinflößenden Dinge vorstellt, erfahre ich lieber die Wahrheit. Wäre ganz gut zu wissen wenn sie nur vor der Yakuza fliehen wollen, denn dann hätte die mich auch auf dem Schirm und für mich wäre es dann auch ratsam das Weite zu suchen. Wie so oft ergreift Haruno das Wort. „Eine Freundin hat mir ein Platz bei einer Familie besorgt in Kanada als Au-pair. Ich kümmere mich um die Kinder, helfe im Haushalt, lerne Land und Leute kennen und lasse mich zum Erzieher ausbilden. Wenn alles glatt läuft, bleibe ich dann dort.“ Beim erzählen strahlt er eine wärme aus, als ob es die Erfüllung seines Lebens wäre genau das zu tun. Erzieher statt Model. Das bekomme ich echt nicht in meinen Kopf. Das mag aber vielleicht auch daran liegen, dass ich zehn war als meine kleine Schwester unsere Familie bereicherte. Ich konnte mit dem schreienden, kackenden und kotzenden Ding nichts anfangen. Und immer musste ich Rücksicht nehmen. Auch als sie älter wurde, war ich nicht gerade ihr größter Fan. Shiba sagte schon er kann gut mit Kindern. Er hat sie sogar ins Bett bekommen, ohne das sie immer wieder aus dem Zimmer kam wie sonst. Er konnte meine Schwester bändigen. Dann wird er mit jedem Kind klar kommen. Aber er als Erzieher? Absolut unverständlich für mich. „Und du?“, richte ich meine Frage und Blick auf Shiba. Sein Zottelpony ist längst wieder herabgelassen und versperrt den schönen Anblick der dahinter lauert. Sein Blick ist gesenkt. Er beäugt seine Hand, die wieder ruhig auf dem Tisch liegt. Dabei kaut er auf seiner Unterlippe. Bei dem Druck der darauf ausübt, werden seine blass rosa Lippen noch ein wenig blasser. „Ich...“, beginnt er zögerlich und das Blut kommt zurück in seine Lippen die nun deutlich dunkler glühen. Fasziniert betrachte ich sie und merke schnell, dass ich wieder diesen verdammten Punkt an meinem Hals bearbeite. Ich versuche mich zu beherrschen und setze mich kurzerhand auf sie drauf. „Ich werde zu meinem Onkel in die USA ziehen.“ „Und dann?“, wunder ich mich. Er zuckt mit den Schultern. Dafür könnt ich ihm glatt an die Gurgel springen. Ich habe gefühlt tausend Fragen und je mehr ich nachdenke, desto mehr werden es. Ich bin drauf und dran einen Lebenslauf einzufordern oder werde in kürze ihre Memoiren aufzeichnen. Nur um irgendwie Klarheit und Struktur in mein Chaos bringen zu können. „Was sagen denn eure Eltern dazu, dass ihr Auswandert?“ „Jetzt bin ich mal dran mit Fragen.“, weicht mir Haruno aus. „Bei dir scheint ja akute Fluchtgefahr zu bestehen. Warum? Wovor musst du denn immer fliehen?“ Ich mache Gebrauch von meinem neu erlernten und zucke übertrieben auffällig mir den Schultern. Der Igelkopf schaut mich sichtlich überrascht an, bevor er plötzlich anfängt zu lachen. Richtig laut. Er hält sich sogar den Bauch dabei. Ich wage es nicht zu protestieren. Sein lachen klingt so schön. Ehrlich. Unbeschwert. Frei. Selbst Shibas Mine hat sich deutlich erhellt. Er schmunzelt beim Anblick seines lachenden Freundes. Es dauert nicht lange bis er sich wieder beruhigt hat. Aber man sieht ihn an, dass es noch in ihm nachhallt. Ab und zu kommt der ein oder andere Lacher doch noch heraus. „Der war gut.“, sagt er schließlich amüsiert. „Nun gut. Vielleicht war das genug Ernst für einen Vormittag. Lust auf ein Spielchen?“, fragt er herausfordernd grinsend. Ich schlucke schwer. Oh Gott, was kommt jetzt?! Wieder geht meine Fantasie unweigerlich tänzeln, zu Szenarien die deutlich weniger Jugendfrei sind. Bewahre, dass ich mich jemals wieder volllaufen lasse und so etwas ausplaudere. Natürlich war die Realität deutlich harmloser. Wenn auch nicht Jugendfrei, sondern freigegeben ab zwölf Jahren. Was man von unseren Sprüchen und Kommentaren nicht behaupten kann. Wir zocken auf der Play Station das neue Dragon Ball Z und ich zieh sie voll ab. Auch wenn sie mir das Mädchen aufgehalst haben, haben sie gegen mich keine Chance. Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ja, die Zocker Barbie hats drauf! Bäm ihr Noobs! Das sah jedoch bei dem Autorennspiel ganz anders aus. Ich bin ständig in die falsche Richtung und habe mich in irgendwelchen Ecken verkeilt und dabei das Auto wüst beschimpft. Auch ein Grund warum ich jetzt das Mädchen sein muss. Aber gegen meine Chichi haben sie das nach sehen. „Drück X! Drück X!“, befiehlt das Pantherchen seinem völlig überforderten Freund, der wie ein Berserker auf alle Tasten einhämmert. „Nein, geh weg!“, kreischt er den Fernseher an, während Shiba schon gar nicht mehr hinsehen kann, weil er weiß was jetzt kommt. Mit der mega Combo habe ich ihn eben schließlich auch schon fertig gemacht. „Friss das!“, rufe ich triumphierend und lasse Chichi auf Muten-Roshi los. Ich bin ein genauso schlechter Verlierer wie schlechter Gewinner. Denn ich lach den armen am Boden liegenden auch noch aus. Aber sein gespieltes wehleidiges Klagen lädt einfach dazu ein. „Lass uns noch einmal gegeneinander Kämpfen Takeo. Ich muss meine Ehre retten.“ „Das wird dir auch nichts mehr bringen.“, tritt er symbolisch noch mal nach. Wir spielen. Wir lachen. Wir ärgern uns gegenseitig. Jeder auf jeden. Es macht so viel Spaß. Die Zeit vergeht unbemerkt und viel zu schnell. 'Pokemon, komm und schnapp sie dir', reißt uns aus unseren kleinen Machtkämpfen und nach einer kurzen Gesangseinlage von Haruno kehrt der Ernst wieder zurück. Das sagt mir auch mein Bauch, der postwendend schmerzlich krampft. Auch wenn ich nichts an essen runter bekommen habe, weiß ich ganz genau, dass es nicht am Hunger liegt. Er spricht nur kurz mit meiner Mutter und verkündet, dass sie mich nun nach Hause bringen. Für einen Moment spiele ich mit dem Gedanken mich an die Heizung zu ketten, bin mir aber sicher, dass ich damit nicht durchkommen werde. Wer will schon so einen gruseligen Kerl neben seinem Bett hocken haben, der einen auch noch Nachts anstarrt. Trotzdem rüttle ich probehalber an dem Heizungsrohr. Aushalten würde es, fehlt nur Kette und Schloss. Sehe mich vor meinem inneren Auge wie Gollum umher hüpfen und rufe 'mein Schatz' wenn sie von der Schule nach Hause kommen. Shiba steht vor mir auf und streckt sich, wobei sein Shirt so nett nach oben rutscht und ich einen Blick auf ein wenig Haut von seinem Rücken erhaschen kann. Ja, ich muss hier bleiben. Es müssen keine Ketten sein, ich nehme auch Seile, Kabelbinder, Handschellen, egal was. „Ren, hol doch bitte die Schuluniform von Katsuragi-san. Ich fülle das restliche essen noch schnell um und wasch die Behälter ab.“, schlägt der große mit dem hübschen Rücken vor. Haruno stöhnt schicksalsergeben. „Ja, gut. Ich bin dann so im nächsten Jahr wieder da. Die wird mich wieder fest quatschen.“ Er rafft sich auf, legt sein perfektioniertes breites Zeitschriftenlächeln auf und schlürft dennoch sichtlich unmotiviert rüber. Bevor die Tür zufällt ruft er noch in den Raum. „Benimm dich!“ Hitze steigt in mir auf und lässt meine Wangen glühen. Hat er gesehen, dass ich am Rohr gerüttelt habe? Oder ging das gar nicht an mich? Verstohlen betrachte ich den Panther, der gerade zum Stubentiger mutiert ist und brav den Haushalt schmeißt. In diesem Moment ist es jedoch mein schlechtes Gewissen das mich fesselt, vor allem wegen seiner Hand. Ich gehe auf ihn zu und nehme ihm eine der Boxen ab die er gerade in das Wasser tauchen wollte. „Lass mich das machen. Deine verwundete Hand sollte nicht ins Dreckwasser, nachher bekommst du noch eine Blutvergiftung. Dann muss die amputiert werden und sie nähen dir eine Harkenhand wie Captain Hook an.“ Ein lächeln liegt auf seinen Lippen. „Dir scheint es wieder ganz gut zu gehen, wenn deine Fantasie wieder solche Ausmaße annehmen kann.“ „Aye aye Captain.“, grinse ich übermütig. „Die Tabletten von Haruno haben ganze Arbeit geleistet. Der Presslufthammer in meinem Kopf ist einem kleinen Meißel gewichen.“ Ich wasche ab. Meiner Mutter würden die Augen aus dem Kopf fallen. Ich weiß gar nicht wann ich das zuletzt getan habe. Ich bilde mir ein, dass Shiba das merkt, denn er scheint mir kritisch über die Schultern zu sehen. „Was ist Katsuragi für eine Frau?“, übe ich mich also in Small Talk, in der Hoffnung, dass er mich nicht weiter im stillen beurteilt was mein Abwaschgeplansche angeht. „Sie ist schon sehr alt. Lebt allein. Ab und an besuchen sie ihre Kinder, aber die haben kaum Zeit. Wir helfen ihr bei ihren Einkäufen und sie wäscht dafür unsere Wäsche. Einmal die Woche gehen wir zum Kaffeekränzchen rüber. Wir sind wohl so was wie ihr Enkel Ersatz geworden, weil sie keine hat.“ Siehe da, er kann doch mehr als Schulterzucken und knurren. Vielleicht auch nur, weil der Stubentiger Modus aktiv ist. Wenn ich ihm jetzt den hübschen Rücken kraule, ob er dann schnurrt? Ich weiß, dass ich jetzt ziemlich dämlich grinse, aber er weiß ja nicht warum. Das ist ein Geheimnis zwischen mir, mir und mir, und später vielleicht Susu. „Hab ich euch gestört?“, wechselt er abrupt das Thema. Irritiert fahr ich herum und schaue zu ihm hoch. Er macht ein ernstes Gesicht. Die Augenbrauen sind dicht zusammen gezogen, dass sich eine senkrechte Falte zwischen ihnen bildet. Die Lippen fest aufeinander gepresst. Mein Kopf rattert. Gestört? Euch? Er meint wohl mich und Haruno, oh je... Meine Hand legt sich wie von selbst wieder auf meinen Hals. Diesmal merke ich es sofort, weil die nasse Hand unangenehm auffällt. Natürlich hat er nicht gestört, aber... Aber?... Na ja, was genau das war kann ich mir auch keinen Reim drauf machen. Es war irgendwie heiß, aber dann dieser Spruch. Nein, er hat uns nicht gestört. Wie Haruno sagte, wir haben nur “herum gealbert“. „Misaki, ich bitte dich inständig, hör endlich auf damit!“, fährt er mich zähneknirschend an. „Womit denn?“, stottere ich perplex. Er packt grob mein Handgelenk und zieht sie von meinem Hals weg. „An deinem Hals herum zu kneten. Das macht mich Wahnsinnig! Du tust es schon die ganze Zeit. Bedeutet er dir etwas? Habe ich euch gestört?“ Der Groschen fällt. Er meint nicht Haruno, sondern Mr. X. An den hab ich schon gar nicht mehr gedacht. „Nein.“, antworte ich nur knapp und sein Griff lockert sich, aber er lässt mich nicht los. Er starrt stumm auf den Knutschfleck der auf meinem Hals prangt. Seine Lippen sind immer noch fest aufeinander gepresst. Ich höre seinen Atem vibrieren als würde er knurren. Der Stubentiger ist wieder zum wilde Panther mutiert. „Wir sollten da ein Pflaster drauf kleben, damit dein Familie nicht gleich durchdreht.“ Erst als ich Nicke lässt er mich los. Er kramt in einer überfüllten Schublade. Eine Schere legt er zuerst heraus und wühlt weiter. Ich beobachte mit gespitzten Sinnen jede Bewegung von ihm. „Shiba?“, nur leise kommt mir sein Name über die Lippen, doch er reagiert nicht. Wühlt weiter und lässt sich nicht ablenken. „Ich weiß nicht mal seinen Namen.“, gestehe ich nicht weniger lauter. „Du hast uns nicht gestört und ich empfinde nichts für ihn. Ich hätte nie mit so etwas gerechnet. Ich wollte es auch nicht. Nicht mit ihm...“ Er hat mittlerweile aufgehört zu wühlen und hört mir einfach nur zu ohne mich anzusehen. „Ich habe Angst darüber nachzudenken was passiert wäre, wenn ihr nicht aufgetaucht währt. Wenn du ihn nicht gestoppt hättest. Es tut mir so leid wegen deiner Hand und wegen der Anzeige. Ich werde dir jeden Yen zurück zahlen, der dich das kosten wird. Das ist nur passiert, weil ich so dumm bin, so naiv. Ich kann nicht mal dem Alkohol die schuld dafür geben, weil es nüchtern wahrscheinlich genauso passiert wäre. Und ihr habt euch so toll verhalten. So erwachsen. Dabei bin ich älter. Ich...“ Ich raufe mir ächzend die Haare. Die mich jetzt aussehen lassen wie Struwwelpeters Schwester. Das ist so unangenehm. Was Texte ich ihn denn jetzt so zu? Er will es sicher gar nicht hören. Komm auf den Punkt Misaki! „Was ich wohl eigentlich damit sagen will ist, Danke. Du bist mein Held. Mein Held in schimmernder Rüstung.“, schmunzle ich in Erinnerung an meinen Traum. Ja, ich bin peinlich, dass weiß ich schon längst. Aber was mich diesmal rot werden lässt ist nicht mein kindischer klein Mädchen Kommentar, sondern seine Reaktion darauf. Er versucht sich nichts anmerken zu lassen, aber seine rot gefärbten Wangen und Ohren sprechen für sich. Er hat die Pflaster gefunden und schneidet ein großes Stück ab. Sich räuspernd dreht er sich endlich zu mir und mein lächeln wird immer breiter. Er beißt sich auf die Unterlippe, aber seine Mundwinkel zucken. Er unterdrückt ein lächeln. Dieser verbissene, dickköpfige Panther. „Leg deinen Kopf zur Seite und nimm deine Haare zurück.“ Ich folge seiner Anweisung brav und kann jetzt unter seinem Zottelpony seine glänzenden Augen sehen. Er freut sich doch tatsächlich über das was ich ihm gesagt habe. Das ist total niedlich. Warum ist er so niedlich? Wo kommt das den auf einmal her? Ich will ihn knuddeln wie einen Teddy! „Was grinst du denn so?“, schnauft er und zupft ein paar übrige Haarsträhnen weg. „Du weißt schon, meine Fantasie und so. Ich sag es dir lieber nicht.“ Wenn ich ihm sage, dass ich seine Reaktion wahnsinnig niedlich finde, beißt er mich nachher noch. Kein Mann will als 'niedlich' bezeichnet werden, auch ich nicht. Aber es stimmt einfach. Die Röte in seinem Gesicht, das flimmern in seinen Augen, das lächeln, dass er nur schwer unterdrücken kann. „Schlimmer als Pantherchen oder Igelchen kann es wohl kaum sein.“, erwidert er nüchtern und fummelt an dem Papier vom Pflaster. „Freundschaft basiert auf Ehrlichkeit. Ich erzähle Ren alles und er mir. Wir vertrauen uns. Das möchte ich auch mit dir. Und wenn du wieder das Bedürfnis hast abzuhauen komm zu uns.“ Er klebt das Pflaster auf. Seine Hände sind genauso rau wie Harunos, aber so schön warm. Er betrachtet sein Werk und nickt zufrieden mit sich selbst. „Sammeln wir Ren ein und gehen los. Deine Familie wartet.“ „Ja.“, antworte ich schwach. „Auf geht’s...“ Ende von Teil 9 Kapitel 10: Teil 10- Familienbande ---------------------------------- Pretty Boy Teil 10- Familienbande Da ist er. Der pinke Albtraum. Das Haus um den jeder Mensch bei klarem Verstand einen riesen Bogen machen würde. Doch genau da soll ich jetzt rein. Vorbei an den hohen Rosenbüschen, die in voller Pracht blühen. Vorbei an den kleinen Häschen Figuren, die den Eingang bewachen. Den künstlich angelegten Steinweg entlang der zum Eingang führt, bei dem man auch keinen Schritt daneben treten darf, sonst landet der Fuß auf einen der Sukkulenten. Alles sieht genauso aus wie immer, aber etwas hat sich dennoch verändert. Ich. Ich habe mich verändert. Wirklich erfassen kann ich es nicht, aber ich spüre es. Etwas an mir ist anders. Ich habe so viel gesehen, gehört, gefühlt. Vom Rande der tiefsten Erniedrigung, bis hin zum heißen aufregenden kribbeln. Vegas hätte nicht besser laufen können. Ich habe wieder Kontakt zu meinem einzigen Freund, nachdem ich kopflos nach Kalifornien abgehauen bin. Habe zwei neue Freunde besser kennengelernt und muss mich auch schon wieder an den Gedanken gewöhnen sie wieder gehen zu lassen, weil sie das Land verlassen werden sobald sie ihren Abschluss haben. Wurde begrapscht von einem Typen, den ich hoffentlich nie wieder sehen muss. Hatte meinen ersten und definitiv letzten Alkoholexzess. Wurde offiziell von den beiden zur daddel Königin geschlagen und habe sogar ein abscheuliches Souvenir im Nacken, dass von meinem Trip erzählt. „Eins müssen wir noch klären bevor ich da rein gehe.“, sage ich unheilschwanger und schaue nach beiden Seiten zu ihnen hoch. Nein, ich ergreifen nicht wieder die Flucht, aber ihr Blick lässt vermuten, dass sie genau das gerade denken. „Wie bin ich in das Hemd gekommen in dem ich geschlafen habe?“ Sofort höre ich diverse laute. Haruno zieht die Luft durch die Zähne scharf ein und wendet sich verlegen am Kopf kratzend weg. Shiba räuspert sich und schaut lieber in den Himmel, während er seinen Mund mit der Hand verdeckt. Beide deutlich errötet um die Nasenspitze. „Was soll denn diese Reaktion?“, stottere ich hektisch. „Du willst nicht wissen wie du da rein gekommen bist.“, presst Shiba zwischen den Fingern durch, den Blick immer noch Richtung Himmel. „Hey, hey! Du hast mit dieser ehrlichkeits Kiste anfangen wollen. Raus mit der Sprache!“, quietsche ich am Rande der Hysterie. Sie drucksen ziemlich herum, bis Haruno endlich beginnt. „Du warst total voll gekotzt. So wollten wir dich natürlich nicht ins Bett stecken. Aber…“, zögert er erneut. „Du wolltest dich nicht ausziehen. Da haben wir nachgeholfen.“, ergänzt Shiba trocken. „Du hast dich dabei ganz schön gewährt.“ „Hast immer irgendwas von wegen Zauberstab gerufen.“, mischt sich Haruno wieder ins Gespräch. „Das war ein ganz schöner Kampf, aber als es geschafft war bist du schnell eingeschlafen. Wir haben dir aber wirklich nur die Uniform ausgezogen.“, beschwört er mich mit erhobenen Händen die seine Unschuld bekräftigen sollen. „Wir waren selbst überrascht als morgens auch deine Unterhose am Fußende des Futons lag.“ Ich schlage die Hände vors Gesicht. Mein Herz wummert wie verrückt. Warum wollte ich es auch unbedingt hören? Ich glaube ohne diese ober mega peinliche Informationen hätte ich glücklicher gelebt. Ach, ich weiß warum... Ich hatte ein Fünkchen Hoffnung, dass ich mir Shibas Hemd doch selber angezogen hatte. Aber nein, ich muss wirklich jedes Fettnäpfchen mit nehmen. Verdammt, mein Herz. Ich glaube das explodiert gleich. Verdammt! Verdammt! Verdammt! Ich sacke etwas in die Knie. Taub geben sie nach. Scheiße! Scheiße! Scheiße! Kann es einfach nicht fassen. Das kann doch nicht wirklich passiert sein?! Sie haben mich ausgezogen. Zu zweit. Halb Nackt! Ich will schreien und heulen, lachen und toben. Das ist nicht wahr! Bitte, bitte nicht! Alles in mir kribbelt wahnsinnig unangenehm. Ist das ein Herzinfarkt? Bin ich dafür nicht zu jung? Eine Hand legt sich auf meine Schulter und tätschelt mich ein wenig unbeholfen. Schlapp sehe ich hoch und Blicke in Shibas deutlich errötetes Gesicht. Wessen Gesicht hat wohl mehr Farbe? Ich weiß nicht mal ob meins tief rot oder leichenblass ist. Ich möchte gerade einfach nur durchdrehen und gepflegt sterben gehen. Erneut. Diesmal hat mein Grabstein aber eine andere Gravur. Jetzt steht da nur noch‚ 'Er wollte es ja wissen, der Idiot‘. Mit deutlich zitternden Beinen richte ich mich auf. Jetzt landet auch Harunos Hand auf meiner Schulter. Freundlich lächelt er mich an. Nicht eins seiner aufgesetzten Lächeln, die er immer den Mädels schenkt, sondern ein ehrlich warmes. „Nicht wieder abhauen.“, rät er mir. „Wir machen kein großes Ding daraus. Vergiss es einfach. Du warst sowieso nicht Herr deiner Sinne.“ „Ja, aber… Ich… Ihr … Ich meine…“, stottere ich wirr. Er nimmt mein Gesicht behutsam in beide Hände und legt seine Stirn an meine. „Ssssssch…“, haucht er ruhig. „Atme mit mir.“ Irritiert blinzle ich. Was soll das denn jetzt? Atmen? Das beherrsche ich schon seit über zwanzig Jahren perfekt, sonst würde ich ja nicht hier stehen. Was mich gerade mehr fertig macht ist seine nähe. Alles in mir drängt mich ihn von mir zu stoßen und gleichzeitig fest an mich zu drücken. In die Eier treten oder an seiner perfekten Nase knabbern. Jetzt bin ich komplett durchgeknallt oder? Warum ist das Leben so kompliziert?! Ich höre seinen ruhigen tiefen Atem. Sachte streift er mein Gesicht. Allein der Klang wirkt beruhigend. Er zieht das wirklich durch. Ich ergebe mich und mache mit. Atme mit ihm zusammen tief ein. Zusammen wieder aus. Wieder ein. Aus. Mehrere male. Füge mich seinem Takt. Überraschenderweise tut das wirklich gut. Die schmerzen in meiner Brust sind abgeklungen. Meine Hände ruhen auf seinen, die gelassen meine Wangen umfassen. Die Augen geschlossen. Höre ihn. Höre mich. Alles andere scheint nicht zu existieren. Nur wir. Mein Puls ist ruhig. Das Kribbeln ist weg. Ich fühle mich überraschend wohl. Was hat er da mit mir gemacht? Ist das so was um Kinder ruhig zu bekommen wenn sie im Supermarkt nicht bekommen was sie wollen und schreien zu Boden gehen? „Was war das?“, wundere ich mich nachdem ich wieder bei Sinnen bin. „Atmen.“, grinst er frech. „Das hat schon in diversen Situationen geholfen. Wir vergessen einfach alles was war und morgen in der Schule nimmt alles wieder seinen gewohnten Lauf. Klingt das gut?“ ich nicke wie in Zeitlupe. Ja das hört sich wirklich gut an. Fantastisch sogar. Einfach weitermachen als wäre nie was gewesen. Friede Freude Eierkuchen, heitre Sonnenschein und Regenbögen. Aber wie die vergangene Zeit zeigte lässt sich seine eigene Vergangenheit nicht so leicht abschütteln. Zudem neige ich auch noch dazu ein Wiederholungstäter zu sein. Ich bin immer nur vor meinen Problemen abgehauen. Habe immer in Angst gelebt, konnte es nicht anders regeln. Und ich bezweifle, dass die beiden diesen Tag so schnell vergessen können. Mein Fehlverhalten. Meine vielen Fantasie Absurditäten, die alle aus mir raus brachen wie die Cocktails. Mein halb nackter Körper. Wieder schlage ich die Hände vors Gesicht. Verdammt! Verdammt! Verdammt! „Misaki?!“, ruft mich jemand. Ich kenne diese Stimme gut, auch wenn es eine Weile her ist. Oft schon hat sie mich in den Schlaf gesungen, trotz mangelnder Gesangskünste. Oft zu mir gesagt 'alles wird wieder gut' und ich habe fest daran geglaubt. Alles was aus diesem Mund kam nahm ich für bare Münze. Egal ob Weihnachtsmann, Erklärungen über die Welt und wie sie funktioniert und jedes Märchen wurde zu einer wahren Begebenheit. Hat Monster lautstark unter meinem Bett vertrieben. Hat mich bei den Sportfest der Grundschule mit vollem Eifer angefeuert, was mein mangelndes Talent nicht besserte, aber er war immer da. In jeder Lebenslage wenn ich ihn brauchte. Auch heute. Langsam ziehe ich die Hände von meinen Augen und starre ungläubig in Richtung der Haustür. Da steht er tatsächlich. Sein zotteliges rabenschwarzes Haar steht ihm wild ab. Seine Brille mit dicken schwarzen Gestell ist wie immer ein wenig verrutscht. Das weiße Businesshemd ist mit Sicherheit frisch gebügelt von Mum, ihn stört es nicht wenn es knittrig ist. Er breitet seine dünnen Arme aus und kommt einen Schritt auf mich zu. Mehr braucht es nicht. Ich renne auf ihn zu und werfe mich in seine Arme. Sanft umschließen sie mich und drücken mich an sich. Eine Hand streicht mir liebevoll über meine Haare und ein leises Schluchzen kommt über meine zittrigen Lippen. Ich fühle mich wieder wie fünf. „Dad…“, wimmere ich. „Alles ist gut.“, sagt er mir ruhig, mit dieser Stimme die nicht zu seinem Alter passt. Er klingt jünger als er ist, doch seine Fältchen um die Augen verraten ihn. Wieder und wieder streicht er mir durch mein Haar. Begierig sauge ich jede liebevolle Geste auf. Unfassbar das er wirklich hier ist. Ich war nur ein paar Wochen von ihm getrennt, aber es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Ich hab ihn wahnsinnig vermisst. Mein Dad, der tollste Typ der Welt. Mein großes Vorbild. „Ihr seid seine Freunde?“, fragt er interessiert, während seine Hand weiter macht. Haruno tritt vor und verbeugt sich kurz, manchmal zeigt er doch ein geringes Maß an Manieren. „Ja, dass ist Takeo Shiba und ich bin Ren Haruno. Misaki kam am Montag in unsere Klasse und wir verstanden uns sofort.“ „Es freut mich euch kennenzulernen. Ich würde euch gerne zu einer Tasse Tee einladen, aber das müssen wir verschieben. Ich bleibe ein paar Tage, wir schaffen das sicher noch.“ „Das wäre sehr schön.“, lächelt er gut gelaunt. Sie verabschieden sich und überlassen mich meinem Schicksal. „Ich freue mich, dass du endlich wieder Freunde gefunden hast.“ In seinen Worten bekräftigend drückt er mich erneut herzlich an seine Brust. „Dann lass uns mal reingehen. Alle warten auf dich.“ Ich spüre mein Herz wild wummern während wir das Haus betreten. Ich habe keine Ahnung wie ich das alles erklären soll. Wie ich mich verhalten soll. Geschweige was ich überhaupt sagen oder mich geben soll, dementsprechend fühle ich mich ziemlich verkrampft. Schon beim betreten des Eingangsbereichs sehe ich sie alle drüben am Esstisch sitzen. Mum springt sofort auf und scheint unsicherer zu sein als ich. Sie sieht aus als würde sie nach mir greifen wollen, zieht ihre Hand jedoch zurück und hält sie mit der anderen fest an sich gedrückt. Ihre Lippen zittern und deuten ein Wimmern an. Die Augen sind rot und geschwollen. Es geht ihr schlecht und das ist meine Schuld. „Mama…“, krächze ich schwach. Unsicher breite ich meine Arme aus, wie mein Vater zuvor bei mir auch. Ein Schluchzen kommt über ihre Lippen und erneut laufen Tränen ihre Wangen hinunter. Sie rennt mich fast um, als sie sich in meine Arme wirft. Ja, meine Mum und ich sind uns wirklich ähnlich. Auch ich kämpfe mit den Tränen, ich Weichei. Ich schiebe es einfach auf das kleine in mir lauernde Mädchen, dass gerade emotional ergriffen ist. Dad schließt sich der Umarmung an. Seine dünnen Arme umschließen uns beide. Nun kommen auch meine Schwestern dazu. Wie ein großes Knäuel schlingen sich die Arme um uns. Der Tee dampft heiß aus meiner Lieblings Kindertasse mit den kleinen Häschen darauf die auf einer Wiese hoppeln. Mein Vater hat sie mir zuschicken lassen als er das erste mal länger weg war um im Dreck zu buddeln. Ich habe tagelang geheult. Mum konnte mich nicht beruhigen. Nur in den Telefonaten mit Dad war ich still. Mein Geheule verstummte als die Tasse ankam. Mich daran wärmend halte ich sie mit beiden Händen umschlossen. Meinen größten Schatz. Ein paar Haarfeine Risse sind schon drin und die Farbe ist leicht verblasst, aber ich liebe sie. Mit angezogenen Beinen sitze ich auf meinem Stammplatz am Esstisch. Wir sind wohl allesamt ziemliche Gewohnheitstiere, seit Jahren sitzt jeder auf “seinem Platz“, obwohl es nie einer laut Aussprach. Dad sitzt neben mir am Kopf des Tisches. Er ist wirklich hier. Hat den weiten Weg aus Kalifornien nur wegen mir gemacht. Susu hatte recht als er sagte mir wird nicht sein Schicksal blühen. Anders als sein Vater, empfing mich meiner mit offenen Armen. Ich hätte es ihm auch nicht zugetraut, dass er versucht hätte das Schwulsein aus mir raus zu prügeln, aber wie er reagierte übertraf alle meine Vorstellungen. Ein wenig durchdrehen vielleicht ja, aber keine körperlichen Übergriffe. Vielleicht habe ich das cholerische Spektakel ja auch einfach nur verpasst, weil er vorgewarnt wurde und sich bis zu meiner Ankunft wieder abgekühlt hat. Mum sitzt mir gegenüber und Hina, die neben ihr sitzt, streicht ihr fortwährend über ihren Rücken. Sie hat sich beruhigt, aber jetzt kehrt die Erschöpfung ein. Bleich sitzt sie da und hält ihre Tasse mit dem Gold verzierten Blumenmuster, die sie immer rausholt, wenn Dad da ist. Das Teeservice schenkte er ihr zum zehnten Hochzeitstag. Ist schon ziemlich lange her, aber sie hegt und pflegt es, weil sie es genauso liebt wie ich meine Tasse, die noch älter ist. Sowie alles dass sie liebt. Uns als Familie. Jeden einzelnen von uns. Auch mich. „Misaki es tut mir so unendlich leid, was ich dir gesagt habe.“ Man hört heraus, dass ihr noch immer nach Weinen zumute ist. Sie schluckt es tief hinunter und bemüht sich ihre schwankende Stimme zu festigen. „Ich war überfordert mit der Situation und habe dich unter Druck gesetzt. Kannst du mir verzeihen?“ Erneut schaue ich von meiner Tasse zu ihr auf. „Kannst du dich denn damit abfinden das ich schwul bin?“ Mein Herz wummert wie verrückt. Ich habe das S Wort tatsächlich vor meiner ganzen Familie laut ausgesprochen. Jeder von ihnen weiß es nun mit Sicherheit. Keine Spekulationen mehr. Jetzt hat das Versteck spielen vor ihnen ein Ende. Kann vielleicht eines fernen Tages sogar meinen Freund mit nach Hause bringen, sowie Hina ihren gelegentlich. Auch sie hebt ihren Blick. Sieht mich ernst an, bevor sie spricht. Ich sehe ihren Willen. „Ja.“, sagt sie mit fester Stimme. „Ja, das kann und werde ich. Gib mir nur ein bisschen Zeit um mich daran zu gewöhnen. Ich werde dich nicht enttäuschen. Ich habe dich lieb mein Sohn und das werde ich auch immer, egal was kommt und egal was die Zukunft uns noch bringt, ich werde es akzeptieren. Es tut mir nur so leid für dich, dass du nie das haben wirst was wir haben. Eine Ehe. Kinder.“ „Oh, dass stimmt so nicht ganz.“, unterbricht sie mein Vater. Alle schauen ihn stutzig an, ich erst recht. „Wenn man es nicht so genau nimmt kann Misaki durchaus heiraten und Kinder kriegen, dafür gibt es diverse Methoden um das zu ermöglichen. In Sapporo, das in Hokkaidó liegt, kann er ein Partnerschafts Zertifikat beantragen oder in Las Vegas wilde Ehe feiern, dass es wenigstens gefühlt eine Ehe ist. Zudem gibt es Möglichkeiten ein Kind zu adoptieren aus dem Ausland oder eine Leihmutter die euer Kind dann austrägt.“ Ungläubiges schweigen geht um die Runde, bis Hina ausspricht was wir alle denken. „Woher weißt du denn so etwas?“ Er sieht uns an als ob es das normalste der Welt wäre und zuckt unschuldig mit den Schultern. Bei dieser Geste spüre ich ein Lächeln in mir aufkommen. Erstaunlich, dass es nur diese zwei aufdringlichen Typen brauchte um mein Leben grundlegend zum besseren zu ändern. Was ich in zwanzig Jahren verbockt habe, haben Sie in vier Tagen gekittet. Im Nachhinein hätte mir wohl nichts besseres passieren können als ihnen zu begegnen. Dabei habe ich zu dieser Freundschaft noch gar nichts beigetragen und dennoch tun sie so viel für mich. Vielleicht schaffe ich es auch meine Angst vor dem Mobbing irgendwann loszuwerden. Damit ich mich nirgends mehr verstecken muss. Damit ich mir ein Leben aufbauen kann. Es ist denkbar, dass ich wirklich eines Tages Heiraten möchte und vielleicht sogar in noch viel fernerer Zukunft Kinder. Mum und Dad lieben sich abgöttisch und diese Liebe vergeht nicht nur weil sie tausend Kilometer und mehrere Zeitzonen voneinander getrennt sind. Sie lieben sich noch wie am ersten Tag und das seit sechsundzwanzig Jahren. Genau das wünsche ich mir auch. Ich spüre das kleine Mädchen in mir vor Entzücken quietschen und tanzen bei diesen Gedanken. Soll es ruhig. Es ist schließlich möglich, meine Eltern sind das lebende Beispiel. „Bevor Misaki das Jahr zu mir kam, hat von meinen Kollegen der Sohn einen Mann geehelicht. Wir kamen ins reden und ich ins grübeln. Wir wissen alle, dass du es die letzten Jahre nicht leicht hattest, dennoch wurde mir bewusst, dass du noch nie Interesse an Mädchen gezeigt hattest. Du hast mich auch noch nie um väterlichen Rat gebeten in der Richtung. Ich dachte bis dahin, dass lege an deinen massiven Problemen in der Schule, aber er eröffnete mir neue Gedankenwege. Mein Kollege meinte, dass war bei seinem Sohn auch so. Wegen seiner Neigung wurde er auch in der Schule gemobbt. War das bei dir auch so?“ Ich schlucke schwer. Der Professor mit Doktortitel kommt in ihm zum Vorschein, auch wenn es nur in Geologie ist, er ist trotzdem ein schlauer Kopf. Nur Susu weiß alles über dieses schreckliche Kapitel in meinem Leben, denn er war fast von Anfang an dabei. Es gab niemanden sonst dem ich mich voll und ganz anvertrauen konnte. Auch jetzt würde ich es am liebsten vor meiner Familie tot schweigen. Ja, sie haben mich gemobbt weil ich aussehe wie ein Mädchen, anfangs. Noch bevor ich mir überhaupt bewusst war das ich schwul bin fingen sie an mich als Schwuchtel und anderes zu beschimpfen. Sie steigerten sich immer weiter hinein, bis alle mitmachten. Und der, der alles los trat, war der, der am Ende an meisten darunter litt. Ihn fingen sie an genauso fertig zu machen wie mich. Nichtsdestotrotz kann ich ihm nicht böse sein. Nervös rutsche ich auf meinen Stuhl. Ringe mit mir. Ich habe endlich die Wahrheit ausgesprochen, ich möchte nicht gleich wieder mit der nächsten Lüge anfangen. „Ja schon, aber es fing wirklich erst damit an, dass alle sagten ich sehe aus wie ein Mädchen.“ „Und was heißt das jetzt, dass Misaki schwul ist?“, meldet sich meine kleine Schwester zu Wort. „Das heißt Misaki liebt Männer statt Frauen.“, erklärt ihr Mum kindgerecht. Ich sehe es in ihrem Kopf rattern. Sie ist immer noch in der 'Jungs-sind-doof' Phase, wahrscheinlich kann sie das gar nicht verstehen warum ich überhaupt Jungs mag. Ruckartig wie ein aufgehetzter Chihuahua wendet sie sich mir zu und sieht mich finster durch zu schlitzen gepressten Augen an. „Bist du und Haruno ein Liebespaar?“ Sie schreit mich fast schon an. Stimmt ja. Für sie sind alle Jungs doof, außer Haruno. „Oh, das wäre ja wundervoll. Er ist so ein lieber und gutaussehender Junge.“, freut sich Mum ehrlich darüber. „Wer von den beiden war noch mal Haruno?“, frag Hina dazwischen. „Der charmante mit der Farbe im Haar.“ „Ach der. Der ist sicher nicht schwul. Die haben ein Gefühl dafür was gut aussieht und was nicht. Wäre er schwul, hätte er sicher nicht so eine schreckliche Frisur. Misaki, sag den beiden mal das ich sie demnächst mal umstylen werde. So können die sich doch nirgends blicken lassen“ „Hina Schatz, da denkst du aber zu sehr in Schubladen. Nicht alle Homosexuellen Männer sind dieses beste Freundin einer Frau Klischee.“, mischt sich Dad nun wieder ein. „Also die Schwulen die ich kenne sind das alle.“, kontert sie selbstbewusst. „Also ist er jetzt schwul oder nicht?“, fragt Mum verwirrt. Was geht hier ab?! Bin ich jetzt Teil einer Daily Soap im Abendprogramm geworden oder was?! Als nächstes planen sie tatsächlich noch meine Hochzeit. Nein, danke. „Beruhigt euch.“, fordere ich genervt. „Nichts der Gleichen liegt vor. Wir sind kein Paar. Er ist nicht Schwul. Ich bin weit von jeglicher Erfahrung in dingen Liebe entfernt und das wird sich sicher auch nicht ändern, weil ich weiterhin in dieser Mädchenuniform zur Schule gehen muss.“ „Was?“, keucht mein Vater überrumpelt. Schalten Sie auch Morgen wieder ein, wenn es heißt wer bekommt Misakis Hand zum Bund der Ehe. Gut, so schlimm war es dann doch nicht mehr, aber es ist verdammt spät geworden. Es gab viel zu bereden. Dad hat viel verpasst. Wir haben ihn auf den neusten Stand gebracht. Gerade die Aktion mit der Schuluniform meiner Schwester konnten wir noch nicht per Videochat anschneiden. Zu viel war passiert in der Zwischenzeit. Dem entsprechend war er auch verwirrt und dezent überfordert. Hinas Beauty Studio in dem sie Arbeitet, wurde für eine neue Fernsehserie als Make-up Artist gebucht. Sie wird jetzt öfter bei ihrem Freund sein, weil er näher am Set wohnt. Sie wollen dann das zusammen leben proben sozusagen. Sie sind seit vier Jahren zusammen. Wird auch langsam Zeit. Ich will ihr großes Zimmer. Miyu ist jedoch auch scharf darauf. Es gibt zwar noch mehr oder minder weniger genutzte Zimmer, aber Hina hat das größte. Nur das Schlafzimmer meiner Eltern ist größer. Miyu schläft oft bei Mum. Ihr ist das Zimmer so allein wohl auch zu groß und meine kleine Schwester wurde nie entwöhnt. Sie schläft bei ihr im Bett, benutzt immer noch Erdbeerzahncreme und lässt ihr essen klein schneiden. Hina ist die Einzige von uns die wirklich selbstständig ist. Zum Abschluss des ganzen Chaos habe ich ein langes Bad genossen. Mit meinem frisch gewaschenem Körper, den sauberen Shorts und der neu bezogenen Bettwäsche auf meinem Bett, kann ich es kaum erwarten mich in dieses zu schmeißen und mein Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Doch da steht das kleine Monster und versperrt mir den Weg. Die Arme vor der Brust verschränkt. Den Mund verbissen aufeinander gepresst. Die Fußspitze tippt ungeduldig auf den Holzboden. „Was ist denn jetzt noch? Mum hat dich doch ins Bett gebracht. Du hättest schon längst schlafen sollen. Das will ich jetzt auch.“, quengel ich als wäre ich von uns beiden das Kind. Ich will doch nur in mein Bett. Buhu! „Du lässt die Finger von Ren.“, fordert sie todernst. Überrumpelt halte ich inne. „Was? Ich hab euch doch erklärt, dass da nichts zwischen uns ist.“, antworte ich im sicheren Glauben. „Und genau das glaube ich dir nun mal nicht.“, bleibt sie eisern. „Ich liebe Ren und werde ihn Heiraten wenn ich groß bin. Schwöre das du nie etwas mit ihm anfängst.“ Sie hält mir ihren kleinen Finger zum Treueschwur hin. Manchmal vergesse ich, dass sie nur zehn Jahre alt ist. Sie ist immer noch ein Kind und hat eigentlich von nichts eine Ahnung. Selbst ich muss noch so viel lernen. Ihr Vorbild ist wahrscheinlich noch immer Cinderella und mit Haruno hat sie ihren Traumprinzen gefunden, der ihr den gläsernen Schuh reicht. Das heißt aber noch lange nicht das der passt. Cinderella hatte schließlich zwei Stiefschwestern, die auch scharf auf den hottie von Prinz waren. Ich bin ein Arsch von Bruder, aber ich kann mir ein lachen nicht verkneifen. „Versprich es oder ich werde peinliche Dinge über dich erzählen, wenn sie das nächste mal da sind.“ Das lachen bleibt mir im Hals stecken. „Was?“, keuche ich schwer. Meine Kopfhaut beginnt unangenehm zu prickeln. Angestrengt denke ich darüber nach was sie wohl über mich erzählen könnte und wäge ab ob es wirklich schlimmer ist, als das was sie gestern von mir erlebt haben. Es gibt vieles was mir peinlich wäre, aber nichts davon Toppt wohl mein Verhalten in den letzten vierundzwanzig Stunden. „Du bluffst.“, wage ich also zu behaupten. „Dein Lieblingsfilm ist die Eiskönigin.“ Ertappt nehmen meine Wangen einen deutlich erkennbaren rot Ton an. Ich bemühe mich dennoch mich gelassen zu zeigen. „Na und? Deiner auch.“ Sie überlegt weiter. „Als du vierzehn warst musste Mama dauernd dein Bettzeug waschen, weil du immer wieder ins Bett gemacht hast.“ Die Farbe in meinem Gesicht nimmt deutlich zu. Nein, ich habe nicht ins Bett gemacht. Peinlich ist das dennoch, aber dieses spezielle Männerproblem werde sicher nicht nur ich allein haben. Ich zucke gekonnt mit den Schultern. Shiba ist ein guter Lehrer. „Mittlerweile bin ich ja trocken.“, grinse ich triumphierend. Mein Kryptonit bekommst du so nie in die Finger. Angestrengt überlegt sie weiter. Und als hätte sie einen Gedankenblitz sieht sie zu mir auf. „Damit breche ich zwar mein versprechen ihm gegenüber, aber du spielst auch nicht fair.“ Mir schwant übles. Ihm? Hat Haruno ihr etwas erzählt, dass sie mir verheimlichen sollte? Dumme Idee Haruno. Dumme Idee. „Und das wäre?“, frage ich einen ticken zu neugierig und lasse mein Pokerface fallen. „Ich habe gesehen wie Akira dich geküsst hat.“ Das Herz rutscht mir nicht nur in die Hose, sondern fällt aus dem Hosenbein und sie trampelt lachend darauf herum, bildlich gesprochen. Kreidebleich schlucke ich schwer den Stein in meinem Hals herunter. „Nein... das... das Stimmt nicht. Wir... Wir haben uns nie geküsst... Er wollte, aber ich stieß ihn von mir...“, stottere ich schwer mit staubtrockenen Mund. Siegessicher baut sie sich vor mir auf. Und hält mir wieder ihren kleinen Finger hin. „Ihr habt in deinem Zimmer einen Film gesehen und du bist sitzend neben ihm eingeschlafen. Ich kam in dein Zimmer, weil ich deine tollen Filzstifte haben wollte. Da habe ich gesehen wie er dich küsste. So lange, bis er mich bemerkte. Ich musste ihm versprechen das für mich zu behalten, dafür hat er mir dann auch solche Stifte geschenkt.“ Daran kann ich mich erinnern. Er schenkte ihr eine übertrieben große Box dieser teuren Stifte. Ich hielt ihn für verrückt, weil er ihr ein so teures Geschenk machte, zu dem er nicht mehr sagte als 'nur so'. Jetzt ist es klar. Das war sozusagen Schweigegeld. Kraftlos lasse ich mich auf der Bettkante nieder. Das war lange vor seinem Versuch mich zu küssen. Wie oft hat er das gemacht? Wir schliefen häufiger beieinander. Was hat er noch getan? Noch mehr als küssen? Habe ich so einen tiefen Schlaf? Verdammt! Und ich kann ihn nicht fragen. Dieser Mistkerl! Der kleine Finger rückt mir wieder ins Sichtfeld. Hartnäckig wie erwartungsvoll wartend. Geschlagen harke ich meinen in ihren und sie sagt den Schwur auf, den ich nur leise von weiten her wahrnehme. Zufrieden verlässt sie endlich mein Zimmer, doch an Schlaf war für mich nun nicht mehr zu denken. Ende von Teil 10 Kapitel 11: Teil 11- Und das Leben geht weiter ---------------------------------------------- Pretty Boy Teil 11- Und das Leben geht weiter In dieser Nacht hat ein Alptraum den nächsten gejagt. Ich kann mich inhaltlich an kein Szenario festklammern, nur das Akira in jedem einzelnen für ein abruptes Erwachen sorgte. Klitschnass geschwitzt schießt mir das Adrenalin durch die Venen, als wäre ich in einem endlosen Horrorfilm gefangen und kämpfe als letzter Überlebender um ein Entkommen aus dem es kein Entkommen gibt. Denn wie entkommt man seinem Albtraum, wenn er sich bereits in jeder Zelle seines Körpers manifestiert hat? Es ist erst kurz nach vier Uhr als ich es endgültig aufgebe weiter schlafen zu wollen. Es hat keinen Zweck. Ich fühle mich schlecht. Wirklich elendig schlecht. Mein Magen rebelliert, weil diese unerträgliche Unruhe die in mir wütet immer mehr und mehr an überhand gewinnt. Bei jeden Gedanken an ihn zieht sich meine Brust schmerzlich zusammen, dass mir selbst das Atmen schwer fällt. Mein Bett war mir immer mein liebstes Fleckchen auf dieser Welt und selbst das hat er mir jetzt verdorben. Immer wenn ich denke ich habe ihn überwunden drängt er sich wieder in mein Leben. Wird es wieder vergehen? Mit der Zeit sicher irgendwann, schließlich habe ich es schon mal geschafft ihn aus meinem Kopf zu verdrängen, aber bis dahin werden vielleicht noch viele ruhelose Nächte folgen. Die anderen schlafen noch. So leise wie möglich schleiche ich durch den Flur zurück in mein Zimmer, nach einer kalten dusche die meine Müdigkeit vorerst vertrieb. Zum ersten mal seit ich wieder zu Hause bin hole ich mein Handy heraus und schnappe überrascht nach Luft. Dreiundvierzig verpasste Anrufe, zweiunddreißig Nachrichten, achtundzwanzig WhatsApp Nachrichten, fünfzehn Mailbox Nachrichten und allesamt von meiner Familie, Haruno und Shiba und einer unbekannten Nummer. Aufmerksam gehe ich die Nachrichten durch und merke bald, dass die unbekannte Nummer Susu ist. Sofort speichere ich sie ab und schicke ihm dann in meinem Dusel eine Nachricht. »Ich brauche dich« Hoffnungsvoll starre ich auf die Anzeige seines Namens und warte das 'online' aufploppt, aber es tut sich nichts. Wie hätte es auch anders sein sollen? Jeder normale Mensch schläft um diese Uhrzeit. Einen enttäuschten Seufzer kann ich trotzdem nicht unterdrücken. Ich schließe die Bettdecke um mich, lasse mich von den schnell flimmernden Bildern des Fernsehens berieseln und versuche meinen Kopf abzuschalten. Das Programm ist den Einschaltquoten mehr als gerecht, nämlich miserabel. Ich zappe durch die Kanäle. Das Interessanteste ist tatsächlich Teleshopping in dem Dinge angepriesen werden die keiner braucht und willensschwache Menschen dazu verleitet ihr Geld zum Fenster heraus zu werfen. Und während ich mit dem Gedanken spiele mir einen Foodsaver zu kaufen, mit dem man Essen und anderes vakuumverpacken kann, leuchtet mein Handy auf. »Susu: Stehe vor der Tür. Komm runter.« Hektisch springe ich auf und leg mich fast lang, weil sich die Decke zwischen meinen Beinen verheddert hat. „Ich hätte nie damit gerechnet das du direkt herkommst.“, wundere ich mich, doch freue mich auch über die Maßen, was ich ihm mit einer überschwänglichen Umarmung spüren lasse. Seine Arme schließen sich sofort um meine Hüfte und seine Nase vergräbt sich in meinem Nacken. Wie ein Schluck Wasser hängt er an mir. „Erwarte nicht zu viele Weisheiten von mir, ich bin hundemüde. Also was gibt’s? Sind deine Eltern doch nicht so cool damit umgegangen jetzt die Regenbogenflagge zu schwenken?“, nuschelt er an meinem Hals. „Doch, alles gut was das angeht denke ich. Sie planen quasi schon meine Homo-Hochzeit.“ „Was ist dann das Problem?“ „Na ja, meine kleine Schwester hat mir etwas erzählt, dass dem kleinen Mädchen in mir den Todesstoß versetzt hat.“ „Ich weiß nicht was das heißen soll.“, gähnt er. „Akira, er hat-“ Er packt mich ruckartig an den Schultern und schaut mir mit dicht zusammengepressten Augenbrauen ins Gesicht. „Was ist jetzt schon wieder mit diesem Bastard?“ Die Müdigkeit scheint auf einmal aus ihm gewichen zu sein, dass seine Augen mich zornig an funkeln. Ich weiß, dass seine Wut nicht mir gilt, sondern denjenigen der mein Leben völlig auf den Kopf gestellt hat. Ich senke meinen Blick, kann seinem einfach nicht standhalten. „Miyu hat mir erzählt, dass sie gesehen hat wie er mich im Schlaf küsste.“ Im ersten Moment weiß er nicht was er sagen soll. Das erste Mal, dass ich ihn sprachlos erlebe, zumindest einen blöden Spruch hat er immer auf den Lippen. „Du hast geschlafen, das zählt nicht.“, behauptet er dann eisern nach einem Moment der Überlegung. „Aber… Ich weiß doch, dass es passiert ist.“ „Du weißt nur, dass es angeblich passiert ist und nicht wie es wirklich war. Du kannst nicht von dir behaupten deinen ersten Kuss gehabt zu haben, wenn du nicht mal weißt wie es ist.“, fachsimpelt er. „Wie war denn deiner?“ Er schüttelt sich angewidert bei dem Gedanken. „Den hatte ich mit einem Mädchen aus meiner Klasse. Ich glaube da war ich zwölf. Wow, ist das schon lange her. Jedenfalls war das bevor ich wusste was Sache ist, merkte aber damals schon, dass das so nicht richtig sein kann. Es war als würde man seine Oma küssen.“ „Iiieh.“, behaupte ich und gluckse. Wir stehen nebeneinander und lehnen gegen den weißen Lattenzaun vor dem Haus. Es ist ruhig in dieser Vorstadtgegend. Auch in meinem zu Hause. Wie gesagt, normale Menschen schlafen um diese Uhrzeit. Die Sonne kündigt sich am Horizont an und färbt ihn in einem satten Orange Ton während Wolkenfetzen deutlich heller schimmern. Auch heute wird sicher wieder ein unerträglich heißer Tag. Aber er kommt. Der Tag meine ich. Ein neuer Tag kommt, ein alter geht. Es geht einfach immer weiter, egal wie oft für mich die Welt untergeht. Es geht weiter. Fasziniert betrachte ich den Horizont und versuche mir das Farbspektakel einzuprägen das Mutter Natur uns da bietet. Die ersten Sonnenstrahlen fühlen sich warm an auf der Haut. Einen weiteren Moment später fahre ich meinen Kopf herum zu Susu, der jedoch mich eindringlich betrachtet, statt dem wie ich finde Naturwunder. Wie oft geht schon die Sonne nach einem Weltuntergang auf? „Was denn?“, frage ich verlegen. „Hast du ihn schon mal besucht?“, erwidert er ruhig. „Wen?“, frage ich misstrauisch. „Akira.“ Uff! Tiefschlag. So fühlt es sich an, denn sofort zieht sich alles in mir zusammen und mein Magen spielt erneut verrückt. Abrupt wende ich mich wieder in die andere Richtung zurück, sie bietet mir eine zuversichtlichere Weltanschauung, als das Konfrontationsgespräch. Unruhig zupfe ich an meinem übergroßen T-Shirt, dass mir bis über den Po reicht, dass meine Shorts darunter nur knapp hervor blickt. „Nein.“, gestehe ich leise. „Hmmm…“, brummt er lange. Ich spüre seine Blicke in meinem Nacken, die meine Anspannung nur verstärken. „Ich denke, dass dir ein Besuch helfen würde mit der Sache abzuschließen.“ „Spricht da wieder dein Psychologiestudium aus dir?“, seufze ich zerknirscht. Breit grinsend zieht er mich an sich, um mich erneut in den Arm zu nehmen. Er knuddelt mich ausgiebig wie einen riesen Teddy, was ich widerstandslos über mich ergehen lasse. „Ach Schätzchen. Ich liebe dich, aber manchmal möchte ich dich ganz kräftig rütteln, damit du mal klarer siehst. Du bist immer der Letzte der die Dinge rafft, dafür muss man nicht studiert haben um das zu blicken, man muss dich nur besser kennenlernen. Ich weiß nicht ob es daran liegt, dass du zu naiv bist, zu unerfahren, zu gut behütet oder what ever, aber du wirst immer und immer wieder in beschissene Situationen geraten, wenn du nicht langsam mal erkennst was um dich herum passiert. Mach die Augen auf. Sieh nach vorne und nicht zurück. Sieh was vor dir liegt. Sieh was du hast und nicht was du hattest. Lass nicht deine Vergangenheit dein Leben bestimmen. Lass nicht länger dieses riesen Arschloch dein Leben bestimmen.“ „Und was rät der Herr Doktor mir nun?“ Jetzt bin ich derjenige, der die Nase an seinem Hals reibt. Er riecht frisch geduscht. Das kann im Umkehrschluss nur bedeuten, dass er die Nacht statt in seinem Zelt mal wieder bei einem anderen verbracht hat. Ich weiß nicht, ob ich neidisch oder traurig sein soll. Einerseits wünsche ich mir auch endlich einen warmen Körper an meiner Seite statt dem Dauerauftritt meiner rechten Hand, aber andererseits kann das was er da treibt auch nicht gesund sein. Jede Nacht einen anderen. „Zu aller erst gehst du zu ihm und kotzt dich richtig aus. Das meine ich nicht wörtlich, lass die Cocktails stehen. Lass alles raus was dein kleines unschuldiges Herz belastet, alles was er dir angetan hat, was unausgesprochen zwischen euch stand, tritt meinetwegen nach ihm. Und wenn das erledigt ist kommst du zu mir und ich treibe dir deine Unschuld aus.“ Mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht greifen seine Hände nach meinen Pobacken und drücken zu als würde er eine Fahrradtröte aufjaulen lassen. Ein seltsamer undefinierbarer laut kommt aus mir raus geschossen, der mich klingen lässt wie eine verschreckte Maus. Ich verpasse ihm einen Knuff auf den Oberarm und schnaufe. „Du kannst auch nicht ernst bleiben.“ Er kugelt sich förmlich vor Lachen. Auch wenn sein Sinn für Humor zu wünschen übrig lässt und auch wenn die Witze immer auf meine Kosten gehen, ist es trotzdem schön ihn lachen zu sehen, denn trotz all dem was er durchgemacht hat, schafft er es seinen Humor und Frohsinn zu bewahren. Das gibt mir Mut und Kraft, dass ich das auch schaffen werde. Der Restart meines Lebens hat begonnen. Die Menschen die es mir schwer machten sind nicht mehr Teil meines neuen Lebens. Ich habe alles abgeschüttelt und will auch nichts wieder zurück. Nicht einmal Akira. Warum fällt es mir dennoch so schwer ihn los zu lassen? Sanft ruht sein Blick auf mir, nachdem sein Lachen verhalte. „Du wirst nie dein Glück finden, wenn du nicht mit ihm abschließt. Dazu gehört auch, dass der Kuss nicht zählt, damit du dir deinen klein Mädchentraum bewahren kannst.“ „Ist das nicht nur eine Art des Selbstbetrugs?“, erwidere ich düster. „Na gut.“, schnauft er entschlossen. Seine schlanken Finger graben sich tief in mein Haar und ziehen meinen Kopf schmerzlich in den Nacken. Überrumpelt entweicht mir ein keuchen. Mit großen Augen sehe ich zu wie er mir immer näher kommt. „Ich werde dich jetzt küssen.“, haucht er im ruhigen klang seiner Stimme und setzt seinen Weg fort. Seine Nasenspitze streift über meine. Er lockert seinen Griff und lässt eine Hand über meine Wange wandern, um dann vorsichtig meinen Mund mit dem Daumen zu öffnen. Ich spüre seinen Atem auf meiner Haut. Meine Lippen erbeben. Meine Kopfhaut prickelt wild. Zählt er? Zählt er nicht? Wenn nun aber nicht, wird das mein erster Kuss. Mit Susu. Meinem Freund. Meinem Fels in der Brandung. Wenn er zählt, ist es einfach nur ein Kuss. Jedoch immer noch der erste an den ich mich später zurück erinnern werde. Ich höre ihn tief einatmen und bekomme mit wie er die Augen schließt. „Nein!“, würge ich atemlos hervor. „Nein nein nein. Du hast recht. Es zählt nicht. Es zählt nicht.“, wiederhole ich einige Male schwächlich krächzend. „Ich habe es noch vor mir und den will ich nicht von dir. Du bist mein Freund. Ich habe solche Gefühle nicht für dich.“ Meine Augen brennen als sie sich füllen. Er lächelt zufrieden und tätschelt mich zitterndes Bündel liebevoll über den Kopf. „So ist es brav.“ „Was?“, keuche ich überfordert. „Wusstest du wie es endet?“ „Klar, wer hat hier das Diplom du oder ich?! Jetzt musst du aber was für mich tun.“ „W… was denn?“ Er springt hinter mich und duckt sich. „Beschützt mich“ „Was macht ihr da in aller Frühe mitten auf der Straße?“ Mit den Händen in die Hüfte gestemmt schnauft Shiba uns an. Wenige Schritte hinter ihm kommt auch Haruno dazu. Prompt steigt mir die Hitze zu Kopf, als ich sie erblicke. „Hey Jungs. Schönes Wetter, was?“, floskelt Susu, sich hinter mir in Sicherheit wiegend. Verständlich das er Angst hat, der letzte der mich küssen wollte hat ein lädiertes Gesicht. „Wa… Was macht ihr schon so früh hier?“, stottere ich verlegen. Die beiden haben wirklich ein Talent dazu mich in peinlichen Situationen zu erwischen. Ich brauche ein Frühwarnsystem für sie. Ein Glöckchen um den Hals würde es vorerst auch tun. Würde Shiba sicher auch hervorragend stehen. Ein Frühwarnsystem für idiotische Handlungen muss erst noch für mich erfunden werden, aber das wäre mir jeden Preis wert. „Wir wollten sehen wie es gestern lief.“, erwidert Haruno etwas kurzatmig, der seine Mühen hatte dem schnellen Tempo seines Freundes mitzuhalten. „Wir sind scheinbar nicht die einzigen mit dieser Idee. Guten Morgen Subaru.“ „Und das ist mein Stichwort zu gehen. Bis heute Abend Schatz.“, zwinkert er mir grinsend zu bevor er schnell das Weite sucht. Ja toll, reite mich noch weiter in die Scheiße, dass zahle ich dir Heim. Hölzern drehe ich mich zu ihnen und zupfe schüchtern am Saum meines T-Shirts, um es ein paar Zentimeter länger zu ziehen. Nur zu real schießt mir das Wissen ins Bewusstsein, dass sie den Anblick meines halb nackten Körpers bereits kennen. Lieber wäre mir jetzt ein Polarexpeditionsanzug um meinen Körper zu verdecken. Zudem steht mir auch noch meine Löwenmähne wild ab, dass kommt davon wenn man mit nassen Haaren ins Bett geht und wühlt wie ein Bekloppter. Sie sehen natürlich wieder umwerfend aus. Haruno alias Japans next Topmodel in Spe. Ja, ich bleibe dabei, dass passt einfach besser zu ihm als diese Kindergärtner Nummer. Seine Igel spitzen am Hinterkopf hat der wieder hervorragend gezwirbelt und gegelt. Die zwei obersten Knöpfe seines Hemdes sind offen und ich bewundere sein schönen geschwungenes Schlüsselbein. Die Schuluniform steht ihm wirklich gut. Shibas dagegen ist genauso verschlossen wie er selbst. Ich verstehe nicht, wie er bei den Temperaturen tagsüber trotzdem mit den langärmeligen Hemd rumlaufen kann. Der muss sich doch zu Tode schwitzen. Sonnenallergie wird es wohl kaum sein, sonst bräuchten wir einen neuen Club Treffpunkt. Sein Zottel Pony verdeckt wie immer die Hälfte seines Gesichts. Das er dadurch überhaupt was sehen kann bezweifle ich nach wie vor, aber ich weiß nur zu gut was darunter lauert und irgendwie finde ich das gut, dass es nicht jeder weiß. Wenn die Mädchen die Haruno hinterher dackeln wüssten wie attraktiv er ist, würden sie ihm auch hinterher jagen und das scheint er auf keinen Fall zu wollen. Gut so. So habe ich ihn für mich allein. Na ja gut, ich muss mir das Sorgerecht mit Haruno teilen, der sich zu Wort meldet als Susu unser Sichtfeld verlässt. „Läuft da was zwischen euch?“ „Nein!“, schießt es wohl ein wenig zu schnell aus mir raus. „Aber ihr habt euch geküsst.“, bleibt er auf Kurs. Hektisch wedel ich mit den Händen, während meine Wangen diesen verräterischen Rotton annehmen. „Nur fast. Wirklich nur fast. Das war ein Test von ihm. Ich… ich habe noch nie. Wirklich. Also geküsst und so anderes... Ich konnte nicht. Ehrlich. Nicht mit ihm. Aber so ist er eben. Er fässt mich dauernd an. Sind aber nur Freunde. Wirklich gute Freunde. Beste Freunde.“ Ich glaube mein Kopf dampft wie ein übergroßer feuerroter Teekessel. Lieber die Klappe halten, bevor es schlimmer wird. Ich habe nicht das Gefühl, dass meine verunglückte Erklärung irgendwas bringt, denn sie Mustern mich beide ziemlich skeptisch. Doch vorerst geben sie sich still und wir gehen ins Haus. Mein Vater schläft noch. Er hat hart mit seinem Jetlag zu kämpfen. Ich bin froh, dass er noch nicht wach ist, so muss er mich nicht schon am frühen Morgen in dem kurzen Röckchen herum hüpfen sehen. Dadurch erspart er sich den Nervenzusammenbruch vorerst. Miyu freut sich riesig über Haruno und schenkt ihm ein selbstgemaltes Bild, auf dem sie beide als Prinz und Prinzessin zu sehen sind. Freundlicherweise hat sie mich dazu gemalt, als feuerspuckenden Drachen im Hintergrund. Er freut sich doch tatsächlich über das abstrakte Bild und verspricht ihr es zu Hause aufzuhängen. Das hätte er lassen sollen. Jetzt wird er so viele bekommen, dass er damit neu tapezieren kann. Armer Shiba, umgeben von Augenkrebs fördernden Bildern. Ich werde es meiner Schwester nie verzeihen, wenn er wegen ihrer Bilder sein Augenlicht verliert, was arg unwahrscheinlich ist, aber man weiß ja nie. Hina schnattert nonstop über mögliche Styling Ideen für die beiden, während sie meine Haare knetet, kämmt und flechtet. Keine Ahnung wie sich dieser Zopf nun wieder nennt, den sie mir verpasst hat, aber es sieht aus als hätte ich einen Kranz um den Kopf während sie im Nacken wellig fallen dank ihres Lockenstabs, mit dem ich schon unliebsame Bekanntschaft machen durfte. Haruno ist hellauf begeistert was ihre Ideen angeht. Ich nicht. Sie will ihm die Stacheln nehmen. Shiba verweigert sich dem Ganzen komplett und ist eher hinterher, dass ich was esse. Es ist manchmal erschreckend was er alles mitbekommt, aber er hat Recht, meine letzte Mahlzeit ist einige Tage her. An das Hungergefühl gewöhnt man sich, dass man es gar nicht mehr merkt. Mir hat einfach alles den Appetit verhagelt, dass ich nicht mal das Bedürfnis hatte überhaupt etwas essen zu wollen. Heute ist jedoch alles besser. Mein Vater schläft oben. Meine Mutter bricht sich fast ein Bein dabei aus uns zu bekochen und zu bewirten. Miyu spielt am Tisch mit Haruno und ihren Ponys. Hina geht ihrer Lieblingsbeschäftigung nach und stylt mich mit größtem Eifer. Shiba herrscht mich an den Teller leer zu essen. Auch seine Hand sieht schon deutlich besser aus die Schwellung ist weg. Es schmerzt ihn jedoch noch. Ich sehe es an seinen Mundwinkeln die sich immer verziehen wenn er die Hand bewegt. Irgendwie ist alles gerade so ziemlich perfekt, wenn da nicht eben dieser eine Name wäre der immer in meinem Hirn auf flackert. Meine Füße sind so schwer wie Blei und mein Magen krampft schmerzhaft. Wieder zur Schule zu gehen ist an und für sich eine gute Idee, aber die Sorge aufzufliegen ist jetzt größer denn je. Schließlich hat es nicht mal einen Tag gebraucht bis Shiba dahinter kam, das ich kein Mädchen bin. Das mag an seiner überragenden Beobachtungsgabe liegen, aber leider liegt es auf der Hand, dass es meine eigene Schuld war. Ich Idiot muss wirklich besser aufpassen, wie ich mich hinsetze und das ist sicher nur die Spitze des Eisbergs was Mädchen von Jungs unterscheidet. Shiba hat recht, ich sehe aus wie eins, benehme mich aber nicht so, wenn ich das nicht ändere wird meine Scharade früher oder später sowieso auffliegen. Ich will nicht wieder diese Hetze erleben. Diesmal muss es klappen. Diesmal kriege ich mein Leben auf die Reihe. Mit schwitzigen Händen, krampfenden Magen und Augenringen Dank schlafloser Nächte, aber ich werde es schaffen. Solange Haruno und Shiba mir zur Seite stehen, solange meine Familie mich bedingungslos liebt und solange Susu mein bester Freund ist, wird die Zeit an der Oberschule irgendwie durchzustehen sein. Ein erholsamer Schlaf wäre dennoch wünschenswert. Im Mathe Unterricht muss ich zwar nicht zuhören, weil wir Übungsaufgaben lösen sollen, aber ich schaffe es kaum meine Augen offen zu halten. Wie ein Schwergewichts Champion der seine hundert Kilogramm Gewichte hebt, kämpfe ich mit meinen Lidern. Gut, hundert Kilogramm werden sie nicht wiegen, aber gefühlte zweihundert Kilogramm mindestens. Wie eine Ewigkeit kommt es mir vor bis es endlich zur Pause läutet. Haruno war diesmal nicht schnell genug und wird scharenweise von Mädels umzingelt die ihn mit Fragen bombardieren. „Haruno, wo warst du denn? Ich habe dich vermisst.“ „Warst du krank? Warum hast du mich nicht angerufen? Ich hätte mich doch um dich kümmern können.“ „Ich leih dir gerne meine Mitschriften. Wir können uns ja zum Lernen treffen.“ „Schnatter, schnatter, schnatter.“ „Blablabla.“ Die Nerven! Benimmt sich so ein normales Mädchen oder sind nur verliebte Mädchen so aufdringlich? Merken die denn nicht, dass er sie alle nur an der Nase herumführt? Macht Liebe so blind? Ich bin doch ganz gut im erahnen was Mädchen fühlen, vielleicht kann ich das irgendwie auf mein Verhalten spiegeln damit ich glaubwürdiger werde. Jedenfalls vor Fremden oder Mitschülern. „Haruno, gib mir doch mal deine Nummer, damit ich dich erreichen kann.“ „Haruno, du hast doch nicht etwa gefehlt, damit du Zeit mit deiner Freundin verbringen kannst oder?“ „Gacker, gacker, gacker.“ Sie halten einfach nicht den Mund. „Das wird mit ihm heute nichts. Lass uns dennoch nach oben.“, höre ich Shibas Stimme aus dem Geschnatter heraus. „Oh ja, bitte.“, stöhne ich genervt. Hundemüde schleppe ich mich die Treppen hoch, nur um mich auf den harten Boden fallen zu lassen sobald ich die Tür hinter mir gelassen habe, dass Shiba auch noch beinahe über mich stolpert. „Was wird das denn?“, erkundigt er sich verwirrt. „Müde.“, antworte ich nur knapp. „War eine lange Nacht mit Subaru?“ Ich versuche ihn grimmig anzusehen, aber ich bekomme nur ein ziemlich schiefes Lächeln hin. „Nein. Nur eine schlaflose Nacht voller Albträume. Subaru ist nur ein Freund. Wirklich. Du wolltest doch, dass ich ehrlich zu dir bin.“ Er schweigt für den Moment. Brummend lässt er sich neben mir nieder und lehnt sich an das Gelände. Meine Augen sind längst geschlossen, erschöpft vom Gewichte stemmen einfach zu gefallen. Meine Schultasche muss als Kissen herhalten. Bequem ist was anderes, aber es erfüllt seinen Zweck. „Du hast Albträume?“, fragt er schließlich, als hätte er gründlich über seine nächsten Worte nachgedacht. Statt zu antworten seufze ich tief. Was soll ich darauf sagen? Jedenfalls fällt mir auf die Schnelle nichts dazu ein, was weitere Fragen erübrigen würde. Als ob es überhaupt eine Antwort darauf gebe die Akira aus dem Spiel lässt. Ich möchte nicht mit Shiba über ihn reden, auch nicht mit Haruno und erst recht nicht mit meiner Familie. Ich möchte ihn nur endlich vergessen können. „Misaki…“ Nein, bitte lass es einfach gut sein. Muss ich erst mit den Schultern zucken, damit du merkst, dass ich nicht darüber reden will?! „…komm her. Ich bin sicherlich bequemer als der Boden.“ Ein müdes, aber erleichtertes lächeln liegt auf meinen Lippen. „So etwas darfst du mir nicht anbieten, dann wirst du mich nicht mehr los. Ich kann ziemlich anhänglich sein.“ „Komm schon her.“, antwortet er ohne zu zögern. Mein lächeln weicht einer dezenten Rötung auf den Wangen. Ich schaffe es meine Augen zu öffnen und sehe seine ausgebreiteten Arme. „Ist das dein Ernst?“, harke ich ungläubig nach. „Komm.“, erwidert er mit Nachdruck. „Ist dir das gar nicht unangenehm?“ „Misaki!“ Ich schlucke schwer jedes weitere Wort der Gegenwehr herunter. Sowohl mühsam, als auch zögerlich erhebe ich mich auf alle Viere. Meine Muskeln fühlen sich dabei so schwer an. Ich weiß, dass hier ist ein Fehler. Ein verdammt großer Fehler, aber ich will es. Ich will es unbedingt. Will ihn. Ihm nahe sein. Ihn berühren. Jedoch habe ich seiner Umarmung kaum standhalten können und jetzt soll ich ihn als Dakimakura benutzen. Als ich in Reichweite gekrochen komme dirigiert er mich. Ich folge ihm ohne Widerrede, er würde sowieso nicht hören. Zufrieden ist er, als ich zwischen seinen Beinen Platz finde, meine dabei über sein rechtes gelegt und mein Oberkörper seitlich an seinem gelehnt. Seine Arme umschließen mich und drücken mich behutsam an sich. Während mein Herz den wildesten Samba den es je hingelegt hat mit dem kleinen Mädchen in mir tanzt, kann mein Kopf einfach nicht die Klappe halten und schreit mich an was mir nur einfallen würde. Wie dämlich ich nur sein könnte, wie leichtsinnig, wie über die maßen gutgläubig, dass das hier tatsächlich klappen könnte. Doch mein Körper erbebt und mein Untergeschoss ist längst auf Action eingestellt. Ich spüre die gefährlichen Regungen südlich sofort und zu übersehen ist sie auch nicht. Hastig lege ich meine Hände über meinen Schoß, um meine Begierde zu kaschieren. Ich traue mich kaum, doch wage einen Blick nach oben in sein Gesicht. Er hat seine Augen geschlossen und lehnt den Kopf gegen das Gitter, als möchte er ein wenig ruhen. Auch seine Wangen sind gerötet, wenn auch nicht so stark wie meine. Ich spüre ihr heißes glühen, doch sie sind nicht das einzige was an mir glüht. Ich fühle mich als würde ich in flammen stehen. Ich finde irgendwo in mir meine Stimme wieder, die alles andere als überzeugend sicher klingt. „Die Pause reicht doch sowieso nicht für ein Nickerchen.“, was mir ziemlich spät einfällt. „Dann schwänzen wir den zweiten Block Mathe, dass kann ich ganz gut, ich erkläre es dir später.“, antwortet er mir ohne die Augen zu öffnen. „Ich hätte nicht gedacht, dass du jemand bist der schwänzt.“ „Das ist eine Ausnahme. War für uns beide eine anstrengende Woche und jetzt ssssssch! Schlaf.“ „Ich glaube nicht, dass ich so schlafen kann.“, nuschle ich verlegen. „Ssssssssch.“, erwidert er nur. Schmunzelnd verdrehe ich die Augen. Sturkopf! Ich lasse auch den letzten Widerstand in mir los und kuschel mich in seine Arme. Mein Kopf ruht auf seiner Brust, dass ich den beruhigenden Ton seines Herzens lauschen kann. Schnell verliere ich mich in seinem klang. Seine Brust hebt und senkt sich bei jedem Atemzug und wiegt mich sacht. Leise bete ich in mich hinein, dass er die Augen geschlossen lässt. „Du solltest dich nicht einfach bedienen.“ „Das ist meine Rache dafür, dass ihr mich einfach in Stich gelassen habt. Ich futtere euch all die guten Sachen weg und dein Gebrumme ändert da auch nichts dran.“ „Hmm...“ „Ja, genau das. Brumme nur so viel du willst, dann esse ich nur noch schneller.“ Es dauert eine Weile bis mir klar wird, dass ich es wirklich geschafft hatte einzuschlafen und es gerade Stimmen sind die mich wecken. Kein Albtraum wie in der letzten Nacht, sondern nur zwei vertraute Stimmen die sich zu flüstern. „Was ist denn mit ihm?“, schmatzt das Igelchen mit vollem Mund. So wie es klingt, hat er sich dem Anschein nach über meine Bento Box hergemacht. Ich bin mir sicher Mum hat wieder für sie mit gekocht. Sie hat wirklich einen Narren an den beiden gefressen, vor allem nach ihrer Hilfe und ihrer Freundschaftsbekundung. Sie ist so glücklich, dass ich tatsächlich Freunde habe, aber nicht nur sie, auch Dad und Hina. Miyu hasst mich mehr denn je. Für mich ist es jedoch schwer zu glauben, dass sie meine Freunde sind. Nicht weil ich mich dem versperre, ich will ihr Freund sein. Ich will es wirklich. Nur, sie sind so cool und smart und hübsch, nein, nicht hübsch, sexy. Sie sind verflucht heiß und das macht es mir nur noch schwerer in ihrer nähe zu sein. Ich bin Eva im Paradies und sie sind der verbotene Apfel, während die Schlange in meiner Hose mir verführerische Dinge zu wispert. „Albträume.“, murmelt Shiba knapp. Der andere prustet wenig überzeugt. „Und das glaubst du ihm, nachdem wir gesehen haben wie er früh morgens vor der Tür mit Subaru herumgeknutscht hat?“ „Da war nichts, dass hat er doch selbst gesagt.“ „Ich weiß nicht, was ich ihm noch glauben soll. Ich denke, ich habe ihn falsch eingeschätzt. Er wirkte immer so unschuldig, naiv und hilflos, aber dann macht er mit dem Typen in Ni-chóme rum und dann Subaru. Dabei fühle ich mich so schuldig, weil ich selbst an nichts anderes denken kann, als ihn mir zu packen und-“ „Ren!“, unterbricht ihn das böse Pantherchen. Pfui! Aus! Wie kannst du ihn ausgerechnet jetzt unterbrechen?! Und? Und was? Ende von Teil 11 Kapitel 12: Teil 12- And the Oscar goes to… ------------------------------------------- Pretty Boy Teil 12- And the Oscar goes to… Und was verdammt? „Was hast du denn auf einmal?“, wundert sich Haruno über die Reaktion seines Freundes, der ihn ziemlich abrupt unterbrochen hat, ausgerechnet dann als es interessant wurde. „Ähm…“, schindet er Zeit. „Mir fällt gerade ein, dass du uns zwei doch im Erste-Hilfe-Zimmer eintragen lassen könntest, dann hätten wir ein Alibi fürs schwänzen.“, verhaspelt er sich fast. „Ja… klar…“, bricht es Stück für Stück aus seinem Mund, die Irritation wächst unterdessen mehr und mehr. Ich höre Geraschel, Schritte, die Tür, Stille. Unangenehm… Ich weiß nicht was ich machen soll. Warten bis er versucht mich zu wecken oder einfach die Augen aufmachen? Vielleicht groß mit Show gähnen und strecken? Habe ich dafür jetzt mein Einsatz schon verpasst oder kann ich noch loslegen, ohne das es peinlich wird? „Nun mach schon die Augen auf.“, grummelt er ungeduldig und nimmt mir die Entscheidung damit ab. Erschrocken fahre ich zusammen. Hätte ich mir auch denken können, dass er bemerkt hat das ich wach geworden bin. Vorsichtig öffne ich ein Auge nach dem anderen und mache mich mental auf eine Standpauke bereit. Unsicher blicke ich zu ihm auf und kann von unten unter seinem Pony die dicht zusammengezogenen Augenbrauen sehen. „Tut mir leid… Ich wollte euch nicht belauschen, es hat nur eine Weile gebraucht bis ich merkte das ich wirklich wach bin.“, gestehe ich kleinlaut, die Finger in meinem Rock vergraben, der sich mittlerweile nicht mehr verräterisch erhebt. Ein leises Knurren bekomme ich von ihm für meine mickrige Entschuldigung. Seine Augen Tasten währenddessen nachdenklich mein Gesicht ab. Was erwartet er zu sehen oder versucht er meine Gedanken zu erraten? Meine Gedanken geben aber nicht viel her. Sie spielen wie eine Schallplatte mit Sprung immer wieder Harunos letzten Satz ab und das in Dauerschleife. „Du weißt was er sagen wollte oder?“, wage ich mich vor. „Weißt du es auch?“, kontert er geradewegs ohne mir zu Antworten, aber das reichte schon um meine Frage zu klaren. Er sagte 'auch'. Also weiß er genau was Haruno sagen wollte und unterbrach ihn deshalb so abrupt bevor er vielleicht etwas peinliches aussprechen würde, dass er mir vielleicht nie ins Gesicht gesagt hätte, aber aussprechen konnte solange ich es nicht hörte. Befangen senke ich meinen Blick. Weiß ich es denn oder ist es nur Wunschdenken? Aber was außer dem könnte es sonst sein? 'Ihn mir zu packen und den Irrsinn aus ihm raus zu schütteln'? 'Ihn mir zu packen und wegsperren, damit er nicht mehr abhauen kann'? Oder ist es wirklich das was ich mir am ehesten wünschen würde? 'Ihn mir zu packen und besinnungslos zu vögeln'? Ja gut, dass ist genauso übertrieben wie unwahrscheinlich nach seinem Spruch “währst du doch nur wirklich eine Frau“. Also Antworte ich nach bestem Gewissen. „Ich bin mir nicht sicher. Verrätst du ihm, dass ich es gehört habe?“ „Das ist nicht meine Aufgabe.“ Ich schlucke schwer. Nein, es ist meine, aber das mache ich nur unter vier Augen. Allerdings, wann habe ich ihn schon mal für mich alleine? Wenn er nicht gerade von den Horden der Mädchen belagert wird, ist Shiba da und vor ihm kann ich das nicht offen ansprechen. Das ist viel zu peinlich. Ich sollte nicht zu lange warten, sonst traue ich mich gar nicht mehr und ich weiß nicht wie lange ich es noch ertrage immer wieder dieses “Und“ in meinem Hirn durch zu spielen. Die Standpauke blieb aus, aber die paar Worte die er zu mir sagte haben auch schon gesessen. Wie kann er nur mit so wenigen Worten so viel erreichen? Bei mir wäre es ein Roman und trotzdem wüsste keiner was Sache ist, weil ich nicht auf den Punkt komme. Dazu müsste ich erst mal wissen was ich wirklich will. Nun gut, der Sinn des Lebens im Großen und Ganzen scheint mir noch verborgen zu bleiben, aber ich weiß andere Dinge die ich will. Unter anderem Antworten. Ich komme nicht drum herum mir zu überlegen, wie ich es schaffe Haruno von der Menschheit zu trennen, damit ich ihn wenigstens für einen Moment für mich allein habe um meine Neugier zu stillen. Wenn ich ein S.O.S ruf ins Weltall schicke, kommen vielleicht ein paar Außerirdische und entführen uns. Die verstehen nicht was wir sage. Die Konsequenz eines tatsächlichen E.T. besuchs würde jedoch alles andere in den Schatten stellen, aber dann denke ich wenigstens nicht mehr an dieses verfluchte “Und“. Die Klassensprecherin kommt aus dem Lehrerzimmer zurück, nachdem er zu lange auf sich warten ließ. „Der Lehrer kommt nicht mehr. Er hat sich heute krank gemeldet. Wir sollen diese Unterlagen bearbeiten.“, verkündet sie während sie die Blätter verteilt. Das ist perfektes Timing. Es tut mir leid für den Lehrer, dass es ihm nicht gut geht, aber besser hätte es für mich nicht laufen können. Jetzt kann ich mir Haruno schnappen und- „Haruno, wollen wir das zusammen machen?“ „Haruno, lass uns lieber eine Lerngruppe bilden.“ „Haruno, das hatte ich gerade in der Paukschule, ich kann dir erklären wie das geht.“ Verdammt! Wo kommen die nur immer wieder so schnell her? Und was jetzt? Das nervige Geschnatter beginnt von vorn. Still betrachte ich das Szenario. Es sind nicht alle Mädchen der Klasse die sich um ihn tummeln, dennoch zu viele. Auch für Haruno. Deutlicher könnte er gar nicht gezwungen lächeln, aber das fällt den Mädels natürlich nicht auf in ihrem Konkurrenzkampf um das heiße Stück Fleisch. Kann mir keiner sagen, dass sie mehr in ihm sehen. Sie kennen ihn doch gar nicht. Nicht so wie Shiba. Nicht so wie ich. „Das ist wirklich überaus reizend von euch, aber ich würde es gerne erst einmal selbst versuchen. Ich komme aber gerne auf das Angebot zurück, wenn ich nicht weiter komme.“ Er klingt wie ein Versicherungsvertreter, dass jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken. Ich habe ihn zwar in seinem Prinzen Modus kennen gelernt, aber jetzt da ich weiß wie er wirklich ist, ist dieses Getue mir total fremd. Er wirkt wie eine andere Person wenn er auf Mädchen trifft, oder besser gesagt, sie auf ihn. Sie lassen sich leider nicht abwimmeln, versuchen ihn weiter weich zu quatschen. Ich sehe ihm an, dass er darauf gar keinen Bock hat. Dann muss die Prinzessin eben den Prinzen retten. Meine Damen und Herren, sie werden jetzt Zeugen meiner überaus miserablen Schauspielerischen Künste. Vorsicht auf den billigen Plätzen. Ich springe auf und lasse mich zur Seite fallen wie ein nasser Sack. Bitte nicht nachmachen, dass tut scheiße weh. Hart lande ich auf dem Boden und viele überraschte und erschrockene laute sind zu hören. Ich halte meine Augen geschlossen. Gebe vor mein Bewusstsein verloren zu haben. Was schwerer ist als es aussieht, denn es ist ein verdammtes Ding der unmöglichkeit ein grinsen zu unterdrücken. Entweder klappt das jetzt oder ich mache mich mal wieder zum größten Idioten der Welt, etwas an das ich mich nie gewöhnen werde. Ich höre ihn meinen Namen rufen und spüre wie er mein Handgelenk greift, nach meinem Puls sucht und anschließend meinen Atem kontrolliert. Erste Hilfe muss man wohl als Kindergärtner drauf haben. „Takeo, hilf mir!“ And the Oscar goes to Misaki, für seine amateurhafte aber überzeugende Darstellung als bewusstlose Frau. Klatschen sie Beifall meine Damen und Herren, dies war sein erster und letzter Auftritt. Ich werde Lady like auf den Arm genommen. Ich hoffe nur mein Rock sitzt. Egal wie sehr ich Mädchen spielen muss, von meinen Boxershorts bringt mich keiner ab. „Schnell zum Erste-Hilfe-Raum.“ Harunos Stimme klingt ganz flatterhaft, der Arme macht sich wirklich Sorgen. Wahrscheinlich denkt er, dass es mir immer noch nicht gut geht von letzter Nacht, aber das kleine Nickerchen in Shibas Armen hat mir sehr gut getan. Ich bin wieder ausgeruhter, wenn vielleicht auch nicht ganz Geistig zurechnungsfähig bei meiner bekloppten Idee. Es gefiel mir einfach nicht wie Haruno ständig von den Mädchen belagert wird. Es gefällt ihm ja selbst auch nicht, wenn ich ihn richtig gelesen habe. Klar, ich habe nicht Shibas Gabe der alles Durchschaubarkeit, aber ich bilde mir schon ein, dass ich sie mittlerweile einschätzen kann. Nicht so gut wie bei den Mädchen, die mich jetzt alle hassen, aber als Freund eben schon. Haruno heißt Shiba ein schneller zu gehen. Soll er mich doch mal tragen, auch wenn ich schlank bin, so leicht bin ich nicht. Ich staune das Shiba mich überhaupt so lange tragen kann, ohne zu schnaufen. Er ist nicht mal annähernd einem Schweißausbruch nahe, während ich mich nach dem Einkauf ins Haus tragen schon hinsetzten muss. Ich wage einen vorsichtigen Blick hinauf und sehe das breiteste Grinsen das ich je an meinem Pantherchen gesehen habe. Mir wird ganz komisch bei diesem Anblick. Mein Bauch kribbelt wahnsinnig unruhig. Es ist nicht unangenehm, aber dieses unbekannte Gefühl lässt mich nervös werden. Ich kann mich nicht erinnern so etwas schon mal gespürt zu haben. Waren die Außerirdischen vielleicht doch schon da und haben mir ein Alienparasiten in den Bauch gepflanzt? Mit roten Wangen vergrabe ich meine Nase in seinem Hemd und nehme den Duft von frisch gewaschenem war, mit einer dezenten Note Schweiß, der tatsächlich besser riecht als sein Shampoo. Erwachsen. Männlich. Zum anbeißen. Wie oft habe ich meine Nase nun schon an ihm gerieben? Viel zu oft und viel zu selten. Es fühlt sich nur so unglaublich gut an. So richtig. So Echt. Echter als alles zuvor. Und er ist selbst schuld, ich hab ihn gewarnt das ich anhänglich werde. Mit mir auf dem Arm stolpern sie in den Erste-Hilfe-Raum. Ich höre die helle Stimme einer Frau, die sogleich auf uns zu kommt. Laut klackern ihre Absätze dabei auf dem Boden. „Was ist passiert?“ „Sie ist einfach umgefallen. Es ging ihr heute Morgen schon nicht gut.“, erwidert das nervöse Igelchen, während Shiba mich auf eines der Betten ablegt, die aussehen als wären sie aus dem Krankenhaus. Er stutzt als er sich aufrichten will, aber nicht weit kommt. Erst jetzt fällt mir auf, dass sich meine Finger in sein Hemd gegraben haben und ihn fest halten. „Tut... Tut mir leid.“, stottere ich verlegen und ziehe hastig meine Hand von seiner breiten Brust. „Dir muss gar nichts leid tun Misaki. Es war mir eine Ehre deinem Schauspielerischem Genie zusehen zu dürfen.“, flüstert er ruhig und zwinkert mir doch tatsächlich zu. Ich glaube meine Augen könnten nicht größer sein, während ich ihn ungläubig anstarre. So eine kindliche Geste hätte ich von Haruno erwartet, aber nicht von ihm. Er äfft ihn zwar gelegentlich nach, aber diesmal ging es von ihm allein aus. Wieder schießt mir die röte ins Gesicht, ich spüre dessen Hitze deutlich in mir aufsteigen. Die Frau im weißen Kittel kommt zu uns mit einem Blutdruckmessgerät und Shiba tritt unauffällig zurück. Aufmerksam schauen ihr beide zu und Haruno lächelt mich erleichtert an, als er sieht das ich die Augen offen habe. Die Schwester geht ihr scheinbar festgelegtes Fragen-Protokoll durch, während sie mein Puls misst. „Wie heißt du?“ „Misaki Watanabe.“ „Watanabe, wie fühlst du dich?“ „Gut...“, gestehe ich kleinlaut. „Besteht der verdacht einer Schwangerschaft?“ „Gott, nein!“ „Kannst du dich daran erinnern das du umgekippt bist?“ „...Ja...“ „War dir schwindelig?“ „.....nein.....“, ich werde mit jeder unangenehmen Frage leiser. Ob es ihr schon aufgefallen ist das mir nichts fehlt? Wenn sie dieses Spielchen durchschaut wäre das jedoch nicht so schlimm, als würde sie meine Scharade aufdecken. Sie leuchtet mit einer Taschenlampe in meine Augen, sieht in Ohren und Mund, tastet meinen Hals ab, horcht mit einem Stethoskop meine Brust und Rücken ab, bei dem mir angst und Bange wird, misst Temperatur und fasst zusammen. „Dein Puls ist erhöht, sonst ist nichts auffälliges. Es besteht also kein Grund zur Sorge.“ Ich atme erleichtert auf und wage einen verstohlenen Blick zu Shiba, der die Arme vor der Brust verschränkt hat. Er erwidert meinen Blick, aber ich kann nichts in ihm lesen. Sein Gesicht ist völlig neutral. Also ahnt er ausnahmsweise mal nicht, dass mein erhöhter Puls an ihm liegt? „In einer halben Stunde werde ich dich noch mal testen, solange ruhst du dich hier aus. Befandest du dich in einer Situation die dich stresste?“ „Ähm... ja...vielleicht...“ „Okay, dann leg dich jetzt ein wenig hin. Wenn irgendetwas ist ruf mich, ich sitze gleich da vorne am Tisch und kümmere mich um meinen Papierkram. Und ihr geht zurück in eure Klasse.“ „Nein.“, erwidern wir drei zeitgleich mit hörbar unterschiedlich viel Kraft in der Stimme. Überrascht sieht sie zwischen uns hin und her. Sie öffnet ihre leuchtend rot bemalten Lippen, die farblich zu ihren glänzenden hohen Schuhen passt, aber das blitzschnelle Pantherchen fällt ihr ins Wort. „Ich gehe zurück, aber einer sollte sie lieber beobachten falls doch was passiert.“ Sie seufzt hörbar, nickt dann aber nachgebend. Die Schwester sitzt an ihrem Schreibtisch. Haruno hat den Vorhang um meine Liege zugezogen und sitzt auf der Bettkante. Mein Plan hat entgegen all meiner Erwartungen und Möglichkeiten zu misslingen tatsächlich Funktioniert. Ich habe ihn tatsächlich für mich allein, aber was nun? „Mit dir wird es echt nie langweilig.“ „Ist das gut oder schlecht?“, frage ich vorsichtig. Er hat mir seinen eleganten Rücken zugedreht. Ich sehe sein Gesicht nicht, aber wie er immer wieder seine Handflächen über seine Hose reibt und schweigt. Stück für Stück krabbeln meine Finger über das Bett zu ihm. Nur zögerlich greife ich nach dem Saum seines weißen Hemdes und zupfe zaghaft daran. „Haruno... bist du mir böse?“ Er schnauft und seine Ohren heben sich bei einem breiten lächeln. Endlich wendet er sich mir zu. „Ren.“, erwidert er nur. Ich spüre wie meine Wangen beginnen zu glühen und meine Lippen zu zittern. Es ist nur sein Name. Stell dich nicht so an. „R... Ren...“ Ein Schauer durchfährt mich von Kopf bis Fuß und lässt den Haarflaum an meinem Körper aufrecht stehen. „...Tut mir leid... wegen der Show, aber... ich wollte unbedingt mit dir allein sein.“ Leider fällt mir jetzt erst auf, wie ungünstig meine Wortwahl war. Er schaut mich überrascht an und öffnet seinen Mund um etwas zu erwidern, was er aber sichtbar schwer herunterschluckt. Er schweigt stattdessen und betrachtet meinen Arm der immer noch ein Stückchen Stoff seines Hemdes hält. Langsam fährt er seine Fingerspitzen über meine Gänsehaut. Diese Geste lässt sie sich nur weiter ausbreiten. „Haru-... Ren... ich... ich muss dir etwa gestehen.“ Erwartungsvoll hebt er seinen Blick von meinem Arm und sieht mir in die Augen. Erneut durchfährt mich ein Schauer beim Anblick seiner verschleierten Pupillen die vielversprechend aufblitzen. Ein angenehmes ziehen meldet sich währenddessen zwischen meinen Beinen. Verdammt. Wie soll ich mich da Konzentrieren? „Was ist denn so wichtig, dass du mich unbedingt unter vier Augen sprechen musst und dafür extra so eine Showeinlage bringst?“ Seine Finger streichen meinen Arm langsam weiter hinauf und auch er kommt mir näher, dass das Bett ein kurzes ächzen von sich gibt. Was wollte ich noch mal von ihm?... „Ach ja... Ich habe gehört was du auf dem Dach gesagt hast. Ich bin wach geworden von eurer Unterhaltung, aber blieb liegen.“ Prompt fällt sein Gesicht neben mir ins Kissen und nuschelt unverständliche Wörter hinein. „Tut mir leid!“, sage ich hektisch. „Ich wollte nicht lauschen. Ich hab nur nicht so schnell begriffen, dass ich tatsächlich wach bin.“ Er stößt ein leises lachen aus und dreht seinen Kopf zu mir. Ein unglaublich schönes lächeln schenkt er mir, dass es ganz wonnig warm in mir wird. Ich weiß das dieses lächeln nicht jeder bekommt, dass macht es besonders wertvoll für mich. Ich bin für ihn nicht eins dieser Mädchen die um seine Aufmerksamkeit buhlen. Ich bin sein Freund. Sein Vertrauter. Nicht mehr jemand X-beliebiges, dank Shiba. Wäre er nicht gewesen, wäre ich sicher auch nur eine von viele für ihn gewesen. Ein Mädchen in der Masse. Aber Shiba brachte uns drei zusammen. Er duldete mich sofort in seiner nähe, weil er mein Geheimnis sofort durchschaute. Haruno vertraut ihm und umgekehrt genauso. Und an mir wird es Zeit ihnen auch voll und ganz zu vertrauen. Dazu gehört Ehrlichkeit, da hat Shiba ganz recht. „Ich will nicht sagen das ich enttäuscht bin, aber ich hatte jetzt etwas anderes erwartet.“ Er legt sich neben mich und stützt seinen Kopf auf die Hand. „Das hättest du auch so sagen können.“ Ich drehe mich auf den Bauch und hebe meinen Kopf weit an, dass sich mein Kreuz durch wölbt. „Du verstehst nicht. Dein letzter Satz... bevor Shiba dich unterbrochen hat, was wolltest du sagen? Und? Und was?“ Seine Augen scheinen mich zuerst ab zu scannen, bevor er endlich etwas sagt. „Sei ehrlich zu mir, dann bin ich es auch zu dir.“ Ich stutze. „Okay...“ Kann er doch Gedanken lesen? „Läuft da was zwischen dir und Subaru?“ Genervt verdrehe ich die Augen. Fängt er schon wieder damit an. „Er ist nur ein Freund. Mein bester Freund und bis vor kurzem seit Ewigkeiten mein einziger Freund überhaupt gewesen. Gut, er hat eine aufdringliche Art, aber das ist okay, er ist harmlos. Ich mag es wenn er so zu mir ist. Er würde nie etwas tun was man nicht will. Niemals. Und?“ „Der Kerl in Ni-chóme, der dich abschleppen wollte, wolltest du das? Machst du so etwas öfter?“ Wild raufe ich mir mein Haar, dass sich einige Strähnen aus meinem Zopfkranz lösen und stöhne auf. „Nein verdammt! Bevor ich nach Kalifornien flog ist so etwas noch nie passiert, dass war das erste mal. Ich war oft in Ni-chóme. Sehr oft, aber es hat sich nie jemand für mich interessiert. Ich hab gar nicht bemerkt was er von mir wollte, bis seine Hand zwischen meinen Beinen landen wollte. Ich hab doch noch nie-“, ich unterbreche meinen Satz. Mit leuchtend roten Wangen sehe ich verlegen zu ihm auf. „Und was?“ Eine Hand erhebt sich und löst meinen zerwühlten Zopf auf. Langsam zupft er mir mit größter Sorgfalt mein Haar zurecht. „Du hast noch nie was?“, fragt er ruhig, aber ich sehe das auch seine Wangen deutlich ins rot verfallen. Beschämt versenke ich mein Gesicht in meinen Händen. Das ist so verdammt peinlich! „Ich hab noch nie...“ Ich werde mit jedem Wort leiser und schlucke hart. „S... Sex...gehabt...“ Er stutzt. „Noch nie? Aber einen Blowjob oder Handarbeit schon oder?“ Oh Gott. Ich kann ihn dabei nicht ansehen. Hektisch ziehe ich mir die Decke über den Kopf. Ich sterbe gleich vor Scham. Ist das möglich? Gab es das schon mal? Wenn nicht bin ich der Erste. Ein verfluchtes Wunder der Natur. „...nein... gar nichts... noch nie...“, stottere ich unter meiner weichen Mauer. „Moment, Moment! Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du ein komplett unbeschriebenes Blatt bist?! Hat sich nie etwas ergeben? Nie? Nicht mal in Amerika? Du machst es dir aber schon noch selbst oder?“, überschlägt er sich fast ein wenig zu laut, dass die Schwester sich laut räuspert. Erschrocken zucken wir beide zusammen. „Natürlich mache ich das. Ich bin auch nur ein Mensch. Das reicht jetzt! Und was verdammt?! Antworte endlich.“, flüstere ich deutlich energischer. Ich spüre das vertraute aufkommende brennen in meinen Augen. Warum muss er mich nur so verdammt peinliche Dinge fragen? Hat er da Spaß dran? Ich finde das gar nicht witzig. Und warum Antworte ich Idiot auch noch darauf? Scheiß auf Ehrlichkeit! Bitte stell mir keine Fragen mehr. Ich befürchte mein Herz zerspringt gleich in tausend teile so hart wie es gegen meine Rippen stößt. Kaum zu glauben, da ich der Meinung war, es würde nie heilen nachdem es mir gebrochen wurde. „Oh man... da wächst mein schlechtes Gewissen nur noch mehr.“, seufzt er lang. Ich spüre wie er an der Decke zieht und ich packe fest zu. So schnell gebe ich meinen Schutz nicht auf. Alles was du sagen willst, kannst du auch außerhalb der Decke zu mir sagen. „Misaki... lass mich dich sehen... bitte.“, ersucht er mich leise. Hektisch schüttle ich den Kopf. „Nein, nein, nein! Das ist verdammt peinlich!“ „Weißt du eigentlich, dass du oft “verdammt“ sagst? Und du sprichst es anders aus. Du rollst das 'R' immer so süß, wie ein frecher kleiner Pirat hörst du dich dann immer an.“ „Was?“, quietsche ich. Mit einem harten Ruck ist meine Mauer weg und erstarrt blicke ich in Harunos Gesicht, dass sich zu einem breiten lachen verzieht. Er versucht es zu unterdrücken, indem er sich den Arm vor dem Mund hält. Doch als er meine feuchten Augen bemerkt verstummt er sofort. Die Stirn in Falten gelegt, streckt er seine Hand nach mir aus und wischt behutsam den Daumen über das Nass. „Was genau hatte ich auf dem Dach gesagt?“, gibt er endlich nach. Da muss ich nicht lange überlegen. „Du meintest, dass du mir nicht mehr glauben kannst. Das du mich falsch eingeschätzt hast, weil ich mir Subaru und Mr. X was hatte. Das du dich Schuldig fühlst, weil du an nichts anderes denken kannst als mich zu packen und...und was?“ „Hmm... Aus der Nummer komm ich nicht mehr raus, was?“, grinst er frech. „Zunächst erst mal, tut es mir leid, dass ich gesagt habe ich könne dir nicht mehr glauben. Das war Idiotisch von mir. Und zu dem anderen. Und-“ Mit großen Augen muss ich mit ansehen, wie er das Nass von seinem Daumen leckt. „Dich zu küssen... dich zu berühren... dich zu nehmen... Ich begehre dich Misaki. Ich wollte es erst nicht wahr haben, aber als du dann halb nackt in unserer Wohnung warst, habe ich dem Universum dafür gedankt das Takeo da war. Ich weiß nicht was ich sonst noch mit dir getan hätte.“ „Ist das die Wahrheit?“, stoße ich atemlos hervor und blinzle ungläubig. Ich habe verlernt zu atmen, seit er seinen Mund öffnete und erst als er bedächtig nickt, schaffe ich es meinen angehaltenen Atem entweichen zu lassen. Das kann unmöglich die Wahrheit sein. Er mag mich? Mich? Warum? Warum ausgerechnet mich? Und nicht nur mögen, nein, er will mich. Das ist noch mal eine ganze Spur mehr als mögen. Das ist das mit anfassen an heiklen Stellen und küssen wo die Sonne nicht hin scheint. „Du warst ehrlich zu mir, also bin ich es auch zu dir.“ Ich schlucke schwer. „Aber du stehst doch auf Frauen. Du bist Hetero.“ Ich hoffe, dass ich das leise genug geflüstert habe, ich bin doch tatsächlich aufgeregt. Wenn nicht sogar kurz vorm durchdrehen vor Glück, aber ich muss Ruhe bewahren. Es gibt zu viel ungeklärtes. „Du hast selbst gesagt: “wärst du doch nur wirklich eine Frau“.“ „Ja und nein.“, lächelt er mich an. „Ich steh auf Frauen, aber ich hab auch schon mit Männern rumgemacht. Ich bin Bi nicht Hetero. Und diese Äußerung hegte einen tieferen Wunsch.“ „Und der wäre?“, schießt es aus mir raus ohne drüber nachgedacht zu haben was er mir da gerade gesteht. Ich kann nicht mehr um den heißen Brei reden. Ich habe lange genug Rätselraten gespielt. Es verlangt jetzt Antworten. Auch das kleine Mädchen in mir tippt ungeduldig mit dem kleinen Füßchen auf den Boden und hat die Arme vor der Brust verschränkt. Auch sie verlangt nach Antworten, bevor sie es wagen kann sich zu freuen. Er sieht weg. „Das ist mir jetzt peinlich.“, nuschelt er und versteckt erfolglos seinen Mund hinter seiner Hand. „Sicher nicht so peinlich wie mein Geständnis.“ Er seufzt ergeben und baut den Blickkontakt wieder auf. Schüchtern erscheint er, wie er von unten zu mir aufsieht. Er wirkt fast kindlich. „Du wärst perfekt...“, gesteht er leise. „Du bist ein Familienmensch. Mein Helfersyndrom springt voll auf dich an. Du bist unglaublich hübsch und dazu unfassbar sexy, dabei hast du die Naivität eines Kindes. Du bist fürsorglich und sanft. Scheiße noch mal, du hast dich gerade auf die Fresse gelegt, um mich aus dieser erdrückenden Situation raus zu holen. Du opferst dich auf für die Menschen die dir nahe stehen. Du handelst ohne zu denken und beeindruckst mich immer wieder. Du kannst erhobenen Hauptes die Gänge entlang gehen und lachen, obwohl du einen Rock an hast. Ich würde mich ins nächste Loch verkriechen. Du bist so stark. Mental meine ich. Man kann so viel Spaß mit dir haben, aber auch ernste Gespräche mit dir führen. Du bist dickköpfig und forderst einen gerade dann heraus, wenn man am wenigsten damit rechnet. Ich träume schon lange von einer Zukunft mit der Frau die so perfekt zu mir passt und mich ergänzt. Ein Haus im tiefsten Wald, in einem unberührten Teil Kanadas. Umgeben von Bäumen und Tieren und mindestens ein halbes dutzend Kinder. Ich liebe Kinder und will unbedingt welche. Sie würden dann aufwachsen in der Natur, umgeben von den Menschen die sie und sich lieben. Was meinst du wie unglaublich hübsch unsere imaginären Kinder wären. Im Wald gibt es auch nichts mehr vor dem du weglaufen müsstest.“ Oh je, mir wird schon wieder so komisch. In meinem Bauch flattert es unruhig. Mir ist kochend heiß doch gleichzeitig eiskalt. Ich könnte gerade echt heulen, aber nicht weil ich traurig bin, na ja vielleicht ein bisschen. Ich bin ergriffen von dem was er mir gesteht. So viele nette Dinge. Und er meint sie auch alle so. Seine Augen leuchten. Und ich würde ihm am liebsten in die Arme springen, aber er wünscht sich ein Familienleben. Kinder, die ich ihm natürlich nicht schenken kann. Wünscht sich ein Leben weit weg von all dem was ich kenne. Weit weg von Japan, meiner Familie, meinem neuen Leben. Weit weg von dem Leben, dass ich immer in meiner Fantasie für ihn erdacht habe. Das Top Model vor der Kamera und auf dem Laufsteg. Das versetzt meiner aufkeimenden Freude einen gehörigen Dämpfer. „Und bei all deinen Verehrerinnen ist keine dabei die deinen Vorstellungen entspricht?“, frage ich schwach, doch ahne schon die Antwort. Er hält sie schließlich alle auf Abstand und macht sich gar nicht erst die Mühe sie kennenlernen zu wollen. Er stöhnt klangvoll auf. „Du hast doch gesehen wie die sind. Nerviges Pack.“ „Wenn sie dich so nerven weise sie energischer ab. Damit sie verstehen, dass du nichts von ihnen willst.“ Haruno lässt sein Kopf ins Kissen fallen und liegt ausgestreckt neben mir. Er redet weiter während er an die Decke starrt. „Das geht nicht. Sie sind alles Kunden in dem Host Club in dem wir arbeiten. Für jede die nach mir fragt bekomme ich ein paar Yen extra und wir brauchen jeden einzelnen. Die Miete ist verdammt teuer und Lebensmittel auch. Zudem müssen wir noch für die Flugtickets sparen und und und. Leben ist ganz schön teuer. Am Ende des Monats bleibt nie was übrig trotz zwei Jobs. Wenn wir die Zeit hätten müssten wir sogar noch einen dritten machen um alles zu wuppen.“ Ich sehe zu ihm runter. Liege nach wie vor auf meinem Bauch, dass mein Rücken mittlerweile etwas schmerzt. Er lächelt, aber es ist nicht echt. Seine Augen verraten ihn. Sie sind trüb, kein Vergleich zu dem euphorischen Glanz als er von seinen Zukunftsplänen sprach. Lächle nicht wenn dir nicht danach ist. Es tut weh, wenn du mir ein aufgesetztes lächeln zeigst. „Ihr habt zwei Jobs?“, frage ich also. Ich muss das Gespräch am laufen halten, wenn er schon mal so redselig ist. Vielleicht kann ich seine Stimmung wieder heben. „Ja.“, schnauft er. „Im Host Club in der Amüsiermeile Freitag und Samstag Nacht. Ich als Host und Takeo als Barkeeper. Das reicht nicht mal ganz für die Miete, deshalb arbeite ich noch Montag bis Donnerstag Abend in einem Spätdienst Kindergarten. Helfe beim Abendbrot machen und verteilen. Halte die Kinder wach bis ihre Eltern kommen. Takeo arbeitet in der Zeit in einem Fitnesscenter, als Coach und gibt Kurse. Dort geht er schon länger hin. So kommen wir über die Runden.“ „Unterstützen eure Eltern euch denn nicht? Ihr habt doch noch Eltern oder? Ihr redet nie von ihnen.“ Er wird ganz ruhig. „Har-... Ren... sag schon.“ Ich ergreife seine Wangen und schiebe mich in sein Blickfeld, damit er mich statt der Decke anstarren muss. Liege halb auf ihm, zwinge ihn an mich, damit er nicht flieht wie ich es tun würde. Er kaut auf seiner Unterlippe, während er mein Gesicht studiert. „Ja, wir haben Familie, aber...“ Seine Augen weichen kurz von mir ab. „Das ist ein Thema über das ich nur reden darf wenn er dabei ist.“ Ich gebe nach, denn ich merke, dass ich bei diesem Thema nicht weiter komme. Er hat es schon mal vermieden darüber mit mir zu sprechen, aus den gleichen Gründen. „Versprich mir aber, dass du mir ein Zeichen gibst, sollte ich je in ein Fettnäpfchen treten was das Thema angeht.“ Sofort verziehen sich seine schmalen Lippen zu einem schmunzeln und es ist echt. Mir wird gleich leichter ums Herz. „Gut, ich knuff dich dann in die Rippen oder so etwas.“ „Waaas? Kannst du nichts netteres machen?“, spiele ich empört. Er überlegt kurz und beginnt zu grinsen, dass seine perfekten Zähne zum Vorschein kommen. „Und wenn ich dir meine Zunge ins Ohr stecke?“ „Iiiiihe.“, kicher ich wie ein unreifes Kind. „Geh mit mir aus.“ Ich stutze. „Was?“ „Geh mit mir aus. Lass uns was machen. Nur wir beide.“ „E... Etwa ein Date?“ Zum zweiten mal heute sehe ich sein schüchternes lächeln, daran werde ich mich nie satt sehen können. Er sieht verdammt süß und unschuldig aus wenn er mich so ansieht. Er schiebt mich von sich und setzt sich auf. „Lass uns diesen Sonntag was machen. Ich weiß auch schon wo wir hin können. Das wird dir gefallen.“ „Moment. Mein Vater ist das Wochenende da. Ich unternehme schon was mit der Familie. Außerdem würde meine kleine Schwester mich Lynchen wenn sie das erfährt.“ „Miyu?“ „Ja. Sie liebt dich und will dich später heiraten, aber das weißt du nicht von mir. Ich musste ihr mit dem kleinen Finger schwören das ich die Finger von dir lasse.“ „Awwww, wie süß. Aber lass das meine Sorge sein. Ich kümmere mich um sie und alles andere. Wir machen das dann nächstes Wochenende und du musst dich nur überraschen lassen.“, strahlt er gut gelaunt und ergreift meine Hand, auf der er einen seiner perfekt einstudierten Prinzenküsse platziert. Ein stilles lachen kommt über meine Lippen. „Das hast du schon lange nicht mehr bei mir gemacht.“ „Stimmt, aber für dich sollte ich mir was neues einfallen lassen, schließlich bist du was besonderes.“ Nach dem die Schwester erneut meinen Puls misst und er wieder zu hoch war, riet sie mir vorsichtig zu sein und schnellst möglich einen Arzt aufzusuchen. Das mein Puls wegen zwei höllisch gut aussehenden Kerlen erhöht ist gestehe ich dennoch nicht. Einer von ihnen war schließlich anwesend. Shiba wartete brav im Klassenzimmer auf uns. Der Rest des Schultages ging schnell vorbei, ich hatte schließlich viel über das ich nachdenken musste. Ein Date. Ich? Mit Haruno dem Prinzen? Und er mag mich. Er mag mich wirklich. Ich kneife mich und es tut weh. Es ist kein Traum. Dieses mal nicht. Er mag mich und will ein Date mit mir. Aber warum überhaupt noch? Es liegt doch klar auf der Hand, das sich seine Zukunftswünsche mit der Realität beißen. Was mache ich jetzt? Ich muss dringend mit Susu reden. Ich bin so durcheinander. Als wir das Klassenzimmer verlassen und auch während wir den Schulhof überschreiten komm ich nicht drum herum immer wieder Haruno anzustarren, daher bemerke ich nicht was vor mir ist. Abrupt bleiben sie stehen. „Möchtest du etwas von uns?“, wundert sich das Igelchen. Verdammt! Sie habe ich ja total vergessen bei all dem Gefühlschaos. Die stolze Kriegerin des Kaisers Mishiro steht uns im Weg. Diesmal in ihrer Schuluniform. Dicht zusammen gezogen sind ihre perfekt gezupften Augenbrauen und fixiert mit starrem Blich nur mich. „Du hast mich lang genug wartn lassn Misaki Watanabe. Ich werd kein 'Nein' akzeptiern und du kommst mit mir zum Training.“, bestimmt sie mit ihrem leichten Dialekt. Nervös vergrabe ich meine Finger im Rock. „Ähm... ich kann nicht. Mein Vater ist zu Hause, wir wollten-“ „Ich duld keine Ausredn.“, unterbricht sie mich mit starker Stimme. „Wir trainiern heut. Komm und sieh's dir an.“ Sie greift nach meiner Hand, doch Shiba fängt sie ab. Deutlich sichtbar verliert sie kurz ihre Haltung als sie sich erschreckt. Sie sieht zu ihm auf und ich erkenne wieder diesen rätselhaften Blick, der mir bereits letztes mal auffiel, ich aber nicht lesen konnte. Leider gelingt mir das jetzt auch nicht. Hut ab vor ihrer Willenskraft, dass sie mir als selbsternannten Frauenversteher widerstehen kann. „Misaki kommt Montag. Ihr Vater ist nur das Wochenende hier und fliegt dann wieder zurück nach Amerika. Ich werde sie persönlich bei dir abliefern.“, entgegnet ihr mein Beschützer und Verräter. Ich will da gar nicht hin. „Du redst also wieder mit mir? Gut, dann möcht ich dich bittn auch wieder Teil meines Teams zu werdn.“, erwidert sie mit sturem Blick. „Nein.“, antwortet er nur und geht an ihr vorbei, ohne jede weitere Geste oder verlorenem Wortes. Was war das denn? Sie kennen sich also? Ende von Teil 12 Kapitel 13: Teil 13- Bibedibabedibu ----------------------------------- Pretty Boy   Teil 13- Bibedibabedibu   „Du kennst sie?“ Erstaunlicherweise kommt diese Frage nicht von mir. Wir bemühen uns den schnellen Schritten Shibas mitzuhalten. Als wäre er auf der Flucht, läuft er uns bald schon davon. Vielleicht befürchtet er Mishiro holt uns ein und verdonnert uns alle drei zum Training. Er hat sich allerdings klar ausgedrückt, auch wenn sie so wirkt als würde sie ein 'nein' kaum akzeptieren. Sie war allerdings ziemlich überrumpelt als er ihre Hand abgefangen hat. Denkbar das er ihren schwachen Moment ausnutzte und mir so eine weitere Gnadenfrist verschaffen konnte, in dem er mich Montag persönlich zum Training bringt. Verdammt! Dabei will ich dort gar nicht hin. Nicht mal zum Probetraining. Mit keinem Zeh betrete ich diese Trainingshalle noch mal. Ich muss mir Dinge, für die ich mich in der Schule ausziehen muss, so weit wie möglich vom Leib halten. Das Risiko ist zu groß, auch bei nur zwei Weiblichen Teilnehmerinnen im Club. Meine Scharade darf nicht auffliegen. So sollte jedoch ein normales Schulleben sein, mit Freunden treffen, lernen, außerschulische Aktivitäten in Schulclubs. Ich bekomme das volle Programm aufgedrängt von den Zweien. Die letzten Jahre war mein Leben fernab von normal, all diese Dinge hatte ich nicht und plötzlich habe ich wieder ein Sozialleben. Die verlorene Zeit bekomme ich nicht zurück, aber ich erhalte mein Leben wieder. Ein lebenswertes Leben noch dazu. Genau das wünsche ich mir so sehr, Leben. Wäre nur diese verdammte Scharade nicht,... „Takeo sag schon, woher kennst du sie?“, drängt Haruno weiter, der nicht so sehr außer Atem ist wie ich. In Rekordzeit haben wir schon den halben Weg hinter uns gebracht, als Shiba nicht mehr drum herum kommt etwas zu erwidern, weil sein Freund nicht locker lässt und er anscheinend genau weiß, dass dieser auch nicht aufgeben wird. „Kendo Club, während der Mittelschule.“, brummt er daher widerwillig. „Echt? Hast du mir schon mal von ihr erzählt?“ Er klingt überrascht, was mich wiederum stutzig werden lässt. Ich war bis eben der festen Überzeugung die beiden wissen absolut jede Kleinigkeit voneinander. Abrupt bleibt Shiba stehen und sieht seinen aufdringlichen Freund an, nachdem er mich mit einem prüfenden Blick überflog. „Sie ist die Schwester.“ „Die Schwester?“, echot er verwirrt und wiederholt es nachdenklich einige male. Sein Gesicht spricht Bände. Deutlich erkenne ich den Moment in dem der Groschen fällt und er schließlich mit offen stehendem Mund seinen gegenüber anstarrt. „Die Schwester?“, bekräftigt er noch mal mit einer deutlichen Betonung auf das 'die'. Shiba schnauft nur mürrisch und setzt seinen Weg im abgeschwächtem Tempo fort. Mit etwas Abstand folgen wir. „Die Schwester von wem?“, frage ich leise von Neugier gepackt. „Und warum kennst du sie nicht?“ „Während der Mittelstufe waren wir auf unterschiedlichen Schulen und durch den Umzug seiner Familie zu weit weg voneinander, um die neuen Bekanntschaften des jeweils anderen persönlich kennen zu lernen. Ich weiß, dass er Kendo gemacht hat. Nicht nur im Schulclub, sondern auch nach der Schule, in dem Dojo dieser einen Teilnehmerin mit ihrem Bruder zusammen, der schon in der Oberstufe war.“ Mir kommt Mishiros rätselhafter Blick in den Sinn, denn ich nie lesen konnte. Ich habe bei unserem ersten Aufeinandertreffen bereits bemerkt, dass sie Shiba kennt. Bei ihm verliert sie deutlich schneller ihre stolze Haltung, als mit jedem anderen mit denen ich sie beobachten konnte. Sie hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als Haruno seinen Prinzencharm spielen ließ. Angespannt fangen meine Nerven an zu zucken. „Wenn du von ihr nicht so viel weißt, heißt das... Mishiro und Shiba waren...“ Ich schlucke hart. Unsicher sehe ich zu Shiba, der nach wie vor ein gutes Stück vor uns läuft. „Ein Paar?“, flüstere ich kaum hörbar, dass selbst mein Herz sich lauter anhört als meine labile Stimme, die wankend die Wörter hervorbringt, bei denen ich mir lieber auf die Lippe gebissen hätte. Erschrocken zucke ich zusammen als das Teenie Model herzhaft los lacht. „Das Mädchen?“, fragt er äußerst amüsiert mit einem breiten lächeln im Gesicht, bei dem man seine perlweißen Zähne in perfekt geraden Reihen nebeneinander sieht. „Nein, aber auf das aufeinander Treffen bin ich dennoch gespannt. Ich komme Montag definitiv mit in den Kendo Club. Vielleicht mach ich auch mit, dann bist du nicht so allein dabei.“, erwidert er süffisant grinsend, während seine Hand über das stachelige Haar am Hinterkopf fährt, die anschließend nach meiner Hand fischen geht und mich näher an sich zieht als er sie erwischt. Das kleine Mädchen in mir quietscht mich fast taub. Er hält mit mir Händchen. Werft Konfetti! Schlagt die Glocken! Lasst weißen Rauch aufsteigen! Den Atem anhaltend sehe ich zu ihm auf und blicke wieder in dieses unglaublich süße schüchterne lächeln, bei dem er sich ein wenig in seine Lippe verbeißt, dass ein Mundwinkel ein wenig niedriger ist als der andere. Ich schmelze dahin. Wenn er mich so ansieht möchte ich ihm am liebsten in die Arme springen. Das wir jetzt hier Hand in Hand laufen können ist auch nur möglich, weil ich immer noch als Mädchen herum laufe. Meine Scharade hat also doch auch Vorteile. Neckisch stupse ich ihn mit meiner Schulter an und erwidere sein lächeln, mit mindestens genauso roten Wangen. Er entspannt sich sichtlich nach meiner Geste, die ihm signalisieren sollte 'es ist okay'. Er hat es verstanden. Und es ist okay. Wirklich... aber es macht mir auch angst. So sehr ich mich auch über diese Zuneigung freue, so sehr verdüstert mir ein dicker schwarzer Schatten meine Gedanken. Dieser Erinnert mich nur zu gerne, “Du Narr, dass wird nie was mich euch. Keine drei Jahre und er verlässt das Land.“ Was meiner Freude wieder einen gehörigen Dämpfer verpasst. Denn was genau sind wir jetzt? Immer noch Freunde oder mehr? Er hat Interesse an mir, dass hat er mir im Erste-Hilfe-Raum eben noch gesagt und ich bekomme in seiner Gegenwart Herzklopfen, auch das spüre ich überdeutlich. Genauso wie das Prickeln unter meiner Haut, wenn er mich berührt, so wie jetzt in meiner Hand, dass sich meinen Arm hinauf ausbreitet. Also was hält mich auf? Warum springe ich ihm nicht einfach in die Arme? Ich will ihn doch auch. So sehr. Und obwohl ich gerade irgendwo zwischen Erde und Wolke sieben taumele, höre ich ein lauten Aufprall, gefolgt von einem ächzenden Panther, der sich die Schläfe hält. „Bist du gerade echt gegen den Laternenpfahl gelaufen?“, lacht ihn sein Freund aus. „Hat dir nie einer gesagt, dass man beim laufen nach vorne gucken soll?“ „Halts Maul, dass tut weh.“, grummelt er vor sich hin und meidet den Blick mit uns. Ich löse mich von Haruno und schaue mir seinen Kopf aus der nähe an. Da er keine Anstalten macht mir entgegen zu kommen, lege ich eine Hand um seinen Nacken und ziehe ihn bestimmend zu mir runter, da er einen Kopf größer ist als ich. Er zuckt zurück, aber ich lasse ihn nicht zu weit weg. „Da wird dir ein Horn wachsen, dass sollten wir möglichst schnell kühlen, damit die Schwellung nicht zu groß wird.“ Er sieht an mir vorbei während ich seine Schläfe betrachte. Die Haut ist leicht aufgescheuert, wird aber nicht bluten. Könnte aber noch ein Bluterguss werden, die Haut beginnt bereits sich zu verfärben. „Nein, wir gehen nach Hause. Kommen doch sowieso nicht zum lernen.“ Enttäuscht sehe ich zu ihm auf. „Habt ihr nicht noch ein paar Minuten? Dad wollte euch gerne kennen lernen. Solange können wir noch was drauf tun, bis zu euch ist es dick.“ „Natürlich kommen wir mit rein.“, wendet Haruno ein und gibt Shiba einen knuff in die Seite.     Zu Hause wickle ich eine Ladung Tiefkühlerbsen in ein Handtuch und halte es an seine Schläfe. Augenblicklich zuckt er zusammen als die Kälte ihn trifft. Leise knurrend übernimmt er das Bündel und fügt sich widerwillig seinem Schicksal als ich ihn zu Dad und Haruno an den Esstisch setze. Mum ist noch unterwegs um Miyu von der Schule zu holen. Ihr Weg ist weiter als meiner und Mum möchte nicht das sie alleine mit der Bahn fährt. Sie befürchtet, dass Miyu in der Rush Hour nicht mehr rechtzeitig an ihrer Haltestelle raus kommt, so fahren sie täglich Rad. Hina kocht Tee auf und richtet den Kuchen auf großen verzierten Glastellern an. Ich glaube in diesem Haus gibt es nichts was nicht verschnörkelt, verziert oder verniedlicht ist. Selbst die Bodendielen haben ein Muster rein gebrannt, was an sich ziemlich cool ist, wären es nicht blumige Muster. Dad und Haruno unterhalten sich angeregt über Steine und Dreck. Klar fallen mehr Fachbegriffe als ich wiedergeben könnte, aber ich staune über Harunos Durchhaltevermögen diesem Thema begeistert folgen zu können. Besser gesagt, dass er überhaupt etwas von Dads Fachlatein versteht. Aber er stellt Unmengen an Fragen, auch was genau er da jetzt in Amerika macht. Ihr Gespräch versickert nicht eine Sekunde. Wenn es jedoch nur ein Versuch ist sich einzuschmeicheln macht er es genau richtig. Er hat eben ein wahres Talent dafür sich beliebt zu machen und ich bewundere es wie gut er mit Menschen umgehen kann. Dad ist auch so einer. Er kommt mit Leichtigkeit mit anderen Menschen in Kontakt. Seine offene, aufmerksame, freundliche Art öffnet ihm sämtliche Türen. Unter seinen Kollegen ist er sehr beliebt. Wenn er da ist kommen die Nachbarn oft und laden uns spontan zum Essen ein. Selbst mein Lehrer war immer hellauf begeistert wenn er statt Mum mal zum Elterngespräch kam und von denen gab es viele für mich, wegen meinem ständigen schwänzen und der schlechten Noten. Dad verhält sich auch jetzt klasse. Als wir zur Tür reinkamen, hat er mich sofort abgefangen, herzlich umarmt und mir einen Kuss aufs Haar gegeben, dass er anschließend lachend verstrubbelte. Es war mir peinlich, dass er mich vor meinen Freunden überfällt, aber er verhält sich völlig normal. So begrüßt er meine Schwestern auch. Schon immer, als wären wir noch immer die kleinen Kinder die er in uns sieht und keine heranreifenden Erwachsenen. Nur sein rechtes Auge zuckte verräterisch, als er mich in der Schulmädchenuniform sah. Er versuchte locker zu bleiben und sich nichts anmerken zu lassen, aber sein Auge zuckt immer wenn er gestresst ist. Es war mir unangenehm, dass er mich in der Uniform sehen musste. Hätte mich ihm lieber nicht so gezeigt. Es war ziemlich viel Input für uns alle gewesen, was die letzten Tage ausgesprochen wurde. Ich kann verstehen, dass er da ein wenig gestresst reagiert. Da Shiba aber jetzt versorgt ist, laufe ich schnell nach oben um mir was anderes anzuziehen.   Die Klimaanlage läuft auf hoch touren, bin jedoch klitschnass geschwitzt von der Hitze draußen, meinen Freunden geht es sicher nicht anders, aber im Gegensatz zu ihnen kann ich etwas dagegen tun. So gönne ich mir eine schnelle dusche und bleib dann doch einen Augenblick am Badezimmerspiegel kleben. Meine Finger gleiten durch mein nasses Haar und ich entdecke bereits einen leichten Ansatz, mit meiner eigentlichen schwarzen Haarfarbe. Verrückt. Kalifornien fühlt sich Jahre entfernt an, auch wenn Haut und Haar die Wahrheit offenbart, dass es erst ein paar Wochen her ist. Meine Haut ist nach wie vor goldig braun und sofort vermisse ich die Sonnigen Tage am Strand mit den Jungs. Michael ist so toll mit mir umgegangen. Er hat bemerkt, dass ich sie jeden Tag beobachtet habe, bis er mich fragte ob ich es lernen möchte. Es hat mich viel Überwindung gekostet, aber ab da an war ich mitten drin. Ein Teil seiner Gruppe. Ein Freund. Es hat mir gut getan und ich habe mich nie freier gefühlt. Da draußen auf dem Meer. Bei Wind und Wetter. Bei hohen Wellen oder ruhigen Treiben. Weit und breit keiner der mich kannte und diffamierte. Ich trete einen großen Schritt zurück um mehr von mir im Spiegel zu sehen. Tief seufzend nehme ich mir einen Moment um einen Blick auf meinen Körper zu werfen. Immer noch nicht ein einziges Haar mehr. Meine Muskeln nach wie vor ohne Definition. Ich bin allerhöchstens sportlich, aber hübsch oder sogar sexy wie Susu und Haruno es behauptet haben? Nein, dass sehe ich nicht so. Ich habe den verdammten Körper eines Kindes. Ich bin ein Junge und kein Mann. Nein, noch schlimmer, ich bin ein Mädchen mit features. Ein frustriertes spöttisches lachen entweicht meinen Lippen. Viel lieber wäre ich wie Dad, Haruno oder vielleicht sogar Shiba. Verdammt, sogar Susu sieht männlicher aus, dabei ist er auch nur so ein halbes Hemd wie ich. Ich möchte doch einfach nur als Mann erkannt werden. Gedankenversunken betrachte ich mich noch eine Weile mit diesem Konstrukt aus Luftschlössern die sich in meinem Kopf zusammen bauten und meine Stimmung in den Folterkeller riss, dass erneut dieser fiese dunkle Schatten in mir zu kriechen scheint. Nach dem ich nun doch länger brauchte als gewollt, ziehe ich mir schnell meine graue Jogginghose an und werfe ein T-shirt über. Schlichtes weiß und viel zu groß, weil es nicht meins ist, sondern eins das ich Dad aus dem Koffer mopste, bevor er mal wieder für einige Tage weg fuhr. Das ist schon ewig her. Damals hatte ich die Hoffnung ich würde noch rein wachsen. So kann man sich täuschen.   Als ich die Treppen runter komme sehe ich bereits Shiba am letzten Absatz stehen. „Alles okay?“, frage ich verunsichert bei seinem Anblick. Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben sieht er zu mir hoch. Seine Stirn ist in Falten gelegt und er macht sich ein wenig klein, in dem er die Schultern hoch zieht und den Kopf dazwischen versenkt. Er sieht kränklich aus, ein wenig blass um die Nase. „Deine große Schwester hat sich Haruno geschnappt sobald du weg warst, um ihm die Haare zu schneiden.“ Ein schwaches lächeln macht sich auf meinen Lippen breit. Ich kämpfe noch mit den nach Wallungen meiner schlechten Laune, aber allein schon meinen großen Panther im Stubentiger-Modus zu sehen macht es mir etwas leichter. „Und jetzt fühlst du dich einsam ohne ihn?“, scherze ich wenig geistreich. Langsam komme ich auf ihn zu. Er lässt mich nicht aus den Augen. Beobachtet aufmerksam jede Bewegung, mit seinen wunderschönen Augen die hinter seinem Zottelpony hervorblitzen. Mir stockt der Atem, dass ich umso bewusster mein lautes Herz hören kann. Vielleicht habe ich mich auch getäuscht und der wilde Panther lauert nur knapp unter der Fassade des Kätzchens. Ich schlucke hart als ich die letzten Stufen zwischen uns überwinde. Kaum bin ich auf der letzten angekommen, schließt er mich völlig unerwartet in seine Arme. Perplex halte ich inne und lasse es geschehen. Ich würde gerade alles geschehen lassen. Sonst bin ich einen Kopf kleiner, aber da ich noch auf der Stufe stehe bin ich genauso groß wie er. „Ja...“, nuschelt er an meinem Hals gepresst. Ich spüre seine warmen Lippen auf meiner Haut und umgehend spielen meine Sinne verrückt. Meine Haut prickelt angenehm und ein wohliger Schauer macht sich über mir breit. Deutlich spüre ich, wie jede Zelle in mir nach Aufmerksamkeit lechzt. Ich traue mich kaum einzuatmen, weil ich befürchte, dass er wie ein verschrecktes Reh das Weite suchen wird, sobald ich mich rühre. Doch ich möchte unbedingt einatmen, denn er riecht so unglaublich herrlich nach frischen Schweiß. Herb, männlich und unfassbar erregend. Bin ich pervers wenn ich behaupte, dass mich das ganz hibbelig macht? Mein Bauch ist wieder erfüllt von diesem ungewöhnlichen flattern und es juckt mir in den Fingern ihn anzufassen, aber was dann? Ich fange an mir selbst nicht mehr zu trauen. Verdammt, ich bin keine vierzehn mehr. Die Zeiten in denen ich aus Träumen aufschreckte und die Shorts zwischen meinen Beinen klebte ist vorbei. Ich sollte mich wirklich besser unter Kontrolle haben. „Wirklich alles gut mit dir?“, frage ich etwas schwach und viel zu abgelenkt von dieser Reizüberflutung. „Jetzt ja.“, haucht er mir wieder seinen Atem in den Nacken. Mit größter Mühe kann ich noch ein Stöhnen unterdrücken, aber nicht mehr meinen aufschwingenden Zauberstab, der sich bereit zum Hexen aufstellt. Wenn ich mir als gute Fee selbst etwas wünschen könnte, große scheiße noch mal, ich wüsste ganz genau was es jetzt wäre. Bibedibabedibu. Erschrocken zucke ich zusammen als mein Handy diesen Benachrichtigungston von sich gibt, an dem ich sofort erkenne von wem die Nachricht ist. Nein, dass war ganz sicher nicht mein Wunsch. Trotzdem genau die richtige Ablenkung. Ungeschickt fummle ich das Handy aus meiner übergroßen Hosentasche und lasse es auch noch beinahe fallen, dass selbst Shiba beim zusehen zusammenzuckt. Er gibt mich ein Stück frei und ich drehe ihm den Rücken zu, um die Nachricht zu lesen. Vor allem aber um ihm meine Beule in der Hose nicht so obszön entgegen zu strecken. Ich befürchte, er hat es bemerkt als ich mein Handy hervor holte. Nett von ihm, dass er dazu nichts sagt. Ich würde mich vor Scham verkriechen und erst in drei Jahren wieder raus kommen. Während Shiba nun die Arme von hinten um meinen Bauch fester schlingt, um mich bei sich zu behalten und die Hitze seiner Hände durch den dünnen Baumwollstoff meines T-Shirts auf mich übergeht, tippe ich nervös und überempfindlich auf dem Display herum. Verdammt, warum ergeht es nur mir so? Das ist ungerecht. »Susu: Wann soll ich dich abholen holde Maid?« Im ersten Moment bin ich verwirrt, weil ich mich an keine Verabredung erinnern kann, doch einen Augenblick später und ein tiefer Atemzug neben mir in meinem Nacken, fällt es mir wieder ein und ein belustigtes schmunzeln schleicht sich auf meine Lippen. Er hat sich vorgenommen mit mir Ni-chóme unsicher zu machen, um einen Freund für mich zu finden. Instinktiv werfe ich einen Blick über meine Schulter. Shiba hat sein Gesicht wieder in meiner Halsbeuge vergraben und wirkt geschwächt, vielleicht sogar verletzt. Es ist das erste mal, dass er die nähe braucht und nicht ich. Er hat mich schon so oft in den Arm genommen, weil ich die Nähe in diesem Moment brauchte und er erkannte es natürlich mit seiner alles sehenden Gabe. Jetzt darf ich ihm nähe spenden, die ihm hoffentlich genau so gut tut wie mir die letzten male. Meine Finger streichen über seine wunde Hand, die gut heilt nach dem Schlag. Die Stelle an seine Schläfe ist dick angeschwollen, er hätte es länger kühlen müssen. Es ist ein ganz schön dickes Horn geworden. „Wie geht es deinem Kopf? Ist dir vielleicht schlecht? Das hat ganz schön gedonnert als du gegen die Laterne gelaufen bist.“ Er antwortet nicht, sondern schüttelt nur sachte den Kopf, ohne den Kontakt zu mir zu verlieren. Ich weiß nicht was ich von seinem Benehmen halten soll. Ich beschließe Susu zu Antworten. »Komm doch bitte jetzt gleich, dann kriegst du noch was vom Kuchen ab. Dad ist da und die Jungs auch noch.« Wenn er kommt, kann er sich ein Bild von Shibas verhalten machen, sicher fällt ihm etwas auf, was mir entgeht. Ich möchte das Handy gerade wegstecken, als es wieder einen Ton von sich gibt. Das ging schnell. »Susu: Das klingt schrecklich nach einer Verhörrunde. Das lass ich mir nicht entgehen. Wir machen es auf die altbewährte Guter-Cop-Böser-Cop-Tour und ich bin der versaute Cop.« Ich muss tatsächlich kichern. „Subaru?“, fragt Shiba und sein Atem streift mich erneut, was eine Hitzewelle in mir auslöst und mein Zauberstab wieder zur vollen Größe anschwellen lässt. Im Augenblick gebe ich wohl einen besseren versauten Cop ab. Ich besinne mich einen Moment bevor ich Antworte und Atme tief durch, aus Angst meine Stimme verrät meinen Zustand. „Ja, er kommt auch gleich dazu. Er kennt nur Mum und Hina. Die werden ihn jedoch nicht wieder erkennen, dafür hat er sich, seit sie ihn das letzte mal gesehen haben, zu sehr verändert.“ „Damals keine Regenbogenhaare?“, fragt er nüchtern. Ich lache kurz auf. „Keine Regenbogenhaare, nein. Sie waren Rabenschwarz, mit einem natürlich schönen Glanz. Er hatte nur wenige Piercings und deutlich weniger Tattoos. Er hat ein wahres Kunstwerk aus sich gemacht in den letzten zwei Jahren.“ Er schnauft und ich verfluche meinen Schwanz innerlich dafür, dass er so sensibel auf ihn reagiert. „Kann ich mir gar nicht vorstellen, dass er mal wie ein normaler Mensch rumlief. Es passt jedoch zu ihm.“ Ich will gerade etwas erwidern, als ich höre wie hinter uns die Tür auf geht. Mein Herz setzt einen Schlag aus und ich spüre wie ich augenblicklich versteife. „Wir sind wieder da.“, ruft Mum während sie mit Miyu das Haus betritt. Als sie den Blick hebt ist sie überrascht das wir vor ihr stehen. Natürlich hat sich Shiba ihr geistesgegenwärtig zugewandt als er die Tür hörte, dass ich und meine ausgebeulte Hose, mich hinter ihm verstecken können und wir Mum nun mit hoch rotem Kopf Willkommen heißen. Miyu sieht sich suchend um. „Wo ist Haruno?“ „Oben, bei Hina.“, nicke ich verkrampft in die Richtung und schon ist sie verschwunden. Falls ich doch eine gute Fee bin, sollte ich mir diesen Zauberspruch merken. Mum verschwindet währenddessen in die Küche und ich höre ihre und Dads Stimme. Die Anspannung fällt von mir. Leicht zitternd versenke ich meine Finger in Shibas Kragen am Nacken und Atme bewusst ein paar mal tief durch, mit meiner Stirn zwischen seinen Schulterblättern. Aber so schnell lässt er sich nicht beruhigen, dafür wummert mein Herz immer noch zu wild gegen meine Brust. Das war ein ganz schöner Schreck. „Geht´s?“ Shibas Stimme klingt ganz ruhig, ich habe keine Ahnung wie er es schafft so cool zu bleiben. Das kann doch unmöglich echt sein. Um seine Frage bestätigen zu können wage ich einen Blick an mir herunter. Alles wieder glatt, nur ziemlich weiche Knie. Ein wenig kurzatmig nicke ich an seinem breiten Rücken, dass er meine Antwort spürt. Meine Finger lockern ihre verkrampfte Haltung und ich spüre unter ihnen die warme Haut seines Halses und seinen galoppierenden Puls.   Gewissenhaft bringe ich Mums Einkäufe in die Küche, die noch am Fahrrad hingen und bemerke aus den Augenwinkel wie Shiba mir folgt. Ich werde das Gefühl nicht los das irgendwas nicht mit ihm stimmt. Heute morgen war er noch ganz anders. Ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll. Hoffentlich schafft Susu es rechtzeitig bevor die beiden zur Arbeit müssen. Ein zaghaftes “Hey“ erklingt aus Richtung der Tür und fast gleichzeitig schauen wir auf. Wow. Aus dem Teenie Model wurde soeben ein Hochglanz Cover Model. Verlegen fährt er seine Hand durch sein frisch geschnittenes Haar und lässt seinen Blick über uns schweifen, der an mir haften bleibt. Wow. Ich weiß, dass hab ich schon gedacht, aber was anderes fällt mir gerade nicht ein. Er schaut mich wieder mit diesem schüchternen lächeln an, bei dem mein Magen wieder anfängt unruhig zu flattern, dass jetzt aber überhaupt nicht mehr zu seinem verwegenen aussehen passt. Die Haare sind wieder komplett schwarz. Seine Strähnchen am Hinterkopf sind weg und nicht nur die. Seine Igelspitzen auch. Denen trauere ich aber nur kurz nach, dafür sieht er jetzt einfach viel zu gut aus mit der neuen Frisur. Die Seiten und der Nacken sind kurz geschoren. Dafür sind die Haare auf seinem Kopf lang geblieben und so schön wild durcheinander gestylt, dass er diesen verführerischen frisch aus dem Bett Look hat und ich am liebsten meine Finger in ihnen versenken möchte. Wild schlägt das Herz in meiner Brust und ich suche nach Worten die kein sinnloses Gestammel beinhalten oder klingen als wäre mein Gehirn gerade in meiner Hose gelandet. Mum ist die erste die etwas sagt, nach dem sie meinen Vater herzlich begrüßt hat, mit einem etwas zu langen Kuss. „Hui, Junge. Du siehst plötzlich ganz anders aus.“, meint sie und wedelt sich demonstrativ Luft mit der Hand zu, als ob ihr heiß wäre. „Also wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre,-“ „Dann würdest du dich dennoch für mich entscheiden.“, unterbricht sie Dad freundlich lächelnd und Mum erwidert es kichernd mit leuchtend roten Apfelbäckchen. „Natürlich Bärchen. Du weißt, ich Liebe nur dich.“ Sie teilen einen lauten Kuss und ich versenke mein Gesicht in den Händen. Verdammt! Warum müssen Eltern nur so peinlich sein?! Es ist ja schön zu sehen, dass sie sich so innig Lieben, aber doch bitte nicht vor meinen Freunden. „Mum, Dad, ich bitte euch!“, nuschle ich beschämt durch meine Hände. „Ach, stell dich nicht so an.“, höre ich Mum belustigt kichern. Als ich meine Hände runter ziehe, sehe ich Haruno ein paar Schritte auf mich zu kommen. „Und wie findest du es?“, fragt er mich mit diesem entzückenden lächeln, dass er trotz des peinlichen Auftritts meiner Eltern beibehielt. „Na ja, ich denke es ist schon alles gesagt.“ Ich erwidere Mums Geste mit der wedelnden Hand und grinse schelmisch. Wieder fährt er mit seiner Hand durchs Haar. Verdammt, das will ich auch. Ich will unbedingt meine Finger in dieses Nest stecken. Es sieht so verlockend aus. Unruhig kaue ich auf meiner Unterlippe. „Nicht zu kurz?“, fragt er etwas verunsichert. Ich schüttle sachte den Kopf und gehe zögerlich ein paar Schritte auf ihn zu, komme aber rechtzeitig zum stehen als Miyu plötzlich neben Haruno auftaucht und seine Hand nimmt. „Du siehst toll aus, wie ein echter Märchenprinz.“ Märchenprinz? Verdammt, er sieht aus als wäre er das Model des heißbegehrten dies Jährigen Pin-up Kalenders. Er lächelt Miyu ehrlich an. „Dann hat deine Schwester gute Arbeit geleistet?“ Miyu nickt euphorisch. „Aber vorher sahst du auch toll aus.“, gesteht sie mit glänzenden Augen, was sein lächeln noch breiter werden lässt. Es wird ihr kleinen Herz brechen, wenn sie erfährt, dass er sie nicht eines Tages Heiraten wird, aber vor dem Gespräch drücke ich mich so lange wie möglich und spiele weiter die gute Fee. Soll sie träumen von ihrer glücklichen Cinderella Vorstellung. Sie ist noch so jung und unverbraucht. Auch wenn sie ein gerissenes Biest ist mit ihren erpresserischen Fähigkeiten. Hina kommt nun auch in die Küche und klatscht voll Tatendrang in die Hände. „So, der nächste bitte.“ Sie sieht dabei direkt zu Shiba, der endlich wieder etwas von seiner aufmüpfigen verschlossenen Art zurück gewinnt und abwehrend die Arme vor der Brust verschränkt. Vielleicht habe ich mir ja umsonst sorgen gemacht. Jetzt da Haruno bei ihm ist, fühlt er sich wieder sichtlich wohler. „Verzichte. Danke.“, erwidert Shiba mit verkniffenem Mund. „Stell dich nicht so an. Sie schneidet dir schon keinen Vokuhila.“, lacht sein Freund. „Wenn du so an deinen Haaren hängst schneide ich sie dir auch nur in Form, damit du wenigstens ansatzweise eine Frisur hast. Dann kannst du sie dir nach belieben wieder ins Gesicht hängen.“ Sogar meine Mutter mischt sich jetzt ein. „Ach Junge, du siehst aus als hättest du einen Besen auf dem Kopf. Nun trau dich. Hina versteht ihr Handwerk.“ Shiba lässt sich nicht erweichen. Er presst die Lippen nur fester aufeinander und stolpert ein paar Schritte zurück. „Lasst ihn doch, wenn er nicht will. Wir sollten uns lieber über den Kuchen her machen, jetzt da wir alle hier sind. Die beiden müssen heute noch Arbeiten und haben nicht ewig Zeit.“ Meine Ablenkung war erfolgreich, denn sofort springt mein Vater neugierig drauf an. Und auf seine Nachfrage hin wiederum Haruno. Ein Dominoeffekt entsteht und nach und nach setzen sie sich an den Tisch. Ich tausche einen Blick mit Shiba und er formt tonlos ein “Danke“ mit seinen Lippen, was mich glaube ich ziemlich dämlich grinsen lässt, weil mein Herz einen Luftsprung nach dem anderen bewältigt.   Ich koche eine neue Kanne Tee auf und beobachte über den Küchentresen hinweg das Treiben am Tisch. Miyu sitzt neben Haruno und malt ein neues Bild für ihn, während sie sich mit Kuchen voll stopft. Mum lehnt glücklich lächelnd an Dads Schulter, der einen Arm um sie gelegt hat und mit der anderen wild gestikuliert während er sich mit Haruno unterhält. Hina kann es nicht lassen spitze Kommentare von sich zu geben, die sich an Shiba richten. Das ist für mich nichts neues. Auf mich redet sie auch ewig ein, bis ich sie an meine Haare lasse. Es ist aber interessant herauszufinden, wer von den beiden Dickköpfen den längeren Atem hat. Wo ich längst nachgegeben hätte, schaffe er es locker sie zu ignorieren, wenn sie wieder eine Bemerkung ins Gespräch fallen lässt und ihn nicht gerade direkt anspricht. Alles in allem benimmt sich meine Familie wie immer. Das ist sehr beruhigend, jedenfalls so lange ich nicht darüber nachdenke, was in ihren Köpfen vor sich gehen mag. Ich habe mich bewusst dem treiben am Tisch entzogen, denn ich bekomme dieses dämliche grinsen einfach nicht aus meinem Gesicht. Immer wenn ich sie ansehe kommt es zurück. Meine Unterlippe tut schon weh, weil ich krampfhaft darauf herum beiße sobald ich es bemerke. Genau wie jetzt. Seufzend wende ich mich meiner Aufgabe zu, als Hina neben mich tritt. „Du hast da zwei wirklich sehr gute Freunde erwischt Misaki. Du kannst dich glücklich schätzen.“ Das Grinsen wird wieder breiter. Verdammt, mir tun schon die Wangen weh. „Ja, ich weiß.“ „Haruno war ziemlich nervös als er da oben mit mir allein war. Er hat die ganze Zeit vor sich hin geplappert und gar nicht den Mund halten können. Ich glaube, er wollte einfach einen sehr guten Eindruck hinterlassen.“ Ich sehe hinüber zu ihnen an den Tisch, an dem Shiba mit verschränkten Armen sitzt und mit Haruno meckert, dass er schon wieder zu viel aus dem Nähkästchen plaudert, der jedoch herzhaft lacht und mit seinem lachen alle ansteckt, dass mir wiederum ganz warm wird und mein Herz unerträglich laut. „Meine Güte Misaki. Was hast du nur mit dem armen Jungen angestellt? Du hast ihm völlig den Kopf verdreht.“ Es klingt nicht anklagend, eher belustigt wie sie es sagt. Was hab ich mit ihm gemacht? Was haben sie mit mir gemacht, sollte es wohl eher heißen.   Ende von Teil 13 Kapitel 14: Teil 14- Watanabe-Ehrenfamilienmitglied --------------------------------------------------- Pretty Boy   Teil 14- Watanabe-Ehrenfamilienmitglied   Das Auge meines Vaters beginnt erneut zu zucken, als ich Susu zum Esstisch führe. Dabei ist er für seine Verhältnisse sogar keusch gekleidet. Er trägt eine helle lachsfarbene enge Capri-Shorts, ausgelatschte Stoffschuhe und ein eng anliegendes weißes Knopfhemd mit kurzen Ärmeln, von dem nur die oberen zwei Knöpfe auf sind. Das seine Tattoos durch den dünnen hellen Stoff zu sehen sind und die Nippel Piercings sich abzeichnen macht es nicht ganz so keusch. Seine Haare sind zu einem Dutt gebunden, aus dem ein paar seidig glatte Strähnen wippen bei jeder seiner Bewegungen, andere jedoch verschwitzt an seiner Schläfe kleben, so wie sein Hemd an ihm. Hoffentlich ist diese Hitzewelle bald vorbei. Meiner kleinen Schwester steht am deutlichsten ins Gesicht geschrieben was sie von ihm hält. Sie rümpft die Nase und ihr kleines Hirn rattert. So jemanden wie ihn sieht man nicht alle Tage, auch wenn auf Japans Straßen so manch anderes frei herum läuft. Sie versucht sicher in ihrer Kinderlogik ihn in eine ihrer Schubladen zu stecken und scheitert kläglich, denn Susu ist einmalig. Er verbeugt sich förmlich zur Begrüßung. „Nein!“, keucht meine Mutter entsetzt, nach dem ich Susu allen offiziell vorstellte. „Dich hätte ich im Leben nicht auf der Straße wieder erkannt.“ Sie zieht ihn in eine feste Umarmung, doch es dauert nur eine weitere Sekunde bis ihr Glucken Instinkt anspringt und sie ihn auf ihren Platz drückt. „Herrje Junge, du bestehst ja nur noch aus Haut und Knochen. Setzt dich, ich mach dir was von dem Curry warm.“ Er widerspricht nicht und lehnt sich belustigt schnaufend zurück. Susu weiß aus meinen Epischen Erzählungen, dass Wiederworte nichts bringen sobald die Bärenmutter geweckt ist und ich finde, es tut ihm ganz gut mal verhätschelt zu werden. Ohne ein Wort der Vorwarnung zieht ihn Hina für eine Umarmung herüber, dass er fast vom Stuhl fällt und ihm ein peinlich hohes quieken entweicht. „Du hast zu lange gebraucht um wieder her zu kommen. Du bist ein Schwuler nach meinem Geschmack. Bei dir erkennt jeder auf den ersten Blick das du vom andern Ufer bist. Wir sollten mal shoppen gehen.“ Ein dreckiges Grinsen legt sich auf Susus Lippen. „Oh Süße, shoppen ist wirklich keine meiner Stärken.“ Alarmiert schrecke ich auf und sitze Kerzengrade auf meinem Stuhl. Oh bitte, bitte Susu, benimm dich, es ist ein Kind anwesend. Er scheint mein Inneres flehen zu hören und zwinkert mir zu. Was mich jedoch nicht beruhigt. Heißt das jetzt er lässt es oder er sieht das hier als Chance um Spaß zu haben? Ihm wird das versprochene Curry aufgetischt und Mum tätschelt noch mal seine Schultern bevor sie sich aus Mangel an Stühlen auf Dads Schoß setzt. Wir mussten schon zwei Stühle vom Dachboden holen. Ich merke wie mein Sitznachbar sich zu mir herüber lehnt, um mir etwas zu zuflüstern. „Es ist als würde dein verschollener Bruder nach Hause kommen.“ „Das liegt daran, dass ich ein Watanabe-Ehrenfamilienmitglied bin, aufgrund unser gemeinsamen Vergangenheit.“, erwidert Susu süffisant grinsend auf Shibas Bemerkung, der ertappt zusammen zuckt. „Wenn ihr so oft umarmt werdet wie ich, gehört ihr auch dazu.“ Dad räuspert sich um sich Gehör zu verschaffen, als auf Susus Bemerkung Mum und Hina kicherten. „Wie kommt es, dass ich dich nicht kenne?“ Susus blick trifft mich und er hält ihn als er meinem Dad antwortet. „Weil Misaki meinen Trost nicht brauchte, wenn sie mal in der Stadt waren.“ Dad wirkt verwirrt und öffnet seinen Mund um etwas zu erwidern, schließt ihn jedoch wieder. Eins zu Null für Susu. „Was macht denn dein Studium?“, wirft Hina in die aufkommende Stille ein. Er übt eine wegwerfende Bewegung mit der Hand aus. „Das ist schon lange vorbei.“ „Susu hat jetzt seinen Doktor in Psychologie mit summa cum laude.“, verkünde ich stolz. Dad stutzt sichtbar. „Bist du nicht zu jung für einen Doktortitel?“ „Sind sie nicht zu heiß für einen Familienvater?“ Wieder ist Dad sprachlos und nicht nur das, er ist tatsächlich errötet. Zwei zu Null für Susu. Ich löse die verkrampfte Umklammerung meiner Finger um meine Lieblings Tasse und schlage sie vor mein Gesicht. „Susu!“ „Was?“, empört er sich. „Jetzt weiß ich, warum du ihn mir all die Jahre nicht vorstellen wolltest. Du hattest angst ich mach ihn an und holy shit, du hattest so was von recht.“ Mum schlingt ihre Arme um Dad und streichelt ihn beruhigend über den Kopf, wie bei einem kleinen Jungen. „Tut mir leid mein Lieber, dieser Hengst wurde gezähmt.“ Susus grinsen wird breit. „Oh Liebes, sie sind keine Konkurrenz, wenn ich es darauf anlege.“   An diesen Abend wurde viel gelacht. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann wir zuletzt einen solch ausgelassenen Abend hatten. Die Gespräche blieben oberflächlich. Susu, Haruno und Hina haben die Unterhaltung dominiert. Einer hatte immer seinen Senf dazu beitragen wollen. Als Dad auftaute nach Susus harmlosen Flirt und warm mit ihm wurde, gab es ein Duell der Brains. Doktor gegen Doktor an unserem Esstisch. Eine Epische Schlacht. Ich konnte ihnen schnell nicht mehr folgen als sie mit Kafka und Freud anfingen. Das ging den anderen aber ebenso. Als die Diskussion hitzig wurde und Susus Vokabular nicht mehr so blumig war, verließ Mum mit Miyu das Zimmer. Sobald Mum weg war, hat Susu meinen Dad am Oberschenkel begrapscht damit er aufhörte zu diskutieren. Aber vielleicht hatte er nur geplant Mum zu vertreiben, um ihn begrapschen zu können. Böser Gedanke! Ganz böser Gedanke! Allerdings waren wir uns alle einig, dass wir Mum nichts davon erzählen werden. Wecke nie einen schlafenden Bären. Leider ist es jetzt Zeit für Haruno und Shiba zu gehen. Der Host Club ruft und die unglücklichen verschmähten Mädels wollen ihr Glück bei dem sexy Traumprinzen persönlich versuchen. Der Abend war so schön, dass ich sie am liebsten gar nicht gehen lassen würde. Ich bin Erwachsen genug um zu wissen, dass sie gehen müssen, aber das Kind in mir will sich an ihre Beine klammern, heulen und nicht gehen lassen. „Du ziehst heute Abend also noch mit Subaru los?“, fragt mich Haruno. Wir stehen in der Tür und der Abschied ist unausweichlich. Ich bin Erwachsen. Ich kann mich zusammenreißen. Ich nicke kaum und brumme leise. „Übertreib es aber nicht wieder.“ Er holt sein Handy hervor und Tippt etwas ein, worauf meins einen Ton von sich gibt. „Wenn etwas ist komm zu uns. Die Adresse habe ich dir geschickt. Wir sind nicht weit von der Meile entfernt, du brauchst nicht mal die Bahn nehmen. Lass dich nicht blöd anquatschen und geh mit keinem mit, der dir kleine Häschen zeigen will.“, spottet er belustigt. „Und wenn es kleine Kätzchen sind?“ Ich kann ein verärgertes schnaufen nicht unterdrücken. Dabei verärgert es mich nicht, dass er mit mir redet wie mit einem Kind, schließlich reiße ich mich zusammen um wenigstens erwachsen zu wirken, sonst würde der Abschied ganz andere Ausmaße annehmen. Heulen. Beinklammern. Das volle Programm. Es verärgert mich, dass sie gehen müssen um mit Mädchen zu flirten, damit sie ihre Rechnungen bezahlen können. Seine warme raue Hand legt sich sacht auf meine Wange und ich schmiege mein Gesicht hinein. Mehr. Ich brauche mehr davon. „Hey, sieh mich an.“ Genau das habe ich versucht zu vermeiden. Ich sehe es kommen, dass ich mich nicht zurückhalten kann sobald ich in dieses hinreißende lächeln sehe und seine verführerische neue Frisur, die danach verlangt das ich meine Finger darin versenke. „Misaki, bitte.“, ertönt erneut seine Stimme. Der wohlige Schauer in mir, den seine sanfte Stimme auslöst, lässt mich schwächeln. „Geh nicht.“, höre ich mich sagen. Auf meiner Lippe kauend sehe ich von unten zu ihr auf. Seine Augen weiten sich überrascht, während er sich mit der anderen Hand an die Brust fasst. Doch die Überraschung weicht einem glücklichen lächeln, mit zarter Rötung auf seinen Wangen. „Wow.“, haucht er. „Was?“, runzle ich die Stirn. Er schüttelt lächelnd den Kopf. „Nichts. Vergiss mich nicht, wenn dich ein heißer schwuler Adonis anmacht.“ „Der wird mir gar nicht erst auffallen.“ Weil ich die ganze Zeit nur an euch denken werde. Die Antwort scheint ihm zu gefallen. Er lächelt zufrieden und seine Hand tätschelt erneut meine Wange. „Dann bis Montag. Ich wünsche dir viel Spaß bei eurem Familien Ausflug.“ Ehe ich´s mich versehe lehnt er sich vor und seine Lippen treffen meine Wange. Ein gedämpftes quieken entweicht meinen zusammengepressten Lippen. Schwankend stütze ich mich am Türrahmen ab. „Was war das denn?“ „Deine Schwester guckt zu, deshalb nur die Wange.“, zwinkert er mir zu. Abrupt drehe ich mich um und sehe tatsächlich meine Schwester neben meinem Vater, die uns zu sehen und grinsen wie zwei Honigkuchenpferde auf Speed. Verdammt. Gestern hatte ich ihnen noch hoch und heilig geschworen zwischen uns läuft nichts und nun das. Mit einer verscheuchenden Handbewegung wende ich mich wieder Haruno zu. „Okay, wird Zeit das du gehst. Kusch kusch.“, quietsche ich nervös in Tönen die bald nur noch Hunde wahrnehmen können. Lächelnd weicht er zurück und bringt mehr Distanz zwischen uns. Ein draußen, wo ist der Andere? Mich suchend umsehend entdecke ich Shiba schnell mit Susu auf der anderen Seite der Treppe, nahe Wohnzimmer. Sie tippen beide auf ihren Handys herum und reden miteinander. „Hey Takeo, reiß dich los.“, ruft sein Freund vom Garten aus. Er wirft uns einen kurzen Blick zu, sagt noch ein paar Worte zu Susu und nun fällt mir die Kinnlade durch den Boden bis zum Erdkern als ich sehe wie die beiden zum Abschied einen fist bump ausüben. „Was war das denn?“ Fassungslos starre ich ihm nach als er sich an mir vorbei drängt. Er hält kurz inne und wirft einen Blick zurück. „Ich verstehe was du an ihm magst.“ Shiba zuckt gekonnt mit den Schultern und brummt weiter. „Melde dich wenn du wieder zu Hause bist, damit wir uns keine Gedanken machen müssen.“ Ich nicke ihm zu und verabschiede beide mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. „Na komm Schatz, Zeit für dein Party Outfit.“ Pfeilschnell drehe ich mich zu ihm um. „Was war das mit dir und Shiba?“ Die Nachbarhunde beginnen zu jaulen. Er mustert mich zunächst mit leicht verengten Augen, doch dann kommt sein typisches Susu grinsen zurück, dass aus einer Mischung von 'Ich weiß was du denkst', einen perversen touch und Belustigung besteht. „Kein Grund zur Eifersucht Schatz. Ich nehme dir dein Spielzeug nicht weg.“ Trotzig verziehe ich den Mund. Ja, mir ist klar das er nichts unternimmt was mich verletzen würde, egal um was es dabei geht, aber das schließt nicht aus das Shiba Interesse an ihm haben könnte. Was mich nervöser werden lässt als gut für mich ist. „Was wollte er von dir?“ „Reden.“ „Das habe ich gesehen und langfristig gesehen?“ „Reden.“ „Wie jetzt?“, wundere ich mich. „Na ja, wir haben uns doch über mein Studium unterhalten und er möchte gerne mit mit reden.“ „Er will...“, setzte ich an und öffne ein paar Mal meinen Mund ohne Worte zu finden. „Sagst du mir über was ihr euch unterhaltet?“ „Natürlich nicht.“, grinst er mich fies an.   Während wir in meinem Zimmer ein Outfit suchen, bringe ich Susu auf den neusten Stand, erzähle ihm von Montag an jede Kleinigkeit. Die Aussprache mit meinen Eltern. Miyus Erpressungsversuche. Die nervigen Mädchen an meiner Schule. Den quatsch mit den Kendo Club. Das Nickerchen auf dem Dach. Den geplanten Familien Ausflug dieses Wochenende, für den ich das Date mit Haruno verschieben musste. Und nun wurde er erst so richtig neugierig. Und verdammt, er zog mir wirklich alles aus der Nase. Susu zieht ein Kleidungsstück nach dem anderen aus meinen Kleiderschrank und befindet es als nicht sexy genug. „Dafür das Mister Oberhottie was von dir will, schwebst du nicht gerade in den Spähren.“ Wieder fliegt ein Teil knapp an meinem Kopf vorbei. „Scheiß auf die Auswanderer kacke und seine Zukunftsträume. Das kann er immer noch machen wenn er dir das Hirn raus gevögelt hat.“ Das nächste Teil landet in meinem Gesicht. „Fuck, Misaki. Niemand, auf dieser beschissenen Welt, fickt den Mann seiner Träume beim ersten mal und lebt mit ihm glücklich bis ans Lebensende. Mit Glück bekommst du den Mann deiner feuchten Träume fürs erste mal. Und ich finde, egal für wen du dich entscheidest, beide sind mehr als fuckabel.“ Prüfend hält er eins der Shirts an mich ran und rümpft missmutig die Nase. „Dein wahres Problem ist, dass du keine Klamotten hast die schreien “Fick mich, hier und jetzt“, außer der Schulmädchen Uniform.“ „Das schreit die gar nicht!“ Ich weiß jedenfalls was das glühen meiner Wangen schreit. Abwehrend wedle ich mit den Händen, worauf er das Shirt davon wirft. Mein Zimmer gleicht einem Mode Schlachthof. Ich sehe es kommen, dass Susu all die alten Teile in den Fleischwolf wirft. „Moment, Moment. Was meinst du mit 'egal für wen ich mich entscheide'? Haruno hat Interesse, von Shiba habe ich gar nicht gesagt.“ „Schätzchen, für dich mag es normal sein sich zu umarmen, aber nicht für verkappte verklemmte Japaner. Wenn der nichts von dir will, lebe ich ein Jahr abstinent, weil dann definitiv mein Schwulenradar kaputt ist. Apropos Umarmen, denkst du ich bekomme deinen Vater dazu mich zu knuddeln?“ „Sicher nicht, denn hast du vorerst ziemlich verschreckt,“, stichle ich grinsend. „Lass dir lieber schon mal was einfallen wie du dein Hintern zu kriegst. Keuschheitsgürtel sind meines Wissens nach aus der Mode.“ „Ich weiß was noch aus der Mode ist.“ Demonstrativ augenrollend steht er in dem Chaos. „Wir schauen mal was deine Schwester hat.“ „Was?!“     Susu hält die Speisekarte der super hippen Ramen Bar in der Hand und wedelt sich damit Luft zu, während wir auf einen freien Tisch warten. „Auf was hast du Bock?“ Nervös zupfe ich das ärmellose weiße Shirt länger, auf dem ein gigantisches kitschiges Einhorn prangt, um diese verdammten Jeans-Shorts zu verstecken, die gerade so meine Arschbacken bedecken. Jedes mal wenn ich ziehe rutscht die Jeansweste von meinen Schultern. Die Sachen meiner Schwester sind mir wie immer zu groß. Die Shorts ist meine, oder besser war sie, bevor Susu die Schere zückte. „Warum, verdammt noch mal, lass ich mich von dir hierzu überreden? Ich habe schon acht Kniffe in meinen Hintern gezählt. Du hast die Hose mit Absicht so kurz geschnitten damit du meinen Arsch sehen kannst, gib es zu.“ Ich ernte ein breites dreckiges grinsen als Antwort. Endlich wird ein Tisch frei an den wir geführt werden. „Lass uns erst mal was essen. Die Nudeln gehen auf deinen Arsch.“ „Ich hoffe, dass meinst du nicht wörtlich. Ein paar Kerle hier sehen so aus als ob sie es wirklich tun wollen.“, krächze ich nervös und tipple vorsichtig hinter ihm her. Heute erkenne ich sofort die vielen Blicke die ich oder besser mein Arsch ernte, gerade weil ich gezielt darauf bedacht bin das ihn keiner sieht. „Ich habe das nicht nur für mich gemacht.“ Er setzt sich an den vierer Tisch und ich ihm gegenüber. „Mein vorrangiges Ziel ist es, dir merkbar zu machen was für ein enormes Sexappeal du hast. Dein Arsch ist mein Bonus.“ Ich würde gern behaupten, ich fühle mich wie Rotkäppchen vorm großen bösen Wolf in Großmutterverkleidung. Es hat aber mehr etwas vom tauchen mit den weißen Haien und zu wenig Gitterstäben an meinem Käfig die mich schützen. Denn auch hier umschwimmen sie mich hungrig, zeigen mir ihre Zähne und ich wette, der ein oder andere denkt darüber nach zu zubeißen. „Deinen Anflug von Mutter Teresa kauf ich dir nicht ab, du hast genauso gierig auf meinen Arsch gestarrt wie die anderen.“ Ein belustigtes lachen höre ich von meinem gegenüber. „Weil ich noch keine Bräunungsstreifen entdeckt habe. Entweder hattest du ein sehr knappes Badehöschen oder du schlimmer Junge warst gerne mal nackt auf dem Brett.“ Ich verkrieche mich hinter der laminierten Speisekarte und entkomme so einem Moment seinem durchdringenden Blicken. Der Kellner kommt mit unseren Getränken, die wir am Eingang bereits bestellten. „Hey mein Hübscher. Ist Kai heute da?“ Der junge Schönling, mit der senfgelben Schürze, lächelt uns selbstbewusst an und macht eine kreisende Bewegung mit dem Finger. „Ja, der rennt hier irgendwo herum.“ Er nimmt noch die Bestellung auf und geht, während Susus Blick an seinem Hintern haften bleibt, bevor er sich suchend umsieht. „Wer ist Kai?“, frage ich interessiert und nippe an meiner Cola. „Ach, nur ein geiler alter Sack den ich regelmäßiger Treffe und ihm gehört der Laden. Wenn er da ist müssen wir so oder so nichts Zahlen.“ „Ist er dein fester Freund?“ Meine Stimme klingt irgendwo zwischen Skepsis und staunen. Doch er lacht mich aus. „So einen Scheiß tu ich mir nicht an. Er ist nur mein Freifahrtschein auf gratis Nudeln.“ Er redet mit mir während er sich weiter umsieht. „Eigentlich ist diese ganze Partnerschafts Sache gegen die Natur. Der einzige Sinn und Zweck ist es seine Gene möglichst großzügig und schnell zu verbreiten und seine Nachkommenschaft zu sichern, bevor man den Löffel abgibt. Der Mensch ist auch nur ein Tier, dass-Oh shit!“, keucht er abrupt und versinkt halb unter dem Tisch. Instinktiv folge ich seiner Bewegung und flüstere ihm zu, dass er mich in dieser lauten Umgebung gerade so noch hören kann. „Was ist denn? Ein verschmähter Ex-Liebhaber? Die Yakuza? Oh, lass es bitte nicht meine Schwester sein.“ „Schlimmer.“, zischt er. „Mein Stalker.“ „Was?“, krächze ich heiser. „Wer? Wo? Will er dir was antun?“ Ich rutsche noch tiefer unter den Tisch und sehe mich hektisch um wer in frage kommen könnte. Ich sehe genug Zähne zeigende Haie um mein eigenes SeaWorld zu eröffnen, aber keinen mit wahnsinnigen Blick oder irgendwelche Horrorfilm Killer Masken. Nur ein Irre gewordenes Pärchen in Partnerlook, mit weiß, orange, schwarz gestreiften Shirts. Falls ihn noch wer sucht, da ist Nemo. Susu zeigt in die Richtung hinter sich. „Der Riese, der jeden mindestens einen Kopf überragt. Mit diesen verträumten Herzchen Blick.“ Verwirrt lege ich die Stirn in Falten und versuche heraus zu finden was er mir damit sagen will, als ich besagten Stalker erblicke. Himmel. Der Typ ist echt ein Riese. Im ersten Moment ein ziemlicher Schrecken. Etwa zwischen eins achtzig bis eins neunzig Meter groß. Er ist nie und nimmer nur Japaner. Seine Augen haben eine schöne Mandel Form, aber der Rest wirkt fremd. Er schaut tatsächlich in unsere Richtung und ich bleibe fasziniert an ihm heften. Je länger ich ihn ansehe, desto schüchterner und unbeholfener wirkt der Große. Die meisten machen einen großzügigen Bogen um ihn, was ich wiederum ziemlich traurig finde. Auf den ersten Blick jagt er einen vielleicht Angst ein, aber auf den zweiten sieht man, dass das etwas ist, das er auf keinen Fall möchte. „Weißt du warum er dir folgt?“ Ich höre zuerst ein grummeln von ihm bevor er Antwortet. „Ist schon ein bis zwei Monate her. Ich war besoffen und hab mit ihm rumgeknutscht, weil ich darauf spekuliert habe das an ihm alles so groß ist. Aber als ich merkte, dass der Typ von nichts eine Ahnung hat, habe ich mir einen anderen genommen. Seit da an begegnet der mir ständig und schmachtet mich so ekelerregend verliebt an. Ich lass die Finger von Jungfrauen. Genau aus diesem Grund.“ Er ist also alles andere als gefährlich. Jedenfalls nach meiner Definition von Gefahr. Nach Susus Logik ließe sich das bestreiten. Ich weiß nicht welche Kurzschlussreaktion in meinem Hirn dafür verantwortlich ist, aber ich springe spontan auf und winke ihn zu uns. Der junge Mann erstrahlt förmlich als er meine Geste sieht, schaut sich aber unsicher um, ob ich wirklich ihn meine. Oh mein Gott. Er ist so süß. Ich mag ihn jetzt schon. Zögerlich kommt er auf uns zu und ich ernte einen harten tritt gegen das Knie von meinem fluchenden Freund. Mit schmerzverzerrtem Gesicht begrüße ich ihn. Toller erster Eindruck, danke Susu. „Hey, ich bin Misaki Watanabe und meinen Freund Subaru Tsuba kennst du scheinbar schon?“, ächze ich und reibe mein Knie. Er verbeugt sich ein wenig zu tief. Er spielt nervös mit seinen Fingern während er sich vorstellt. „Ähm... ja, Hallo... Ich heiße Masuyo Yamada. Und ja... ähm... Ich kenne Tsuba von der Uni.“ „Scheiße, wie lange folgst du mir den schon?“, keucht Susu erschrocken. Stutzig wende ich mich meinem Freund zu. „Ich dachte, ihr kennt euch aus einer Bar.“ Verlegen kratzt sich Yamada an der Nase. „Du erkennst mich doch wieder? Damit hatte ich nicht gerechnet, du warst ziemlich voll.“ „Du kennst ihn also aus der Uni? Dann bist du auch Psychologe?“, frage ich ehrlich interessiert und deute ihn an sich zu setzen auf den Stuhl neben Susu, wofür ich noch einen Tritt kassiere. Unsicher sieht er Susu an und scheint eine Erlaubnis abzuwarten, doch Susu lässt sich damit Zeit. Mustert ihn abschätzend und dann sieht er in mein freudestrahlendes Gesicht und stöhnt ergeben. Nach einem kaum sichtbaren Nicken erst setzt sich Yamada langsam und vorsichtig hin, um den bissigen Hund neben ihn nicht aufzuscheuchen. „Also?“, erinnere ich ihn an meine Frage. „Äh... ja...“ Er wirft einen schnellen Blick neben sich. Der Wachhund ruht und nimmt einen tiefen Schluck seines Biers. Erleichtert lächelt er mich an und seine Augen leuchten vor Freude. „Ich stehe kurz vor meiner Bachelor Arbeit. Ich studiere aber Neurobiologie. Psychologie habe ich allerdings als Zusatzfach gewählt, weil mich das Menschliche Gehirn in allen Fassetten interessiert. Aber ich bin nicht besonders gut darin. Ein Hirn aufzuschneiden oder Hirnströme zu Messen ist deutlich leichter als es zu ergründen.“ Er plappert ziemlich schnell und selbst der Mann im Mond könnte noch erkennen wie wahnsinnig nervös er ist. „Tsuba hatte gerade seinen Master gemacht, als ich mit dem Studium anfing. Er fiel mir auf, weil er ausnahmslos Platz eins der Bestenliste anführte. Das hat mich sehr beeindruckt.“ „Susu ist ein Genie, er hat sogar einige Klassen übersprungen. Er kann dir sicher Nachhilfe geben.“ BÄM! Morgen ist mein Knie grün und blau. Ich kassiere noch ein paar giftige Blicke. Aber um nichts auf dieser Welt verpasse ich diese Chance. Sollte der Große wirklich mehr als sexuelles Interesse an Susu haben, könnte ihn das von der Straße holen. Hinderlich ist nur, dass er absolut nicht sein Typ ist. Susu mag ältere Männer. Dominantere. Yamada ist ja noch schüchterner als ich. Aber seine Augen verraten ihn. Er hat tatsächlich Herzchen in seinem Blick. Was aus Susus Sicht leider noch ein Minuspunkt ist, für mich aber ein dicker Pluspunkt. „Vielleicht solltest du nicht mehr so oft hier her kommen und stattdessen lernen. Denkst du ich bemerke das nicht, dass du mir folgst?“ Ertappt senkt er den Blick und spielt erneut nervös mit seinen Fingern. „Ähm... na ja...“ Er wird unterbrochen als der Kellner unser Essen bringt. „Du hast ja noch gar nichts bestellt Yamada. Was möchtest du denn essen? Ich lade dich ein.“, frage ich nervös. Ich muss versuchen ihn solange wie möglich hier zu behalten, vielleicht weckt er ja doch noch auf irgendeine Art Susus Interesse. Er fährt sich mit einer Hand durch sein kurzes dunkles Haar, dass nun wie ein gepflügter Acker aussieht und hochstehende Hügel bildet, in den bahnen in denen die Finger lang fuhren. Verlegen schaut er von unten zu mir auf. „Ich... Ich würde mich gerne dafür bedanken, dass ich mich zu euch setzen durfte. Lass mich bitte bezahlen.“ Noch während ich meinen Mund öffne, um zu widersprechen, beugt sich Susu vor. „Hey Hübscher, bring mir den großen Sake und die zwei Jungfrauen hier kriegen noch eine Cola. Für den Kleinen die Nummer sechs. Und wenn du schnell bist gibt es noch ein hübsches Trinkgeld.“ Der Kellner zwinkert Susu wissend zu und geht schnell zum Tresen zurück. Er lehnt sich wieder zurück und beginnt mit neutraler Mine seine Augen über Yamada wandern zu lassen, was uns beide ziemlich nervös werden lässt. „Was ist denn dein Problem mit der Psychologie?“ Auch seine Stimme verrät nichts über sein vorhaben. Will er ihm jetzt wirklich Nachhilfe geben oder nur verarschen? Unsicher schaue ich zwischen den beiden hin und her. Der Kleine lächelt Susu unsicher an und beginnt erneut seine Fingerkuppen nach einander aufeinander zu Tippen. „Na ja... alles wo es um Fakten oder Studien geht ist kein Problem, aber Personen bezogene Analysen oder gar Sozialpsychologie ist ein riesen Fragezeichen für mich.“ Susu nickt wissend und reibt sich nachdenklich das Kinn. „Behalte immer im Hinterkopf, dass der Mensch ein triebgesteuertes Tier ist. Jedes Handeln hat einen Ursprung der ergründet werden muss, um den Kern des Problems zu finden. Der stärkste Trieb ist die Selbsterhaltung und der Trieb nach Macht. Dazu zählt auch der drang nach Anerkennung, Dominanz über andere, mit anderen Worten...“ Er nimmt sein Bier und schaut ihn direkt an. „Sex.“ Yamada schluckt hart, während Susu sein Bier in einem Zug leert. „Du kannst eine Menge über einen Menschen herausfinden, wenn du ihn fickst.“ Spielerisch gleiten seine Finger über den Rand seines Glases und lässt es singen. Das typische Susu lächeln legt sich auf seine Züge und ich wage es einen Funken Hoffnung zu verspüre. „Selbstverständlich brauchst du das richtige Gespür um selbst kleinste Zeichen zu lesen. So etwas erlernt man nicht einfach so und schon gar nicht, wenn man schüchtern in der Ecke steht und sich verkriecht. Ich gebe dir einen Rat, darfst gerne Mitschreiben.“ Er beugt sich dicht zu ihm. Sehr, sehr dicht. Und ich sehe wie Yamada in seiner nähe verkrampft. „Lass. Es.“ Schwungvoll wirft er sich in seinen Stuhl zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. „Das ist nicht deine Welt. Du denkst zu logisch. Bleib bei deiner Neurobiologie und deinen Fakten und Daten. Auch solche Wissenschaftler braucht die Welt, das ist keine Schande.“ „Nein.“, erwidert er tapfer und streckt sich zu voller Größe aus, was vor allem mich ziemlich klein werden lässt. Da ist sie wieder, seine Wirkung auf andere, die einem im ersten Augenblick mit angst erfüllt wenn man ihn sieht, weswegen jeder einen großen Bogen um ihn machte. „Ich gebe nicht auf, denn was ich noch gut kann, außer Daten zu entschlüsseln, ist hartnäckig sein. Ich habe ein Ziel vor Augen das ich erreichen will und das werde ich auch.“ Mit großen Augen sieht Susu seinen Sitznachbarn an. Ihm steht sogar ein wenig der Mund offen. Na gut, mir auch. Wer hätte schon mit dieser Reaktion gerechnet? Eine Wandlung vom Mauerblümchen zu Caesar in einem Wimpernschlag. Als ihm bewusst wird wie er auf uns wirkt, sinkt er wieder verlegen in sich zusammen und schweigt. Der Kellner kommt nun mit dem Rest der Bestellung. Erst als er uns verlässt ergreife ich nun das Wort. Susus Lieblings Thema könnte die Situation vielleicht noch retten. „Bist du wirklich noch Jungfrau Yamada?“ Deutlich sichtbar färben sich seine Wangen rot. Gut, dass ist kein Thema über das man mit Fremden spricht, aber komm schön Kleiner, lass mich nicht die ganze Arbeit allein machen. Schief lächelt er mich an und gibt einen zustimmenden Laut von sich. „Genau genommen ja. Ich habe es jedenfalls noch nicht bis zum Ende durchgezogen. Das was dem am nächsten kommt, wäre mein Erlebnis mit dem Glory Hole.“ „Was ist das?“, wundere ich mich. Susu prustet. „Kann ich dir gern zeigen. In der Bar nebenan haben sie eins.“ „In einer Bar?“, abgeneigt rümpfe ich die Nase. „Ich kann auch googeln.“ Sein grinsen wird breiter. „Ich hätte noch ein paar andere Begriffe für dich. Deep throat, Bareback, Fisting.“ „Bondage.“, wirft Yamada ein. Lachend greift sich Susu den Sake. „Die ruhigsten sind immer die Versautesten.“ Großzügig gießt er ihn in sein Bierglas und etwas in das kleine Schälchen, dass er Yamada zuschiebt. Nervös greift er schnell danach und sie stoßen an. Schwer gelingt es mir ein erfreutes quieken zu unterdrücken. „Also Kleiner, Top oder Button?“ Er keucht ein wenig überrumpelt auf und sieht sich kurz um bevor er leise Antwortet. „Ähm... ich... Ich bin da nicht so festgelegt...“ Angetan kaut Susu auf seiner Unterlippe und lässt erneut seine Augen über ihn wandern. Diesmal nicht so neutral. Ein wenig Mut schöpfend fragt er zurück. „Was war das Verrückteste was du je getan hast?“ Susu schaut mit einem sanften lächeln zu mir herüber. „Den da unter meine Fittiche zu nehmen.“ Sein Blick ruht auf mir, bis er sich besinnt und räuspernd der Nudelsuppe zuwendet. „Und eine Jungfrau um die ich mich kümmere reicht mir. Bin doch keine perverse Organisation für Jungfrauen in geilen Nöten. Das hier ist das letzte mal, dass wir beieinander sitzen. Also nutze die Zeit in Zukunft und lerne wenn du so hohe Ziele hast, statt mir hinterher zu dackeln.“ Eine Weile essen wir schweigend, bis Susus Handy anfängt zu läuten. Ein Blick auf das Display lässt die Farbe in seinem Gesicht entweichen. „Sorry, da muss ich ran gehen.“ Unruhig sehe ich ihm nach, als er zum Telefonieren den Laden verlässt und frage mich, wer auf dieser Welt lässt Susu so erbleichen? „Hey Yamada.“ Geknickt hebt er seinen Blick und zwingt sich ein lächeln auf. Oh man. Ich will ihn in eine dicke Decke rollen und knuddeln. „Schnell. Gib mir deine Handynummer. Ich halt dich auf den laufenden. Ich mag dich und hoffe sehr, dass du ihn doch noch rumkriegst.“ Ich halte ihm beide gedrückte Daumen hoch und grinse breit. Zuerst überrascht, erwidert er mein lächeln dann aber. Wir tauschen Nummern und ich gebe ihm auch noch Susus. Dieser ist zu schnell wieder bei uns und wirkt gehetzt. „Hey Schatz, wir müssen los.“ „Alles in Ordnung?“, fragen wir gleichermaßen besorgt. Er schenkt seinem Kleinen nur einen kurzen Blick. „Erzähle ich dir draußen. Komm bitte.“, drängelt er. Kommentarlos lässt er Yamada sitzen und verschwindet wieder nach draußen. Und wie ich eben so bin drücke ich ihm eine Umarmung zum Abschied auf, die ihn versteifen lässt, es aber hin nimmt. Soll er sich schon mal daran gewöhnen. Wenn mein Plan klappt ist er schließlich auch bald ein Watanabe-Ehrenfamilienmitglied. Mein T-Shirt lang ziehend folge ich Susu raus und sehe ihn auf seinem Handy herumtippen. „Also?“, frage ich erwartungsvoll. „Ich bring dich kurz zu deinen Freunden. Dauert vielleicht eine Stunde, dann hol ich dich wieder ab.“ Fragend lege ich meinen Kopf schief und ziehe die Augenbrauen hoch. „Warum?“ Unruhig tippt er weiter. „Ich hab...“ Er seufzt. „Da ist ein Typ. Den treffe ich ab und an mal. Er zahlt mir einen Haufen Geld für die Treffen. Davon kann ich gut einen Monat Leben. Ich kann mich aber nur mit ihm treffen wenn er das verlangt. Es tut mir leid Misaki. Wir wollten einen lustigen Abend haben und nun das. Aber ich muss zu ihm. Ich brauch das Geld.“ Ich zwinge mir ein lächeln auf, aber so wie Susu mich ansieht merkt er das es nicht ernst gemeint ist. Ich meine, ich kann es verstehen, aber ich kann es auch nicht verstehen. Susu braucht das Geld, aber auf diese Art? Er ist so viel mehr Wert. Gott, dass muss unbedingt klappen mit ihm und dem kleinen Yamada. „Schon gut. Dann sehe ich die beiden wenigstens noch mal. Bis Montag dauert es noch so furchtbar lange.“ Ein belustigter Ton entweicht seinen Lippen. „Dich hat es ganz schön erwischt.“ Erschrocken sehe ich mich um und ziehe das T-Shirt lang. „Was hat mich erwischt? Ist da so ein Perverser mit Kamera?“ „Tu mir einen gefallen.“, sanft lächelt er mich an und nimmt mich in den Arm. Ich bekomme sogar einen Kuss auf die Schläfe gedrückt. „Google die Wörter nicht. Google gar nichts. Lass dich überraschen und behalte deine erfrischende Naivität. Genau so liebe ich dich Misaki. Glaub mir, ich brauche dich mindestens genau so sehr wie du mich.“ „Ich liebe dich auch Susu.“   Staunend starre ich die Anzeige über dem Eingang des Host Clubs an, auf dem die Fotos der Host zu sehen sind, die deutlich übertrieben gephotoshopt wurden. Außer Harunos, der sieht wirklich so umwerfend aus. „Ich ruf dich an wenn ich wieder hier bin.“, bestätigt er mir noch mal während wir uns dem angsteinflößendem Türsteher nähern. Breit baut er sich vor uns auf und ich mutiere zu einer winzigen Maus. „Nur für Frauen.“, grunzt er uns an. Susu erhebt ergebend die Hände und grinst breit. „Schon gut Kumpel. Wollte meine Freundin nur sicher her bringen.“ Susu wendet sich mir zu und tätschelt mir die Schultern. „Bis später Süße. Viel Spaß.“ Unsicher sehe ich den knapp behaarten großen Mann an und schaffe es nicht mich zu rühren. „Was ist Kleine? Die Jungs warten auf dich.“, sagt er monoton. Den Satz sagt er wohl öfter. Starr und steif ruckle ich an ihm vorbei und schaue zu Susu zurück, der sich lachend davon macht. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, als ich in den Eingang trete, an dem mich freie Host begrüßen. Freundlich winke ich ab und gehe tiefer hinein. Ich fasse es nicht. Ich bin drin. In einen Laden nur für Frauen.   Staunend sehe ich mich um. Gigantische Kronleuchter aus Glas hängen über großen kreisrunden dunklen Tischen, um die sich bequem gepolsterte dunkelrote Sitzbänke reihen, hinter denen wiederum Sichtschutze auf Augenhöhe angebracht sind, damit die jungen Frauen sich unbeobachtet fühlen und es klappt. Im ersten Moment kann ich niemanden sehen, erst als ich an einigen vorbei laufe, sehe ich kleine bis größere Gruppen von Frauen mit einem oder mehr Host die dazwischen sitzen. Die Tische voll von Gläsern und Finger Food. Die Stimmung ist an jedem Tisch ausgelassen und ich höre viel Gelächter. Der dunkle samtig schimmernde Boden sieht gepflegt aus und die Wände, sowohl der Sichtschutz, waren mit grau silbernen Damast Muster Tapeten veredelt und alles hier schreit nach edel, geschmackvoll und wahnsinnig Teuer. Ich fühle mich einfach nur fehl am Platz mit meiner zerschnittenen Shorts und dem zu großen T-Shirt, mit dem kitschigen Einhorn. Ich passe hier genau so wenig hin, wie ein Haar in der Suppe. Unwohl grabe ich meine Finger in den Saum des T-Shirts. Und dann sehe ich ihn und alles andere ist unwichtig. Mein Herz setzt einen Schlag aus und je näher ich komme desto mehr galoppiert es in mir, dass es klingt wie ein Pferderennen nach dem Startschuss. An einen langen dunklen Tresen, an den eine handvoll Frauen sitzen und er einen gewaltig großen Spiegel im Rücken hat, sehe ich ihn sowohl von vorn, als auch von hinten. Ein langärmliges Knopfhemd mit schmaler schwarzer Krawatte, farblich passender Weste, einem weißen Einstecktuch und einer engen schwarzen Stoffhose macht seine Arbeitskleidung aus. Nur noch ein Jackett und er sieht aus wie der perfekte Bräutigam. Die Haare lässig zurück gestylt, dass seine wunderschönen panthergleichen Augen für jeden sichtbar sind. Ich verharre und sauge diesen Anblick in mir auf. Er richtet gerade ein Tablett mit verschiedenen Cocktails an. Beim schütteln des Shakers tänzelt ihn eine einzelne dünne Haarsträhne vor den Augen. Sein Hemd spannt sich beim schütteln um seine Arme und zum ersten Mal fällt mir auf, wie groß der Umfang seiner Oberarme ist. Ich schlucke schwer und zwinge mich ruhig zu atmen während ich die letzten Schritte überwinde. „Willkommen Madame, was darf es sein?“ Er klingt genau wie der Türsteher. „Ich glaube nicht, dass ich mir hier irgendetwas leisten kann.“, feixe ich unsicher. Stutzig sieht er auf und erstarrt augenblicklich. Sein Mund steht einen Spaltbreit offen, als seine Augen bis zu einem gewissen Grad über mich gleiten. „Shiba?“ Hektisch blinzelnd hebt er seinen Blick. „W-was machst du hier? Ist was passiert?“ Ich setze mich auf einen der Barhocker und schaue in die Runde. „Nein, alles gut. Mommy hat ein Sexdate und nun habt ihr die Aufsichtspflicht.“ „Er lässt dich einfach sitzen?“ Er wirkt fast geschockt. Schnell hebe ich abwehrend die Hände. „Nein, nein, nein. Er hat mich sicher her gebracht und holt mich gleich wieder ab wenn er fertig ist. Ist eine Ausnahme. Ist auch nicht schlimm, nur schade, dass ich meine neue Bekanntschaft nicht weiter vertiefen konnte.“ Ungläubig starrt er mich an und lässt den Shaker sinken. „Du hast jemanden kennen gelernt?“ „Ja.“, bestätige ich euphorisch. „Er ist super niedlich und Susu nennt ihn Kleiner. Wenn du ihn siehst wirst du darüber lachen.“ „Ihr trefft euch wieder?“ „Ich hoffe es doch. Es passt so gut zu Susu. Er ist meine, im wahrsten sinne des Wortes, große Hoffnung auf Susus Rettung.“ Sein Gesicht versinkt in seiner Hand und ein ächzendes stöhnen ertönt. „Für... ihn...“ So liebenswürdig wie ich kann klimpere ich mit den Wimpern und zieh ein Schnütchen, dass das kleine Mädchen in mir blass vor Neid wird. „Was soll ich denn mit einem Kerl, wenn ich Holde Maid bereits zwei hinreißende Ritter habe die mich beschützen?“ Ich glaube Susus verhalten färbt langsam auf mich ab. Er senkt seinen Blick, aber ich sehe ihn dennoch. Mein Herz reitet Rodeo, als ich sehe wie rot er wird. Diesmal kann er sich nicht hinter seinem Zottelponny verstecken und ich muss zugeben, dass mir das ziemlich gut gefällt. „Möchtest du etwas trinken?“, nuschelt er verlegen. „Nein, lieber nicht.“, meine ich und werfe einen Blick auf die Preise. Allein für ein Glas Wasser hier, bekomme ich in der Hippen Ramen Bar die XXL Suppe. Er stellt mir ein Glas hin und gießt Ginger Ale ein. „Geht aufs Haus.“ Schmunzelnd drehe ich das kalte Glas in meiner Hand und bedanke mich. „Ist dir kalt? Ich habe noch ein Ersatzhemd im Spind.“ Kalt ist mir nicht, aber es wäre erleichternd dieses kitschige Einhorn verstecken zu können und zumindest im Ansatz, dass ich hier nichts zu suchen habe. So nicke ich ihm zu und er sputet sich. Schnell ist er wieder bei mir und hält mir das weiße Knopfhemd hin, dass ich nur noch hinein steigen muss. Ich springe auf und schlüpfe hinein. Im Spiegel sehe ich Shiba, wie er leicht gebeugt an mir hinab stiert. „Schaust du mir gerade auf den Arsch?“ Ruckartig richtet er sich wieder auf. „Ich mach dann mal weiter. Viel zu tun.“, redet er sich raus mit rauer Stimme und erneut hochrotem Kopf. Hinter dem Tresen beginnt er wieder die Flaschen zu wirbeln. „Wie ist der Typ so mit den du Subaru verkuppeln willst?“ Wissend grinse ich vor mich hin. Pure Ablenkung. Doch ich erzähle ihm begeistert von Masuyo Yamada dem angehenden Neurobiologen und meinem Funken Hoffnung der noch nicht erlöschen ist.   Shiba hat viel zu tun, dennoch hört er zu und stellt sogar Fragen. Ich staune, dass er das alles schafft. Er ist nicht der einzige Barkeeper, aber der Laden ist mittlerweile richtig voll und sie sind alle am wirbeln. Ich kann es nicht lassen und schaue immer wieder in diesen riesigen Spiegel hinter Shiba, der mir einen tollen blick auf seinen Hintern bietet. Hey, Auge um Auge, Arsch um Arsch. Er hat auch geguckt. Die schwarze Stoffhose umspannt seinen Hintern immer so lecker wenn er sich bückt um eine Flasche unter dem Tresen hervor zu ziehen. Er ist nicht rund und prall, hat aber diese schöne kantige Form die zu seinen Hüften passt. Ich wette er hat Grübchen auf seinen Arschbacken. Ich ertappe mich immer häufiger dabei mir vorzustellen wie er nackt aussieht. Bei den Gedanken wie sein Körper geformt sein muss, bei dem ganzen Sport den er treibt, werde ich schon wieder ganz kribbelig. Doch nach zwei Stunden klingelt endlich mein Handy und erlöst mich aus dieser wundervollen Hölle. Ich gebe Shiba sein Hemd zurück, verabschiede mich hastig und beim raus gehen, werfe ich einen vorsichtigen Blick zurück und ertappe ihn dabei wie seine Augen auf meinen Hintern haften.   Gut gelaunt trete ich aus dem Laden heraus auf die Straße. Die schwüle Hitze ist einer lauen Sommernacht gewichen. Der Türsteher verabschiedet mich mit einem monotonen Spruch, von dem er sicher in seinen Albträumen verfolgt wird und erreiche Susu der mit dem Rücken zu mir steht und auf seinem Handy herum tippt. „Du hast dem Kleinen meine Nummer gegeben.“ Das war definitiv eine Feststellung, keine Frage. Der hat sich aber schnell gemeldet. „Ups,... sorry.“, erwidere ich nicht ganz ernst gemeint und grinse. Brummelig steckt er das Handy weg. „Ich verzeihe dir.“, gibt er gehässig von sich. „Aber lass das in Zukunft. Meine Nummer kriegt nicht jeder.“ Sein blick bleibt gesenkt als er nervös seine Sachen richtet. „Wie war es im Reich der Heten?“ „Teuer, protzig und äußerst appetitlich.“, kicher ich in Erinnerung an des Panthers Hintern. „Haruno habe ich nicht gesehen, der war sicher umringt von all den Mädels die er in der Schule nicht an sich heran lässt. Aber ich hatte viel Spaß mit Shiba.“ Aufgekratzt klatsche ich in die Hände. „Also, wollen wir deinen Kleinen suchen und zusammen durch die Szene schlendern?“ „Du kannst ja gerne seinen Yoda spielen, aber ich will ihn nicht sehen.“ „Ach komm, er ist doch total niedlich. Und Hey, wenn ich Yoda bin, bist du-“ Stutzig bleibt mein Blick an ihm haften. „Alles okay?“, frage ich unsicher. Er hat mich noch nicht einmal angegrinst, geschweige überhaupt mal angesehen. „Bisschen müde. Wie wäre es mit Tanzen? Da werde ich sicher munter.“ Wieder dreht er sich von mir ab. Angespannt vibrieren meine Nervenenden, dass selbst mein inneres rotes Lämpchen sich meldet. „Hey, schau mich mal an.“ „Lass uns los. Die vielen Heten machen mich ganz nervös.“, ächzt er genervt. „Verdammt Susu!“, werde ich lauter und ziehe ihm ruppig am Arm und erstarre. „Was zum... Scheiße Susu... War das der Typ mit dem du dich getroffen hast?“ Ich hebe sein Kinn, bis ihm das Licht der Straßenbeleuchtung ins Gesicht fällt und erkenne das volle Ausmaß. Sein linkes Auge ist komplett zugeschwollen. Eine unschöne Verfärbung beginnt sich auf der anderen Seite auf seinem angeschwollenen Wangenknochen zu bilden. Unter seiner Nase und am Mundwinkel kleben noch bröckelige Blutreste. Sein Hals. „Sind das Würgemale?“, keuche ich überfordert. Er entzieht sich meiner Berührung. „Wer war das? Wie heißt der Typ? Wir gehen sofort zur Polizei.“ „Lass gut sein. Gehen wir lieber ein trinken. Ich brauch ein Bier. Ich lade dich ein.“ „Scheiße, von dem Geld will ich keinen Yen. Wie kannst du nur so etwas mit dir machen lassen? Wer ist der Bastard?“ „Das geht dich nichts an.“, schreit er ungehalten und bringt mich ins taumeln. Das rauschen in meinen Ohren lässt mich einen Moment taub zurück. Ich weiß nicht ob mein Blut noch in mir fließt, ich weiß nicht ob ich überhaupt noch atme, ob ich tatsächlich gerade hier stehe. Es ist als hätte er mir den Boden unter den Füßen weggerissen. „Es geht mich nichts an?“, echoe ich entsetzt. „Wie kannst du das sagen? Wir sind Freunde. Verdammt, du sagst selbst du bist ein Watanabe-Ehrenfamilienmitglied. Ich sage dir alles.“ „Aber du musst nicht alles über mich wissen. Jetzt komm. Ich will hier weg.“ „Fick dich!“ Ruckhaft hebt er seinen Blick und sieht mich überrascht an mit seinem zerdellten Gesicht. „Hey, komm. Ist doch halb so wild. Tut nicht mal weh.“, versucht er mich zu beruhigen mit einem schiefen lächeln und streichelt über meinen Arm. Ich schlage sie weg. „Fass mich nicht an.“, krächze ich mit zitternder Stimme. Mein Hals schnürt mir die Luft ab, dass mir schwindelig wird. Tränen brennen in meinen Augen. Ich muss hier weg. Ich ertrage seine Anwesenheit nicht länger. Wackelig weiche ich die ersten Schritte zurück. Panik spiegelt sich in seinen Augen wieder. Vorsichtig reicht er mir eine Hand, als würde er mich vor dem Sturz in den Abgrund bewahren wollen, aber ich stürze bereits. „Hey, ganz ruhig Schatz.“ Hastig überlegt er jedes weitere Wort. „Wie wäre es, ...wenn wir diesen... äh... Yamada suchen und tanzen gehen? Er zappelt sicher wie ein Fisch auf dem trockenen. Würde dir das gefallen?“ Nervös versucht er sich an einem lächeln. Ich sehe auf seine Hand und auf die tiefen Striemen um seine Handgelenke. Eiskalt steigt die Galle in mir auf und ein würgen überkommt mich. Geh weg! Kommentarlos wende ich mich ab von ihm und eile zurück in den Host Club. „Misaki!“, höre ich ihn hektisch hinter mir rufen. Ich drehe mich nicht um. „Hey, nur für Frauen.“, mault ihn der Türsteher an. „Verpiss dich!“, faucht er zurück. „Misaki, bitte. Lass uns reden.“ Ich verschwinde im inneren des Clubs und höre nichts mehr von draußen. Meine Beine geben unter mir nach und ich breche auf meinen Knien zusammen. Tränen laufen über meine Wangen und ein schluchzen lässt meinen Körper erbeben. Zu spät Susu, du hast mehr als genug gesagt.   Ende von Teil 14 Kapitel 15: Teil 15- Verarscht ------------------------------ Pretty Boy   Teil 15- Verarscht   Ich werfe mich ungefragt auf den selben Futon auf den ich schon vor ein paar Tagen aufwachte und rolle mich erschöpft zusammen. Die Sonne war bereits wieder aufgegangen als Haruno und Shiba endlich Feierabend hatten. Wir sind alle seit über vierundzwanzig Stunden auf den Beinen und bestreiten einen unausgesprochenen Dauergähn-Wettkampf. Fängt einer an, ziehen die anderen nach. So ging das den ganzen Weg bis zu ihnen nach Hause. Ich Feigling habe mich nicht getraut den Laden allein zu verlassen, falls Susu auf mich gewartet hätte. Konnte und wollte ihm einfach noch nicht begegnen, dafür brodelt es noch immer zu sehr in mir. Ich bin unglaublich sauer, aber auch fürchterlich enttäuscht. Dinge würden meinen Mund verlassen, die ich hinterher bereuen würde. Nein. Ich brauche eine Nacht oder zwei oder tausend, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen und dann versuch ich ein Gespräch mit ihm in die Wege zu leiten. Jetzt wäre es ein Fehler. Hoffentlich nutzt auch er die Zeit um darüber nach zu denken und wirft sich nicht dem nächstbesten in die Arme, der unaussprechliche Dinge mit ihm macht, von denen ich wieder nichts erfahre und sicherlich keine Ahnung habe. Susu hat recht, ich bin vielleicht zu naive, aber ist das wirklich so schlecht wenn es mich vor solchen extremen Erfahrungen bewahrt? Jedenfalls kommt er mir nicht so einfach davon. Wenn er sich mir nicht anvertrauen kann, muss es einen Grund dafür geben, welcher das auch immer sein mag. Ich bin nie auf die Idee gekommen ihm etwas zu verheimlichen. Immer hilft er mir bei meinen Problemen. Immer ist er für mich da. Er ist meine Familie. Meine Zuflucht. Bis heute Abend hatte ich geglaubt, Susu hätte sich nur äußerlich verändert und wäre nach wie vor der Mann den ich vor meiner Reise kannte. Aber was ist wenn auch er sich in diesem Jahr verändert hat, so wie ich auch. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, muss ich mir eingestehen, dass ich überhaupt keine Ahnung davon habe was er durchmachen muss. Ich hatte nur einen kurzen Einblick in sein Leben, aber ein Tag ist nichts im Vergleich zu den Jahren die er schon so leben muss. Hätte ich mehr tun müssen? Ich war doch selbst fast noch ein Kind, abgelenkt von meinen eigenen Problemen, dass ich blind für seine war. Nur wie könnte ich ihm helfen? Kann ich ihm den helfen oder braucht es jemand anderen der dazu Fähiger ist?   Haruno verschwindet als erster im Bad und es wird still. Nach kurzer Sondierung der Lage entdecke ich Shiba. Befreit von seiner edlen Arbeitskleidung, in denen er wirklich umwerfend aussah und zurück in seiner üblichen schwarzen Hose und dem weißen langärmligen Knopfhemd. Er lehnt an der kleinen Küchenzeile und sein Blick ruht auf mir. Auf mir weiter unten. „Ich weiß nicht ob ich mich geschmeichelt fühlen soll, dass du mir dauernd auf den Arsch starrst.“, versuche ich mich gelassen zu geben, während ich jedoch genau weiß, dass mein Herz dem Flügelschlag eines Kolibris Konkurrenz machen könnte. Verlegen legt er eine Hand über seinen Mund, hält den Blick an mir aber fest. Die Wohnung ist so klein wie mein Zimmer, trotzdem ist er zu weit weg um den Ausdruck in seinen Augen deuten zu können. „Ich verstehe nicht, wie deine Eltern dich so vor die Tür schicken konnten.“, nuschelt er hinter seiner Hand. „Es wäre genauso provokant, wenn du nackt gegangen wärst.“ „Das war Susus Idee. Er hat auch meine Eltern abgelenkt, während ich mich vorbei geschlichen habe.“, gestehe ich kleinlaut, worauf ich ein lautes schnaufen bekomme. Ja, es ist nicht fair Susu die Schuld dafür zu geben, schließlich habe ich mit gemacht. Wenn ich nur etwas mehr Willenskraft hätte, hätte ich nein sagen können. „Und wie viele haben dich jetzt schon wieder begrapscht?“ „Uhm...“ Seine Augenbrauen schießen in die Höhe. „So viele?“ „Nein... Ja... Na ja... Nur Kniffe in den Po. Mehr nicht.“ „Kniffe? Mehrzahl?“ „Ähm... wenn ich mich nicht verzählt habe fünfzehn...“, nuschle ich immer leiser werdend, dass die Zahl nur noch als flüstern über meine Lippen kommt. Gereizt stöhnend rauf er sich die Haare, dass seine schöne Frisur den Halt verliert und mir die Sicht auf seine Augen wieder wie ein Vorhang zugezogen wird. Wir schweigen. Bin mir nicht sicher, ob ich was sagen soll. Ich habe das Gefühl mich entschuldigen zu müssen, weiß aber nicht genau wofür. Für die Kniffe, weil ich sie mit der Hose provoziert habe? Für meinen Leichtsinn mich wieder so ins Getümmel gestürzt zu haben? Gar meine Naivität, die scheinbar immer mehr zum Problem wird? An und für sich war der Abend toll, bis Susu mich aus dem Host Club abholte jedenfalls. Hätte ich gewusst was er sich da zumutet, hätte ich ihn niemals gehen lassen. Mit wenigen Schritten taucht Shiba neben mir auf und öffnet die Fenster. Die morgendliche Luft draußen ist kühl und kriecht nur langsam in das aufgeheizte Zimmer. Zu dem Rauschen der Dusche gesellt sich nun auch der Klang der Welt. Autos fahren langsam unter dem Fenster entlang. Von weiter weg sind Unterhaltungen zu hören. Melodien von Handys und Ampeln. Ich schließe kurz die Augen, doch der Hammer der Müdigkeit schlägt auf mich ein und lässt mich Sternchen sehen. Ich bekomme meine Augen nicht wieder auf und meine Gliedmaßen werden mit jedem Atemzug schwerer. Eine Hand gleitet durch mein Haar, die nicht mir gehört und lässt mich zufrieden seufzen. „Du bist sicher, dass du nicht lieber zu Hause schlafen möchtest?“ Seine Stimme, die nun nicht mehr gereizt klingt, rettet mich vor dem abdriften ins gelobte Traumland und hält mich im hier und jetzt. Auch wenn ich zuerst nur summende Töne von mir geben kann, schaffe ich es doch noch zu Antworten. „Ich war mir nie sicherer. Hina schläft bei ihrem Freund, Miyu wurde bei einer Freundin abgeladen und ich bin geplant die ganze Nacht weg. Egal was meine Eltern da allein zu Hause tun, ich will sie nicht dabei erwischen.“ „Hör mal, es ist früh morgens und deine Eltern sind keine zwanzig mehr. Egal was sie getan haben, es ist längst vorbei und sie schlafen zufrieden in ihrem Bett.“ „Oder sie fangen gerade wieder an, schließlich haben sie sich lange nicht mehr gesehen.“ Ich kann es nicht verhindern, dass ein Bild vor meinen Augen aufflackert, wie sie die Kücheninsel schänden. Sofort schlage ich sie auf und ein Teil der Müdigkeit verpufft. Shiba der neben mir sitzt fängt meinen Blick auf, während er seine Hand langsam zurückzieht. „Mach weiter, dass ist schön.“, brumme ich schmollend. „Und wenn du einschläfst?“ Seine Tonlage hat sich verändert. Seine Stimme klingt jetzt tiefer und leiser. „Das reden hilft.“, antworte ich ebenso flüsternd. Einen tiefen Atemzug später gleiten seine Finger wieder durch mein Haar. „Dann erzähl.“ Ein seliges lächeln liegt auf meinen Lippen, als ich wieder die Augen schließe. Dieses mal richte ich meine Aufmerksamkeit mehr auf seine Hand und bemerke nach wenigen Bewegungen ein gelegentliches zittern in ihr. Bei der Hitze und seinen langen Klamotten wird er kaum frieren können. Liegt es etwa an mir? „Mach ich dich nervös?“ Ein kurzer laut der Belustigung bekomme ich zu hören. „Nein, nicht unbedingt nervös.“ „Sondern?“ Seine Hand stoppt abrupt. Darauf wartend, dass er mir Antwortet erstreckt sich die Pause ins unerträgliche. Ungeduldig sehe ich zu ihm auf. „Du hast jetzt aber nicht mit den Schultern gezuckt, während ich die Augen zu hatte oder?“ Mit einem gezwungenen unsicheren lächeln schaut er auf seine Hand, die sich nicht von meinem Haar trennen konnte, sich aber auch nicht weiter hindurch pflügt. „Was ist wirklich mit dir los? Du warst heute so... anders. Vor allem als wir bei mir waren. Du wirktest...“ Ich weiß kein anderes Wort, dass es besser beschreibt als: „Verloren.“ Schmerz flackert in seinen Augen auf und er entzieht mir seine Hand.“Verloren?“, wiederholt er leise, um zu testen wie dieses Wort auf seiner Zunge schmeckt. Seinem Blick nach bitter. Er atmet klangvoll aus, wobei sein Atem zu beben scheint. Mitten ins schwarze. Toll gemacht, Misaki. „Sieh dich bitte um.“ Seine Stimme klingt dünn. Ich tue ihm den Gefallen und sehe die, nach wie vor, schäbige Wohnung, die viel zu klein und eng ist und das obwohl kaum etwas drin steht. Als ich mich dem sattgesehen habe, schaue ich erwartungsvoll zu Shiba hoch. Seine Augen wandern noch über das Elend und ich gedulde mich. Ich weiß mittlerweile, dass ich mir bei ihm Zeit nehmen muss bei wichtigen Gesprächen. So wenig wie er redet, legt er sich die Worte die er sagt mit bedacht zurecht. Um so wichtiger sind dann die paar Sätze die er sagt. Schwerfällig richte ich mich auf und lehne mich neben ihn an die Heizung. „Takeo...“, flüstere ich seinen Vornamen, als ich nach seiner Hand greife. Ein Ruck geht durch ihn, als hätte ich ihn aus einem Albtraum geweckt. Ich verflechte unsere Finger ineinander und streiche behutsam mit dem Daumen über seinen Handrücken. „Nichts was du sagst könnte mich schlechter von dir denken lassen. Du bist und bleibst mein Ritter in glänzender Rüstung.“, erinnere ich ihn und wage ein lächeln. Fest drückt er meine Hand und ich erahne ebenfalls ein dünnes lächeln auf seinen Lippen. „Ich-“, beginnt er und wird von einem laut singendem Haruno unterbrochen, in schrillen Tönen die einem die Zehnnägel hochklappen lassen. Erschrocken sehen wir uns an und prusten laut los. „Dein ernst? Er ist einer dieser Menschen die unter der Dusche singen? Aber schön zu hören, dass Mr. Perfect gar nicht so perfekt ist.“ „Er kann ziemlich viele Dinge nicht. Spiel mit ihm Karten, er hat ein miserables Pokerface.“ „Miserabler als sein Gesang?“, spotte ich amüsiert. „Unterirdisch, ja.“ Als unser lachen versiegt, überlege ich angestrengt, wie ich auf unser voriges Thema zurück kehren kann, überraschenderweise erweist mir Shiba selbst diesen Gefallen. „Ich hatte höllische angst heute.“ Schnell blinzelnd sehe ich zu ihm auf. „Wovor?“ Er weicht meinem Blick aus und sieht sich erneut in der Wohnung um. Schwer geht sein Atem, bevor er antwortet. „Alles was du hier siehst gehört Ren. Seine Familie besitzt nicht viel, sie führen ein einfaches Landleben. Aber als er mit mir in diese Wohnung zog, haben sie, seine Freunde und selbst weit entfernte Familienmitglieder, ihm alles mögliche an Dingen für die Wohnung geschenkt. Ein paar Töpfe hier. Ein Schrank da. Ausrangierte Futons. Das ist alles sein´s. Alles was ich mein nennen kann, ist ein alter Rucksack, den ich mit Kleidung und einer Zahnbürste vollstopfte bevor ich von zu Hause abgehauen bin und auf seiner Türschwelle auftauchte.“ Überrascht klappt mir der Mund auf. Abgehauen? Ich wollte etwas sagen, aber er hebt den Finger. Ein leichtes Kopfschütteln lässt mich meinen Mund schließen. „Rens Eltern sind sehr Konservativ. Ich war ein geduldeter Gast. Anfangs. Sie mögen mich nicht besonders, weil sie meine Familie kennen. Wir waren lange Nachbarn während der Grundschule und...“ Er seufzt tief und klingt dabei unendlich traurig. „Mein Vater, Bruder und ich sehen uns sehr ähnlich. Wir haben die selben Augen. Wenn deine Familie... ich... ich weiß nicht...“ Der Griff um meine Hand wird fester, dass es beginnt zu schmerzen. Überdeutlich spüre ich das Beben seines Körpers, die Angst und den Druck der auch jetzt noch auf ihm lastet. „Du hattest angst einer von ihnen erkennt dich und deine Familie, weshalb sie dich raus schmeißen würden?“ Er nickt und bestätigt meinen weiterführenden Gedankengang. Mit einem mal fällt mir immer mehr auf. „Deswegen versteckst du dich hinter diesem Zottel Pony. Weil du nichts anderes hast, trägst du auch bei dreißig Grad im Schatten diese langen Sachen. Und deshalb seit ihr so kurz vor den Prüfungen der Mittelschule hier zusammen gezogen. Weiß deine Familie wenigstens ob du noch lebst?“ „Ich hoffe nicht.“ „Warum?“, entrüste ich mich. „Wovor bist du abgehauen?“ „Das möchte ich dir nicht sagen.“ Ein heftiger Stich durchzieht mein Herz. „Was zum... jetzt fängst du schon genauso an wie Susu. Weil ich Naiv bin? Bin ich nicht vertrauenswürdig oder denkt ihr alle, dass ich nicht belastbar genug bin um mir so etwas anzuvertrauen? Hab genug eigene Scheiße hinter mir. Ich kann damit umgehen. Ich bin nicht so leicht kaputt zu kriegen.“, schreie ich fast schon zornig und keuche im nächsten Moment erschrocken über mich selbst. Wow. Wo kam das denn her? „Ich weiß aber nicht, ob ich damit umgehen kann, wenn du mich genauso mitleidig ansiehst, wie Diejenigen die von meiner Vergangenheit wissen.“ Langsam entzieht er mir seine Hand. Starr sieht er auf seine Füße, während er seine Arme eng vor der Brust verschränkt. Er hat komplett dicht gemacht. Mit einem Mal ist ein Tal großer Abstand zwischen uns, in dem Geheimnisse, Missverständnisse und Feigheit uns den Weg zueinander versperren. Ich wollte zu schnell zu viel wissen. „Sorry.“, erwidere ich geknickt, erhalte aber nur ein Schulterzucken. Na ja, besser als komplett ignoriert zu werden. Dicht ziehe ich die Beine an mich und schlinge die Arme um sie. Mein Blick schweift durch den Raum und auf einmal sehe ich ihn nicht mehr als diese kleine schäbige Absteige. Das hier ist ihr Reich. Hier können sie sein wer sie sind. Sich frei bewegen. Haben sich mühsam hier eingerichtet. Shiba hat vielleicht keinen Besitz, aber etwas viel wertvolleres. Ren Haruno. Nichts auf dieser Welt könnte Harunos Freundschaft ersetzen. Er hat ihm diese Möglichkeit der Freiheit gegeben und wie es scheint tatsächlich völlig selbstlos. Haruno ist wirklich etwas ganz besonderes. Ich sehe, dass Shiba nach wie vor in seiner abblockenden Haltung verharrt. Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe. Wie kann ich diese Situation nur entkrampfen? Ich kann schlecht einen Witz erzählen. Und wenn ich ihm etwas über mich preisgebe? Etwas harmloses versteht sich. Unter keinen Umständen möchte ich eine Diskussion über meine Vergangenheit anzetteln. Etwas harmloses. Etwas wie.... Was würde Susu tun? Aus den Augenwinkeln wage ich einen weiteren Blick herüber. „Ähm... könntest du mir bitte ein Hemd oder so zum schlafen leihen?“ Er brummt ergeben und wippt sich hoch zum aufstehen. Schnell werfe ich nach. „Und eine Unterhose noch.“ Stutzig hält er in seiner Bewegung inne. „Die wird dir nicht passen, bei deinen schmalen Hüften. Kannst du deine nicht auf Links drehen?“ „Zu erst einmal, uhrg. Ich hoffe inständig du machst das nicht. Und zum anderen kann ich das nicht, ich trage keine.“ Seine Augen weiten sich. Immer wieder klappt sein Mund auf um etwas zu sagen, doch mehr als einmal schluckt er es herunter. Er entscheidet sich für ein schwaches lächeln und einen unsicheren Blick. „Du verarscht mich.“ Angebissen. „Ich besitze nur Boxer-Shorts. Selbst ein Slip würde man sehen unter dieser, na ja, nennen wir es mal Jeans-Shorts.“, gestehe ich trocken und reibe mit den Handflächen über die abgeschnittenen Hosenbeine, die einen Deut zu viel Haut präsentieren. Der Panther in ihm verfolgt die Bewegung meiner Hände, mit einem Ausdruck in den Augen, der einem ausgehungertem Wildtier gleicht. Sein Mund steht einen Spalt offen. Nun pirscht er sich an. Langsam beugt sich die groß Katze zu mir herüber und stützt eine Hand neben meinem Kopf an der Heizung ab. Mit jedem Herzschlag kommt er mir weiter entgegen. Die andere Hand legt sich auf mein Knie, zieht es mit sanften Nachdruck zu sich und legt meine empfindliche Mitte frei. Die Hitze in seiner Hand lässt ganz neue Ideen in mir aufkochen wie dieser Tag enden könnte. „Beweis es.“, wispert er mit rauer Stimme und ein prickeln kriecht unter meiner Haut. Verdammt, dass läuft zu gut. Mit bedacht gleiten meine Hände über den festen Stoff zum Knopf, während seine meinen Oberschenkel hinunter streicht. Die Reibung seiner rauen Haut entfacht eine Spur aus Feuer. Ich bin tatsächlich gewillt es einfach laufen zu lassen und das Feuer zu einem unkontrollierbaren Waldbrand ausarten zu lassen. Wäre da nicht... „Oh, Haruno.“, bemerke ich mit einem Blick an Shiba vorbei. Schreckhaft springt dieser auf und dreht sich zur Badezimmertür. Doch sieht nichts. „Was?“, wundert er sich atemlos. „Verarscht.“, kicher ich hingegen und überspiele mein Herzklopfen. In einer Mischung aus Ungläubigkeit und erstaunen sieht er zu mir herab. „Das hast du nicht ernsthaft getan.“, versucht er drohend zu klingen, aber seine Mundwinkel steigen in ungeahnte Höhen zu einem breiten grinsen. Frech strecke ich ihm die Zunge raus und augenblicklich wandelt sich sein belustigtes lächeln zu einem fiesen grinsen. Er wackelt mit den Fingern vor mir, als ob sie zu mir kriechen und kommt mir näher. „Nicht. Ich bin kitzelig. Lass das.“ Schnell suche ich Schutz auf dem Futon und strecke meine Arme nach der Decke aus um mich schützend einzurollen, doch er ist schneller und greift meine Hüfte. Mit einem Festen Ruck zieht er mich zurück. Schnell und ohne ein Wort zu verlieren, picken seine Finger in meine Seiten und ich pruste haltlos auf. „Hör auf! Hör auf!“, quieke ich zwischen dem Gelächter und bemühe mich von ihm los zu kommen. Kurzerhand setzt er sich auf meinen unteren Rücken, greift einen meiner ihn tretenden Füße und fährt seine Fingerspitzen über die reizbare Haut. Ein Gewirr aus lachen, schreien und flehen rinnt mir unkontrolliert über die Lippen. „Was macht ihr da?“, fragt Haruno überrascht, den ich fast überhört hätte, bei meinem lauten schreien. „Shiba ärgert mich.“, schießt es aus meinem Mund, bevor er sich zuerst rechtfertigen könnte. Regel Nummer Eins unter Geschwistern, immer dem anderen die Schuld geben. Training fürs ganze Leben. „Was? Du hast angefangen!“, erwidert er empört. „Gar nicht Wahr.“, behaupte ich todernst und strecke ihm wieder die Zunge raus. „Na warte.“ Und wieder foltert er meinen Fuß, den er nach wie vor im Schwitzkasten hält. Erneut breche ich in lachen aus und winde mich unter ihm, aber ich kann mich kaum rühren. „Schon gut. Schon gut.“, ergebe ich mich kreischend und klopfe meine Hand auf den Futon unter mir, wie beim Wrestling. „Tut mir leid.“ Erleichtert atme ich auf, als er tatsächlich los lässt. Sprunghaft steht das Pantherchen auf und holt aus dem Wandschrank ein Hemd. „Vergiss das andere nicht.“, erinnere ich ihn breit grinsend. Er schnaubt, doch ich sehe ihn ebenfalls grinsen, bevor er mich mit den Kleidungsstücken abwirft und ich mich wieder quieken höre.     Nach der Dusche fühle ich mich schmutziger als zuvor. Ich weiß, ich hätte mich zusammen reißen müssen, aber mehr als Lebhaft kam mir diese raue Hand in Erinnerung, die mein Bein hinunter glitt, mit einem eindeutigen Ziel, dem meine Jeans im weg war. Dieser gierige Blick, für den ich mir sofort das letzte bisschen Kleidung vom Leib gerissen hätte. Der sexy Ton seiner Stimme. Ich konnte mich nicht zügeln. Zu meiner Verteidigung, ich bin immer noch ein hormongesteuerter junger Mann in der blühte meiner Jahre und sexuell frustriert. Als Buße für meine Triebe habe ich jetzt Bissspuren auf meinem Arm. Ich hab nicht bemerkt wie fest ich tatsächlich zugebissen habe als ich kam. Unter keinen Umständen hätte ich auch nur einen einzigen Laut riskieren können, so hellhörig wie das hier alles ist. Verlegen trete ich aus der Tür in den Wohnbereich mit einem T-Shirt von Haruno und seiner Boxer-Shorts die sich verzweifelt an meine Hüften klammert. Unsicher stehe ich vor den Futons und verstecke mein zerbissenen Arm mit meiner Hand, während Shiba hinter mir im Bad verschwindet. Okay, kleine Rätselaufgabe. Zwei Futons, drei Personen. Finde den Fehler. Hilflos wanke ich von einem Bein aufs andere und werfe einen verstohlenen Blick auf die heraus blitzende sehnige Brust des Top Models zu meinen Füßen. Wenn Schönheit töten könnte, wäre er der letzte Mensch auf Erden. Dieser Anblick, wie er da liegt, mit seinem feuchten Haar und dem Vorgeschmack auf seinen nackten Körper, reicht um mich wie Butter zerfließen zu lassen. Er hat die Arme unter seinem Kopf verschränkt und schaut vom Bett zu mir auf. Ein breites Grinsen liegt auf seinen Lippen, als könnte er meine Gedanken lesen. „Keine Angst. Der böse Wolf frisst dich heute nicht.“ Nervös lächle ich ihm zu. „Ich sehe dich eher als Prinzen.“ Bellend lacht er auf. Aber wo wir schon mal bei Märchenfiguren sind. „Habe ich bei euch auch einen peinlichen Spitznamen?“ Er behält sein breites grinsen bei und scheint nicht mal überlegen zu müssen. Er hat bereits eine Antwort für mich parat. „Du bist Bambi.“ Meine Augenbrauen schießen in die Höhe. „Wie kommt ihr auf Bambi?“, frage ich verdattert. „Na ja, du hast uns auch mit Tieren verglichen, aber in erster Linie wegen deiner riesigen Augen und weil du so niedlich bist.“ Er klopft neben sich auf Shibas Futon und ich folge seiner Aufforderung mich zu setzen. „Zum anderen...“ Sein lächeln nahm einen verlegenen touch an, dass ich ihn am liebsten um den Hals fallen würde. „Weil du eben noch unschuldig wie ein Reh bist. Und keine Panik, Takeo und ich haben die Schlafverhältnisse bereits geklärt. Du schläfst in seinem Bett und er bei mir. Also kuschel dich schön ein und schlaf, damit du auf eurem Ausflug nicht zu erledigt bist.“ So unschuldig bin ich auch nicht. Ich habe gerade eure Fliesen geschändet. Verlegen ziehe ich die Decke zu mir und bin mir sicher, dass es hell genug in der Wohnung ist um die Röte auf meinen Wangen zu erkennen. „Du kümmerst dich auch um jeden.“, murmle ich schüchtern. „Nur um die, die mir wichtig sind, Misaki. Und das sind nicht viele Menschen, aber für die tu ich alles.“ Ich begegne seinem Blick, der mir durch Mark und Bein geht. Ein Blick der sagt “du bist das Wichtigste für mich“. Etwas berührt mich tief drin und mein Herz umhüllt sich mit wärme, wobei ich nicht benennen kann ob sein Blick oder seine Worte Schuld daran sind. Seine Gesichtszüge liegen entspannt als er sich zu mir beugt und einen zarten Kuss auf meine Wange platziert. „Schlaf jetzt.“ Mein Arm schnellt hervor und umklammert seinen Nacken. „Haruno...“ Mein Mund steht offen aber die Worte versieden. Planlos zucken meine Augen umher ohne zu sehen. Was sollte das werden? Was wollte ich sagen? „Ich... ähm...“ „Du sollst doch Ren zu mir sagen.“, unterbricht er mein Gestammel, wofür ich ihm überaus dankbar bin. Verlegen senke ich den Blick. „Tut mir leid.“ Seine Hand streicht über meine Wange und sofort schmiege ich mein Gesicht hinein mit einer Selbstverständlichkeit als würden wir das seit Jahren so machen. Diese Berührung hat etwas wohltuendes. Etwas wärmendes. Etwas, dass meint, jetzt kann es nur noch besser werden. Tief atme ich die schwüle Luft ein, die uns schwer umgibt, aber eine süße Note trägt, die eindeutig von dem Duschgel kommt. Ein wahnsinnig durchwühlender Tag war das. Und auch wenn Harunos lächeln das letzte ist das ich sehe, bevor ich die Augen schließe, sind die panthergleichen wilden Augen das letzte an das ich denke.     „Misaki... Hey... Wach auf...“ Sanftes rütteln unterstützt die tiefe Stimme über mir. Widerwillig reiße ich mich von meinem Traum los und blinzle verschlafen hinauf auf einen Schopf zotteliger kastanienbrauner Haare. „Hey. Ich bring dich nach Hause. Deine Mutter hat schon zwei mal angerufen. Ihr wollt los.“ Unverständliches Zeug murmelnd ziehe ich die Decke über meinen Kopf. Wie spät ist es? Wie lange habe ich geschlafen? Definitiv zu kurz, denn zu behaupten ich fühle mich wie erschlagen ist noch untertrieben. Eher als wäre ich ein Bombentestgebiet. Es zieht und zupft an der Decke. Schreckhaft zucke ich zusammen als eine Hand unter meine Kniekehlen rutscht. Eine zweite folgt unter meinem Rücken und mit einem hellen Schrei von mir, der dem kleinen Mädchen in mir vor Neid erblassen lassen könnte, hebt der Panther mich hoch auf seine Arme. „Was machst du da?“, quieke ich. „Sssssch.“ Erhalte ich als erste Reaktion. Prüfend blickt er nach unten und ich folge verwirrt seinem Blick. Haruno dreht sich grunzend um sich selbst, schläft jedoch weiter. Der Glückliche. „Ich hab deiner Mutter versprechen müssen dich so schnell wie möglich nach Hause zu bringen.“ „Ja, schon gut. Jetzt bin ich definitiv wach. Lass mich runter.“, flüstere ich ohne verhindern zu können das sich Hitze in meinen Wangen ausbreitet. Er verzieht den Mund und anstatt mich runter zu lassen, wippt er mich prüfend auf und ab. „Du musst mehr essen. Meine Gewichte wiegen mehr als du. Wie kannst du trotz der Kochkünste deiner Mutter so wenig wiegen?“ Erst nach weiteren Protesten und wildem Gestrampel lässt er mich auf meine Füße zurück sinken, wofür er sich dann noch einen Knuff auf den Arm von mir einfängt.     „Lieber süß oder deftig?“ „Deftig.“, antworte ich ohne überlegen zu müssen. „Ich esse lieber einen guten Eintopf oder Frittiertes, als Waffeln oder Eis. Lieblings Getränk?“, frage ich schließlich zurück. Nachdenklich schweift sein Blick kurz Richtung Himmel. „Nicht überlegen. Das erste was dir einfällt.“, erinnere ich ihn. „Kaffee, schwarz.“, antwortet er darauf. Angewidert strecke ich überspielt die Zunge raus, worauf er schmunzelnd seine Schulter gegen meine stößt. Leise lachend gehen wir weiter nebeneinander. Für den Weg nach Hause habe ich eine von Harunos Jogginghosen bekommen. Während ich schlief hat Shiba meine Jeans-Shorts entsorgt. „Hund oder Katze?“ Mein lachen wird lauter. „Das fragst du noch? Katze natürlich. Vor allem die großen die hinter ihrem Zottel Pony kaum was sehen können.“ Ich schwöre er wird rot. Er zupft zwar besagten Pony zurecht und verdeckt mehr als unnötig sein Gesicht, aber an seinen Ohren die zwischen den Haaren heraus lucken erkenne ich es immer noch deutlich genug. Rot. Sich räuspernd schließt er wieder zu mir auf, nach dem er kurz ins straucheln kam. „Lieblings Sportart?“, frage ich daraufhin. Wieder musste er kurz überlegen, wobei sein Blick erneut Richtung Himmel wandert. „Die eine Sportart gibt es nicht. Wenn ich ihn selbst betreibe definitiv keinen Mannschaftssport. Bei einem guten Fußball oder Baseballspiel schau ich gerne zu, aber ich bin beim Sport lieber für mich allein. Dann geh ich ins Fitnesscenter, schwimme oder wie Ren sicher schon gepetzt hat Kendo.“ „Warum machst du es jetzt nicht mehr?“ „Ich bin dran mit meiner Frage.“ Schnaufend stupse ich ihn mit der Schulter an. „Spielverderber.“ „Schummler.“, kontert er grinsend. „Na gut, aber meine Frage bleibt dieselbe.“ Er greift nach meinem Handgelenk und dreht mich zu sich, worauf wir beide stehen bleiben. Fragend schaue ich zu ihm hoch und erhasche einen Blick auf seine Augen hinter dem zotteligen Haaren. Ich kann nicht genau bestimmen, was das für ein Blick ist. Aus Sorge oder sogar Schmerz? Jedenfalls wirkt er aufgewühlt. „Shiba? Alles okay?“, frage ich verunsichert. Seine Lippen ziehen sich zu einem schiefen grinsen das seine Augen nicht erreicht. „Das war ja noch eine Frage.“ „Dann wird es Zeit das du deine endlich stellst.“, antworte ich mit flauem Gefühl im Magen. „Ich habe tausende von Fragen, die du sicher alle nicht beantworten würdest. Beantworte mir aber diese eine ehrlich.“ Er legt eine Pause ein, in der ich genug Zeit habe tief durch zu atmen und nicke schwach. „Warum bist du als Mädchen an die Schule gekommen?“ Schlagartig wird mir schwarz vor Augen. Hektisch blinzle ich mehrere male, aber meine Sicht bleibt verhangen. Unzählige Bilder tauchen vor meinen Augen auf. Die Mädchen die den Mülleimer über meinem Tisch leerten. Die Jungs dessen Fäuste ich spürte bis ich Blut schmeckte. Mein verquollenes verheultes Gesicht im Spiegel. Die Nächte auf der Straße, weil ich angst hatte so nach Hause zu gehen. Akira, der mir die kalte Schulter zeigte und unsere letzte Begegnung. Das letzte was er zu mir sagte. Es tut mir leid. Immer wieder zieht sich mein Herz zusammen bei dieser Erinnerung. Ein gebrochenes Herz. Gebrochen wegen seines Stolzes. Wie soll ich das beantworten ohne zu viel zu erzählen? Kaltes kribbeln rauscht durch meine Gliedmaßen. Erst jetzt merke ich, dass ich den Atem anhalte. Als ich darauf ins schwanken gerate spüre ich zwei Arme die mir stützend unter die Achseln greifen. Halt suchend graben sich meine Finger in sein Hemd. Nicht zum ersten mal, dass sie sich auf diese Art selbstständig machen. Starke Arme schlingen sich um meinen Rücken und geben mir den gesuchten Halt. „Misaki, ich weiß nicht was ich machen soll. Ren ist in so etwas besser.“ Meine Stirn landet mit einem dumpfen Geräusch auf seiner Brust. Der Stoff des Hemdes raschelt unter mir. Das, seine Stimme und das unerträglich laute pochen meines Herzens ist alles was ich höre. „Warum?“ Tief atme ich ein, als würde ich alle vergessenen Atemzüge in einem Zug wieder aufholen wollen. Sein männlich herber Geruch, mit einer leicht süßlichen Note des Duschgels das wir beide benutzt haben, steigt in meine Nase. Ich nehme noch einen Zug von dieser Mischung, was bewirkt, dass das Pochen in meinen Ohren ruhiger wird. Mit dem schwindenden Blutdruck, kommt auch mein Sehvermögen zurück. „Warum ausgerechnet diese Frage?“ Meine Stimme gleicht einem gespanntem Gummiband, dass dermaßen überdehnt ist, dass es jeden Augenblick zu reißen droht. Ich spüre wie seine Hand über meinen Rücken gleiten. Einmal. Noch mal. Dann stoppt sie so abrupt wie es anfing. Zögerlich beginnt er zu sprechen. „Da ich von Anfang an wusste, dass du kein Mädchen bist, ist mir auch schnell aufgefallen, dass du auf Männer stehst. Es war nicht zu übersehen wie du Ren ständig angesehen hast. Daher dachte ich erst, es wäre so ein Ding von dir. Gibt genug die als Frau herum laufen, oder dieses geboren im falschen Körper und so.“ Seine Hand setzt sich wieder in Bewegung und hätte fast sein nervöses schwanken von Fuß zu Fuß verborgen. „Aber dann ist mir was aufgefallen.“ Ich schlucke hart. Klar, Mr. Beobachtungsgabe entgeht nichts. „Du willst überhaupt nicht als Frau gesehen werden, auch wenn du selbst Witze darüber machst.“ Langsam hebe ich meinen Blick. Nie hätte ich geglaubt wie schwer es mir fallen würde ihn an zu sehen. „Du verhältst dich einfach nicht wie ein Mädchen. Bist total genervt wenn deine Schwester an deinem Aussehen werkelt. Privat trägst du nur Kleidung die dir viel zu groß ist und keine Mädchensachen. Dein Zimmer ist nicht so kitschig dekoriert wie der Rest eures Hauses. Es gibt noch so viel mehr, aber das wichtigste ist...“ Eine Hand trennt sich von meinem Rücken, um über meine Wange zu wandern. Zögerlich trifft die raue Haut auf meine weiche. „Du wirkst unglücklich.“ Mit großen Augen starre ich ihn sprachlos an. „Irre ich mich?“ Fast unmerklich schüttle ich verneinend den Kopf. Chaos. Das blanke Chaos herrscht in meinem Kopf. Schlimmer denn je. Wie kann ich nur Ordnung da hinein bringen? Schwer atmend lege ich meine Stirn wieder auf seiner Brust ab. Hell leuchtet das weiße Hemd unter mir und ich fixiere meinen Blick auf einen der Knöpfe. „Ich...“, frustriert stöhne ich, da ich nicht weiß wie ich beginnen soll, geschweige denn was ich überhaupt sagen soll und wie viel. Ich will vergessen. Alles. Wie kann ich vergessen, wenn es mich immer wieder einholt? „Keine folge Frage.“, fordere ich also. „Und wir reden nie wieder darüber.“ „Versprochen.“, antwortet er knapp. „Und wenn du mich danach anders behandelst trete ich dich. Jedes mal.“ Er schnauft belustigt. „So fest du kannst.“ Ich schließe die Augen und höre mich zittrig Atmen. Chaos. Gib dem Chaos einen Anfang.„Der wahre Grund... warum ich in Amerika war, ist... ich wurde seit der Mittelstufe massiv gemobbt. Angefangen hat es damit, weil ich schon immer eher feminin aussah. Wie ein Roter Faden hat sich das durch mein Leben gezogen. Ja, ich hasse es als Frau gesehen zu werden, aber ich hatte Panik nach meinem neu Anfang wieder in diesen Kreislauf zu fallen. Es war eine unüberlegte Panikreaktion, als ich mir die Uniform meiner Schwester schnappte und so zur Schule kam.“ Sobald mein Mund still stand, rollte eine Flut an Gefühlen über mich hinweg. Euphorie, Panik, Trauer, Wut, aber vor allem Erleichterung. Nie habe ich mich jemandem außer Susu oder meiner Familie anvertraut. Hätte nie für möglich geglaubt das je eines Tages zur Sprache zu bringen. Und das einem jungen Mann, denn ich quasi erst kennen gelernt habe und der mindestens genauso kaputt ist wie ich. Ich spüre wie mein Gesicht sich nicht entscheiden kann, ob es lächeln oder die Stirn in tiefe Falten legen soll. „Ich habe mich mit Mishiro zerstritten.“, höre ich ihn sagen. Irritiert schaue ich zu ihm auf. „Was?“ „Die Antwort auf deine Frage, warum ich jetzt kein Kendo mehr mache.“ Dann erinnere ich mich wieder an meine aufgestellten Forderungen. Er hält sich tatsächlich daran. Und zu dem Wirrwarr aus Gedanken und Gefühlen mischt sich etwas neues hinzu. Glück. Fest schlinge ich meine Arme um seinen breiten Rücken und drücke ihn in eine Umarmung. Klangvoll presse ich ihm die Luft aus den Lungen, wenn er nicht mit Absicht übertreiben sollte. Nun kann sich mein Gesicht endlich zu einem breiten lächeln entscheiden. Auch er drückt mich, aber mit mindestens neunzig Prozent weniger Kraft. Bei dem Gedanken muss ich ein leises lachen von mir geben. „Scheinbar bin ich nicht der einzige der Anhänglich geworden ist, seit du mir erlaubt hast auf dem Schuldach mit dir zu kuscheln. Ich hatte dich wenigstens vorgewarnt.“ Fest presst er seine blassrosa Lippen aufeinander, während die röte von seinem Hals immer höher in sein Gesicht steigt. „Ich werde mich zusammen reißen, wenn dich das stört.“ „Untersteh dich mir auch nur eine Umarmung vorzuenthalten.“ Auf mal wird er ganz still. Langsam hebe ich meinen Blick und sehe zu ihm hoch. Doch seine Augen sehe ich nicht. Der Vorhang an dichten Zottel Haaren hängt vor ihnen, der ihn von der Welt abschirmt. Leider gerade auch vor mir. Hab ich wieder was falsches gesagt? Gerade als das unangenehme prickeln von Nervosität in meinen Nerven sich anbahnt, sagt er etwas zu mir, dass mehr einen flüstern gleicht. „Nur Umarmungen?“ Beim Klang der tiefen Stimme, die rauer klingt als gewöhnlich, jagt ein Schauer meine Wirbelsäule hinunter. Einer der mehr als nur auf eine Weise angenehm ist. „W... Wie... ähm...“ Ich räuspere mich. „Wie meinst du das?“ Seine Mundwinkel zucken und hätten fast ein lächeln gebildet. „Ich frage dich, ob ich aufhören soll mich zurück zu halten.“ „Hast du denn... Warum... also...“ Während ich nicht zu vollständigen Sätzen fähig bin, spüre ich seine Hand meinen Rücken hoch gleiten, bis sie meinen Nacken umfasst. Sofort stoppt mir der Atem, als hätten meine Lungen vergessen wie... na, dieses... Wie war die Frage? Er beugt sich vor und da lüftet sich der zottelige Vorhang. Wie gebannt starre ich in diese dunklen wilden Augen und setze mich der Gefahr aus spontan selbst in Flammen auf zu gehen. Sein Griff um meinen Nacken wird fester und zieht mich näher zu sich. Nah. Sehr nahe. Zu nahe. Er wird doch nicht...? Seine Nasenspitze streift über meine Wange und etwas das wie ein Wimmern klingt stiehlt sich aus meinem Mund. Als ich seinen Atem auf meinen Lippen spüre, kneife ich die Augen zu. Was muss ich machen? Lippen spitzen? Öffnen? Aber ist das nicht zu früh? Küsst man beim ersten mal überhaupt mit Zunge? Wieder rutsch mir ein fiepsen über die Lippen, der sich nicht annähernd so laut und verzweifelt anhört wie in meinem Kopf, da ist es mehr ein langes AAAAAH! Doch es passiert gar nichts. Nur zögerlich öffne ich meine Augen und muss feststellen, dass er mich mit einem breiten lächeln Triumphierend an grinst. „Verarscht.“ Meine Augen werden so riesig, dass ich befürchten muss sie fallen mir gleich aus den Kopf. „Du Schuft, verwendest meine eigenen Tricks gegen mich.“ Darauf wird sein grinsen noch breiter und offenbart seine weißen Zähne. Geschlagen lege ich eine Hand über meine Augen und kann das aufkommende lachen nicht zurück drängen. Oh, verdammt. Lass dir nichts anmerken, Misaki. Tret ihn! Tret ihn! Ich muss irgendwas machen. Ich hab einen knallroten Kopf und eine Latte in der Hose. Tret ihn jetzt endlich mal, verdammt! „Ich hoffe du weißt was das bedeutet?“, frage ich und bringe mein unsicheres lachen zum verstummen. Als ich zwischen meinen Fingern hindurch blicke, sehe ich wie er fragend die Augenbrauen hebt. „Das bedeutet Krieg.“ Sein Grinsen ändert sich schlagartig. Ein Mundwinkel ist höher als der andere und seine Augen sind verengt. Es wirkt verrucht. „Kann´s kaum erwarten.“   Ende von Teil 15 Kapitel 16: Teil 16- Bienchen und Blümchen ------------------------------------------ Pretty Boy   Teil 16- Bienchen und Blümchen   Als der Mietwagen hält schlage ich flatternd die Augen auf. Gefolgt von einem ausgiebigen gähnen und strecken, nach dem ich die gesamte Fahrt in einer unbequemen Haltung verschlafen habe. Ich wische mir die Sabber vom Kinn und tue es meiner Familie gleich und steige aus dem Auto. Mit Ehrfurcht schweift mein Blick über meine Umgebung. Grün. Wo ich auch hinsehe, alles grün. Hätte ich nur mal ein dieser Survival-Dokus im Fernseher gesehen. Wer weiß, was sich in diesem Grün alles versteckt hält. Ich bezweifle, dass wir hier auf Godzilla treffen, aber sicher der ein oder andere Käfer, der dem Konkurrenz machen kann. So viele Bäume, Büsche und Pflanzen bin ich nicht gewohnt. Unser Garten zu Hause ist schön, aber in der Großstadt Tokios muss man schon eine Weile laufen für ein Fleckchen grün. Dabei fällt mir etwas ein, das meinen Magen eiskalt brodeln lässt. Mit schwitzigen Händen hole ich mein Handy aus dem Rucksack und stelle schockiert fest, kein Netz. Verdammt. In welches Höllenloch haben sie mich hier verschleppt? Mit Sack und Pack laufen wir den kleinen Parkplatz entlang, wobei ich den kleinen Koffer von Miyu tragen muss, die energiegeladen vor uns her hüpft. Dad und ich haben für diese eine Nacht nur eine kleine Tasche. Ich hätte auch darauf noch verzichten können. Mehr als eine Unterhose und Zahnbürste braucht es doch nicht. Mum und Hina haben gepackt, als würden sie sich eine ganze Woche hier einquartieren. Als wir den geschotterten Parkplatz verlassen ertürmt sich vor uns ein Imposantes Gebäude, dass aussieht als wäre es noch aus der Kaiserlichen-Zeit bestehen geblieben. Zwei gestufte Stockwerke, mit einem geschwungenem Dach auf dem Verzierungen zu erkennen sind. Die Fassade sieht neu aus und strahlt weiß, doch die dunklen Holzbalken zeigen einen Gegenpart zum neuen. Eine Mauer, die weit um das Gebäude herumführt, grenzt es von dem Wald ab und schließt das kleine Königreich in sich ein. Wir gehen durch die riesige offenstehende Holztür und finden uns in einem fast schon Buddhistischen Garten wieder. „Okay... Was genau machen wir hier?“, frage ich misstrauisch in die Runde, denn was macht man mitten im nirgendwo, in einem alten Haus und verdammt noch mal ohne Netz. Schnaufend überreicht Mum Dad ihren Koffer für die letzten Stufen die uns vom Eingang trennen. Mit einem verschmitzten Grinsen nimmt er ihn Widerstandslos entgegen und geht weiter. Ein wenig außer Atem lächelt Mum mir zu. Auch heute ist es wieder heiß. Bis eben konnten uns die Bäume kühlen Schatten spenden, aber auf dem Weg gibt es keinen Schutz. „Wir werden heute mal richtig die Seele baumeln lassen. Das hier ist eine Onsen.“, kichert Mum gut gelaunt. Onsen bei dem Wetter. Tolle Idee. Wettervorhersage für heute, es könnte Sarkasmus regnen. Lieber hätte ich den Tag auf Shibas Futon verbracht. Wahlweise auch mit ihm oder Haruno zusammen. Genervt verziehe ich das Gesicht und betrete das Imposante Gebäude. Von Innen sieht es genau so aus, wie man es sich vorstellt, wenn man es von Außen gesehen hat. Tatami-Matten auf dem gesamten Boden. Schiebetüren mit Reispapier. Der Empfangstresen aus dunklem Kirschholz ist präsent in der Mitte des Raumes platziert. Bald hätte ich gelacht als ich den Souvenir-Shop an der linken Seite des Raumes ausmachte. Doch das beste ist ein Schild, auf dem den Besuchern Gratis WLAN versprochen wird. Halleluja, die Hölle hat einen Hinterausgang.   Es dauert nicht lange bis wir auf unser Zimmer gebracht werden. Viele Gäste haben sie zur Zeit nicht. Sofort verbinde ich mich mit dem Internet und erhalte prompt eine Nachricht von Haruno. Zuerst bin ich enttäuscht, weil ich noch immer auf ein Lebenszeichen von Susu warte. Allmählich beginne ich mir sorgen zu machen. So wie er aussah. Hoffentlich ist nichts weiter passiert. Sollte er bewusstlos in irgendeiner Gosse liegen und keiner hilft ihm, werde ich mir nie verzeihen können weggelaufen zu sein. Ich öffne Harunos Nachricht und sehe, dass er in unserem Dachhocker-Gruppenchat geschrieben hat. »Haruno: Hey Bambi. Wo hat es euch denn hin verschlagen?« Von der Uhrzeit her ist die Nachricht schon vor zwei Stunden geschickt worden, als ich noch friedlich im Auto vor mich hin gesabbert habe. »Hey Igelchen. Wir sind am Arsch der Welt in eine andere Epoche gefallen. Würde mich nicht wundern, wenn wir Nachts von Ninjas überfallen werden. Wenigstens gibt es WLAN. Was macht ihr?« »Haruno: Schmeiß den Haushalt. Takeo kam spät vom Joggen zurück und schläft jetzt endlich, hat die Nacht wieder kein Auge zu getan. Was habt ihr jetzt vor? Schwertkampf und Wurfstern Übungen für die Verteidigung vor den Ninjas?« Kein Auge zu getan? Hoffentlich lag das nicht an mir, weil ich sein Bett für mich beansprucht habe. Mein Blick wandert durch das Zimmer. Mum und Hina erkunden neugierig alles. Dad verstaut die Koffer in einer Ecke und Miyu läuft durch eine Schiebetür in einen kleinen Garten der zu unserem Zimmer gehört. Statt zu Antworten schicke ich ihm ein Foto von unserem Zimmer mit Blick in den Garten. »Haruno: Schick mir lieber Fotos von dir. Vermisse dich. Hättet mich ruhig wecken können, damit ich mich von dir verabschiede. Jetzt fehlt mir meine Portion Misaki. Wie soll ich heute Abend nur überstehen ohne die?« Am Ende hängt er noch ein Emoji mit Träne dran. Kein Wunder das er die Mädchen alle um den Finger wickeln kann, wenn er so süße Sachen sagt. Ich würde ihm jetzt auch am liebsten um den Hals fallen. Ihm seine Portion Misaki verabreichen und mir den ein oder anderen Kuss verabreichen lassen. Sehnsüchtig seufze ich tief und ergebe mich dem Umstand, dass dies im Moment nicht Möglich ist und ich die Zeit mit meiner Familie genießen sollte solange es geht. Doch dann schlägt Mum wandern vor und ich wünsche mir eine spontan einsetzende Grippe.   An Mums Hand balanciert Miyu über Baumstämme. Dad, Hina und ich laufen etwas weiter hinter ihnen, weil Miyu mit einer Geschwindigkeit von Baum zu Baum rast die Flash neidisch werden lassen könnte. Irgendeine verborgene Superkraft muss sie besitzen, wenn sie bei der Hitze noch so Fit ist. Der Rest von uns ist ziemlich fertig. Hina stupst mir ihren Ellenbogen in die Seite und hat sofort meine Aufmerksamkeit. „Wie kommt es eigentlich, dass du mit Subaru los ziehst und mit dem Griesgram nach Hause kommst?“ „Er ist kein Griesgram.“, verteidige ich ihn sofort und strafe meine große Schwester mit einem finsteren Blick. „Ich meine ja nur.“, grinst sie weiter als ob sie mehr wüsste als ich. „Es ist nur sehr verdächtig.“ „Was willst du mir damit unterstellen?“, frage ich deutlich misstrauisch und mustere sie abschätzend. „Sie will wissen, ob du bei ihm geschlafen hast.“, mischt sich Dad ein, der sich unwohl mit der Hand über den Nacken fährt. „Ja, hab ich.“, erwidere ich wahrheitsgetreu. Erschrocken zucke ich zusammen als meine Schwester einen lauten schrillen Schrei von sich gibt und sich mit den Händen Luft zu fächelt. Eine Überreaktion, die sie immer dann an den Tag legt, wenn ihr kleines Fan Herz mit neuen Ereignissen gefüttert wird. „Papa heute Abend musst du Sushi springen lassen. Wir haben was zu feiern.“ „Was gibt es denn da zu feiern?“, wundere ich mich. „Na, deinen Wandel von einem Jungen zu einem Mann.“, erwidert sie übertrieben begeistert. Ich schwöre, wenn sie könnte, würde sie jetzt eine Parade für mich aufmarschieren lassen. Sie fängt selbst schon fast an zu tanzen und springe abwechselnd von einem Bein auf das andere. „Meinen Wandel?“ Klingt das nur so dumm oder bin ich wirklich der einzige der hier nichts versteht? Sie klimpert mir mit ihren langen Wimpern zu und gurrt. „Bienchen und Blümchen, schon mal gehört?“ Verständnislos starre ich sie an. „Deine Entjungferung.“, übersetzt Dad. „Was?!“ Abwehrend schüttle ich meine Hände und sehe hektisch zwischen beiden hin und her. „Ich hab nur bei ihnen übernachtet. Susu hatte... er war... beschäftigt. Ich bin zu Haruno und Shiba auf ihre Arbeit und bin mit ihnen zusammen nach Hause. Weil sie zusammen wohnen.“, verteidige ich mich, zumal mein nicht vorhandenes Sexleben nichts ist was ich mit meiner Familie teilen möchte. „Ich bin mit zu ihnen, weil ich angst vor dem hatte was mich zu Hause erwartet. Schließlich warst du lange weg und mit Mum allein im Haus.“ Mit knallrotem Kopf wendet er sich augenblicklich Richtung Wald, der ihm plötzlich unglaublich Interessant vorkommt. Ein Schauer überkommt und schüttelt mich. Sehr unauffällig Dad. Sehr unauffällig. Würg. „Dann lief da gar nichts zwischen euch?“, fragt meine große Schwester enttäuscht. „Nein. Ich hab euch doch gesagt, wir sind nur Freunde.“, antworte ich etwas genervt. Sie zieht eine Augenbraue hoch und spitzt die Lippen. „Und genau das glaub ich dir nicht. Der süße Haruno hat dich schließlich schon vor unseren Augen auf die Wange geküsst. So wie er gestern darauf war ist er total in dich verschossen und dennoch kommst du mit Mr. Obergriesgram nach Hause.“ Ich verdrehe die Augen und lege einen Zahn zu. „Wie auch immer.“, pampe ich sie an. Hastig ergreift sie mein Handgelenk und hindert mich an der Flucht nach vorn. „Misaki, sei mir nicht böse. Du erzählst ja nie was. Ich mach mir nur Sorgen. Jedes mal müssen wir uns fürchten, ob du überhaupt wieder kommst wenn du dich missverstanden fühlst oder ob wir erst ein paar Tage später in der Zeitung über deinen Leichenfund informiert werden. Ich meine ja nur, Haruno macht einen netten soliden Eindruck. Wir wollen alle nur, dass du endlich wieder glücklich wirst und was war hinter dir lassen kannst.“ Sie zieht an mir, dass ich widerwillig zu ihr stolpre. Ich bin noch nicht ganz bei ihr, da öffnet sie schon die Arme. Kampflos lasse ich mich in die Umarmung fallen und seufze schwer. Fest drückt sie mich an ihre Brust und wiegt mich sachte. „Ich will auch.“, erschallt es von weiter weg und höre Mum heran traben, die sich gegen uns wirft und mit knuddelt. In der Mitte des Knäuels koche ich vor Hitze und sehe hilfesuchend zu Dad, der uns nur belächelt und nicht mal daran denkt mir zu helfen. Miyu sehe ich weiter vor uns. Die kleinen Ärmchen eng vor der Brust verschränkt und den Blick stur in den Wald gerichtet. Von ihr habe ich erst recht keine Hilfe zu erwarten.     „Wir sehen uns dann später.“, verabschiedet sich Mum mit einem Kussi bei Dad und geht mit meinen Schwestern in die Onsen im Damenbereich. Ich hänge wieder an meinem Handy und lese die neuen Nachrichten von Haruno. »Haruno: Misaki, schimpf mit Takeo. Er hat mich gehauen, weil ich gepetzt habe, dass er nicht geschlafen hat.« »Haruno: Jetzt hat er es schon wieder getan. Aua!« Ich kann es mir bildlich vorstellen, wie Shiba genervt von Harunos Offenheit ist. Er wird ihn hinter seinem Zottelponny böse an funkeln und Haruno wird es ignorieren. Wie konnten die beiden sich nur anfreunden? Schmunzelnd tippe ich eine Antwort in den Gruppenchat. »Reißt euch mal zusammen, sonst bring ich euch nichts aus dem Souvenir-Shop mit.« »Haruno: Bring mir dich mit, mehr brauche ich nicht.« Prompt steigt mir eine Hitze zu Kopf, die mich leuchtend rot werden lassen muss, denn als ich beschämt zur Seite sehe, bemerke ich den Blick mit dem Dad mich bedacht. „W... Was ist denn?“, stottere ich verlegen. Breit zieht sich das lächeln auf seinem Gesicht. „Reiß dich los, damit wir auch ins heiße Wasser können. Und danach bestellen wir Sushi für alle.“ Na toll. Ich bin wirklich nicht gut darin Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. „Ja, gleich.“, räuspere ich mich um Haltung wahrend. Um ungestört zu sein gehe ich in den Nebenraum, in dem eine Reihe von Futons bereit liegen und sehe wieder auf mein Handy. Eine ungelesene Nachricht habe ich noch, von jemandem Namens Yamada. Erst beim lesen fällt mir wieder ein, dass Yamada Susus “Kleiner“ ist. »Yamada: Schönen guten Tag Watanabe-san. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass es Tsuba gut geht.« Befreit atme ich auf. Ich kann nicht annähernd in Worte fassen wie erleichtert ich bin das es Susu gut geht. Er liegt also nicht halbtot im Bett des nächsten perversen Arschlochs, liegt nicht bewusstlos auf einer Baustelle und wird mit Beton übergossen oder wurde von einer reichen alten Frau aufgegriffen, die ihn als Haustier hält. »Ich danke dir Yamada. Ich habe schon befürchtet, dass was passiert sein könnte, wollte mich aber noch nicht melden.« »Yamada: Er meinte schon ihr habt euch gestritten. Daher schreibe ich dir. Ich mach das nicht gerne hinter seinem Rücken, aber ich bin dir was schuldig. Vielleicht sogar für immer.« »Was ist passiert? Wie ist er zu dir gekommen?«, will ich interessiert wissen. Yamada schreibt. „Misaki, bist du soweit?“, ruft mein Vater von nebenan. „Ja,gleich. Geh schon mal vor. Bin sofort bei dir.“ „Die Jungs laufen dir schon nicht weg.“, lacht er. „Nee, ist wichtig. Einen Moment.“, erwidere ich und werde immer nervöser je länger ich auf die Antwort warten muss. »Yamada: Ich habe ihn stark alkoholisiert vor einer Bar aufgegriffen, als er dabei war jemanden neues kennen zu lernen. Darauf habe ich ihn, mit etwas Kraftaufwand, mit nach Hause genommen. Das fand er nicht witzig. Hat mir ein blaues Auge verpasst, aber danach wurde er ruhiger. War es also Wert. Er hat erzählt, dass ihr euch im Streit getrennt habt, weil es ihm unangenehm war was passiert ist und er nicht darüber reden wollte. Ich hoffe du bist ihm nicht böse deswegen. Er fürchtet, dass du ihn jetzt wieder alleine lässt. Mach das bitte nicht. Melde dich bei ihm, er traut sich nicht.« Unfähig meine Beine davon zu überzeugen standhaft zu bleiben lasse ich mich auf einen der Futons plumpsen und schlage die Arme über meine Augen. Zittrig entweicht mir der Atem, während meine Gliedmaßen ein eiskaltes kribbeln ausstrahlen. Was habe ich Susu angetan?! Ich, als sein bester Freund, lass ihn einfach in Stich. So wie damals schon mal, als ich nach Amerika abgehauen bin ohne ihm etwas zu sagen, weil ich nur daran denken konnte hier weg zu kommen. Weg von allem. Immer fliehe ich vor meinen Problemen. Immer verdränge ich sie. Nie weiß ich anders damit umzugehen. Verletze die Menschen um mich herum und stoße sie vor den Kopf. Ich bin gefangen in meiner Angst. In einer dunklen Spirale aus Angst die mich immer tiefer mit sich zieht. Meine Probleme verschwinden nicht. Egal wie schnell ich renne. Egal wohin ich flüchte. Wie kann ich mich befreien? Wie kann ich diese Last auf meiner Brust los werden die mich lähmt? Eine warme Hand legt sich auf meinen Arm und lässt mich zusammenschrecken. Mit großen feuchten Augen sehe ich zu Dad auf. „Was ist los?“, fragt er ehrlich besorgt. Schwerfällig richte ich mich auf, bis ich sitze und bemühe mich tief durch zu atmen, um mich zu fangen und etwas Zeit heraus zu zögern, was aber nur bewirkt, dass meine Augen um so mehr brennen. „Ich habe mich gestern mit Susu gestritten.“, gestehe ich mit dünner Stimme. „Deswegen habe ich bei Haruno und Shiba übernachtet. Susu... er...“ Ein leises schluchzen schüttelt mich. Angst. Immer ist sie da. Immer. Selbst bei meinem Dad. Sie schnürt mir den Hals zu und hindert mich daran die Dinge zu sagen die wirklich wichtig sind. Ich möchte das er Susu mag. Das wird er nicht wenn er weiß was passiert ist. Ich mag es nicht was Susu meint tun zu müssen. Es gibt andere Wege. Es muss andere Wege geben. Ich will... „Ich will ihm helfen, aber ich weiß nicht wie. Es geht ihm schlecht.“ Wieder schaffe ich es nicht die ganze Wahrheit zu gestehen, auch wenn es keine Lüge ist. Ich lüge meine Familie nicht an, aber ich erzähle ihnen nie die ganze Wahrheit. Ich bin voll mit Geheimnissen. Voll mit erdrückenden Schuldgefühlen. Voll von Angst. „Ich weiß nicht... Dad... wie?...“ „Vielleicht kannst du es nicht.“ Erschrocken schnellt mein Blick zu ihm auf. „Was?!“ Er räuspert sich. „Verzeih, dass klang harsch. Ich meine damit nur, vielleicht bist nicht du derjenige dessen Hilfe er braucht, sondern die eines anderen. Vielleicht will er sich nicht von dir helfen lassen. So wie du dir nicht von uns helfen lässt, obwohl wir es uns so sehr wünschen. Ihr braucht jemanden anderes der gewillt ist euch zu helfen und von dem ihr bereit seit euch helfen zu lassen.“ Seine Hand streicht durch mein langes Haar und ich sehe ein zögerliches lächeln, dass seine Augen nicht ganz erreicht, weil sie zu viel Sorge ausstrahlen. „Bei deinem lächeln eben hatte ich die Hoffnung das du diesen Jemanden vielleicht endlich gefunden hast. Gib deinem Freund Zeit und sei für ihn da, dass ist alles was du im Moment für ihn tun kannst. Ich bin mir sicher, er wird diesen Jemanden finden von dem er sich helfen lassen wird. Hab Geduld.“ Nachdenklich lege ich den Kopf an seine Schulter, worauf er mich in den Arm nimmt. Eine Geste die mir Ruhe schenkt, trotz allem. Ich hasse es so viel unausgesprochen zu lassen zwischen uns, aber Dad hat recht, er ist nicht derjenige der mir helfen kann. Er kann sich nicht in meine Lage versetzen. Er ist nicht Objektiv genug. Keiner in meiner Familie ist das. Und auch wenn ich Susu immer alles erzählen konnte, sind meine Probleme die ich mit mir habe nie besser geworden. Ich gehe auf seine Lösungsvorschläge nicht ein, weil sie mich eine zu hohe Überwindung kosten. Traut er sich mir deswegen nicht an? Weil ich mir von ihm nicht wirklich helfen lasse. Ich muss dringend mit ihm reden. „Danke Dad.“, schniefe ich. „Du bist echt verdammt schlau.“   Im heißen Bad der Freiluft Onsen hatte ich mir noch viele Gedanken gemacht. Dad muss es bemerkt haben, denn er stellte mir keine weiteren Fragen und ließ mich in Ruhe meine Gedanken ordnen. Es blieb bei oberflächlichen Gesprächen. So kommt es, dass ich im Souvenir-Shop wieder an meinem Handy hänge, während Mum und meine Schwestern sich begeistert umsehen. Meinen Einkauf habe ich schon erledigt, ich muss nicht Stundenlang stöbern. Von meinem Taschengeld ist nicht mehr viel übrig, daher war die Auswahl überschaubar. Ich weiß nicht, ob die beiden sich darüber freuen werden, aber ich fand es ganz witzig. Eine kleine Hartgummi Figur im Anime Designe für jeden als Handyanhänger mit einem Schriftzug, der auf einer länglichen Stofffahne steht, die man als Displayputztuch verwenden kann. Also nicht nur kitschig, sondern auch nützlich. Damit könnte ich meine Wahl dieser viel zu niedlichen Anhänger rechtfertigen. Für Haruno habe ich tatsächlich einen putzigen kleinen Igel finden können. Leider gab es keinen Panther für Shiba, aber eine schwarze Katze, das ist nah genug dran. Den richtigen Schriftzug zu finden war schwieriger. Ich wollte das gleiche für beide, aber der einzige der gleich war war BFF. Das schien mir unpassend. Wir kennen uns schließlich erst eine Woche und das ist auch nicht wirklich das was ich für sie empfinde. Es ist mehr als Freundschaft, aber best friends forever trifft es nicht. Nun bekommt Haruno den Prince mit passendem Krönchen auf dem Igel und Shiba den Hero, bei dem die Katze mit Cape eine heldenhafte Pose einnimmt. Ich kann mir vorstellen, dass Haruno es mir zu liebe mag, aber Shiba ist das sicher zu kindisch. Während ich nun darauf warte das meine Familie fertig wird, habe ich Yamada noch eine Nachricht geschickt, ob Susu noch bei ihm ist. Es dauert einige Minuten bis er antwortet, in denen ich immer wieder ungeduldig auf das Display starre. »Yamada: Nein, leider nicht. Nachdem ich ihn verarztet hatte ist er eingeschlafen. Als ich wenig später nach ihm sehen wollte war er weg.« Enttäuscht lasse ich das Handy sinken und sehe zu meiner Familie. Dad sitzt bereits im Restaurant des Hotels und wartet auf uns. Es trifft mich schmerzlich, dass Susu Yamadas Hilfe nicht annimmt. Ich habe große Hoffnung in ihn gesetzt. „Oh, wie niedlich.“, höre ich meine große Schwester vor Begeisterung rufen, als sie ein paar Geta Holzschuhe mit Floralen Mustern hoch hält. Diese Begeisterung für niedliche Dinge muss Mütterlicherseits vererbbar sein an das weibliche Geschlecht dieser Familie, denn auch meine kleine Schwester hyperventiliert bald beim Anblick eines weißen Hasen Plüschtiers, den sie nicht mehr rausrückt. Das ich diese niedlichen Anhänger gekauft habe ist reiner Zufall. Zufall! Zufall sage ich und dabei bleibe ich auch. Ich bin nicht auf niedliche Dinge fixiert. Gut, ich lass Ausnahmen gelten, wie meine Bento Boxen aber das war es auch. Na ja, die Häschen Bilderrahmen in meinem Zimmer würde ich ungern missen. Die sind schon süß. Aber das war´s! Denke ich... Obwohl... Harunos und Shibas lächeln ist noch viel niedlicher, aber ich denke das zählt nicht. Nein, ich bin mir sicher das zählt nicht. Das ist als würde man Äpfel mit Birnen vergleichen. Mum hält einen Stoffbeutel hoch mit auffälligem Muster. „Hina, der Kinchaku würde perfekt zu deinem Yukata passen. Was meinst du? Bald ist doch Sommerfest.“ Prüfend nimmt sie ihn entgegen und untersucht akribisch alle nähte und Optik. Während meine große Schwester scheinbar eine Reihe von Qualitätstests durchführt wendet sich Mum mir zu. „Hast du denn alles für das Sommerfest?“ Unsicher schweift mein Blick über das breite Sortiment. „Keine Ahnung. Denke schon, wachse da ja seit Jahren nicht raus.“ „Schau dich wenigstens um. Die Qualität ist hier besser als in der Shopping Meile.“, stachelt sie mich gut gelaunt an. Ergeben seufze ich und stecke mein Handy weg. Desinteressiert wandere ich um die Ständer und tu wenigstens so als würde ich schauen. Das Sommerfest findet an einem Sonntag statt, dass heißt Haruno und Shiba hätten frei. Vielleicht können wir zusammen los gehen. Ich will nicht schon wieder den Aufpasser für meine kleine Schwester spielen. Gut, dass letzte Fest für mich ist zwei Jahre her. In Amerika werden andere Feste gefeiert. Der vierte Juli war der Hammer. Thanksgiving hat mir gut gefallen. Michael hat mich und Dad zu seiner Familie eingeladen. Den Tag habe ich viele neue Wörter gelernt. Weihnachten hat fast schon erschreckende Ausmaße. Aber so ein Sommerfest in Japan hat etwas magisches an sich. Gutes essen, spiele, geschmückte Tempel und Straßen und das beste von allem zum Schluss, das Feuerwerk. Haruno sieht bestimmt umwerfend im Yukata aus. Und wenn ihn dann während des Feuerwerks die bunten Lichter umspielen und er mich ansieht, gar lächelt. Sich vielleicht zu mir herunter beugt. Der Gedanke lässt einen Schauer meinen Rücken hinunter jagen und sorgt unpassender weise für leichtes Wachstum in den Südlichen Regionen. Endlich würde ich auch Shiba mal in was anderem sehen als diese blöden langärmligen weißen Hemden und der schwarzen Hose die ihn wie ein Vertreter der Christlichen Kirche aussehen lassen. Stutzig halte ich inne und führe den Gedanken weiter aus. Er hat doch gar nichts anderes anzuziehen, dass heißt er hat auch keinen Yukata für das Sommerfest. Wenn er ohne geht, würde Haruno vielleicht auch keinen tragen wollen. Er braucht also dringend einen Yukata, damit ich beide darin bewundern kann. Mit plötzlich aufkeimendem Interesse durchstöbere ich die Massen an Stoffen und versuche mir vorzustellen welche Farbe zu seinen kastanienbraunen Zottelhaaren, den dunklen Augen und der beigen Haut passen würden. Nur ungern möchte ich meine Schwester zu rate ziehen. Das nimmt dann Ausmaße an, bei denen wir heute aufs Abendbrot verzichten müssten, weil bereits alle Feierabend haben bis sie fertig ist. Zudem dürfte ich mir wieder einiges anhören warum ich einem Freund was zum Anziehen schenken möchte. „Bist du soweit?“, ruft meine Mutter von der Kasse. Ich brumme ihr beschäftigt etwas zu, was sie unmöglich aus der Entfernung hören kann. Und dann finde ich ihn. An der Wand hängend, versteckt hinter grauen und blauen Stoffen. Der einzige Yukata in einem atemberaubenden dunklen olivgrün mit dünnen schwarzen Mustern die viel zu Modern aussehen auf diesem traditionellen Gewand. Der Stoff ist fein gewebt und die nähte sauber. Das Muster allen Anschein nach nicht bedruckt sondern Hand bemalt. Die Qualität hat ihren Preis. Ich schlucke hart als ich das Preisschild betrachte. Probehalber ziehe ich ihn über und wie erwartet ist er mir zu groß, dann würde er ihm vielleicht passen. „Ich glaube nicht das du da noch rein wachsen wirst.“ Mum kam in der Zeit zu mir und geht prüfend um mich herum. Verlegen streiche ich den weichen Stoff glatt und schaue an mir herunter. „Ich würde ihn dennoch gerne kaufen, nur mein Geld reicht dafür nicht. Könnte ich vielleicht einen Vorschuss auf mein Taschengeld bekommen?“ Sie greift vorsichtig in meinen Nacken und holt das Preisschild hervor. Mein Herz bleibt stehen als sie scharf die Luft einzieht. „Liebling, dass ist viel Geld für einen Yukata der dir nicht mal passt. Du findest sicher noch was anderes.“ „Der ist nicht für mich. Soll ein Geschenk werden. Bitte Mama, dass ist der einzige in der Farbe.“ Ich bemühe mich um einen herzerwärmenden Welpen blick und schaue flehend zu ihr auf. Wenn ich Mama sage knickt sie meistens ein. Mum lässt mich zu erwachsen wirken sagte sie mal. Sie seufzt tief und spielt mit dem Preisschild zwischen ihren Fingern während sie überlegt. „Misaki...“, setzt sie an und mein Herz wird schwer bei ihrem bedauerndem Tonfall. „Der ist zu teuer. Das würde ein zu großes Loch in unsere Haushaltskasse reißen. Der Ausflug war schon teuer genug. Das geht nicht auch noch.“ „Aber es ist doch nur geliehen. Du bekommst das Geld ja wieder.“, starte ich einen weiteren Versuch. „Aber es würde diesen Monat fehlen. Tut mir leid. Nein.“ Ich spüre ihre Hand in meinem Haar. Ruckhaft entziehe ich mich ihr und weiche ein paar Schritte von ihr weg, während ich Kommentarlos den Yukata ausziehe und zurück hänge. „Misaki...“, beginnt sie erneut, doch ich unterbreche sie bevor sie mehr sagen kann. „Dad wartet.“ Ohne auf Mum oder meine Schwestern zu wartet gehe ich los. Enttäuschung und Wut brodeln abwechselnd in mir auf und Scham, weil es absolut dumm ist deswegen enttäuscht oder wütend zu sein. Mum hat recht. Er ist einfach zu teuer. Ich werde Monate brauchen um den abzubezahlen. Aber das wäre es mir wert gewesen. Für Shiba. Ich bin nicht weit gekommen, als sich zwei Arme um meine Hüfte schlingen. Erschrocken fahre ich meinen Kopf herum und sehe Hina hinter mir. Verschmitzt grinst sie mich an und beginnt mich zu knuddeln. „Mi-sa-ki?“ Ich höre die Sensationsgier in ihrer Stimme, die meinen Namen musikalisch trällert. „Jaaaaa?“, frage ich misstrauisch und so was von nicht trällernd. Sie legt ihren Kopf auf meine Schulter und schaut zu mir auf. Spielerisch lässt sie ihre Augenbrauen wackeln. „Für wen sollte denn der Kimono sein?“ „Geht dich nichts an. Du machst dich nur wieder lustig über mich.“ Sie kräuselt die Nase und stupst mich mit ihrem breiten Becken an. „Gut dann frag ich anders.“ Sofort lässt sie mich los und baut sich vor mir auf. „Warum möchtest du den Yukata verschenken?“ Überrascht öffne ich meinen Mund, doch zögere eine Antwort heraus. Unwohl graben sich meine Finger in den Stoff des Yukatas, den das Hotel nach dem Bad bereit gelegt hat und den wir alle tragen. „Ist er für Haruno?“, fragt sie offen, worauf ich den Kopf schüttle. Unwohl trete ich von einem Fuß auf den anderen. „Nein, für...“, beginne ich unsicher. „Für Shiba.“ Sie legt den Kopf schief und sieht mich fragend an. „Warum für ihn?“ Schwer liegt die Zunge in meinem Mund. Ist es ein Vertrauensbruch wenn ich ihr von seinem Schicksal erzähle? Recht wäre es ihm sicher nicht. Aber dann würden wieder Dinge unausgesprochen zwischen mir und meiner Familie stehen. Hina kann nichts für sich behalten. Ich entscheide mich für eine unverfängliche Version der Wahrheit. „Er hat keinen.“ Sie seufzt schwer und greift nach meinen Schultern, die sie locker massiert. „Du behältst schon wieder die Hälfte für dich. Das sehe ich dir doch an der Nasenspitze an. Das ist okay, ich frag nicht weiter nach, aber es wäre schön gewesen wenn du wenigstens ein mal ehrlich zu mir währst was deine Liebesgeschichten angeht. Du weißt doch wie sehr mich dein Glück freuen würde.“ „Das ist keine Liebesgeschichte. Wir sind Freunde. Nur. Freunde.“, sage ich verbissen. „Ja, ja, ich weiß.“, winkt sie ab, als ob sie es nicht mehr hören könnte. „Nein wirklich. Ich liebe Shiba doch nicht. Natürlich mag ich ihn sehr, aber Haruno mag ich genauso gern. Kann man denn als Schwuler Mann nicht mit anderen Männern befreundet sein, ohne das gleich alle denken da läuft was?“, rede ich mich in rage. „Klar, Shiba ist ein toller Mann. Ich könnte mich glücklich schätzen wenn so ein lieber, aufrichtiger und humorvoller Kerl... Ich meine... na ja...“ Wieder spiele ich unsicher mit dem Stoff des Yukatas zwischen meinen Fingern. „Er ist nur so traurig... Ich wollte ihm lediglich eine Freude machen. Er hat nichts und gönnt sich noch weniger. Ich möchte ihn glücklich sehen. Ich will,... dass er glücklich ist. Das ich derjenige bin der ihn glücklich macht.“ Schüchtern hebe ich meinen Kopf und wage einen flüchtigen Blick in das Gesicht meiner Schwester, die mir wortlos lauscht. „Ich mag es wenn er mich anlächelt und alles in mir wie verrückt kribbelt. Es ist so schön mit Haruno und Shiba. Sie machen mich glücklich. Ich möchte dieses Glück mit ihnen teilen. Haruno ist schon glücklich wenn ich bei ihm bin. Er ist unkompliziert. Umso mehr Spaß macht es, wenn ich ihn mit meinem Verhalten überrasche. Er lächelt dann immer so niedlich und... irgendwie ist dann immer alles nicht mehr so schlimm...“ Meine Stimme bricht abrupt als sich ein verdammtes schluchzen anbahnt, dass ich mühevoll hinunter schlucke. „Du siehst also, wir sind nur Freunde, denn es ist unmöglich, dass man zwei Menschen gleichzeitig Lieben kann. Also bitte, hör auf zu sagen da läuft was.“ Schief lächelt sie mich an und stemmt die Hände in die Hüfte. „Kann bei dir denn gar nichts normal ablaufen?“ Hilflos hebe ich die Schultern. Ein Schritt braucht sie nur um mich zu erreichen und in den Arm zu nehmen. Sachte wiegt sie mich in ihren Armen und seufzt theatralisch. „Was sollen wir nur mit dir machen?“ Ein schwaches lächeln bildet sich auf meinen Lippen, dass weit von Freude entfernt ist. „Ich glaube, ich bin ein hoffnungsloser Fall.“ Sie küsst meine Stirn und wischt anschließend über die Stelle mit ihrem Daumen. „Geh dich erst mal beruhigen. Ich sammle die anderen ein und bring sie zu Papa. Der denkt sicher schon das Souvenir Bermuda hat uns verschluckt.“ „Nein schon gut. Ich geh schon zu Dad.“   »Haruno: Wann seit ihr morgen wieder da?« »Nach dem Mittagessen fahren wir los und sind frühen Abend zu Hause wenn es keinen Stau gibt.« »Haruno: Schade, dann ist es sicher unangebracht wenn ich noch so spät zu dir komme oder?« Ich zögere bevor ich eine Antwort tippe. Gerne würde ich ihn sehen. Die ganze Zeit schon wäre ich lieber bei ihnen als hier und das trotz Dads Anwesenheit. Jetzt erst recht nachdem der Traum platzte beide im Yukata auf das Sommerfest zu begleiten. Er hätte großartig an Shiba ausgesehen. Bis zum Fest wird er sich keinen kaufen, wenn er nicht mal ein paar Yen für ein T-Shirt ausgibt bei den Temperaturen. So gerne hätte ich ihm den Yukata gekauft. Gerade weil er sich nichts gönnt. Seit Monaten leben sie zusammen in der gemeinsamen Wohnung und alles was er hat sind diese blöden Hemden und Hosen. »Ich frag meine Eltern ob ich zu euch kann.« Antworte ich schließlich, denn ich will sie beide sehen. Vielleicht kann ich wieder bei ihnen übernachten. Dieser Gedanke zaubert endlich wieder ein lächeln auf meine Lippen. „Legst du jetzt bitte dein Handy weg?“, höre ich eine dunkle Stimme die ich als die meines Vaters einordne. Fragend schaue ich auf. „Was ist denn?“ „Wir möchten jetzt essen. Es wäre schön, wenn du daran teilnimmst.“ Augenrollend verstaue ich mein Handy in dem schmalen Obi des Yukatas. Als ich meine Aufmerksamkeit unserem Abendessen widme, dass mein Vater bestellt hat während wir noch im Souvenir-Shop waren, könnte ich glatt wieder mit den Augen rollen. Sushi. „Mit wem schreibst du denn da immerzu?“, fragt Mum neugierig. War meine Familie eigentlich schon immer so anstrengend? „Nur mit meinen Freunden, Mum.“ Mehr möchte ich dazu auch gar nicht sagen, aber sie lässt nicht locker. „Welcher von beiden?“ Genervt werfe ich den Kopf in den Nacken und stöhne. „Ich hab mehr als zwei Freunde, Mum.“ „Ja gut, Subaru oder die andern beiden.“, lenkt sie ein. „Also wer?“ Traurigerweise sind das wirklich schon alle, es sei denn ich zähle ab sofort Subarus Kleinen dazu, dann wären es schon vier. Mit Michael sogar fünf. Wow, ich glaube ich hatte nicht mal vor dem Mobbing so viele Freunde. Glücklicherweise kommt Hina zurück von den unerforschten tiefen der Damentoilette in denen sie scheinbar tauchen gegangen ist oder wegen der guten Akustik ein Musical einstudierte, denn mal eben kurz, wie sie sagte, hat scheinbar eine völlig andere Bedeutung. „Mum, da ist Hina. Frag sie lieber, wann sie gedenkt endlich zu Heiratet und Kinder kriegen will.“ Ja, meine Mum hat für jeden ein Lieblings Thema mit dem sie uns in den Ohren liegt, welches wir leid sind. Da Hina nun schon so lange mit ihrem Freund zusammen ist, ist es aktuell das Thema Heiraten. Wenn es nach Mum geht so schnell wie möglich, damit ihre Enkelkinder endlich auf den Weg gebracht werden können. Hina hat aber mehr Interesse an ihrer Kariere. Was ich nachvollziehen kann. Schließlich hat sie endlich eine Große Chance bekommen und fängt ab Montag an am Filmset die Stars einer neuen Daily Soap zu stylen. Miyu hingegen wird streng kontrolliert, dass sie sich auch ja von den dummen Jungs fern hält. Wenn Mum könnte, würde sie ihr einen dieser aufblasbaren Sumoringer Kostüme anziehen und sie so zur Schule schicken, damit ihr keiner zu nahe kommen kann. In Miyu werden noch große Erwartungen gelegt, nachdem Hina “nur“ Kostüm- und Maskenbildnerin geworden ist und schulisch bei mir auch keine großen Leistungen zu Stande kommen, hoffen meine Eltern, dass wenigstens sie einen Akademischen weg einschlägt wie Dad. „Ey! Reite mich nicht in die Scheiße, sonst bring ich das hier zurück.“, mault Hina und hält eine große Tüte von Souvenir-Shop hoch. „Hina Schatz, nicht solche Wörter.“, erwidert Mum nur. Ich spüre wie mein Herz gegen meine Brust hämmert, als sie sich neben mich setzt und mir die Tüte überreicht. Oh verdammt, bitte, lass sie mich nicht verarschen. Zögerlich berühre ich die große Papptüte. „Das ist kein Geschenk von mir an ihn, also krieg ich das Geld wieder.“ Hart schlucke ich und wage einen vorsichtigen Blick hinein, während die anderen um mich einen langen Hals machen. Da ist er, dieser wunderschöne olivfarbene Yukata, der göttlich an Shiba aussehen wird. Nur schwer kann ich meinen Blick davon lösen und schaue meine Schwester mit großen feuchten Augen an. „Hina... Ich... Aber...“, stammle ich wirr auf der suche nach den richtigen Worten. Die nächste Reaktion kommt von Mum. „Gott, Hina! Der hat doch ein vermögen gekostet. Wie kannst du dir das leisten?“ Sie schnieft mit der Nase und zuckt lässig mit den Schultern wie ein Profi. „Im Gegensatz zu euch habe ich Modisches Verständnis und weiß, dass dieses Muster von der vorletzten Generation der angesagten Yukata Modestücken ist. Ich hab also mit der Verkäuferin verhandelt und ihr gesagt, dass sie froh sein kann wenn sie für das alte Ding überhaupt noch einen Abnehmer findet, zumal es auch noch der letzte ist. Diese Lagerkosten fallen schließlich auch in die Inventur unter Vermögen an. Also eine unnötige Steuerbelastung.“ Verdammt, wann hat meine Schwester Wirtschaft studiert? Ungläubig hole ich den Kassenbon hervor und verpasse mir damit beinahe eine Maulsperre als ich den neuen Preis sehe. „Du hast die Frau über den Tisch gezogen! Das sind fünfundsiebzig Prozent Nachlass.“ Ich habe nicht heimlich Wirtschaft studiert, ich kann nur rechnen. Sie grinst breit und ich falle ihr um den Hals, weil mir noch immer die Worte fehlen, die meinen Dank zu Ausdruck bringen könnten.   Ende von Teil 16 Kapitel 17: Teil 17- Ein Kuss mit folgen? ----------------------------------------- Pretty Boy   Teil 17- Ein Kuss mit folgen?   Aufgeregt laufe ich in der Küche auf und ab. Der super anstrengende aber irgendwie auch schöne Familienausflug ist endlich vorbei. Wir sind zu Hause und es ist Montagmorgen. Mum hat nicht erlaubt das ich bei Haruno und Shiba übernachte, damit ich nicht übernächtigt im Unterricht sitze. Schuss nach hinten. Ich habe kaum geschlafen. Doch jetzt ist es endlich soweit und sie könnten jeden Augenblick hier aufschlagen. Ich kann es kaum erwarten meine Freunde wiederzusehen. Und ja, es fühlt sich immer mehr und mehr wie Selbstbetrug an das Wort zu benutzen nach dem Gespräch mit meiner großen Schwester. Ich bin tatsächlich freiwillig früh aufgestanden. Von Dad habe ich mich bereits verabschiedet, mit viel geknuddel und ein paar Männer Tränen, weil er nicht mehr da sein wird wenn ich wiederkomme. Hina ist, für menschliche Verhältnisse, mitten in der Nacht aufgestanden um zum Drehset zu radeln. Mum und Miyu sind in der Küche und müssen auch gleich los. „Setz dich endlich und iss Frühstück. Du machst mich ganz nervös mit deiner Unruhe“, meint Mum während sie meine Bento-Box zuschnürt. Klar, als ob ich jetzt essen könnte. Mir ist schon ganz übel von der Achterbahnfahrt meiner Innereien, die sich um den ersten Platz der Reihe zu prügeln scheinen. Dieser Effekt nimmt um ein Vielfaches zu als die Türklingel melodiöser klingelt als je zuvor. Ist das überhaupt möglich? Ich spurte den Himmels Glocken entgegen und öffne die Tür. Breit grinsend Blick das sexy Model zu mir herunter und meine Augen werden riesig, als ich seine Frisur sehe. „Du hast wieder Igel Spitzen“, platzt es aus meinem Mund. Verlegen kratzt er sich durch die kurz rasierten Haare am Hinterkopf. „Ja, ich habe es nicht so toll hinbekommen wie deine Schwester und bin beim altbewährten geblieben.“ Die Haare wirken locker auf seinem Haupt nur die Spitzen sind gezwirbelt und halten sich aus seinem schönen Gesicht raus. Behutsam ertaste ich die erhärteten Haarspitzen, was ein Lächeln auf meine Lippen zaubert. „Endlich bist du wieder mein Igelchen. Das sieht toll aus. Nicht mehr so albern wie die Katastrophe vor dem Haarschnitt.“ Aufgeregt wippe ich auf den Zehenspitzen. Es fühlt sich toll an wieder bei ihm zu sein. Als würden rosa Zuckerwatte Wolken mich über dem Boden schweben lassen. Mit diesem hinreißenden schüchternen Lächeln legt er seine Arme um meine Taille und zieht mich an sich. Willig stolpere ich gegen seine Brust, ohne den Blick von ihm zu lösen. Unsicher, doch irgendwie auch herausfordernd kaut er auf einer Seite seiner Unterlippe, was sein Grinsen schmutzig erscheinen lässt. Als würde er austesten wollen, wie weit er gehen darf, umschließen seine Arme mich enger und nicht unwichtige Teile an uns erfahren ein wenig Druck. Küss mich. Heirate mich. Lass uns Kinder machen üben. „Misaki?“ Die Stimme meiner kleinen Schwester hätte genauso gut ein Eimer Eiswasser sein können. „Wollen wir heute Abend mal wieder deinen Lieblingsfilm die Eiskönigin sehen?“ Strike one. Übereilt löse ich mich vom Stückchen Himmel und streiche verlegen meine Schuluniform glatt. „Habe ich gerade Eiskönigin gehört? Ich liebe diesen Film.“ Zum Beweis legt er eine kurze musikalische, jedoch schiefe, Gesangseinlage ein von let it go. Über die englische Aussprache verliere ich lieber kein Wort. „Wollen wir den alle zusammen sehen, wenn ich Zeit habe?“ Mit glänzenden Augen, die viel zu groß für ihr hübsches kleines Gesicht sind, schaut sie bewundern zu Haruno auf, wie seinerzeit Elvis auf seine Fans wirkte. Liebe macht scheinbar vorrangig taub. „Jederzeit.“ Eiskönigin war ihr erster Einfall der peinlichen Geheimnisse über mich, falls ich nicht die Finger von Haruno lasse. Was war das nächste? Ach ja, das morgendliche Bettwäschewechseln nach meinen feuchten Träumen. Dass sie sich daran überhaupt erinnern kann. Sie war noch so klein. Das nächste war… Kalter Schweiß bricht mir aus. Akira. Mein Herz zieht sich schmerzlich zusammen, als würde sie mit ihrer kleinen Hand fest zu packen um es jederzeit herauszureißen. Einen großen Schritt entferne ich mich von Haruno und halte den Atem an. Atmen? Wer braucht das schon. Lieber wäre ich tot, als Haruno von ihm erzählen zu müssen. „Setzt du dich beim Frühstück neben mich Haruno?“ Die zarte Stimme meiner Schwester drängt an mich heran, auch wenn das Pochen meines Pulses lauter in meinen Ohren klingt. „Heute nicht. Takeo wartet draußen auf uns. Ich möchte ihn nicht so lange warten lassen.“ Überrascht horche ich auf. „Warum wartet er denn draußen? Wir haben doch noch Zeit.“ Unwohl streicht Haruno eine Hand über seinen Mund, als ob er die Worte bereue. Seine Augen wandern durch den Raum als er weiter spricht. „Dein Vater ist noch da oder?“ „Ja.“ Der Zusammenhang ist mir unschlüssig. Harunos Blick trifft meinen. „Deswegen.“   Ich schnappe meine Sachen und verabschiede mich. Haruno auch, aber er bleibt länger als gewollt bei meinem Vater hängen. Sie verstehen sich hervorragend. Jeder liebt meinen Dad. Warum Shiba nicht? War Dad gemein zu ihm? Wann? Das kann ich mir überhaupt nicht erklären, geschweige vorstellen. „Du magst also die Eiskönigin? Sicher das du nur Bi bist?“, necke ich ihn. Er lacht auf. „Hey, Musicals zu mögen macht einen nicht automatisch Schwul. Ich mag das Getanze und Gesinge einfach. “ „Schwul. Eindeutig. Nicht mal ich mag Musicals.“ Selbstbewusst zwinkert er mir zu. „Jeder ist eben anders.“ An der nächsten Straßenecke steht das große Pantherchen ungewohnt lässig gegen eine Straßenlaterne gelehnt und hat eine Hand in der Hosentasche versenkt. Den Drang ihn an zu schreien, was er gegen meinen Vater hat, schlucke ich hart herunter. Wir sind noch nicht ganz bei ihm, als er uns bemerkt. Er zieht seine Hand aus der Hose, streicht damit seinen Zottel Pony zurück und schenkt mir ein Lächeln, dass mich umhaut. Kurz schwanke ich zurück und stoße gegen Haruno hinter mir, der mich darauf weiter vorwärts schiebt. Okay, alles vergeben und vergessen, schau mich nur weiterhin so an. Haruno hört erst auf mich zu schieben als er mich wie auf dem Präsentierteller vor Shiba stellt. „So, da hast du ihn. Jetzt hör auf so ein Arsch zu sein.“ „Ich war kein Arsch“, grummelt er an Haruno gerichtet, wendet den Blick jedoch nicht einmal von mir ab. Ich wünschte, seine Haare wären immer aus seinem Gesicht raus, diese Augen gehören an die Öffentlichkeit, wenigstens für mich. Um Besinnung ringend schüttle ich den Kopf. Mit klarem Verstand kann ich dieser Unterhaltung vielleicht folgen. „Warum war er ein Arsch?“ „Außer seiner Stammkundin hat es gestern kein Mädchen bei ihm ausgehalten. Er war mürrischer als sonst. Unerträglich, sag ich dir. Unerträglich! Tigerte die ganze Zeit unruhig durch die Wohnung und hat mich wach gehalten. Also…“ Haruno klopft mir auf die Schulter und in seiner Stimme schwingt ein Lachen mit das er unterdrückt. „Hier. Dein Problem.“ Harunos Worte bringen mich zum schmunzeln. „Awww. Klingt für mich als hätte er mich vermisst.“ Ich versuche ihn zwar aufzuziehen, aber mein Herz klopft hoffnungsvoll als ich meine Arme ausbreiten und ihm eine Umarmung anbiete. Ein flüchtiger Blick schnellt zu Haruno, bevor er einen Schritt zurückweicht. „So schlimm war ich nicht. Er übertreibt.“ Unauffällig nickt Haruno mir zu und formt wortlos mit den Lippen ein oh doch. Mr. Beobachtungsgabe entgeht selbstredend auch das nicht und verpasst ihm einen Klaps auf den Oberarm. Dabei fällt mir was ein. „Habe ja was für euch.“ Ich stelle das Futterpaket auf den Boden, dass mittlerweile größer als mein Kopf ist und krame aus meiner Tasche die gekauften Mitbringsel von meinem Ausflug heraus. Kurz halte ich inne und atme schwer aus. Bring es hinter dich. Im besten Fall lachen sie darüber, sie werden es dir schon nicht an den Kopf werfen. Nachdem ich auch meine Tasche absetze, überreiche ich ihnen zeitgleich die Anhänger und kneife die Augen zu, weil ich weder die eine noch die andere Reaktionen sehen will. „Oh mein Gott. Ein Igel“, quietscht es aus Harunos Richtung. Lachend nimmt er ihn sofort entgegen. Ich sehe wie er ihn in den Händen dreht und wendet und auch den Moment als er merkt wofür das kitschige Ding ist. Ohne Umschweife befestigt er es an seinem Handy und grinst triumphierend. Und Shiba ist eben wie er ist. Sein Blick schweift von seinem Freund zu dem Katzenanhänger und dann auf mich. Abwartend. Abschätzend. Mit Augen die einem unter die Haut gehen. „Tut mir leid, es gab keinen Panther“, rechtfertige ich mich nervös. In einer gemächlichen fast anmutigen Bewegung nimmt er das Kätzchen an sich und betrachtet es genauer. Der große Igel schlingt seine Arme um meinen Hals und drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Danke, dass du an uns gedacht hast. Du bist der Beste.“ Leider trennt er sich viel zu schnell von mir, nimmt meine Sachen und meine Hand und zieht mich mit an geschwellter Brust unseren Schulweg weiter. Und während er mich so hinter sich herzieht und vom Wochenende erzählt, spüre ich warme Haut die auf meine andere Hand trifft. Ein Blick hinunter zeigt mir Shibas Zeigefinger eingehakt in meinem kleinen Finger. Eine so kleine Geste, die so viele Bedeutungen haben könnte. Aber ich zögere nicht eine Sekunde und verschwendet Zeit darüber nachzudenken und greife seine Hand.     Was für ein ätzender Schultag. Das wir die letzte Woche nicht zum Lernen kamen wurde mir zum Verhängnis. Der Überraschungstest kam mehr als überraschend. Wenn ich auch nur einen Punkt bekommen sollte wäre das ein Wunder. Mit dröhnenden Kopfschmerzen liegt genau dieser kraftlos auf meinem Pult. Der Tag ist geschafft. Jetzt nach Hause. Den Schweiß runter waschen und ins Bett. Die Welt kann mich für heute mal. Klopf. Klopf. Eine zarte Hand stemmt sich auf meine Tischplatte. „Watanabe?“ Ich folge dem Arm hinauf in ein weiches nett anzusehendes Gesicht. „Meine Freundinnen und ich haben uns gefragt, ob du vielleicht Lust hättest auf eine Kuppel Party.“ Ihr Blick schnellt zu Haruno. „Du weißt schon, weil du neu bist und wir dich gerne kennenlernen würden.“ Ja, klar. Hättest du nicht zu diesem wundervollen Geschöpf neben mir gesehen, hätte ich dir vielleicht auch geglaubt. Verdammt, das ist doch ein Test, der noch viel härter zu bestehen ist. Sieh nicht rüber. Das wird sie falsch interpretieren. Bleib cool. „Das ist tatsächlich meine erste Einladung, wie nett. Wann trefft ihr euch denn?“ Ihre Augen werden groß. Das überrascht sie, sehr gut. Wenn einer merkt, dass Haruno und ich ganz dicke sind bricht hier doch die Hölle aus. „Ähm… Morgen nach der Schule.“ Hoffentlich sehe ich nicht so erleichtert aus wie ich mich fühle. „Oh nein, wie schade. Dienstags muss ich immer auf meine kleine Schwester aufpassen. Meine Mutter hat da ihre Buchclub treffen.“ Sie nickt verständnisvoll und schwingt sofort um in Richtung ersehntes Glück. „Haruno, hast du vielleicht Zeit und Lust? Du hast doch keine Freundin oder?“ Wie ein zuckersüßes kleines Schulmädchen sieht sie ihn unter dichten Wimpern hinweg an. Langsam und hoffentlich unauffällig genug, sehe ich zu Haruno auf, der schon in Aufbruchstimmung neben seinem Tisch steht und auf uns wartet. Ein fieser Stich trifft mich, als er mich verständnislos anstarrt. Mit dicht zusammengezogenen Augenbrauen und einem Mund der zum Protest einen Spalt offen steht, sich aber zurückhält. „Haruno?“ Schnell blinzelnd wendet er sich ihr zu und setzt das falsche Lächeln für die Ladies auf. „Nein, ich muss in meinem Zweitjob arbeiten. Für so etwas habe ich keine Zeit. Aber ihr wisst ja, wenn ihr mich sehen wollt kommt Freitags oder Samstags im Club vorbei.“ Wow, ganz der Geschäftsmann. Wieder nickt sie, diesmal durchaus enttäuscht. In Höchstgeschwindigkeit packe ich meine Sachen zusammen und flüchte aus dem Klassenraum. Keine Sekunde länger ertrage ich das. Ist es zuviel verlangt von der Menschheit ignoriert zu werden? Eine Hand packt mein Arm und reißt mich herum. Ich habe es nur ein paar Klassenräume weiter geschafft, doch ich fühle mich als wäre ich einen Marathon gelaufen. Mein Herz wummert wie eine alte Dampflok. Die grelle Sirene in meinem Kopf gibt noch keine Ruhe. Weg. Schnell. Doch Harunos Griff an meinem Arm hindert mich. „Hey, was war das denn? Warum willst du auf eine Date Party?“ Verständnislos sieht er auf mich herab. Zu nah. Kann nicht atmen. „Habe ich irgendwas nicht mitbekommen?“ Alles schwankt um mich wie auf einem Schiff. Hin und her. Mir wird schlecht. Rot. Blinkt. Muss weg. Ich werfe einen Blick zurück und sehe das Mädchen. Sie hält ihr Handy hoch. Auf uns. Sie will Fotos machen. Rot. „Geh weg.“ Rot. „Was?“ Knallrot. „Bitte… geh weg…“ Sein Griff löst sich augenblicklich und das nächste was ich mitbekomme ist wie alle um mich herum nach Luft schnappen. Ein paar quieken. Der Ursprung der diese Reaktion auslöst steht direkt neben mir. Über Haruno Schulter hinweg hat Shiba seinen Kopf zu sich gedreht und küsst ihn. Auf den Mund. Vor allen. Ich kann meinen Blick nicht lösen von diesem Bild. Das Geräusch einer Handykamera erklingt. Noch eins. Mehr. Shiba löst den Kuss und leckt sich mit der Zunge über die Lippen. Oh mein Gott. Wie kann ich in einem Moment vor dem Abgrund stehen und im nächsten Moment voller Elektrizität stecken? Das ist das heißeste was ich je gesehen habe. Fest Presse ich meine Tasche vor dem kurzen Rock oder sollte ich Zelt sagen.     „Okay, was war da gerade los?“ Mit verschränkten Armen steht Haruno vor uns. Um ungestört zu sein haben wir uns auf das Dach verzogen. Ich kann immer noch nicht fassen was da gerade passiert ist. Die nächsten Anwärter auf den Sexiest Man Alive Award küssten sich. Mir wird ganz schwindelig wenn ich daran zurückdenke. Aber was wird das für Folgen haben? Warum hat Shiba das getan? Schuldbewusst schaue ich neben mich. Mit gesenktem Blick kniet er wie ich vor Haruno. Seine Augen springen hin und her. Wahrscheinlich stellt er sich genau dieselbe Frage. „Hey Leute. Redet mit mir. Ihr schuldet mir beide eine Antwort“, verlangt Haruno mit Strenge in der Stimme. Am Rande meines Blickfeldes sehe ich das große Pantherchen mit den Schultern zucken. „Nein, nein, nein, Freundchen. So leicht kommst du mir nicht davon. Für mich wird sich sicher nicht viel ändern, aber dir werden die Mädchen jetzt auf die Nerven gehen. Also?“ Bei diesen Voraussichten erbleicht Shiba deutlich. „Für mich…“, höre ich mich sagen, ohne darüber nachgedacht zu haben. Es war mehr ein Impuls. „Du hast das für mich getan.“ Langsam hebt er den Blick. Mit schmalen Lippen nickt er lediglich. Geschlagen lege ich das Gesicht in meine Hände. Für mich. Jetzt zerstöre ich nicht nur mein eigenes Leben, sondern auch das der Menschen um mich herum. „Verdammt“, fluche ich leise. „Warum?“, fordert Haruno zu wissen. „Du hast dich wie ein Trampel verhalten.“ „Was? Warum bin ich jetzt der Schuldige?“ „Die Einladung war ein Vorwand, um herauszufinden in welcher Verbindung ihr zueinander steht. Die Mädchen interessieren sich nicht für Misaki.“ Er hat alles mitbekommen. Er wusste, dass es ein Test war. Er wusste, dass sie uns ausfragte. Er wusste auch was ihre wahren Absichten waren. Und genauso in welch Panik mich das versetzte, weil ich ihm diesen winzigen Teil meiner Vergangenheit anvertraute. Diesen Teil der mir noch immer die Luft zum Atmen raubt. Nachdenklich tippt Haruno mit dem Zeigefinger auf seine Lippen. Diese schönen vollen die eben noch von Shibas bedeckt waren. Konzentration! Er lässt sich Zeit. Fügt für sich alles zusammen. „Dann war der Kuss ein Ablenkungsmanöver?“ Shiba nickt. „Hast du dir auch überlegt wie es jetzt weiter laufen soll?“ Ich sehe wie der imposante Panther in Sekundentakt schrumpft und ein kleines verängstigtes Kätzchen zurücklässt. Meine Schuld. Die nächsten Worte fallen mir unglaublich schwer. „Sei nicht so streng zu ihm. Er hat mich beschützt. Die Mädchen haben mich auf ihrem Radar, weil du mich als “Einzigste“ an dich heranlässt. Das ging schon an meinem zweiten Tag hier los.“ „Was? Haben sie dir etwas getan?“, erwidert er überrascht. Kurz presse ich die Lippen aufeinander. Rede darüber. „Noch nicht aber… ich bin fest davon überzeugt, dass es so gekommen wäre. D-das ist ein schleichender Prozess. Ich h-h-hab das… schon mal durch gemacht… Ich… Ich will das nicht noch mal d-durch machen…“ Ein großer schlanker Körper wirft sich auf mich und nimmt mich fest in den Arm. „Niemals.“ Die Bestimmtheit mit der Haruno dieses eine Wort sagt lässt mich nach Luft schnappen. „Das wird nicht passieren. Dir wird nichts passieren. Bei uns bist du sicher Misaki. Wir passen aufeinander auf.“ Er löst sich ein Stück von mir und winkt breit lächelnd den verängstigten Kater zu uns. Der jedoch rührt sich nicht. Schuldbewusst starrt er auf den Boden. „Hey du riesen Tollpatsch, jetzt komm schon her.“ Er horcht auf und sieht für einen langen Moment nur auf die Hand die Haruno im Recht. „Was ist los Kumpel?“ Shiba ballt die Hände, die eben noch reglos in seinem Schoß lagen, zu Fäusten. „Tut mir leid, dass ich dir schon wieder Ärger einbringe.“ Mein Herz setzt einen Schlag aus, als ich die feuchten Augen hinter diesen zotteligen Haaren entdecke. Vom Igelchen vernehme ich jedoch ein amüsiertes Lachen. „Wenn du so süß bist kann man dir nicht böse sein. Also komm jetzt her oder ich hol dich.“ Das zieht. Dieses Mal kommt wirklich der Berg zum Propheten. Schwerfällig rückt er in unsere Nähe, bis er nah genug ist das Haruno einen Arm um seinen Nacken schlingt und ihre Stirn aufeinander. „Wir werden sehen was auf uns zukommt. Mach dir keinen Kopf. Ich regele das.“ Ein leises schniefen ist vom Katerchen zu hören, auch wenn es ihm sicher lieber gewesen wäre, dass es unhörbar ist. „Wie immer.“ Harunos Lächeln strahlt eine warmherzige Zuneigung aus, die er mit uns teilt. Wie die ersten Sonnenstrahlen nach einem sechsmonatigen Winter in der Antarktis. Heiß ersehnt und wärmend. Eine Wärme die man nach der langen Zeit fast vergessen hatte. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen als ich auf unsere Hände hinunter sehe. Jeder hält die Hand des anderen. Wir passen aufeinander auf. Ja, das klingt gut. „So. Schluss mit der Gefühlsduselei. Wir sind Männer, holt das Testosteron raus.“ Als wäre nie etwas gewesen springt das Igelchen auf und streckt sich dem Himmel entgegen. „Lass uns zu dir und lernen. Ich habe noch ein paar Verständnisfragen von dem Englisch Zeug was wir eben machen mussten.“ Ich tue es ihm gleich und strecke mich ebenfalls. Eine Geste die alles abzuschütteln scheint. „Gern, aber erst essen. Mum macht heute Katsudon. Mir läuft schon das Wasser im Munde zusammen.“ „Nicht. So. Schnell.“ Willkommen zurück Panther. Zur vollen Größe aufgebaut schaut er zu mir herunter. „Hast du nicht was vergessen?“ Ich schlucke schwer. Erwartet er jetzt ernsthaft das ich nachdenke? „Ähh…“, ist alles was ich rausbekomme. „Kendo. Jetzt.“ „Was? Nein! Ich geh da nicht hin“ „Du willst nicht gehen? Okay.“ Laut kreische ich als er mich packt und wie einen alten Teppich über seine Schulter wirft. „Lass mich runter verdammt!“ Mit lauten Protesten winde ich mich in seinem Griff der immer fester wird. „Ich habe mein Wort gegeben, dass ich dich heute hinbringe und meine Versprechen breche ich nicht. Zappel lieber nicht soviel, dein Rock rutscht hoch.“ „Haruno hilf mir!“, fordere ich quiekend. „Ok, ok. Einen Moment.“ Doch die Hilfe fällt anders aus als erwartet. Er rückt meinen Rock zurecht und lacht nur. „So. Fertig. Los geht’s.“ Mich geschultert geht es los. Ich spüre jede Stufe. „Ihr wollt mich doch verarschen!“   Ende von Teil 17 Kapitel 18: Teil 18- Der Kaiser ist zurück ------------------------------------------ Pretty Boy   Teil 18- Der Kaiser ist zurück   Mit meinem Po voran werde ich in die Trainingshalle getragen. Ich habe meinen Widerstand längst aufgegeben. Alles fluchen und strampeln hat nichts daran geändert das Shiba mich wie seine Kriegsbeute über die Schulter buckelt. Unser Gang führte nicht die Hauptwege lang, dennoch haben wir eine Menge Aufmerksamkeit erregt. Unauffällig ist scheinbar unmöglich mit den Jungs. „Ihr seit zu spät.“ Ich kann sie nicht sehen, aber am Akzent höre ich sofort raus wer uns empfängt. „Hab gesagt ich bring sie her.“ Erst jetzt setzt Shiba mich auf meine Füße. „Das ist hiermit erledigt.“ Sein Glück das er mich nicht ansieht, mein böser Blick würde ihn vernichten. „Watanabe, deine Trainingssachn sind in der Umkleide. Ich versorg die andern noch mit Aufgabn dann helf ich dir.“ „Nein!“, platzt es aus mir raus, wofür ich irritierte Blicke ernte. Der Zaubertrick des Jahrhunderts findet nicht in dieser Umkleide statt. Lass dir was einfallen. Schnell greife ich Shiba am Kragen und ziehe ihn zu mir. „Shiba weiß auch wie das geht. Er macht das. Kümmere dich in Ruhe um die andern.“ Meine Worte überschlagen sich beinahe, so schnell wie ich spreche. Sie hebt eine ihrer perfekt gezupften Augenbrauen. Ich weiß was du denkst, behalt´s für dich. Hinter mir beugt sich der große Zottelkopf dicht heran und flüstert in mein Ohr. „Dir ist schon klar, dass du dich dann vor mir ausziehen musst?“ Meine Härchen kämpfen um Stehplatz, als sein heißer Atem mich streift. Zögerlich drehe ich meinen Kopf zu ihm. Fehler. Viel zu nah. Die Gänsehaut breitet sich schlagartig weiter aus. Es braucht einen Moment zu lange bis ich meinen Blick von dieses blassen Lippen lösen kann, denn das Bild wie er Haruno küsste flackert mir augenblicklich wieder vor Augen. Ich krächze meine Antwort mehr schlecht als recht heraus. „Wäre nicht das erste mal oder?“   Kritisch inspiziere ich die Trainingssachen in der Umkleide und halte sie mit den Fingerspitzen hoch, als würde ich mir etwas einfangen, wenn ich sie zu nahe an mich ran lasse. Begeisterung für den Sport wird es schon mal nicht werden. „Okay, wie schwer kann das schon sein Hemd und Hose anzuziehen? Ich hatte befürchtet hier liegt die komplette Ritterrüstung, wie das was die anderen gerade anhatten.“ Das Pantherchen schnaubt amüsiert. „Das sind Keiko-Gi und Hakama und diese Ritterrüstung ist die Bógu. Die ist notwendig im Zweikampf, auch wenn das Schwert aus Holz ist kann es mehr als Prellungen verursachen, wenn man seine Kraft nicht kontrolliert einsetzt.“ Er tigert durch den Raum während er spricht und schaut alles genau an. Ein paar Ausrüstungsteile sind hier gelagert, die er in die Hand nimmt und drüber streicht. Still beobachte ich ihn einen Moment. Er wirkt nicht gerade sehr sentimental, aber irgendwas arbeitet da in ihm hinter seinem zotteligen Pony. „Vermisst du es?“ Als hätte ich ihn bei etwas verbotenen erwischt legt er es augenblicklich räuspernd zurück. „Kendo?“ Unschlüssig zuckt er mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Ich hab nie darüber nachgedacht ob ich es tue. Liegt wahrscheinlich daran wie ich damit aufhörte.“ Sein Blick bleibt am Brustpanzer hängen, den er gerade zurück legte. „Der streit mit Mishiro?“ Er nickt. Würde er mir Antworten, wenn ich frage, worum es in dem Streit ging? Unwahrscheinlich. Geduld ist nicht unbedingt meine stärke, aber durch ihn werde ich vielleicht noch zum Meister. „Okay. Umdrehen und nicht gucken.“ Er nimmt es sich mich frech an zu grinsen. „Wie soll ich dir dann helfen?“ „Keine Ahnung. Lass dir was einfallen.“ Augenrollend holt er sein Handy hervor. „Suchst du jetzt ernsthaft eine Anleitung für mich raus?“ Sein schweigen hält nur kurz an, denn es wird von einer Melodie abgelöst die aus seinem Handy erklingt. Ich kenne es und nehme unweigerlich einen tieferen rot Ton an als je zuvor. Das Striplied schlecht hin von Joe Cocker. „Das ist nicht hilfreich!“, quieke ich ihm nervös über die Musik von you can leave your hat on zu. Mein Herz überspringt einen Schlag, als die schönste Melodie der Welt erklingt, sein kraftvolles Lachen. Oh scheiße. Mein Herz. Sterbe ich? Darf das überhaupt so schnell schlagen? Nachdem Shiba sich eingekriegt hat, wagt er einen Blick über seine breite Schulter hinweg. Das amüsierte lächeln liegt noch auf seinem Gesicht und ich muss zugeben, dass ihm das unglaublich gut steht. Es lässt ihn jünger wirken. Verdammt, er ist ja auch jünger als ich. Krieg dich ein. Steh nicht so da wie die Jungfrau vom Lande. Mit zittrigen Händen greife ich den Saum der Matrosenuniform und ziehe sie in einem Ruck über meinen Kopf. Achtlos werfe ich das Hemd auf die Bank und greife nach dem Verschluss des Rockes. Im freien Fall landet der Stoff auf dem Boden. Tadaaa, der Zaubertrick ist geglückt. Aus dem Mädchen wurde ein Junge. Ein Junge mit stark überdehnten Stoff der Boxershorts, die sonst eng anliegt, aber nun dabei ist ein eigenes Zirkuszelt zu erbauen. Auch wenn mir diese Art von Baukunst unglaublich peinlich ist, habe ich tatsächlich nicht das Bedürfnis augenblicklich die Flucht zu ergreifen. Zum einen, weil es schlimmer wäre wenn mich draußen jeder so sehen würde und zum anderen, weil die Art wie Shibas wunderschöne Augen über meinen Körper tanzen mir viel zu gut gefällt. Viel. Zu. Gut. Mit der Gesichtsfarbe einer überreifen Tomate und der Stimme eines leisen Zirpens wende ich mich an ihn. „Mir wird kalt.“ Gelogen. Mir ist kochend heiß. Shiba reagiert nicht sofort. Sein Blick haftet noch immer an mir, bis ein Ruck durch ihn geht und er sich blinzelnd abwendet, als hätte er geträumt oder gar etwas vorgestellt. Diese Denkweise jagt elektrisierend durch meine Hoden. Es wäre bitter nötig jetzt aufs Klo zu verschwinden, nur würde Shiba mir nie abkaufen das ich nur pinkeln muss, da der gegenteilige Beweis ihn quasi entgegen springt. Schweigend greift er den dunkelblauen Stoff und hält das offene Hemd so das ich nur rein schlüpfen muss. Unweigerlich zucke ich zusammen als seine Fingerknöchel meine nackte Haut am Bauch streift und mich nur noch weiter aufreibt, während er sich dran macht Bänder an den Seiten zu verschnüren. Er zupft, bindet kleine Schleifen, glättet den Stoff mit seinen Händen und beginnt endlich zu reden, auf was ich beim anziehen alles achten muss. Das einzige worauf ich mich jedoch zwanghaft konzentriere ist nicht augenblicklich meine überstrapazierte Boxershorts einzusauen, während Zirkusmusik in meinem Kopf dudelt. Hätte nie geglaubt wie erregend es sein kann von einem Mann angezogen zu werden. „Fertig.“ Seine Stimme klingt leise und rau, aber für mich wie geschmolzene Butter auf meinen gereizten Nerven. Erneut spricht er mich an als ich nicht reagiere. „Misaki?“ Zittrig entweicht mein Atem. „J-Ja... Nein... Ich... Ich kann gerade nicht.“ Ich klammere mich an den letzten funken Selbstbeherrschung den ich besitze und an die Garderobe in meinem Rücken. Ich werde ganz sicher nicht vor meinem Freund den Zauberstab schwingen. Auch wenn ich mir gerade jetzt wünschte er wäre mehr als das. Mehr als nur ein Freund. Wie oft hat mein Körper schon so unpassend auf ihn reagiert? Wie oft habe ich mich schon angefasst und ihn vor meinem inneren Auge gehabt? So wie er mich ansieht scheine ich ihm auch zu gefallen. Oder bilde ich mir das ein? Wäre Haruno hier um mich umzuziehen, wäre er sicher vor mir auf die Knie und hätte- Gefährlicher Gedanke. Ablenkung. Schnell. „Wie kam es das du... na ja... zum Kendo kamst?“ Vernünftige Sätze bilde ich dann wieder, wenn mehr Blut vorhanden ist. Die Anspannung in seinen Gesichtszügen lässt nach. Beim überlegen gleiten seine Augen zur Seite und für den Moment eines Wimpernschlages deutet sich ein lächeln auf seinen Lippen an. Eine Falte zwischen seinen Brauen übernimmt stattdessen. „Meine Familie war gerade erst nach Tokio gezogen. Das war ein ziemlicher Kulturschock vom Land in die Großstadt. Neue Gegend, neue Schule, neue Menschen und auch noch so viele. Ich hatte meine Probleme mich zurecht zu finden.“ Er schnauft, was sich wie ein abfälliges lachen anhört. „Das ist vielleicht sogar untertrieben. Gleich an meinem ersten Tag geriet ich an ein paar Spinner, die den großen Boss markierten, weil es ihnen nicht schmeckte, dass sich ein paar der Mädchen für mich interessierten, auf die sie scheinbar ein Auge geworfen hatten. Nach ihren ersten Schlag tauchte Yosuke wie aus dem nichts auf und verhinderte den nächsten.“ Nervös gleitet seine Hand durch das zottelige Haar und schenkt mir einen flüchtigen Blick auf sein Gesicht. Wer würde dieses Gesicht nicht mögen? Shiba hat nicht diese makellose Schönheit wie Haruno, der die besten Aussichten darauf hätte, das bestbezahlteste Model Japans zu werden. Ach was denk ich da? Der ganzen Welt natürlich. Shiba ist rau, männlich, wild. Das mag zum Großteil an seinen scharfgeschnittenen Augen liegen, aber mit diesem kantigen Kieferknochen, dem unglaublich gut ein Bartschatten stehen würde, seinen hohen Wangenknochen und diesem kleinen unscheinbaren huckel auf der Nase, als ob sie schon mal angeknackst gewesen wäre, lassen ihn zu diesem Bild von einen Mann werden, dass ich gerne wäre. „Ähm... Yosuke ist Mishiros Bruder. Er war in der Abschlussklasse als ich an die Mittelschule kam. Nach Schulschluss fing er mich am Ausgang ab und schleifte mich in ihren Kendo Club. Ich blieb. Erst nur als Zeitvertreib, damit ich nicht nach Hause musste, aber irgendwann war ich mit dem Herzen bei.“ Unerwartet presst er seine Lippen fest aufeinander, als hätte er erkannt zu viel erzählt zu haben. Noch immer fällt es ihm schwer mir etwas über sich zu erzählen. Ich zwinge mich zu einem lächeln, weil ich nicht sicher bin was ich davon halten soll. „Diese Mishiros sind sich ziemlich ähnlich, was?“ Kumpelhaft stupse ich meine Faust gegen seinen Oberarm und komme mir selten dämlich vor. Grinsend verdreht er die Augen. „Du ahnst ja nicht wie sehr. Diese Familie lebt für Kendo. Seit Generationen führen sie einen eigenen Dojo und ihr Verein staubt bald jeden Preis bei Turnieren ab. Ihr ältester Bruder übernimmt bald die Leitung-“ Abrupt stockt er in diesem seltenen Redefluss. „Oder... hat es vielleicht schon... Ich weiß nicht.“ Das offene Fenster schließt sich so schnell wie es sich öffnete und augenblicklich versinkt er wieder in seinen Gedanken. Die Falte zwischen seiner Stirn wurde tiefer, da ist wieder etwas. Scheinbar hatte er tatsächlich keinerlei Kontakt mehr zu ihnen, obwohl er sie wirklich zu mögen scheint. Worum ging es nur in dem Streit? „Wow. Zwei große Brüder. Ich würde gerne tauschen“, lenke ich ab und lache schwach. „Vier.“ „Was?“, frage ich irritiert. „Sie hat vier ältere Brüder.“ „Du verarscht mich!“, platzt es lauter als gewollt aus mir. „Haben ihre Eltern solange weiter gemacht bis endlich ein Mädchen bei raus kam?“ Er atmet tief durch. „Wahrscheinlich hätten sie sogar noch weiter gemacht, aber als Mishiro... also sie-“, mit einem Nicken deutet er in Richtung Trainingshalle. „Als sie noch klein war, verstarb ihre Mutter bei einem Unfall. Ich hab sie also nicht mehr kennen gelernt, aber sie soll großartig gewesen sein. Nimm bitte Rücksicht was das Thema angeht.“ Ich nicke schwach. „Klar... danke für die Vorwarnung.“     Hektisch zupfe ich an Shibas Hemdsaum und presse mich seitlich an ihn. „Lass mich nicht allein mit diesen Verrückten!“ Selbst das Pantherchen kriegt den Mund nicht zu. Als wir den Dojo, so heißt es richtig laut Shiba, betreten, erstreckt sich vor uns eine Szene die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Haruno, die Mitte des Geschehens, erhebt sich über allen anderen die um ihn herum stehen und er röchelt, während er eines der Holzschwerter auf den großen der Truppe richtet, der mit erhobenen Händen am Boden liegt. Er hält einen langen Monolog und als er plötzlich sagt Ich bin dein Vater wird mir klar was das soll. Der große spielt mit und erwidert wiederum den Dialog des Jedis, was überwiegend aus vielen neins besteht, während alle lachen, außer Mishiro die abseits mit verschränkten Armen steht. „Kennt er etwa die ganze Stelle auswendig?“ „Ähm... ja, okay. Sagen wir die Stelle“, antwortet Shiba mit erhöhter Tonlage. Das Igelchen bemerkt uns als erster und winkt uns begeistert zu. Er trägt ebenfalls diese dunkelblaue Kluft. Mishiro tritt an meine Seite. Ihr Pokerface ist gut, dennoch erkenne ich das sie genervt ist, aber nicht von Shiba und mir. „Wir fangen mit einer gemeinsamen Begrüßung an, so beginnen wir immer das Training. Schau was die anderen machen und mach es ihnen nach. Als eure Trainerin stehe ich vor euch.“ Zögerlich wendet sie ihre Schultern ein wenig zu Shiba. Ihre Augen heben sich, jedoch nicht weit genug um ihn ins Gesicht zu sehen, bevor sie ihren Blick wieder senkt. Sie wirkt so unsicher trotz ihrer stolzen Haltung. Was auch immer sie ihm sagen möchte, sie behält es für sich. Haruno hatte recht, als er behauptete, ihr aufeinander treffen wird interessant. Ich platze vor Neugier was da los war. Laut klatscht Mishiro in die Hände und ruft in die Gruppe. „Okay, aufstellen. Lasst uns anfangen.“ Die kleine Arme aus Holzschwert Kriegern reiht sich brav auf. Sachte stupse ich Shiba mit der Schulter an. „Du solltest mit machen. Herausfinden ob du es vermisst hast.“ Er öffnet seinen Mund, doch wie der Roadrunner hinterlasse ich nur eine Staubwolke an der Stelle an der ich eben noch stand und reihe mich mit auf bevor er mir auch nur ein Wort entgegnen kann. Mishiro stellt uns den anderen noch mal offiziell vor, dann beginnt die Begrüßung und nein, ein einfaches “Hi“ ist nicht ausreichend. Sie knien sich hin, legen das Schwert längs neben ihre Beine, verbeugen sich tief und stehen wieder auf. Zugegeben, es sieht respekteinflößend aus wie synchron die kleinen Krieger sich bewegen mit einer Körperspannung die mir Muskelkater verursachen würde. Heißt aber noch lange nicht, dass ich so beeindruckt bin das ich Teil davon sein möchte. Nur Heute und dann sehen die mich nie wieder. Wirklich nur Heute. Die anderen drei Mitglieder des Clubs lösen sich in ihre Gruppe auf und beginnen mit ihrem festen Training. Mishiro widmet sich ganz uns. Haruno grinst wie eh und je, trotz der offensichtlichen Abneigung die ihm Mishiro entgegen bringt. Wir bekommen einen langen, wirklich langen, Vortrag über Etikette, Geschichte und Unmengen an Fachbegriffen zu hören. Wie bei meinem Vater verstehe ich kaum ein Wort und nicke einfach lächelnd. Klappt bei ihm ja auch. Mein Interesse ist geweckt als sie die Schwerter holt. Die Versuchung ist groß damit herum zu albern, aber ich habe gerade keinen Monolog aus Star Wars parat. „Am Anfang kommt natürlich viel auf euch zu. Kendo is mehr als nur Sport. Es fordert Disziplin, Hingabe, Konzentration, Beherrschung.“ Haruno verklemmt sich ein lachen, dass nur durch unterdrückte laute zwischen seinen Lippen hervor quellt. Wenn Blicke töten könnten. Mishiro zwingt sich tief durch zu atmen bevor sie weiter spricht. „Unser Club is klein, aber wir sind wie eine Familie zueinander. Wir unterstützn uns, stehn für einander ein und helfn uns in jeder Lage.“ Ich kann nicht verhindern das mein Blick zu Shiba wechselt, der es sich am Rande gemütlich macht und seine Schulsachen hervorholt. Soviel zu mitmachen. Enttäuschung macht sich in mir breit. Haruno ist immer bei allen Blödsinn dabei, ohne das man ihn fragen muss und Shiba verweigert sich allem und schießt sich selbst ins Abseits. Wäre das denn so schlimm heute mal mit zu machen? Mir zu liebe? Ich will hier schließlich auch nicht sein. Mit einen leichten Kopfschütteln werfe ich diesen Gedanken ab und widme mich wieder Mishiros Erklärungen, die jedoch meinem Blick zu Shiba gefolgt ist. „Er wird nich mitmachn“, sagt sie so leise, dass es fast von den Geräuschen der Trainierenden aus der anderen Ecke des Dojos übertönt wurde. Kaum merklich sinken ihre Schultern, als sie für einen Moment ihre Haltung fallen lässt und ein trauriges Lächeln sich auf ihr Gesicht stiehlt. „Warum bist du dir da so sicher?“, wundere ich mich. Ruckartig strafft sie ihre Schultern und wendet sich uns wieder zu. „Weil ich ihn kenn“, nuschelt sie eher für sich selbst, als an mich gerichtet, während sie mir meinen überdimensionalen Zahnstocher überreicht. „Das Shinai ist sowohl für Übungn als auch für den Zweikampf.“ Haruno mischt sich ein. „Warum bekommen wir das? Die andern da hinten haben ein Katana.“ Dabei hält er sein Schwert hoch, dass aus mehreren dünnen Bambusstöckern zusammengebunden ist und wedelt herum. Sie verdreht die Augen. „Das is ein Bokutó und kein Katana. Dieses Schwert is ausschließlich für Katas, die sie gerad einübn.“ Interessiert schaue ich rüber und sehe wie Nori-Augenbraue die große Bohnenstange in einen Affenzahn mit seinem Holzschwert attackiert, ohne ihn tatsächlich zu berühren und einen lauten Schrei von sich gibt der mich erschrocken zusammenzucken lässt. Das niedliche Mädchen redet sofort auf den kleinen ein und hat scheinbar Verbesserungsvorschläge die er verständnisvoll abnickt. Mishiros Stimme lenkt meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Ich bringe euch zuerst die Grund- und Bereitschaftsstellung bei. Kamae.“ Wieder höre ich Harunos unterdrücktes prusten. „Zu diesem Sport gehört auch Ernst bei der Sache. Wie wäre es wenn du damit anfängst, während ich Watanabe die ersten wichtigen Dinge beibringe?“ Ihre Stimme bebt erzürnt, was man ihrem Gesicht nicht ansieht. Ergeben hebt Haruno die Hände und grinst breit. „Nicht meine Schuld. Du hast Stellung gesagt, da musste ich nun mal an was anderes denken.“ Und zwinkert mir zu, was mich prompt rot anlaufen lässt. Hat er jetzt herumgealbert oder war das ein Versuch zu flirten? Verdammt, was sagt das über mich, wenn ich nicht mal den Unterschied erkenne? Hat er schon öfter mit mir geflirtet und es ist mir nicht aufgefallen? Oder bilde ich mir schon wieder zu viel ein? Bevor ich mir selbst Kopfschmerzen verursache ruft Mishiro zu der kleinen Gruppe Krieger, „Sakuragi!“ und hat sofort ihre Aufmerksamkeit. „Kümmere dich bitte um Haruno. Vielleicht ist er bei dir lernbegieriger.“ So kann man es auch umschreiben das sie ihn nur loswerden will. Eilig kommt das Mädchen zu uns. Sofort stößt es mir sauer auf, als ich sehe wie sie ihn mit ihren großen Augen fast ungläubig anstarrt, als könne sie es nicht fassen, dass sie tatsächlich mit ihm reden darf. „Sakuragi, ja?“ Haruno setzt sein einstudiertes perfektes Zahnpastalächeln auf. „Freut mich dich kennen zu lernen. Ich heiße Ren Haruno.“ „Oh, ich weiß wer du bist“, erwidert sie postwendend mit leuchtenden Augen und einen zarten rosa Ton um ihre kleine runde Nasenspitze. Vor einer Woche hatte ich behauptet sie wären das perfekte Paar, als ich das kleine niedliche Mädchen das erste mal sah, jetzt sehe ich wie recht ich hatte und wie wenig mir das gefällt. Er legt einen Arm um ihre Schultern und führt sie einige Schritte von uns weg. „Wusstest du auch, dass ich in einem Host-Club arbeite?“ Fest beiße ich die Zähne zusammen und nestle unruhig an der dunkelblauen Kluft. Er zieht nur sein Prinz Charming Programm durch. Krieg dich ein. Und wenn sie ihm gefällt? Unsicher schaue ich auf und versuche ein Blick mit Haruno aus zu tauschen, der mich im besten Fall beruhigt, aber er ist zu abgelenkt mit seiner neuen Bekanntschaft, die ihn liebenswert anhimmelt. Verdammt, sogar ich finde sie super niedlich. Wie ein kleines Kaninchen Baby, dass gerade alt genug ist um die Augen zu öffnen. Mishiro stellt sich in die Quere und unterbricht meinen kläglichen versuch der Gedankenübertragung. In mir steckt wirklich kein Jedi. „Watanabe, ich möcht das du dem hier eine echte Chance gibst.“ Tief seufzend senke ich den Blick. „Okay aber versprich mir mich in Ruhe zu lassen, wenn ich wirklich kein Interesse habe.“ Sie nickt mir zu ohne zu zögern. Entweder ist sie sehr von sich überzeugt oder sie kann es tatsächlich akzeptieren.   Zunächst bin ich nur darum bemüht nicht das Gleichgewicht zu verlieren wenn ich mit hintereinander gestellten Füßen einen Angriff starten soll. Das Training besteht aus vielen Wiederholungen. Ein paar dieser Fachbegriffe sind sogar bei mir hängen geblieben. Leider muss ich zugeben, dass der Teil, in dem ich mit meinem Schwert auf Mishiros einschlagen darf ziemlich spaß macht. Dieses Gefühl scheint zu ihr herüber zu schwappen. Mishiro hat sich im laufe des Trainigs verändert. Ihre stolze Haltung verliert sie nicht, aber dieses unnahbare ist fast verschwunden. Sie lächelt tatsächlich. Spannend wird es als Haruno und ich zusehen wie die anderen tatsächlich gegeneinander Kämpfen. Sie schlagen so wahnsinnig schnell zu, dass man nur den Knall des Holzes hört das auf die Rüstung trifft. Aber wer wen zu erst getroffen hat braucht mich keiner Fragen. Mishiro ist geübter und kann als Schiedsrichter Punkte verteilen. „Was meinst du wie lange wir bräuchten so was zu können?“, frage ich an Haruno. Als er keinerlei anstalten macht zu Antworten sehe ich zu ihm auf. Er sieht sich den Kampf gar nicht an, sondern nach hinten. Neugierig folge ich seinem Blick und stelle fest, dass er statt des Kampfes Shiba beobachtet. Mit lang ausgestreckten Beinen sitzt er an der Wand, die Schulsachen ruhen in seinem Schoß. Er verfolgt die Kämpfe mit diesem Blick, mit dem er mich gelegentlich auch betrachtet. Wie meine kleine Schwester ein Blech voller heißer Kekse frisch aus dem Ofen die sie nicht essen darf. Ich glaube Sehnsüchtig trifft hier am besten. Er will kämpfen. Warum, verdammt, macht er es dann nicht?! „Das ist doch idiotisch.“ Abrupt springe ich auf und stampfe zu ihm. „Du machst jetzt mit. Geh dich umziehen.“ „Wa-“ „Keine Wiederrede“, unterbreche ich seinen versuch des Protestes umgehend. „Wenn du jemand bist der einen Arschtritt braucht um in die Gänge zu kommen, bitte schön, ich biete mich gerne dafür an und jetzt los.“ Ruckhaft wende ich mich der Gruppe zu, die völlig verstummt uns anstarrt. „Hey du, Nori-Augenbraue... Äh... Junge dessen Name ich vergessen habe, sorry, wir brauchen diese Bógu Dinger da.“ Unsicher ob ich ihn meine schaut er sich um und zeigt mit dem Finger auf sich. Nach meinem Nicken kommt er zögerlich auf uns zu. „Du wirst kein nein akzeptieren, hörst du? Wenn er sich weigert sich umzuziehen holst du mich und dann mach ich das.“ Schwerfällig erhebt sich Shiba und überragt mich einen Kopf. „Ich werde nicht mitmachen.“ Ganz nach Mishiro zum Vorbild strecke ich meinen Rücken und straffe die Schultern. Irgendetwas in mir schreit danach diesen Kampf gewinnen zu müssen, im Boden versinken kann ich später. Ich recke mein Kinn vor. „Doch wirst du verdammt. Weil du es vermisst und jetzt seh zu das du fertig wirst.“ Es ist mucksmäuschen still. Keiner wagt zu atmen. Shibas pantherhafte Augen starren in meine, aber ich weiche nicht zurück. Dieses mal gebe ich nicht nach. Wenn er danach nicht mehr mit mir reden mag dann ist das so. Ich gehe einen weiteren Schritt auf ihn zu. „Ich kann akzeptieren, dass du aus deiner Vergangenheit ein großes Geheimnis machst.“ Das mache ich schließlich auch. Ein weiterer Schritt. „Ich akzeptiere es, dass du mir nicht genug vertraust.“ Auf mal werden seine Augen ganz groß. Mit meinem nächsten Schritt weicht er einen zurück. „Ich Akzeptiere nicht, dass du dich selber fertig machst. Also schluck deinen Stolz runter, pack dein gekränktes Ego ein und marschiere in diese Umkleide und leg deine Ritterrüstung an.“ Des Panthers Augen verlieren an trotz. Kurz schaut er zu dem Nori Jungen, der bereits die Tür auf hält, bevor er sich noch mal mir zu wendet. „Aber ich vertraue dir doch...“, sagt er leise und scheinbar verletzt. Der Drang ihn zu knuddeln bis alles wieder gut ist drückt unbarmherzig auf mein schmerzendes Herz. Zittrig entweicht mein Atem. „Dann vertrau mir auch, dass ich nur das beste für dich will.“ Es ist schwer hart zu bleiben, wenn er mich ansieht wie ein geschlagener Welpe. Nur widerwillig verlässt er den Raum, aber er verlässt ihn, ein kleiner Sieg. Die Tür fällt hinter ihnen zu und ich sacke augenblicklich zusammen. Mein Herz wummert so stark, dass ich es überall in meinem Körper spüre. Ein befremdlicher Drang breitet sich in mir aus, bei dem ich nicht weiß ob ich lachen oder weinen soll. Shiba hat auf mich gehört. Harunos Füße poltern laut auf dem Boden, als er zu mir eilt. Sanft legt er eine Hand in meinen Nacken, als er neben mir in die Knie geht. „Wo kam das denn her?“, fragt er beeindruckt. „Keine Ahnung. Ich...“ Als mir wieder bewusst wird, dass ich nicht allein in dem Raum bin kocht das Blut in meinen Adern und lässt mein Gesicht rot leuchten. Mit einem undefinierbaren Laut verstecke ich mein Gesicht, dass mit einem Pavianarsch Konkurrieren könnte, hinter meinen Händen. „Oh Gott! Hab ich das gerade tatsächlich getan? Ich hab mich mit Shiba angelegt. Er wird mich hassen.“ Haruno lacht leise und massiert sanft meinen Nacken. „Quatsch. Im schlimmsten Fall redet er ein, zwei Tage nicht mit dir, aber im besten...“ Grinsend beißt er sich auf die Lippe und lässt diesen Satz unausgesprochen. Mishiro klatscht laut in die Hände. „Okay, weiter geht’s. Wenn er rein kommt und sieht das wir nur auf ihn wartn, rennt er womöglich noch weg wie ein aufgescheuchtes Reh. Aufstellung. Sakuragi und Hidaki.“   Das Holz knallt laut aufeinander und jedes mal wenn sie ihren Kriegsschrei loslassen erschrecke ich mich aufs neue. Beruhigend streichelt Haruno über meinen Rücken und muss immer wieder über meine Reaktion schmunzeln. Sie kämpfen bereits einige Runden, während wir alle nur ungeduldig auf Shiba warten. Falls er denn kommt. Vielleicht hat er Nori-Augenbraue in der Umkleide mit einer dieser weiten Hosen gefesselt und ist auf und davon. Nervös knautsche ich immer wieder den dunkelblauen Stoff des Hemdes zwischen meinen Fingern, dass es schon ganz knitterig ist. Ich fühl mich als würde ich auf die Ergebnisse eines wichtigen Testes warten. Ein Test der mein Leben verändern könnte. „Du hast mich überrascht“, gibt Haruno zu. „Aber nicht zum ersten mal. Jedes mal wenn ich davon überzeugt bin zu wissen wie du tickst, ziehst du solche...“, suchend nach dem richtigen Wort kreist seine Hand unbestimmt vor seiner Brust. Ich helfe ihm auf die Sprünge. „Halsbrecherische Taten? Idiotisches Gelaber? Ober peinliche Wahnvorstellungen?“ Haruno schenkt mir ein breites lächeln. Seine Augen strahlen dabei so viel wärme aus, dass dieser kleine wütende Tornado aus Angst, Nervosität und Beklemmung in mir die Intensität genommen wird. „Das trifft es nicht so ganz.“ Seine Hand wandert von meinem Rücken hoch in meinen Nacken und krault durch meinen Haaransatz. Das fühlt sich verboten gut an. Ich erlaube mir die Augen zu schließen und einfach nur zu spüren. Wenn sich seine Finger gegen den Haarwuchs vorarbeiten kribbelt meine Haut und ich merke wie sich eine Gänsehaut ausbreitet. Mit jedem strich ein wenig mehr und mit jedem mal kehrt mehr ruhe in mir ein. Der wahre Magier sitzt genau neben mir. Die plötzliche Stille im Raum lässt mich aufmerken. Aus meiner Trance gerissen, befürchte ich der Grund zu sein den alle anstarren, aber weit gefehlt. Ich drehe mich zur Tür, zu der alle Blicke führen und mein Mund klappt auf. Mishiro und die Anderen sind vielleicht kleine tapfere Krieger, aber hier kommt ihr über alles erhabener Kaiser. Die Bógu macht einen völlig anderen Menschen aus ihm. Vorher immer ein wenig in sich eingesunken, streckt er jetzt seinen Rücken durch und scheint ein gutes Stück gewachsen zu sein. Es wirkt als würde diese Ritterrüstung ihm eine andere Art von Sicherheit schenken. Eine die er im Alltag zu vermissen scheint, wenn dann das aus ihm werden kann. Ein Tuch um seinen Kopf hat alle Haare aus seinem wunderschönen Gesicht geholt und offenbart uns seine gesamte vollkommene Wildheit. Sein erster Blick in den Raum trifft mich und meine Herz setzt einen Schlag aus, nur um mit doppelter Leistung fortzusetzen. „Wow“, höre ich Haruno neben mir, was genau das ist, was mir zuerst in den Sinn kam. „Es live zu sehen ist überhaupt nicht zu vergleichen mit den Aufnahmen von seinen Turnieren.“ Shiba schreitet in den Dojo, erhobenen Hauptes und gerade zu sprühend vor Selbstvertrauen. Das ist nie und nimmer derselbe Mann, dem ich eben noch in den Hintern treten musste um in die Gänge zu kommen. Er kommt vor Mishiro zum stehen, die ihm lediglich zu nickt, statt sich auf die Knie zu werfen und ihm zu huldigen. „Gegen wen möchtest du antreten?“, fragt sie ihn und ist nicht überrascht als Shiba auf sie deutet. Nori-Boy überreicht seinem Kaiser voller Respekt eins der Shinais. Fasziniert beobachte ich wie Shiba das Schwer übernimmt und andächtig betrachtet. Wieder einmal wünsche ich mir in diesen verworrenen Gedanken des Panthers blicken zu können. Doch so wie seine Augen glänzen, müssen es mehr schöne Erinnerungen sein, die dieses wiedersehen von scheinbar alten Freunden in ihm hervorruft. Die anderen helfen ihnen den Helm fest zu schnüren und dann geht es endlich los. Sie stehen weit voneinander entfernt, als sie sich voreinander verbeugen. Wie bei den anderen auch schon treten sie weiter in die Mitte und gehen in die Hocke. Sakuragi gibt das Zeichen für den Start und beide springen auf, doch keiner schlägt zu. Hochkonzentriert scheinen sie umeinander zu tänzeln. Ihre Schritte verborgen unter den weit geschnittenen Hosen. Die behandschuhten Hände fest um den Griff des Holzschwerts. Und dann wie aus dem nichts der erste Schlag. Shibas Kampfschrei schießt durch meine nerven und erfüllt mich mit diesem kribbelndem Gefühl der Euphorie. Sakuragi hebt ein weißes Tuch, was bedeutet das Shiba einen Punkt erzielt hat. Begeistert klatsche ich in die Hände. Sie nehmen wieder die Grundstellung ein und die Spitzen der Shinais tippen mehrmals aneinander. Ich platze vor Spannung. Harunos Hand legt sich auf meine, von der ich nicht mitbekommen habe, wie ich meine Finger in sein Knie bohre. Entschuldigend will ich sie ihm entziehen, doch er hält sie weiter fest. Knallendes Holz zieht meine Aufmerksamkeit zurück aufs eigentliche Geschehen. Sie sind so wahnsinnig schnell in ihren Bewegungen. Die Luft zischt bei besonders flinken Schlägen. Unfassbar wie viel Kraft in ihren Angriffen liegt. Mishiro ist gut, Shiba ist besser. Er holt mehr Punkte als sie und Gewinnt das Duell. Nach ihrer Verbeugung springe ich auf, doch die anderen waren schneller bei ihm. Sie sind völlig aus dem Häuschen von diesem grandiosen Kampf. Mishiro zieht sich den Helm vom Kopf und strahlt übers ganze Gesicht. „Ich hab nichts anderes erwartet vom zweifachn Sieger der Nationalmeisterschaft.“ Klänge des Erstaunens sind von den anderen drei zu hören. Nein vier. Mich eingeschlossen, denn das wusste ich auch nicht. „Nur der U20“, verteidigt sich Shiba und zieht dabei den Helm vom Kopf. Er lächelt wie ich ihn noch nie habe lächeln sehen. Völlig im Einklang mit sich selbst und seinen neuen Freunden. Er ist tatsächlich glücklich. Er wird geradezu mit fragen über seine Erfahrungen bei den Meisterschaften bombardiert und es stört ihn überhaupt nicht. Er fühlt sich sichtlich wohl in ihre Mitte. Nur warum fühle ich mich dabei so schlecht? Mein Magen krampft schmerzlich, während ich an der Seite stehe und das wilde treiben beobachte. Er hat mich nicht mal angesehen. Ich sollte froh sein, dass er endlich über seinen Schatten gesprungen ist, doch ich habe das Gefühl ihn zu verlieren. Ich muss Haruno schon mit den Scharen von Frauen teilen und nun verliere ich auch noch Shiba an den Kendo. Die niedliche Sakuragi tänzelt aufgeregt mit ihrem Handy in der Hand vor Shiba. „Das heißt du bist eine Berühmtheit. Ich brauch ganz unbedingt ein Foto.“ Wobei sie zum Schluss jedes Wort wie mit einem unsichtbaren Ausrufezeichen betont. Sie tatscht nur ein paar mal aufs Display und plötzlich friert sie völlig fest. „Ähm... Mishiro?“ Sie sieht mit aufs Handy. „Ich wusste es.“ Aus schmalen Augen sieht sie strafend zu Haruno, der sich wiederum keiner Schuld bewusst ist. Ich mache einen langen Hals und sehe das Foto, dass noch nicht mal zwei Stunden alt ist und schon seine Runden schlägt. Das Foto das Haruno und Shiba bei ihrem öffentlichen Kuss zeigt.     „Ihr seit ein Paar?“, fragt Sakuragi erstaunt und ein wenig zu laut. Nervös schaut Haruno sich um, ob unerwünschte Zuhörer in der nähe stehen. Wir warten vor der Trainingshalle im Schatten der Bäume. Shiba ist noch mit Mishiro drinnen. Sie bat ihn um ein Gespräch. Harunos Plan hatte noch nicht genug Zeit zum reifen. Das ist der einzige Grund für mich das er jetzt diese Behauptung aufstellt, die eigentlich alles nur schlimmer macht. „Ja und das schon sehr lange, aber er vertraut mir immer noch nicht. Er hat sozusagen sein Revier markiert.“ Sachte haut Sakuragi ihn mit ihren Shinai gegen den Oberarm. „Ist ja auch kein Wunder, wenn du dauernd mit Mädchen flirtest, du Schuft.“ „Und du wusstest die ganze Zeit davon, Watanabe?“, fragt mich der große. „Ähm...“ Nicht sicher was ich darauf Antworten soll sehe ich zu dem Igelchen, der jeden Augenblick droht in Schweiß auszubrechen und das nicht nur wegen der Hitze. „Ja, Misaki hat es vom ersten Tag gewusst, weil sie gute Freunde in der Schwulen Szene und wohl ein Gespür dafür entwickelt hat. Wir waren auch überrascht, dass sie uns so schnell durchschaute.“ Er legt einen Arm um meine Schulter und zieht mich zu sich heran. „Das war der beginn einer wundervollen Freundschaft.“ „Wir haben eine Schulen Szene?“, fragt Nori-Boy erschrocken, als hätte er den Anteil der Schwulen in ganz Japan auf Null geschätzt. Sakuragi lacht zuckersüß über sein entsetzen. „Vielleicht sollten wir mal ein Club Ausflug dahin machen. Da gibt es sicher mehr zu sehen, als du dir vorstellen kannst.“ Er schluckt schwer. „Nein danke, dass was ich mir Vorstellen kann reicht mir schon völlig aus. Ich kann schon nicht bei Mädchen landen, da will ich es nicht riskieren auch noch am anderen Ufer zu versagen.“ Das bringt tatsächlich alle zum lachen und lockert die Stimmung ungemein auf. Sie reagieren richtig gelassen mit dieser Offenbarung. Ich befürchtete sie zünden ihre Holzschwerter an und jagen uns aus der Stadt. Wie sie wohl reagieren würden, wenn sie wüssten das ich kein Mädchen bin? „Misaki wo ist deine Tasche?“ Suchend schaut Haruno um mich herum. Ich sehe in meine leeren Hände und dann zu Haruno. „Die hab ich bei der Aufregung ganz vergessen. Ich glaub die liegt in der Umkleide.“ „Die Türen müssten noch offen sein. Mishiro schließt als letzte immer alles ab. Darf ich dir beim suchen helfen?“; fragt mich Sakuragi. Irgendwie fang ich jetzt doch an sie zu mögen. Ihr offensichtliches Interesse an Haruno ist Schlaghaft abgeebbt nachdem sie das Bild sah und ich bemerke mehr und mehr ihre eigentlich liebenswerte Art. Ablehnend schüttle ich den Kopf. „Schon gut, dauert keine Minute.“ Schnell schlüpfe ich durch die schwere Eisentür und gehe direkt auf die Umkleide zu. Doch ich finde meine Tasche nicht. Suchend gehe ich weiter Richtung Trainingshalle und leise Stimmen werden immer deutlicher. Meine Schritte verlangsamen sich. Ich kann noch nicht mal ein genaues Wort verstehen und habe jetzt schon ein schlechtes Gewissen, dass ich es überhaupt hören kann. Mit großer Vorsicht öffne ich die Tür einen Spalt und sehe gerade so die Bänke an der Wand. Shibas Tasche und Unterlagen liegen dort verteilt und mit ihnen auch meine Tasche. „Was kann ich tun damit du mir verzeihst?“ Erschrocken zucke ich zusammen. Jetzt da die Tür offen ist, verstehe ich sie. Innerlich wäge ich ab, ob ich diese verdammte Tasche, mit meinem Schlüssel und Handy tatsächlich so dringend brauche, dass ich sie bei diesem dringenden Gespräch stören muss. „Es geht überhaupt nicht ums verzeihen, Mishiro. Du hast mein Vertrauen verspielt.“ „Er is mein Bruder“, verteidigt sie sich sofort. „Er hat geschworen, dass es nur eine einmalige Sache war. Ich wollt nicht das sich etwas zwischen uns ändert und hab das beste gehofft. Ich wusste ja nich, dass das schon länger geht.“ Shiba atmet schwer aus. „Und dein Hoffen hat dazu geführt, dass er mich ein Jahr betrogen und sein neuer mich in aller Öffentlichkeit gedemütigt hat. Ich weiß nicht, was es da noch zu bereden gibt.“ Das aufkommen von Schritten lässt mich zusammenfahren und ich ergreife die Flucht. Auch draußen mache ich nicht halt und rase an den anderen vorbei. Ich kann Haruno noch rufen hören, aber drehe mich nicht um. Weg. Ich muss einfach weg. Ich hätte das nie hören dürfen.   Ende von Teil 18 Kapitel 19: Teil 19- Déjà-vu ---------------------------- Pretty Boy   Teil 19- Déjà-vu   „Können wir reden?“ Mit verschränkten Armen lehnt sich Shiba gegen den Türrahmen zur Küche und versperrt mir den Weg. Haruno und Miyu sitzen bereits nebeneinander und blödeln herum. Mom merkte, dass mit mir gestern was nicht stimmte als ich nach Hause kam aber weil ich nicht reden wollte hat sie Pancakes für uns zum Frühstück gemacht, um mich aufzuheitern. Diese kleinen Dinger habe ich in Amerika lieben gelernt. Kurz taten sie es sogar, doch dann Klingelte die Tür und ich wäre am liebsten zum Garten raus. Unsicher fahre ich mit der Hand über meinen Nacken. „Ähm... Vielleicht später. Es ist schon ziemlich spät, nicht das wir noch zu spät kommen.“ Shiba sieht ruhig auf seine Armbanduhr und ich kann den Sarkasmus aus seiner Stimme geradezu triefen hören. „Stimmt, eine Stunde für einen fünfzehn Minuten weg, wie sollen wir das bloß schaffen? Ich denke aber die Zeit reicht mir.“ Nervös schaue ich an Shiba vorbei zu Haruno, der mir lediglich einen mitleidigen Blick schenkt. Keine Hilfe. Unruhig vergrabe ich meine Finger in den Rock der Uniform und gehe langsam die Treppen hoch zu meinem Zimmer. Sobald wir im Kinderzimmer stehen schließt er die Tür hinter uns. Ich wage es nicht mich zu ihm umzudrehen. Meine Augen suchen verzweifelt nach einem Punkt im Raum, der meine angespannten nerven besänftigen könnte und entscheide mich für die mit Häschen bedruckten Gardinen. „Ich nehme an, die hast du gestern gesucht“, höre ich Shibas grollende Stimme dicht hinter mir, als er meine Schultasche neben meinen Füßen fallen lässt. Bei dem Geräusch des Aufpralls zucke ich zusammen. Die Häschen wirken nicht. Tief atme ich durch bevor ich mich langsam zu ihm drehe. Mein Herz droht jeden Augenblick vor mir die Flucht zu ergreifen. Meine Finger verkrampfen sich in meinem Rock, als ich in seine wütenden Augen sehe. Ich öffne meinen Mund, aber es kommt nichts raus. Hab mich geirrt, meine Stimme ist noch vor mir und meinem Herzen getürmt. „Was hast du gehört?“ Er spricht ruhig, aber jeder seiner Muskeln steht unter Spannung. Hart schlucke ich und senke den Blick. „Ich denke... genug...“, kalt brodelt es in meinem Magen bei den nächsten Worten. „Genug um zu wissen... das dein Ex ein... ein Riesenarschloch war.“ Es klingt als würde er ein Knurren von sich geben. „Was fällt dir ein uns zu belauschen?! Warum bist du so scharf darauf etwas über meine Vergangenheit zu erfahren? Ich will nicht darüber reden, weil ich es vergessen will!“ Abwehrend hebe ich die Arme zwischen uns und schüttle hektisch meinen Kopf. „Es war aus versehen!“, rechtfertige ich mich. „Ich wollte nur meine Tasche holen. Wirklich.“ „Klar“, ist alles was ich bekomme, bevor er sich abwendet und das Zimmer verlässt ohne zurück zu sehen. „Du wolltest das ich ehrlich zu dir bin. Das war ich“, rufe ich hinterher ,nicht sicher ob er es gehört hat. Das schreckliche Gefühl in meinem Magen hat sich aufgebauscht. Übelkeit überkommt mich. Ich musste ihn nicht mal abweisen, damit er wütend auf mich wird. Nicht wie damals. Hoffentlich wird sich nicht noch mehr wiederholen. Ich setzte mich auf die Bettkante, als ein Gefühl des Schwindels mich überkommt, bei dem Gedanken, er könnte noch heute meine Scharade auffliegen lassen. Wäre ihm das zuzutrauen? Keine Ahnung. Ich kenne ihn doch gar nicht wirklich. Die Übelkeit in mir steigt hoch und mühselig würge ich sie hinunter.   Als ich mich wieder einigermaßen im Griff habe, schleiche ich die Treppen hinunter. Nervös sehe ich mich um und erschrecke fürchterlich, als Mom mich aus dem Nichts anspricht. „Schatz du musst noch essen, bevor ihr los geht.“ Unruhig zupfe ich an der Uniform, während ich vorsichtig um die Ecke sehe. Ich sehe Mom am Herd, Haruno neben Miyu, aber kein Shiba. „Wo... wo ist denn... ähm... Shiba?“ Wieder sieht Haruno mitleidig zu mir. „Der ist schon zur Schule.“ Und verbreitet die Wahrheit über mich. Ich klammere mich an den Türrahmen, als alle Gefühle wieder über mich einbrechen, die ich eben noch mühselig hinunter drängte. „Hat... hat er... irgendwas gesagt?“ „Nein. Ist ohne ein Wort an uns vorbei.“ Er steht auf und kommt langsam auf mich zu. „Misaki, geht es dir nicht gut? Hat er was getan?“ Nein... Ja... Noch nicht jedenfalls. Vorsichtig legt Haruno mir einen Arm um den Rücken, augenblicklich spannen sich alle Muskeln in mir an. Er führt mich zum Esstisch und sorgt dafür das ich mich sicher setze. Mom kommt zu mir und Mustert mich intensiv. Tastet meine Stirn und Hals ab. „Du hast gestern schon einen kränklichen Eindruck gemacht. Möchtest du heute lieber zu Hause bleiben?“ „Ich möchte auch zu Hause bleiben“, meldet sich Miyu. Mom prustet. „Dir fehlt doch nichts. Du willst nur den Test heute nicht schreiben.“ „Er hat doch immer irgendwas“, regt sich meine liebreizende kleine Schwester auf. „Ich geh zur Schule“, platzt es aus mir, bevor sie sich auch noch wegen mir streiten. „Bist du dir sicher?“, fragt Mom, nicht begeistert von dieser Idee. Ich muss es mit eigenen Augen sehen. Vielleicht kann ich das schlimmste diesmal verhindern. Ich nicke nur und behalte meine Gedanken für mich. Haruno streichelt liebevoll meinen Rücken. „Ich verspreche, ich werde den Tag nicht von deiner Seite weichen und auf dich aufpassen.“ „Awwww“, kommt es von Mom. Mit Sicherheit geht sie gerade wieder gedanklich jeden Teil unserer Hochzeit durch.     Je näher wir der Schule kamen, desto elender fühle ich mich. Haruno hat versucht mich in ein Gespräch zu verwickeln und die Ablenkung hätte mir sicher gut getan, aber ich hab ihm überhaupt nicht zu hören können und lediglich mit zustimmenden Brummlauten geantwortet, als es so schien, dass er auf eine Antwort wartete. Bereits vor der Schule sehe ich Mädchen die sich zuflüstern. Unauffällig deuten sie auf uns, nur nicht unauffällig genug. Es werden mit jedem Schritt mehr. Jungs, die in Grüppchen zusammen stehen, stoßen sich gegenseitig an um auf uns aufmerksam zu machen. Es geht schon los. Shiba hat ganze Arbeit geleistet. Die selbsternannte Anführerin von Harunos Fanclub kommt auf uns zu gestürmt, gefolgt von ihren Verbündeten. Meine erste Begegnung ist ihr ist mir noch gut im Gedächtnis geblieben. Ich befürchte nur, diesmal wird keine Schwert schwingende Kriegerin kommen um meine Ehre zu verteidigen. Wer würde schon einem Lügner wie mir beistehen? „Haruno!“, ruft sie ihm aufgebracht zu. „Ist es wahr das du schwul bist? Wir alle haben das Foto gesehen.“ Nervös lacht das Igelchen und zieht mit einem Finger an seinem Kragen. „Na das ging aber schnell herum.“ „Ist es wahr?“, fragt sie energischer. Ich interessiere sie gar nicht. Ein winziger Brocken meiner Anspannung fällt ab und mit einer neuen Möglichkeit des offensichtlichen beginne ich erneut die tuschelnden Schüler zu betrachten. Sie sehen überhaupt nicht mich an. Alle haben nur Interesse an Haruno. Meine angehaltene Luft entweicht und ich wage es mit einem kleinen Funken der Erleichterung zum Igelchen auf zu sehen. Er kratzt sich durch die kurzen Haare am Hinterkopf und lässt seinen Blick ebenfalls wandern. Alle Blicke ruhen auf ihn und warten auf eine Antwort. Sein Prinzenlächeln bröckelt. „Er ist Bi“, höre ich mich reden, bevor mir klar wird, dass ich mich einmische. „Was? Wer hat dich gefragt?“, pampt sie mich an. „Aber es ist wahr“, haspelt Haruno. „Ich bin nicht schwul.“ Aus schmalen Augen betrachtet sie Haruno. „Dann bist du mit ihnen beiden zusammen? Mit dem Typen vom Foto und-“, sie deutet auf mich, „der da?“ „Nein!“, platzt es aus mir und augenblicklich schießt mir mein Blut in die Wangen. Haruno knufft mich in die Seite. Das war selbst ihm ein wenig zu schnell geantwortet. Mit einem unterdrückten Grinsen sieht er zu mir herunter, wendet sich aber wieder an seine Verehrerinnen. „Misaki hat nur unser Spielchen durchschaut und ist eine verbündete in unserem Geheimnis. Ja, meine Damen, ich bin mit “dem Typen vom Foto“ zusammen.“ „Wer ist der Typ?“, will eine andere wissen. Shiba scheint nie irgendwem aufgefallen zu sein, solange er sich hinter seinem Zottelpony versteckt hat. Verlegen kratzt er sich an der Nase. „Mein Sandkastenfreund.“ Als Reaktion bekommt er tatsächlich ein paar awwww´s von einigen Mädels. Die Schulglocke erklingt und rettet uns vor weiteren Verhören. Noch während wir weiter gehen, wollen sie aber mehr wissen. Haruno aber winkt ab und beeilt sich mit mir ins Klassenzimmer zu kommen. In Zukunft werden ihm vielleicht nicht mehr so viele der Mädchen hinterher jagen, jetzt wo er “vergeben“ ist. Ich stoppe abrupt in der Tür, als ich Shiba auf seinem Platz sehe. Ein Funken Schuldgefühl überkommt mich, wird aber weiter von meinem Misstrauen erdrückt. Dieses mal haben sie Haruno überrannt, nächstes mal vielleicht mich. Im Gegensatz zu Haruno wird Shiba in Ruhe gelassen. Keiner tummelt sich um ihn, er ist der unsichtbare. Vorsichtig, wie ein scheues Reh, nähere ich mich meinem Platz und lasse Shiba nicht aus den Augen. Der sieht nicht mal von seinen Zetteln vor sich auf und lässt mich wie den größten Obertrottel vorkommen.   In den Pausen blieb ich bei Haruno. Ich rechtfertige mich vor mir selbst damit, dass er heute nicht von meiner Seite weichen wollte um auf mich aufzupassen. Nur aus dem Klassenzimmer kommen wir nicht. Die Horde die ihm sonst hinterher lief, belagerte diesmal unser Klassenzimmer. So oft wie er die Geschichte von seiner Sexualität mittlerweile rauf und runter erzählen musste, geht er mittlerweile ganz cool damit um und überraschenderweise ein Großteil der Mädchen auch. Er beharrt noch immer auf der Geschichte, die er vorher sich in aller Not ausdenken musste. Erfindet nicht zu viele Details um sich selbst nicht zu widersprechen und interessanter weise wird er dennoch mit vielen Vermutungen und bereits gesäten Gerüchten konfrontiert. Während ich dem treiben eher passiv lauschte, aß ich alleine von meiner üppig gefüllten Bento Box. Haruno kam überhaupt nicht zum essen, weil er die ganze Zeit Fragen beantworten musste und Shiba war weg. Wohin hat er nicht gesagt, aber ich vermute aufs Dach. Zu unserem Platz, wenn ich das denn noch so sagen darf. Erst zum Schulschluss treten wir gemeinsam aus dem Gebäude. Haruno, der zwischen uns läuft, schüttelt verständnislos den Kopf. „Ich dachte die Sache hat sich für dich erledigt. Wann willst du denn noch lernen oder schlafen?“ „Hör endlich auf mich zu bemuttern. Es ist nur Kendo“, brummt Shiba und schlägt den Weg Richtung Trainingshalle ein. Haruno folgt ihm noch einige Schritte. „Irgendwer muss es ja tun um dich aus deinem Loch zu holen“, schimpft er und wird gekonnt von Shiba ignoriert. Genervt verschränkt er die Arme vor der Brust und murmelt grimmig vor sich hin. „Denkst du nicht, dass ihm das gut tun wird?“, frage ich kleinlaut. Haruno stöhnt gerädert. „Doch, aber nicht auf diese Art.“ Mit einer Hand fährt er über sein müdes Gesicht und bemüht sich um ein sanfteres lächeln für mich. „Das macht er immer so. Wenn er sauer ist oder ihn irgendwas bekümmert stürzt er sich in den Sport und hört von alleine nicht mehr auf. Andere essen oder malen gegen ihre Sorgen und er trainiert wie ein Wahnsinniger.“ Er wendet sich mir ganz zu und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Bitte vertrag dich ganz schnell wieder mit ihm. Als ich ihm das letzte mal dieses Verhalten hab durchgehen lassen, ist er vor Erschöpfung zusammen gebrochen.“ Ich schlucke schwer und senke bedrückt meinen Blick. „Ja okay, ich bemühe mich.“ Kurz kaue ich auf meiner Unterlippe, doch wage es meine Sorgen auszudrücken. „Denkst du, wenn ich es nicht tue, würde Shiba verraten das ich... na ja... mehr unterm Rock habe als andere Mädchen?“ Er drückt meine Schulter und lächelt aufrichtig. „Niemals.“ Kurz keimt ein Funken wärme in meiner Brust, der schnell von bitter schmeckenden Schuldgefühlen überdeckt wird. Ich hätte lieber meinem Gefühl trauen sollen, statt auf meinen Kopf. Shiba ist nicht Akira und Haruno genauso wenig. Sie sind soviel selbstloser als er. Beschützen mich. Verteidigen mich. Lieben mich? „Ey Schwuchtel“, keift ein Unbekannter hinter uns. Mir rutscht das Herz in die Hose bei diesem Wort. Stockend sehe ich zu dem jungen Mann der von drei anderen begleitet wird, alle in unserer Schuluniform. Mein Alarmlämpchen blinkt feuerrot. Zitternd greife ich Harunos Ärmel und zupfe hektisch dran. „Haruno...“, keuche ich atemlos. „Wir müssen hier weg. Schnell.“ Er legt eine Hand auf meine und mustert die Männer. „Kann ich euch helfen?“ Ich rüttle energischer an ihm. „Bist du irre?“, fiepe ich überfordert. „Ja, du kannst mir helfen“, grinst er überheblich und kommt näher mit seinen Leuten. „Erklär mir doch mal, warum ne Schwuchtel wie du alle Mädels für sich beansprucht, wenn er doch lieber Schwänze lutscht?“ Langsam beugt sich Haruno zu mir runter und flüstert mir ins Ohr. „Hol Takeo.“ Mein erster Impuls sagt mir, dass ich ihn nicht verlassen darf, aber mit mir an seiner Seite kommt er hier nicht heile raus. Nach einem Moment des Zögerns renne ich los. „Hey Püppchen, wo willst du hin?!“, schreit er mir nach. Ängstlich blicke ich kurz zurück und sehe wie Haruno sich in den Weg stellt und sie ihn packen.   Ich stoße die Tür zum Dojo auf. „Shiba! Haruno! Schnell!“, keuche ich außer Atem. „Was ist los?“, fragt er und zieht sich den Helm vom Kopf. Ich wedle hektisch mit den Händen. „Komm!“ Ohne auf ihn zu warten laufe ich zurück. Von weiten sehe ich sie bereits. Sie halten Haruno gegen die Wand des Schulgebäudes gedrückt und es folgt ein Schlag nach dem anderen in seinen Bauch. Plötzlich rennt Shiba an mir vorbei. In einem Affenzahn ist er bei ihnen und überrumpelt sie mit seinem auftauchen und einem Kinnhaken. Dank dieser überragenden Schlagkraft, die er erst vor kurzem unter Beweis stellte, geht der Mann augenblicklich zu Boden der Haruno boxte. Drei stehen aber noch, die gewillt sind sich mit ihm anzulegen. Da rennt Mishiro an mir vorbei und knöpft sich mit ihren Schwert einen der Idioten vor. Ich stürze zu Haruno und stelle mich zwischen ihm und den Rest, auf das keiner ihm mehr zu nahe kommt. Sie zögern ihren unausweichlichen Rückzug hinaus, doch gegen den wilden Panther Shiba und der Schwert schwingenden Kriegerin Mishiro haben sie keine Chance. Nach ein paar gezielten Schlägen von ihnen sehen sie das nun auch endlich ein und verziehen sich mit eingezogenem Schwanz. Vorsichtig taste ich Haruno ab. „Blutest du? Kannst du dich bewegen? Ist was gebrochen?“, überschlage ich mich fast vor Fragen. „Ich ruf n Krankenwagen“, meint Mishiro und wendet sich zum gehen. „Nein“, ruft Haruno. „Kein Krankenwagen.“ Er hält meine Hände fest und lächelt mich schmerzlich an. „Mir geht es gut.“ Ich entziehe ihm eine und picke ihm in die Seiten, er zuckt augenblicklich zusammen. „Dir geht es nicht gut“, behaupte ich eisern. „Du musst zu einem Arzt.“ „Das geht nicht. Wenn ich zum Arzt gehe, erfahren meine Eltern was passiert ist. Ich will nicht, dass sie sich Sorgen machen.“ „Ren...“, sagt Shiba einfühlend. „Nein“, bleibt dieser auf Kurs. „Sie werden wollen das ich wieder zu ihnen komme. Das weißt du.“ Ächzend bemüht er sich auf zu stehen und ich stütze ihn dabei. „Seht ihr, halb so wild.“ Shiba dreht ihm den Rücken zu und geht auf die Knie. „Komm, ich bring dich nach Hause.“ „Nein, bring ihn zu mir. Ich werde mich um ihn kümmern. Du musst doch bald zur Arbeit. Er kann sicher bei uns übernachten“, wende ich wiederum ein. „Ich kann nicht zu euch um mich um ihn zu kümmern. Mom hat ihr Buchclubtreffen heute und ich muss zu Hause auf meine Schwester aufpassen.“ Die mich ganz sicher im schlaf töten wird, nachdem sie Haruno so gesehen hat. Haruno lacht etwas, was ihm sichtlich schmerzen bereitet. „Ich werd getragen und darf bei Misaki schlafen. Heute muss mein Glückstag sein.“ Brummend ergibt sich Shiba der Mehrheit. Ich gebe Mishiro noch einen Zettel mit meiner Adresse, damit sie Shibas Sachen nach bringen kann und schon darf der Prinz auf dem Panther reiten.     Shiba ist doch außer Atem zu bekommen. Erschöpft legt er Haruno auf die Couch im Wohnzimmer und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er hat ihn nicht ein mal abgesetzt, obwohl Haruno sich immer mehr gegen das Tragen sträubte. Aufgebracht schimpft Mom ins Telefon wie ein kleiner wild gewordener Terrier. Nachdem ich ihr grob erklärt hatte was passiert ist, rief sie sofort in der Schule an. Vom Wohnzimmer hören wir sie in der Küche zetern. Haruno schluckt hart. „Hoffentlich mach ich sie nie wütend.“ Schmunzelnd gehe ich neben der Couch auf die Knie. „Ja, hoffentlich. Der kleine Teddybär kann zur reißenden Bestie werden.“ Miyu kommt mit einem Tablett voll Getränke rein. Stolz trägt sie es vor sich und stellt es auf den Couchtisch. Sie nimmt eins der vollen Gläser und gibt Haruno zuerst seines. Ich helfe ihm dabei sich aufzurichten, damit er trinken kann. Mom kommt währenddessen mit einem Erste Hilfe Kasten ins Zimmer. Mir bleiben vielleicht gar nicht so viele Möglichkeiten mich um ihn zu kümmern wie gedacht. Belustigt sehe ich zu wie Mom, die ehemalige Krankenschwester, Haruno gründlich untersucht, unterstützt von ihrer kleinen Assistentin Miyu. Toll, sogar meine kleine Schwester geht Haruno vor mir an die Wäsche. Nicht sicher warum, sehe ich hinter mich. Irgendetwas in mir riet mir dazu. Ich sehe Shiba. Völlig hilflos und unsicher steht er da und weiß nicht was er machen soll. Haruno ist scheinbar nicht der einzige um den man sich kümmern muss. Vorsichtig berühre ich ihn am Arm und er fährt zusammen wie aus einem schrecklichen Traum geweckt. „Wie wäre es, wenn du schon mal für Haruno auf der Arbeit anrufst und sagst das er nicht kommen kann. Ich such dir von Dad was zum anziehen raus. In der Ritterrüstung kann ich dich nicht vor die Tür lassen.“ Als wäre ihm nicht ganz klar was ich meine sieht er an sich herunter und ich höre ein leises oh von ihm. Aus Harunos Tasche holt er dessen Handy vor und geht zum telefonieren in die Küche, während ich mich ins Schlafzimmer meiner Eltern begebe. Ausgelaugt setze ich mich einen Moment aufs Bett und stütze mein Gesicht in die offenen Hände. Sie zittern. Schon die ganze Zeit. Ich bekomme mich nicht mehr unter Kontrolle. Alles scheint sich zu wiederholen, nur das dieses mal nicht ich die Prügel abbekomme. Besser macht es das allerdings nicht. Wäre ich an meinem ersten Tag nie aufs Dach gekommen, hätten wir uns sicher nicht angefreundet. Hätte ich mich entschiedener gegen diese Freundschaft gewährt, wäre das alles nicht passiert. Wenn ich nicht so neurotisch wäre, hatte Shiba Haruno nie geküsst. Wenn sie einfach ihr Leben weiter gelebt hätte und ich in meinem Loch geblieben wäre, wäre Haruno nie etwas passiert. Ich habe diese prügel viel mehr verdient. Ich bin der Lügner. Ich bin der, der ein falsches Spiel spielt. Ich bin der Idiot. Ein Rock macht noch lange nicht alles besser. Tränen brennen in meinen Augen, die ich nicht aufhalten kann. Ich bin an allem Schuld. Ohne mich wären sie besser dran gewesen. Ich ziehe sie mit in den Shitstorm der sich mein Leben schimpft.   Mit einem T-Shirt und kurzer Jogginghose im Gepäck komme ich die Treppen hinunter. Shiba wartet schon am Ende auf mich. Noch so ein Déjà-vu. „Ich hoffe das passt einigermaßen. Dads lange Hosen sind dir sicher eh zu kurz, also... na ja... Hier.“ Mit gesenktem Blick überreich ich ihm die Kleidungsstücke und weiche an die Seite. „Du kannst dich oben im Bad umziehen oder in meinem Zimmer, dass kann man auch abschließen.“ Zögerlich nimmt er es entgegen. Ich senke meinen Blick weiter, als ich merke wie er mein Gesicht studiert. Sobald ich mir sicher bin, dass er die Sachen entgegengenommen hat, flüchte ich von den Treppen und laufe in die Küche. Ich schniefe und ringe die wieder aufkommenden Tränen herunter. Verdammt, warum muss der immer alles bemerken! Zwei zarte Arme legen sich von hinten um mich. Ich wische über meine Augen bevor ich mich vorsichtig umdrehe. Mom lächelt mich voller Liebe an. „Du hast heute toll reagiert, mein Schatz. Ich bin stolz auf dich, dass du so ein guter Freund ihnen gegenüber bist.“ „Mama“, wimmer ich nur, bevor die Tränen in Sturzbächen fließen. Sie drückt mich liebevoll an sich und ich erwider diese wundervolle Umarmung. Sanft wiegt sie mich und streichelt über meinen Rücken. „Was heute passiert ist, erinnert dich sicher an damals. Es wird immer solche voll Pfosten geben. Die sind überall auf der Welt. Aber sei dir sicher, dass du von Menschen geliebt wirst, die alles für dich geben würden. Die dich lieben so wie du bist und deren Liebe groß genug ist, um alles Böse in der Welt zu vertreiben, wenn du uns lässt.“ „Danke Mama.“ Wieder schniefe ich und sie reicht mir eins ihrer Stofftaschentücher aus ihrem ausladenden Petticoat. Lächelnd streichelt sie über mein Haar. „Haruno hat es gar nicht so schlimm erwischt. Wird nur eine geprellte Rippe sein. Das tut weh, aber ist nicht schlimm genug das er ins Krankenhaus muss. Wir beobachten ihn einfach die Nacht über und entscheiden Morgen ob er vielleicht doch eine Ärztliche Meinung braucht.“ Ich nicke dankbar. „Aber er schläft auf der Couch, nicht in deinem Zimmer.“ Mahnend hebt sie den Finger und ruft ein schmunzeln auf meine Lippen hervor. Ein paar Stufen knarren als Shiba die Treppe hinunter kommt. Mom kommt ihm etwas entgegen. „Hast du noch Zeit für einen Happen bevor du los musst, Shiba?“ Sie schaut zu ihm um den Türrahmen herum und ihre Augen werden riesig. „Nein, ich sollte los. Ist es denn okay wenn ich jetzt gehe? Ich möchte sie nicht mit den Unannehmlichkeiten zurücklassen.“ Er kommt um die Ecke und legt die Rüstung auf einen freien Schrank im Flur. Mir stockt der Atem und wahrscheinlich sind meine Augen so groß wie die von Mom. Shiba füllt die Kleidung meines Dads voll aus, dass sie um seine Muskeln spannen. Keine seiner vielen wundervollen Erhebungen bleibt unter den eng anliegenden Sachen versteckt. Ich wusste das er muskulös sein muss, aber das übertrifft alle feuchten Träume die ich je von ihm hatte. Die freie Haut an Armen und Beinen ist blasser als sein Gesicht, aber es sieht heiß aus wie sich die freigelegten Muskeln bewegen, wenn er unruhig von einem aufs andere Bein wippt. Als i-Tüpfelchen ist seine Frisur, durch das umziehen ist sie aufreizend verwuschelt und legt den Blick auf sein markantes Gesicht frei. Mom kommt ins stottern. „Nein, mein Junge... alles gut. Geh nur arbeiten. Komm gerne wieder und bleib auch über Nacht.“ Er sieht zu mir und schlagartig trocknet mein Mund aus. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt meine Gefühle ein zu ordnen, als das ich seine deuten könnte. Shiba verbeugt sich zum Abschied vor Mom und geht los, ohne ein Wort an mich zu richten. Kaum ist die Tür hinter ihm zu, greift sie sich an die Brust und Formt mit den Lippen ein stummes wow.     Jetzt kommen wir tatsächlich noch dazu die Eiskönigin zu dritt zu sehen. Mom ist nach einigen bedenken und meinem drängen doch noch zu ihrem Buchclubtreffen gegangen. Miyu hat sich neben Haruno auf der Couch breit gemacht und sie singen Ohren zerreißende Duette. Das ich dabei überhaupt die Türklingel höre scheint mir wie ein Wunder. Innerlich dankend erhebe ich mich und öffne sie. Mishiro steht in ihrer Schuluniform vor mir und verbeugt sich kurz. „Guten Abend Watanabe.“ Ich erstarre. Ganz ruhig Misaki. Viele Mädchen tragen privat schlabbrige Jogginghosen und weite T-Shirts. Nervös lächelnd streiche ich mein von der kurzen dusche noch feuchtes Haar zurück. „Hehe... ähm... Guten Abend Mishiro. Komm doch bitte rein.“ Sie verbeugt sich erneut und zieht beim rein kommen ihre Schuhe aus, nach dem sie mir Shibas Sachen überreicht hat. „Ich muss zugebn, ich war verwirrt, als ich vor deinem Haus stand. Ich dacht erst, ich wär hier falsch.“ Ja, der pinke Albtraum hat schon viele in die Flucht geschlagen. Nervös ziehe ich das T-Shirt länger, als könnte man irgendwas unter der Jogginghose erkennen. „Ähm... kann ich dir was anbieten? Wir sehen uns gerade die Eiskönigin an.“ Sie schreckt hoch, als hätte ich gesagt wir opfern ein Lamm. „Mit Shiba?“ Ich schüttle den Kopf. „Nein. Der ist Arbeiten. Ich weiß nicht wann er Feierabend hat.“ „Ach so“, erwidert sie betrübt. „Kann ich dann mit dir reden, Watanabe?“ Ich nicke zögernd. „Ich sag den andern, sie sollen den Fernseher leiser machen.“   Ich gieße uns eine Tasse Tee ein und setze mich ihr gegenüber an den Küchentisch. Das ist sonst nicht mein Platz, sondern Moms. Fühlt sich komisch an. „Also?“, frage ich auffordernd, während nebenan die blonde Prinzessin lass jetzt los singt, was ich daher erahne, dass ihre Gesangspartner, trotz leiser gestelltem Fernseher, nichts daran hindert sich an Lautstärke zu übertreffen. Sie zieht die Beine unter sich und schiebt die Tasse ein wenig hin und her. Scheint nervös zu sein. „Eigentlich wollt ich nur danke sagen. Danke, dass du Shiba gestern dazu gebracht hast beim Training mit zu machen. Ich weiß, du hast es nicht für mich getan, dennoch bedeutet mir das viel.“ Ich drehe meine Lieblings Tasse zwischen den Fingern und denke über ihre Worte nach. „Warum?“ Verlegen wedle ich mit einer Hand zwischen uns. „Das musst du natürlich nicht beantworten, wenn du nicht möchtest.“ Sie nickt. „Aber ich bin hier um mit dir zu reden. Shiba war nicht nur der beste Schüler unseres Dojos, er war auch mein bester Freund. Er hat ein überragendes Talent und es war mir immer eine Ehre mich mit ihm messen zu dürfen. Meine Familie war bestürzt, als Shiba den Kendo aufgab. Er war einfach weg, ohne das wir uns verabschieden konnten, dabei schien mein Vater besonders gelitten zu haben. Er betrachtete ihn als seinen Sohn.“ Traurig schwenkt sie die Flüssigkeit in ihrer Tasse. „Er redet wieder mit mir. Vielleicht kann ich jetzt endlich meinen Fehler wieder gut machen und meinem Vater seinen verlorenen Sohn zurück bringen und mir meinen Freund.“ Das ist echt traurig, vor allem wenn man bedenkt, dass er auf seine richtige Familie nicht gut zu sprechen ist. Ich weiß mehr über Mishiros Familie als über seine. Schwer atme ich durch, aber der Druck auf meiner Brust sitzt immer noch fest. Ich hasse dieses Gefühl. Das alles hier fühlt sich nicht richtig an. „Wie lange habt ihr denn nicht miteinander geredet?“ Sie muss nicht überlegen. „Etwas über ein Jahr.“ Um Zeit zu schinden nehme ich einen Schluck Tee, während ich meine Gedanken sortiere. Vor einem Jahr ist er zu Haruno geflüchtet, der zu der Zeit auf dem Land mit seiner Familie lebte. Dann war die Sache mit seinem beschissenen Ex, ihrem Bruder, der Grund für seine Flucht? Eine Flucht zu seinem damaligen Grundschulkameraden und Nachbarn. Seinem Sandkasten Freund. Haruno muss damals schon so aufopfernd und liebevoll gewesen sein, wenn er Shibas einzige Zufluchtsmöglichkeit war. Schließlich hat er alles stehen und liegen lassen um zu ihm zurück zu kehren. Ein Ort an dem alles wieder gut werden kann, mit Harunos unbändigen Tatendrang und seiner maßlosen Freundlichkeit. Das empfinde sogar ich so. Harunos Optimismus und Kontaktfreudigkeit überstrahlt alle schlechten Gedanken. Ich fühle mich in seiner Gegenwart stärker. „Ihr habt nicht einmal ein Lebenszeichen von ihm erhalten?“, frage ich schließlich. Sie schüttelt nur den Kopf. Schrecklicher weise eröffnet mir das eine Möglichkeit. Entweder, ich versöhne mich so schnell wie Möglich mit Shiba und kann meine wundervollen Freunde behalten, die mir so gut tun und mein Leben verbessert haben mit ihrer bloßen Existenz oder ich tue es nicht. Shiba wird mich auf ewig meiden und Haruno wird selbstverständlich zu seinem besten Freund halten. Beide wären mich los und ich würde sie nicht weiter in mein und ihr Unglück ziehen. Ohne mich wären sie von Anfang an besser dran gewesen. Vielleicht sehen sie das nach dem heutigen Tag auch endlich ein.   Ende von Teil 19 Kapitel 20: Teil 20- Alte Narben -------------------------------- Pretty Boy   Teil 20- Alte Narben   Lautlos spielt die x-te Wiederholung von einer Gameshow im Fernseher, die ich gern als Kind sah. Als ich noch an ein unbeschwertes Leben und daran, tatsächlich etwas im Leben gewinnen zu können glaubte. Mir ist egal was sie sagen. Die Show ist vielleicht zwanzig Jahre alt. Schon damals habe ich nur die Wiederholungen gesehen, während mir meine große Schwester immer versuchte beim Antworten zuvor zu kommen. Wir haben hundert Leute gefragt, was verbinden sie mit... Mein Blick rückt auf Haruno, der sich unter der dünnen Decke rührt. Die Schmerztabletten machten ihn schläfrig und er ist nach dem zweiten Film eingeschlafen, den hat Miyu nicht ganz geschafft. Auf ihrer Matratze vor der Couch liegt sie ziemlich zerwühlt, in alle Himmelsrichtungen zeigend und träumt sicherlich von ihrem perfekten Leben mit Haruno. Ich lehne meinen Kopf zurück auf die Stütze des Sessels, in dem ich es mir bequem gemacht habe und starre weiter auf die nichts sagenden euphorischen Familien im Fernseher. Mom ist vor einer Weile schon nach Hause gekommen. Sie wollte nicht länger bleiben als nötig bei ihrem wöchentlichem Buchclubtreffen. Meist bleibt sie bis weit nach Mitternacht weg und kommt angeheitert vom Wein zur Haustür rein geschlichen. Dieses mal lief es anders, schließlich hat sie einen Patienten auf der Couch liegen, nach dessen befinden sie sich noch Informiert hat, bevor sie hoch gegangen ist um sich nachtklar zu machen. Von ihr ist aber nichts mehr zu hören. Sie wird jetzt auch schlafen. Wieder fällt mein Blick auf Haruno. Er hat sich nicht ein einziges mal beschwert seit er hier ist. Weder über Schmerzen, noch über mangelnde Verpflegung oder Aufmerksamkeit. Selbst Mishiro hat sich noch kurz mit ihm unterhalten, während Miyu den nächsten Film aussuchte. Er hat sich bei ihr bedankt, dass sie ihm zur Hilfe gekommen ist. Sie ließ anmerken, dass sie nicht ihm sondern Shiba geholfen hat. Doch wahrscheinlich wäre Shiba mit allen vier fertig geworden. Schließlich ist er kräftig genug um mit einem Schlag einen Mann nieder zu strecken. Das Danke blieb darauf unangenehm im Raum stehen. Eine Folge löst die nächste mit einer Werbeunterbrechung ab und ich schaue abermals auf mein Handy. Leider ist dieses auch stumm. Seit Montag schicke ich immer wieder Nachrichten an Susu. Er antwortet nicht, dabei würde ich so gerne mit ihm reden. Wobei ich mir denken kann, was er davon halten wird mich mit Haruno und Shiba zu entfreunden. Sollte er je wieder mit mir reden, sollte ich das vielleicht nicht erwähnen. Ich will sie doch nur schützen. Wer weiß welches Schicksal noch auf sie zu kommt, wenn sie mit mir befreundet bleiben. Ich muss alles tun, dass meine Vergangenheit sich nicht wiederholt. Nie wieder darf sich so etwas wie mit Akira wiederholen. Zaghaft klopft es an der Tür und ich sehe automatisch auf die Uhr neben dem Fernseher. Fast ein Uhr morgens. Leise stehe ich auf und schleiche zur Haustür. Miyu werd ich nicht wecken können. Wenn sie schläft, schläft sie. Selbst ein Bombenangriff könnte sie nicht aus ihren wundervollen klein Mädchenträumen reißen. Wie fest Harunos Schlafvermögen ist kann ich nicht abschätzen. Dieses mal schaue ich erst durch den Türspion bevor ich sie öffne. Ich halte mein Zeigefinger auf die Lippen, damit er versteht leise zu sein. „Alle schlafen schon.“ Shiba nickt und kommt herein. „Ich hab das Licht des Fernsehers im Fenster flimmern sehen, sonst hätte ich nicht geklopft.“ Wo hätte er sonst hin gekonnt? Sein Haustürschlüssel ist hier. Ich hinterfrage es nicht. Auch nicht warum und ob er immer so spät arbeitet. Stattdessen zeige ich ins Wohnzimmer. „Haruno schläft auf der Couch. Miyu ist bei ihm. Du kannst im Bett von Hina schlafen, dass ist frisch bezogen.“ Er schüttelt den Kopf. „Ich will bei Ren bleiben.“ Schulterzuckend gehe ich ein paar Schritte zur Treppe. „Soll mir recht sein. Dann überlass ich dir meinen vorgewärmten Sessel. Gute Nacht.“ Ein lautes Grollen hindert mich am erklimmen der Stufen. Mit mir hadernd klammere ich mich ans Geländer und lausche. Er geht ins Wohnzimmer und das Grollen folgt ihm. Ergebend seufzend winke ich ihn zu mir. Sein zögern ist nicht zu übersehen. „Meine Mutter wird fuchsteufelswild wenn sie erfährt das ich dich hungrig schlafen schicke. Komm wir haben noch was vom Abendessen übrig.“ Auch jetzt scheint er noch über mein Angebot nach zu denken. So ein Dickkopf. Doch das nächste grollen seines Magens lässt ihn weich werden und mir folgen. „Kann ich bei irgendwas helfen?“ „Ja, steh nicht im Weg und setzt dich.“ Ich hab bereits angefangen die Reste aus dem Kühlschrank zu holen, bis er es über sich bringt sich zu setzen. In völliger stille, bis auf das ständige Magen knurren, bereite ich eine Portion für ihn zu. „Das hört sich an als würde dein Magen gleich dich essen. Wann hast du das letzte mal was gegessen?“ Ich hab keine Antwort erwartet, eher vor mich hin geredet, da sich diese Stille unangenehm anfühlt. Er sieht auf die Uhr über der Tür beim reden, als würde er Stunden zählen. „Montag. Von deiner Bento Box.“ Sprachlos starre ich ihn an, doch sein Magen knurren holt mich schnell zurück. Gut, noch etwas was ich nicht hinterfragen werde. Schnell wärm ich alles auf und serviere ihm das Hausgemachte Rindfleischcurry meiner Mom. „Möchtest du noch was dazu?“, frage ich während ich mich ihm gegenüber setze. Hätte erwartet das er sich wie ein hungriger Wolf über die Schüssel her macht, doch er hält sich zurück und schaut eher beschämt auf sie hinunter. „Du musst mir keine Gesellschaft leisten. Geh schlafen.“ „Ich bezweifle das dir eine Schüssel reicht. Iss, ist genug da.“ Beim zurücklehnen verschränke ich die Arme vor der Brust und sehe in die Stube rüber, von der ich nicht viel erkenne. Scheint aber keiner wach geworden zu sein. Aus den Augenwinkeln sehe ich wie Shiba sich über das lecker riechende Curry lehnt und die ersten zaghaften Bissen nimmt, bemühe mich jedoch dem nicht weiter zu folgen. Ich will ihn auch gar nicht ansehen. Er hat noch immer die Sachen von Dad an. Es ist schwer genug standhaft zu bleiben und nicht zu nett zu werden, aber dann sieht er auch noch so... na so aus! Wie ein Zotteliger Gott auf zwei Beinen. Mehr gephotoshopt, als das das alles echt sein könnte. Wenn ich mich jetzt fest kneife, wach ich dann aus einen langen Traum auf und bin wieder in der Mittelschule? „Was machst du da?“, fragt er mich, als er sieht wie ich mich in den Arm kneife. „Nichts.“, erwider ich schnell, mit roten Wangen und lege beide Hände flach auf meine Oberschenkel, als wäre nichts gewesen. Wir verfallen wieder ins schweigen, bis er seine Schüssel von sich schiebt und aufsteht. „Möchtest du noch was?“ Er schüttelt den Kopf. „Schon gut geh schlafen.“ Mürbe stöhne ich und schnappe mir die Schale. „Haruno hat recht, man muss dich wirklich bemuttern.“ Zurück am Kühlschrank tu ich ihm eine zweite Portion auf. Wenigstens hält er seine Proteste diesmal für sich. Warm gemacht stell ich sie vor ihm auf den Tisch, dabei ruht sein Blick auf mir statt dem Essen. Ein Schauer durchläuft mich, vom Haaransatz bis zu den Zehen. Das ist unfair. Wenn ich so eine Wirkung auf ihn hätte, wäre er mir sicher nicht so lange Böse. „Was?“, werde ich unruhig. Für einen Moment senkt er seinen Blick, unschlüssig ob er etwas darauf antworten soll, doch Stück für Stück arbeitet seine Augen sich wieder zu mir hoch. „Bist du sauer auf mich oder auf das was heute passiert ist?“ Befangen wende ich mich ab. Es fühlt sich scheiße an gemein sein zu wollen, aber ich muss durch halten. Wie lange kann das schon dauern mich mit ihnen zu entfreunden. Sicher nicht so lang wie die kurze Zeit die wir uns erst kennen. „Ich weiß nicht was du meinst.“ Lahme ausrede. Wahrscheinlich denkt er jetzt nur das ich gereizt bin weil ich ins Bett möchte. Das kann ich besser. „Du bist doch sauer auf mich. Kommt dir doch nur gelegen, wenn ich auf Abstand gehe.“ Seine Augen weiten sich. „Ich möchte überhaupt nicht das du auf Abstand gehst.“ Er springt von seinem Platz auf und ich weiche einen Schritt zurück. Erstarrt hält er inne. Nicht sicher was er tun soll sieht er ängstlich zu mir. Schmerzlich zieht sich mein Herz zusammen und lässt mich jeden Schlag unerträglich langsam spüren. „Weißt du was, du weißt wo die Mikrowelle steht, mach´s dir selber warm.“ Ich ertrage diesen Blick nicht, es tut zu sehr weh. Darum mache ich das, was ich am besten kann und ergreife die Flucht. „Nein. Misaki! Es tut mir leid“, höre ich ihn hilflos rufen, während ich die Stufen hoch sprinte. Die Tür fällt hinter mir knallen ins Schloss und meinem Kopf hämmere ich gleich hinterher dagegen. Ich hasse mich!       Kein Auge hab ich die kurze Nacht zu bekommen und so wie Shiba aussieht er auch nicht. Mom tobt wie ein Wirbelwind um alle aus dem Haus zu bekommen, ohne ein Chaos zu hinter lassen. So wird Haruno kurzer Hand von der Couch geschmissen, damit sie alles wegräumen kann. Er kann sich besser bewegen als befürchtet. Zwar bewegt er sich bedächtig und fleht darum ihn nicht zum lachen zu bringen, aber um ehrlich zu sein gibt es diesen Morgen nicht viel zu lachen. Shiba ist stiller als vorher. Selbst mit Haruno redet er nur das nötigste. Anders als sonst hört er allerdings auch nicht zu oder beobachtet alles ganz genau, mit seinem Kopf muss er ganz wo anders sein. Als ich ihn frage, ob er Kaffee möchte, reagiert er erst als ich ihn schon einschenke, nachdem ich mehr als einmal Fragen musste. Mir ist heute nicht einmal nach meiner Lieblings Tasse. Die fröhlich hopsenden Hasen fühlen sich falsch an, an einen so bitteren Morgen. Miyu ist im Bad und macht sich für die Schule fertig. Von Mom hab ich ausnahmsweise Geld bekommen, damit sollen wir uns für die Schule was vom Konbini holen. Der kleine Supermarkt, der nie schließt, hat nicht die beste Auswahl, aber zum satt werden reicht es. Wir haben heute alle ein wenig verschlafen. „Eure Couch ist fast so bequem wie mein Futon“, witzelt Haruno und beißt von seinem Sandwich ab, um dann mit vollem Mund weiter zu sprechen. „Vielleicht können wir ja mal wieder so eine Übernachtungsparty machen. Unter anderen Umständen natürlich. Was haltet ihr davon?“ Erwartungsvoll sieht er abwechselnd zu mir und Shiba. Wie sage ich auf die nette Art nein? „Bloß nicht.“ Das war nett. Eigentlich wollte ich scheiße nein sagen. Nicht weil mir die Übernachtungsidee nicht gefällt, aber selbst wenn, würde ich es unter keinen Umständen noch mal mit meiner Mutter oder meinen Schwestern unter einem Dach zulassen. Dank dieser Umstände durfte Haruno schließlich auf der Couch schlafen, statt in meinem Bett. Haruno schmunzelt jedoch. „Dann vielleicht mal wieder bei uns? Das war doch auch ganz nett.“ Er wackelt mit den Augenbrauen und bringt mich zum grinsen. Verdammt! „Iss auf, wir müssen los“, lenke ich ab, um nicht antworten zu müssen. Gestern Nacht habe ich keine neue Nachricht mehr an Susu geschrieben. Ich rede mir selbst ein damit alleine klar zu kommen. Erst glaubte ich mir selbst nicht. Wie könnte ich auch. Ich habe noch nie irgendetwas erfolgreich abgeschlossen. Nur, je öfter ich es mir sage, desto fester wird meine innere Stimme und mein Entschluss. Und so wurde das kleine Mädchen in mir kurzer Hand geknebelt und in einen unbedeutenden Winkel meines inneren weg gesperrt. Ich komm klar. Ich schaff das. Ich erschaffe ein Monster in mir, dass alles an sich abprallen lassen kann. Das hätte ich viel früher machen müssen. Dann wäre ich jetzt nicht so zerstört. Es ist meine freie Entscheidung mich von ihnen zu entfreunden. Endlich etwas was ich bestimmen werde. Keine Lage in die ich unweigerlich hinein stolpere. Ich bin der, der es so will und es auch umsetzt. Nur warum fühlt es sich dann so falsch an?   Ich winke Mom zum abschied, die mit Miyu zur selben Zeit los geht wie wir. Langsam schreiten wir voran, mit Haruno in unserer Mitte, zu dem Ort, an dem ich jetzt an wenigstens sein möchte. Nein, das wäre gelogen. Einer der Orte an denen ich jetzt am wenigsten sein möchte. Mir fallen mindestens noch zwei ein. Meine ehemaligen Schulen und alles in der nähe von Akira. Leider fühl es sich so an, als würde ich gleich beides auf einmal tun. Gut das wir nur schleichend voran kommen. Ich hab es nicht eilig. „Ihr habt euch also immer noch nicht versöhnt?“, bemerkt Haruno und spricht damit uns beide an. Shiba zuckt mit den Schultern. Ich schweige. „Das ist ja wie im Kindergarten hier.“ Haruno greift nach unseren Händen und während er Shibas zu fassen bekommt, ziehe ich meine weg. Überrascht sieht er mich an. „Shiba hat sich gestern entschuldigt.“ Seine Verwirrung wird nur größer. „Und wo ist denn dann das Problem?“ „Das würde ich auch gern wissen“, zischt der Panther. Toll, was jetzt? Kometeneinschlag wo bist du wenn man dich mal braucht?! Ich buddle den vergrabenen schlechten Schauspieler in mir heraus und taste erschrocken tuend meine Taschen ab. „Verdammt, ich hab das Geld fürs Frühstück vergessen. Geht schon mal vor. Ich hole euch sicher wieder ein.“ In ungeahnter Geschwindigkeit drehe ich mich in die Richtung aus der wir kommen und eile davon in der Befürchtung mir anhören zu müssen wie unglaublich schlecht ich tatsächlich improvisiere. Ich will sie nicht anlügen. Ich will ihnen aber noch weniger die Wahrheit gestehen. Erst befürchte ich Shiba rennt mir hinterher, weil ich mir sicher bin, dass er gesehen hat wie ich das Geld in meine Schultasche steckte. Vor ihm kann man nichts verheimlichen, auch wenn er heute früh eher in sich gekehrt war. Gefährlich für meine Lage. Doch er bleibt bei Haruno. Seinem wahren Freund. Die beste Wahl die er treffen konnte. Über mich selbst schimpfend gehe ich, ohne zu halten, am pinken Albtraum vorbei. Wenn ich zu Hause bin wenn Mom kommt macht sie nur wieder ein haltloses Theater. Ich verdiene ihr Mitleid nicht und ich ertrage es gerade nicht. Kurz überlege ich bei meiner Schwester auf der Arbeit auf zu tauchen, doch wer weiß welche Buschtrommeln sie wieder in Gang setzt, um allen zu Berichten, dass ich mich wieder wie ein Idiot aufführe und allen Beistand benötige den meine Familie aufbringen kann. Susu hätte sicher Zeit für mich. Doch würde ich ihn überhaupt finden? Ich bezweifle selbst den Weg zu seinem Zelt finden zu können, wenn ich ihn in Ni-chóme nicht ausfindig machen sollte. Und was würde ich ihm sagen? Würde er überhaupt mit mir reden? Er selbst meldet sich nicht seit Tagen, trotz meiner wiederholten Nachrichten. Tiefe Verzweiflung erklingt in meinem seufzen, als ich mich auf eine Bank an einer Bushaltestelle setze. Die Stadt ist voll von Menschen und ich habe niemanden dem ich mich anvertrauen kann? Mit beiden Händen scrolle ich durch die Kontakte im Telefonbuch meines Handys. Mein Finger schwebt über den Kontakt meines Vaters. Dank des Zeitunterschieds ist für ihn immer noch Gestern und er steckt mitten in der Arbeit. Sicher würden seine Wort mich beruhigen, doch würde ich ihm Sorge bereiten, so weit weg von mir. Das wäre nicht fair. Ein dünnes lächeln stiehlt sich auf meine Lippen, als ich Yamadas Namen lese. Der auch der letzte Kontakt in meiner Liste ist. Susus Kleiner. Ob er weiß, was mit Susu ist? Er folgt und sucht ihn doch wie ein überdimensionaler Schoßhund. Doch auch er wird jetzt auf dem Weg zu Uni sein. Ich lehne mich zurück und beobachte das Treiben auf den Straßen. Es wirkt alles so Chaotisch, wie die Unmengen an Menschen sich ignorierend aneinander vorbei gehen um schnell und ohne Umwege an ihr Ziel zu gelangen. Ein paar Hochhäuser weiter, auf der anderen Straßenseite, sitzt ein schlecht gekleideter Mann dessen Haare fettig im Gesicht kleben. Er bietet ein abstraktes Bild, wie er da sitzt mit einer Geige in den Händen, dessen Musik ich bis hier her hören kann. Er ist geübt und spielt Klassiker der Filmmusik. Nur den Menschen um ihn herum scheint das egal zu sein. Auch ihn ignorieren sie und verlieren ihr Ziel nicht aus den Augen. War für Bewunderung ihrer Willenskraft in mir weckt, aber vor allem trauer über die Menschen, die solch Talent nicht zu würdigen weiß. Auf dem Weg hier her habe ich einen Supermarkt gesehen. Ich beschließe von dem Geld das Mom mir gab lieber ihm etwas zu essen zu holen. Mit einem guten Gefühl im Bauch springe ich auf und gehe die paar Straßen zurück. Die Mechanik zischt beim aufgleiten der Türen. In weniger als einer Sekunde rammt ein Amboss alles in mir nieder, was ich mir mühselig im letzten Jahr aufbaute, als ich den jungen Mann vor mir erblicke, der mit Schuld an all meinem Elend ist. Er braucht einen zweiten Blick und deutlich sehe ich die irritierende Erkenntnis in seinem Gesicht, als er mich auch erkennt. „Watanabe?“ Jede einzelne Silbe meines Namens, den er so verächtlich ausspricht, kratzt über meine Haut und scheint alte Narben aufzureißen, die längst verdrängt geglaubt waren. In seiner Gegenwart wage ich es nicht zu atmen, nicht einmal zu blinzeln. Jede Art der Bewegung führt zu einer Provokation, wie ich schmerzhaft lernen durfte. Wieder gefangen im Körper des kleinen Jungen aus der Mittelschule, der nichts mehr wollte, als zu verstehen, warum gerade er die Wut und den Ekel allen anderen abbekommt für etwas was er nicht kontrollieren kann. Seine Augen huschen an meinem Körper hinab. „Fuck. Bist du von Schwuchtel auf Transe gewechselt? Denkst du das macht den kranken Scheiß besser?“ Angewidert rümpft er die Nase und seine Abneigung sorgt für ein wenig Abstand. Doch eine Erkenntnis schießt ihn durch den Kopf, als der ehemalige Freund Akiras und Herdenführer der Hasstiraden meiner alten Schule die Augen verengt. „Moment, dass ist eine echte Schuluniform oder?“ Die rote Alarmsirene in meinem Kopf strahlt so hell und kräftig, dass sie mit einem Knall durchbrennt. Ich renne. Mit Tunnelblick durch die Straßen und renne jeden um der mir im weg ist. Bringe das Chaos der Straßen noch mehr durcheinander. Die Luft die ich dabei hektisch einsauge brennt in meinen Lungen. Ist er hinter mir her? Ich wage es nicht mich umzudrehen. Weg! Ich muss weg von ihm. Ich renne, ohne zu wissen wohin. Renne um Häuserecken und durch Seitengassen. Renne bis mein untrainierter Körper vor schmerzen schreit und renne dennoch weiter. Neben Mülltonnen in einer Seitengasse breche ich mit zitternden Beinen zusammen und verstecke mich hinter dem stinkendem Sichtschutz. Der Schmerz pulsiert durch meinen sonst tauben Körper. Voller Furcht warte ich darauf das er jeden Augenblick um die Ecke kommt und mir jede Sekunde meiner erbärmlichen Vergangenheit wieder vor Augen führt. Wie ertaubt lausche ich und höre dennoch nichts. Keine Autos, keine Menschen, kein einzigen Ton. Nur mich. Mein hektischer Atmen, der noch immer nicht genügend Luft zu bekommen scheint. Mein rauschenden Puls, der droht jede Ader in meinem Körper auf zu reißen. Das klappern meiner Zähne, die ich nicht davon abhalten kann aufeinander zu schlagen. Was mache ich nur sollte er mich wirklich finden? Immer wieder jagt ein schütteln durch meinen Körper, der das Zittern für einen Wimpernschlag ablöst. Mit größter Mühe hole ich mein Handy hervor und drücke wahllos auf eine der zuletzt benachrichtigten Nummern. Drei unendlich lange Freizeichentöne erklingen und höre dann eine Stimme die ich nicht zu zuordnen weiß. Allein das ich jemanden am Telefon habe der mich hört wenn mein Peiniger um die Ecke kommt lässt einen ungeahnten brocken Erleichterung fallen. Weinend umklammere ich das Handy mit beiden Händen und weiß nichts anderes zu sagen als Hilfe. Hilfe, Hilfe, immer wieder, bis es aus meiner feuchten Händen rutscht und ich mich kauernd auf den Boden lege und meinem Kopf umschlungen halte. „Hilfe... bitte...“     Krachend fällt neben mir der Deckel auf die Tonne und erschrocken sehe ich in das Gesicht eines alten Mannes in Unterhemd und kurzer Hose die seine dürren Beine zeigen. Er sieht nicht weniger erschrocken aus. Ich brauche einen Moment um mich zurecht zu finden und heraus zu finden wo oben und unten ist. Es ist als hätte mein Hirn einen Kurzschluss und mit nichts außer einer Rolle Gaffa Tape müsste ich es flicken und zum laufen bringen, als wäre ich MacGyver. Er sagt etwas das ich nicht verstehe. Unruhig sammle ich meine Sachen vom Boden und rapple mich kraftlos auf. Taumelnd finde ich zurück zur Straße und alles strahlt unerträglich hell im Schein der Neonröhren und überproportionalen Werbetafeln. Selbst der Himmel scheint bei dieser Helligkeit nicht zur Ruhe kommen zu können und zeigt statt schwarzer Nacht und Sterne einen ungesunden dunkelbraunen Ton, der alles Licht oberhalb der Atmosphäre verschluckt. Verwirrt sehe ich mich um, doch nicht ein Orientierungspunkt verrät mir wo ich bin, weil nichts mir hier bekannt vorkommt. Hinter mir taucht der alte Mann auf und jagt den nächsten Schrecken durch mich. Konzentriert setze ich einen Fuß vor den anderen und entferne mich von ihm. Er bleibt in der Gasse und sieht mir kurz nach, ehe er sich umdreht. Erleichtert atme ich tief durch. Meine Brust krampft dabei, als hätte ich seit Stunden keinen Atemzug mehr genommen. Mein Herz hingegen krampft beim Anblick der Straßen. Das Chaos der wimmelnden Menschen hat nicht nachgelassen. Die Zeit verging und nichts hat sich geändert. Nach wie vor sind alle geschäftig und verfolgen ihre Ziele. Von A nach B. Jeden Tag. Beachten niemanden der Hilfe braucht. Beachten mich nicht. Mein Kopf dröhnt. Der Straßen Lärm intensiviert es nur. Auf der Suche nach Ruhe irre ich weiter durch den Stadtteil. Von weiten erkenne ich die Farben des Regenbogens. Magisch scheinen sie mich anzuziehen und ich folge ihnen. Eine Bahn fährt an mir vorbei und ich zucke schmerzlich zusammen. Bedächtig betrete ich die Rainbow Bridge. Tokios schönste Brücke. Keine zwei Stunden Fußmarsch von Ni-chóme entfernt. Endlich weiß ich mich wieder zu Orientieren. Ruhig ist es auch hier nicht, doch die in bunten Farben beleuchtete Brücke strahlt einen Ruhepol aus den ich auch in den vergangenen Jahren stets besuchte. Mit langen gedankenverlorenen Blicken in die Tiefe nach jedem harten Tag. Jetzt hat der Kerl es wieder geschafft mich hier her zu treiben. Fest umklammere ich das Geländer der Brücke und sie erzittert als ein LKW an mir vorbei donnert. Von hier hat man einen schönen Blick auf die Stadt. Der Tokio Tower sticht hervor und erinnert mich an einen Kommentar von Susu, dass nur untervögelte Männer auf die Idee kommen können einen Spitzen aufragenden Turm zu bauen. Das das ganze nur ein Fernseherturm ist lässt er dabei völlig außen vor. Beim Gedanken an Susu fällt mir mein Handy ein. Wen habe ich angerufen? Ich drücke auf den Knopf an der Seite und das Display schreit mir geradezu zweiundsiebzig verpasste anrufe entgegen. Ganz zu schweigen von den vielen Nachrichten auf unterschiedlichsten Wegen. Erstaunt keuche ich über diese Nachrichtenflut. Doch darum kümmere ich mich später. Ich wische ein paar mal und sehe das allein Yamada mich knapp fünfzig mal anrief. Er war es den ich um Hilfe bat, sehe ich tiefer im Protokoll. Ich sollte mich für den Anruf entschuldigen, damit er weiß, dass ich okay bin. Nur bin ich das? Bin ich okay? Ein gedankenversunkener Blick in die Tiefe der Brücke straft mich Lügner. Für den Anruf wird ein Okay ausreichend sein müssen, mehr kann ich nicht hervor kratzen. Interessanterweise bin ich der Einzige dem ich erfolgreich etwas vorlügen kann. Ich atme tief durch bevor ich die grüne Taste betätige. Es Piept einmal. „Was zum Teufel ist da bei dir los?!“, schreit es mir haltlos entgegen. „Ich bin krank vor Sorge! Warum gehst du nicht an das verdammte Telefon?! Wofür hast du das Scheißding eigentlich?!“ Erschrocken sehe ich aufs Display. Ich hab mich nicht verwählt. Ich habe Yamada angerufen. Vorsichtig nähere ich mein Ohr wieder dem Handy. „Susu?“ „Fuck, ja! Wo bist du? Wir holen dich ab.“ „Wir?“, frage ich erstickt. Alarmiert erwäge ich wieder auf zu legen. Ich kann meiner Familie so aufgewühlt nicht unter die Augen treten. Mom würde in Zukunft mich jeden Tag zur Schule bringen und abholen statt meine kleine Schwester. Hina würde mir bei allem Händchenhaltend daneben stehen und Miyu würde mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit auslachen was für ein Weichei ihr großer Bruder ist. Sie ist mehr Kerl als ich und sie ist zehn. Was sagt das über mich? „Ja, wir“, betont Susu erneut. „Der Kleine hat ein Auto.“ Kurz beiße ich mir auf die Unterlippe, bevor ich unsicher erneut nachfrage. „Mit wir meinst du nur euch beide?“ „Soll ich noch den ganzen Christopher Street Day mitbringen oder was? Wo bist du?!“ Erleichtert erlaube ich mir die Augen zufallen zu lassen. „Ich bin... auf der Rainbow Bridge.“ Scharf höre ich Susu die Luft einsaugen. „Mach keine Dummheiten. Wir sind gleich da.“ „Ich hab dich lieb Susu.“ Meine Stimme bebt bei den Worten. Zu sehr habe ich meinen Freund vermisst. „Ich dich auch Schatz. Bleib einfach am Telefon und red mit mir. Wir kommen.“ Ich nicke, wobei mir erst hinterher einfällt das er es gar nicht sehen kann. „Okay.“   Ende von Teil 20   Kapitel 21: Teil 21- Verdammt sei die Liebe ------------------------------------------- Pretty Boy   Teil 21- Verdammt sei die Liebe   Der kleine Wagen kam noch nicht ganz zum stehen, da springt Susu bereits aus den kleinen Wagen. Mit offenen Armen rennt er auf mich zu. In der Sekunde, in der ich mich in diese schmeißen will, macht er einen riesigen Satz nach hinten und ich kipp fast um. Verstört starre ich zu ihm auf. „Was war das denn?“ „Wo hast du denn gesteckt?“, spricht er nasal, da er sich die Nase zu hält. „Hast du mit einem Stinktier geschmust?“ „Ist das jetzt dein ernst? Du knuddelst mich nicht, weil ich stinke?“ „Wenn du wüsstest wie du riechst, würdest du dir selbst nicht zu nahe kommen.“ Er geht voran und deutet mir mit einem Winken zu folgen. Bevor wir das Auto erreichen, in dem Yamada am Steuer sitzt, ruft er ihm noch zu. „Mach bloß die Fenster auf.“   Bunt rauschen die Lichter der Straßen an uns vorbei. Die erste Welle des Feierabendverkehrs ist gerade vorbei und ermöglicht uns ein konstantes Tempo zu halten. Der alte Honda brummt tapfer vor sich hin. Optisch passt er hervorragend zu Susus Zelt unter der Brücke. Alt. Klein. Viel Gaffa Tape. Wir fahren bereits eine Weile bis Susus Kleiner die Frage aufbringt, wo es jetzt hingeht. Ich sehe, wie mein Freund mir einen nachdenklichen Blick über den Seitenspiegel zuwirft. Im Gegensatz zu Susus üblicher Art haben wir kaum ein Wort gewechselt, seit er auf dem Beifahrersitz platz nahm. Scheinbar grübelt Susu zu lange. Yamada ist derjenige der erneut die Stille bricht. „Hast du vielleicht hunger Watanabe? Hier in der nähe ist ein Mc Drive. Wenn ich schlecht drauf bin hole ich mir immer Softeis mit Pommes.“ Gleichzeitig sind Susus und meine Würgelaute zu hören, worauf Yamada in seiner schüchternen Art protestiert. „Hey. Ihr habt es ja nicht mal probiert. Das ist gut. Echt.“ Verlegen streicht er einen Finger über seinen Nasenrücken. „Das wird in meiner Familie immer so gemacht wenn etwas geklärt werden muss. Erst essen und dann reden. Mit vollen Bauch lässt es sich nicht streiten.“ Kluger Junge und scheinbar weiß er mehr als ich. Ich wusste nicht, das wir im Streit sind. Unstimmig, ja, aber streit? Ich sehe zu meinem Freund, der wie zuvor aus dem Seitenfenster seines Platzes starrt. Autsch. Niedergeschlagen senke ich meinen Blick. „Ich hätte nichts gegen einen kleinen bissen einzuwenden, Yamada. Danke.“ Schweigend wühle ich in meiner Schultasche und hole Moms Geld hervor. Der Anblick des Geldes bringt mein schlechtes Gewissen zum Vorschein. Schön zu wissen das es noch da ist. Seit ich an der Schule bin verpflegt meine Mutter die Jungs mit. Darauf scheinen sie sich mittlerweile zu verlassen. Ob sie jetzt wieder gar nichts gegessen haben? Ich würde gerne wissen wie es ihnen geht, traue mich aber nicht mein Handy in die Hand zu nehmen. „Lass dein Geld stecken, ich bezahle.“ Wir kommen am Lautsprecher des Mc Drives zum stehen. Susu schnauft abfällig. „Wenn du dein Geld verprassen willst, dann bring uns lieber in ein Steak Restaurant.“ Mit großen Augen verfolge ich, wie Yamada schmunzelnd Susus Knie umfasst und sanft zu drückt. „Das machen wir das nächste mal.“ Susu wehrt sich nicht mal oder widerspricht. Er nimmt es als gegeben hin. Fest beiße ich mir auf die Lippen, um das aufkommende quietschen zu unterdrücken, doch hindere ich mich nicht daran innerlich meine Fan Fähnchen zu schwenken für die beiden. Noch während die blecherne Stimme aus den Lautsprechern fragt was wir bestellen möchten, schnallt Susu sich ab und drängt sich an Yamada vorbei zum Fahrerfenster. „Drei Happy Meals.“ Susu so dicht vor der Nase widerspricht sein Kleiner gar nicht erst. Nervös zucken seine Finger, die nicht wissen wohin mit sich. Das Einzige was Yamada am Ende von Susus Bestellung noch schafft zu ergänzen sind die drei Softeis für jeden. Wieder erklingt ein synchrones würgen.   Auf dem Parkplatz macht Susu sich zuerst über das Spielzeug her und kassiert Yamadas mit ein. Mit fast schon kindlicher Freude inspiziert er die Delfinwasserpistole und den Handbetriebenen Palmen Ventilator. Ich reiche ihm meine Kokosnuss Sonnenbrille die er mit ausgesucht hat, trotz Kindergröße nimmt er sie grinsend entgegen und setzt sie sich auf. Jetzt wo er so gut gelaunt ist kann ich meine Frage nicht länger zurückhalten. „Wie kommt es das ihr euch so gut versteht?“ Susu schiebt die Sonnenbrille seinen Nasenrücken runter und sieht zu mir nach hinten. Sein lächeln ist dünn, aber er antwortet mir. „Sagen wir, er hat mich mürbe bekommen. Wenn der Kleine Schulschluss hat komm ich vorbei und lerne mit ihm.“ Begeistert klatsche ich in de Hände. „Das ist toll. Dann seit ihr jetzt Freunde?“ „Fuck, nein. Er zahlt nur genug das ich mich dazu durchringen kann.“ Yamada allerdings grinst breit während er seinen Burger auspackt. „An dem anderen arbeite ich noch.“ Das bringt auch mich zum grinsen. „Idiot, setzt ihm keine Flausen in den Kopf.“ Mit der leeren Papiertüte haut Susu seinen Sitznachbarn, was uns nur noch breiter grinsen lässt. Ein normales Lehrer Schüler Verhältnis ist das aber auch nicht. „Um jetzt wieder gekonnt von mir abzulenken,“ spricht Susu hochtrabend, „sag mir was genau passiert ist. Erst dieser komische Anruf, dann lässt du nichts mehr von dir hören und nun müssen wir dich von dieser Brücke aufgabeln.“ Schulterzuckend wie Shiba beiße ich von meinem Nugget ab, um dann wie Haruno mit vollem Mund zu antworten. „Scheiß Tag.“ „Das war die Kurzfassung. Bekomme ich auch die lange?“, fragt Susu sich weiter umdrehend, dass er seitlich auf seinem Sitz hockt. Nervös schaue ich zu Yamada. So gern ich ihn habe, aber vor ihm meine Probleme aufzufächern liegt weit außerhalb meiner Wohlfühlzone. Susu begreift das auch und stupst seinen Kleinen an. „Fahr uns zu dir.“ Ein kurzer Blick über den Rückspiegel zu mir und dann zu Susu. „Okay, aber erst Probiert ihr die Pommes Eis Kombination.“ „Wenn du mich vergiften willst stell dich geschickter an“, würgt mein Freund hervor. Trotz der Klimaanlage, im kleinen Honda, beginnt das Eis bereits zu schmelzen. Yamada demonstriert uns überspielt wie es gemacht wird. Er tunkt die einzelne Pommes in das Eis hinein und steckt sie mit abgespreiztem kleinen Finger in seien Mund. Uns schüttelt es angewidert. „Das ist wirklich gut“, erwidert darauf Yamada mit einem unterdrücktem lachen in der Stimme. „Ich dachte, du bist offen für alles.“ Wenn Blicke töten könnten. Jeden weiteren Kommentar schluckend packt sich Susu eine Hand voll Pommes, bombardiert sein Eis damit, wobei vieles im Fußraum des Autos verloren geht und steckt sich alles in den Mund was daran kleben blieb. Sein anfänglich übertriebenes Schmatzen wird zu einem bedachten kauen. Yamada steht die Freude ins Gesicht geschrieben. „Gut oder?“ Susu rollt mit den Augen. „Oh verdammt, ich wette du bist so einer der nach dem Sex fragt wie er war.“ „Wir können es ja zusammen herausfinden.“ Bäm! Wieder ein schlag mit der Tüte und ein genervtes Idiot hinterher. Yamada ist deutlich Mutiger geworden seit unserer ersten Begegnung.     In einer der nobleren Gegenden Tokios kommen wir zum halten. Auch ein Ort an dem ich noch nie war. Meine Familie wohnt in einem Bezirk mit guten Schulen. Wenn man außer acht lässt, dass diese gute Schule mein Leben versaut hat und ich jetzt an einer der schlechtesten Schulen Tokios bin, weil das die einzige war die mich Schulschwänzer aufnahm. In dieser Gegend gibt es sicher Privat Schulen oder teure Unis, die weit über dem Budget meiner Eltern liegt. Die beiden gehen mir voran in eins der Hochhäuser, in dem wir von einem freundlich lächelnden Mann begrüßt werden, der hinter einem Tresen steht und von dort aus einen Kopf betätigt, der den Fahrstuhl für uns öffnet. Schweigend fahren wir hinauf. Auf der Anzeige blinkt eine Zahl nach der anderen und hält erst bei Etage sechsundzwanzig. Es gibt noch weitere Etagen über uns, die je Stockwerk sicher teurer und teurer werden. Als die Tür sich öffnet stehen wir schon mitten in der Wohnung. Ein weiter offener Raum erstreckt sich vor uns mit nur wenigen Möbeln die einen ungehinderten Blick auf das treiben Tokios freigibt durch eine riesige Wand aus Glas. Unsicher trete ich aus dem Fahrstuhl in den kleinen gefliesten Eingangsbereich und ziehe meine Schuhe aus. Nur ein Schritt weiter trete ich auf weichen cremefarbenen Teppichboden, der einen glauben lasse man laufe auf Wolken. „So hab ich auch geguckt, als ich das erste mal hier war“, schmunzelt Susu und deutet auf meinen weit offenstehenden Mund. Er streift sich seine Schuhe ab und geht auf eine der teuer aussehenden Ledersofas zu um sich gegen die Armstütze zu lehnen. Mit überkreuzten Armen und Beinen schlägt seine Stimme einen ernsteren Ton an. „Yamada wir brauchen Alk`. Was habt ihr da?“ Schnell rückt mein Blick von der prachtvollen Einrichtung zu Susu. „Ich trinke nie wieder Alkohol.“ „Ich will dich auch nicht abfüllen, es ist nur so, du bist deutlich redseliger wenn du getrunken hast.“ Unschlüssig ob er Jacke und Schuhe ausziehen soll bleibt Yamada vorm Fahrstuhl stehen. „Wir haben keinen Alkohol im Haus.“ Susu stößt sich vom Sofa ab und kommt auf die Beine zurück. „Dann geh was besorgen. Irgendwas was schnell zu Kopf geht. Sekt oder Prosecco, diesen Mist. Und du mein lieber,“ damit deutet er auf mich und wedelt demonstrativ mit der Hand vor seiner Nase. „Du gehst jetzt duschen bevor du die ganze Wohnung verpestest.“     Schweigend komme ich in den Eingangsbereich zurück und rubble mit einem Handtuch über mein tropfendes Haar. Die Kleidung die Susu mir raus gelegt hat muss Yamada gehören. Ich musste sie mehrmals umkrempeln und die Bänder des Hosenbundes fest verschnüren, damit sie nicht augenblicklich wieder hinab saust. Ich war erstaunt mit welcher Selbstverständlichkeit Susu überall bei geht und zielsicher nach den Dingen greift die ich benötigte. An einem der Ledersofas, die sich gegenüberstehen, komme ich zum halten und betrachte Susu der an der Fensterfront auf die Lichter der Stadt hinab sieht. Noch nie fühlte sich eine Stille zwischen uns so unangenehm an. Ist er sauer auf mich? Bin ich noch sauer auf ihn? Warum können wir nicht einfach vor diesen Umbruch wieder ansetzten, als wäre nie etwas gewesen? Ich wünsche mir den unbeschwerten Susu zurück, der das Leben in vollen Zügen genoss und lachte, als wäre es das leichteste der Welt. „Ich hab dir geschrieben.“ Meine Stimme gleicht einem Flüstern. Ich habe angst die Stille zu brechen, weil der Ausgang zu ungewiss ist. Es gibt keinen Puffer zwischen uns. Nichts was uns von diesem schrecklich ernsten Thema ablenken könnte. Mit Blick nach draußen nickt er. „Hab ich gesehen“, erwidert er ruhig. „Du hast nicht geantwortet“, versuche ich einen erneuten Gesprächsbeginn, den ich doch eigentlich meiden will. „Ich weiß“, ist alles was er dazu beisteuert. Fest beiße ich auf meine Unterlippe, doch fast schon wütend platzt es aus mir heraus. „Warum nicht?“ Schwer atmet er durch bevor er zu mir ans Sofa kommt. „Weil ich erst etwas verändern muss bevor ich dir wieder unter die Augen treten kann.“ Unverständlich ziehe ich die Augenbrauen zusammen, er erkennt die Frage dahinter und deutet auf das Sofa um uns zu setzen. Und während ich angespannt und kerzengerade sitze, lümmelt er sich gemütlich gegen die Zierkissen, die zwar wie alte Reissäcke aussehen, aber alles andere als ungemütlich sein müssen so wie Susu darin versinkt. Mit beiden Händen streicht er über sein Gesicht, dass nach wie vor ziemlich demoliert aussieht. Die ursprünglichen Schwellungen um Auge und Kinn sind zu tief dunklen Blutergüssen und blauen Flecken herangereift. Er sieht alles in allem nicht besser aus, als an den Tag, an dem ihn dieser brutale Akt angetan wurde. Es ist ja nicht mal eine Woche her. „Ich...“, beginnt Susu zögerlich. „Ich muss gestehen, dass dein Blick mich sehr verletzt hat. Mehr, als das was vorher passiert ist.“ Überrascht schnappe ich nach Luft, doch Susu lässt mich nicht zu Wort kommen. „Ich bin es gewohnt von anderen so angesehen zu werden. Dieser Blick voller Abscheu, den ich von den meisten allein durch meine bloße Anwesenheit ernte, weil ich aussehe wie ich nun mal aussehe. Aber nie von dir. Ich konnte machen was ich wollte und du hast mich angesehen, als hätte ich Waisenkinder aus einem brennenden Zug gerettet und danach eine Eiscremeparty für alle geschmissen. Das habe ich am meisten an dir geliebt, aber das hast du mir zerstört.“ Zittrig atmet er durch und streicht mit den Handrücken über seine Augen. „Aber das lass ich nicht auf sich beruhen. Ich werde tun was nötig ist, damit du mich wieder so siehst.“ Er hebt den Blick und sieht mich das erste mal richtig an. Seine roten Augen und sein zerdeltes Gesicht ruft ein verhalten meiner Mutter in mir hervor, welches ihn einfach fest in den Arm nehmen will und über den Kopf streichelnd die Floskel alles wird wieder gut wie ein Mantra auf und ab zu leiern bis man es tatsächlich glaubt. „Ich habe dich nicht mit Abscheu angesehen“, verteidige ich mich mit schwacher Stimme. „Du hast in diesen Moment auch mich verletzt.“ Tief graben sich meine Finger in den dicken Stoff der Jogginghose, das ich beide Hände voll des dunkelgrünen Stoffes fest umklammert halte. „Ich habe dir immer alles gesagt. Du bist der einzige vor dem ich keine Geheimnisse habe und dann sagst du es geht mich nichts an. Ich müsse nicht alles über dich wissen. Und das nachdem du so zugerichtet wurdest. Ich wollte dir nur helfen. Ich wollte dich verstehen. Ich hab doch nicht...“ Meine Stimme versagt und heiser entweichen mir die letzten Worte. Dankenderweise übernimmt Susu weitere Worte. „Ich hab dir doch erzählt, wie ich auf der Straße gelandet bin.“ Ich muss nicht lange überlegen. Die Geschichte hat noch lange an mir genagt und in mehr als einer Situation gezeigt wie viel Glück ich mit meinen Eltern habe. „Dein Vater hat dich mit seinem Arbeitskollegen erwischt und raus geschmissen“, fasse ich verwirrt zusammen über diesen Umbruch des Themas. Es ist nicht zu übersehen wie Susu die Lippen zusammen presst. Ich bemühe mich jede noch so kleine Gefühlsregung in seinem Gesicht wahr zu nehmen, doch erkenne nicht mehr als Schmerz der ihn seit Jahren plagen muss. Schmerz der fern ab von jeglichen Erfahrungen meinerseits sein muss und der einen anderen Menschen sicher zerstört hätte. „Und das ist der Mann mit dem ich mich noch immer treffe, wenn er es wünscht.“ Seine Hand zittert als er sich durch sein regenbogenfarbenes Haar fährt. Was in mir die Frage aufwirft, ob es je etwas in Susus leben gab, dass ihm schwerer fiel aus zu sprechen. Sicher landet es unter den Top drei zusammen mit dem Gespräch zwischen ihm und seiner Familie, nachdem er mit diesen Monster von Mann erwischt wurde. „Wie kam es denn dazu?“, frage ich zwar interessiert, doch meine Stimme verrät meine tieferen Gefühle der Abneigung zu diesen Unbekannten. Bevor Susu mich falsch versteht schiebe ich schnell etwas hinterher. „Ich meine, seine Methoden schreien nicht gerade nach Wiederholungsbedarf.“ Sein Blick verändert sich, wie ich meine nicht zu meinem Nachteil, eher grüblerisch. „Anfangs war er nicht so.“ Er atmet tief durch und holt weiter aus. „Die ersten Jahre kam ich bei Freunden unter, während ich meinen Abschluss machte. Für das Studium hatte ich ein Stipendium, dennoch brauchte ich Geld für die Miete, Essen und so weiter. Die Jobs waren öde und die Chefs ätzend. Hat nicht lange gedauert bis ich wieder hingeschmissen habe oder gefeuert wurde. So kam ich immer weiter mit der Miete in Verzug und verlor schließlich auch meinen Platz in der WG. Ich hatte gerade erst mein Zelt unter der Brücke aufgeschlagen, als er mich ausfindig machte. Ein schlichter Brief der auf meiner Matratze lag, in dem stand das er mit mir reden möchte. Er war geschäftlich in der Stadt und so traf ich mich mit ihm in seinem Hotelzimmer.“ Ein seliges lächeln umspielt Susus Lippen bei dieser Erinnerung, dass einen glauben lassen könnte, dass diese Geschichte ein gutes Ende nehmen würde. „Er verwöhnte mich. Ein heißes Schaumbad, ein üppiges Abendessen vom Zimmerservice und dann redeten wir. Lange. Über das was geschehen war zwischen mir und meinem Vater, wie ich jetzt weiter mache, wie das Studium läuft. Er machte klar das er mich unterstützen möchte und gab mir genug Bargeld das ich locker einen Monat über die Runden kam. Er wollte nichts dafür, nur das Versprechen, das nichts davon irgendjemand erfährt. Weder das er mich unterstützt, noch das ich ihn treffe, gar kenne.“ Verlegen zupft Susu nicht existierende Fusel von seiner Hose und versetzt mich ein wenig ins staunen das er so etwas wie Verlegenheit überhaupt kennt. Wo gerade er doch alles aus plappert was ihm in den Sinn kommt ohne Rücksicht auf Verluste. „Ich hab die Nacht mit ihm verbracht und es war genauso schön wie beim ersten Mal. Wir trafen uns einmal im Monat in dem selben Hotel und der Ablauf war immer Ähnlich. Er gab mir das Geld immer sofort. Ich hätte also gleich wieder gehen können, aber ich wollte bleiben. Wollte bei ihm sein. Die Zeit zwischen unseren Treffen war die Hölle. Ich konnte es kaum erwarten wieder bei ihm zu sein.“ Stutzig mustere ich meinen Freund so intensiv wie zuvor. Es ist nicht die Art was er sagt, sondern wie er es sagt die mich aufhorchen lässt. Es liegt keine Reue oder Bedauern in seinen Worten, sondern wahre Zuneigung. Zuneigung zu einem Mann, der ihn aufs übelste zusammengeschlagen hat. Einem Mann der keinerlei Sympathien in mir weckt, nur eine böse Vorahnung. Susu bemerkt meine Blicke und lächelt sie freundlich weg. Er steht auf und durchquert den großen Raum in eine offene Designer Küche mit rustikalen Holzelementen, die aussieht als wäre sie noch nie benutzt worden. Zielsicher nimmt er zwei Gläser und füllt Leitungswasser ein. Dabei spricht er weiter, als würde ihm dieser Akt der Bewegung helfen über das kommende schwere Thema hinweg zu täuschen. „Nach dem dritten mal begann er mit Spielchen. Verband mir die Augen. Fesselte meine Arme oder Beine. Es war aufregend und eine andere Art von Sex die ich bis dahin kannte. Ich wollte mehr.“ Er kam zurück und stellte das zweite Glas vor mir auf den großen gläsernen Couchtisch der zwischen den beiden Ledersofas steht, auf einen der bereitstehenden Korkuntersetzern. Es ist eine seltsame Mischung wie Susu sich in dieser Wohnung bewegt. Teils als würde sie ihm gehören, teils als wüsste er genau was seine Gastgeber erwarten und wünschen. „Dann steigerte sich jeder Besuch bei ihm hin in dieses Extreme?“, frage ich in dem Moment als Susu das Glas ansetzt um zu trinken. Er trank langsam das ganze Glas in einem Zug aus und Nickte dann lediglich auf meine Frage. „Warum lässt du das mit dir machen?“ Und dann sagt mein Freund etwas mit dem ich nie bei ihm gerechnet hätte. Etwas von dem er immer abstritt das es überhaupt existiert. Das es nicht Normal sei. „Weil ich diesen Mann Liebe. Schon seit ich ihm das erste mal begegnet bin.“ Stotternd kommen meine ersten Worte die eher Sinnlos sind. Ich schüttle mich um meinen Kopf frei zu kriegen. Eine Ohrfeige hätte mehr gebracht oder eine Eisdusche. „Aber du bist doch der, der in keiner Situation sich scheut zu sagen, wie beschissen und falsch das Konzept der Liebe ist.“ „Dann dürfte dir doch klar sein wieso.“ Den Schmerz der Susu ins Gesicht geschrieben steht ergreift mein Herz und schreit nach Linderung, von der ich nicht weiß, wie ich dies jemals bewältigen könnte. „Susu...“, setze ich an, doch er schüttelt den Kopf. Statt sich neben mich zu setzen geht er an die gigantische Fensterfront. Doch dieser Abstand macht es nur schmerzlicher für mich. Ohne zu zögern springe ich auf und bin in nur wenigen großen Stritten bei ihm um meine Arme von hinten um ihn zu legen und fest in eine Umarmung zu binden aus der ich ihn nicht mehr so schnell entkommen lasse. Er schnauft belustigt, doch ich spüre wie unter der Maske sein Brustkorb bebt und etwas völlig anderes versucht zu verbergen. „Ich weiß, dass das ziemlich heuchlerisch von mir war.“ Hart schluckend nimmt er sich eine Pause bevor er weiter spricht und nun auch seine Stimme frei von den Gefühlen ist die er so angestrengt zu verbergen versucht. „Ich gelobe Besserung.“ „Ich finde du bist schon ziemlich perfekt“, nuschle ich in seinen Nacken. Das bringt mir ein echtes Lachen ein und meinem Herzen ein Stück weniger schmerzhaften Drucks. „Heißt das, wir gehen irgendwann wieder gemeinsam auf die Piste?“ Ich nicke heftig. „Unbedingt, aber diesmal gehen wir nicht in die Ober-Hippe-Nudelsuppenbar.“ „Sondern holen uns Pommes mit Softeis?“ Freudig springe ich auf und ab. „Das war hammer lecker oder?“ „Mega lecker, aber das dürfen wir dem Kleinen nicht sagen, der bildet sich nachher noch was drauf ein.“ Verschwörerisch lachen wir beide. „Aber sag mal...ähm...“, drucksend wippe ich auf den Fußsohlen und fahre unwohl mit einer Hand über meinen Nacken. „Wir... wir werden dem Mann nicht in Ni-chóme begegnen oder?“ Sanft streichelt Susu über meine Hand die um seine Taille ruht. „Nein. Es würde seinem Ruf schaden dort gesehen zu werden.“ „Seinem Ruf?“, erwidere ich irritiert. „Ist er ein Promi? Kenne ich ihn etwa? Sag mir nicht es ist-“, weiter komm ich nicht, da Susu sich Augen rollend zu mir umdreht und meinen Mund zu hält. „Ich möchte dich daran erinnern, das ich nicht darüber reden darf. Aus dem anfänglichen Versprechen wurde später ein Vertrag den ich unterschreiben musste und der mich zur Verschwiegenheit zwingt. Also...“ Etwas umständlich holt Susu sein Handy aus der viel zu engen Jeanshose und öffnet den Internetbrowser für eine Suchanfrage. Neugierig verfolge ich jeden tiptap und wischiwasch, bis er mir das Handy in die Hände legt. Ein ziemlich offiziell aussehendes Foto zeigt sich mir, mit einem ernst dreinblickenden Mann der heißer ist als ich zugeben will. Ein Mann mittlerer Jahre, sein ernster Blick strahlt pure Macht und Dominanz aus. Absolut Susus Beuteschema. Meine Neugier stachelt mich an weiteres über ihn zu erfahren, denn wie das Ungetüm das er sein muss wirkt er überhaupt nicht. Zwei Klicks weiter weiß ich mehr als mir lieb ist. Das Monster hat einen Namen, Ryuichi Takakura und ist unser Premierminister. Der Mann dem nur noch der Kaiser persönlich übergeordnet ist. „Das kann nicht dein ernst sein. Der? Der ranghöchste Politiker Japans ist das Schwein das dich so misshandelt hat und den du Lie...“ Es fühlt sich seltsam an das Wort Liebe mit Susu in Verbindung zu bringen. „Den Mann... den du Liebst.“ Ich atme tief durch und gebe ihm sein Handy zurück. „Ich werd mir nie wieder Nachrichten ansehen können.“ Ein heller Ton kündigt das ankommen des Fahrstuhls an. Schnell steckt Susu sein Handy weg. Jedenfalls so schnell seine enge Hose es zu lässt. Yamada steigt bereits aus dem Fahrstuhl, als Susu noch zurechtrückend auf und ab hüpft um das ganze Handy hinein zu bekommen. Es ist schön Yamadas freundliches Gesicht zu sehen, dennoch wäre es mir lieber gewesen er wäre länger weg. Ich hätte gerne noch mehr Zeit mit Susu allein gehabt.     „Trink! Trink! Trink!“, feuern Susu und ich Yamada gleichzeitig an, den Rest der Flasche leer zu saufen. Was anderes ist das hier kaum. Reines Kampftrinken. Nicht nur ich habe versucht mich davor zu drücken auch nur einen Schluck dieser Plöre zu trinken die sich Sekt schimpft. Yamada befürchtet ärger zu bekommen, wenn sein Vater mit bekommt das er Alkohol trinkt statt zu lernen. Allerdings hat er uns auch versichert das er heute Abend nicht mehr nach Hause kommen wird, da er im Schichtdienst des Krankenhauses feststeckt. Als Chefchirurg scheint er dort schon fast zu wohnen, meint Yamada. Allerdings scheint er auch verdammt gut zu verdienen wenn man sich das Mobiliar und die Wohngegend betrachte. Erst als Susu das grüne Gesöff mit Waldmeistergeschmack auf machte fing es an richtig lustig zu werden. Zusammen mit dem Trinkspiel “Ich hab noch nie...“ ist das hier tatsächlich noch ein schöner Abend. Yamada reißt die leere Flasche hoch und wir grölen und jubeln. Hastig schnappt er nach Luft, als wäre er kurz vor dem Erstickungstod gewesen. „Ich glaube... das waaar die letzte...“, lallt er ein wenig. „Was?“, empört sich Susu, der uns völlig unter den Tisch getrunken hat und wirkt als hätte er den ganzen Abend nur Leitungswasser getrunken. „Du hättest mehr holen sollen. Was sollen wir denn jetzt machen?“ „Ob man sich so etwas liefern lassen kann?“, rätsel ich und strafe mich dafür diesen Gedanken laut gesagt zu haben. Mehr vertrage ich nicht ohne bereits erlebtes zu wiederholen. Ich erinnere mich kaum an den Abend aber an die Kopfschmerzen danach und den Geschmack der Kotze in meinem Mund und die peinliche Entblößung in Shibas Klamotten aufzuwachen, statt meiner Uniform. Mit den darauf folgenden unangenehmen Gesprächen will ich gar nicht erst anfangen. „Gute Idee“, erwidert Susu angefacht. Er wedelt mit der Hand in Yamadas Richtung und verlangt dessen Handy. Ohne Gegenwehr wird ihm dieses auch ausgehändigt. Dumm. Wirklich dumm. Daran sieht man wie betrunken Yamada ist oder wie schlecht er Susu kennt. Susu durchforstet augenblicklich das Handy und beginnt breit zu grinsen. „Oha. Du verbringst aber viel Zeit auf Pornoseiten. Was siehst du dir denn da so an?“ Ich würde meinen Yamada ist mit einem Schlag wieder nüchtern und zudem kreidebleich. Er springt unmittelbar auf um Susu das Handy wieder weg zu nehmen, der jedoch lachend um die Couch rennt. „Halt ihn auf Misaki“, kreischt Susu. Ich keuche überfordert, als ich mir die Masse Mann ansehe, der schwankend doch schnell hinter Susu her ist. „Hast du ihn dir mal angesehen? Der ist bald doppelt so groß wie ich.“ „Sei kein Mädchen und helf deinem Bro“, quietscht er lachend während er und Yamada sich um die Couch jagen. Das Handy dabei nicht von der Nase nehmend ist Susu zwar abgelenkt und reagiert nicht so schnell, macht das ganze aber um so spannender und zum schreien komisch. „Oho Yamadalein, für wen waren denn diese Nacktfotos gedacht? Du hast nichts dagegen wenn ich die an mich sende ja?“ Yamada greift nach der Rückenlehne und springt über die Couch. Trotz seiner Größe alles andere als elegant. Ungeschickt reißt er Susu mit sich zu Boden. Entgegen allen Erwartungen von großartigen Liebesfilmen kommt jetzt keine “Ich seh dir in die Augen Kleines“ Szene, es bricht ein Gerangel um das Handy aus. Doch wenn zwei sich streiten freut sich der Dritte. Das auf den Boden gelandete Objekt ihrer Begierde hebe ich auf und prompt habe ich ein Foto von der wahrscheinlich längsten Praline der Welt vor Augen. Im Schreck lasse ich es fast fallen. „Bohr Yamada, wer hat den schon Nacktfotos von sich auf dem Handy?“ „Wer hat das nicht?“, verteidigt er sich schwach über das laute lachen hinweg das wir ihm entgegen bringen. „Ich jedenfalls nicht“, erwider ich und gebe ihm das Handy zurück. „Misaki muss ein trinken!“, grölt Susu, der scheinbar schon wieder vergessen hat das nichts mehr da ist. Beim aufstehen zieht Yamada Susu mit hoch. Sie beide haben einen ziemlich roten Kopf und ich wage zu behaupten aus unterschiedlichen Gründen. „Das muss dir nicht peinlich sein, so was macht Susu mit mir auch. Ich hab ihm nur nie soviel Stoff zum zerreißen gegeben.“ Das scheint ihn nicht sonderlich zu beruhigen. Er tippt nervös seine Fingerspitzen nacheinander aufeinander. Ein Tick den er bei unserer ersten Begegnung auch schon an den Tag legte, als er fürchterlich nervös zu uns an den Tisch kam. Yamada scheint sich aus der Situation retten zu wollen und schlägt vor einen Imbiss zu zubereiten um den Alkohol aufzusaugen. Mit gesenktem Blick zieht er an uns vorbei in die Küche, die scheinbar doch benutzt wird und dort nicht nur steht zum Protz. Sobald der Kleine außer Hörweite ist ramme ich Susu mein Ellenbogen in die Seite. „Das hast du verbockt. Mach was.“ „Aua“, tut er wehleidig und hält eine Hand auf den Rippen. „Ist ja gut. Ist heute Tag der großen Entschuldigungen?“ Eingeschnappt wölbt er seine Unterlippe vor und geht mit schlürfenden Schritten dem großen Kleinen nach. Einen Moment beobachte ich die Situation. Viel sagen tun sie nicht, jedoch nimmt Susu sich ein Schneidebrett und hilf Yamada bei der Zubereitung eines Snacks. Das ist ein Anfang, befinde ich und nicke zufrieden. Mit meiner Schultasche setze ich mich zurück auf die Couch und beschließe meiner Mom eine Nachricht zu schreiben. Abermals scheint mein Handy vor Nachrichten geradezu glühen. Erst schreibe ich ihr, das es mir gut geht und sie sich keine Sorgen machen muss. Dann gehe ich die anderen Nachrichten durch. Die meisten von meiner großen Schwester und Haruno. Nicht eine von Shiba. Mein Herz wird schwer, wie zuvor auch schon, dennoch fühlt es sich anders an. Der Schmerz dieser Erkenntnis besteht größtenteils aus Enttäuschung. Meine Bemühungen der Entfreundung tragen erste Früchte. Das sollte mich mehr freuen. Tja, sollte. Ich ziehe meine Beine an und umarme sie während ich einhändig den Chatverlauf von Haruno durch gehe. Innerlich auf schwere Vorwürfe vorbereitet, sehe ich nur eine Frage nach der anderen. Geht es dir gut? Wo bist du? Was ist denn los? Melde dich bitte. Wir können über alles reden. Wir machen uns sorgen. Wir? Bitter lache ich auf. Das kann ich nicht so recht glauben. Nicht wie ich Shiba zuletzt behandelt habe. Wie ich sie behandelt habe. Ich kann mich nicht mal selbst leiden dafür was ich tue. Doch alles wiederholt sich. Eine exklusive Freundschaft mit Geheimnissen, verärgerte Mitschüler die bereits nach wenigen Tagen die Fäuste erheben. Selbst das Entfreunden, das dieses mal jedoch von mir aus geht. Doch noch ist es früh genug. Noch kann sich was ändern. Noch kann ich verhindern, das sie unter den Verachtungen und den Schlägen der anderen leiden müssen wie Akira. Wenn ich ihnen fern bleibe gebe ich ihnen ihr altes Leben zurück und bewahre sie vor all dem was damals noch kam. „Gute Idee, Igelchen und Pantherchen können uns was vorbei bringen“, höre ich Susu über meiner Schulter. Zu Tode erschrocken schreie ich auf und falle fast vom Sofa. „Haben wir nicht schon genug getrunken?“, behauptet Yamada und stellt einen Teller Käse Nachos auf den Tisch. Mein Freund schüttelt den Kopf das seine bunten Haare nur so fliegen. „Bei weitem nicht. Misaki ist noch viel zu vernünftig. Ich brauch sein Stadium der Albernheit, in dem er seinen Freunden seine tiefe und innige Liebe mir gegenüber beichtete.“ In einer Mischung aus Scham und Verwirrtheit reiße ich meinen Mund auf ohne Nachzudenken. „Ich hab was? Fragen die beiden deswegen dauernd ob zwischen uns was läuft?“ Susu lacht. „Tun sie das? Wie neurotisch.“ Er angelt nach meinem Handy, dass ich nicht gewillt bin her zu geben. Es gibt nichts was ich verstecken müsste, außer ein paar peinlichen Textstellen zwischen mir und meiner Mom, dennoch kenne ich Susu gut genug das er aus allem ein gefundenes Fressen macht. Eilig lasse ich es durch den Hosenbund der Jogginghose verschwinden bevor er auch nur in die nähe kommt. Sein grinsen wird nur breiter. „Oh Schätzchen, denkst du ich geh dir nicht an die Wäsche?“ „Ich will sie nicht darum bitten uns Nachschub zu holen“, nuschle ich in meine Knie, die ich fester umschlinge um Susu keinen Platz zu geben mir wirklich zwischen die Beine zu greifen. Sein Gesicht wird mit einem mal ganz ernst. Still umrundet er den Glastisch zwischen den beiden Ledersofas und setzt sich mir gegenüber. „Warum?“ „Wie warum? Ich will nicht“, erwider ich schulterzuckend und wohl ein wenig patzig, aber vielleicht klang das nur in meinen Ohren so. Oder auch nicht, denn Susu lehnt sich vor, das seine Ellenbogen von seinen Knien gestützt werden. „Vor ein paar Tagen hättest du alles dafür getan sie so schnell wie möglich wieder zu sehen und jetzt gebe ich dir eine Steilvorlage und du meidest sie. Warum? Hat das was mit deinem Anruf an Yamada zu tun?“ Darauf angesprochen sehe ich zu dem Riesen hinauf, der noch viel größer wirkt wenn man sitzt. Unwohl schaut er abwechselnd zu Susu und mir, als wüsste er nicht was er tun solle. Gehen oder bleiben? Zu wem setzten? Sich in seinem eigenen zu Hause im Zimmer einschließen? So tun als wäre noch etwas zu tun? Mit den Augen rollend klopft Susu neben sich auf das Leder. „Jetzt setzt dich schon, Idiot. Er hat dich da mit rein gezogen, also kannst du auch zu hören. Vielleicht lernst du ja noch was.“ Schweigend beiße ich mir auf die Lippen. Er hat recht. Ich hab ihn mit meinem Hilferuf in eine unangenehme Lage gebracht, was aber nicht heißt das ich ihn weiter mit meinen Problemen vertraut machen will. Mein Freund lehnt sich zurück und bleibt mit seinem Blick an mir haften, während Yamada sich steif und in übertriebener Entfernung zu Susu auf das Sofa setzt. Vor der Aktion mit seinem Handy war er deutlich entspannter. „Also, Schätzchen. Ich kann dich nicht zwingen mit mir darüber zu reden. Ich versteh es sogar nach dem was ich letztes Wochenende zu dir sagte, aber vergiss nicht das ich hier als dein Freund bin um dir zu helfen.“ Mit einem Nicken deutet er neben sich. „Und der Kleine auch.“ Als wäre das sein Einsatz schreckt er auf. „Klar, Watanabe. Du kanntest mich überhaupt nicht und warst vom ersten Augenblick an so nett zu mir. Das hat mich schwer beeindruckt. Ich bin einer den man erst kennen lernen muss um ihn zu mögen. Alle haben immer angst vor mir und meiden mich. Ich war gerührt von deiner liebenswerten Art und wäre sehr glücklich wenn wir uns als Freunde bezeichnen könnten.“ Susu klatscht sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Wie schnulzig bist du denn?“ Unsicher tippt er wieder seine Fingerspitzen aufeinander. Es gefällt mir das man ihn so leicht durchschauen kann und auch was er gesagt hat. Ein hoffnungsloser Romantiker, wie ich auch. „Danke, Yamada. Ich würde es sehr schön finden wenn wir Freunde wären. Doch um ehrlich zu sein war der Anruf nur zufällig an dich gegangen, ich hab irgendeine Nummer gewählt. Tut mir leid das ich dir Unannehmlichkeiten bereite.“ Er scheint fast enttäuscht zu wirken über mein Geständnis. „Aber in Anbetracht meiner Situation hätte ich keine bessere Wahl treffen können, denke ich.“ Das lässt sein Gesicht aufhellen und er nickt zufrieden. „Damit kommen wir wieder zum eigentlichen Punkt. Was zum Teufel ist überhaupt passiert das ich dich von der verdammten Brücke holen muss?“ Als wären meine nackten Zehen das interessanteste der Welt betrachte ich sie ausgiebig. „Misaki.“ Der Nachdruck in Susus Stimme ist unüberhörbar. Schwer schlucke ich, trotz trockenem Mund und hebe langsam meinen Blick. Erst begegne ich Yamadas vor Besorgnis strotzendem Blick bevor ich mich meinem Freund widme. „Es ist viel passiert seit du nicht mehr mit mir redest.“ Das bringt auch ihn zum schlucken. Die Stirn in Falten gelegt beugt er sich wieder vor. „Ich bin ganz Ohr.“ Ich lockere den Griff um meine Beine und denke angestrengt nach wo alles seinen Anfang nahm, dass mich jetzt in dieses Chaos stürzte. Meine Flucht vor meinen Freunden. Shiba der Haruno küsste. Die Klassenkameraden die versuchen herauszufinden warum ich in Harunos nähe sein darf. Das schlechte gewissen sie so undankbar zu behandeln. Die Schlägerei. Die Missverständnisse. Meine Angst. Mein erster Tag an der Schule. Als Mädchen verkleidet. Bitter muss ich feststellen das es nicht den einen Anfang gab, sondern das große ganze ein riesiger Haufen Mist war. Obwohl es nach wie vor die dümmste Idee aller Zeiten war die Uniform meiner Schwester überzustreifen. „Ich hab alles versaut“, antworte ich schließlich düster. „Ich hätte mich nie mit ihnen anfreunden dürfen.“ Alarmiert schaut Susu zu mir herüber. „Haben sie dir etwas getan?“ Langsam schüttle ich den Kopf und denke einen weiteren Moment darüber nach wie ich mich am besten verständlich mache. „Ich hätte sie nie in mein Leben lassen dürfen. Es geht ihnen schlecht und das ist allein meine Schuld.“ Eng schnürt sich meine Brust um mein Herz. „Susu, ich...“ Stockend senke ich den Blick und fürchte jedes weitere Wort laut auszusprechen. Sätze die sich immer wieder in meinem Kopf abspielen. Vorwürfe. Schuldzuweisungen. Gefühle die sich nicht zuordnen lassen. „Schwuchtel“, sage ich schließlich leise. Beide horchen gleichzeitig auf. „Was?“ „An meiner neuen Schule. Sie haben Haruno als Schwuchtel bezeichnet und verprügelt.“ Scharf zieht Susu die Luft ein und hält sie an. „Wer ist Haruno?“, fragt Yamada in die andauernde Stille. Auf meiner Lippe kauend sehe ich zu Susu. Er sieht nicht so aus, als ob er die Frage für mich beantworten würde. Bemüht um sein neutrales Gesicht sehe ich in seinen Augen die Berechnung der Wahrscheinlichkeit das ich etwas dummes angestellt habe. Wie recht er hat. Eher windend versuche ich mich zu erklären. „Ren Haruno ist mein Klassenkamerad. Er und sein Freund Takeo Shiba haben sich gleich an meinem ersten Schultag auf der neuen Oberschule mit mir angefreundet. Sie haben mir gar keine andere Wahl gelassen.“ Ich spüre ein Lächeln auf meinen Lippen bei dieser Erinnerung. „Anfangs empfand ich sie als lästig aber es sind ganz tolle Jungs. Haruno kommt mit jedem klar. Er ist ein echter Allrounder. Nett, einfühlsam, mega hübsch. Einfach der perfekte Schwiegersohn, wie meine Mutter sagen würde. Er hat genaue Träume und Vorstellungen für sein Leben und wirkt um so vieles Erwachsener als er ist. Und Shiba...“, seufzend mache ich eine Pause. „Ich weiß nicht. Er redet nicht gern über sich. Ist verschlossen, mürrisch und hat eine viel zu gute Beobachtungsgabe das ich immer befürchten muss von ihm ein auf den Deckel zu bekommen, aber...“ Ich spüre wie meine Wangen anfangen warm zu werden. „Aber ich fühle mich bei ihm sicher. Sie sind beide wirklich unglaublich.“ Da keiner etwas sagt, wage ich meinen Blick zu heben. Susu lächelt voller wärme zu mir herüber und lässt den Druck in meiner Brust Stück für Stück geringer werden. Sich ihm anzuvertrauen ist jedes mal ein befreiendes Gefühl. Hinterher ging es mir immer besser. Das schafft nur er. „Klingt als wärst du verliebt.“ Susu packt eins der Kissen und haut es Yamada um die Ohren. „Bist du Wahnsinnig?! Du sollst nur zu hören habe ich gesagt.“ Erschrocken keuche ich auf und lasse meine Finger nach der dicken Jogginghose greifen. Den Stoff fest im Griff spüre ich wie meine Hände zittern. „Verliebt?“, atemlose Worte. „Nein, ich weiß wie sich verliebt sein anfühlt. Das ist es nicht.“ Mit giftigen Blicken bestückt mein Freund den armen Yamada, der sich nun noch weiter ans Couchende gedrängt hat mit erhobenen Händen, um den nächsten Kissenschlag abzuwehren. Es juckt Susu tatsächlich in den Fingern noch mal zu zuschlagen bevor er es sinken lässt und ergeben stöhnt. Stattdessen gleiten seine Hände nun durch sein wunderschönes Haar, dass er wieder ordnet. „Gut, dann öffne ich mal die Büchse der Pandora.“ Schwungvoll lehnt er sich zurück und schlägt die Beine übereinander. „Bei allem was ich über dich und Akira weiß, kann ich dir nur sagen, das war keine Liebe.“ Die Stirn in tiefen Falten sehe ich auf. Yamada holt Luft um etwas zu sagen, doch Susus Blick der sagt ich töte dich wenn du den Mund aufmachst lässt ihn verstummen. „Was war es dann?“, frage ich leise. „Abhängigkeit. Pure Abhängigkeit.“ „Was? Nein, ich hab-“ Susu fällt mir ins Wort. „Denk scharf nach Misaki. Als du frisch auf die Mittelschule kamst, mit wem hast du abgehangen? Mit wem hast du dich getroffen? Mit wem hast du alles geredet?“ Das tue ich. Ich denke nach. Lange und intensiv. Akira hat mich gleich am ersten Tag angesprochen. Er war nett und intelligent. In kleinen Gruppen standen wir auf dem Schulhof zusammen und haben mit anderen geredet. Anfangs. Irgendwann hatte er keine Lust mehr auf die anderen. Wollte auf meine Gesellschaft nicht verzichten und zog mich mit sich in stillere Ecken der Schule. Wir redeten viel über Mangas, Videospiele und Filme. Wir waren auf einer Wellenlänge. Ich mochte ihn. Trafen uns außerhalb der Schule. Er wollte aber nicht zu mir wenn jemand zu Hause war. Zu ihm wollte er mich auch nicht lassen. Waren immer draußen unterwegs. In der Schule saß er neben mir. Wenn uns andere eingeladen haben zu einem Spieleabend hat er für uns beide abgelehnt. Ich habe mich immer weniger mit den anderen unterhalten. Immer weniger über sie gewusst. Keinen anderen habe ich privat getroffen. Akira hat das Wort übernommen wenn mich einer ansprach. Er hat für mich bestimmt und ich habe ihn gelassen. „Akira“, gebe ich zu. „Nur mit Akira.“ „Und als er dir in den Rücken gefallen ist, war dein einziger Kontakt weg. Du hattest keinen Freund mehr und warst plötzlich allein. Den Verlust hast du als Liebeskummer interpretiert. Es war nie Liebe.“ Ein eiskalter Klumpen brodelt in meinem Bauch und nährt meinen Körper. Bin ich selber Schuld das ich gemobbt wurde, weil ich diese Isolation einfach zugelassen habe? Das Eis zieht durch meine Adern und Nerven und lässt mich steif und zitternd als Häufchen Elend sitzen das ich nun mal bin. Warme Arme schließen sich um mich. Wärme die mich nur oberflächlich erreicht. Ein sanftes wiegen. Träge schaue ich zu Susu auf der mir sofort einen Kuss auf die Stirn gibt. „Der Mistkerl hat es ausgenutzt das du ein so reines Herz hast, Misaki. Dich trifft keine Schuld. Du kannst nicht anders als das gute in den Menschen zu sehen.“ Wieder ein Kuss. „Und ich Liebe dich auch dafür und das tun andere genauso. Und ich schwöre, ich warne dich solltest du wieder so einem Arschloch verfallen, aber Pantherchen und Igelchen sind in Ordnung. Schwer in Ordnung.“ Ein brennen in den Augen kündigt das feuchte nass an das sich seinen weg zu brechen droht. Schwer atme ich durch um es zu unterdrücken und lehne mich in Susus Umarmung hinein. Ein Funken Wärme nistet sich in mir an. Danke Susu. „Tja, verdammt sei die Liebe“, sage ich mit dünner Stimme. Susu kichert leise. „Halleluja.“ Schnaufend erhebt sich Yamada von dem Ledersofa, dass unter der Bewegung laute Geräusche von sich gibt. „Gut, ich geh noch mal los und hol was zu trinken.“ „Lang lebe Yamada“, jubelt Susu und bringt mich zum lachen.       Ab einen gewissen Punkt war mir egal was Yamada über mich wusste. Ich habe ihnen alles erzählt was die letzten Tage passiert ist. Susu hat sich sehr an dem Kuss zwischen Shiba und Haruno aufgehangen und immer wieder eine Frage nachgeschoben was das betraf. Die Vorstellung das die beiden was miteinander haben finden wir beide sehr heiß. Susu weiß auch, das ich meinem schlimmsten Alptraum begegnet bin und deshalb so aufgelöst war. Er hat mein Handy zu packen bekommen und sich selbst auf Schnellwahl gesetzt. Ich soll mich unverzüglich bei ihm Melden, sollte ich ihn noch mal sehen. Dann kommt er und tritt ihm in die Eier, versprach er hoch und heilig. Danach ist er meinen Chat verlauf durchgegangen und wollte in meinem Namen eine peinliche Nachricht an Haruno schreiben von der Yamada und ich ihn abhalten konnten. Wir tranken viel und auch Susu merkte man seine beschwipstheit endlich an. Yamada gähnte lang und ausgiebig, wonach er vorsichtig einen Arm um Susu legte. Er hat sich doch tatsächlich an den Kleinen angelehnt und sich quasi angekuschelt. Ich hab natürlich nichts gesagt aber der Fangesang in mir grölte lauter denn je. Nach einer langen Nacht schaffe ich es tatsächlich in das Gästebett von Yamada. Nur mit stützender Hilfe seitens Susu, aber ich liege. Auch wenn sich alles um mich herum im Karussell dreht. Oder alles steht still und ich dreh mich? Bei dem Gedanken schlucke ich den aufsteigenden Alkohol schwer wieder herunter. Nie wieder. Auch wenn ich das letzte mal genau das auch behauptete. Ich nehme mein Handy zur Hand und mache das Dümmste was ich in meinem Zustand machen könnte. Ich schreibe eine Nachricht. Immerhin bin ich nicht so betrunken das ich nicht mehr wissen würde das das dumm ist. Ich bemühe mich um korrekte Rechtschreibung die mir nicht immer eindeutig erscheint und schreibe meiner Mom das ich bei einem Freund übernachte, das es mir gut geht und das Susu auch da ist. Aus naiven Übermut schiebe ich noch hinter her morgen wieder zur Schule zu gehen. Das werden wir sehen. Doch an schlaf war nicht zu denken, auch wenn ich ihn ersehne. Wälzend drehe ich mich im Bett herum und greife immer wieder nach meinem Handy. Ich habe mir alles von der Seele geredet und dennoch schwirren die Worte in meinem Kopf und bereiten mir Schmerzen. Klingt als wärst du verliebt. Bin ich das? Lange starre ich auf das leuchtende Display meines Handys und sehe abwechselnd zu Harunos und Shibas Profil in meiner Chatapp. Haruno hat ein Foto von sich als Profilbild, Shiba nichts. Aber das brauch er auch nicht. Diese Augen kann man nicht vergessen. Ein angenehmes ziehen zwischen meinen Beinen bestätigt mir das auch da sich etwas an diese wundervollen Augen erinnert. Den Atem anhaltend lausche ich in die Stille des Raumes. Die anderen werden jetzt auch schlafen. Mit einem kribbeln voller Aufregung lasse ich meine Hand langsam an mir herab gleiten und lausche dabei noch immer in die Stille. Soviel zu reinem Herzen, Susu.       Der Morgen kommt allerdings viel zu früh, im Gegensatz zu mir. Allein die Bewegung meines kleinen Zehs verursacht mir Kopfschmerzen. Schlimmer als die von gestern Nacht. Unter stöhnen und ächzen fische ich nach meinem Handy. Kurz nach sechs. Ich hab noch Zeit. Das Logo der Chatapp zeigt mir eine Nachricht meiner Mutter und ich entsperre träge das Display. Heiß und kalt überschüttet es mich. Ich liebe dich, steht dort schwarz auf weiß. Von mir geschrieben und das nicht an meine Mutter. Mit einem Ruck sitze ich Kerzengrade im Bett und starre zitternd auf meine Nachricht, bis sich eine Woge der Erleichterung über mich legt. Ich habe es nicht abgeschickt. Ein tiefes durchatmen, dass mich von meiner Panik augenblicklich löst hinterlässt einen Schauen über meiner Haut. Ich betrachte die Nachricht gefasster. Wie komme ich nur darauf das zu schreiben? Und dann auch noch an ihn. Ich liebe dich. Vorsichtig lösche ich einen Buchstaben nach dem anderen, um nicht aus versehen doch noch auf Senden zu drücken. Das ganze Gerede gestern über Haruno, Shiba und Akira hat mich ganz schön aufgewühlt. Als Susu erfahren hat das ich mich von ihnen fern halten möchte, war er kaum noch zu halten. Doch nach endlicher Diskutiererei hat Susu etwas schlaues gesagt das mich innehalten ließ. „Jetzt rollt der Stein schon, du kannst es nicht ungeschehen machen. Hilf ihnen lieber das es sie nicht überrollt wie dich damals.“ Das ist das letzte was ich will. Übermüdet streiche ich mit einer Hand über mein Gesicht, was die Müdigkeit leider nicht vertreibt. Mein Blick wandet durch das Gästezimmer, doch schließlich wieder auf mein Handy in meiner Hand. Mein Herz hämmert so laut das ich befürchte, dass jeder um mich herum es auch hören könnte. Dieses kribbeln in meinem Bauch... Ist das tatsächlich Liebe?   Ende von Teil 21 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)