-Eine andere Welt- von PInku (--Kushkepet--) ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Diese Unregelmäßigkeit, mit der ich in dieses Tagebuch schreibe, geht mir auf die Nerven. Es ist nun schon wieder eine Woche vergangen, Saki und ich sind wieder in den ärmeren Vierteln Kushkepets unterwegs. Mittlerweile hat sich eine gewisse Routine eingestellt zwischen uns. Saki geht seinem Yob nach, ich darf zusehen, Übernachtungen in Motels und so weiter. Ein wenig betrübt es mich, dass ich nun soetwas wie einen Alltag habe, auch wenn dieser mir wesentlich mehr zusagt als der meines alten Lebens. Es ist kälter geworden, wesentlich kälter. Sogar Saki zittert schon, wenn wir rausgehen und dabei bin ich der kälteempfindliche von uns. Auch hustet er öfters, ich glaube er wird langsam krank. „Wenn du über die Feiertage mal nachhause willst, ist das kein Problem Lima. Ich bringe dich dann zum Ausgang, ich muss da sowieso vorbei.“ Er reißt mich unvermittelt aus meinen Gedanken. „Wovon redest du?“ „Na, es ist Winter. Bald kommt Weihnachten, dann Neuyahr. Wir haben hier genauso Feiertage wie draußen.“ „Ich habe in der anderen Welt niemand, mit dem ich diese Zeit verbringen möchte. Aber wenn du alleine sein willst, können wir uns gern später wieder treffen.“ „Ne, eigentlich nicht. Außerdem bin ich nicht alleine, ich gehe nachhause. Zu meiner Mama. Kannst gerne mitkommen, wenn du willst.“ Mein Begleiter hustet wieder und ich sehe ihn besorgt an. Zu seiner Mutter? Ich bin ein wenig gespannt, es wird sicher interessant, sie mal kennen zu lernen. Oder generell mal zu sehen, wie Saki eigentlich aufgewachsen ist. „Kommt es mir nur so vor oder werden wir langsamer?“ Sakito schüttelt auf meine Frage nur den Kopf. Ich seufze. Der Kleine ist blass und zittert. Natürlich ist er krank geworden! Ohne eine weitere Diskussion nehme ich ihm den Koffer ab und ziehe ihn selbst, kurz bin geschockt, wie schwer dieser eigentlich ist. Saki sieht mich nur kurz an, dann bedankt er sich leise und wir gehen weiter. An der Umgebung erkennt man eindeutig, dass wir wieder im Randgebiet angekommen sind, dem ärmsten Teil Kushkepets. „Müssen wir noch weit laufen?“ „Nein, ich denke wir nehmen uns gleich ein Motel. Ich bin ein wenig müde.“ „Du bist völlig erschöpft Saki. Sei wenigstens ehrlich.“ „Wenn man es sich selbst eingesteht, ist es auch wahr. Ansonsten ist es nur eine Halbwahrheit!“ „Nenn es, wie du willst. Wir sollten dich zu einem Arzt bringen.“ „Blödsinn! Ich brauche keinen Arzt!“ Sofort geht mein Begleiter wieder schnell, als wöllte er mir beweisen, wie gut es ihm doch geht. Geht es natürlich nicht. Ich schüttle nur den Kopf und folge ihm bis zum nächsten Motel, wo wir heute übernachten werden. In unserem Zimmer angekommen stelle ich erstmal den Koffer ab, nehme die Futons und bereite Sakis Bett vor. „Leg dich hin. Du bist ya total am Ende, ich mach dir was zu essen.“ Der Kleine nickt nur und kuschelt sich in sein Bett. Ich koche uns Ramen auf und stelle ihm etwas hin, dann mache ich Tee. Zum Glück bin ich mittlerweile mit den Angewohnheiten hier vertraut und kann mich gut zurecht finden. Als ich auch den Tee aufgekocht habe, setzte ich mich auf meinen Futon und esse. Saki hat sich aufgesetzt und isst auch, allerdings viel langsamer als sonst. Mir wird plötzlich bewusst, das er den ganzen Tag noch nicht eine Zigarette geraucht hat. Ob es ihm wirklich schon so schlecht geht? Ich beuge mich nach vorne und lege die Hand auf seine Stirn. „Du hast Fieber.“ „Ich weiß.“ „Ich werde einen Arzt rufen.“ „Nein!“ Sofort wird Saki bockig. Was ist den nur sein Problem damit? „Das wird dir aber helfen.“ Der kleinere schüttelt wehement den Kopf. „Mir gehts gut.“ „Aha. Ich verstehe schon.“ Ich stehe auf, stelle meinen leeren Becher Instantramen auf den Tisch und will aus dem Zimmer gehen. „Wo willst du hin Großer?“ „Ich werde unten bei den Besitzern des Motels mal nachfragen, wie man hier einen Arzt ruft. Das hat keinen Zweck mit dir!“ Leider hat Sakito bei solchen Dingen immernoch die Kontrolle, ich habe keine Ahnung, wie man hier an einen Arzt kommt. Genervt stöhnt Sakito schließlich auf. „Bleib hier. Ich geb dir seine Nummer. In Kushkepet muss man Ärzte persönlich anrufen. Komm her, ich bin ya schon still.“ Er kramt in seinem Rucksack herum und nimmt sein Handy heraus. Ein altes Wegwerfhandy, welches nichts kann außer telefonieren, aber in Kushkepet sind Smartphones und Internet Luxus. Wie Fernseher eben auch. „Hier, ruf Sono an. Er ist Arzt und arbeitet hier in der Gegend, ich denke, der hat Zeit.“ Ich nicke und nehme das alte Handy entgegen. Dann rufe ich diesen Sono an und bestelle ihn her. Eine Stunde später betritt ein groß gewachsener Mann den Raum. Er sieht total unscheinbar aus, würde auch in der anderen Welt nicht auffallen. Sono trägt einen großen Artzkoffer bei sich und rückt seine Brille zurecht. „Sono mein Name, Guten Tag Lima. Hallo Sakito, was ist den los bei dir?“ „Nichts ist los bei mir, Lima ist nur übervorsichtig!“ Sono kann uns nicht mal anständig begrüßen, da beschwert Saki sich schon wieder. Ich schüttle nur lächelnd den Kopf. Dem ist doch nicht mehr zu helfen! Der Arzt setzt sich zu Sakito und beginnt, ihn zu untersuchen. Das ganz läuft ganz schön professionell ab, ich sitze nur ruhig daneben und warte ab. Schließlich nickt Sono. „Lima hatte schon recht, mich zu rufen. Sakito, du hast eine ausgewachsene Grippe eingefangen. Bettruhe, viel trinken und schlafen ok? Ich gebe dir nur eine Spritze und dann solltest du erstmal schlafen. Ab morgen nimmst du dann diese Medizin, dreimal am Tag ok?“ Er stellt eine Packung Medikamente auf den Boden und kramt in seiner Tasche herum, um die Spritze aufzuziehen. „Muss das mit der Spritze sein?“ „Das muss sein Saki.“ „Ich will aber nicht!“ Sono lässt sich nicht beeindrucken, sondern bereitet ruhig die Spritze vor. Dann sieht er Saki an. „Die weiche oder die harte Tour? Gib mir deinen Arm Saki.“ Sofort zieht Saki seinen Arm weg wie ein trotziges Kind. Der Arzt schüttelt nur den Kopf und sieht dann zu mir. „Lima, könnten sie mir bitte mal helfen und Sakito festhalten?“ Ich stehe auf und nehme Saki bei den Schultern, dieser sieht mich an. „Seit wann bist du so ein Verräter Lima?“ „Und seit wann hast du Angst vor Nadeln, Saki?“ „Ich habe keine Angst! Ich mag nur keine Spritzen, wenn die irgendeinen Mist in dich hineinpumpen!“ „Das tut man beim tätowieren auch Saki. Nun halt still, es ist zu deinem besten!“ „Boah Lima, du klingst wie meine Mutter!“ Sono nimmt Sakis Arm und gibt ihm die Spritze. Erst yetzt sehe ich, dass er mehr als eine dort liegen hat. „So, die Spritze wäre dann schonmal erledigt. Aber da du ya niemals zu mir kommst Sakito, werde ich wohl schonmal ein paar Impfunden auffrischen. Keine Sorge, deine Mutter hat sie bereits im vorraus bezahlt. Für den Fall, das ich dich nochmals zu fassen bekomme.“ Nach dieser Prozedur ist Sakito erstmal bockig, hat sich in seine Decke eingerollt und uns den Rücken zugedreht. Sono packt seine Tasche zusammen und nimmt eine Schachtel Zigaretten heraus, um damit auf den Balkon zu gehen. Dieses Motel hat tatsächlich diesen Luxus, zumindest an unserem Zimmer. Sono fragt mich, ob ich ebenfalls mit nach draußen komme. Da Saki sowieso bockig auf mich ist, willige ich ein und wir gehen nach draußen. Es ist dunkel, stockfinster. Dabei ist erst Nachmittag, aber ich habe mich bereits daran gewöhnt. Kushkepet ist eben so. „Und sie begleiten Sakito nun? Ich bin froh, dass sie mich gerufen haben. Ich bin sein behandelnder Arzt, bekomme ihn aber kaum zu Gesicht. Da bekommt man schon eine gute medizinische Versorgung bezahlt und nimmt sie nicht an. Typisch.“ „Sie kennen Sakito besser, habe ich Recht?“ „Ich behandle ihn im wahrsten Sinne des Wortes, seitdem er geboren wurde. Ich behandelte schon seine Mutter, als diese noch mit ihm schwanger war. Sakitos Vater und Shogun Sel kümmern sich um das Finanzielle. Seine Mutter kommt regelmäßig zu mir, aber Saki versucht das auf biegen und brechen zu vermeiden. Er hasst Ärzte.“ „Das habe ich bemerkt. Aber ich konnte ihn nicht einfach so liegen lassen. Danke für die Behandlung.“ „Kein Problem. Das ist mein Yob. Er hat schon wieder stark abgenommen, isst er regelmäßig?“ „Seitdem ich bei ihm bin ya. Vorher weiß ich nicht genau.“ Sono nickt und zieht wieder an seiner Zigarette. „Darf ich sie etwas fragen, Sono?“ „Selbstverständlich.“ „Wieso sind sie Arzt, hier in Kushkepet? Sie sehen nicht aus wie yemand, der hier hergehört.“ „Ich habe in der richtigen Welt keine Lizens mehr. Ich habe Medizin studiert und hatte yahrelang eine kleine Praxis in Kobe. Dann habe ich einen Fehler gemacht und alles war vorbei. Ohne Lizens blieb mir nur noch die Arbeit im Untergrund. Ich wollte unbedingt weiter als Arzt arbeiten. Zunächst war ich in Tokio und habe dort den Yakuza geholfen, bis Shogun Sel mich schließlich hergeholt hat. In Kushkepet gibt es nicht viele Ärzte, aber die meisten stehen ihren Schmerz auch lieber aus. Ärzte sind teuer. Ich glaube, es gibt nur einen Arzt hier in Kushkepet der gut zutun hat. Und der arbeitet im westlichen Randgebiet.“ Sono lacht bitter, ich verstehe nicht ganz, also erklärt er mir die Situation. „Das westliche Randgebiet ist eine Art Bordellviertel. Da kann man alles haben, was man möchte. Und der Arzt, der dort arbeitet, macht auch Abtreibungen.“ „Ich verstehe.“ Dies ist ein Thema, worüber ich nicht nachdenken möchte, aber Sono lässt es auch sofort wieder fallen. Stattdessen greift er etwas anderes auf. „Wissen sie, Lima, ich bin ein wenig enttäuscht von Sakito. Er wollte auch Arzt werden, ich habe ihn sogar schonmal mit in eine OP genommen. Aber er hat sich wieder fallen gelassen, hat sich selbst verkauft, da es einfacher war. Saki braucht einfach einen Ansporn im Leben. Zum Glück hat er als Tattookünstler etwas gefunden, was ihm Spaß macht. Wäre er heute noch in fremden Betten unterwegs... Es ist unglaublich enttäuschend, wenn der Schüler so abrutscht!“ „Er wollte Arzt werden? Das kann ich mir garnicht vorstellen.“ „Damals sah er auch noch nicht so aus wie heute.“ Ich nicke und sehe durch das Fenster nach Innen. Sakito scheint tief und fest zu schlafen. Gut so, dann gehts es ihm bestimmt morgen besser. Sono drückt seine Zigarette aus, wir gehen wieder rein und er verabschiedet sich von mir. Ich setzte mich zu Sakito und sehe ihn an. Dieser öffnet die Augen, hat also doch nicht geschlafen. „Ist er weg?“ „Ya, er ist gerade gegangen. Wir hatten ein interessantes Gespräch da draußen. Du wolltest also Arzt werden?“ „Ach, ich wollte eigentlich voll viel werden. Der soll sich darauf mal nichts einbilden.“ „Wäre doch sicher auch ein interessanter Beruf geworden oder nicht?“ „Nein, ich denke nicht. Ich bin zufrieden mit dem, wie es ist. Ich brauch was kreatives im Leben. Was bildhaftes. Wollte auch mal Autor werden und yetzt? Nichts ist yetzt. Ich bin glücklicher so wie es ist.“ „Autor? Hast du auch mal was geschrieben?“ Saki nickt und zieht etwas aus seinem Rucksack, ein Buch. „Hier schreibe ich manchmal rein, wenn ich Bock dazu habe. Aber du wirst das komisch finden, ich weiß das.“ „Lass es mich trotzdem lesen. Bitte Saki.“ „Das ist total seltsam was da teilweise drin steht..“ Ich sehe ihn an und er übergibt mir schließlich das Buch. „Solange du mir versprichst, das du mich danach nicht seltsam findest oder so.“ Er starrt mich ängstlich an, ich seufze nur und schlage das Buch auf. Anfangs blättere ich ein wenig durch, bis ich zu der Geschichte „Seth et Holth - Besessenheit 1997“ komme. Diese lese ich konzentriert durch. Ich bin fertig und schlage das Buch zu. „Du hattest Recht, das war wirklich seltsam.“ „Ich habs dir ya gesagt! Aber dieser Film exestiert wirklich! Und der ist echt gut!“ „Und deswegen hast du dich in diese Geschichte geschrieben? Um einem guten Film Aufmerksamkeit zu geben schreibst du, als seist du davon besessen?“ „Ich bin davon besessen.“ Ich sehe ihn skeptisch an und er setzt sich auf, schlägt die Decke zurück. Dann zieht er seine Hose aus, den Boxershort schiebt er zur Seite und zeigt mir die Innenseite seines Oberschenkels. „Siehst du!“ Dort prangt das Gemälde der großen Gottheit Athums, welches er in seiner Geschichte beschrieben hatte. Ich bin ein wenig entsetzt. „Das ist wirklich seltsam Sakito.“ „Aber der Film ist wirklich genial! Und nenn mich nicht Sakito! Ich heiße Saki!“ Ich nicke und denke kurz darüber nach. Saki ist besessen, nicht nur von diesem Film. In seinem Kopf sind feste Gedanken eingraviert, welche er niemals durchbricht. Gefangen in seiner eigenen Besessenheit, das ist schon krank. Aber gleichzeitig lässt es ihn ein Stück menschlicher wirken, sympatischer auf mich. Ich mag ihn, genauso besessen und verrückt wie er eben ist. „Und dieser Takanori in der Geschichte, gibts den auch?“ „Ya und nein. Er ist eine Mischung aus zwei Menschen weißt du. Zum einen ist es Tomoe, weil Tomoe mein bester Freund ist, den ich über alles liebe und niemals niemals niemals verlieren will und zum zweiten hatte ich in Mamas Bauch mal einen Zwilling, aber den habe ich gefressen und deswegen exestiere nur ich, aber meine Mutter hat mir mal gesagt, sie hätte meinen Bruder Takanori genannt. Deswegen, verstehst du?“ „Du machst dir bei deinen Geschichten also wirklich viele Gedanken? Das finde ich bewundernswert. Ich könnte soetwas nicht.“ „Du schreibst doch dein Tagebuch, Großer!“ „Das ist aber keine poetische Meisterleistung. Da schreibe ich ya nur den Mist rein, der mir durch den Kopf geht, damit ich dieses Gefühl von Kushkepet niemals verliere, wenn ich wieder gehe, falls ich das eines Tages tun werde. Keine Ahnung.“ „Ich finde schon, das du darin gut schreibst.“ Ich sehe Sakito ernst an. „Du liest mein Tagebuch? Ist das dein ernst?“ Sofort werde ich böse. Das ist etwas privates! Dieser kleine Drecksack! „Erstens lag es offen herum und ich habs nicht angefasst, nur auf eben diese Seite geguckt, die gerade offen war. Zweitens, habe ich dir auch gerade die Innenseite meines Oberschenkels gezeigt, wir haben keine Geheimnisse mehr voreinander!“ Er grinst und ich sehe ihn immernoch böse an. „Wenn du dich noch einmal wagst, in meinem Tagebuch zu lesen, werde ich dich eigenhändig zum Fenster rauswerfen!“ Saki lacht und hustet dann wieder. „Schon ok Großer, hab verstanden. Mach ich nie wieder." Ich nicke und stehe dann auf, um mir noch einen neuen Tee zu machen. „Du solltest schlafen Saki. Wir wollen morgen doch weiter, um noch pünktlich bei dir zuhause anzukommen, oder nicht?“ Er nickt und rollt sich wieder ein. „Gute Nacht Großer!“ Mit diesen Worten schläft er auch wieder schnell ein. Ich bewundere ihn dafür, ich liege immer noch eine Weile wach. Während ich nun mit meinem Tee im Zimmer sitze und Tagebuch schreibe, denke ich schließlich über Sakitos Geschichte nach. Sie ist so seltsam, aber irgendwie passt sie perfekt zu ihm. Er ist eben anders als andere Menschen. Er ist so, wie ich gern wäre. Ich muss wohl noch lange an mir arbeiten, um mein altes Ich komplett abzulegen. Ob das überhaupt möglich ist? Noch zweifle ich daran... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)