Pokémon GX von Norrsken (Generation Next) ================================================================================ Lektion 1: Die Aufnahmeprüfung für den nächsten Pokémon-Meister --------------------------------------------------------------- TEASER - Wundersame Begegnung Die Schulklingel war noch zu hören, da war Jūdai bereits durchs Tor geschossen und hatte das Gelände verlassen. Er war zu spät dran – viel zu spät! Seit seit fast drei Jahren quälte er sich nun durch die Mittelschulzeit für diesen Tag und ausgerechnet die Schulzeit war nun dabei sein Schicksal zu sabotieren. Ausgerechnet an diesem Tag hatte er nachsitzen müssen. Nur weil er zur ersten Stunde etwas zu spät war. Vielleicht auch, weil er in der dritten Stunde seiner Müdigkeit erlegen war. Allerdings wurde ohne seine Stimme zu hören entschieden, dass Unterricht viel zu früh am Tag beginnen sollte. Außerdem war dieses ganze theoretische Wissen fürchterlich reizlos und ermüdend. Wenn Schüler im Unterricht nicht einschlafen sollten, dann musste der Unterricht eben spannender gestaltet sein. Aber vorher würde er sich selbst darum kümmern und dafür musste er sich beeilen, sonst war seine Chance für die Aufnahmeprüfung an der Pokémon Akademie dahin! Zu seinem Glück war ein Bahnhof in der Nähe und die Züge fuhren regelmäßig nach Domino City. Doch bevor er nicht rechtzeitig zur Prüfung da war, würde er sich nicht entspannen können. So quetschte er sich in einen Waggon, machte sich ganz schmal, um wenig Raum einzufordern und stolperte am Bahnhof von Domino City hinaus auf den Bahnsteig. Mit großen Schritten hechtete Jūdai durch die Bahnhofspassage, stolperte den Bürgersteig hoch und bog scharf um die nächste Ecke. Eine Dame trat überraschend in sein Sichtfeld und mit Mühe wich er ihr gerade noch aus, während sie erschrocken ihre Einkäufe umklammerte. »Entschuldigung! Ich hab es eilig! Bitte nicht sauer sein!«, ruft er über seine Schulter zurück. Grob konnte er noch erahnen, dass die Frau ihm empört nachschaut. Es war ja keine Absicht, dass er so spät dran war und sich so beeilen musste. Am liebsten hätte er sich pünktlich auf den Weg gemacht, aber nun hatte er nur die Wahl, Gas zu geben oder die Aufnahmeprüfung sausen zu lassen und das Zweite war für Jūdai keine Option! Für nichts auf der Welt ließ er sich die Chance nehmen, an der Akademie aufgenommen zu werden. Eine rote Ampel bremste ihn. Beim Atmen spürte er ein Brennen in seiner Lunge. Seine Kondition für solch einen langen Sprint war nicht die Beste. Den gesamten Tag die Schulbank zu drücken, war dabei nicht förderlich. Zukünftig wird das alles anders, sprach Jūdai sich gut zu und holte tief Luft. Über die Stadtlandschaft hinweg konnte er sein Ziel – die Stadthalle, in der die Aufnahmeprüfung durchgeführt wurde – bereits erkennen. Um weiter Zeit für sich zu gewinnen, entschied er sich für den direkten Weg durch die Parkanlage statt außen herum zu laufen. Zwar kannte er sich in Domino City nicht so gut aus, aber quer durchs Grüne vermutete er weniger Hindernisse auf seinem Weg. Sobald er aus einer Hecke hervorsprang, wichen ihm die Parkbesuchenden aus und er konnte ungehindert seinen Weg fortsetzen. Mit einem kleinen schlechten Gewissen rief er immerzu neue Entschuldigungen aus. Aus er in seinem Lauf beinahe in einen Kinderwagen krachte, schaffte er es knapp auszuweichen. Sein Blick haftete dabei einen Moment zu lange an dem Gestell, während er sein Gleichgewicht suchte. Ehe er den Blick wieder vor sich gerichtet hatte, stürmte er um die nächste Ecke und rannte in den nächsten Parkgänger hinein. Der unerwartete Aufprall warf Jūdai zurück und brachte ihn ins Straucheln, bis er schließlich über seine Beine stolperte und hinfiel. Unsanft landete er auf dem Hosenboden und unterdrückte zischend einen Schmerzenslaut. »Alles okay bei dir?«, fragte sein Gegenüber, der sich bereits zu ihm herunterbeugte. Da wurde ihm bewusst, in welch unangenehme Lage er hineingeraten war. Hastig wischte er den Dreck an seinen Händen an seiner Hose ab und ignorierte das Brennen aufgeschürfter Haut. Bevor der Fremde ihm helfen konnte, machte er sich daran, alles vom Boden aufzusammeln, was ihm aus seinem Rucksack herausgefallen war. „Tut mir leid“, nuschelte er dem jungen Mann entgegen und lächelte verunsichert. Nachdem er seinen gesamten Tascheninhalt wieder zusammen hatte, stand er auf und schulterte den Rucksack neu. Am liebsten wäre er gleich wieder losgerannt. Die zuvor gewonnene Zeit hatte er sich mit diesem Zusammenstoß erneut verspielt. Allerdings stand der Passant immer noch vor ihm und musterte ihn unverhohlen. »Du bist ein Pokémon-Trainer. Nicht wahr?« Es war zwar eine Frage, doch es klang so, als stünde die Antwort für ihn bereits fest. Jūdai gab trotzdem freudig und voller Stolz Auskunft. »Japp, ich bin gerade auf dem Weg, um mich bei der Akademie einzuschreiben!« Der junge Mann nickte verstehend und lächelte. »Was du nicht sagst.« Eigentlich hatte er es furchtbar eilig, aber je länger sie sich gegenüberstanden, desto stärker beschlich Jūdai das Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben, und das ließ ihm keine Ruhe. Sie waren beinahe auf Augenhöhe, doch die auffällige Punkerfrisur ließ sein Gegenüber größer wirken, als er war. Seine Augen waren freundlich, das Gesicht wirkte jung. Jūdai hätte ihn für jemand gleichaltrigen gehalten, aber sein Gefühl sagte ihm, dass der Typ weit mehr Erfahrung hatte. Langsam keimte in ihm eine Vermutung auf. »Bist du vielleicht…« Noch ganz in seinen Gedanken versunken, entging Jūdai wie der Mann aus seiner Umhängetasche ein Ei hervorholte. Erst als er es ihm direkt unter die Nase hielt, fiel es ihm auf und er starrte perplex auf die Schale. Die Gedanken, die sich zuvor noch versucht hatten zu bilden, waren verloren. »Hier, dieses Pokémon-Ei ist für dich.« Behutsam reichte er es an Jūdai weiter, ohne dessen Meinung abzuwarten. »Irgendwas sagt mir, dass das Kleine zu dir gehört.« Unbeholfen hielt Jūdai das Ei in beiden Händen. »Wow.« Mehr kam ihm nicht über die Lippen. Wie kam er zu dieser Ehre? Ein Pokémon-Ei brauchte viel zuwenden und ein Fremder vertraute ihm so eins einfach an. Und das, nachdem er ihn fast über den Haufen gerannt hatte. Als er aufschaute, um zaghaft bedenken zu äußern, war der Mann bereits an ihm vorbeigegangen und setzte seinen Weg fort. Für ihn war die Angelegenheit geregelt, selbst wenn Jūdai noch zauderte. Hastig wandte er sich um und verbeugte sich respektvoll. Das Ei hielt er fest an seine Brust gedrückt. »Vielen Dank! Du wirst es nicht bereuen!« Der junge Mann hob zum Abschied die Hand und setzte unbeirrt seinen Weg fort. Jūdai stand dort einen Augenblick länger und war weiterhin dabei zu verarbeiten, dass er ein echtes Pokémon-Ei in den Händen hielt. Es war richtig warm und die Schale unerwartet rau. Was daraus wohl mal schlüpfen würde? Mit einem Mal zuckte es in Jūdais Händen hin und her, was ihn aus seinem Tagtraum erwachen ließ. Er musste zur Aufnahmeprüfung! Die Zeit wurde immer knapper. Schnell war das Ei im Rucksack verstaut. Als er sicher war, dass ihm kein Schaden passieren konnte, sah er noch einmal auf die Uhr. Ihm blieben etwa zwei Minuten Zeit, um pünktlich bei der Einschreibung zu erscheinen, aber der Gedanke erdrückte ihn nicht. »Was soll’s. Da ich noch kein Student bin, können sie mich auch nicht für meine Verspätung nachsitzen lassen!« Er schulterte den Rucksack und sprintete mit neugewonnener Energie los aufs Prüfungsgebäude zu. »Aber ich kann nicht der nächste Pokémon-Meister werden, wenn ich zu meinen Kämpfen zu spät komme«, mahnte er sich selbst. An diesem Tag kam er seinem Traum einen bedeutsamen Schritt näher. ◓ Das Treiben in den Arenen verfolgte Professor Chronos De Medici mit wenig Interesse aus der Loge für Lehrkräfte. Sein Blick schweifte träge zwischen den Bildschirmen umher, auf denen die Daten zu den einzelnen Prüfungskämpfen angeschlagen standen. Die plumpen Strategien der Prüflinge waren ermüdend, zeugten von wenig Raffinesse und Kreativität. Nachdem vierzehnten Prüfungsdurchlauf an diesem Tag hatte er alles schon einmal gesehen. Anhand der Rangnummern der Prüflinge aus den Arenen sah er sich darin bestärkt, dass der Akademie nicht fehlen würde, wenn diesen Kindern keine weitere Beachtung geschenkt würde. Es war reine Zeitverschwendung, die Zulassung zur praktischen Prüfung an Personen zu vergeben, die in den schriftlichen Prüfungen einen schlechteren Rang als 100 erzielten. Sollte hatten der Akademie nie zu Ruhm verholfen. Hörbar atmete er aus, um seiner Frustration Ausdruck zu verleihen. Er entschied, dass seine Anwesenheit nicht weiter von Nöten war, um die letzten Kämpfe bis zum Schluss zu verfolgen. Wichtiger war es, dass die Anmeldung pünktlich geschlossen wurde, damit nicht noch mehr Zeit vergeudet wurde. Ohne ein Wort der Verabschiedung verließ er das Kollegium und trat den Weg zur Eingangshalle an. Während er die Flure entlangging, erwog Professor De Medici den Aufwand, ein weiteres Mal an den Rektor der Akademie heranzutreten, um die Aufnahmebedingungen zu verschärfen. Immerhin halt es einem Ruf gerecht zu werden, den sich die Trainerschule aufgebaut hatte und zusätzlich musste sie dem Namen ihres Förderers Seto Kaiba gerecht werden. Sollte die Schule geforderte Erfolge nicht erzielen, konnte es zur Schließung kommen. Das wollte Professor De Medici nicht verantworten, solange er in diesen Hallen lehrte. Er betrat die Eingangshalle, als er sich entschieden hatte, den Rektor nochmals auf diese Dinge hinzuweisen. Beim Personal, das mit der Anmeldung zur praktischen Prüfung betraut war, erblickte er einen Knaben und blinzelte mehrmals. Das sollte doch jetzt nicht etwa noch ein Prüfling sein?! Energischen Schrittes trat er auf den Empfang zu. »Die Anmeldung für die diesjährige Prüfung ist ab sofort geschlossen!«, zischte er dem Herrn mit der Anmeldeliste entgegen. Kaum, dass der Herr und die Damen hinter dem Empfang ihn erkannten, spannten sie augenblicklich die Schultern an. Sein Ruf als strenger, gar herrischer Dekan war an der gesamten Akademie bekannt. Mit seiner Doktorarbeit im Bereich der Techniken in Pokémon-Kämpfen hatte er sich den Respekt verdient und selbst unter den Lehrkräften gab es nur wenige Personen, die ihm offen widersprachen. Der Knabe blickte ihm bloß aus großen Augen entgegen. Die Ahnungslosigkeit, die ihm entgegenschlug, bestätigte all seine Vermutungen. Vor ihm stand ein unbedarfter Prüfling, der versuchte, auf letzte Minute an der Prüfung teilzunehmen. »Keine weiteren Anmeldungen mehr«, wiederholte Professor De Medici entschieden und warf dem Personal einen scharfen Blick zu. Das machte sich sofort daran, alle Unterlagen sorgfältig zusammenzutragen und wegzuräumen. Zufrieden nickte der Professor. Der Knabe vor ihm war allerdings immer noch da und wirkte viel zu entspannt für jemanden, der soeben seine Chance vertan hatte, an den diesjährigen Prüfungen teilzunehmen. Mit einem gewinnenden Lächeln lachte er ihn an. »Na, da habe ich es tatsächlich auf allerletzte Minute geschafft.« Perplex wandte sich der Professor an den Herrn mit der Anmeldeliste. »Was soll das bedeuten?«, forderte er zu wissen. Der Mann brauchte einen Augenblick, um sich von seiner Starre zu lösen, um für Aufklärung zu sorgen. Nervös zupfte er seinen Kragen zurecht und blickte auf die Papiere in seinem Arm. »Kurz bevor Sie hier ankamen und die Anmeldung geschlossen haben, konnte sich der Junge – Yūki Jūdai – vollständig registrieren und ist als letzter Prüfling für den praktischen Teil eingetragen.« Ungläubig starrte Professor De Medici den Mann an. Das konnte doch nicht wahr sein! Wirsch riss er ihm die Unterlagen aus der Hand und warf einen schnellen Blick über alle Angaben zu dem Jungen, während der von den Damen am Empfang alles Weitere zum Ablauf der praktischen Prüfung erklärt bekam. Rang 110! Dieser Knabe hatte eines der schlechtesten Ergebnisse aus dem ersten Teil und erdreistete sich zur Anmeldung für den zweiten Teil auf allerletzte Minute aufzutauchen. Eine Schande! Er war zu spät, um ihn davonzujagen. Nun hieß es, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Wenn er den praktischen Teil nicht bestand, würde er für die Akademie nicht zugelassen. »Gut«, presste der Professor zwischen knirschenden Zähnen hervor, »wenn ich wegen eines weiteren Prüflings sowieso länger bleiben muss, dann werde ich die Prüfung höchstpersönlich abnehmen.« Den neuen Entschluss gefasst, schritt er davon auf den Weg zu den Arenen. Er würde keines der Pokémon, die eigens für die Prüfung ausgewählt wurden, nutzen. Diesen Knaben würde er mit seinen selbst trainierten Pokémon so schnell besiegen, dass er zu Espresso mit Croissant zurück an der Akademie sein würde. AKT I - Die Aufnahmeprüfung der Pokémon Akademie Über die Jahre wurden Pokémon-Trainer zu einem repräsentativen Teil der Gesellschaft. Gemeinsam mit ihren Partnern gingen Trainer den verschiedensten Tätigkeiten nach, doch der Wetteifer um den Titel des besten Trainers der Welt hielt sich am beharrlichsten. Dabei entwickelten sich unterschiedlichste Methoden, um die Qualitäten der Trainer zu bestimmen, die ein Anrecht auf den Titel melden durften. Die Austragung und Teilnahme an Turnieren sowie der Aufbau von Arenen und Ligen expandierte und damit auch die beruflichen Zweige. Um eine entsprechend angemessene Ausbildung wahrzunehmen, entstanden schließlich Schulen für angehende Pokémon-Trainer. Eine von ihnen war die Pokémon Akademie, die vor wenigen Jahren von Seto Kaiba gegründet wurde. In Rekordzeit baute sie einen hoch angesehenen Ruf auf, was dazu führte, dass die Bewerbungen von Jahr zu Jahr anstiegen. Doch die Aufnahme blieb limitiert auf die Besten. Um diese zu ermitteln, hielt die Akademie jedes Jahr Prüfungen ab, die aus einem theoretischen und einem praktischen Teil bestanden. Anhand der Ergebnisse aus dem theoretischen Teil erhielten Prüflinge einen Rang. Für diejenigen mit einem schlechteren Rang als 150 blieb die Teilnahme am praktischen Teil verwehrt. Doch diese Aufnahmebedingungen galten nicht für alle. Ein geringer Anteil der Bewerbenden genoss das Privileg, sich ohne Aufnahmeprüfung an der Pokémon Akademie einschreiben zu dürfen. Diese hatten zuvor über einige Jahre entsprechende Privatschulen besucht und Kurse belegt, um sich für die Aufnahme zu qualifizieren. Jun Manjōme war einer von ihnen. Der einzige Grund für ihn am Prüfungsort zu erscheinen, bestand darin, die Immatrikulation abzuschließen und seine neue Schuluniform abzuholen. Mit seinen Vornoten gehörte er bereits zu den Top 3 Studierenden des neuen Jahrgangs. Nachdem für die Einschreibung an der Akademie alles erledigt war, hätte Jun sich auf den Heimweg begeben können. Stattdessen blieb er und setzte sich in voller Schultracht in die Zuschauerränge. Ihn interessierten die anderen beiden, die seiner Klasse entsprechen sollten. Einen dieser beiden hatte er schnell ausfindig gemacht. Ein blondes Mädchen in seinem Alter, das ebenfalls schon mit ihrer neuen Schuluniform ausgestattet war. Das ließ den einzigen Schluss zu, dass sie ebenso wie er selbst von einer Privatschule mit herausragenden Zensuren an der Akademie aufgenommen wurde. Beim Dritten hingegen sah es anders aus. Wie er herausgefunden hatte, war es ein gewöhnlicher Prüfling, der jedoch beim schriftlichen Teil die volle Punktzahl erreichen konnte und damit Rang 1 belegte. Seine praktische Prüfung erfolgte gerade eben in eine der Arenen und Jun verfolgte den ersten Kampf an diesem Tag mit leichtem Interesse. Das Team, das er sich zusammengestellt hatte, war dem Pokémon des Prüfers unterlegen. Für viele hatte dieses Pech bereits bedeutet, dass sie ihre Zulassung für die Akademie nicht erreichten, da ihre Niederlage in Stein gemeißelt schien. Wie andere schon zuvor startete er mit frontalen Angriffen. Das erste Pokémon verlor und er machte mit dem Zweiten auf die gleiche Weise weiter. Kurz bevor auch das Zweite kampfunfähig war, wechselte der Junge es mit seinem letzten Pokémon im Team - ein Voltobal. Es wirkte gewöhnlich und hatte keinen Typvorteil, doch sein zeitweiliger Trainer entschied sich für die Attacke Finale. Das Pokémon leuchtete auf, bevor es mit großem Knall zersprengte und die Arena in Rauch hüllte. Voltobal war danach kampfunfähig, doch das Pokémon des Prüfers hatte es ebenso erwischt. Jun musste sich eingestehen, dass die Leistung des Jungen seinen Erwartungen entsprach. Diese Kampfweise erforderte Selbstbewusstsein und Kalkulation. Das zweite Pokémon durfte nicht besiegt werden, aber Voltobal durfte auch nicht zu früh sein Finale zünden, sonst würde das gegnerische Pokémon nicht kampfunfähig. Er lehnte sich zurück und rümpfte die Nase. Nachdem er den halben Tag in der Halle verbracht hatte, war dieser Kampf der einzige mit etwas Niveau gewesen. Es war einer Folter gleichgekommen, diesen dilettantischen Anfängern ohne Format zuzusehen. Plumpe gar miserable Techniken wurden zur Schau gestellt und diese Prüflinge bestanden auch noch und würden fortan Studierende an der berühmten Akademie sein. Aber er wollte optimistisch bleiben. Vermutlich schaffte der Großteil nicht einmal das erste Jahr zu überstehen, weil sie sich alles ganz einfach vorstellten. Dabei half er selbst gerne nach, denn ein ganzes Jahr mit diesen Laien gemeinsam unterrichtet zu werden, bereitete ihm Kopfschmerzen. »Wirklich beeindruckend«, lobte das Mädchen, das wie Jun nicht an den Prüfungen teilnehmen brauchte. Er schaute in ihre Richtung und sah sie bei dem Jungen stehen, der gerade seine Prüfung bestanden hatte. »Vielen Dank. Es war eine unerwartete Herausforderung, allerdings wäre es keine gute Prüfung, wenn es den Studierenden zu leicht fiele«, erwiderte der mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen. »Entschuldige bitte die verspätete Frage, aber wie ist dein Name noch gleich?« »Tenjōin - aber Asuka reicht völlig«, antwortete sie bereitwillig und erwiderte das Lächeln. »Gut, okay. Dann nenn mich bitte Daichi.« Mit rollenden Augen wandte Jun sich wieder dem Kampffeld zu. Einige wenige hatten es immer noch nicht geschafft, ihre Prüfung zu bestehen. Allerdings spielte sich am freien Feld, auf dem zuvor Misawa seine Prüfung hatte, etwas Ungewöhnliches ab. Gemäß der Aushänge war sein Kampf der Letzte gewesen, der auf diesem Feld vorgesehen war. Trotzdem fand sich ein Dozent dort ein und bezog Stellung. Das Interessante dabei war, dass der Dozent keiner der bisherigen Prüfenden war. Dort unten stand Dekan De Medici. Für Neulinge ein unbeschriebenes Blatt, aber er hatte sich vorher über die Dozierenden informiert und über ihn gab es eine Menge zu hören. Was dieser berüchtigte Doktor in der Prüfungsarena suchte, versprach aussichtsreich zu werden. ◓ Mit wackeligen Schritten verließ er die Arena und fand schließlich Schutz im Gang, der zu den Vorbereitungsräumen führte. Weil er seinen Beinen nicht so ganz vertrauen wollte, stütze Shō sich mit einer Hand an der Wand ab. Es fehlte ihm noch, dass er einfach so umfiel. Mit einem tiefen Atemzug ordnete er seine Gedanken. Der Kampf war geschafft, die Prüfung vorbei und er hatte sogar bestanden; wenn es auch nicht ganz sein Verdienst war. Das Makuhita, das er sich von der Akademie für die Prüfung geborgt hatte, war im Kampf angetreten und die Zähigkeit des Pokémon hatte entschieden zum Ergebnis beigetragen. Mit einem anderen Partner wäre er womöglich nicht erfolgreich aus der Prüfung gegangen. Die Menge an Zuschauern bei seinem Kampf in der Arena hatte ihn fürchterlich nervös gemacht und damit war er für sein Team keine große Hilfe gewesen. Anweisungen kamen schrecklich verzögert und hatten die Pokémon an seiner Seite viele Treffer einstecken lassen, die er hätte vermeiden können. Shō war zwar kein Ausnahmetalent, aber ohne Lampenfieber hätte er sich besser geschlagen; da war er sich fast sicher. Mit jedem Schritt, den er sich weiter von den Arenen entfernte, desto mehr Ruhe kehrte in ihm ein. Das stolpernde Herzklopfen verebbte und er traute sich wieder ohne zusätzliche Halt zu laufen. Als sich wieder sicher fühlte und seine Schultern sich entspannten, bahnte sich eine Frage zurück in seinen Verstand, die ihm bereits vor den Prüfungen gekommen war, die er aber gekonnt immer wieder zu verdrängen wusste. Wieso war er eigentlich hier? Bevor er sich aber auf diese Frage ernsthaft einlassen konnte, erschrak er aufgrund eines kräftigen Schlags auf den Rücken. Dieser kam so unerwartet, dass es Shō im ersten Moment den Atem verschlug und er kräftig husten musste. »Oh, sorry! Das war wohl etwas zu kräftig«, mutmaßte der Übeltäter und musterte ihn von der Seite. »Alles Okay? Ich wollt‘ dir eigentlich nur zum Sieg gratulieren.« Verwirrt wandte Shō sich zu ihm um. Von allen anwesenden Prüflingen kannte er keinen Einzigen und die Stimme kam ihm auch nicht bekannt vor. Als er sich einem Jungen seines Alters mit brünetten Haaren und einem gewinnenden Lächeln gegenübersah, konnte er sich immer noch nicht erklären, wer das sein sollte. Er hatte ihn noch nie in seinem Leben gesehen. »Äh – danke«, druckste er unbeholfen und musterte sein Gegenüber unschlüssig. »Ich bin Jūdai«, stellte sich der Junge ungefragt vor. »Hab' gerade noch gesehen, wie du deinen Kampf gewonnen hast. Damit hast du bestanden, oder? Glückwunsch!« Shō bemerkte, wie seine Wangen unangenehm warm wurden. Unruhig huschte sein Blick hin und her, ohne einen günstigen Punkt zu finden, auf den er sich fixieren konnte. Wenn der Junge seinen Kampf gesehen hatte, musste er doch wissen, wie schlecht er eigentlich gewesen war. Die Pokémon hatte fast alles alleine gemeistert. Ihnen gebührte das Lob und er hatte bloß Glück gehabt. Für eine Weile standen sich die beiden stumm gegenüber. Schließlich klopfte Jūdai ihm erneut auf die Schultern, aber diesmal etwas behutsamer. Wieder grinste er und ging schließlich an Shō vorbei. »Ich muss jetzt auch noch eben meine Prüfung ablegen. Wir sehen uns sicher bei der Eröffnungszeremonie!«, verabschiedete er sich und lief in die Arena. Verdutzt sah Shō dem Jungen nach. Im Gegensatz zu ihm selbst hatte Jūdai wohl ein gesundes Selbstvertrauen. Zumindest wirkte es auf ihn so, als zweifelte er nicht einen Augenblick an seinem Sieg. Gehörte er womöglich zu den Spitzenreitern wie Daichi Misawa? Wobei ihm sein Name auf der Liste nicht aufgefallen war. Es half nichts. Während er dort stand, würde er zu keiner Antwort finden. Wenn er seiner Neugier zumindest ein wenig Befriedigung verschaffen wollte, dann am besten, indem er sich den Prüfungskampf von der Tribüne aus ansah. All seine Unsicherheit war für den Moment vergessen, als er durch die Flure zu den Tribünenaufgängen eilte. Während er die Treppen emporstieg, erkannte er einige Prüflinge auf den Sitzen, die zuvor mit ihm gemeinsam auf ihren Kampf gewartet hatten. Ihre Blicke lagen richtend auf den letzten Kämpfen und sogleich bildete sich in Shōs Hals wieder ein Kloß. Diese Blicke hatte er bis unten in die Arena gespürt. Schnellen Schrittes ging er weiter die Treppen hinauf. Zwar zählte er zu denen, die bestanden hatten, trotzdem wollte er es nicht riskieren, ein weiteres Mal diesen Blicken ausgesetzt zu sein. Immerhin hatten sie seinen Kampf beobachten können und sicher waren nicht alle so freundlich wie Jūdai. Er suchte sich einen Platz ganz am Rand mit genügend Abstand zum Rest. Einzig vier Reihen von ihm saßen, welche in der Schuluniform der Pokémon Akademie. Sein Herz rutschte abermals in seine Magengrube bei dem Gedanken, dass Studierende vom Campus die Prüfungen verfolgt hatten. Dann war sein Bruder vielleicht auch anwesend und hatte ihm bei seinem Kampf zugesehen. Hoffentlich ist er zu sehr mit lernen beschäftigt, dachte Shō, wagte aber nicht, die Halle nach ihm zu scannen. Stattdessen versuchte er dem Gespräch der Studierenden zu folgen. Augenscheinlich unterhielten sie sich nicht über die Prüflinge und waren ganz aufgekratzt. »Was macht Doktor De Medici dort? Ist er in diesem Jahr auch Prüfer?« »Niemals! Als Dekan hat der doch Besseres zu tun, oder? Der ist doch schon immer schlecht gelaunt, wenn er die schriftlichen Prüfungen mit auswerten muss.« »Aber sieh‘ doch! Da unten in der Arena steht er.« »Seltsam. Ich bin schon seit der ersten Runde hier und er war bis jetzt für keinen einzigen Kampf in den Arenen.« Neugierig versuchte Shō zu erkennen, über welchem Mann in der Arena die Studierenden sprachen. Einen Dekan als Prüfer stellte er sich entsetzlich vor! »Krass! Der scheint echt der Prüfer für den Typen da zu sein!« »Oh Mann. Der kann einem ja leidtun.« Die einzige Arena, in der noch kein Kampf lief, sondern die Kontrahenten gerade einmal Stellung bezogen, war die, in der Jūdai stand. Dann musste sein Gegenüber der Dekan sein, von dem gesprochen wurde. Shō ließ resigniert die Schultern hängen. Das war es dann wohl. Der Erste, der mit ihm ein paar nette Worte gewechselt hatte, würde die Aufnahmeprüfung nicht schaffen. Dabei hatte er sich schon ein wenig an den Gedanken gewöhnt, noch einmal mit ihm zu sprechen. ◓ Kandidat 110: Yūki Jūdai. Bitte finden Sie sich im Arenafeld 03 ein«, tönte es über die Lautsprecher durch die gesamte Halle. Sein Blick huschte über die Wände, um irgendwo einen Hinweis darauf zu finden, dass er in der richtigen Arena stand. Über dem Eingang, durch den er eben das Feld betreten hatte, erkannte er in großen Lettern die Zahlen 03. Damit war das schon einmal geklärt. Während er auf dem Arenafeld in Stellung ging, ließ er den Blick weiter schweifen. Die Sicht auf die anderen Arenen wurde durch Wände verhindert, damit die Prüflinge nicht durch ihre Umgebung abgelenkt wurden. Wenn er über die Wände hinausblickte, konnte er jedoch die Zuschauerränge erkennen, in denen Studierende, Prüflinge und Lehrkräfte saßen und die Kämpfe verfolgten. »Es zeugt von schlechtem Benehmen, die Arena zu betreten, bevor man aufgerufen wird!«, zischte es ihm von der anderen Seite der Arena entgegen. Jūdai wandte sich demjenigen zu, der ihn angesprochen hatte. Es war der Mann, dem er schon in der Eingangshalle begegnet war. So ein Zufall. »Entschuldigen Sie bitte. Ich dachte, lieber zu früh als zu spät«, erwiderte er mit einem Lachen in der Stimme. Von seinem Platz aus konnte er nicht sehen, wie Professor De Medici mit den Zähnen knirschte. Eine solche Antwort zu geben, nachdem er auf den letzten Drücker zur Prüfung erschienen war, glich einer bodenlosen Frechheit. So ein Bengel hatte an der Akademie nichts zu suchen. Er würde das schnell beenden. »Hast du deine drei Pokémon für diesen Kampf ausgewählt?« Bevor Jūdai überstürzt in die Arena aufbrechen konnte, hatte ihn ein Lehrer angehalten und zum Vorbereitungsraum geführt. Die Akademie stellte eine Auswahl an Pokémon zur Verfügung, aus denen sich die Prüflinge ein Team zusammenstellen mussten, mit dem sie ihre Prüfung bestreiten wollten. Als er vor dem Tisch mit den Pokébällen gestanden hatte, war die Auswahl bereits stark reduziert. Er war der Letzte und musste aus den Pokémon wählen, die noch übrig waren. »Japp, das habe ich!« Seine Hand zuckte zu den drei Bällen an seinem Gürtel. Jūdai spürte sein Herz kräftiger gegen seine Brust schlagen. Die Gewissheit darüber ein Team an seiner Seite zu haben, mit dem er einen Kampf bestreiten würde, sickerte langsam in sein Bewusstsein. Bisher war das Leben als Trainer ein Traum gewesen. Nun stand ein wichtiger Schritt bevor, um diesen Traum zur Realität zu machen. AKT II - Chronos De Medici vs. Jūdai Yūki Am Feldrand bezog ein junger Mann Stellung und positionierte sich mit gleichem Abstand zu beiden Kontrahenten. Abwechselnd blickte er in ihre Richtung und verkündete laut und deutlich die Regeln für den bevorstehenden Prüfungskrampf: »Der Prüfling darf drei Pokémon im Kampf einsetzen. Außerdem ist es ihm erlaubt, während des Kampfes seine Pokémon auszuwechseln. Der Prüfer tritt mit einem einzelnen Pokémon an. Die Prüfung gilt als bestanden, wenn das Pokémon des Prüfers kampfunfähig ist.« Verdrossen nickte Professor De Medici die Regeln ab. Er hatte sie an diesem Tag bereits mehrfach zur Kenntnis nehmen dürfen. Es musste nicht noch mehr seiner Zeit verschwendet werden als ohnehin schon. Doch um gewisse grundlegende Formen zu wahren, wandte er sich schließlich an den Knaben. »Gut, gut. Ich bin Doktor De Medici, Dekan der Fakultät für Techniken und heute dein Prüfer.« Über seine Brust war ein Gut gespannt, an dem sechs Pokébälle befestigt waren. Seine Finger schwebten über die transparenten Kuppeln, durch die er einen guten Blick auf seine persönlichen Lieblinge hatte. Wir werden diese Farce schnell beenden, entschied er und griff nach reiflicher Überlegung nach einem der Bälle. Mit einem eleganten Schwung warf er ihn in die Arena. »Hier ist mein Pokémon – Forstellka!« Der gelbblaue Pokéball sprang auf und aus ihm heraus trat ein heller Lichtstrahl. Darauf formte sich ein rundliches Pokémon mit einer metallischen Schale. Aus einem Spalt, der um den gesamten Körper ging, traten rote Stacheln und ein großes Paar Augen hervor, die wachsam auf Jūdai gerichtet waren. Jūdai starrte wie gebannt auf das vor ihm erschienene Wesen und fühlte wie ein Kribbeln seine Wirbelsäule hinaus bis zur Kopfhaut stieg. Vor ihm auf der anderen Seite der Arena stand ein Dekan der Akademie, um ihn zu prüfen, und er setzte ein Forstellka ein. »So cool!«, jauchzte er begeistert. »Ich hab noch nie so eins in echt gesehen! Gibt es die auf der Akademie?« Die Begeisterung des Jungen rang dem Professor nur ein müdes Lächeln ab. »Dieses Forstellka war noch ein Tannza, als ich es gefangen habe. Nur durch kontinuierliches Training wurde es stärker und hat sich schließlich entwickelt«, informierte er ihn. Die Aufzucht von Pokémon erforderte reichlich Erfahrung und ein gewisses Können. Er bezweifelte, dass ein solch undisziplinierter Knabe dazu in der Lage sein würde. Bedächtig nickte Jūdai auf die Worte. »Ich fühle mich wirklich geehrt, dass ein Dekan mit seinem selbsttrainierten Pokémon mein Prüfer ist.« Ein breites Grinsen malte sich in sein Gesicht. »Ich werde mir Mühe geben, Ihre Erwartungen in mich nicht zu enttäuschen!« Er lachte verlegen, um seine Aufregung zu überspielen. Professor De Medici sah ihn mit ausdruckslosem Gesicht an. Dieses maßlose Selbstvertrauen machte ihn sprachlos. Zu seinem Leidwesen konnte er bereits ein leichtes Pochen an seiner Schläge fühlen. Dieser Knabe lebte fernab von jedweder Realität und er musste sich damit herumschlagen. »Wähle dein erstes Pokémon, damit wir beginnen können!«, wies er mit barschem Ton an. Das Grinsen auf Jūdais Lippen zog stärker an seinen Mundwinkeln. Inzwischen hatte sich das Kribbeln auf seinen ganzen Körper ausgebreitet. Er griff nach dem ersten Pokéball an seinem Gurt – Mann, war das aufregend! – und warf ihn in die Luft. »Los, Rattfratz!« Aus dem roten Ball trat ein Licht hervor, das sich schnell in einer Form manifestierte und ein rattenähnliches Pokémon mit violettem Fell positionierte sich vor Jūdai. Seine rotleuchtenden Pupillen waren auf den etwa viermalgrößeren Gegner gerichtet, während es angriffslustig mit seinen Schneidezähnen klickte. Professor De Medici hatte Mühe damit seine Fassung zu wahren. Dieses schwächliche Pokémon konnte er nicht als Bedrohung ansehen, geschweige denn als Herausforderung. Sein Mundwinkel zuckte. »Ach ja, so eines ist mir am Wegesrand einmal über den Weg gelaufen. Ich hielt es jedoch nicht für sinnvoll, es zu fangen, weil zu einer so schwächlichen Art gehört«, belächelte er Wahl. War bis eben noch ein strahlendes Grinsen der Vorfreude auf Jūdais Lippen, verschwand dieses mit einem Mal und wurde zu einer schmalen Linie. Zwar handelte es sich bei dem Rattfratz um eine Leihgabe der Akademie und nicht um ein von ihm eigens gefangenes Pokémon, doch es war sein Teamkamerad. Diese Geringschätzung nahm er persönlich. »Hey, Sie haben es doch noch gar nicht in Aktion erlebt! Beurteilen Sie es nicht bloß anhand seiner Größe!« Auf diese Reaktion schnalzte Professor De Medici bloß mit der Zunge. Es bewies ihm ein weiteres Mal, wie wenig Erfahrungswert der Knabe haben musste. Solch ein Student würde für die Akademie keinen Verlust darstellen. »Jugendliche Leidenschaft wird dir keinen Sieg bringen, mein Junge«, belehrte er ihn und war bereit, ihm die Bedeutung dieser Worte zu demonstrieren. »Los, Forstellka. Setze Walzer ein.« Auf die Anweisung seines Trainers hin begann es damit, sich um seine eigene Achse zu drehen. Mit jeder Rotation erhöhte sich das Tempo, bis es schließlich ausreichend Geschwindigkeit entwickelt hatte. Es beendete seinen Schwebezustand und schoss in weiten Kreisen über den Arenaboden. Der Boden bebte unter der Wucht der Drehung und sowohl Jūdai als auch dem kleine Rattfratz wackelten die Knie. Mit zuckenden Ohren warf der Nager einen zaghaften Blick zurück zu dem Jungen, der es zuversichtlich angrinste. Mit neugeschöpfter Tapferkeit machte es einen Satz nach vorne bereit für die erste Anweisung seines Trainers. Nach einer weiten schwungvollen Kurve änderte Forstellka seinen Kurs und steuerte direkt auf seinen Gegner zu. Bevor Jūdai zu seiner ersten Anweisung kam, beschleunigte sich die Walz-Attacke und die Pokémon kollidierten mit enormer Wucht. Dass Rattfratz nicht vollkommen überrollt wurde, lag an seinen schnellen Reflexen, wodurch es einen Sprung zur Seite versucht hatte. Dabei war es leider einen Augenaufschlag zu spät, um der wuchtigen Attacke gänzlich zu entgehen. Mit einem zufriedenen Glucksen quittierte Professor De Medici, wie das gegnerische Pokémon sich wackelig auf die Beine zog. Es war gerade einmal zahm, aber nur wenig trainiert, damit es problemlos für Prüflinge zu führen war und daher trug es bereits von dem einen Treffer einen beträchtlichen Schaden davon. Wie zu erwarten, ist der Abstand zwischen einem ausgezeichnet trainierten Exemplar und solchen unüberwindbar. Wenn dann noch so ein Bengel vom Land, der beim Anblick einer einfachen Attacke völlig aus dem Konzept gerät, die Anweisungen geben soll, wird der Kampf in wenigen Augenblicken vorbei sein, schätzte er die Lage zu seinen Gunsten. »Alles okay, Kleiner? Du kannst noch, nicht wahr?«, erkundigte sich Jūdai bei Rattfratz und hockte sich leicht, um seine Verfassung einzuschätzen. Es klackte wieder mit seinen Zähnen und blickte energisch zu ihm auf. Die aufkeimende Unsicherheit verflog sogleich. Wenn das kleine Pokémon nicht aufgab, musste er ebenso zuversichtlich bleiben. »Gut, dann starten wir mit unserem Gegenangriff.« Entschlossen nickte er ihm zu und richtete sich auf. »Machen Sie sich bereit, Dekan!«, kündigte er sein Vorhaben an. Sein Pokémon begab sich in Kampfstellung und beobachtete den herumrollenden Gegner. »Ruckzuckhieb, Rattfratz!«, befahl er. Rattfratz lief, ohne einen bestimmten Punkt festzuhalten los. Es gewann an Tempo hinzu, schlug haken, um seinen Angriffswinkel zu verschleiern, und als es sein Limit erreichte, steuerte es die Kollision mit Forstellka an. In voller Geschwindigkeit rammte es mit seinem ganzen Körper gegen das drehende Pokémon, doch entgegen der Erwartung seines Trainers geriet der Gegner nicht einmal ins Schlingern – im Gegenteil. Die Wucht, mit der sich sein Partner in den Angriff gesprungen war, schleuderte auf Rattfratz zurück und warf es zu Boden, dass Staub aufgewirbelt wurde. »Was? Nein!«, entwich es Jūdai entsetzt. ◓ Das sieht nach einem ungleichen Kampf aus.« Zwischen Asukas Augenbrauen zeichneten sich leichte Falten ab. Sie beobachtete, wie Rattfratz sich bemühte, wieder auf die Beine zu kommen. »Allerdings«, stimmte Daichi ihr zu, während er versuchte abzuschätzen wie weit die beiden Pokémon erfahrungs- und kräftetechnisch auseinanderlagen. Aus seinem eigenen Kampf wusste er, dass die Lehrkräfte Pokémon mit einem höheren Level einsetzten. Es stellte einen Bestandteil der Prüfung dar, sich mithilfe einer Taktik gegen einen stärkeren Gegner zu behaupten. Allerdings war er sich sicher, dass das Forstellka aus dem laufenden Kampf erheblich viel stärker war als die anderen Pokémon der Prüfung. »Mit der Attacke Walzer gibt sich der Prüfer auch keine Blöße.« »Er scheint es darauf anzulegen, den Jungen durchfallen zu lassen«, mutmaßte Asuka. »Walzer wird kontinuierlich stärker, je länger die Attacke andauert. Wie soll er da eine Chance haben?« Diese Strategie hatte für Asuka einen faden Beigeschmack und wollte nicht in ihr Bild einer Aufnahmeprüfung passen. »Wenn er weiterhin nur frontal angreift, wird er auf jeden Fall verlieren. Er muss sich was Besseres einfallen lassen.« Ihre Unterhaltung wird von einem demonstrativ lauten Schnauben kommentiert. Als sie sich zum Urheber umwandten, sahen sie zu Jun, der zwei Reihen hinter ihnen saß. Nach hinten gelehnt und mit verschränkten Armen verfolgte er den Kampf, ohne zu interessiert wirken zu wollen. »Mit Rang 110 wird er kaum genug Wissen haben, um eine passende Strategie zu entwickeln.« Dass der Kampf überhaupt noch lief, lag nur an der Agilität des Rattfratz‘ und seiner Reflexe. »Schulnoten sagen nicht sonderlich viel über Kampfgeschick aus. Sonst wäre dieser praktische Prüfungsteil überflüssig«, entgegnete Asuka und wandte sich wieder dem Kampf zu. Immerhin hatte der Junge noch zwei kampffähige Pokémon, um die Situation zu seinen Gunsten zu drehen. Insgeheim wünschte sie es ihm und das er damit alle Anwesenden überraschen würde. Versteckt aus einem der hinteren Reihen hatte Shō der Konversation der drei Studierenden gelauscht und sank noch weiter auf seinem Sitz zusammen. Er brauchte kein Genie sein, um die unverhältnismäßige Stärke dieses Forstellkas festzustellen. Mit diesem Gegner wäre er selbst in wenigen Sekunden durch die Prüfung gefallen. Diesen Kampf bestritt jedoch Jūdai und seine Zulassung für die Akademie hing davon ab. Gerne hätte er ihm Tipps zugerufen, aber ihm fiel selbst nichts ein, was Jūdai in dieser Situation am besten machen könnte, um einen Sieg davonzutragen. Hinzukam, dass er im theoretischen Teil nur Rang 110 belegt hatte. Nachdem Jūdai so selbstbewusst aufgetreten war, hatte Shō etwas anderes erwartet. Das waren gerade einmal 9 Ränge über seinem eigenen und nur 40 Ränge über der Zulassungsgrenze. Das schafft er nie, seufzte Shō innerlich. ◓ Rattfratz gab alles. Es bemühte sich der unaufhaltsamen Walze auszuweichen und anzugreifen, wie Jūdai anwies. Einige Treffer konnte es parieren, doch seine eigene Schlagkraft war zu schwach. Egal welche Attacke sie versuchten, es blieb fruchtlos. Nach einem weiteren wuchtigen Treffer von Forstellka ging Rattfratz erneut zu Boden und fand dieses Mal keine Energie mehr, um wieder auf die Beinchen zu kommen. Langsam realisierte Jūdai, dass dieser Kampf vorbei war. »Rattfratz kann nicht mehr weiterkämpfen. Forstellka hat gewonnen!«, verkündete der Kampfrichter deutlich. Jūdai nahm den Pokéball hervor und aktivierte ihn. In einem roten Lichtblitz verschwand das Pokémon in das Innere des Balls. Er zog den Ball nah an sich heran und sah durch die transparente Halbkugel auf das erschöpfte Wesen. »Vielen Dank. Du hast wirklich klasse gekämpft«, murmelte er. Dabei war er nicht sicher, ob das Pokémon ihn hören konnte. Professor De Medici sah dem weiteren Kampfverlauf gelassen entgegen. Der Knabe würde kein Pokémon in seiner Auswahl haben, das nur ansatzweise eine Bedrohung für Forstellka sein könnte. Das war allen anderen Anwesenden sicher ebenso klar wie ihm. Zu Schade, dass ein Match nicht aus Mitleid frühzeitig beendet werden kann, dachte er mit einem höhnischen Lächeln auf den Lippen. Jūdai wechselte den Pokéball mit einem anderen an seinem Gürtel. Für Rattfratz war dieser Kampf vorbei und es hatte sich seine Pause verdient, aber er musste weiter machen. Es war Zeit für sein zweites Pokémon und damit für seine zweite Chance, gegen den Prüfer zu bestehen. Noch war es nicht vorbei für ihn. Er warf den Ball. »Los, du bist dran, Corasonn!« Das weiße Licht manifestierte sich in einem Wesen mit rosafarbener Schale und Verästelungen, die an Korallen erinnerten. Es stand auf kurzen Beinchen und wirkte insgesamt sehr unbeweglich, doch räumte umgehend mit diesem Irrglauben auf, indem es quirlig auf und ab hüpfte. Der erste Kampf hatte Jūdai den Kräfteunterschied zwischen den Leih-Pokémon und dem des Dekans vorgeführt. Außerdem kannte er inzwischen die Strategie seines Gegners. Er musste sich also dringend etwas Besseres überlegen, als frontal anzugreifen, da es Corasonn ansonsten schnell so ergehen würde wie Rattfratz zuvor. AKT III – Wer hoch steigt, fällt tief Jūdai atmete tief ein, zählte bis drei und atmete langsam wieder aus. Sein beschleunigter Herzschlag wurde einen Takt langsamer und die Anspannung in seinen Schultern lockerte sich. Für den Moment musste er die Niederlage von Rattfratz hinter sich lassen. Es galt den Blick nach vorne auf den bevorstehenden Kampf zu richten. Corasonn wippte auf seinen Stümpfen vor und zurück, als wiege es sich im Schlaf. Jūdai schmunzelte bei dem Anblick. Am besten nahm er sich ein Beispiel an seinem Pokémon und behielt einen kühlen Kopf. »Okay, Corasonn. Entscheiden wir diesen Kampf für uns!« Mit zwitscherten Singsang hüpfte es aufgeweckt auf der Stelle und zeigte so seine Bereitschaft für den Kampf. »Bist du bereit für seine nächste Lektion?«, stichelte Professor De Medici. Er war sich seines zweiten Sieges schon sicher. »Aber klar doch! Ich kann mich nicht erinnern, wann lernen jemals so viel Spaß gemacht hat!«, lachte Jūdai. Damit war es ihm durchaus ernst, denn immerhin befand er sich in diesem Moment am Anfang seines Traumes. Doch der lodernde Kampfgeist liest den Professor langsam ermüden. Zwar waren die Pokémon des Knaben keine sonderlich starken Exemplare, doch dafür wiesen sie ein ähnlich einfältiges Gemüt wie ihr Trainer auf. Damit gewann sich jedoch kein Kampf. »Gut, beginnen wir mit der zweiten Runde. Forstellka, setze Walzer ein!«, wies er sein Pokémon an. Mit Schwung kam es wieder in Rotation und gewann schneller als zuvor die gewünschte Geschwindigkeit. Es drehte mehrere Bahnen um das Feld. Corasonn versuchte ihm mit den Augen zu folgen, ließ es aber schlussendlich bleiben, als ihm davon schwindelig wurde. »Du darfst dich nicht von ihm treffen lassen!«, erklärte Jūdai seinem Pokémon, auch wenn ihm das sicher bewusst war. Als er die Situation genauer betrachtete, fiel ihm auf, dass Corasonn die Agilität von Rattfratz fehlte. Sobald Forstellka auf Kollisionskurs ging, würde sein Partner mit den Stummelbeinen nicht schnell genug von der Stelle kommen. Ihm musste schnell eine andere Lösung einfallen, womit Corasonn diesen Nachteil ausgleichen konnte. »Los, Forstellka. Angriff!«, befahl der Dekan und das Pokémon folgte der Anweisung. Es folgte eine letzte Kurve, bevor es den Winkel änderte und somit Kurs auf seinen Gegner nahm. Ein spöttelndes Grinsen zog an den Mundwinkeln von Professor De Medici. Der Panzer seines Pokémon würde diese rosa Koralle alsbald aufbrechen. »Mach dir nichts draus, Junge. Das hier ist die beste Pokémon Akademie des Landes. Nicht jeder kann es hierher schaffen.« »Das mag sein, aber ich werde es auf jeden Fall schaffen! Ich will unbedingt auf diese Schule!«, entgegnete Jūdai mit all seinem Selbstvertrauen. »Corasonn! Setz Härtner ein, schnell!« Rechtzeitig vor der Kollision begann das Pokémon seine Haut zu härten. Zwar fehlte ihm die Agilität, um den Attacken auszuweichen, doch es hatte dafür eine starke Verteidigung. Als der Aufprall passierte, wurde Corasonn zurückgestoßen, konnte sich aber auf den Beinen halten. Es hüpfte so unbeschwert wie vor dem Angriff, als habe es nichts davon gespürt. Professor De Medicis Lippen verzogen sich zu einer schmalen Linie. »Dio, che fastidio.« ◓ Unbeabsichtigt verzogen sich Asukas Lippen zu einem Lächeln. Wie das Corasonn munter herumsprang und der Professor fassungslos zusah, war urkomisch anzusehen. »Da kam ihm zur rechten Zeit die richtige Idee.« »Damit konnte er zumindest den Schaden von Walzer dämpfen«, pflichtete Daichi ihr bei. Allerdings würde sich der Kampf so nur verlängern, aber das Ergebnis bliebe das gleiche. »Für den Sieg muss er sich noch etwas Besseres einfallen lassen.« Asuka ließ ihren Blick von dem Pokémon zu seinem Trainer wandern. Sie waren von der Arena zwar ein gutes Stück entfernt, trotzdem meinte sie zu erkennen, wie er grinste und allgemein strahlte er. Jedenfalls kam es ihr so vor und es weckte in ihr die Erwartung, dass er diese Prüfung für sich entscheiden würde. »Ich denke, wir können auf die ein oder andere Überraschung gespannt bleiben.« In allen Fällen war es einer der interessantesten Prüfungskämpfe an diesem Tag. Einen ganz ähnlichen Gedanken teilte Shō. Mit großen Augen betrachtete er Jūdai mit sein Pokémon und unabhängig davon, wie wahrscheinlich der Sieg für ihn war, so wünschte er es ihm. Sie Begeisterung, die aus der Arena strahlte, steckte ihn und andere auf der Tribüne an. Am liebsten hätte er ihn angefeuert. Allerdings waren sie nicht wirklich bekannt und am Ende würde es Jūdai ablenken und verwirren. So blieb er stumm, aber drückte beide Daumen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass es an der Akademie viel lustiger sein würde, wenn Jūdai seine Aufnahmeprüfung bestand. ◓ Als Corasonn nach dem Angriff wieder zu hüpfen anfing, konnte Jūdai nicht anders als freudig aufzulachen. »Für ein Anfänger-Team, sind wir doch gar nicht so schlecht. Was meinen Sie, Professor?« Als wolle sein Pokémon ihm beipflichten, sprang es noch einmal besonders enthusiastisch auf und ab. Nur mit einem Zähneknirschen ertrug der Professor die Schmach. Einen direkten Treffer zu überstehen verdankte diese rosa Kugel seiner Zähigkeit, die der Knabe mit Härtner zusätzlich gesteigert hatte. Wenn er sich über diesen kleinen Erfolg freuen wollte, sollte er nur. »Zugegeben, das war nicht ganz schlecht. Aber um zu gewinnen, wirst du mein Forstellka besiegen müssen und das wird nicht passieren!« Forstellka rollte wieder auf Corasonn zu, das seine Haut ein weiteres Mal härtete. Zwar wurde Walzer stärker, je länger das Pokémon rotierte, doch mit der erhöhten Verteidigung konnte Jūdais Pokémon weiterhin standhalten. Darauf durfte er sich nur nicht ausruhen. Um das Blatt zu wenden, brauchte er einen Plan. Wenn ich es nicht stoppen kann, vielleicht kann ich es dazu zwingen, langsamer zu werden, überlegte er, während er dem herumrollenden Pokémon mit den Augen folgte und schließlich zu seinen eigenen Füßen sah. Das Stadion war aus Stein und Metall zusammengebaut, doch der Bau hörte an den Zugängen zur Arena auf. Dort wurde der Boden bloß geebnet und Linien gezogen. Testweise scharrte er mit der Schuhspitze im Boden. Sie standen auf Erde und in Jūdai keimte eine Idee auf. »Corasonn!« Auch wenn es sich nicht zu ihm umwandte, hatte er seine Aufmerksamkeit, sobald er es rief. »Setz Aquaknarre ein – so stark wie du kannst!« »Das wird nichts bringen«, prophezeite Professor De Medici. Als würde sein Forstellka vor ein wenig Wasser zurückschrecken. Es würde am Panzer einfach abprallen und gar nichts bewirken. Jūdai ließ sich nicht beirren und führte seine Anweisung weiter aus. »Ziele dabei auf den Boden, sodass richtige Gräben entstehen.« Corasonn wippte nach vorn, als wollte es ihm zunicken. Sein Körper spannte sich an und mit gewaltigem Druck schoss Wasser in Form eines Strahls aus seinem Maul. Überall, wo der Wasserstrahl den Boden berührte, riss die Erde auf und verformte sich. Es entstanden Furchen und Hügel überall in der Arena. Professor De Medici beobachtete das Spektakel mit einer hochgezogenen Augenbraue. Die Idee dahinter war ganz nett, hatte aber einen Schwachpunkt. »Während ihr den Boden bewässert, seid ihr meiner Attacke ausgeliefert.« In rasender Geschwindigkeit steuerte Forstellka wieder auf Corasonn zu und landete einen Volltreffer. Seine hohe Verteidigung hielt noch einem weiteren Angriff stand, aber statt sich selbst zu schützen, konzentrierte es weiter den Wasserstrahl auf den Boden. Inzwischen hatte die Arena Ähnlichkeit mit einem Ackerfeld. »Beende es jetzt!«, wies Professor De Medici an und sein Pokémon rammte Corasonn. Von der Wucht des Angriffs wurde es zurückgeschleudert und aus der Arena gekegelt. Die rosafarbene Haut war übersät mit Schrammen und Dreck. Mühsam versuchte es sich noch mal auf die Beine zu ziehen, brach jedoch erschöpft zusammen. Der Kampfrichter beobachtete dies zusammen mit Jūdai und verkündete das Ergebnis dieser Runde. »Corasonn kann nicht mehr weiterkämpfen. Forstellka hat gewonnen!« Jūdai hatte den Pokéball bereits zur Hand und rief seinen geschwächten Partner zurück. Sein Blick schweifte über die Arena hinweg, die mit all den Gräben wie ein Schlachtfeld aussah. Auch wenn er das zweite Mal verloren hatte, konnte er nicht anders als zu lächeln. »Du hast das großartig gemacht. Vielen Dank, Corasonn.« Er steckte den Ball zurück an seinen Gürtel und griff zum Nächsten - zum Letzten. Als sich seine Hand um den Pokéball schloss, war dieser unerwartet warm. Irritiert sah er auf das Innere und blickte einem Paar Knopfaugen entgegen, die vor Entschlossenheit loderten. »Du willst nicht mehr warten, stimmt's?« Ohne eine Antwort zu erwarten, warf Jūdai den Ball in die Arena. »Los, holen wir uns den Sieg, Flemmli!« Aus weißem Licht heraus erschien ein Pokémon mit hellorangenem Federkleid. Es stand auf zwei Beinen und trug auf dem Kopf einen gelbleuchtenden Federschmuck. Es maß keinen halben Meter, doch plusterte sich auf und scharrte mit den Krallen, um seine Bereitschaft für den Kampf zu signalisieren. Sein Bürzel zuckte leicht vor Anspannung. So sehr sich das Pokémon auch bemühte, bedrohlich zu wirken, war Professor De Medici es langsam müde. Bis auf wenig Dreck aufzuwühlen, hatte er mit diesen drittklassigen Exemplaren nichts erreicht, außer seine kostbare Zeit zu vergeuden. »Nun gut, ich möchte zwar nicht drängen, aber ich habe noch eine ganze Menge zu tun. Bringen wir es zu Ende.« Es brauchte keine Anweisung für Forstellka, damit es sich mit der Walzer-Attacke auf den Gegner zubewegte. »Schnell, weich aus!«, rief Jūdai und Flemmli hüpfte flink zur Seite. Inzwischen hatte er das Timing seines Gegners raus und sein dritter Partner reagierte schnell. »Mit bloßem Ausweichen wirst du mein Pokémon nicht besiegen«, informierte Professor De Medici unnötigerweise, als wäre das noch nicht offensichtlich genug. »Du zögerst die Niederlage für dich bloß hinaus!« »Dann schauen Sie mal gut zu!« Nachdem Flemmli dem nächsten Treffer entronnen war, fand es in einer seitlichen Position zu Forstellka neuen Stand. »Ruckzuckhieb!« Wie schon bei Rattfratz fügte der Angriff nur geringen Schaden zu, doch der Winkel, in dem die Attacke traf, brachte ihren Gegner zum Schlingern. »Che fai-?!« Forstellka driftete in einen Graben und verlor die Kontrolle über seine Strecke. Trotzdessen blieb es auf Tempo und noch bevor es seine Bewegung wieder im Griff hatte, landete es im nächsten Graben. »Großartig!«, jubelte Jūdai und lachte. Es hatte bloß eine vage Idee davon gehabt, wie dieser Plan funktionierte und war begeistert, wie gut es am Ende funktionierte. Flemmli wich dem durchdrehenden Forstellka weiter aus und nutzte jede Chance für einen weiteren Ruckzuckhieb, um die Balance weiter zu verhindern. Die Wucht von Walzer ging dabei nicht spurlos an ihm vorbei. Zuletzt war es immer noch um einiges kleiner und schwächer und die Attacke des Gegners sehr mächtig. Bevor es zu sehr geschwächt war, musste Jūdai den finalen Angriff schaffen, sonst wäre sein Traum vom Pokémon-Meistertitel vorbei. Er brauchte bloß eine Gelegenheit. Mit dem nächsten Ruckzuckhieb wurde Flemmli von Walzer zurückgestoßen, kullerte über den Arenaboden und kam auf dem Bauch zum Liegen. Jūdai setzte zu einem Schritt nach vorne an, doch besann sich noch einmal. Wenn er zu seinem Pokémon hineilte, wäre der Kampf vorbei und damit seine Chance auf den Sieg verstrichen. Gleichzeitig konnte er nicht von diesem kleinen Wesen erwarten, dass es sich für ihn bis aufs Letzte abmühte, nur damit er an eine Schule gehen durfte. Ein energisches Fiepen riss ihn aus seinem Zwiespalt. Während er mit sich rang, hatte Flemmli sich auf seine dünnen Beine gezogen und plusterte sein Gefieder, als könnte es den Schaden einfach von sich abschütteln. Noch mal fiepte es und kratzte mit seinen Krallen die Erde auf. Es war nicht bereit, diesen Kampf aufzugeben. Ein Kloß bildete sich in Jūdai Hals und er musste kräftig Schlucken, um ihn herunterzuwürgen. »Alles klar, Flemmli! Wir kämpfen bis zum Schluss – zusammen!« Wie zur Bestätigung fiepte es ein weiteres Mal und ging in Bereitschaft für den nächsten Angriff. Sein Körper war angespannt und die orangenen Federn begannen zu glimmen wie eine wachsende Glut im Zunder bis es als Leuchten seinen ganzen Körper einhüllte. ◓ Das Glühen war bis zu den Zuschauerrängen erkennbar und weckte Daichis Interesse. Er lehnte sich gegen das Geländer der Tribüne, als könnte er so genauer erkennen, was mit Flemmli passierte. »Ist es das, was ich denke?« Asuka hatte es ebenfalls bemerkt. »Es sieht danach aus, dass es seine Fähigkeit aktiviert.« »Und wenn schon«, murrte Jun unbeeindruckt. Das Pokémon war schwach. Seine Fähigkeit würde daran nicht viel ändern. Hinter ihnen machte sich ein kaum vernehmbares Drucksen bemerkbar und erreichte die Aufmerksamkeit der Studierenden. Daichi und Asuka wollten die Quelle identifizieren und sahen zu Shō. Sein Gesicht war durchsetzt mit einer fleckigen Röte. »W-… was bewirkt die Fähigkeit von Flemmli?« Als angehender Student der Akademie sollte er das vermutlich wissen, doch es fiel ihm nichts dazu sein. Da die drei vor ihm in den Rängen dazu jeder eine eigene Meinung hatten, wollte er es aber doch gerne wissen. Seine Neugier siegte über sein Schamgefühl. Asuka betrachtete Shō für einen Moment, bevor sie sich wieder dem Kampf zuwandte. »Es sieht für mich wie die Fähigkeit Großbrand aus.« Ohne das Pokémon genau zu kennen, war es nur eine Vermutung. Allerdings war der aktuelle Stand der Forschung, dass bei Flemmlis nur zwei mögliche Fähigkeiten auftraten und Großbrand war die Übliche. »Mit dieser Fähigkeit werden alle Attacken vom Typ Feuer im Angriff verstärkt.« Daichi nickte zustimmend. »Da Flemmli ein Pokémon vom Typ Feuer ist, werden Attacken dieses Typs ohnehin um 50% verstärkt. Durch diese Fähigkeit kommt eine Verstärkung von 50% obendrauf.« Sein Blick schweifte zu Forstellka. »Zudem ist sein Gegner anfällig für den Typ Feuer. Sogar mit einer doppelten Schwäche.« Bei den ganzen Zahlen schwirrte Shō schnell der Kopf und er brauchte einen Augenblick, um die Informationen zu verarbeiten. »Bedeutet das etwa…?« »Einen nicht zu verachtenden Vorteil«, fasste Daichi es knapp zusammen. »Das ändert nichts daran, dass dieses Flemmli unterirdisch schwach ist. Da kann es so viele Vorteile haben, wie es will. Es wird keine Attacke drauf haben, die ein entwickeltes Pokémon besiegt«, warf Jun ein. Sie konnten mit theoretischen Zahlen um sich werfen, wie sie wollten. Das änderte nichts an brutalen Tatsachen. »Wenn der Kampf gerade erst begonnen hätte, mag das stimmen«, lenkte Asuka ein. Ihr Blick blieb auf das Spielfeld gerichtet. Ab diesem Zeitpunkt wollte sie keinen Moment dieses Kampfes verpassen. »Allerdings ist es für Forstellka bereits die dritte Runde«, fügte sie ihrer Aussage noch hinzu. ◓ Professor De Medici traute seinen Augen nicht. Keine Anweisung half, dass sein Pokémon wieder auf Spur kam. Trotz seiner Stärke bewegte es sich wie ein Spielball über das Feld und die Richtung entschied dieses winzige Küken. In ihm breitete sich das Gefühl des Kontrollverlustes aus. Dieser Kampf entwickelte sich zu einem wahrgewordenen Albtraum. Doch ein Erwachen kam in Sicht. So sehr sich Flemmli auch anstrengen mochte, war es mit seinen Kräften beinahe am Ende. Er wird verlieren. Das war ganz eindeutig. Wieso wollte der Knabe es nicht verstehen. Sein Sieg würde vielleicht nicht so prachtvoll, wie er es sich vorgestellt hatte, aber er stand ganz eindeutig fest. »Egal, was du machst. Ein direkter Treffer und dieser Kampf ist vorbei!« »Dann lassen wir uns eben nicht direkt von Ihnen treffen«, entgegnete Jūdai. Es war alles ganz leicht. Der Kurs von Forstellka war klar. Diesmal sprang Flemmli nicht von der Seite auf seinen Gegner zu, sondern versteckte sich in einen der Gräben. Als Forstellka in den Graben hinein rollte, konnte sich Flemmli direkt unter ihm platzieren. Auf diese Situation gefasst, stemmte es sich mit all seiner Kraft gegen das gegnerische Pokémon und schleuderte es auf diese Weise in die Luft. »Madonna!« Forstellka verlor in der Luft an Schwung und kam schließlich fast zum Stehen. Mehrfach blinzelnd sah es hinunter zur Arena, während es tatenlos in der Luft schwebte. Dort stand Flemmli mit flammendem Gefieder. Es spannte jeden Muskel seines Körpers. In seinem Flammensack steigerte sich die Hitze und Feuer sammelte sich in seinem Schnabel an. »Jetzt gilt’s! Feuere mit Glut aus allen Rohren!« Wie aufs Stichwort zielte das Pokémon und schoss sperrfeuerartig mit brennenden Geschossen auf den Gegner. Forstellka hatte einen stabilen Panzer, doch das Feuer erzeugte enormen Schaden. Die Schale überhitzte und obendrein befand es sich im freien Fall. »Impossibile!« Das konnte nicht wahr sein. Professor De Medici sah wie versteinert dabei zu, wie sein Pokémon zurück in die Arena fiel, ohne aus dem Beschuss zu gelangen. Beim Aufprall vibrierte der Boden und Staub wurde aufgewirbelt. Flemmli beendete seinen Angriff. Schwer atmend blieb es standhaft und kampfbereit. Sollte sein Gegner sich nochmals rühren, wäre es in der Lage, den Beschuss wieder aufzunehmen. Doch das war nicht mehr nötig. Forstellka blieb bewegungslos liegen. Der Kampfrichter beobachtet das regungslose Pokémon einen Moment länger und das gesamte Stadion schien die Luft anzuhalten. »Forstellka kann nicht mehr weiterkämpfen. Damit hat Jūdai Yūki das Match gewonnen!« Er brauchte einen Moment, um das Ergebnis zu realisieren. Dann konnte Jūdai sich nicht zurückhalten. »Ja, geschafft!« Die Anspannung in seinem Körper, von der er nicht einmal bemerkt hatte, dass sie da war, löste sich aus seinen Schultern und er sprang begeistert in die Luft. »Ich bin in der Akademie! Ich bin drin!« Er lief zu Flemmli in die Arena und es sprang ihm unaufgefordert auf den Arm. Seine Temperatur war enorm, doch verletzte Jūdai nicht. Liebevoll kraulte er durch das warme Gefieder und bekam ein wohlwollendes Fiepen als Antwort. »Das haben wir zusammen geschafft.« Nachdem das Ergebnis verkündet war, konnte Professor De Medici es nicht mehr leugnen. Ein pochender Schmerz bildete sich an seiner Schläfe. Was für eine Schande. Dieser kleine Wicht hat mich tatsächlich geschlagen. Es war die unschöne Realität, aber die Vorstellung, diesen Knaben zukünftig unterrichten zu dürfen, unterdrückte er noch vehement. Am Ende würde ihm noch eine Ader platzen. ◓ Das Ergebnis war überraschend. Selbst unter Berücksichtigung der Multiplikatoren hätte Daichi nicht mit einem Sieg gerechnet. Es ließ sich nur auf die Vorarbeit der anderen beiden Pokémon zurückführen, dass Jūdai aus diesem Kampf erfolgreich hervorgegangen war. Er selbst hatte in seinem Prüfungskampf mit dem fortdauernden Schaden kalkuliert, den drei Pokémon bei einem Gegner verursachten, trotzdem war der Vergleich schwierig. In diesen Kampf war ein Faktor geflossen, den er noch nicht sicher bestimmen konnte. Für Jun war es absolut unbegreiflich, wie ein Amateur mit drittklassigen Pokémon einen Doktoranden der Kampftechniken schlagen konnte. Es gab hierfür keine sinnvolle Erklärung. Es musste Glück sein. Dieser Typ hatte nichts weiter als unverschämtes Glück. Damit wird er in der Akademie nicht weit kommen. Dafür sorge ich. Von seinem versteckten Platz aus traute Shō sich einen leisen Applaus zu. Zwar würde Jūdai davon nichts mitbekommen, trotzdem war es ihm ein Bedürfnis, dieses Ergebnis zu honorieren und er freute sich schon darauf, ihm an der Akademie über den Weg zu laufen. Asuka beobachtete mit einem Lächeln den Sieger und wie er das Pokémon auf seinem Arm trug. Das Schuljahr versprach mit Menschen wie ihm interessant zu werden. »Er hat eine große Zukunft vor sich«, sagte sie mehr zu sich selbst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)