Let's Run!!! von Mezzo ================================================================================ Kapitel 5: overly attached ex-girlfriend ---------------------------------------- /mittwoch/nachmittag_   Ran hatte sich davon abgehalten, doch noch einkaufen zu gehen. Würde ja einen komischen Eindruck machen, wenn er es mit den Snacks doch übertreibt, nachdem Dash auf Mountaindewritos bestanden hatte. Dann wiederum hatte es Dash mit seinem Geschenk auch übertrieben. Ran freute sich immer noch wie ein Idiot darüber. Er hatte das kleine Surf-Pikachu mit zu seinem Schreibtisch genommen und schon viel zu oft glücklich gegen sein Gesicht gedrückt. Vielleicht hatte er ihm sogar ein Küsschen gegeben. Auch wenn er sich immer wieder zu sagen versuchte, dass das für Dash bestimmt nur ein Witz gewesen war, als er ihr Treffen ein Date genannt hatte. Dass er bestimmt einfach zu jedem so nett war. Bestimmt war das für jemanden wie Dash nichts besonders – war er für jemanden wie Dash nichts Besonderes… Und dennoch hatte er es geschafft, ihm mit seiner bescheuerten Glitzerbombe für einen Moment genau dieses Gefühl zu geben. Das Gefühl, das er nach so vielen Absagen auf Bewerbungen und Beschimpfungen am Telefon und zwischenmenschlichen Enttäuschungen schon fast vergessen hatte. Er musste sich irgendwie revanchieren… Er hatte zwischen seinen Support-Telefonaten Dashs YouTube-Favoriten durchgesehen, in der Hoffnung, so Inspiration zu finden. Er mochte offensichtlich Pokémon (vor allem Elektropokémon), Memes, Videospiele (möglichst retro, mit möglichst absurden Settings und Spielprinzipien), Rans Let’s-Play-Videos (jedes einzelne davon, wie peinlich!), Memes, nervtötende Lieder (toll, jetzt hatte er mindestens drei schreckliche Ohrwürmer, die sich in seinem Hirn abwechselten…), trashige alte Werbespots, unnötige elektrische Gadgets (vor allem solche, die leuchteten und blinkten) und Memes. Ein paar Ideen waren ihm gekommen, aber nichts, was er auf die Schnelle hätte umsetzen können, nichts, was ihm als genau das richtige erschien… Er hatte schon ein halbes Jahr Favoriten durch und sagte sich, dass er mal aufhören sollte (so langsam grenzte das ja an Stalking…), als plötzlich die Liste einfach so zu Ende war. Der Account war erst ein halbes Jahr alt? Naja, vielleicht hatte er das Passwort von seinem alten Account vergessen… Ran dachte sich nichts weiter dabei. Er schaute nach, ob vielleicht andere Social-Media-Accounts auf der Profilseite verlinkt waren, aber da war nichts. Noch nicht einmal ein Foto, schade…   Dash war beinahe pünktlich. Und offensichtlich war sein „dienstliches“ Klingeln tatsächlich irgendwie seriös für seine Verhältnisse – sein privates Sturmklingeln war nämlich noch zehn Nummern hyperaktiver. Und versuchte augenscheinlich, die Melodie irgendeines aufgedrehten Viral Songs, von dem Ran sich sicher war, dass er ihn bei seinen YouTube-Likes gehört hatte, aber den er gerade nicht ganz zuordnen konnte, nachzuahmen. „Du denkst echt, ich lass dich so rein?“, versuchte er möglichst cool in die Sprechanlage zu sagen. „Tu ich“, konnte er Dashs triumphierendes Grinsen förmlich durch die Sprechanlage sehen, „Weil du das heimlich süß findest.“ Zum Glück konnte Dash gerade sein tomatenrotes Gesicht nicht sehen. „Ahahaha, nur Spaß“, gluckste er am anderen Ende der Leitung, „Bitte lass mich rein, ich hab Doritos dabei!!“   Dash trug scheinbar nicht nur beruflich Gelb, auch der Kapuzenpulli, den er zu Jeans und einer Lederjacke mit goldenen Spikes, die genau wie seine Piercings ein bisschen zu cool für ihn wirkte, anhatte, hatte diese quietschige Farbe. Genauso wie der Smiley-Button, den er neben vielen anderen an die Jacke gepinnt hatte. Irgendwie fing Ran langsam an, die Farbe zu mögen… „Wo kann ich die Snacks ablegen? Soll ich die Schuhe ausziehen? Ich hab auch Schokoriegel und Cola dabei, nach der Arbeit bin ich immer so energielos, da brauch ich Zucker“, sprudelte Dash los und hibbelte dabei auf der Stelle – scheinbar um Rans Aufmerksamkeit auf die blinkenden LEDs in den Sohlen seiner Turnschuhe zu lenken (so energielos!). „Schau mal, cool, oder? Die leuchten! Nachts macht das besonders viel Spaß.“ Ran konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Ich dachte das gibt’s nur bei Kinderschuhen“, gab er zu und fügte ein vorwitziges „Haben die auch Klettverschluss?“ an. „Haben sie“, antwortete Dash kleinlaut und sah fast ein bisschen traurig dabei aus. Oh nein, das hatte Ran nicht gewollt. Dash schaute ihm einen Moment irgendwie anklagend in die Augen, studierte seinen Blick – nur um im nächsten wieder zu seinem fröhlichsten Grinsen zu wechseln: „Und das findest du auch heimlich süß!“ Ran drehte sich ertappt weg „Hör … hör auf das zu sagen“, murmelte er beschämt und versuchte angestrengt, nicht rot zu werden, was wohl den gegenteiligen Effekt hatte. Inzwischen hatte Dash seine Snacks auf dem Wohnzimmertisch abgestellt und seine Klettverschluss-Schuhe abgelegt. Sein Blick fiel auf das Goldkonfetti, das immer noch auf und um den Wohnzimmertisch verteilt lag. „Heute war dir wohl nicht langweilig“, merkte er fröhlich zum ‚unaufgeräumten‘ Zustand des Wohnzimmers an und Ran schüttelte, immer noch etwas verlegen, den Kopf. Er hatte das Konfetti mit Absicht liegen gelassen, weil es ihn jedes Mal, wenn er mit einem nervigen Kunden am Headset daran vorbeigelaufen war, daran erinnert hatte, dass sein Leben doch nicht nur aus nervtötenden Telefonaten, Einsamkeit und Selbstzweifeln bestand.    „Willst du gleich den Virtual Boy ausprobieren?“, fragte Ran und machte sich direkt auf den Weg zum Regal, um das Gerät zum Couchtisch zu holen. Er war sich etwas unsicher, was der typische Ablauf so eines Treffens mit Freunden war. Hätte er sich erst mal mit Dash hinsetzen und etwas trinken sollen und ihn fragen, wie sein Tag war? Aber Dash stand schon freudig hibbelnd hinter ihm, half ihm die Sachen zum Tisch zu tragen und kommentierte voller Elan alles, was er zu sehen oder zu fassen bekam („Das ist wie futuristische Spionage-Ausrüstung!“, „90s-Plastik!!! Ich geh voll auf den Geruch ab!!“, „Ich hab Goldkonfetti drüber gestreut, jetzt ist es Limited Edition!“), was Ran immer wieder dazu brachte, den Kopf zu schütteln, aber auch das beruhigende Gefühl gab, dass Dash Spaß hatte und er nichts falsch machte. „Okay, das hier ist Mario’s Tennis“, legte er das erste Spiel ein, nachdem sie das Gerät auf dem Tisch aufgestellt hatten, „Das war damals im Kaufumfang enthalten, gehört zu den okayeren Titeln. Ich kann dir auch noch die richtig schrottigen zeigen, wenn du~“ „WOAAAAAH!!“, wurde er da von Dashs begeistertem Freudenschrei unterbrochen, „Fast dachte ich, der Ball fliegt mir voll in die Fresse!! Krasser 3D-Effekt!“ Ran musste laut losprusten. „Ja, als würde man mitten auf dem Tennisplatz stehen“, war alles, was er mit ironischem Unterton herausbekam, wenn er an die schlechte schwarz-rote Pixelgrafik dachte. „Okay… äh…“, wurde Dash plötzlich hektisch. Ran wünschte, er könnte sehen, was er gerade vor sich sah. Das Gerät war echt nur was für ungesellige Hardcore-Nerds, haha… „Was muss ich machen? Wie funktioniert die Steuerung? Wie schlage ich den Ball? Welcher Spieler bin ich überhaupt? Aaaaah…“ Dieses Mal brach Ran in schallendes Gelächter aus: „Ahahaaa! Du bist CHAOTIC NEUTRAL! Ganz eindeutig!!“ Er konnte sich die Assoziation mit dem Gamertypen-Meme einfach nicht verkneifen. Dash fiel der Controller fast aus der Hand und er ließ sich gackernd nach hinten auf die Couch fallen und hielt sich den Bauch vor Lachen. Es dauerte noch mehrere Minuten, in denen Dash immer, wenn einer von beiden sich fast beruhigt hatte, noch einmal kichernd das Meme zitierte, bis sich beide von ihrem gemeinsamen Lachflash wieder erholt hatten. „Oh Mann“, schaffte Ran endlich, immer noch mit Lachtränen in den Augen, zu sagen, „Ich wünschte, ich hätte das grade gefilmt. Das wäre ein Clip für YouTube gewesen.“ Dash schaute ihn plötzlich mit großen, leuchtenden Augen an. „Können wir ein Let’s Play zusammen machen?“ Er wippte hibbelig im Sitzen auf der Couch herum, „Können wir? Können wir? Das wär das Coolste!!“ Tatsächlich mochte Ran die Idee. Nicht nur weil er dann mehr Zeit mit Dash verbringen könnte. Seine aufgekratzte Art würde Rans Videos bestimmt zu mehr Beliebtheit verhelfen… „Klar, das wär bestimmt witzig“, stimmte Ran zu und Dash gab ein freudiges Quietschgeräusch von sich. „Willst du dich nochmal am Virtual Boy versuchen? Ist leider kein besonders kommunikatives Gerät, vielleicht ist es auch deshalb so gefloppt…“ Tatsächlich fiel ihm das gerade zum ersten Mal auf. „Nur nochmal kurz“, erklärte Dash, „Aber danach will ich lieber was mit dir zusammen spielen!“   Dash spielte noch ein paar Runden Tennis, danach probierten er und Ran die verschiedensten Multiplayer-Games auf fast allen Konsolen, die in Rans Regal standen, aus, mit dem Ziel, einen Titel für ihr erstes gemeinsames Let’s Play auszuwählen. Dash war bei einem übereifriger, gehypeter und panischer als beim nächsten, kommentierte jedes Level-Design, jedes Item und jede Figur, erschreckte sich viel zu sehr, selbst wenn er schon zum zehnten Mal in das selbe Loch fiel, und ließ sich selbst von Rans engagierten Kooperationsbemühungen nicht davon abhalten, immer wieder episch und mit hohem Unterhaltungswert zu failen. Insgesamt lachten sie sehr viel und bald war fast Rans gesamte Konsolen- und Spielesammlung auf dem Wohnzimmerboden ausgebreitet. Es erinnerte ihn daran, wie er zu Grundschulzeiten hatte Kinder zum Spielen mit nach Hause bringen dürfen. Er hatte schon lange nicht mehr so viel Unordnung und so viel Spaß gehabt.   „Woah, schon nach acht!“, schaute Dash irgendwann auf sein Handy in dem übertriebenen Pikachu-Case mit Ohren, auf das Ran heimlich ein bisschen neidisch war, „Ich hab gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergeht!“ Ran musste lächeln. Er auch nicht. Es hatte keine einzige peinliche Schweigepause zwischen ihnen gegeben, wie sie ihm bei anderen Menschen viel zu oft vorkamen. „Ich glaub ich schaff’s nicht mehr, mir zu Hause was zu kochen. Können wir Pizza bestellen?“, bettelte Dash und Ran sah keinen Grund, der dagegen sprach. Er hatte fast erwartet, dass das Dashs Aufhänger sein würde, nach Hause aufzubrechen, und freute sich umso mehr, dass er keinen Anlass dazu sah. Offensichtlich hatte Ran ihn mit seiner Art noch nicht zu Tode gelangweilt.    Während sie auf ihre Pizza warteten, versuchte Ran noch einmal etwas unverfänglicher als am Morgen Dash darauf anzusprechen, was denn aus seinem Studium geworden und wie er bei der Post gelandet war. „Wie bist du eigentlich an den Job bei der P~“, wollte er gerade ansetzen, als plötzlich Dashs Handy auf voller Lautstärke den Song Gasolina abzuspielen begann. „Ahahaha“, lachte Dash verlegen, „Das ist Piroska, meine beste Freundin aus der Uni. Lach nicht, ich hab ihr vorhin geschrieben ich hab ein heißes Date! Die ist bestimmt neugierig.“ Ran lief mit einem Mal knallrot an. Dash hatte was? Vielleicht war das für ihn wirklich kein Witz… Rans Herz begann plötzlich viel zu schnell zu klopfen.   „Hey Piranha“, nahm Dash gutgelaunt das Gespräch an. Und im nächsten Moment sah Ran, wie sein Gesichtsausdruck erschrocken ins Gegenteil umschlug, ihm so etwas wie Angst und Traurigkeit ins Gesicht geschrieben standen und er es gerade noch so schaffte, wieder aufzulegen, bevor ihm das Telefon aus der Hand fiel.    „Oh mein Gott, ist alles in Ordnung? Ist etwas passiert? Was ist los, Dash?“ Ran merkte, wie Panik in ihm aufstieg. Dash saß da und starrte ins Leere, seine Hände zitterten ein bisschen. Noch bis gerade eben hätte er sich Dash niemals in so einem Zustand vorstellen können. „Das war Lunis“, sagte er als würde das alles erklären, „Er muss … Piroskas Handy geklaut haben …“ Dash blickte weiter apathisch ins Nichts und Ran fühlte sich immer hilfloser. Er musste irgendetwas tun, aber er verstand nicht, was da gerade vorgefallen war. „Wer … wer ist Lunis? Was hat das zu bedeuten? Bitte sag mir was los ist.“ Seine Stimme wurde immer verzweifelter. Er wusste nicht, wie man Leute tröstete… Insbesondere nicht dann, wenn man noch nicht einmal verstand, was mit ihnen los war. Dann erinnerte er sich an Dashs Umarmung nach seiner Absage in der Post. Er legte vorsichtig seine Arme um ihn. Mit einer kleinen Verzögerung schien Dash das auch wahrzunehmen, wandte sein Gesicht zu ihm hin. Ran sah, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. „Lunis ist mein Ex“, schaffte Dash endlich zu sagen. Sein Ex? Nein, das war jetzt wirklich der falsche Zeitpunkt, um sich Gedanken darüber zu machen, ob das bedeutete, dass er Chancen bei Dash hatte.   „Pikachu“, tönte Dashs Handy und vibrierte gegen den Laminatboden, auf den es gefallen war. Dash hob es auf und schaute auf die Nachricht, die auf dem Display aufleuchtete. Ran konnte sie gerade noch lesen, als Dash das Telefon zurück auf den Tisch legte, bevor der Bildschirm wieder schwarz wurde: ‚Können wir reden?‘   „Ich … kann nicht mit ihm reden“, versuchte Dash sich zu erklären, „Das ist jedes Mal schief gegangen. Ich hab mit ihm Schluss gemacht … vor einem halben Jahr … aber er hat das einfach nicht akzeptiert. Seitdem haben wir … hat er immer wieder versucht, mit mir zu reden, aber es gab jedes Mal Streit. Und…“, er musste schluchzen und konnte einen Moment nicht weiterreden.   „Pikachu“, hörte Ran erneut die unangemessen niedliche Pokémon-Stimme aus dem Handy erklingen. ‚Ich vermiss dich ‘, zeigte das Display. Das war irgendwie süß. Fast hatte Ran ein bisschen Mitleid. Aber irgendetwas Schreckliches musste zwischen den beiden vorgefallen sein, so fertig wie Dash gerade war.   „Ich wünschte, ich würde ihn nicht vermissen“, schüttelte Dash den Kopf und ließ seinen Tränen freien Lauf. Dash tat ihm so schrecklich leid. Aber gleichzeitig war da auch ein anderes Gefühl in Ran, der schmerzende Gedanke, wie viel dieser Mensch Dash immer noch bedeutete. Und beides steigerte nicht gerade seine Sympathie für diesen Lunis. Er wusste nicht, was er tun sollte, außer Dash noch fester an sich zu drücken. Er wollte ihm wenigstens zeigen, dass er ihm zuhören würde, dass er reden konnte. Das war das Mindeste, nachdem Dash so lieb zu ihm gewesen war… „Ich hab ihn so vermisst, nachdem Schluss war … so sehr, dass ich es nicht geschafft habe, ihn rauszuwerfen, als er immer wieder bei mir in der Wohnung aufgetaucht ist. Selbst nachdem ich ihm den Schlüssel abgenommen habe, hat er noch ein paar Mal die Tür aufgebrochen.“ Was, was, was? Handys klauen, Türen aufbrechen… Dashs Ex hatte definitiv eine kriminelle Ader. „Er wollte reden, aber wir haben nur gestritten, meistens so schlimm, dass es handgreiflich wurde. Dann – “   „Pikachu“, wurde er erneut unterbrochen. ‚Ich kann mich ändern. Ruf zurück( TДT)♡‘   Einen ganz kurzen Moment musste Dash über das blöde Emoji lachen, wurde dann aber umso wehmütiger. „Er ändert sich nicht. Es ist immer wieder das selbe passiert. Wir haben gestritten, uns geschlagen und –“, seine Stimme wurde ganz leise, „miteinander geschlafen. Ich bin so ein Idiot…“ Dash vergrub sein Gesicht in Rans Schulter. Wow, das war heftig. Wie in einem schlechten Thriller. Ran war immer noch vollkommen sprachlos. „Hast du ihn … angezeigt?“, fragte er endlich unsicher zurück. Dash schüttelte auf seiner Schulter den Kopf. „Ich … hab’s nicht über’s Herz gebracht.“   ‚Ruf zurück, Schwanzlutscher ||*`Д´*)ノ‘, leuchtete das Handy mit einem weiteren Pikachu-Sound auf.   Dash nahm das Handy in die Hand, starrte einen Moment auf den Bildschirm, als müsste er wirklich mit sich kämpfen, nicht zurückzurufen. Auf die Nachricht?! Wie aus Reflex nahm Ran ihm das Telefon aus der Hand und legte es zurück auf den Couchtisch. „Denk erst gar nicht dran“, sagte er streng und schämte sich direkt im nächsten Moment ein bisschen dafür. Hatte er das Recht, das zu tun? Aber Dash lächelte ihn irgendwie dankbar an mit seinen verheulten Augen.    ‚Denk nicht du kannst mich ersetzen, du Vollspacken (○`ε´○)‘, kam auch schon die nächste Nachricht hinterher. Diesmal ließ Dash das Handy liegen.   „Jedenfalls bin ich dann einfach abgehauen, hab mir eine neue Handynummer geholt, alle Internetaccounts gelöscht… Mein Studium konnte ich eh vergessen wegen ihm.“ Dash war ein Stalkingopfer, schoss es Ran in den Kopf, sein ganzes Postboten-Dasein war sowas wie ein … privates Zeugenschutzprogramm? Es tat so weh, diesen Menschen, der sonst so fröhlich war und so lieb, so am Boden zu sehen. „Was meinst du, ‚wegen ihm‘?“, hakte er nach.   „Pikachu!“, traf die nächste Nachricht ein: ‚NIEMAND LIEBT DICH SO WIE ICH!! ICH BEWEIS ES DIR!!!111‘   Dashs Blick auf den Bildschirm wurde zunehmend panischer, er schüttelte hektisch den Kopf. „Sowas mein ich“, sagte er mit mehr Angst in der Stimme, als Ran ihm das jemals zugetraut hätte. „Er hatte diese wirre Vorstellung…“ Dashs Atmung wurde unregelmäßig, während er seinen Kopf wieder in Rans Schulter versteckte „…dass man seine Liebe immer wieder beweisen muss. Ich hab für ihn Klausuren ausfallen gelassen … oder Lernzeit … bis ich dann dreimal durchgefallen war. Dann ist Schluss mit Studieren.“ Wow. Was für ein Arschloch, wow. Dashs Schluchzen klang so mitleiderregend, dass Ran es fast nicht mehr aushielt, dass es nichts gab, was er tun konnte, dass ihm noch nicht einmal tröstende Worte einfielen. Unsicher streichelte er ihm durch die Haare. Dash hob den Kopf ein bisschen an, um Ran mit verheulten Augen ins Gesicht zu schauen. „Kannst du dir vorstellen, wie das ist, zu wissen, dass dich jemand liebt, aber dass seine Liebe dich kaputt macht?“ Es tat Ran so leid, dass er dem gar nichts zu entgegnen wusste.   „Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie das ist, von jemandem geliebt zu werden“, gab er zu. Dash schaute ihn mit großen Augen an. „Du hattest noch nie eine Beziehung?“ Ran schüttelte verlegen den Kopf. Was für ein peinliches Thema. Aber wenn es helfen würde, Dash abzulenken und wieder auf den Boden zu holen, würde er in den sauren Apfel beißen und ein bisschen über sich erzählen. „Also … ich war bis vor ungefähr einem Jahr bei einer Datingsite angemeldet“, stotterte er vor sich hin, „aber scheinbar bedeutet Date für die meisten Typen da einfach nur einmal Spaß haben und auf nimmer Wiedersehen… Die Chemie hat aber auch eh nie so richtig gestimmt.“ Wenn er so darüber nachdachte, hatte die Chemie noch nie mit jemandem so richtig gestimmt … bisher jedenfalls … „Zumindest sterb ich nicht als verbitterte alte Jungfrau“, versuchte er zu scherzen. Also, verbittert schon… Das war ihm alles so unangenehm. Alles. Dass er so unerfahren war. So unfähig. Und überhaupt, er hatte sich noch nie so richtig vor irgendwem geoutet (seine Schwester war irgendwie von selbst drauf gekommen). Wieso war ihm das denn selbst vor Dash, der ihm gerade von seinem Ex-Freund erzählt hatte, so peinlich? Er traute sich gar nicht, ihm ins Gesicht zu schauen. Immerhin war er mal nicht mehr am Schniefen. Da hörte Ran die Klingel. „Oh, die Pizza“, nutzte er schnell die Gelegenheit zur Flucht.   Als er mit den zwei Pizzakartons zurückkam, schien sich Dash ein bisschen erholt zu haben und … lächelte ihn an. Warum lächelte Dash ihn denn so süß an? Er stellte die Pizza ab und setzte sich zurück auf die Couch. Dash lächelte ihn immer noch an. Ihm wurde plötzlich ganz heiß… „Ran, darf ich – dich auf ein Date einladen? Ich meine ein richtiges Da~“ „JA!“, antwortete Ran viel zu  schnell, viel zu enthusiastisch, mit viel zu breitem Lächeln im Gesicht und viel zu freudigem Kopfnicken. Oh Gott, was war denn los mit ihm? „I-i-ich meine: Klar, warum nicht, das wäre … cool.“ Dash musste lachen. „Mir hat die erste Antwort gefallen“, gab er zu. „Geht’s dir denn wieder ein bisschen besser?“, fragte Ran halb glücklich, halb besorgt und streichelte ihm noch einmal unbeholfen durch die Haare. Dash senkte den Blick „Ich hab ein bisschen Angst … dass er versucht, mich zu finden. Ich meine … eigentlich kann er das nicht. Ich bin echt weit weg gezogen, ich hab alle Infos im Netz gelöscht … noch nicht einmal Piroska und Nevis haben meine neue Adresse“, versuchte er sich selbst zu beruhigen. Ran öffnete die Pizzakartons und schob Dash seinen auffordernd hin. Essen beruhigte. Jedenfalls war das bei ihm so. „Nevis ist auch ein Freund aus der Uni?“, versuchte er das Gespräch in eine etwas unverfänglichere Richtung zu lenken. So aufgewühlt konnte er Dash nicht nach Hause lassen. „Freund Schrägstrich Freundin“, erklärte Dash. „Hast du grade den Schrägstrich mitgesprochen? Was denn jetzt?“ Ran war verwirrt. „Oh, Nevis ist non-binary, wenn du mit dem Begriff was anfangen kannst…“ Ran nickte. Zumindest gelesen hatte er ihn irgendwo schonmal. „Und … Lunis' Zwillingsschwester Schrägstrich -bruder. Aber die beiden reden nicht miteinander.“ Toll, genau das richtige ‚unverfängliche Thema‘ ausgesucht… „Lunis ist auch non-binary. Aber das wurd mir irgendwann zu anstrengend mit den Schrägstrichen. Er war halt manchmal mein Freund und manchmal meine Freundin“, lachte Dash. „Jetzt ist er manchmal mein wahnsinniger Ex-Freund und manchmal meine unzurechnungsfähige Ex-Freundin“, fügte er gequält hinzu und biss in ein Stück Pizza. „Er wird dich nicht finden“, versuchte Ran ihm Mut zuzusprechen. „Dafür … sorge ich schon. Ich pass auf dich auf.“ Es kostete ihn Überwindung, das zu sagen. Aber er nahm es sich in diesem Moment fest vor. Weil jemand wie Dash es nicht verdient hatte, so zu leiden. Und vielleicht auch aus nicht ganz so selbstlosen Gründen… Oh nein, Dash lächelte ihn ja schon wieder so süß an. So … gerührt? Wenn er ihm weiter so in die Augen schaute, würde Rans Herz noch stehenbleiben. Auch wenn er dabei wie ein Idiot auf seinem Pizzastück rumkaute. Sogar das war irgendwie süß…   Plötzlich begann das Handy auf dem Tisch wieder Gasolina abzuspielen. Dash beäugte es kritisch von der Seite, während er weiter seine Pizza aß. Er stopfte das Stück komplett in seinen Mund, nur um wild mit den Händen zu seinem Handy hin und von ihm weg zu gestikulieren, während Daddy Yankee im Hintergrund seinen Latino-Rap performte. „WIESO DENKST DU, ICH WÜRDE JETZT DRANGEHEN, LUNIS????!!“, schrie er verzweifelt das Handy an, als er seine Pizza endlich heruntergeschluckt und das Handy schon gut den halben Song abgespielt hatte, bevor es endlich wieder still wurde. Dash atmete einmal tief ein und wieder aus, schaute Ran noch einmal ratlos an und nahm sich das nächste Stück Pizza.   „Pikachu“, ertönte nun wieder der SMS-Ton von Dashs Handy. ‚Hi Rainbow Dash, rate, welche kleine Ratte mein Handy gestohlen hatte‘, war auf dem Display zu lesen. Dash prustete Luft durch die Nase aus. „Das ist immer noch Lunis“, schüttelte er den Kopf mit einer seltsamen Mischung aus Amüsiertheit und Verzweiflung im Gesicht, „…der versucht, sich als Piroska auszugeben.“ Was für eine geniale Strategieänderung. Dash und Ran aßen weiter ihre Pizza und schauten stumm zu, wie eine Textnachricht nach der nächsten einging.   ‚Im Fitnessstudio meinen Spint aufgebrochen! Aber mir entgeht nichts, haha!‘   ‚Willst du hören, wie ich die Sau verdroschen hab? Ruf an!‘   ‚Er hat richtig rumgeheult!‘   ‚Vielleicht auch weil er dich vermisst‘   ‚Ruf mich an, ich muss dir alles erzählen‘   ‚Oder bist du noch auf deinem bescheuerten Date?‘   ‚Lunis war echt fertig deswegen‘   ‚Ich hätt ja fast Mitleid gekriegt‘   ‚Jetzt heulst du bestimmt vor schlechtem Gewissen!‘   ‚GESCHIEHT DIR RECHT, STECKDOSENBEFRUCHTER!!‘   ‚ICH HASSE DICH!!!‘   ‚ヾ(▼皿▼メ)┌θ☆(ノ □ )ノ ゚ ゚‘   ‚ヽ( ≧ д ≦ )ノm(_ _)m‘   ‚(*´・人・*)Sorry。。‘   ,ich vermiss dich, ruf mich an’   ‚ICH VERMISS DICH DU OPFERSPASST‘   Dash hatte seine Pizza aufgegessen und noch eine Weile mit einem Gesichtsausdruck, der nach und nach alles an Emotion verloren hatte und einfach nur noch tierisch müde aussah, auf das Handy gestarrt. Dann nahm er es wortlos in die Hand, nahm das Pikachu-Case ab, öffnete es, holte die SIM-Karte raus und drückte sie Ran in die Hand: „Damit ich keine Dummheiten mache. Ich muss dringend schlafen.“ Er steckte die nicht wieder zusammengesetzten Teile des Handys in eine Tasche seiner Lederjacke, die über der Couch lag, und zog sie über, um sich auf den Weg zur Tür zu machen. „Tut mir leid, dass du das mitbekommen musstest“, sagte er mit gesenktem Kopf zu Ran, der mit ihm aufgestanden war, „Ich hatte gehofft, dass das mir und anderen in Zukunft erspart bleibt.“ Ran gab ihm ein mitfühlendes Lächeln. „Es war sehr … aufschlussreich?“, versuchte er irgendetwas Positives zu sagen. Er konnte Dash doch nicht so gehen lassen. „Denk nicht mehr dran, okay?“ Als ob… Er wollte ihn irgendwie aufheitern, so wie Dash die letzten Tage ihn selbst aufgeheitert hatte… „Denk an was Schönes … an … unser Date?“, lächelte er ihn scheu an. Plötzlich spürte er Dashs Arme um sich und wie er ihn an sich drückte und ohne dass er sein Gesicht sehen konnte, hörte er an seiner Stimme, dass sein Lächeln wieder da war. „Ich denk mir was ganz Besonderes aus für unser Date. Halt dir das Wochenende frei, okay?“ Ran schlang seine eigenen Arme um Dashs Taille und hielt ihn noch ein bisschen so fest. Einen Moment lang wollte er nur ganz egoistisch genießen, wie schön es sich anfühlte, dass er es geschafft hatte, ihn zum Lächeln zu bringen. Dass der Gedanke an ihre Verabredung ihn aus seiner Traurigkeit geholt hatte. Bedeutete das Dash wirklich so viel? „Mach ich. Ich freu mich drauf“, sagte er leise, aber voller Vorfreude, „Und auf unser Let’s Play natürlich auch. Und morgen Früh sehen wir uns auch schon wieder…“, seine Stimme wurde etwas lauter und fröhlicher und aufgeregter und er merkte, dass auch Dashs sonnige Aura langsam zurückkehrte. Auf einmal waren da Dashs Hände auf seinen Wangen und seine blauen Augen ganz nahe vor seinen eigenen und sein Atem auf seinen Lippen. Dann schloss er die Augen und gab sich ganz dem kleinen Moment hin, in dem ihre Lippen sich berührten, ganz kurz nur, aber so … liebevoll, wie ihn noch nie jemand geküsst hatte, und es war das Schönste, was er je gefühlt hatte, und er wusste instinktiv, dass alles gut werden würde. „Wir passen jetzt aufeinander auf“, sagte Dash mit einem Lächeln, als wäre es die einzige logische Schlussfolgerung aus allem, was an diesem Abend passiert war, bevor er sich auf den Weg das Treppenhaus hinunter machte.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)