Pokémon GX von Norrsken (Generation Next) ================================================================================ Lektion 1: Die Aufnahmeprüfung für den nächsten Pokémon-Meister --------------------------------------------------------------- TEASER - Wundersame Begegnung Die Schulklingel war noch zu hören, da war Jūdai bereits durchs Tor geschossen und hatte das Gelände verlassen. Er war zu spät dran – viel zu spät! Seit seit fast drei Jahren quälte er sich nun durch die Mittelschulzeit für diesen Tag und ausgerechnet die Schulzeit war nun dabei sein Schicksal zu sabotieren. Ausgerechnet an diesem Tag hatte er nachsitzen müssen. Nur weil er zur ersten Stunde etwas zu spät war. Vielleicht auch, weil er in der dritten Stunde seiner Müdigkeit erlegen war. Allerdings wurde ohne seine Stimme zu hören entschieden, dass Unterricht viel zu früh am Tag beginnen sollte. Außerdem war dieses ganze theoretische Wissen fürchterlich reizlos und ermüdend. Wenn Schüler im Unterricht nicht einschlafen sollten, dann musste der Unterricht eben spannender gestaltet sein. Aber vorher würde er sich selbst darum kümmern und dafür musste er sich beeilen, sonst war seine Chance für die Aufnahmeprüfung an der Pokémon Akademie dahin! Zu seinem Glück war ein Bahnhof in der Nähe und die Züge fuhren regelmäßig nach Domino City. Doch bevor er nicht rechtzeitig zur Prüfung da war, würde er sich nicht entspannen können. So quetschte er sich in einen Waggon, machte sich ganz schmal, um wenig Raum einzufordern und stolperte am Bahnhof von Domino City hinaus auf den Bahnsteig. Mit großen Schritten hechtete Jūdai durch die Bahnhofspassage, stolperte den Bürgersteig hoch und bog scharf um die nächste Ecke. Eine Dame trat überraschend in sein Sichtfeld und mit Mühe wich er ihr gerade noch aus, während sie erschrocken ihre Einkäufe umklammerte. »Entschuldigung! Ich hab es eilig! Bitte nicht sauer sein!«, ruft er über seine Schulter zurück. Grob konnte er noch erahnen, dass die Frau ihm empört nachschaut. Es war ja keine Absicht, dass er so spät dran war und sich so beeilen musste. Am liebsten hätte er sich pünktlich auf den Weg gemacht, aber nun hatte er nur die Wahl, Gas zu geben oder die Aufnahmeprüfung sausen zu lassen und das Zweite war für Jūdai keine Option! Für nichts auf der Welt ließ er sich die Chance nehmen, an der Akademie aufgenommen zu werden. Eine rote Ampel bremste ihn. Beim Atmen spürte er ein Brennen in seiner Lunge. Seine Kondition für solch einen langen Sprint war nicht die Beste. Den gesamten Tag die Schulbank zu drücken, war dabei nicht förderlich. Zukünftig wird das alles anders, sprach Jūdai sich gut zu und holte tief Luft. Über die Stadtlandschaft hinweg konnte er sein Ziel – die Stadthalle, in der die Aufnahmeprüfung durchgeführt wurde – bereits erkennen. Um weiter Zeit für sich zu gewinnen, entschied er sich für den direkten Weg durch die Parkanlage statt außen herum zu laufen. Zwar kannte er sich in Domino City nicht so gut aus, aber quer durchs Grüne vermutete er weniger Hindernisse auf seinem Weg. Sobald er aus einer Hecke hervorsprang, wichen ihm die Parkbesuchenden aus und er konnte ungehindert seinen Weg fortsetzen. Mit einem kleinen schlechten Gewissen rief er immerzu neue Entschuldigungen aus. Aus er in seinem Lauf beinahe in einen Kinderwagen krachte, schaffte er es knapp auszuweichen. Sein Blick haftete dabei einen Moment zu lange an dem Gestell, während er sein Gleichgewicht suchte. Ehe er den Blick wieder vor sich gerichtet hatte, stürmte er um die nächste Ecke und rannte in den nächsten Parkgänger hinein. Der unerwartete Aufprall warf Jūdai zurück und brachte ihn ins Straucheln, bis er schließlich über seine Beine stolperte und hinfiel. Unsanft landete er auf dem Hosenboden und unterdrückte zischend einen Schmerzenslaut. »Alles okay bei dir?«, fragte sein Gegenüber, der sich bereits zu ihm herunterbeugte. Da wurde ihm bewusst, in welch unangenehme Lage er hineingeraten war. Hastig wischte er den Dreck an seinen Händen an seiner Hose ab und ignorierte das Brennen aufgeschürfter Haut. Bevor der Fremde ihm helfen konnte, machte er sich daran, alles vom Boden aufzusammeln, was ihm aus seinem Rucksack herausgefallen war. „Tut mir leid“, nuschelte er dem jungen Mann entgegen und lächelte verunsichert. Nachdem er seinen gesamten Tascheninhalt wieder zusammen hatte, stand er auf und schulterte den Rucksack neu. Am liebsten wäre er gleich wieder losgerannt. Die zuvor gewonnene Zeit hatte er sich mit diesem Zusammenstoß erneut verspielt. Allerdings stand der Passant immer noch vor ihm und musterte ihn unverhohlen. »Du bist ein Pokémon-Trainer. Nicht wahr?« Es war zwar eine Frage, doch es klang so, als stünde die Antwort für ihn bereits fest. Jūdai gab trotzdem freudig und voller Stolz Auskunft. »Japp, ich bin gerade auf dem Weg, um mich bei der Akademie einzuschreiben!« Der junge Mann nickte verstehend und lächelte. »Was du nicht sagst.« Eigentlich hatte er es furchtbar eilig, aber je länger sie sich gegenüberstanden, desto stärker beschlich Jūdai das Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben, und das ließ ihm keine Ruhe. Sie waren beinahe auf Augenhöhe, doch die auffällige Punkerfrisur ließ sein Gegenüber größer wirken, als er war. Seine Augen waren freundlich, das Gesicht wirkte jung. Jūdai hätte ihn für jemand gleichaltrigen gehalten, aber sein Gefühl sagte ihm, dass der Typ weit mehr Erfahrung hatte. Langsam keimte in ihm eine Vermutung auf. »Bist du vielleicht…« Noch ganz in seinen Gedanken versunken, entging Jūdai wie der Mann aus seiner Umhängetasche ein Ei hervorholte. Erst als er es ihm direkt unter die Nase hielt, fiel es ihm auf und er starrte perplex auf die Schale. Die Gedanken, die sich zuvor noch versucht hatten zu bilden, waren verloren. »Hier, dieses Pokémon-Ei ist für dich.« Behutsam reichte er es an Jūdai weiter, ohne dessen Meinung abzuwarten. »Irgendwas sagt mir, dass das Kleine zu dir gehört.« Unbeholfen hielt Jūdai das Ei in beiden Händen. »Wow.« Mehr kam ihm nicht über die Lippen. Wie kam er zu dieser Ehre? Ein Pokémon-Ei brauchte viel zuwenden und ein Fremder vertraute ihm so eins einfach an. Und das, nachdem er ihn fast über den Haufen gerannt hatte. Als er aufschaute, um zaghaft bedenken zu äußern, war der Mann bereits an ihm vorbeigegangen und setzte seinen Weg fort. Für ihn war die Angelegenheit geregelt, selbst wenn Jūdai noch zauderte. Hastig wandte er sich um und verbeugte sich respektvoll. Das Ei hielt er fest an seine Brust gedrückt. »Vielen Dank! Du wirst es nicht bereuen!« Der junge Mann hob zum Abschied die Hand und setzte unbeirrt seinen Weg fort. Jūdai stand dort einen Augenblick länger und war weiterhin dabei zu verarbeiten, dass er ein echtes Pokémon-Ei in den Händen hielt. Es war richtig warm und die Schale unerwartet rau. Was daraus wohl mal schlüpfen würde? Mit einem Mal zuckte es in Jūdais Händen hin und her, was ihn aus seinem Tagtraum erwachen ließ. Er musste zur Aufnahmeprüfung! Die Zeit wurde immer knapper. Schnell war das Ei im Rucksack verstaut. Als er sicher war, dass ihm kein Schaden passieren konnte, sah er noch einmal auf die Uhr. Ihm blieben etwa zwei Minuten Zeit, um pünktlich bei der Einschreibung zu erscheinen, aber der Gedanke erdrückte ihn nicht. »Was soll’s. Da ich noch kein Student bin, können sie mich auch nicht für meine Verspätung nachsitzen lassen!« Er schulterte den Rucksack und sprintete mit neugewonnener Energie los aufs Prüfungsgebäude zu. »Aber ich kann nicht der nächste Pokémon-Meister werden, wenn ich zu meinen Kämpfen zu spät komme«, mahnte er sich selbst. An diesem Tag kam er seinem Traum einen bedeutsamen Schritt näher. ◓ Das Treiben in den Arenen verfolgte Professor Chronos De Medici mit wenig Interesse aus der Loge für Lehrkräfte. Sein Blick schweifte träge zwischen den Bildschirmen umher, auf denen die Daten zu den einzelnen Prüfungskämpfen angeschlagen standen. Die plumpen Strategien der Prüflinge waren ermüdend, zeugten von wenig Raffinesse und Kreativität. Nachdem vierzehnten Prüfungsdurchlauf an diesem Tag hatte er alles schon einmal gesehen. Anhand der Rangnummern der Prüflinge aus den Arenen sah er sich darin bestärkt, dass der Akademie nicht fehlen würde, wenn diesen Kindern keine weitere Beachtung geschenkt würde. Es war reine Zeitverschwendung, die Zulassung zur praktischen Prüfung an Personen zu vergeben, die in den schriftlichen Prüfungen einen schlechteren Rang als 100 erzielten. Sollte hatten der Akademie nie zu Ruhm verholfen. Hörbar atmete er aus, um seiner Frustration Ausdruck zu verleihen. Er entschied, dass seine Anwesenheit nicht weiter von Nöten war, um die letzten Kämpfe bis zum Schluss zu verfolgen. Wichtiger war es, dass die Anmeldung pünktlich geschlossen wurde, damit nicht noch mehr Zeit vergeudet wurde. Ohne ein Wort der Verabschiedung verließ er das Kollegium und trat den Weg zur Eingangshalle an. Während er die Flure entlangging, erwog Professor De Medici den Aufwand, ein weiteres Mal an den Rektor der Akademie heranzutreten, um die Aufnahmebedingungen zu verschärfen. Immerhin halt es einem Ruf gerecht zu werden, den sich die Trainerschule aufgebaut hatte und zusätzlich musste sie dem Namen ihres Förderers Seto Kaiba gerecht werden. Sollte die Schule geforderte Erfolge nicht erzielen, konnte es zur Schließung kommen. Das wollte Professor De Medici nicht verantworten, solange er in diesen Hallen lehrte. Er betrat die Eingangshalle, als er sich entschieden hatte, den Rektor nochmals auf diese Dinge hinzuweisen. Beim Personal, das mit der Anmeldung zur praktischen Prüfung betraut war, erblickte er einen Knaben und blinzelte mehrmals. Das sollte doch jetzt nicht etwa noch ein Prüfling sein?! Energischen Schrittes trat er auf den Empfang zu. »Die Anmeldung für die diesjährige Prüfung ist ab sofort geschlossen!«, zischte er dem Herrn mit der Anmeldeliste entgegen. Kaum, dass der Herr und die Damen hinter dem Empfang ihn erkannten, spannten sie augenblicklich die Schultern an. Sein Ruf als strenger, gar herrischer Dekan war an der gesamten Akademie bekannt. Mit seiner Doktorarbeit im Bereich der Techniken in Pokémon-Kämpfen hatte er sich den Respekt verdient und selbst unter den Lehrkräften gab es nur wenige Personen, die ihm offen widersprachen. Der Knabe blickte ihm bloß aus großen Augen entgegen. Die Ahnungslosigkeit, die ihm entgegenschlug, bestätigte all seine Vermutungen. Vor ihm stand ein unbedarfter Prüfling, der versuchte, auf letzte Minute an der Prüfung teilzunehmen. »Keine weiteren Anmeldungen mehr«, wiederholte Professor De Medici entschieden und warf dem Personal einen scharfen Blick zu. Das machte sich sofort daran, alle Unterlagen sorgfältig zusammenzutragen und wegzuräumen. Zufrieden nickte der Professor. Der Knabe vor ihm war allerdings immer noch da und wirkte viel zu entspannt für jemanden, der soeben seine Chance vertan hatte, an den diesjährigen Prüfungen teilzunehmen. Mit einem gewinnenden Lächeln lachte er ihn an. »Na, da habe ich es tatsächlich auf allerletzte Minute geschafft.« Perplex wandte sich der Professor an den Herrn mit der Anmeldeliste. »Was soll das bedeuten?«, forderte er zu wissen. Der Mann brauchte einen Augenblick, um sich von seiner Starre zu lösen, um für Aufklärung zu sorgen. Nervös zupfte er seinen Kragen zurecht und blickte auf die Papiere in seinem Arm. »Kurz bevor Sie hier ankamen und die Anmeldung geschlossen haben, konnte sich der Junge – Yūki Jūdai – vollständig registrieren und ist als letzter Prüfling für den praktischen Teil eingetragen.« Ungläubig starrte Professor De Medici den Mann an. Das konnte doch nicht wahr sein! Wirsch riss er ihm die Unterlagen aus der Hand und warf einen schnellen Blick über alle Angaben zu dem Jungen, während der von den Damen am Empfang alles Weitere zum Ablauf der praktischen Prüfung erklärt bekam. Rang 110! Dieser Knabe hatte eines der schlechtesten Ergebnisse aus dem ersten Teil und erdreistete sich zur Anmeldung für den zweiten Teil auf allerletzte Minute aufzutauchen. Eine Schande! Er war zu spät, um ihn davonzujagen. Nun hieß es, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Wenn er den praktischen Teil nicht bestand, würde er für die Akademie nicht zugelassen. »Gut«, presste der Professor zwischen knirschenden Zähnen hervor, »wenn ich wegen eines weiteren Prüflings sowieso länger bleiben muss, dann werde ich die Prüfung höchstpersönlich abnehmen.« Den neuen Entschluss gefasst, schritt er davon auf den Weg zu den Arenen. Er würde keines der Pokémon, die eigens für die Prüfung ausgewählt wurden, nutzen. Diesen Knaben würde er mit seinen selbst trainierten Pokémon so schnell besiegen, dass er zu Espresso mit Croissant zurück an der Akademie sein würde. AKT I - Die Aufnahmeprüfung der Pokémon Akademie Über die Jahre wurden Pokémon-Trainer zu einem repräsentativen Teil der Gesellschaft. Gemeinsam mit ihren Partnern gingen Trainer den verschiedensten Tätigkeiten nach, doch der Wetteifer um den Titel des besten Trainers der Welt hielt sich am beharrlichsten. Dabei entwickelten sich unterschiedlichste Methoden, um die Qualitäten der Trainer zu bestimmen, die ein Anrecht auf den Titel melden durften. Die Austragung und Teilnahme an Turnieren sowie der Aufbau von Arenen und Ligen expandierte und damit auch die beruflichen Zweige. Um eine entsprechend angemessene Ausbildung wahrzunehmen, entstanden schließlich Schulen für angehende Pokémon-Trainer. Eine von ihnen war die Pokémon Akademie, die vor wenigen Jahren von Seto Kaiba gegründet wurde. In Rekordzeit baute sie einen hoch angesehenen Ruf auf, was dazu führte, dass die Bewerbungen von Jahr zu Jahr anstiegen. Doch die Aufnahme blieb limitiert auf die Besten. Um diese zu ermitteln, hielt die Akademie jedes Jahr Prüfungen ab, die aus einem theoretischen und einem praktischen Teil bestanden. Anhand der Ergebnisse aus dem theoretischen Teil erhielten Prüflinge einen Rang. Für diejenigen mit einem schlechteren Rang als 150 blieb die Teilnahme am praktischen Teil verwehrt. Doch diese Aufnahmebedingungen galten nicht für alle. Ein geringer Anteil der Bewerbenden genoss das Privileg, sich ohne Aufnahmeprüfung an der Pokémon Akademie einschreiben zu dürfen. Diese hatten zuvor über einige Jahre entsprechende Privatschulen besucht und Kurse belegt, um sich für die Aufnahme zu qualifizieren. Jun Manjōme war einer von ihnen. Der einzige Grund für ihn am Prüfungsort zu erscheinen, bestand darin, die Immatrikulation abzuschließen und seine neue Schuluniform abzuholen. Mit seinen Vornoten gehörte er bereits zu den Top 3 Studierenden des neuen Jahrgangs. Nachdem für die Einschreibung an der Akademie alles erledigt war, hätte Jun sich auf den Heimweg begeben können. Stattdessen blieb er und setzte sich in voller Schultracht in die Zuschauerränge. Ihn interessierten die anderen beiden, die seiner Klasse entsprechen sollten. Einen dieser beiden hatte er schnell ausfindig gemacht. Ein blondes Mädchen in seinem Alter, das ebenfalls schon mit ihrer neuen Schuluniform ausgestattet war. Das ließ den einzigen Schluss zu, dass sie ebenso wie er selbst von einer Privatschule mit herausragenden Zensuren an der Akademie aufgenommen wurde. Beim Dritten hingegen sah es anders aus. Wie er herausgefunden hatte, war es ein gewöhnlicher Prüfling, der jedoch beim schriftlichen Teil die volle Punktzahl erreichen konnte und damit Rang 1 belegte. Seine praktische Prüfung erfolgte gerade eben in eine der Arenen und Jun verfolgte den ersten Kampf an diesem Tag mit leichtem Interesse. Das Team, das er sich zusammengestellt hatte, war dem Pokémon des Prüfers unterlegen. Für viele hatte dieses Pech bereits bedeutet, dass sie ihre Zulassung für die Akademie nicht erreichten, da ihre Niederlage in Stein gemeißelt schien. Wie andere schon zuvor startete er mit frontalen Angriffen. Das erste Pokémon verlor und er machte mit dem Zweiten auf die gleiche Weise weiter. Kurz bevor auch das Zweite kampfunfähig war, wechselte der Junge es mit seinem letzten Pokémon im Team - ein Voltobal. Es wirkte gewöhnlich und hatte keinen Typvorteil, doch sein zeitweiliger Trainer entschied sich für die Attacke Finale. Das Pokémon leuchtete auf, bevor es mit großem Knall zersprengte und die Arena in Rauch hüllte. Voltobal war danach kampfunfähig, doch das Pokémon des Prüfers hatte es ebenso erwischt. Jun musste sich eingestehen, dass die Leistung des Jungen seinen Erwartungen entsprach. Diese Kampfweise erforderte Selbstbewusstsein und Kalkulation. Das zweite Pokémon durfte nicht besiegt werden, aber Voltobal durfte auch nicht zu früh sein Finale zünden, sonst würde das gegnerische Pokémon nicht kampfunfähig. Er lehnte sich zurück und rümpfte die Nase. Nachdem er den halben Tag in der Halle verbracht hatte, war dieser Kampf der einzige mit etwas Niveau gewesen. Es war einer Folter gleichgekommen, diesen dilettantischen Anfängern ohne Format zuzusehen. Plumpe gar miserable Techniken wurden zur Schau gestellt und diese Prüflinge bestanden auch noch und würden fortan Studierende an der berühmten Akademie sein. Aber er wollte optimistisch bleiben. Vermutlich schaffte der Großteil nicht einmal das erste Jahr zu überstehen, weil sie sich alles ganz einfach vorstellten. Dabei half er selbst gerne nach, denn ein ganzes Jahr mit diesen Laien gemeinsam unterrichtet zu werden, bereitete ihm Kopfschmerzen. »Wirklich beeindruckend«, lobte das Mädchen, das wie Jun nicht an den Prüfungen teilnehmen brauchte. Er schaute in ihre Richtung und sah sie bei dem Jungen stehen, der gerade seine Prüfung bestanden hatte. »Vielen Dank. Es war eine unerwartete Herausforderung, allerdings wäre es keine gute Prüfung, wenn es den Studierenden zu leicht fiele«, erwiderte der mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen. »Entschuldige bitte die verspätete Frage, aber wie ist dein Name noch gleich?« »Tenjōin - aber Asuka reicht völlig«, antwortete sie bereitwillig und erwiderte das Lächeln. »Gut, okay. Dann nenn mich bitte Daichi.« Mit rollenden Augen wandte Jun sich wieder dem Kampffeld zu. Einige wenige hatten es immer noch nicht geschafft, ihre Prüfung zu bestehen. Allerdings spielte sich am freien Feld, auf dem zuvor Misawa seine Prüfung hatte, etwas Ungewöhnliches ab. Gemäß der Aushänge war sein Kampf der Letzte gewesen, der auf diesem Feld vorgesehen war. Trotzdem fand sich ein Dozent dort ein und bezog Stellung. Das Interessante dabei war, dass der Dozent keiner der bisherigen Prüfenden war. Dort unten stand Dekan De Medici. Für Neulinge ein unbeschriebenes Blatt, aber er hatte sich vorher über die Dozierenden informiert und über ihn gab es eine Menge zu hören. Was dieser berüchtigte Doktor in der Prüfungsarena suchte, versprach aussichtsreich zu werden. ◓ Mit wackeligen Schritten verließ er die Arena und fand schließlich Schutz im Gang, der zu den Vorbereitungsräumen führte. Weil er seinen Beinen nicht so ganz vertrauen wollte, stütze Shō sich mit einer Hand an der Wand ab. Es fehlte ihm noch, dass er einfach so umfiel. Mit einem tiefen Atemzug ordnete er seine Gedanken. Der Kampf war geschafft, die Prüfung vorbei und er hatte sogar bestanden; wenn es auch nicht ganz sein Verdienst war. Das Makuhita, das er sich von der Akademie für die Prüfung geborgt hatte, war im Kampf angetreten und die Zähigkeit des Pokémon hatte entschieden zum Ergebnis beigetragen. Mit einem anderen Partner wäre er womöglich nicht erfolgreich aus der Prüfung gegangen. Die Menge an Zuschauern bei seinem Kampf in der Arena hatte ihn fürchterlich nervös gemacht und damit war er für sein Team keine große Hilfe gewesen. Anweisungen kamen schrecklich verzögert und hatten die Pokémon an seiner Seite viele Treffer einstecken lassen, die er hätte vermeiden können. Shō war zwar kein Ausnahmetalent, aber ohne Lampenfieber hätte er sich besser geschlagen; da war er sich fast sicher. Mit jedem Schritt, den er sich weiter von den Arenen entfernte, desto mehr Ruhe kehrte in ihm ein. Das stolpernde Herzklopfen verebbte und er traute sich wieder ohne zusätzliche Halt zu laufen. Als sich wieder sicher fühlte und seine Schultern sich entspannten, bahnte sich eine Frage zurück in seinen Verstand, die ihm bereits vor den Prüfungen gekommen war, die er aber gekonnt immer wieder zu verdrängen wusste. Wieso war er eigentlich hier? Bevor er sich aber auf diese Frage ernsthaft einlassen konnte, erschrak er aufgrund eines kräftigen Schlags auf den Rücken. Dieser kam so unerwartet, dass es Shō im ersten Moment den Atem verschlug und er kräftig husten musste. »Oh, sorry! Das war wohl etwas zu kräftig«, mutmaßte der Übeltäter und musterte ihn von der Seite. »Alles Okay? Ich wollt‘ dir eigentlich nur zum Sieg gratulieren.« Verwirrt wandte Shō sich zu ihm um. Von allen anwesenden Prüflingen kannte er keinen Einzigen und die Stimme kam ihm auch nicht bekannt vor. Als er sich einem Jungen seines Alters mit brünetten Haaren und einem gewinnenden Lächeln gegenübersah, konnte er sich immer noch nicht erklären, wer das sein sollte. Er hatte ihn noch nie in seinem Leben gesehen. »Äh – danke«, druckste er unbeholfen und musterte sein Gegenüber unschlüssig. »Ich bin Jūdai«, stellte sich der Junge ungefragt vor. »Hab' gerade noch gesehen, wie du deinen Kampf gewonnen hast. Damit hast du bestanden, oder? Glückwunsch!« Shō bemerkte, wie seine Wangen unangenehm warm wurden. Unruhig huschte sein Blick hin und her, ohne einen günstigen Punkt zu finden, auf den er sich fixieren konnte. Wenn der Junge seinen Kampf gesehen hatte, musste er doch wissen, wie schlecht er eigentlich gewesen war. Die Pokémon hatte fast alles alleine gemeistert. Ihnen gebührte das Lob und er hatte bloß Glück gehabt. Für eine Weile standen sich die beiden stumm gegenüber. Schließlich klopfte Jūdai ihm erneut auf die Schultern, aber diesmal etwas behutsamer. Wieder grinste er und ging schließlich an Shō vorbei. »Ich muss jetzt auch noch eben meine Prüfung ablegen. Wir sehen uns sicher bei der Eröffnungszeremonie!«, verabschiedete er sich und lief in die Arena. Verdutzt sah Shō dem Jungen nach. Im Gegensatz zu ihm selbst hatte Jūdai wohl ein gesundes Selbstvertrauen. Zumindest wirkte es auf ihn so, als zweifelte er nicht einen Augenblick an seinem Sieg. Gehörte er womöglich zu den Spitzenreitern wie Daichi Misawa? Wobei ihm sein Name auf der Liste nicht aufgefallen war. Es half nichts. Während er dort stand, würde er zu keiner Antwort finden. Wenn er seiner Neugier zumindest ein wenig Befriedigung verschaffen wollte, dann am besten, indem er sich den Prüfungskampf von der Tribüne aus ansah. All seine Unsicherheit war für den Moment vergessen, als er durch die Flure zu den Tribünenaufgängen eilte. Während er die Treppen emporstieg, erkannte er einige Prüflinge auf den Sitzen, die zuvor mit ihm gemeinsam auf ihren Kampf gewartet hatten. Ihre Blicke lagen richtend auf den letzten Kämpfen und sogleich bildete sich in Shōs Hals wieder ein Kloß. Diese Blicke hatte er bis unten in die Arena gespürt. Schnellen Schrittes ging er weiter die Treppen hinauf. Zwar zählte er zu denen, die bestanden hatten, trotzdem wollte er es nicht riskieren, ein weiteres Mal diesen Blicken ausgesetzt zu sein. Immerhin hatten sie seinen Kampf beobachten können und sicher waren nicht alle so freundlich wie Jūdai. Er suchte sich einen Platz ganz am Rand mit genügend Abstand zum Rest. Einzig vier Reihen von ihm saßen, welche in der Schuluniform der Pokémon Akademie. Sein Herz rutschte abermals in seine Magengrube bei dem Gedanken, dass Studierende vom Campus die Prüfungen verfolgt hatten. Dann war sein Bruder vielleicht auch anwesend und hatte ihm bei seinem Kampf zugesehen. Hoffentlich ist er zu sehr mit lernen beschäftigt, dachte Shō, wagte aber nicht, die Halle nach ihm zu scannen. Stattdessen versuchte er dem Gespräch der Studierenden zu folgen. Augenscheinlich unterhielten sie sich nicht über die Prüflinge und waren ganz aufgekratzt. »Was macht Doktor De Medici dort? Ist er in diesem Jahr auch Prüfer?« »Niemals! Als Dekan hat der doch Besseres zu tun, oder? Der ist doch schon immer schlecht gelaunt, wenn er die schriftlichen Prüfungen mit auswerten muss.« »Aber sieh‘ doch! Da unten in der Arena steht er.« »Seltsam. Ich bin schon seit der ersten Runde hier und er war bis jetzt für keinen einzigen Kampf in den Arenen.« Neugierig versuchte Shō zu erkennen, über welchem Mann in der Arena die Studierenden sprachen. Einen Dekan als Prüfer stellte er sich entsetzlich vor! »Krass! Der scheint echt der Prüfer für den Typen da zu sein!« »Oh Mann. Der kann einem ja leidtun.« Die einzige Arena, in der noch kein Kampf lief, sondern die Kontrahenten gerade einmal Stellung bezogen, war die, in der Jūdai stand. Dann musste sein Gegenüber der Dekan sein, von dem gesprochen wurde. Shō ließ resigniert die Schultern hängen. Das war es dann wohl. Der Erste, der mit ihm ein paar nette Worte gewechselt hatte, würde die Aufnahmeprüfung nicht schaffen. Dabei hatte er sich schon ein wenig an den Gedanken gewöhnt, noch einmal mit ihm zu sprechen. ◓ Kandidat 110: Yūki Jūdai. Bitte finden Sie sich im Arenafeld 03 ein«, tönte es über die Lautsprecher durch die gesamte Halle. Sein Blick huschte über die Wände, um irgendwo einen Hinweis darauf zu finden, dass er in der richtigen Arena stand. Über dem Eingang, durch den er eben das Feld betreten hatte, erkannte er in großen Lettern die Zahlen 03. Damit war das schon einmal geklärt. Während er auf dem Arenafeld in Stellung ging, ließ er den Blick weiter schweifen. Die Sicht auf die anderen Arenen wurde durch Wände verhindert, damit die Prüflinge nicht durch ihre Umgebung abgelenkt wurden. Wenn er über die Wände hinausblickte, konnte er jedoch die Zuschauerränge erkennen, in denen Studierende, Prüflinge und Lehrkräfte saßen und die Kämpfe verfolgten. »Es zeugt von schlechtem Benehmen, die Arena zu betreten, bevor man aufgerufen wird!«, zischte es ihm von der anderen Seite der Arena entgegen. Jūdai wandte sich demjenigen zu, der ihn angesprochen hatte. Es war der Mann, dem er schon in der Eingangshalle begegnet war. So ein Zufall. »Entschuldigen Sie bitte. Ich dachte, lieber zu früh als zu spät«, erwiderte er mit einem Lachen in der Stimme. Von seinem Platz aus konnte er nicht sehen, wie Professor De Medici mit den Zähnen knirschte. Eine solche Antwort zu geben, nachdem er auf den letzten Drücker zur Prüfung erschienen war, glich einer bodenlosen Frechheit. So ein Bengel hatte an der Akademie nichts zu suchen. Er würde das schnell beenden. »Hast du deine drei Pokémon für diesen Kampf ausgewählt?« Bevor Jūdai überstürzt in die Arena aufbrechen konnte, hatte ihn ein Lehrer angehalten und zum Vorbereitungsraum geführt. Die Akademie stellte eine Auswahl an Pokémon zur Verfügung, aus denen sich die Prüflinge ein Team zusammenstellen mussten, mit dem sie ihre Prüfung bestreiten wollten. Als er vor dem Tisch mit den Pokébällen gestanden hatte, war die Auswahl bereits stark reduziert. Er war der Letzte und musste aus den Pokémon wählen, die noch übrig waren. »Japp, das habe ich!« Seine Hand zuckte zu den drei Bällen an seinem Gürtel. Jūdai spürte sein Herz kräftiger gegen seine Brust schlagen. Die Gewissheit darüber ein Team an seiner Seite zu haben, mit dem er einen Kampf bestreiten würde, sickerte langsam in sein Bewusstsein. Bisher war das Leben als Trainer ein Traum gewesen. Nun stand ein wichtiger Schritt bevor, um diesen Traum zur Realität zu machen. AKT II - Chronos De Medici vs. Jūdai Yūki Am Feldrand bezog ein junger Mann Stellung und positionierte sich mit gleichem Abstand zu beiden Kontrahenten. Abwechselnd blickte er in ihre Richtung und verkündete laut und deutlich die Regeln für den bevorstehenden Prüfungskrampf: »Der Prüfling darf drei Pokémon im Kampf einsetzen. Außerdem ist es ihm erlaubt, während des Kampfes seine Pokémon auszuwechseln. Der Prüfer tritt mit einem einzelnen Pokémon an. Die Prüfung gilt als bestanden, wenn das Pokémon des Prüfers kampfunfähig ist.« Verdrossen nickte Professor De Medici die Regeln ab. Er hatte sie an diesem Tag bereits mehrfach zur Kenntnis nehmen dürfen. Es musste nicht noch mehr seiner Zeit verschwendet werden als ohnehin schon. Doch um gewisse grundlegende Formen zu wahren, wandte er sich schließlich an den Knaben. »Gut, gut. Ich bin Doktor De Medici, Dekan der Fakultät für Techniken und heute dein Prüfer.« Über seine Brust war ein Gut gespannt, an dem sechs Pokébälle befestigt waren. Seine Finger schwebten über die transparenten Kuppeln, durch die er einen guten Blick auf seine persönlichen Lieblinge hatte. Wir werden diese Farce schnell beenden, entschied er und griff nach reiflicher Überlegung nach einem der Bälle. Mit einem eleganten Schwung warf er ihn in die Arena. »Hier ist mein Pokémon – Forstellka!« Der gelbblaue Pokéball sprang auf und aus ihm heraus trat ein heller Lichtstrahl. Darauf formte sich ein rundliches Pokémon mit einer metallischen Schale. Aus einem Spalt, der um den gesamten Körper ging, traten rote Stacheln und ein großes Paar Augen hervor, die wachsam auf Jūdai gerichtet waren. Jūdai starrte wie gebannt auf das vor ihm erschienene Wesen und fühlte wie ein Kribbeln seine Wirbelsäule hinaus bis zur Kopfhaut stieg. Vor ihm auf der anderen Seite der Arena stand ein Dekan der Akademie, um ihn zu prüfen, und er setzte ein Forstellka ein. »So cool!«, jauchzte er begeistert. »Ich hab noch nie so eins in echt gesehen! Gibt es die auf der Akademie?« Die Begeisterung des Jungen rang dem Professor nur ein müdes Lächeln ab. »Dieses Forstellka war noch ein Tannza, als ich es gefangen habe. Nur durch kontinuierliches Training wurde es stärker und hat sich schließlich entwickelt«, informierte er ihn. Die Aufzucht von Pokémon erforderte reichlich Erfahrung und ein gewisses Können. Er bezweifelte, dass ein solch undisziplinierter Knabe dazu in der Lage sein würde. Bedächtig nickte Jūdai auf die Worte. »Ich fühle mich wirklich geehrt, dass ein Dekan mit seinem selbsttrainierten Pokémon mein Prüfer ist.« Ein breites Grinsen malte sich in sein Gesicht. »Ich werde mir Mühe geben, Ihre Erwartungen in mich nicht zu enttäuschen!« Er lachte verlegen, um seine Aufregung zu überspielen. Professor De Medici sah ihn mit ausdruckslosem Gesicht an. Dieses maßlose Selbstvertrauen machte ihn sprachlos. Zu seinem Leidwesen konnte er bereits ein leichtes Pochen an seiner Schläge fühlen. Dieser Knabe lebte fernab von jedweder Realität und er musste sich damit herumschlagen. »Wähle dein erstes Pokémon, damit wir beginnen können!«, wies er mit barschem Ton an. Das Grinsen auf Jūdais Lippen zog stärker an seinen Mundwinkeln. Inzwischen hatte sich das Kribbeln auf seinen ganzen Körper ausgebreitet. Er griff nach dem ersten Pokéball an seinem Gurt – Mann, war das aufregend! – und warf ihn in die Luft. »Los, Rattfratz!« Aus dem roten Ball trat ein Licht hervor, das sich schnell in einer Form manifestierte und ein rattenähnliches Pokémon mit violettem Fell positionierte sich vor Jūdai. Seine rotleuchtenden Pupillen waren auf den etwa viermalgrößeren Gegner gerichtet, während es angriffslustig mit seinen Schneidezähnen klickte. Professor De Medici hatte Mühe damit seine Fassung zu wahren. Dieses schwächliche Pokémon konnte er nicht als Bedrohung ansehen, geschweige denn als Herausforderung. Sein Mundwinkel zuckte. »Ach ja, so eines ist mir am Wegesrand einmal über den Weg gelaufen. Ich hielt es jedoch nicht für sinnvoll, es zu fangen, weil zu einer so schwächlichen Art gehört«, belächelte er Wahl. War bis eben noch ein strahlendes Grinsen der Vorfreude auf Jūdais Lippen, verschwand dieses mit einem Mal und wurde zu einer schmalen Linie. Zwar handelte es sich bei dem Rattfratz um eine Leihgabe der Akademie und nicht um ein von ihm eigens gefangenes Pokémon, doch es war sein Teamkamerad. Diese Geringschätzung nahm er persönlich. »Hey, Sie haben es doch noch gar nicht in Aktion erlebt! Beurteilen Sie es nicht bloß anhand seiner Größe!« Auf diese Reaktion schnalzte Professor De Medici bloß mit der Zunge. Es bewies ihm ein weiteres Mal, wie wenig Erfahrungswert der Knabe haben musste. Solch ein Student würde für die Akademie keinen Verlust darstellen. »Jugendliche Leidenschaft wird dir keinen Sieg bringen, mein Junge«, belehrte er ihn und war bereit, ihm die Bedeutung dieser Worte zu demonstrieren. »Los, Forstellka. Setze Walzer ein.« Auf die Anweisung seines Trainers hin begann es damit, sich um seine eigene Achse zu drehen. Mit jeder Rotation erhöhte sich das Tempo, bis es schließlich ausreichend Geschwindigkeit entwickelt hatte. Es beendete seinen Schwebezustand und schoss in weiten Kreisen über den Arenaboden. Der Boden bebte unter der Wucht der Drehung und sowohl Jūdai als auch dem kleine Rattfratz wackelten die Knie. Mit zuckenden Ohren warf der Nager einen zaghaften Blick zurück zu dem Jungen, der es zuversichtlich angrinste. Mit neugeschöpfter Tapferkeit machte es einen Satz nach vorne bereit für die erste Anweisung seines Trainers. Nach einer weiten schwungvollen Kurve änderte Forstellka seinen Kurs und steuerte direkt auf seinen Gegner zu. Bevor Jūdai zu seiner ersten Anweisung kam, beschleunigte sich die Walz-Attacke und die Pokémon kollidierten mit enormer Wucht. Dass Rattfratz nicht vollkommen überrollt wurde, lag an seinen schnellen Reflexen, wodurch es einen Sprung zur Seite versucht hatte. Dabei war es leider einen Augenaufschlag zu spät, um der wuchtigen Attacke gänzlich zu entgehen. Mit einem zufriedenen Glucksen quittierte Professor De Medici, wie das gegnerische Pokémon sich wackelig auf die Beine zog. Es war gerade einmal zahm, aber nur wenig trainiert, damit es problemlos für Prüflinge zu führen war und daher trug es bereits von dem einen Treffer einen beträchtlichen Schaden davon. Wie zu erwarten, ist der Abstand zwischen einem ausgezeichnet trainierten Exemplar und solchen unüberwindbar. Wenn dann noch so ein Bengel vom Land, der beim Anblick einer einfachen Attacke völlig aus dem Konzept gerät, die Anweisungen geben soll, wird der Kampf in wenigen Augenblicken vorbei sein, schätzte er die Lage zu seinen Gunsten. »Alles okay, Kleiner? Du kannst noch, nicht wahr?«, erkundigte sich Jūdai bei Rattfratz und hockte sich leicht, um seine Verfassung einzuschätzen. Es klackte wieder mit seinen Zähnen und blickte energisch zu ihm auf. Die aufkeimende Unsicherheit verflog sogleich. Wenn das kleine Pokémon nicht aufgab, musste er ebenso zuversichtlich bleiben. »Gut, dann starten wir mit unserem Gegenangriff.« Entschlossen nickte er ihm zu und richtete sich auf. »Machen Sie sich bereit, Dekan!«, kündigte er sein Vorhaben an. Sein Pokémon begab sich in Kampfstellung und beobachtete den herumrollenden Gegner. »Ruckzuckhieb, Rattfratz!«, befahl er. Rattfratz lief, ohne einen bestimmten Punkt festzuhalten los. Es gewann an Tempo hinzu, schlug haken, um seinen Angriffswinkel zu verschleiern, und als es sein Limit erreichte, steuerte es die Kollision mit Forstellka an. In voller Geschwindigkeit rammte es mit seinem ganzen Körper gegen das drehende Pokémon, doch entgegen der Erwartung seines Trainers geriet der Gegner nicht einmal ins Schlingern – im Gegenteil. Die Wucht, mit der sich sein Partner in den Angriff gesprungen war, schleuderte auf Rattfratz zurück und warf es zu Boden, dass Staub aufgewirbelt wurde. »Was? Nein!«, entwich es Jūdai entsetzt. ◓ Das sieht nach einem ungleichen Kampf aus.« Zwischen Asukas Augenbrauen zeichneten sich leichte Falten ab. Sie beobachtete, wie Rattfratz sich bemühte, wieder auf die Beine zu kommen. »Allerdings«, stimmte Daichi ihr zu, während er versuchte abzuschätzen wie weit die beiden Pokémon erfahrungs- und kräftetechnisch auseinanderlagen. Aus seinem eigenen Kampf wusste er, dass die Lehrkräfte Pokémon mit einem höheren Level einsetzten. Es stellte einen Bestandteil der Prüfung dar, sich mithilfe einer Taktik gegen einen stärkeren Gegner zu behaupten. Allerdings war er sich sicher, dass das Forstellka aus dem laufenden Kampf erheblich viel stärker war als die anderen Pokémon der Prüfung. »Mit der Attacke Walzer gibt sich der Prüfer auch keine Blöße.« »Er scheint es darauf anzulegen, den Jungen durchfallen zu lassen«, mutmaßte Asuka. »Walzer wird kontinuierlich stärker, je länger die Attacke andauert. Wie soll er da eine Chance haben?« Diese Strategie hatte für Asuka einen faden Beigeschmack und wollte nicht in ihr Bild einer Aufnahmeprüfung passen. »Wenn er weiterhin nur frontal angreift, wird er auf jeden Fall verlieren. Er muss sich was Besseres einfallen lassen.« Ihre Unterhaltung wird von einem demonstrativ lauten Schnauben kommentiert. Als sie sich zum Urheber umwandten, sahen sie zu Jun, der zwei Reihen hinter ihnen saß. Nach hinten gelehnt und mit verschränkten Armen verfolgte er den Kampf, ohne zu interessiert wirken zu wollen. »Mit Rang 110 wird er kaum genug Wissen haben, um eine passende Strategie zu entwickeln.« Dass der Kampf überhaupt noch lief, lag nur an der Agilität des Rattfratz‘ und seiner Reflexe. »Schulnoten sagen nicht sonderlich viel über Kampfgeschick aus. Sonst wäre dieser praktische Prüfungsteil überflüssig«, entgegnete Asuka und wandte sich wieder dem Kampf zu. Immerhin hatte der Junge noch zwei kampffähige Pokémon, um die Situation zu seinen Gunsten zu drehen. Insgeheim wünschte sie es ihm und das er damit alle Anwesenden überraschen würde. Versteckt aus einem der hinteren Reihen hatte Shō der Konversation der drei Studierenden gelauscht und sank noch weiter auf seinem Sitz zusammen. Er brauchte kein Genie sein, um die unverhältnismäßige Stärke dieses Forstellkas festzustellen. Mit diesem Gegner wäre er selbst in wenigen Sekunden durch die Prüfung gefallen. Diesen Kampf bestritt jedoch Jūdai und seine Zulassung für die Akademie hing davon ab. Gerne hätte er ihm Tipps zugerufen, aber ihm fiel selbst nichts ein, was Jūdai in dieser Situation am besten machen könnte, um einen Sieg davonzutragen. Hinzukam, dass er im theoretischen Teil nur Rang 110 belegt hatte. Nachdem Jūdai so selbstbewusst aufgetreten war, hatte Shō etwas anderes erwartet. Das waren gerade einmal 9 Ränge über seinem eigenen und nur 40 Ränge über der Zulassungsgrenze. Das schafft er nie, seufzte Shō innerlich. ◓ Rattfratz gab alles. Es bemühte sich der unaufhaltsamen Walze auszuweichen und anzugreifen, wie Jūdai anwies. Einige Treffer konnte es parieren, doch seine eigene Schlagkraft war zu schwach. Egal welche Attacke sie versuchten, es blieb fruchtlos. Nach einem weiteren wuchtigen Treffer von Forstellka ging Rattfratz erneut zu Boden und fand dieses Mal keine Energie mehr, um wieder auf die Beinchen zu kommen. Langsam realisierte Jūdai, dass dieser Kampf vorbei war. »Rattfratz kann nicht mehr weiterkämpfen. Forstellka hat gewonnen!«, verkündete der Kampfrichter deutlich. Jūdai nahm den Pokéball hervor und aktivierte ihn. In einem roten Lichtblitz verschwand das Pokémon in das Innere des Balls. Er zog den Ball nah an sich heran und sah durch die transparente Halbkugel auf das erschöpfte Wesen. »Vielen Dank. Du hast wirklich klasse gekämpft«, murmelte er. Dabei war er nicht sicher, ob das Pokémon ihn hören konnte. Professor De Medici sah dem weiteren Kampfverlauf gelassen entgegen. Der Knabe würde kein Pokémon in seiner Auswahl haben, das nur ansatzweise eine Bedrohung für Forstellka sein könnte. Das war allen anderen Anwesenden sicher ebenso klar wie ihm. Zu Schade, dass ein Match nicht aus Mitleid frühzeitig beendet werden kann, dachte er mit einem höhnischen Lächeln auf den Lippen. Jūdai wechselte den Pokéball mit einem anderen an seinem Gürtel. Für Rattfratz war dieser Kampf vorbei und es hatte sich seine Pause verdient, aber er musste weiter machen. Es war Zeit für sein zweites Pokémon und damit für seine zweite Chance, gegen den Prüfer zu bestehen. Noch war es nicht vorbei für ihn. Er warf den Ball. »Los, du bist dran, Corasonn!« Das weiße Licht manifestierte sich in einem Wesen mit rosafarbener Schale und Verästelungen, die an Korallen erinnerten. Es stand auf kurzen Beinchen und wirkte insgesamt sehr unbeweglich, doch räumte umgehend mit diesem Irrglauben auf, indem es quirlig auf und ab hüpfte. Der erste Kampf hatte Jūdai den Kräfteunterschied zwischen den Leih-Pokémon und dem des Dekans vorgeführt. Außerdem kannte er inzwischen die Strategie seines Gegners. Er musste sich also dringend etwas Besseres überlegen, als frontal anzugreifen, da es Corasonn ansonsten schnell so ergehen würde wie Rattfratz zuvor. AKT III – Wer hoch steigt, fällt tief Jūdai atmete tief ein, zählte bis drei und atmete langsam wieder aus. Sein beschleunigter Herzschlag wurde einen Takt langsamer und die Anspannung in seinen Schultern lockerte sich. Für den Moment musste er die Niederlage von Rattfratz hinter sich lassen. Es galt den Blick nach vorne auf den bevorstehenden Kampf zu richten. Corasonn wippte auf seinen Stümpfen vor und zurück, als wiege es sich im Schlaf. Jūdai schmunzelte bei dem Anblick. Am besten nahm er sich ein Beispiel an seinem Pokémon und behielt einen kühlen Kopf. »Okay, Corasonn. Entscheiden wir diesen Kampf für uns!« Mit zwitscherten Singsang hüpfte es aufgeweckt auf der Stelle und zeigte so seine Bereitschaft für den Kampf. »Bist du bereit für seine nächste Lektion?«, stichelte Professor De Medici. Er war sich seines zweiten Sieges schon sicher. »Aber klar doch! Ich kann mich nicht erinnern, wann lernen jemals so viel Spaß gemacht hat!«, lachte Jūdai. Damit war es ihm durchaus ernst, denn immerhin befand er sich in diesem Moment am Anfang seines Traumes. Doch der lodernde Kampfgeist liest den Professor langsam ermüden. Zwar waren die Pokémon des Knaben keine sonderlich starken Exemplare, doch dafür wiesen sie ein ähnlich einfältiges Gemüt wie ihr Trainer auf. Damit gewann sich jedoch kein Kampf. »Gut, beginnen wir mit der zweiten Runde. Forstellka, setze Walzer ein!«, wies er sein Pokémon an. Mit Schwung kam es wieder in Rotation und gewann schneller als zuvor die gewünschte Geschwindigkeit. Es drehte mehrere Bahnen um das Feld. Corasonn versuchte ihm mit den Augen zu folgen, ließ es aber schlussendlich bleiben, als ihm davon schwindelig wurde. »Du darfst dich nicht von ihm treffen lassen!«, erklärte Jūdai seinem Pokémon, auch wenn ihm das sicher bewusst war. Als er die Situation genauer betrachtete, fiel ihm auf, dass Corasonn die Agilität von Rattfratz fehlte. Sobald Forstellka auf Kollisionskurs ging, würde sein Partner mit den Stummelbeinen nicht schnell genug von der Stelle kommen. Ihm musste schnell eine andere Lösung einfallen, womit Corasonn diesen Nachteil ausgleichen konnte. »Los, Forstellka. Angriff!«, befahl der Dekan und das Pokémon folgte der Anweisung. Es folgte eine letzte Kurve, bevor es den Winkel änderte und somit Kurs auf seinen Gegner nahm. Ein spöttelndes Grinsen zog an den Mundwinkeln von Professor De Medici. Der Panzer seines Pokémon würde diese rosa Koralle alsbald aufbrechen. »Mach dir nichts draus, Junge. Das hier ist die beste Pokémon Akademie des Landes. Nicht jeder kann es hierher schaffen.« »Das mag sein, aber ich werde es auf jeden Fall schaffen! Ich will unbedingt auf diese Schule!«, entgegnete Jūdai mit all seinem Selbstvertrauen. »Corasonn! Setz Härtner ein, schnell!« Rechtzeitig vor der Kollision begann das Pokémon seine Haut zu härten. Zwar fehlte ihm die Agilität, um den Attacken auszuweichen, doch es hatte dafür eine starke Verteidigung. Als der Aufprall passierte, wurde Corasonn zurückgestoßen, konnte sich aber auf den Beinen halten. Es hüpfte so unbeschwert wie vor dem Angriff, als habe es nichts davon gespürt. Professor De Medicis Lippen verzogen sich zu einer schmalen Linie. »Dio, che fastidio.« ◓ Unbeabsichtigt verzogen sich Asukas Lippen zu einem Lächeln. Wie das Corasonn munter herumsprang und der Professor fassungslos zusah, war urkomisch anzusehen. »Da kam ihm zur rechten Zeit die richtige Idee.« »Damit konnte er zumindest den Schaden von Walzer dämpfen«, pflichtete Daichi ihr bei. Allerdings würde sich der Kampf so nur verlängern, aber das Ergebnis bliebe das gleiche. »Für den Sieg muss er sich noch etwas Besseres einfallen lassen.« Asuka ließ ihren Blick von dem Pokémon zu seinem Trainer wandern. Sie waren von der Arena zwar ein gutes Stück entfernt, trotzdem meinte sie zu erkennen, wie er grinste und allgemein strahlte er. Jedenfalls kam es ihr so vor und es weckte in ihr die Erwartung, dass er diese Prüfung für sich entscheiden würde. »Ich denke, wir können auf die ein oder andere Überraschung gespannt bleiben.« In allen Fällen war es einer der interessantesten Prüfungskämpfe an diesem Tag. Einen ganz ähnlichen Gedanken teilte Shō. Mit großen Augen betrachtete er Jūdai mit sein Pokémon und unabhängig davon, wie wahrscheinlich der Sieg für ihn war, so wünschte er es ihm. Sie Begeisterung, die aus der Arena strahlte, steckte ihn und andere auf der Tribüne an. Am liebsten hätte er ihn angefeuert. Allerdings waren sie nicht wirklich bekannt und am Ende würde es Jūdai ablenken und verwirren. So blieb er stumm, aber drückte beide Daumen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass es an der Akademie viel lustiger sein würde, wenn Jūdai seine Aufnahmeprüfung bestand. ◓ Als Corasonn nach dem Angriff wieder zu hüpfen anfing, konnte Jūdai nicht anders als freudig aufzulachen. »Für ein Anfänger-Team, sind wir doch gar nicht so schlecht. Was meinen Sie, Professor?« Als wolle sein Pokémon ihm beipflichten, sprang es noch einmal besonders enthusiastisch auf und ab. Nur mit einem Zähneknirschen ertrug der Professor die Schmach. Einen direkten Treffer zu überstehen verdankte diese rosa Kugel seiner Zähigkeit, die der Knabe mit Härtner zusätzlich gesteigert hatte. Wenn er sich über diesen kleinen Erfolg freuen wollte, sollte er nur. »Zugegeben, das war nicht ganz schlecht. Aber um zu gewinnen, wirst du mein Forstellka besiegen müssen und das wird nicht passieren!« Forstellka rollte wieder auf Corasonn zu, das seine Haut ein weiteres Mal härtete. Zwar wurde Walzer stärker, je länger das Pokémon rotierte, doch mit der erhöhten Verteidigung konnte Jūdais Pokémon weiterhin standhalten. Darauf durfte er sich nur nicht ausruhen. Um das Blatt zu wenden, brauchte er einen Plan. Wenn ich es nicht stoppen kann, vielleicht kann ich es dazu zwingen, langsamer zu werden, überlegte er, während er dem herumrollenden Pokémon mit den Augen folgte und schließlich zu seinen eigenen Füßen sah. Das Stadion war aus Stein und Metall zusammengebaut, doch der Bau hörte an den Zugängen zur Arena auf. Dort wurde der Boden bloß geebnet und Linien gezogen. Testweise scharrte er mit der Schuhspitze im Boden. Sie standen auf Erde und in Jūdai keimte eine Idee auf. »Corasonn!« Auch wenn es sich nicht zu ihm umwandte, hatte er seine Aufmerksamkeit, sobald er es rief. »Setz Aquaknarre ein – so stark wie du kannst!« »Das wird nichts bringen«, prophezeite Professor De Medici. Als würde sein Forstellka vor ein wenig Wasser zurückschrecken. Es würde am Panzer einfach abprallen und gar nichts bewirken. Jūdai ließ sich nicht beirren und führte seine Anweisung weiter aus. »Ziele dabei auf den Boden, sodass richtige Gräben entstehen.« Corasonn wippte nach vorn, als wollte es ihm zunicken. Sein Körper spannte sich an und mit gewaltigem Druck schoss Wasser in Form eines Strahls aus seinem Maul. Überall, wo der Wasserstrahl den Boden berührte, riss die Erde auf und verformte sich. Es entstanden Furchen und Hügel überall in der Arena. Professor De Medici beobachtete das Spektakel mit einer hochgezogenen Augenbraue. Die Idee dahinter war ganz nett, hatte aber einen Schwachpunkt. »Während ihr den Boden bewässert, seid ihr meiner Attacke ausgeliefert.« In rasender Geschwindigkeit steuerte Forstellka wieder auf Corasonn zu und landete einen Volltreffer. Seine hohe Verteidigung hielt noch einem weiteren Angriff stand, aber statt sich selbst zu schützen, konzentrierte es weiter den Wasserstrahl auf den Boden. Inzwischen hatte die Arena Ähnlichkeit mit einem Ackerfeld. »Beende es jetzt!«, wies Professor De Medici an und sein Pokémon rammte Corasonn. Von der Wucht des Angriffs wurde es zurückgeschleudert und aus der Arena gekegelt. Die rosafarbene Haut war übersät mit Schrammen und Dreck. Mühsam versuchte es sich noch mal auf die Beine zu ziehen, brach jedoch erschöpft zusammen. Der Kampfrichter beobachtete dies zusammen mit Jūdai und verkündete das Ergebnis dieser Runde. »Corasonn kann nicht mehr weiterkämpfen. Forstellka hat gewonnen!« Jūdai hatte den Pokéball bereits zur Hand und rief seinen geschwächten Partner zurück. Sein Blick schweifte über die Arena hinweg, die mit all den Gräben wie ein Schlachtfeld aussah. Auch wenn er das zweite Mal verloren hatte, konnte er nicht anders als zu lächeln. »Du hast das großartig gemacht. Vielen Dank, Corasonn.« Er steckte den Ball zurück an seinen Gürtel und griff zum Nächsten - zum Letzten. Als sich seine Hand um den Pokéball schloss, war dieser unerwartet warm. Irritiert sah er auf das Innere und blickte einem Paar Knopfaugen entgegen, die vor Entschlossenheit loderten. »Du willst nicht mehr warten, stimmt's?« Ohne eine Antwort zu erwarten, warf Jūdai den Ball in die Arena. »Los, holen wir uns den Sieg, Flemmli!« Aus weißem Licht heraus erschien ein Pokémon mit hellorangenem Federkleid. Es stand auf zwei Beinen und trug auf dem Kopf einen gelbleuchtenden Federschmuck. Es maß keinen halben Meter, doch plusterte sich auf und scharrte mit den Krallen, um seine Bereitschaft für den Kampf zu signalisieren. Sein Bürzel zuckte leicht vor Anspannung. So sehr sich das Pokémon auch bemühte, bedrohlich zu wirken, war Professor De Medici es langsam müde. Bis auf wenig Dreck aufzuwühlen, hatte er mit diesen drittklassigen Exemplaren nichts erreicht, außer seine kostbare Zeit zu vergeuden. »Nun gut, ich möchte zwar nicht drängen, aber ich habe noch eine ganze Menge zu tun. Bringen wir es zu Ende.« Es brauchte keine Anweisung für Forstellka, damit es sich mit der Walzer-Attacke auf den Gegner zubewegte. »Schnell, weich aus!«, rief Jūdai und Flemmli hüpfte flink zur Seite. Inzwischen hatte er das Timing seines Gegners raus und sein dritter Partner reagierte schnell. »Mit bloßem Ausweichen wirst du mein Pokémon nicht besiegen«, informierte Professor De Medici unnötigerweise, als wäre das noch nicht offensichtlich genug. »Du zögerst die Niederlage für dich bloß hinaus!« »Dann schauen Sie mal gut zu!« Nachdem Flemmli dem nächsten Treffer entronnen war, fand es in einer seitlichen Position zu Forstellka neuen Stand. »Ruckzuckhieb!« Wie schon bei Rattfratz fügte der Angriff nur geringen Schaden zu, doch der Winkel, in dem die Attacke traf, brachte ihren Gegner zum Schlingern. »Che fai-?!« Forstellka driftete in einen Graben und verlor die Kontrolle über seine Strecke. Trotzdessen blieb es auf Tempo und noch bevor es seine Bewegung wieder im Griff hatte, landete es im nächsten Graben. »Großartig!«, jubelte Jūdai und lachte. Es hatte bloß eine vage Idee davon gehabt, wie dieser Plan funktionierte und war begeistert, wie gut es am Ende funktionierte. Flemmli wich dem durchdrehenden Forstellka weiter aus und nutzte jede Chance für einen weiteren Ruckzuckhieb, um die Balance weiter zu verhindern. Die Wucht von Walzer ging dabei nicht spurlos an ihm vorbei. Zuletzt war es immer noch um einiges kleiner und schwächer und die Attacke des Gegners sehr mächtig. Bevor es zu sehr geschwächt war, musste Jūdai den finalen Angriff schaffen, sonst wäre sein Traum vom Pokémon-Meistertitel vorbei. Er brauchte bloß eine Gelegenheit. Mit dem nächsten Ruckzuckhieb wurde Flemmli von Walzer zurückgestoßen, kullerte über den Arenaboden und kam auf dem Bauch zum Liegen. Jūdai setzte zu einem Schritt nach vorne an, doch besann sich noch einmal. Wenn er zu seinem Pokémon hineilte, wäre der Kampf vorbei und damit seine Chance auf den Sieg verstrichen. Gleichzeitig konnte er nicht von diesem kleinen Wesen erwarten, dass es sich für ihn bis aufs Letzte abmühte, nur damit er an eine Schule gehen durfte. Ein energisches Fiepen riss ihn aus seinem Zwiespalt. Während er mit sich rang, hatte Flemmli sich auf seine dünnen Beine gezogen und plusterte sein Gefieder, als könnte es den Schaden einfach von sich abschütteln. Noch mal fiepte es und kratzte mit seinen Krallen die Erde auf. Es war nicht bereit, diesen Kampf aufzugeben. Ein Kloß bildete sich in Jūdai Hals und er musste kräftig Schlucken, um ihn herunterzuwürgen. »Alles klar, Flemmli! Wir kämpfen bis zum Schluss – zusammen!« Wie zur Bestätigung fiepte es ein weiteres Mal und ging in Bereitschaft für den nächsten Angriff. Sein Körper war angespannt und die orangenen Federn begannen zu glimmen wie eine wachsende Glut im Zunder bis es als Leuchten seinen ganzen Körper einhüllte. ◓ Das Glühen war bis zu den Zuschauerrängen erkennbar und weckte Daichis Interesse. Er lehnte sich gegen das Geländer der Tribüne, als könnte er so genauer erkennen, was mit Flemmli passierte. »Ist es das, was ich denke?« Asuka hatte es ebenfalls bemerkt. »Es sieht danach aus, dass es seine Fähigkeit aktiviert.« »Und wenn schon«, murrte Jun unbeeindruckt. Das Pokémon war schwach. Seine Fähigkeit würde daran nicht viel ändern. Hinter ihnen machte sich ein kaum vernehmbares Drucksen bemerkbar und erreichte die Aufmerksamkeit der Studierenden. Daichi und Asuka wollten die Quelle identifizieren und sahen zu Shō. Sein Gesicht war durchsetzt mit einer fleckigen Röte. »W-… was bewirkt die Fähigkeit von Flemmli?« Als angehender Student der Akademie sollte er das vermutlich wissen, doch es fiel ihm nichts dazu sein. Da die drei vor ihm in den Rängen dazu jeder eine eigene Meinung hatten, wollte er es aber doch gerne wissen. Seine Neugier siegte über sein Schamgefühl. Asuka betrachtete Shō für einen Moment, bevor sie sich wieder dem Kampf zuwandte. »Es sieht für mich wie die Fähigkeit Großbrand aus.« Ohne das Pokémon genau zu kennen, war es nur eine Vermutung. Allerdings war der aktuelle Stand der Forschung, dass bei Flemmlis nur zwei mögliche Fähigkeiten auftraten und Großbrand war die Übliche. »Mit dieser Fähigkeit werden alle Attacken vom Typ Feuer im Angriff verstärkt.« Daichi nickte zustimmend. »Da Flemmli ein Pokémon vom Typ Feuer ist, werden Attacken dieses Typs ohnehin um 50% verstärkt. Durch diese Fähigkeit kommt eine Verstärkung von 50% obendrauf.« Sein Blick schweifte zu Forstellka. »Zudem ist sein Gegner anfällig für den Typ Feuer. Sogar mit einer doppelten Schwäche.« Bei den ganzen Zahlen schwirrte Shō schnell der Kopf und er brauchte einen Augenblick, um die Informationen zu verarbeiten. »Bedeutet das etwa…?« »Einen nicht zu verachtenden Vorteil«, fasste Daichi es knapp zusammen. »Das ändert nichts daran, dass dieses Flemmli unterirdisch schwach ist. Da kann es so viele Vorteile haben, wie es will. Es wird keine Attacke drauf haben, die ein entwickeltes Pokémon besiegt«, warf Jun ein. Sie konnten mit theoretischen Zahlen um sich werfen, wie sie wollten. Das änderte nichts an brutalen Tatsachen. »Wenn der Kampf gerade erst begonnen hätte, mag das stimmen«, lenkte Asuka ein. Ihr Blick blieb auf das Spielfeld gerichtet. Ab diesem Zeitpunkt wollte sie keinen Moment dieses Kampfes verpassen. »Allerdings ist es für Forstellka bereits die dritte Runde«, fügte sie ihrer Aussage noch hinzu. ◓ Professor De Medici traute seinen Augen nicht. Keine Anweisung half, dass sein Pokémon wieder auf Spur kam. Trotz seiner Stärke bewegte es sich wie ein Spielball über das Feld und die Richtung entschied dieses winzige Küken. In ihm breitete sich das Gefühl des Kontrollverlustes aus. Dieser Kampf entwickelte sich zu einem wahrgewordenen Albtraum. Doch ein Erwachen kam in Sicht. So sehr sich Flemmli auch anstrengen mochte, war es mit seinen Kräften beinahe am Ende. Er wird verlieren. Das war ganz eindeutig. Wieso wollte der Knabe es nicht verstehen. Sein Sieg würde vielleicht nicht so prachtvoll, wie er es sich vorgestellt hatte, aber er stand ganz eindeutig fest. »Egal, was du machst. Ein direkter Treffer und dieser Kampf ist vorbei!« »Dann lassen wir uns eben nicht direkt von Ihnen treffen«, entgegnete Jūdai. Es war alles ganz leicht. Der Kurs von Forstellka war klar. Diesmal sprang Flemmli nicht von der Seite auf seinen Gegner zu, sondern versteckte sich in einen der Gräben. Als Forstellka in den Graben hinein rollte, konnte sich Flemmli direkt unter ihm platzieren. Auf diese Situation gefasst, stemmte es sich mit all seiner Kraft gegen das gegnerische Pokémon und schleuderte es auf diese Weise in die Luft. »Madonna!« Forstellka verlor in der Luft an Schwung und kam schließlich fast zum Stehen. Mehrfach blinzelnd sah es hinunter zur Arena, während es tatenlos in der Luft schwebte. Dort stand Flemmli mit flammendem Gefieder. Es spannte jeden Muskel seines Körpers. In seinem Flammensack steigerte sich die Hitze und Feuer sammelte sich in seinem Schnabel an. »Jetzt gilt’s! Feuere mit Glut aus allen Rohren!« Wie aufs Stichwort zielte das Pokémon und schoss sperrfeuerartig mit brennenden Geschossen auf den Gegner. Forstellka hatte einen stabilen Panzer, doch das Feuer erzeugte enormen Schaden. Die Schale überhitzte und obendrein befand es sich im freien Fall. »Impossibile!« Das konnte nicht wahr sein. Professor De Medici sah wie versteinert dabei zu, wie sein Pokémon zurück in die Arena fiel, ohne aus dem Beschuss zu gelangen. Beim Aufprall vibrierte der Boden und Staub wurde aufgewirbelt. Flemmli beendete seinen Angriff. Schwer atmend blieb es standhaft und kampfbereit. Sollte sein Gegner sich nochmals rühren, wäre es in der Lage, den Beschuss wieder aufzunehmen. Doch das war nicht mehr nötig. Forstellka blieb bewegungslos liegen. Der Kampfrichter beobachtet das regungslose Pokémon einen Moment länger und das gesamte Stadion schien die Luft anzuhalten. »Forstellka kann nicht mehr weiterkämpfen. Damit hat Jūdai Yūki das Match gewonnen!« Er brauchte einen Moment, um das Ergebnis zu realisieren. Dann konnte Jūdai sich nicht zurückhalten. »Ja, geschafft!« Die Anspannung in seinem Körper, von der er nicht einmal bemerkt hatte, dass sie da war, löste sich aus seinen Schultern und er sprang begeistert in die Luft. »Ich bin in der Akademie! Ich bin drin!« Er lief zu Flemmli in die Arena und es sprang ihm unaufgefordert auf den Arm. Seine Temperatur war enorm, doch verletzte Jūdai nicht. Liebevoll kraulte er durch das warme Gefieder und bekam ein wohlwollendes Fiepen als Antwort. »Das haben wir zusammen geschafft.« Nachdem das Ergebnis verkündet war, konnte Professor De Medici es nicht mehr leugnen. Ein pochender Schmerz bildete sich an seiner Schläfe. Was für eine Schande. Dieser kleine Wicht hat mich tatsächlich geschlagen. Es war die unschöne Realität, aber die Vorstellung, diesen Knaben zukünftig unterrichten zu dürfen, unterdrückte er noch vehement. Am Ende würde ihm noch eine Ader platzen. ◓ Das Ergebnis war überraschend. Selbst unter Berücksichtigung der Multiplikatoren hätte Daichi nicht mit einem Sieg gerechnet. Es ließ sich nur auf die Vorarbeit der anderen beiden Pokémon zurückführen, dass Jūdai aus diesem Kampf erfolgreich hervorgegangen war. Er selbst hatte in seinem Prüfungskampf mit dem fortdauernden Schaden kalkuliert, den drei Pokémon bei einem Gegner verursachten, trotzdem war der Vergleich schwierig. In diesen Kampf war ein Faktor geflossen, den er noch nicht sicher bestimmen konnte. Für Jun war es absolut unbegreiflich, wie ein Amateur mit drittklassigen Pokémon einen Doktoranden der Kampftechniken schlagen konnte. Es gab hierfür keine sinnvolle Erklärung. Es musste Glück sein. Dieser Typ hatte nichts weiter als unverschämtes Glück. Damit wird er in der Akademie nicht weit kommen. Dafür sorge ich. Von seinem versteckten Platz aus traute Shō sich einen leisen Applaus zu. Zwar würde Jūdai davon nichts mitbekommen, trotzdem war es ihm ein Bedürfnis, dieses Ergebnis zu honorieren und er freute sich schon darauf, ihm an der Akademie über den Weg zu laufen. Asuka beobachtete mit einem Lächeln den Sieger und wie er das Pokémon auf seinem Arm trug. Das Schuljahr versprach mit Menschen wie ihm interessant zu werden. »Er hat eine große Zukunft vor sich«, sagte sie mehr zu sich selbst. Lektion 2: Willkommen an der Pokémon Akademie --------------------------------------------- TEASER – Die Überfahrt Im Passagierbereich der Fähre herrschte ein kontinuierliches Stimmengewirr. Studierende aus dem zweiten und dritten Schuljahr, die sich nach den Ferien endlich wiedertrafen, nutzten die Schifffahrt zur Akademie direkt zum Austausch über ihre Erlebnisse. Sie waren bereits in die drei Hauptfarben der Schule gekleidet; Blau, Gelb und Rot. Dadurch unterschieden sie sich optisch gleich von den Neulingen in ihrer privaten Kleidung. Eine weitere Auffälligkeit war das Verhältnis zwischen den Farben. Hauptsächlich befanden sich Studierende in gelber Schuluniform auf dem Deck, dazwischen einige in Rot und nur wenige in Blau. Shō wusste, dass es für diejenigen, die eine blaue Uniform trugen, ein weiteres Deck gab über dem Passagierdeck, auf dem sich alle anderen Studierenden befanden. Es war kleiner mit einem offenen Bereich, so viel hatte er gesehen. Ob es noch weitere Unterschiede gab, war über die Entfernung für ihn nicht festzustellen gewesen als er die Fähre betreten hatte. Allerdings vermutete er, dass der größte Reiz von diesem Deck davon ausging, dass es exklusiv für eine bestimmte Gruppe von Studierenden war. Sein älterer Bruder würde auch dort sein, um den Massen an Menschen zu entgehen. Wissen tat er es nicht, da er sich vorzeitig von ihren Eltern verabschiedet hatte, um auf die Fähre zu gehen. Jedoch hatte sich an irgendeiner Stelle des Aufenthaltsdecks längst eine Traube gebildet, wenn sich irgendwo hier aufhalten würde. Shō war es ganz recht, dass sein Bruder nicht in der Nähe war, denn so bekam er nicht mit, wie ihn die schaukelnde Fahrt zur Pokémon Akademie mürbe machte. Still saß er auf einem der Sitze im Passagierbereich, während sein Magen sich zusammenzog und verknotete. Er bemerkte die Blicke einiger Studierenden um ihn herum. Vermutlich war sein Gesicht schon kreideweiß, und sie fürchteten, dass er sich aufgrund seiner Seekrankheit in ihrer Gegenwart übergeben würde. Zitternd holte er Luft und entschied sich dazu, seinen Platz zu verlassen. Mit seinem Rucksack auf den Schultern sah er sich um. Hinten zur Fähre raus müsste er an die frische Luft kommen. Die würde ihm sicher mit seiner Übelkeit helfen. Shō schlich um die anderen Studierenden im Passagierbereich herum, ohne Aufsehen zu erregen. Es erforderte etwas Schwung, um die Tür zum freien Bereich der Fähre zu öffnen, aber sobald er sie einen Spalt breit aufgezogen hatte, wehte ihm die salzige Luft vom Meer entgegen. Schnell schlüpfte er hinaus und schloss die Tür hinter sich wieder. Der freie Bereich der Fähre war durch den Schiffsaufbau zwar geschützt, trotzdem sauste ihm der Fahrtwind durch das helle Haar und wehte ihm immer wieder einzelne Strähnen ins Gesicht. Erneut nahm Shō einen tiefen Atemzug und merkte, wie die frische Luft den Knoten in seinem Magen lockerte. Ihm war immer noch etwas übel, aber immerhin war es schon besser als drinnen. Über ihm ertönte ein Kreischen, und er blickte auf in den Himmel. Nur wenige weiße Wolken waren und dazwischen segelte ein Schwarm Wingull durch die Luft. Shō konnte nur staunen, wie die Pokémon sich in der Luft hielten und nicht zusammenstießen, während einzelne von ihnen zur Meeresoberfläche herabsegelten und nach Futter angelten. »Das ist ziemlich cool, oder?« Vor Schreck fuhr Shō zusammen, da ihm bis zu diesem Zeitpunkt nicht aufgefallen war, dass sich noch jemand im freien Bereich der Fähre aufhielt. Er war etwa einen halben Kopf größer, hatte brünettes Haar, das der Wind wild zerzauste, und kam Shō bekannt vor. Als er ihm ein gewinnendes Lächeln schenkte, fiel es ihm wieder ein. Sie waren sich bei der Aufnahmeprüfung begegnet, und er hatte ihm zu seinem Sieg gratuliert, bevor er selbst durch Professor De Medici persönlich geprüft wurde. Sie waren sich nur ganz kurz begegnet, aber Shō wusste noch, dass sich der Junge vorgestellt hatte, und seine Prüfung hatte er weiter verfolgt. Trotzdem wollte ihm sein Name nicht mehr einfallen, egal wie angestrengt er versuchte, sich zu erinnern. »Hey, komm mal her und sieh dir das an.« Mit einer winkenden Handbewegung bedeutete ihm der Junge, zu ihm zu kommen, und er folgte der Anweisung. Neugierig sah er über die Reling zur Meeresoberfläche und ließ den Blick schweifen. Durch den Antrieb der Fähre wurde das Wasser wild aufgewühlt, und es bildete sich Gischt. Kleine Tropfen Salzwasser spritzten in ihre Richtung, sodass Shō die Augen ein Stück zusammenkniff, um sie zu schützen. Nach einer Weile erkannte er zwischen den Wellen noch weitere Bewegungen. Knapp unter der Oberfläche schlängelten sich schmale Körper durchs Wasser. Schwanzflossen in auffällig orangener Farbe rotierten und ließen die Barrakiefa mit der Fähre mithalten. Neben ihnen, etwas kleiner und blasser, konnte er Pikuda erkennen. Die Wingull näherten sich der Wasseroberfläche, um die Pikuda herauszufischen. Dabei wurden sie von den Barrakiefa gestört, die hervorstießen, um nach den fliegenden Pokémon zu schnappen und sie ins Meer zu ziehen. Es war ein chaotisches Gerangel zwischen den wilden Pokémon. »So geht das schon die ganze Zeit«, stellte der Junge fest und lehnte sich mit verschränkten Armen auf die Reling. »Ist ein ziemlich ausgeglichener Kampf.« Shō war sich nicht sicher, ob das Gebaren der Pokémon als Kampf gewertet werden konnte. Wobei es ein recht dehnbares Konzept war, das sicher auch auf wilde Pokémon anwendbar war. Doch zunächst wollte er sich davon nicht ablenken lassen. Mit einem leichten Kopfschütteln machte er sich von den Gedanken frei und trat einen Schritt von der Reling zurück. »Ähm. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist M…rufj.« »Bitte?« Unbeabsichtigt hatte Shō bei seinem Nachnamen zu nuscheln begonnen, so stark, dass sein Gegenüber ihn nicht verstehen konnte. »N-nenn mich ruhig Shō«, setzte er nervös hinzu. Nach einem leichten Blinzeln begann der Junge wieder zu grinsen. »Okay, ich bin Yūki Jūdai, aber du kannst mich auch einfach Jūdai nennen.« Jūdai! Das war sein Name. Das hätte mir einfallen müssen, dachte Shō und ärgerte sich ein bisschen, dass er es verdrängt hatte. Allerdings machte Jūdai nicht den Anschein, dass er es ihm übelnahm. Also versuchte er, sich selbst darauf nicht zu versteifen. ◓ Die Überfahrt von Naha zur Pokémon Akademie war für ihn wie jedes Jahr. Auf dem Oberdeck der Studierenden von Articunos Mystic wurden Kontakte geknüpft. Viele würden dies auch gerne mit ihm tun, doch dank seiner guten Leistungen an der Akademie hatten selbst neue Studierende schon zum Schulbeginn zu viel Achtung vor ihm, um ihn ohne Aufforderung anzusprechen. Dieses Privileg wusste er an ihrem Schulsystem sehr zu schätzen. Doch trotz seines Ranges gab es einige wenige Personen, die sich nie scheuten, direkt auf ihn zuzugehen. Kameradschaftlich legte sich ein Arm auf seine Schulter und ließ ihn den Blick vom Meeresausblick abwenden. Fubuki stand neben ihm mit dem üblichen entspannten Grinsen im Gesicht. »Yo, Ryō. Lange nicht gesehen.« Zur anderen Seite trat Yusuke an ihn heran und nickte höflich. »Ich hoffe, du hast die Ferien zusammen mit deiner Familie genießen können.« Ryō begrüßte seine beiden Kameraden mit einem verhaltenen Lächeln. »Schön euch zu sehen.« Sein Blick glitt an Fubuki vorbei zu einem jüngeren Mädchen an seiner Seite. »Ich nehme an, du bist Fubukis Schwester?« Mit einem kurzen Nicken bestätigte sie die Annahme. »Tenjōin Asuka. Es freut mich sehr, dich zu treffen.« Ihre Haltung war gerade, aber nicht steif. Am Trainergurt trug sie bereits einen Pokéball, der sogleich die Aufmerksamkeit auf sich zog. »Du hast bereits ein Partnerpokémon bei dir?«, stellte Ryō fest und bemühte sich nicht, sein Interesse zu verbergen. Für die Studierenden aus dem ersten Jahr war es unüblich, bereits ein Pokémon vor Jahresbeginn zu besitzen. Gestattet wurde es nur wenigen. Asuka nahm den Pokéball in ihre Hand und betrachtete die rote Metallschale, durch die sie ein Paar schwarzglänzender Augen ansahen. Ryō folgte ihrem Blick und sah auf ein Pokémon mit einem expressiven Federkleid. Jede Feder war gepflegt, und die Flügel wie Fächer kunstvoll vor dem Körper positioniert. »Ein Choreogel? Interessant. Es ist wandelbar und dadurch von Natur aus flexibel und kann sich an verschiedenste Gegebenheiten anpassen.« Yusuke zeigte ebenfalls Interesse und neigte sich Asuka zu, um einen Blick auf den Pokéball zu bekommen. Durch die rote Schale war die Farbe des Pokémon nicht gut zu erkennen, doch seine ausdrucksstarken Posen verrieten, was er wissen wollte. »Das ist der Buyo-Stil, richtig?« Wenn er sich richtig erinnerte, wechselten Choreogel je nach Stil zu teilen ihren Charakter und ihren Typ. Dieses Exemplar wirkte sehr gefasst und ruhig, trotz der vielen Blicke, die auf ihm lagen. »Switch ist schon seit langem meine Begleiterin, und wir wollen uns hier beide weiterentwickeln«, erklärte Asuka. Als wolle es ihre Aussage bestätigen, flatterte ihr Pokémon mit den Flügeln. Es ließ sie unwillkürlich lächeln. Ryō nickte verstehend. Ohne die beiden zuvor in einem Kampf beobachtet zu haben, war er sich sicher, dass sie ein tiefes Vertrauen zueinander hegten. Freundschaftlich knuffte Fubuki sie mit dem Ellbogen in die Seite. »Mein Schwesterherz zählt unter den Neulingen bereits zu den Favoriten«, berichtete er seinen Freunden stolz. Asukas strengen Seitenblick ignorierte er geflissentlich. »Mit etwas Fleiß wird sie sicher die Top-Studentin ihres Jahrgangs.« »Du meinst, wenn sie sich etwas mehr Mühe gibt als du?«, fragte Yusuke mit amüsiertem Unterton. Asuka kaschierte ihr Lachen durch ein Husten hinter vorgehaltener Hand. Mit einer lockeren Handbewegung wischte Fubuki die kleine Spitze von sich. »Für meine Pläne muss ich nicht als Bester der Akademie gelten.« Mit einem zufriedenen Grinsen sah er seine beiden Freunde an. »Und um mit euch abhängen zu können, reichen meine Leistungen vollkommen. Also, was sagt das bitte über euch aus?« Yusuke quittierte die Frage mit einem Schulterzucken. »Über uns oder über den Rest, wenn es niemanden gibt, der vergleichbar gute Noten erzielt.« »Jetzt tu mal nicht so, als wäre ich komplett von euch abgehängt«, wandte Fubuki ein. »Falls du über die Ferien vergessen hast, wie gut ich eigentlich bin, können wir deine Erinnerungen gerne auffrischen, sobald wir den Campus erreicht haben.« Unwillkürlich hatte er schon einen Pokéball in der Hand, was seiner Aussage zusätzlich Nachdruck verlieh. Sein Freund hob beschwichtigend beide Hände vor die Brust. »Vielen Dank für das Angebot, aber nicht nötig. So lange ist unser letztes Match noch nicht her, um zu vergessen, wie knapp der Sieg war.« Über die letzten zwei Jahre hatte ihr steter Wettbewerb sowohl Siege als auch Niederlagen für beide Seiten bedeutet. Nur wenn Ryō in die Wertung miteinbezogen wurde, konnte zumindest ein Platz 1 unter ihnen bestimmt werden. Vom Typ her waren Yusuke und Fubuki beide nicht die Art von Menschen, die großen Wert darauf legten, den zweiten Platz für sich zu beanspruchen. »Asuka sollte sich jedenfalls besser Ryō zum Vorbild nehmen«, schloss Yusuke mit einem freundlichen Lächeln. »Aber nur, wenn es um Pokémon-Kämpfe geht«, fügte Fubuki schnell hinzu. In einem Anflug von Fürsorge lehnte er sich an seine kleine Schwester, die den Annäherungsversuch mehr duldete als guthieß. »Guck dir bloß nicht diese stocksteife Art ab, das würde mir das Herz brechen.« »Ist klar«, seufzte Asuka leise und konnte nicht anders, als die Augen zu rollen. So lieb sie ihren Bruder hatte, nahm er ihr manchmal den Raum zum Atmen. Bestimmt brachte sie wieder Abstand zwischen sich und ihn. Ryō hatte bereits zwei Schuljahre mit den beiden Jungs verbracht, und Fubukis flatterhafte Art war ihm vertraut. Trotzdem war es geradezu erfrischend, ihn mit seiner Schwester agieren zu sehen, die offenkundig einen besonderen Stellenwert für ihn hatte. »Wenn du mal eine Frage hast, komm gerne auf mich zu, Asuka.« Bisher hatte sie neben ihrem Bruder mehr wie die Ältere von beiden wirken wollen, doch nun wurden ihre haselnussbraunen Augen groß und ließen sie viel jünger wirken. Sie nickte zögerlich, nicht ganz sicher, was eine angemessene Reaktion auf das Angebot war. Grundlegend war Ryō Marufuji auch nur ein Student der Pokémon Akademie, so wie alle anderen. Doch selbst ohne ihren Bruder hätte sie schon vor ihrer Einschreibung von ihm gehört, da er in diversen Turnieren als Sieger hervorging und gute Chancen hatte, nach der Schule direkt in der Profi-Liga zu starten. Es hatte seinen Grund, dass er bereits den Beinamen "Kaiser" trug. »Da fällt mir ein, dass ich auf der Liste der Neulinge den Namen Marufuji gesehen habe. Ist das zufällig dein kleiner Bruder?« Als die Informationsschreiben für das kommende Schuljahr bei ihnen eingetroffen waren, hatte Fubuki die Liste von Asukas Jahrgang geprüft und der Name war ihm gleich ins Auge gesprungen. »Ja, ist er«, bestätigte Ryō. Es war ihm nicht ganz begreiflich, was Shō dazu bewegte, diese Laufbahn einzuschlagen. Am Hafen von Naha hatte er die ganze Zeit den Eindruck vermittelt, als wollte er lieber an einem anderen Ort sein. Fubuki pfiff anerkennend. »Du musst ihn uns bei Gelegenheit vorstellen, ja? Er startet auch bei Zapdos‘ Instinct, oder?« Mit zusammengezogenen Augenbrauen verschränkte er die Arme vor der Brust. »Selbst als kleiner Bruder vom Kaiser kommt man nicht so einfach zu Articunos Mystic.« »Wenn er genau so ein Talent wie Ryō ist, wird er sicher mit den ersten Zwischenprüfungen im Rang aufsteigen«, überlegte Yusuke, während er sich daran erinnerte, wie es bei Ryō und ihm damals gewesen war. Fubuki war wie Asuka bereits zur Einschulung Articunos Mystic zugewiesen, während sie nach der Aufnahmeprüfung bei Zapdos‘ Instinct eingeteilt wurden. Erst über den Verlauf des ersten Jahres hatten sie durch gute Noten und Prüfungsergebnisse den Aufstieg geschafft. Die Plauderei wurde jäh unterbrochen, als das Gekreische mehrerer Wingull zu ihnen drang. Einige andere Studierende hatten die Pokémon ebenfalls gehört und waren in den hinteren Bereich des Oberdecks gekommen, um entlang der Fensterfront nach der Ursache Ausschau zu halten. Die Gruppe hatte bereits Logenplätze für das Schauspiel und konnte beobachten, wie mehrere Wingull zum freien Bereich der Fähre flogen. Sie scharrten sich um zwei Jungen, die mit gesenkten Köpfen den Flügelschlägen auswichen. Der Größere von ihnen hielt ein Potama-Sandwich in der Hand und bemühte sich darum, das Essen vor den Pokémon zu schützen. »Die haben sich den schlechtesten Platz für einen Snack ausgesucht«, bemerkte Fubuki und war viel zu interessiert daran, zu beobachten, wie der Brünette sein Sandwich vor den Schnäbeln der Wingull verteidigte. Ryō schätzte den Kampf als vergeblich ein und sollte Recht behalten. Die Seemöwen-Pokémon wurden immer zudringlicher, und es hatte nicht mehr viel gefehlt, bis sie nach den Armen schnappten. Zu diesem Ergebnis war wohl auch der Junge mit dem Sandwich gekommen und warf seinen Snack mit viel Schwung über die Reling ins Meer. Die Wingull folgten dem Essen, und die beiden Neulinge konnten aufatmen. Zunächst sahen sie den Pokémon hinterher, dann wandte sich der Kleinere um und sah zum Oberdeck zu den Studierenden an der Fensterfront. Aufgrund der Lichtverhältnisse müssten die Scheiben zu stark spiegeln, als dass er etwas erkennen könnte. Trotzdem hatte Ryō das Gefühl, dass Shō direkt zu ihm hinübersah. AKT I – Erstes Pokémon, erste Partnerschaft Die Pokémon-Akademie befand sich abgelegen auf einer Insel vor der Küste von Okinawa. Lehrkräfte und Studierende reisten für gewöhnlich per Fähre vom Hafen in Naha an. In seltenen speziellen Fällen gab es die Möglichkeit, mit dem Helikopter die Insel anzusteuern. Der kleine Hafen der Insel sowie der Landeplatz waren die einzigen Zugänge zum Eiland. Für das Studium der Pokémon wurde das Umfeld der Insel so natürlich belassen wie möglich. Neben dem Campusgebäude gab es Unterkünfte für Lehrpersonal und Studierende. Die restliche Insel war dicht bewaldet mit Seen und Flussläufen, und zur einen Seite des Meeres erstreckte sich eine breite Sandbank, während sich zur hinteren Hälfte hin ein Gebirge mit einem Vulkan auftürmte. Als die Fähre an der Pokémon-Akademie einfuhr, erwartete sie bereits das Aufsichtspersonal. Studierende aus dem zweiten und dritten Jahr wurden gebeten, zunächst ihre Unterkünfte aufzusuchen, während die Neulinge versammelt und zum Hauptgebäude geführt wurden. Jūdai hatte Probleme, in der Reihe zu bleiben. Statt den Blick geradeaus zu halten, um zu sehen, wohin er ging, schaute er in jede Richtung, in der sich etwas bewegte. Selbst so nah an den Gebäuden tummelten sich Pokémon zwischen den Büschen und Ästen und am Himmel. Sie schienen sich gar nicht groß für die neuen Studierenden zu interessieren und folgten ganz gewohnt ihrer Natur, suchten Nahrung und Material für ihre Nester. Kurz bevor Jūdai mit einer anderen Person zusammenstieß, griff Shō nach seinem Arm und zog ihn auf Kurs. »Vorsichtig.« »Hui, danke dir. Das war knapp.« Er klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter und lachte die Sorgen einfach hinweg. Alles um ihn herum war viel zu spannend. Falls er mit jemandem zusammenstieß, würde er sich entschuldigen. Das war einfacher, als alles um ihn herum zu ignorieren. Dafür war er schließlich an diesen Ort gekommen. Im Hauptgebäude wurden sie in die große Arena geführt, die das Zentrum im Komplex bildete. Zu den Seiten waren mehrere Tische aufgereiht, und mittig war eine provisorische Bühne errichtet. Auf dieser stand an einem Mikrofonständer der Direktor, in einer auffälligen purpurnen Uniform, sowie hinter ihm aufgereiht die Dekane der fünf Fachrichtungen der Akademie. »Willkommen an der Akademie und willkommen in der aufregenden Welt der Pokémon«, begrüßte sie der Direktor, und hinter ihm an der Wand des Stadions blitzte ein Bildschirm auf, der ein Video abspielte, welches verschiedene Lebensräume für Pokémon zeigte. »Ich bin Direktor Samejima, und ihr seid die besten jungen Trainer auf der Welt.« Aus den Reihen der Studierenden erfolgte Beifall, in den die Dekane auf der Bühne mit einstimmten. Das Video im Hintergrund wechselte zu verschiedenen Unterrichtseinheiten und Herausforderungen mit Pokémon-Kämpfen. Der Direktor ließ seinen Blick über die Reihen gleiten und lächelte zufrieden. »Ihr alle habt während der Prüfungen euer Können unter Beweis gestellt und damit den Weg für eure Zukunft geebnet. Habt Spaß am Lernen und folgt weiter eurem Traum, ein Pokémon-Meister zu werden.« Jūdai bekam nur am Rande mit, wie das Wort an eine weitere Person übergeben wurde, da seine Aufmerksamkeit sich voll auf den Bildschirm verlagert hatte. Unterricht in Klassenzimmern war nichts Neues, aber die Aussicht auf das Zusammenarbeiten mit Pokémon, mit ihnen an Wettbewerben und Kämpfen teilzunehmen, zog ihn ganz in den Bann. Das Bildmaterial war begrenzt, genügte jedoch, um seine Vorstellungskraft anzutreiben. Er konnte es kaum erwarten, seinem ersten Partner-Pokémon zu begegnen. Das Ziehen an seinem Ärmel holte ihn zurück ins Stadion, und sofort sah er zu Shō, der dabei war, ihn in eine Richtung zu ziehen. »Wir sollen unsere Uniformen abholen«, erklärte er und zeigte auf die aufgereihten Tische am Rand. Dort lagen, in den drei Hauptfarben der Schule, Uniformen und Rücksäcke aus. Sobald man dem Personal seinen Namen nannte, wurde eine Liste abgeglichen, und ein Rucksack sowie eine Uniform in Form einer Jacke ausgehändigt. Alle Studierenden zogen sich ihre Jacke sogleich an, ohne extra darum gebeten zu werden. Jūdai und Shō erhielten jeweils eine rote Jacke. Von den drei Hausfarben war es Jūdais Liebste. Sobald er die Arme durch beide Ärmel gesteckt hatte, schulterte er den Rucksack und zog seinen Studierendenausweis aus der Innentasche der Jacke heraus. Neben seinem Namen standen dort seine Matrikelnummer, Zugehörigkeit und der Jahrgang notiert. »Ich bin Moltres‘ Valor zugeteilt und du?« »Ich auch«, sagte Shō und sah von seinem Ausweis auf. Er wusste nicht so recht, ob er sich darüber freuen oder deprimiert sein sollte. Die Begeisterung von Jūdai war jedoch ansteckend, sodass es ihm leichter fiel zu lächeln. Nach und nach waren alle Neulinge ausgestattet, und es entstand ein bunter Mix aus wenig Blau, viel Gelb und etwas Rot. Das Farbspektakel löste sich auf natürliche Weise, indem sich die Studierenden in der ihnen zugewiesenen Farbe gruppierten. Einige blieben in Rot und Gelb untermischt, während diejenigen in Blau in Begleitung einer Lehrkraft die Arena als erste verließen. Blinzelnd sah Jūdai ihnen nach und war schon dabei, sich in Bewegung zu setzen, als Shō ihn abermals festhielt. Irritiert sah er sich zu seinem Kameraden um. »Was denn? Sind wir hier nicht fertig?« »Schon, aber wir sind noch nicht dran«, sagte Shō, während sich leichte Falten auf seiner Stirn bildeten. Während der Begrüßung des Direktors beschlich ihn bereits das Gefühl, dass Jūdai nicht so genau aufgepasst hatte. Nun überlegte er, ob er die gesamten organisatorischen Regelungen wiederholen sollte, bevor sein Kamerad drauflos lief. »Was? Wer entscheidet das denn?« Jūdais Unterlippe schob sich vor, um seine Empörung Ausdruck zu verleihen. Zu warten erschien ihm wie verschwendete Zeit. Shō rang nach den richtigen Worten, um es ihm zu erklären, als ein Kommilitone zu ihnen herantrat. »Die Leistung bei der Aufnahmeprüfung hat es entschieden«, erklärte der und neigte den Kopf zur Seite, während er Jūdai musterte. Seine Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln, das nicht zu den zusammengezogenen Augenbrauen passte. »Dass du Moltres‘ Valor zugeteilt wurdest, ist allerdings irgendwie ... eigenartig.« »Hey, was willst du damit andeuten?«, fragte Jūdai mit verschränkten Armen, als er sich dem Neuankömmling zuwandte. Dieser war etwas größer als er und trug eine gelbe Uniformjacke. »Wer bist du überhaupt?« »Misawa Daichi, freut mich«, antwortete der, und sie reichten sich zur Begrüßung die Hand. Dann fuhr er fort: »Bei den Aufnahmeprüfungen hatte ich dein Match mit Doktor De Medici mitverfolgt. Deine Strategie war ziemlich verwegen, aber vermutlich hat genau das zu deinem Sieg beigetragen.« »Heh, danke dir«, sagte Jūdai verlegen, aber mit einem Grinsen. Es war zwar kein überwältigend großes Lob, aber trotzdem freute es ihn, darauf angesprochen zu werden, da er selbst ganz stolz darauf war, dass es geklappt hatte. »Das war schon ein hartes Match, aber als zukünftige Nummer 1 muss ich mich solchen Herausforderungen stellen.« »Die zukünftige Nummer 1, huh?« Daichi verschränkte die Arme vor seiner Brust und musterte sein Gegenüber von unten bis oben. Verglichen mit den aktuellen Tatsachen wirkte die Aussage wie ein schlechter Witz und das Selbstvertrauen von Jūdai wie Überheblichkeit. Allerdings lag die Wahrscheinlichkeit nicht bei null, und es hatte sich bereits gezeigt, dass Jūdai eine geringe Chance erfolgreich umwandeln konnte. Das Schuljahr mit ihm wird sicher interessant. Nachdem er sich zunächst gestreckt hatte, verschränkte Jūdai die Hände im Nacken und ließ den Blick schweifen. »Also, wann können wir dann los?«, fragte er noch einmal und sah abwechselnd zu Shō und Daichi. Der Kleinere der beiden hielt sich zurück, und daher übernahm Daichi. »Zunächst dürfen diejenigen zur Auswahl, die Articunos Mystic zugeteilt wurden. Im Anschluss sind alle von Zapdos‘ Instinct dran, und zum Schluss Moltres‘ Valor.« »Okay, na gut«, erwiderte Jūdai. Ganz passte es ihm nicht, denn es bedeutete, dass er eine Weile warten musste, bevor er sein erstes Pokémon traf. In die nächste Gruppe Studierender kam Bewegung und wurde von einer Lehrkraft aus der Arena geführt. Für Daichi war das der Anlass, sich zu verabschieden. »Ich muss dann los. Wir sehen uns sicher später mal.« Mit einer lockeren Handbewegung winkte er ihnen noch zu und schloss sich seinen Mitstudierenden von Zapdos‘ Instinct an. Jūdai erwiderte die Geste kurz und verschränkte dann die Arme hinter seinem Kopf. Mit einem langen Atemzug sah er sich gelangweilt in der Arena um. An sich war es eine aufregende Kulisse, doch die Aussicht darauf, seinem ersten Partner-Pokémon zu begegnen, überragte alles. Um sich die Zeit etwas zu vertreiben, begann Shō den Inhalt seines Rucksacks zu prüfen und fand neben sorgsam gefalteten Uniformjacken zwei Geräte. Das eine war ein aufklappbarer PokéNav, der vermutlich zur schnellen Kommunikation und Stundenplanorganisation dienen sollte. Daneben war ein rot lackierter PokéDex. Mit einer gewissen Ehrfurcht ließ er den Dex aufspringen, und das Display begann zu leuchten. Ein Sucher öffnete sich auf der Rückseite und zeigte auf dem Display den offenen Rucksack an. Damit gewann das Gerät Jūdais Aufmerksamkeit, und er beugte sich zu Shō hinüber, um ihm über die Schulter zu schauen. »Was macht es da?«, erkundigte er sich, während eine blaue Linie über den Bildschirm auf und ab wanderte. »Es scannt die Umgebung nach Pokémon«, vermutete Shō. Da sich im Augenblick keine Pokémon in der Nähe befanden, konnte er sich jedoch nicht überzeugen und schaltete das Gerät wieder aus. Wenn sie mit der Auswahl dran waren, würde er es noch einmal versuchen. Während er noch dabei war, alles zurück in den Rucksack zu packen, kam Bewegung in alle Studierenden, die noch darauf warteten, dass sie zur Pokémon-Auswahl geführt würden. »Wir sind wohl endlich dran«, stellte Jūdai fest und schulterte seinen Rucksack. Shō tat es ihm gleich, und die beiden folgten den anderen Studierenden mit roter Uniform. An der Spitze lief eine Lehrkraft und erklärte ein paar Dinge zum Auswahlverfahren. Allerdings waren die Studierenden damit beschäftigt, sich untereinander auszutauschen, sodass die Worte im Gemurmel und Geschnatter untergingen. Ihr Weg führte sie durch lange Korridore, die an Klassenzimmern vorbeiführten, zu einem Seiteneingang des Hauptgebäudes. Neben der hohen Doppeltür, die ins Freie führte, war eine lange Theke, an der sich verschiedene Studierende mit einem Pokémon an ihrer Seite scharrten. Mit einem kurzen Klatschen machte ihre Lehrkraft alle auf sich aufmerksam, sodass sie das weitere Vorgehen erläutern konnte. Der Ausgang neben der Theke führte zu einem abgeschirmten Bereich, in dem sich Pokémon aufhielten, die das Personal der Akademie herangezogen hatte. Durch die menschliche Aufzucht waren sie zahm und zutraulich. »Eure erste Aufgabe an der Akademie ist es, zu einem dieser Pokémon eine Verbindung aufzubauen, sodass sie sich euch anschließen wollen«, erklärte Professor Satō mit monotoner Stimme. Einige zögerten wie Shō, aber für Jūdai kam es einem Startschuss gleich. Mit einem kurzen Nicken kam er der Aufforderung des Professors nach und ging an der Theke vorbei durch die Tür in den offenen Bereich. Neben vielen jungen Pokémon waren dort noch weitere Studierende in gelben und blauen Jacken gekleidet, die zwischen den Pokémon umherstreiften, unter Bäumen oder am Wasser saßen. Um sie herum liefen Pokémon, schauten neugierig zu und näherten sich an oder gingen unbekümmert ihrer Wege. Manche liefen aufgeregt umher und versteckten sich, aber ihre Körpersprache verriet Jūdai, dass ihr Verhalten einen spielerischen Hintergrund hatte. Weitere Studierende von Moltres‘ Valor folgten ihm und sahen sich ebenso um. Als mehr dazu kamen, richtete sich die Aufmerksamkeit der Pokémon auf sie. Einige kamen auf sie zu, andere beobachteten aus der Entfernung das Geschehen. Jūdai und einige andere gingen in die Hocke, um mit den kleinen Pokémon besser auf Augenhöhe zu sein. Ein Pokémon mit rundlichem Körper und dunkelblauer Färbung kam auf ihn zu. Sein Bauch war weiß mit einem Spiralmuster darauf. Es blieb vor ihm stehen und schaute aus großen Glubschaugen zu ihm auf. In seiner Neugier streckte es sich ihm entgegen, doch mit seinen sehr kurzen Beinchen kam es nicht sonderlich hoch. Um sich in Balance zu halten, stützte es sich mit der Schwanzflosse am Boden ab. Sachte streckte Jūdai die Hand dem Pokémon entgegen und berührte seine Stirn. Die blaue Haut war glatt und fühlte sich weich an. Das Lächeln auf Jūdais Gesicht wurde zu einem breiten Grinsen. Nachdem er es kurz getätschelt hatte, sank es zurück auf beide Beine. So musste es sich nicht mehr mit seiner Flosse stützen und klatschte freudig mit ihr auf den Boden. Die Augen weiter auf ihn gerichtet, schlossen sich die Lider kurz nacheinander. Mit seinem runden Mund formte es eine Blase, die sich löste und langsam aufstieg, bis sie nach wenigen Sekunden platzte. Aufgeregt sprang es auf und lief mit kleinen schnellen Schritten an Jūdai vorbei. Er sah ihm kurz nach und bemerkte dabei nicht, wie Shō an seine Seite trat. Sein Blick folgte kurz dem Pokémon, dann sah er auf den PokéDex, den er wieder in den Händen hielt. »Was ist ein Quapsel? Ein Wasserpokémon«, las er von den Informationen auf dem Display ab. Jūdai wandte sich zu ihm um und betrachtete das Gerät in seinen Händen. »Willst du deinen Partner damit finden?« Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, doch mit dem geneigten Kopf und der gerunzelten Stirn wirkte es eher schief. Erschrocken blickte Shō ihn an. »Natürlich nicht!«, stammelte er schnell. Seine Finger um den PokéDex bewegten sich unruhig, als strahlte das Gerät eine unangenehme Hitze aus. Im Affekt versteckte er es hinter seinem Rücken. Die Reaktion ließ Jūdai blinzeln und schließlich auflachen. Er stand langsam wieder auf und klopfte seinem Kameraden auf den Rücken. »Entspann dich ein bisschen. Wenn du so steif bist, bekommen die Kleinen noch Angst und verstecken sich vor dir.« »Angst vor mir?«, echote Shō und riss die Augen auf. Es klang vollkommen absurd, dass irgendetwas auf der Welt vor ihm Angst haben könnte. Trotzdem wollte er sich die Worte zu Herzen nehmen. Wenn er zu verspannt auf ein Pokémon zuging, könnte das abfärben und zu einem Unglück führen. Er nahm einen tiefen Atemzug und entspannte die Schultern. Jūdai nickte ihm ermutigend zu, bevor seine Aufmerksamkeit von einigen fliegenden Pokémon eingenommen wurde. Ein Voltrel flog knapp an seinem Kopf vorbei, sodass er einen Windzug spüren konnte. Seine gelben Federn hatten es aus dem Augenwinkel gut erkennbar gemacht. Als es seinem Kopf am nächsten war, hatte er das Gefühl, ein Knistern zu hören, und kurz bauschten sich einzelne Haarsträhnen von ihm auf. »Abgefahren!«, staunte er, während er dem Pokémon mit großen Augen nachsah. Seine Füße bewegten sich von selbst, und er lief ohne viele Gedanken daran zu verschwenden, in die Richtung, in die das Voltrel flog. Er konnte nicht sehen, ob es irgendwo gelandet war, aber das war ihm nicht so wichtig. In welche Richtung er auch sah, entdeckte er neue Pokémon. Einige lange Blätter, die aus der Erde ragten, zuckten kurz, als er an ihnen vorbeiging, und als er gerade nicht hinsah, sprangen Myrapla aus dem Boden und liefen zu einem schattigen Plätzchen, um sich dort wieder in der Erde zu vergraben. Das viele Treiben um ihn herum war überwältigend, und schließlich ließ sich Jūdai einfach ins Gras fallen. Sein Blick gen Himmel zeigte ihm weitere fliegende Pokémon, und die Ohren so nah am Boden ließen ihn die Stimmen um ihn herum deutlicher hören. Immer mehr Studierende fanden ihre Partner-Pokémon, während er dort lag und einige schiefe Blicke erntete. Mit seinem Verhalten kam er der gestellten Aufgabe nicht nach, oder zumindest nicht der Vorstellung davon, wie diese Aufgabe zu bewältigen sei. Weil er so in sich versunken war, bemerkte er gar nicht, dass um ihn herum immer weniger andere Menschen waren. An ihrer Stelle fanden sich neue Pokémon ein, die sich zuvor aus dem Tumult zurückgezogen hatten. Es kehrte Ruhe in Jūdai ein, die ihn nach all der Aufregung des Tages dösig werden ließ. Seine Augenlider wurden schwerer und begannen unter Anstrengung zu flackern. Es fehlte nicht viel, und er wäre auf der Wiese bei sanftem Wind und wärmender Sonne eingeschlafen. Doch bevor er ganz wegdämmerte, spürte er ein leichtes Ziehen am Ohr und schreckte sofort hoch. Es war zwar kein fester Kniff, trotzdem fühlte Jūdai sofort mit der Hand nach, ob er nun eine Ecke im Ohr hatte. Sein Blick huschte über die Wiese, doch nichts war dort an der Stelle, die neben seinem Kopf gewesen war. Etwas streifte seinen Rücken und stieß gegen seinen Arm, mit dem er sich vom Boden abstützte. Sein Kopf schnellte herum, und er sah gerade noch, wie ein Federkamm sich durch die Armkuhle bohrte. Der Rest vom Kopf blieb erfolglos, bis Jūdai viel zu spät den Arm wegzog. Verdutzt blickte er in ein Paar Knopfaugen, die ihm vertraut erschienen. »Nanu, dich kenne ich doch«, stellte er unnötigerweise fest und beobachtete, wie das kleine Pokémon den großen Kopf zur Seite neigte. Der Federkamm wippte mit. Der nächste Windstoß wehte seinen gelben Kragen auf, und diesmal versuchte das Küken, unter dem Saum seiner zu kurzen Schuljacke zu schlüpfen. »Ist dir der Wind zu frisch?« Kurz überlegte Jūdai, bevor er die Frontseite seiner Jacke griff und weit öffnete. »Na komm.« Es brauchte keine zweite Aufforderung, da war das Flemmli auf seinen Beinen gesprungen. Er schloss die Jacke um das Pokémon herum und zog mit viel Vorsicht den Reißverschluss hoch, darauf bedacht, keine Feder einzuklemmen. Bei der Mitte stoppte er, sodass sein Kopf herausschaute. Es schob sich unter der Jacke hin und her und kitzelte ihn mit seinen Füßen, bis es eine für sich bequeme Haltung fand. Jūdai kam nicht umhin zu lachen, bis sich Flemmli endlich ruhig verhielt. Mit einem erleichterten Seufzen sah er auf das Pokémon herab. »Ist es so bequem?« Es stieß eine kleine Flamme durch seinen Schnabel aus und zog den Kopf in die Jacke zurück, als der Wind wieder auffrischte. Der kleine Körper des Pokémon strahlte vor Wärme, sodass ihm der Wind allmählich selbst frisch vorkam. Vorsichtig stand er vom Boden auf, klopfte mit einer Hand Grashalme von seiner Hose und hielt die andere unterstützend unter den Körper von Flemmli, damit es nicht versehentlich unter der Jacke verrutschte. »Hey, Jūdai!«, rief Shō und kam auf ihn zugelaufen. »Ich habe mein Partner-Pokémon gefunden.« Er verkündete die frohe Botschaft, als könne er es selbst noch nicht glauben. In seiner Hand hielt er den Pokéball, in dem durch die rote Beschichtung ein otterähnliches Pokémon hervorlugte. »Es ist ein Ottaro«, informierte er und strahlte pure Erleichterung aus. Mit einem breiten Grinsen klopfte er Shō auf die Schulter. »Cool, freut mich. Ich habe meinen auch gerade gefunden.« Er präsentierte seinem Kameraden das Flemmli in seiner Jacke. »Du kennst es sicher noch. Wir haben zusammen gegen den Prof gewonnen.« Mit großen Augen besah Shō das Pokémon durch seine Brillengläser. »Bist du sicher, dass es dasselbe Flemmli ist?« Er konnte sich an keine einprägsamen Eigenheiten erinnern, und wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass genau dieses hier erneut auftauchte? »Bin ich«, bestätigte Jūdai ohne jedes Zögern und mit einem unerschütterlichen Grinsen. »Immerhin haben wir einen Kampf zusammen bestritten. Verwechslung ausgeschlossen.« Shō fragte nicht weiter und nickte zaghaft. »Okay, dann komm. Gehen wir zum Empfang und holen einen Pokéball für dein Flemmli.« – Fortsetzung folgt – Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)