Let's Run!!! von Mezzo ================================================================================ Kapitel 21: Alexa, play Despacito --------------------------------- „Hallo?“, fragte Ran verwirrt durch die Sprechanlage. „Pizza ist da!“, tönte Dash gutgelaunt zurück. „Da müssen Sie sich in der Hausnummer geirrt haben, ich hab keine Pizza bestellt“, sah er Ran förmlich durch den Hörer grinsen, bevor er den Türöffner betätigte.   „Wer ist heiß, knackig und kommt schnell?“, begann er Ran noch auf den letzten Treppenstufen vor der Wohnungstür schmunzelnd zuzurufen und freute sich über dessen amüsiert-abschätziges Kopfschütteln. „Ich hoffe, die Antwort bist nicht–“ „BLIZZERIA!“, übertönte Dash ihn mit einem Lachen und fügte zur Klarstellung an: „Das ist unser offizieller Werbeslogan.“ Spätestens jetzt konnte Ran sich nicht mehr zusammenreißen und brach in Gelächter aus. „Komm rein, du Spast.“ Das war wirklich ihr offizieller Werbeslogan.   „Ich darf also zum neuen Job gratulieren?“, erkundigte sich Ran, während sie es sich mit dem übergroßen Pizzakarton, den Dash für beide mitgebracht hatte, im Wohnzimmer gemütlich machten. „Morgen geht’s direkt am Mittag los!“, nickte Dash enthusiastisch. „Der Chef ist voll nett, der hat so ‘nen witzigen Moustache, genau wie man sich ’nen Pizzabäcker vorstellt. Dabei steht er gar nicht in der Küche, der nimmt nur die Bestellungen an. Aber Küchen-Mike ist auch voll der Knüller, mit dem werd ich noch viel Spaß haben, wir haben uns schon die besten Pizza-Eigenkreationen ausgedacht. Aber der heißt eigentlich gar nicht Mike, sondern Murat. Ich versteh nicht, woher dann die Namenskonfusion mit Karate-Mike kommt. Vielleicht ist das nur so’n Insider oder so. Muss ich ihn morgen mal fragen…“ Es sprudelte nur so aus ihm heraus. Ran grinste ihn wortlos an. „Was?“, fragte er verwirrt. „Nichts, mich fasziniert es nur immer wieder, wie du dich für … Dinge begeistern kannst.“ „Aber es ist doch auch alles neu und aufregend!“, versuchte er sich zu verteidigen und Ran musste lachen.   „Willst du nicht die Pizzaschachtel aufmachen?“ Langsam wurde er ungeduldig. „Ist da schon die erste Eigenkreation drin?“, blickte Ran ihn skeptisch von der Seite an. „Ich hoffe, nicht Pizza Quattro Ananasi oder sowas.“ „Ich weiß doch, dass du keine Ananas magst“, versuchte Dash ihn zu beschwichtigen. „Hey, so pauschal hab ich das nie gesagt“, korrigierte Ran. „Nur nicht … auf Pizza. Oder halt in herzhaften Sachen. Wenn das jetzt eine Pizza nur mit Obst wäre und mit Nutella statt Tomatensoße–“ „Versuchst du mir gerade Ideen in den Kopf zu setzen?“, grinste Dash. Ran kicherte ertappt. Das war zu süß. „Ja, wenn ich schon an der Quelle sitze…“, versuchte er sich herauszureden und öffnete endlich den Karton. Einen Moment lang starrte Ran wortlos auf die riesige herzförmige Pizza, bevor er im Gesicht rot anlief und, ihn nur aus dem Augenwinkel anblickend, zu einem Seufzer und einem „Dash, du weißt doch–“ ansetzte.   Dass Ran vor hatte, ohne ihn nach Hawaii zu gehen? Dass er nicht daran glaubte, dass Dash ihm hinterherreisen würde? Dass er sich größte Mühe gab, alle Zeichen dafür zu ignorieren, dass das Universum sie zusammengeführt hatte und sie perfekt füreinander waren? Das wusste er alles. Aber umso entschlossener war er, um Ran zu kämpfen. Dafür zu sorgen, dass er mit der Gewissheit gehen würde, dass sie eine Zukunft hatten. Weil er sich nichts Besseres vorstellen konnte, als jeden Abend genau so mit Ran auf dem Sofa zu sitzen, ihm von seinem Tag zu erzählen, zusammen zu lachen und Pizza zu essen. Vielleicht auch mal was anderes als Pizza.   „Das ist nur ein herz-liches Dankeschön“, lächelte Dash ihn an. „Dafür, dass du so gut auf mich aufpasst. Und dass ich hier wohnen darf.“ Sie wohnten zusammen. Und Ran war so niedlich verlegen. Alles in ihm fühlte sich warm und fuzzy und schön an. Auch wenn Ran sich sichtlich Mühe gab, die Atmosphäre zu zerstören. „Nur bis wir Lunis aus deiner Wohnung rausgekickt haben“, sagte er streng. „Was mich daran erinnert … Oder, erstmal will ich wissen, was das für eine Pizza ist.“ An was erinnert? An seinen Hacker-Plan? Dash war hochgespannt. „Deine Hälfte ist einfach nur Funghi ohne Ananas. Das magst du, oder?“ Das hatte Ran schonmal bestellt. „Schon“, entgegnete Ran irritiert, „Aber warum sagst du das so, als wäre Funghi normalerweise mit Ananas?“ „Nur Funghi mit Ananas ist mit Ananas. Funghi ohne Ananas ist ohne Ananas.“ „Es gibt kein Funghi mit Ananas“, schüttelte Ran verständnislos den Kopf. „Wenn man es sich bestellt schon“, warf Dash ein. „Ja, aber wenn man es sich nicht bestellt, ist klar, dass einfach nur „Funghi“ Funghi ohne Ananas bedeutet.“ Ran war ganz aufgewühlt. Vielleicht sollte er das nicht auf die Spitze treiben. „Aber wär doch mal was ananas, oder?“ Ran schnaufte fassungslos, legte seinen Kopf in die Handflächen und brach schließlich in den heftigsten, ansteckenden Lachkrampf aus. „Bitte sag mir nicht, dass es die ganze Zeit nur dein Ziel war, diesen schlechten Witz zu machen“, prustete er, sehr zu Dashs Freude. „Nein, das war spontan“, lachte Dash ehrlich, während Ran sich das erste Stück Funghi ohne Ananas nahm. „Und was ist deine Hälfte?“, fragte er interessiert und fügte ganz leise ein „Warte, will ich das wirklich wissen?“ an. „Spaghetti, Sauce Hollandaise, Frischkäse, vegane Currywurst“, zählte er auf, „und Ananas.“ Rans Blick wirkte ein bisschen verstört. „Hast du einfach die bizarrsten Zutaten in der absurdesten Kombi genommen?“ „Hey, wenn ich schon an der Quelle sitze“, zitierte er Ran, „Ich wollt’s mal ausprobieren.“ Er nahm einen beherzten Bissen. „Und?“, fragte Ran gespannt nach, nicht ohne eine gewisse Schadenfreude in seinem Blick. Dash machte eine abwägende Geste mit der Hand. „9 von 10 Punkten“, verkündete er. Ran lachte. „Bist du dir sicher?“ „8 von 10 Punkten“, korrigierte sich Dash, „Es ist ein bisschen too much.“ „Du meinst ein bisschen too Matsch, oder?“, gluckste Ran. War schon irgendwie sehr matschig. Aber auch irgendwie geil.   „Aber jetzt mal was ananas“, scherzte er weiter, „Ich brauch noch ein Lied, was Lunis so richtig auf den Sack geht.“ „Für deinen Hacker-Plan?“, hakte Dash erpicht nach, „Sag mal endlich, was du vor hast!“ Ran schmunzelte verdächtig. „Du kennst das doch bestimmt, wenn in Geschäften kurz vor Ladenschluss ein Lied gespielt wird, damit die Leute merken, dass sie zur Kasse gehen sollen, oder?“ „So wie ‚Wer hat an der Uhr gedreht‘?“, freute sich Dash und konnte es nicht lassen, den Song lauthals loszusingen. „Ja, genau sowas“, unterbrach ihn Ran augenrollend, „Und vielleicht regt es Lunis ja auch an, den Laden zu verlassen, wenn plötzlich aus unerklärlichen Gründen Musik losgeht, die er nicht leiden kann.“ Wow, der Plan war gut. „Und dafür, dass die Musik losgeht, sorgst du?“, fragte Dash begeistert. „Genau“, klappte Ran, als wäre das sein Stichwort gewesen, eine Powerpoint-Präsentation zu halten, seinen Laptop auf und deutete auf das, was da zu sehen war. Er konnte drei Ansichten erkennen, und das sah ja aus wie… „Ist das meine Wohnung? Hast du eine Überwachungskamera bei mir installiert?!“ Ran schnaubte amüsiert. „Deshalb hab ich dich gefragt, ob du ‘ne Webcam hast. Das hier ist deine Webcam, die hab ich so im Regal versteckt, dass Lunis sie hoffentlich möglichst lange nicht bemerkt. Die Übertragung hierher funktioniert aber nur, solange dein Laptop läuft. Aber scheinbar war Lunis schonmal da und hat ihn angemacht.“ Lunis war immer noch in seiner Wohnung. „Gerade ist er aber wohl nicht am Laptop, der Screen hier ist nämlich die Ansicht von der integrierten Cam aus deinem Rechner. Sitzt niemand davor. Und bei der dritten Ansicht hier hab ich Screensharing eingerichtet, damit wir sehen können, was Lunis an deinem Laptop macht.“ „Du bist ja schlimmer als das FBI“, staunte Dash. „Raubkopiererei ist kein Kavaliersdelikt“, entgegnete Ran bierernst, bevor er einen energischen Lacher ausstieß. „Ich kann sogar per Remote-Access bei ihm rein und den Laptop selbst steuern. Aber das wäre ziemlich auffällig. Für meinen Plan brauche ich nur dein Handy. Dann kann ich über die Spotify-App von deinem Handy aus Spotify auf deinem Rechner Musik abspielen lassen.“ Dash war beeindruckt.    „Fehlt nur noch die Musik“, schlussfolgerte Dash. „Gut kombiniert, Watson“, stimmte Ran zu. „Also, was ist Lunis’ Hass-Musik?“ Dash musste einen Moment überlegen, bis ihm ein Geistesblitz kam: „Lunis hasst Boygroups.“ „Echt jetzt?“, starrte Ran ihn verdutzt an. Das schien nicht die Antwort zu sein, mit der er gerechnet hatte. „Ich hätte erwartet, dass das genau der richtige Trash-Faktor für Lunis ist“, lachte er. Da hatte er einen Punkt. „Eigentlich schon, aber irgendwie sind Boygroups für ihn der Inbegriff von Mainstream. Und alles, was Mainstream ist, kann Lunis nicht leiden. Daher der Hass.“ Ran wirkte entsetzt. Ungewohnt theatralisch entsetzt. „Aber Boygroups…“, gestikulierte er verzweifelt in der Luft herum. „Haben wir da etwa einen kleinen Fan?“, grinste Dash. „Ja, Mann“, entgegnete Ran, immer noch ganz fassungslos. „Wie … wie kann man Boygroups nicht mögen?“ Dash musste lachen. „Hast du deshalb den KPop-Haarschnitt?“ Jetzt musste Ran auch lachen. „Ahaha, nein, den … den hab ich schon mein ganzes Leben lang. KPop hat den Ran-Haarschnitt“, verkündete er mit gespieltem Stolz und fuhr fort: „Aber KPop geht voll ab. In der Schule hab ich die ganzen Choreografien auswendig gelernt, da kannte das hier noch keiner.“ Ob er die immer noch konnte? Das würde Dash zu gerne sehen. „Und 90s-Boygroups! Justin Timberlake war mein großer Grundschul-Crush.“ Er errötete ein bisschen, als hätte er so viele peinliche Details eigentlich gar nicht preisgeben wollen. „A-aber nur, weil seine Haare wie Ramen aussahen“, fügte er schnell an. Als würde es das besser machen. „Das hat mich immer irgendwie hungrig gemacht.“ Dash musste laut lachen. „Hungrig, soso…“, grinste er Ran herausfordernd an. „Auf Ramen, Alter! Nicht, was du schon wieder denkst. Ich war in der Grundschule, Mann.“ Beide mussten lachen. „Du hattest also schon immer eine Schwäche für blonde Justins“, versuchte Dash ihn weiter zu ärgern. „Nur, wenn ihre Haare wie etwas Essbares aussehen, Kevin-Justin“, konterte Ran. „Also, wenn ich eine Pizza auf dem Kopf tragen würde–“, setzte Dash an und wurde von Ran mit einem entschiedenen „Untersteh dich!!“ unterbrochen. Bevor er einen weiteren beherzten Bissen Pizza zu sich nahm.   „Also, mal schauen, was die Boygroups-Playlist hergibt…“ Er überflog die Liste auf Dashs Handy und murmelte dabei verschiedene Titel. „Don’t Walk Away – wir brauchen Do Walk Away … Got to Go … Don’t Want you Back, haha … Quit Playing Games with my Heart, es wird immer besser… Uuh… uuuuh!!“ Er sah Dash mit ungewohnt funkelnden Augen ins Gesicht, „Ich glaube wir haben einen Favoriten!“ Dramatische Pause. „*NSYNC: Bye Bye Bye.“ „Ahahahahaha“, lachte Dash stürmisch applaudierend los, „Das ist perfekt!!“ Ran nahm zufrieden das letzte Stück seiner Pizzahälfte. „Dann warten wir ja nur noch auf den Star unseres Kinoprogramms.“   Und der ließ tatsächlich nicht lange auf sich warten. Lunis schien gerade aus der Dusche zu kommen, sie hatte ein Handtuch als Turban um den Kopf geschlungen und trug eins von Dashs T-Shirts und seine Boxershorts. Das machte ihm wenig Hoffnung, dass das Kapitel für Lunis abgeschlossen war. Sie machte es sich auf dem Bett bequem und nahm den Laptop auf ihren Schoß.   „Bin mal gespannt, was er an deinem Laptop macht“, kommentierte Ran missbilligend. „Sie“, korrigierte ihn Dash wie automatisch. „Was?“, fragte Ran verwirrt zurück. „Heute ist ein sie-Tag“, erklärte Dash. „Woran siehst du das?“ „Die Art, wie sie sich bewegt.“ „Okay“, nickte Ran ohne weiter nachzuhaken. Stattdessen vergrößerte er die Ansicht, bei der man den Bildschirm von Dashs Laptop sehen konnte.    „Wow, das Stalking nimmt kein Ende“, sagte Ran abschätzig, während Lunis offensichtlich in Dashs alten Chat-Gesprächen mit Piroska stöberte. Dash war nicht all zu überrascht, hatte das schon irgendwie erwartet, aber trotzdem fühlte alles an der Situation sich schrecklich an, als würde sich etwas um sein Inneres legen, es zusammendrücken und ihm die Luft abschnüren. Er las die Chat-Zeilen mit, die Lunis in demselben Moment lesen musste, erinnerte sich plötzlich viel zu lebhaft an die Situation, in der er sie geschrieben hatte.   „What the Fuck, Dash?“, hörte er Ran neben sich sagen, der den Text offensichtlich ebenfalls mitgelesen hatte, „Lunis hat dir eine Glühbirne im Mund zerbrochen? Was zur … ich versteh nicht ganz, was da los war, aber das ist super krank…“ Er schämte sich. Hatte sich schon damals schrecklich geschämt, es Piroska zu erzählen, und schämte sich jetzt noch mehr vor Ran. „Das … das war ein Sex-Unfall“, stammelte Dash. Auch wenn er sich im Nachhinein nicht mehr so sicher war, ob es wirklich ein Unfall-Unfall gewesen war. „Was zum … wie … warum …“ Rans Verwirrung war groß. „Ich … will da nicht drüber reden“, schaffte er nur zu sagen. Sein Kopf dröhnte, als könnte er jeden Moment zerplatzen. Warum musste er das jetzt alles nochmal durchleben? Warum konnte das nicht einfach alles vorbei sein? Er versteckte sein Gesicht in den Händen.   „Hey, schon gut“, rissen Rans ungewohnt sanfte Stimme und sein Arm um Dashs Schulter ihn ein bisschen aus seinen Gedanken, „Du musst nicht.“ Aber er konnte nicht anders, als weiter auf den Bildschirm zu starren. Darauf, wie er damals Lunis vor Piroska verteidigt hatte, wie er nicht hatte einsehen wollen, dass er Schluss machen musste. Und darauf, wie er trotzdem hier und da Dinge gesagt – oder zumindest Dingen zugestimmt – hatte, von denen er wusste, dass sie Lunis in genau diesem Moment immer noch schrecklich wütend machen mussten. Er sah Lunis’ Blick in der kleinen Ansicht von der Laptop-Kamera in einer Bildschirmecke, diese Mischung aus verletzt und kurz vor dem Ausrasten, die er nur zu gut kannte, die er nie wieder hatte sehen wollen.   „Soll ich das Lied abspielen?“, ließ Ran ihn abermals aus seinen Gedanken aufschrecken. Dash war sich unsicher. Es fühlte sich unangemessen an. … Oder war das der Punkt? „Das ist so krank alles“, schüttelte Ran den Kopf, „Das damals und das jetzt. Diese Person muss aus deinem Leben verschwinden.“ Dem konnte Dash jedenfalls uneingeschränkt zustimmen. „Okay, spiel es“, nickte Dash.   Er hörte den Intro von „Bye Bye Bye“ in schlechter Qualität über die Live-Übertragung in seiner Wohnung losspielen, dicht gefolgt von einem lauten „Hä?“ von Lunis. Ran schnaufte amüsiert. Sein Plan lief. Lunis klickte das Spotify-Fenster an und stoppte den Song, um mit verwirrt-verärgertem Gesicht zum Chatfenster zurück zu wechseln. „Und nochmal“, grinste Ran und tippte erneut auf den Play-Button auf Dashs Handy. Bye Bye Bye lief bei Lunis weiter. „Hallo?!“, schrie diese den Rechner an und gestikulierte mit den Händen in der Luft herum. Sie stoppte das Lied wieder und schloss das Programm. Ran schien in seinem Element zu sein. „It’s on!!“, zog er eine Augenbraue hoch, nur um Spotify und N*SYNC wieder zu starten.   „Warum zur…“, raunte Lunis, nur um als nächstes aufzustehen und „IST HIER JEMAND?“ in die Wohnung zu brüllen. „ARSCHKRAMPE, BIST DU DAS?!“, drohte sie und verschwand eine Weile aus dem Zimmer, nur um, offensichtlich erzürnt, wieder vor dem Rechner Platz zu nehmen und die Musik anzuhalten. „Scheiß Backstreet Boys“, fluchte sie vor sich hin, was ihr ein „Kunstbanause“ von Ran erntete, der das Ganze sichtlich unterhaltsam fand. „Sollen wir ihr eine kleine Verschnaufpause gönnen?“, grinste er Dash verschwörerisch zu. Selbst wenn sie nicht zum Ziel führen sollte, die Aktion hatte Dashs Laune zumindest schon wieder ein bisschen gehoben. „Nur eine kleine Verschnaufpause“, setzte Ran wieder an, „Sie endet …“ Dramatische Pause. „Jetzt!“   „Bye Bye Bye Bye Bye“, tönte es erneut aus Lunis’ Lautsprechern. „FICK DICH, VERFICKTER FICK-LAPTOP!!“, schrie diese den Rechner mit weit aufgerissenen Augen an. Nur um ihn im nächsten Moment in die Hand zu nehmen und mit voller Wucht gegen die Glastür von Dashs Balkon zu schleudern. Die Übertragung war weg.   „Shit“, war alles, was Ran herausbrachte, bevor Dash und er, wie in der Hoffnung, als würde gleich noch etwas passieren, mindestens eine ganze Minute lang weiter schweigend auf den Bildschirm starrten. „Shit, das … damit hab ich nicht … das … wie kann man denn so … AAAAARGHHHHH“, schrie Ran verzweifelt. Dash konnte immer noch nichts sagen. „Ich ruf die Polizei an, die sollen jetzt sofort in die Wohnung gehen“, erklärte Ran entschieden. Er bekam Rans Telefonat nur wie durch einen Schleier mit, hörte die Worte, aber verstand ihre Bedeutung nicht. Er starrte weiter ins Leere und versuchte angestrengt, weder an das zu denken, was damals mit Lunis passiert war, noch an das, was sie gerade eben getan hatte, was sie jetzt im Moment in seiner Wohnung tun musste. Irgendwann realisierte er, dass Ran vor der Couch stand und ihn anschaute.   „Tut mir leid, Mann“, sagte Ran mit gesenktem Kopf, „Das war ein Schuss in den Ofen. Schätze, mein Bild von Lunis war immer noch nicht schlecht genug, um mit sowas zu rechnen.“ Dash lachte schwach. „Vielleicht kriegt die Polizei sie ja jetzt, hoffen wir das Beste.“ Das Beste. Er war sich gar nicht sicher, was das war. Er wollte, dass Lunis aus seinem Leben verschwindet. Und am besten all die grässlichen Erinnerungen mit ihr. Ihm wurde schrecklich bewusst, dass er sich in dieser Wohnung nie wieder sicher fühlen würde. Er wollte weg, ganz weit weg. „Hey, vielleicht kann ich ja zumindest deine Daten noch retten vom Laptop. Ich hoffe, das Glas ist nicht komplett zerbrochen.“    Das Glas? Dash verstand gar nicht, was Ran damit meinte. Alles, woran er denken konnte, war die Erinnerung an Glassplitter in seinem Mund, die Schmerzen der Schnitte an seiner Zunge, die nichts waren im Vergleich mit der Angst, die er gehabt hatte. Der Angst, sie herunterzuschlucken. „Dash, du siehst nicht okay aus“, hörte er Ran sagen. „Bleib erst mal ruhig und warte bis die Polizei zurückruft, okay? Wir kriegen das schon irgendwie hin.“ Er hielt es nicht mehr aus.   „Sie hat immer wieder gesagt, ich soll ihr vertrauen. Ich wollte sie nicht enttäuschen. Ich wollte, dass sie mir vertraut. Ich wollte sie nicht enttäuschen…“ Sein Hals schmerzte beim Reden, seine Augen schwollen an. Er würde gleich losweinen, aber es musste raus. „Ich dachte, wenn sie mir genug vertraut, dann wird sie schon irgendwann anders. Ich hatte so viel Angst…“ Ran drückte ihn an sich. Das half ihm, wieder ein bisschen regelmäßiger zu atmen. „Redest du von der Glühbirne?“, hakte Ran nach. Dash nickte. „Lunis wollte sie als Knebel benutzen. Ich weiß nicht mehr, ob ich wirklich nicht gerafft habe, wie gefährlich das ist, oder ob ich nur nicht wollte…“ Er drückte sich einen Moment gegen Rans Schulter, versuchte Kraft zu sammeln, um zu Ende zu erzählen. „Aber sie wusste es. Sie wusste es ganz genau. Sie war so glücklich, dass ich das für sie mache. Und sogar als…“ Er war heftig am Weinen, die Koordination von Atmen und Reden fiel ihm immer schwerer. Aber Ran war da. Ran war bei ihm. Es war alles gut. „Als die Glühbirne zerbrochen ist, hat sie so glücklich dabei ausgesehen.“ Die Erinnerung tat immer noch so weh. „Und dann hat sie mir eingeredet, dass es meine Schuld war, dass sie nur zerbrochen ist, weil ich zu unruhig war … weil ich ihr nicht genug vertraut habe…“ Warum war er so dumm gewesen? „Dash…“ Ran versuchte offensichtlich, ihn zu beruhigen, aber fand keine Worte. Er konnte seine Finger in seinen Haaren spüren. Das fühlte sich schön an. Dann rückte Ran ein bisschen von ihm weg, um ihm ins Gesicht zu schauen.   „Dash, kannst du mir was versprechen?“ Er erwiderte erwartungsvoll Rans Blick. „Wenn ich … wenn ich in Hawaii bin und wir uns nicht mehr wiedersehen sollten…“  Warum sagte Ran sowas? Ihm kam ein neuer Schwall Tränen. „Wir sehen uns wieder!“, entgegnete Dash, etwas zu laut. Ran erschrak ein bisschen. „Ich meine falls … Nur für den Fall … Falls wir uns nicht mehr wiedersehen … dann versprich mir, dass du dich nie mehr mit solchen Psychos einlässt, okay?“ Ran schaute ihn an, als wäre er sich nicht sicher, ob Dash überhaupt versteht, was er da sagte. „Wenn du merkst, dass jemand dir wehtun will … oder sich nicht unter Kontrolle hat … oder dich traurig macht, dann … dann halt dich fern von demjenigen, okay?“ Rans Blick war gleichsam streng und betrübt. „Versprichst du mir das?“ Dash wusste nicht, was ihm mehr zu schaffen machte – die Traurigkeit darüber, dass Ran davon ausging, dass sie sich nicht mehr wiedersehen und er jemand anderes finden würde, oder die Rührung darüber, dass er sich trotzdem so sehr um ihn sorgte. „Ich geb mich mit niemand geringerem mehr zufrieden als mit dir“, schaffte Dash schließlich mit einem verheulten Lächeln zu sagen. „Dash, ich meine das ernst“, erwiderte Ran ernüchtert, „Wenn ich in Hawaii bin, kann ich nicht mehr auf dich auf–“ „Ich meine das auch ernst“, fiel Dash ihm ins Wort. Ran seufzte mit dem Anflug eines Lächelns im Gesicht. Im selben Moment klingelte sein Nokia3310. Wow, so einen Klingelton hatte Dash lange nicht mehr gehört… Es schien die Polizei dran zu sein.   „Hi … Oh, oh das ist … verdammt … Dann können Sie gar nicht …“ Ran hörte aufmerksam zu, was die Person am Hörer zu sagen hatte. „Ja, ich weiß, das machen wir so schnell wie möglich. Ist die Balkontür–? … Naja, immerhin. Okay, Dankeschön. … Danke, Wiederhören.“ Das hatte nicht geklungen, als wäre die Polizei besonders erfolgreich gewesen. „Lunis war schon wieder weg, als die angekommen sind“, wandte sich Ran enttäuscht an ihn. „Wie macht die das immer? Fuck…“ Ziemlich enttäuscht. „Die haben gemeckert, dass wir das Schloss noch nicht ausgetauscht haben. … Und die Balkontür kommt jetzt auch noch auf die Rechnung. Es ist nur ein Riss im Glas, die Scheibe ist nicht ganz durchgebrochen, immerhin. Aber ausgetauscht werden muss das trotzdem.“ Das hatte Ran vorhin mit Glas gemeint. „Danke“, sagte Dash schwach. Ran schnaubte. „Dafür, dass dank meinem genialen Plan jetzt noch mehr kaputt ist?“   „Dafür, dass ich hier bei dir bin und nicht mit Lunis in der Wohnung“, antwortete er ehrlich. Auch wenn er sich immer noch ganz weit weg von Lunis wünschte, solange Ran bei ihm war, fühlte er sich in Sicherheit. Das alles hatte ihn unheimlich ausgelaugt. „Wir müssen das mit den Türen nicht mehr heute Abend machen, oder?“, fragte er müde. „Ich glaub kaum, dass wir so spät noch jemanden finden, der das repariert“, antwortete Ran trocken. „Kann ich … können wir … schlafen gehen?“, fragte Dash schüchtern, „Ich bin super kaputt…“ Er war müde. Aber auch hoffte er ein bisschen, nochmal bei Ran schlafen zu dürfen.   „Okay“, lächelte Ran warm. „Willst du zur Sicherheit nochmal bei Twinkie McTwinkles schlafen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)