Life von ruikamo ================================================================================ Kapitel 1: morgenrot -------------------- Eine neue Schule..., das ist gut, sehr gut sogar. Eine neue Schule, neue Leute, das ist das, was ich jetzt brauche. Es ist fast noch ganz dunkel und kalt. Ich sehe zu, wie mein Atem zu weißem Rauch wird und sich wieder auflöst. Außer mir sind nur wenige Leute auf dem Bahnsteig. Ein Mann steht an einem Snack-Automaten, leise höre ich sein Geld klimpern. Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass es früh ist, nehme ich die erste Bahn, wird die Schule noch geschlossen haben, wenn ich ankomme. Aber ich war heute morgen viel zu nervös um in Ruhe aus schlafen zu können. Ein Windzug fegt über die Gleise, so dass ich mich weiter in meinen dicken Schal kuschle. Mehrere Leute kommen von der Rolltreppe. Allein ihre Präsenz lässt mich unsicher von einem Fuß auf den anderen treten. Zum Glück fährt nun meine Bahn ein und ich springe etwas wackelig über die Lücke zwischen ihr und dem Bahnsteig. Schnell suche ich nach einem Sitzplatz am Fenster, da ich fast allein im Wagon bin finde ich sofort einen. Ich setzte mir meine schwarzen Kopfhörer auf und lasse mich von leiser Klaviermusik berieseln, während ich der Sonne langsam beim aufgehen zu sehe. Der Himmel wird rosa und meine Gedanken ziehen genau so schnell vorbei wie die Großstadt-Landschaft. Kapitel 2: was einem auffällt... -------------------------------- Manche Menschen siehst du zum ersten mal und bist begeistert von ihnen. Man kann seine Augen einfach nicht von ihnen lassen und fühlt sich sofort wohl. Das Mädchen, welches mir nun gegenübersteht ist nicht so. Sie wirkt normal, nicht mehr, nicht weniger. Ihre Haare fallen glatt und glanzlos über ihre Schultern. Sie lehnt an der Wand, noch dicker angezogen als ich und würdigt mich keines Blickes. Sie starrt unnachgiebig in ihr dünnes Buch, aber ihre Augen bewegen sich nicht. Hätte mir nicht mal jemand beigebracht, auch auf nicht so offensichtliche Feinheiten zu achten, mir wäre nicht aufgefallen, wie verkrampft ihre Beine sind, wie teuer ihr Mantel und wie alt ihre Tasche. Auch nicht, dass sie immer wieder verstohlen an einem dünnen Ring, an ihrem Finger reibt. Ich wette ich hätte einfach gewartet, bis die Schule aufgeschlossen geworden wäre und wäre dann schnell ins Gebäude gestürmt. Langsam lasse ich meinen Blick über den grauen Schulhof streichen. Ich bin diesem Jemand sehr dankbar. Denn ohne ihn würde ich niemals diese Worte zu meiner neuen Mitschülerin sagen:"Hallo", meine Stimme ist piepsieger als ich möchte. "Ich heiße...." Kapitel 3: ...und wie man sich täuschen kann -------------------------------------------- Ich habe das Mädchen falsch eingeschätzt. Sie sah so stink-normal aus. Ein Mädchen wie man sie über all finden kann. Schüchtern, vielleicht aus gutem Hause. Wie falsch ich doch lag. So bald sie ihren Mund öffnete, begann ihre Ausstrahlung zu wachsen. "Nenn mich Oliv", hatte sie gesagt. Und bevor ich so etwas primitives wie "Ganz schön kalt was?" oder "Nett dich zutreffen" erwiedern konnte, schenkte sie mir ein lächeln, dass weder schüchtern, noch unsicher war. Überwältigt von so viel Strahlen, konnte ich nur zusehen wie sie begeistert über das Buch sprach in dem sie zuvor ganz sicher nicht gelesen hatte. Der Hausmeister hatte uns rein gelassen. Danach zeigte sie mir unseren Klassenraum, sie ist wohl in der selben Klasse wie ich. Und nun sitzt sie wieder stumm da und sieht aus wie ein Mauerblümchen. Meistens verbirgt sich hinter so jemandem eine traurige Geschichte, doch ihre ganze Art lässt daran zweifeln. Nach und nach betreten noch mehr Schüler den Raum. Ich lasse meinen Blick über fast alle streifen und versuche sie in Gruppen einzuordnen, ihre Persönlichkeiten zu erkennen, ohne wieder den Fehler zu machen sie zu unterschätzen. So sitze ich stumm auf meinem Platz, bis die Lehrerin mich meiner neuen Klasse vorstellen möchte. Kapitel 4: Sitznachbarn ----------------------- Es gibt verschiedene Arten von Menschen. Die Beliebten, die Unbeliebten... jemand hat mir mal beigebracht hinter die Fassaden zu blicken. Selbst das zickigste Mädchen hat seine Probleme und Gedanken. Ich blicke aus dem Fenster, betrachte die gold-roten Blätter der Bäume und den grauen Himmel dahinter. Meine neue Lehrerin redet irgendetwas über Mathe, aber ich höre ihr gar nicht zu. Meine Sitznachbarn sind zu meiner rechten Oliv, die gespannt den Unterricht verfolgt, und ein unauffälliger Junge zu meiner linken. Vor mir sehe ich nur wilde blonde Locken, wenn Kessie (ihren Namen hat sie mir gleich verraten) sich nicht gerade umdreht um mich aus zu fragen. Immer wenn sie ermahnt wird nicht so viel zu reden, zwinkert sie kurz und schenkt mir ihr breitestes Zahnspangen-lächeln. Was mir noch aufgefallen war, war dass sie alle Aufgaben schon vor den anderen gelöst hatte. Wahrscheinlich redet sie deshalb so viel. Den Namen des Jungen neben mir kenne ich noch nicht. Er trägt eine schwarze, quadratische Brille und redet nicht viel. Seine Haare haben die Farbe von Kakao. Natürlich bemerke ich, wie er zu mir rüber schielt, aber ich blicke weiter zu den Bäumen. Als er wieder konzentriert auf seinem Heft herumkritzelt, erhasche ich einen Blick auf seine Augen, sie sind so grau wie der Himmel, geben aber kaum Emotionen Preis. Kapitel 5: Heimweg ------------------ Da Oliv und ich beide mit der Bahn fahren müssen, beschloss sie mich auf dem Weg zum Bahnhof zu begleiten. Wir reden nicht, also höre ich nur das Laub unter unseren Schuhen rascheln und ein paar Vögel über uns zwitschern. Bevor wir den Bahnsteig erreichen, biegt Oliv nach links in einen kleinen Kiosk ab und kommt mit zwei Papp-Bechern Kaffee wieder. Einen drückt sie mir in die Hand, an dem anderen wärmt sie selbst ihre Fingerspitzen. Ich murmele ein leises "Danke", und beginne zu schlürfen. Eine wohlige Wärme breitet sich in mir aus. Als meine Bahn einfährt verabschieden wir uns. Ich steige ein und winke ihr noch. Kaum dass die Bahn los fährt, sehe ich noch wie sie in ihrer Umhängetasche kramt und das dünne zerlesene Büchlein heraus holt. Dann verschwindet sie und wird durch verwischte Landschaft ersetzt. Früher bin ich nie Bahn gefahren. Mein Vater hat mich immer mit dem Auto zur Schule und auch sonst überall hin gebracht. Als ich die Haustür öffne erdrückt mich kurz die Lehre. Meine große Schwester ist noch nicht da, seit sie jobbt kommt sie später nach Hause als ich. Ich ziehe mir meine Schuhe aus und tappse ins Wohnzimmer. Dort lege ich mich auf unsere Couch und hör zu wie es langsam anfängt zu regnen. Kapitel 6: während andere schlafen ---------------------------------- Es ist mitten in der Nacht, als ich aufwache. Leise höre ich noch das Regengeprassel. Irgendjemand hat mich mit einer kratzigen Wolldecke zugedeckt, die ich fröstelnd enger um mich schlinge. Wahrscheinlich sind es nur noch einpaar Stunden, bis ich aufstehen muss. Ich bin aber wieder hellwach. So leise wie möglich schleiche ich in das Zimmer, welches ich und meine Schwester uns teilen. Als ich die Kleiderschranktür quietschend öffne höre ich Vivian unter ihrem Berg von Decken stöhnen. Hastig greife ich irgendeinen meiner warmen Pullover und versuche im dunkeln die Türklinke zu finden. Als ich endlich wieder im Flur stehe, ohne sie geweckt zu haben seufze ich erleichtert. Schließlich mache ich mich daran schonmal das Frühstück vorzubereiten. Irgendwann kommt meine Mutter verschlafen in die Küche, ich reiche ihr einen Teller mit Pfannkuchen und verschwinde aus dem Haus, bevor sie so wach ist um nach meinem ersten Schultag zu fragen. Überall vor unserem Haus sind Pfützen. Die Blätter die überall liegen rascheln nicht mehr, sondern sind einfach nur matschig. So langsam wie möglich schlendere ich zum Bahnhof, wo ich mir als aller erstes einen wärmenden Kaffee kaufe... was für eine geniale Idee, Oliv. Kapitel 7: unterwegs -------------------- Erstaunlich. Obwohl der Herbst fast vorbei ist, sind über Kessies Wangen viele kleine Sommersprossen verteilt. Sie redet wieder ununterbrochen. Über ein süßes Kleid, ein wahnsinnig süßes Top und einen noch süßeren Rock. Gleich nach Schulschluss, hatte sie mich und Oliv in ein nahegelegenes Einkaufszentrum geschliffen, mit der Begründung mir die Gegend zeigen zu wollen. Langsam tun mir die Füße weh und ich bin heilfroh, als wir uns in ein kleines Cafe setzen. Die Bedienung kommt und nimmt unsere Bestellung auf. Ein großes Erdbeer-Eis für Kessie und zwei Kaffee für mich und Oliv, ich glaube, das wird zu einer Art Ritual. "Und?", fragt Kessie mich mit vollem Mund "Wie gefällt dir die Schule?" Ich räuspere mich. "Ganz gut" "Wollen wir mal zusammen ins Kino gehen?", gekonnt übergeht sie meine langweilige Antwort und verfällt in ein schnelles gequatsche. Ich höre ihr zwar nicht richtig zu, aber irgendwie entspannt sie mich. "Warum seid ihr denn umgezogen?", dieses Mal fragt Oliv mich. Ich weiß nicht ob ich antworten soll, da Kessie immer noch wie ein Wasserfall redet. Ich zögere. "Aus beruflichen Gründen, meine Mutter hat eine neue Arbeit", das stimmt das nur zum Teil. Im Gegensatz zu Kessie scheint Oliv wirklich zu interessieren, was ich zusagen habe. Sie schaut mich mit ruhigen Rehaugen an. Das macht es nicht leichter mit ihr zu reden, also versuche ich das Thema zu wechseln und alles weitere Kessie und ihrem losen Mundwerk zu überlassen. Was mir auch nach kurzer Zeit gelingt. Kapitel 8: Vivian ----------------- Gerade habe ich mich von den beiden verabschiedet, da summt in meiner Rocktasche mein Handy. "Hiiiii~", ertönt die quirlig und sanft zugleich klingende Stimme meiner Schwester. "Vivian, was gibt's? " "Mama hat mir erzählt du bist gerade im Einkaufszentrum?", sie redet fröhlich wie immer, aber niemals überdreht, ich vermisse sie. Es ist banal, wir sehen uns jeden Tag, aber so kurz durch ihre Arbeit neben der Schule. "Magst du nicht rüber kommen? Ich muss noch ein wenig kellnern, aber dann können wir zusammen nach Hause fahren" "K-klar, ich bin gleich da!", es gelingt mir nicht meine Freude zu verbergen. Hastig mache ich kehrt und laufe eine Allee entlang. Vivans Arbeitsplatz kenne ich schon, es ist ein kleines Cafe, uriger als das in dem ich mit Oliv und Kessie war. Vor zwei Wochen hat sie sich beworben und konnte wegen ihres Charmes und Können kurz darauf anfangen. Schon von weitem erkenne ich sie und winke ihr zu. Sie lächelt und widmet sich dann wieder einem Gast. Etwas außer Atem komme ich an. "Du warst aber schnell", lächelnd streicht sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr, eine flüchtige Geste, die sie seit ihrer Kindheit macht. "Ach ja, darf ich dir meinen neuen Kollegen vorstellen..." mit einer ausladenden Bewegung deutet sie auf die Person, die gerade aus dem Cafe kommt... Ich stocke. Kapitel 9: ein Wiedersehen -------------------------- Ich sage zuerst garnichts. Er schaut mich an, dann räuspert er sich und nuschelt ein leises "Hi". Er trägt zwar eine Kellneruniform und kein Hemd und ein Sweatshirt, aber es ist unverkennbar der Junge mit der quadratischen Brille, der neben mir Sitzt. Meine Schwester wirkt etwas verwirrt über unsere Reaktion, lächelt aber immer noch und ergreift schließlich das Wort:"Also, das ist Josh Milon, er kellnert hier schon seit knapp einem Jahr ...". Ich erwache aus meiner Starre. "S-so ein Zufall...", ich zwinge mich zu einem Lächeln "... wir gehen in eine Klasse". Vivians Augenbrauen schießen in die Höhe, dann lächelt sie wieder."Na so was!". "Wir hatten aber noch nicht die Gelegenheit uns richtig kennenzulernen...", vorsichtig halte ich ihm meine Hand zur Begrüßung hin, er ergreift sie überaschend fest."Nein..., obwohl Viv schon viel von dir erzählt hat..." Ich spüre ein heißes Gefühl in mir hoch steigen, vielleicht ist es Wut. Viv, er kennt sie knapp zwei Wochen und hat schon einen Spitznamen für sie?! Ich durfte sie schon immer nur Vivian nennen. "Du schüttelst ja kräftig Hände...", seine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ich werde rot, diesmal aus Verlegenheit und lasse ihn hastig los. Ein kleines Lächeln huscht über sein Gesicht. Es steht ihm gut und meine Wut verdampft. Kapitel 10: Cafe Chocokau ------------------------- Während meine Schwester noch herumläuft und Bestellungen aufnimmt, macht Josh Pause. Wenn man nicht weiß was man tun soll, können 10 Minuten verdammt lang sein. Ich setze mich auf einen Hocker an der Bar und beginne mich richtig umzusehen. Obwohl es drinnen so klein ist, gibt es viele Ecken, in denen dunkle Sofa und Kaffeetische stehen. Überall an den Wänden wurden Regale mit Kaffeemühlen, Törtchenatrappen und einigem Krimskrams angebracht. Ich stütze meinen Ellenbogen auf den Tresen, hinter dem verschiedene Kaffeemaschinen stehen, über denen ein altes Schild mit der Aufschrift:"Cafe Chocokau" hängt. Der ganze Raum wird nur spärlich von altmodischen Wandlampen beleuchtet. Alles in allem ist es sehr gemütlich, besonders an kalten Tagen. Das Gemurmel der Gäste verschwimmt zu Hintergrundmusik. "Möchtest du etwas trinken?" Josh hatte ich ganz vergessen. "Eh, ein Kaffee wäre nicht schlecht ", ich krame in meiner Tasche und ziehe mein Portmoine heraus. "Lass nur, geht aufs Haus", er macht eine abwinkende Handbewegung und dreht sich zu einer der Kaffeemaschinen. Ich würde mich ja gerne bedanken, aber irgendwie weiß ich nicht wie. Also nehme ich einfach die dampfende Tasse entgegen und probiere einen Schluck. Kapitel 11: graue Augen ----------------------- Der schlimmste Smaltalk, den ich je hatte. "Also, du kellnerst hier schon länger? Wie ist das denn so zu jobben?" "Okay" "Aha, ich möchte vielleicht auch anfangen, bekommt man das neben Schule denn noch hin?" "Denke schon..." "Der Kaffee schmeckt gut, willst du auch einen?", verdammt, was rede ich da?! Er arbeitet doch hier. "Ne, vielleicht nach meiner Schicht..." "Aha" Verkrampft umklammere ich meine fast leere Tasse. Irgendwas an ihm macht mich nervös, trozdem versuche ich noch zu lächeln. Es wird nicht gerade dadurch besser, dass er vollkommen gelassen bleibt. Jemand hat mir mal gesagt, dass Menschen oft anders fühlen, als sie nach außen hin zeigen. Im Moment bin ich aber viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, als dass ich herausfinden könnte was hinter seinen grauen Augen steckt. Zum Glück rettet Vivian mich bevor ich noch mehr dummes Zeug erzählen kann, obwohl ich eigendlich keine große Rednerin bin. So schnell es geht, verabschieden wir uns und verlassen das Cafe. "Was hast du es denn so eilig?", ich höre auf sie hinter mir her zu schleifen und beruhige meine Atmung, bevor ich antworte:"Ach, ich dachte wir könnten zu Haus noch einen Film gucken, lief nicht einer?". Sie fängt an zu strahlen. "Eine gute Idee, es ist schon lang her, das wir einen gemeinsamen Fernseh-Abend gemacht haben", mit diesen Worten hakt sie sich bei mir unter und im Gleichschritt gehen wir nach Hause. Kapitel 12: Samstagmorgen ------------------------- Job und Schule nebeneinander belasten Vivian mehr als sie zugeben möchte. Kurz nachdem wir uns auf die Couch mit einer Decke und einer Tüte Chips gepflanzt hatten, war sie eingeschlafen. Ich habe mir noch den Film zu Ende angesehen und dann Zähne geputzt. Es ist Samstag. Der heutige Morgen ist kälter als der Letzte. Eine dicke Nebeldecke hatte sich über die Stadt gelegt, so dass man die etwas weiter entfernten Hochhäuser nur verschleiert erkennen kann. Ich war als erste wach und bin Brötchen holen gegangen, das heißt, ich muss erstmal einen Bäcker finden. Meine neuen Stiefel machen klackernde Geräusche, als ich in den vielen kleinen Straßen umher irre. Schließlich gehe ich zum Bahnhof und dort in einen Kiosk. Auf meinem Rückweg ist die Luft schon wieder klarer. Einpaar Mal bricht sogar die Sonne durch die Wolkendecke. Mit zwei Brötchentüten bepackt komme ich wieder an unserem neuen Haus an. Es liegt an einer engen Kopfsteinpflasterstraße und sieht sehr altmodisch aus. Beide Straßenseiten werden von Bäumen gesäumt, die fast alle ihre Blätter schon verloren haben. Ich krame in meiner Umhängetasche um meinen Schlüssel zu finden. Plötzlich summt mein Handy. Es ist eine SMS von Oliv: Hi, Lust um 15.00 Uhr mit Kessie und Freunden ins Kino zugehen? Oliv :) Ich zögere nur kurz, dann antworte ich. Kapitel 13: Samstagmittag ------------------------- Ich hab die Bahn verpasst, nur ganz knapp, aber sie ist weg, fährt Richtung Kino, wo ich eigentlich auch hin wollte. Schnell schreibe ich Oliv und trete unruhig von einem Fuß auf den anderen. Wenn ich die nächste nehme und mich beeile, könnte ich es noch rechtzeitig schaffen. Immer wieder blicke ich auf meine Uhr. Endlich, die Bahn fährt mit lautem Gequietsche ein. Als ich überstürzt einsteige, rempel ich mehrere Leute an, die mir böse nachschauen, kann mich aber nur flüchtig entschuldigen. Nachdem ich ausgestiegen bin, hetze ich weiter bis ich beim Kino ankomme. Völlig außer Atem stütze ich meine Hände auf die Oberschenkel, während ich nach Oliv, Kessie und ihren Freunden ausschauhalte. Als ich sie erblicke winke ich freudig. Doch dann lasse ich meinen Blick über die Gruppe schweifen und will so verschwitzt und rot wie ich aussehen muss einfach nur im Boden versinken. "Ah hi, da bist du ja!",Oliv blendet mich mit ihrer leuchtenden Ausstrahlung. "Du bist zwar nur wenig zu spät, aber der Film hat schon angefangen, deshalb dachten wir wir gehen erst was essen und dann in die Abendvorstellung". Sie merkt nicht wie unwohl mir die ganze Situation ist. Denn zwischen zwei mir unbekannten Jungen und Kessie steht Josh entspannt wie im Cafe auch. Nach unserem seltsamen Gespräch, war ich erleichtert ihn erstam Montag hätte wiedersehen müssen. Naja, Augen zu und durch. Ich blicke zu den anderen beiden. "Ach ja, das sind Flow und Tony, aus der Parallelklasse und Josh sitzt ja neben dir." Oliv deutet auf jeden einzelnen. Ich schüttle Tony die Hand, Flow aber zieht mich gleich zu einer herzlichen Umarmung heran. Ich weiß sofort, mit wem er verwandt ist. Seine verwuschelten blonden Locken und die vielen Sommersprossen veraten alles. Nur hat er hellblaue, Kessie braune Augen. Ich versuche in ein Gespräch zukommen, um Josh nicht begrüßen zu müssen. "Flow.... ist das ein Spitzname?", er grinst mich an, als er aber antworten möchte, ergreift Kessie für ihn das Wort:" Ja, das kommt von Florian, früher haben wir uns immer Flow und Kess genannt, aber aus dem alter bin ich raus..." und typisch für sie, redet sie munter weiter.... Kapitel 14: Samstagabend ------------------------ Meine Stimmung hatte sich bei dem gemeinsamen Essen in einer Fastfood-kette gelockert. Flow riss ununterbrochen Witze, woraufhin Kessie nur genervt drein blickte und eine ihrer endlosen Geschichten fortsetzte, es war ein richtiger, kleiner Geschwisterkampf, aber nicht auf boshafte Art. Oliv gab manchmal ein Kommentar ab und sogar ich mustte ab und zu kichern. Es war toll Teil einer Gruppe zu sein, auf meiner alten Schule, war ich immer nur einzeln mit den selben Personen verabredet. Um 18.00 Uhr hatte der Film begonnen. Ich sitze zwischen Kessie und Oliv mit meiner zugrößen 3D-Brille auf der Nase und versuche vergeblich nicht zusammen zu zucken, wenn ein Felsbrocken auf uns zu rast. Nebenbei stopfen wir noch Popcorn in uns hinein. Als wir uns wieder draußen von Kessie und Flow verabschieden, bin ich so aufgekratzt, dass ich beide fest umarme. Zu viert machen wir uns auf den Weg zum Bahnhof und obwohl es schon ziemlich dunkel ist würde ich noch gerne mehr unternehmen. Bevor ich etwas sagen kann, ergreift Oliv das Wort:"Das können wir doch wiederholen oder?", meine Augen beginnen vor begeisterung zu glänzen. "Gerne, obwohl mein Magen nach so viel Essen schon rebelliert", lacht Josh. Die beiden Unterhalten sich noch weiter und ich frage mich, warum ich mich gestern so bescheuert angestellt habe. Wahrscheinlich hat Oliv einfach ein Händchen für sowas, ohne aufdringlich zu wirken. Leider Erreichen wir den Bahnhof und müssen uns verabschieden. Als ich alleine im dunkeln auf meine Bahn warte, verfliegt das Glücksgefühl und weicht Müdigkeit und einem kleinem Funken Einsamkeit. Kapitel 15: Phill ----------------- Auf den Fensterscheiben haben sich verschnörkelte Eisblumen gebildet. Es sieht draußen so kalt aus, das ich, obwohl ich wieder mal als erste wach war, keine Lust hatte raus zugehen. Stattdessen sitze ich gemütlich in eine Decke eingekuschelt auf unserer Couch und schaue mir irgendwelche Dokus an. Vivian läuft immer wieder geschäftig durchs Bild. Sie macht sich für ein Date mit ihrem neuen Freund fertig. Ich finde ja, dass sie gleich nach dem Aufstehen schon perfekt aussieht, aber sie ist da anderer Meinung. Obwohl ich zugeben muss, dass sie wirklich eine Art Make-up Künstlerin ist. Es betont immer ihre Augen, sieht aber nie aufgeklatscht aus. Auch nur die wenigsten wissen, dass hinter ihren so beiläufig-aussehenden Frisuren, mindestens eine gefühlte Stunde Arbeit steckt, ich glaube es macht ihr einfach Spaß sich aufzubrezeln, denn nötig hat sie es echt nicht. Nach einer halben Stunde habe auch ich es geschafft mich umzuziehen, als es an der Tür klingelt. Meine Mutter frühstückt noch"Du erwartest Besuch?", fragt sie gelassen. "Ja, mein Freund holt mich ab, wir gehen Schlittschuh laufen.", untypisch für Vivian wirkt sie aufgeregt. Sie öffnet die Tür für einen schwarz haarigen jungen Mann, wahrscheinlich ein Jahr älter als sie. Zur Begrüßung umarmen sie sich, dann wendet sie sich uns zu:"Darf ich vorstellen, das ist Phill, wir haben uns im Cafe kennengelernt". "Freut mich sehr.", seine Stimme ist sanft, genau wie sein Händeschütteln. Die beiden passen wirklich fantastisch zusammen. Als sie losgehen, ruft meine Mutter ihnen noch hinterher, dass sie Spaß haben sollen, aber sie sind zu sehr damit beschäftigt dem jeweils anderen in die Augen zuschauen, das sie es nicht mehr mitbekommen. Kapitel 16: Kessies Familie --------------------------- Es ist Montagmorgen und ich wünsche mir das Wochenende zurück. Die Woche beginnt damit, dass unsere Lehrerin uns ein Mathereferat aufbrummt. Eigendlich wollte ich Oliv als Partnerin, aber bevor ich sie fragen konnte, hatte Kessie mich schon in Beschlag genommen. Ich mag sie zwar, aber ich habe das Gefühl mit ihr eine schlechte Note zu bekommen, wegen ihrer ständigen Unaufmerksamkeit und Quaselei. Oliv und Josh arbeiten zusammen, beide sind ziemlich schlau, wahrscheinlich werden die beiden am besten sein... ich seufze beim Gedanken an meine bevorstehende Aufgabe mit Labertasche Nummer 1 ein Referat vorbereiten zu müssen. Wir treffen uns am Freitag bei ihr. Ich wusste zwar, dass sie zwei Brüder hat, aber nicht, dass ihre ganze Familie unter einem Dach wohnt. Als wir in das große Einfamilienhaus eintreten, überrollt mich eine Welle von Begrüßungen und Umarmungen. Alle fragen mich etwas, ich kann aber nicht antworten, da dann schon der nächste etwas erzählt. Da wären Kessies Eltern, ihre Großeltern, ihre Tante, die ihr zum verwechseln ähnlich sieht, Flow und ihr vierjähriger Bruder Michael und ihre Cousinen, die Zwillinge sind. Fast alle haben blonde Haare. Irgendwann zieht Kessie mich weg von ihrer lauten Familie, eine Wendeltreppe hoch in ihr Zimmer. Nach diesem Ansturm kann ich verstehen, dass sie viel loszuwerden hat, wenn ihre Familie sie nicht zu Wort kommen lässt. Kapitel 17: Kessie ------------------ Es tut mir leid so vorschnell über Kessie geurteilt zu haben. Sie ist konzentriert bei der Sache, arbeitet mit fast ungesundem Ehrgeiz und redet kaum über etwas anderes als das Thema. Und hat auch noch echt Ahnung davon. Langsam habe selbst ich Lust auf eine kleine Pause. "Man, du bist echt gut in Mathe was?", sie schaut von unserem Plakat auf, worauf sie gerade ein Bild mit Diagramm geklebt hat. "Ja, Mathe liegt mir irgendwie, aber eigendlich wäre ich in anderen Fächern auch gerne besser." Langsam fange ich an die richtige Kessie kennenzulernen. Nachdem ich ihre Familie getroffen habe, dämmert mir warum sie sich so ins Zeug legt. "Warum denn? Deine Noten sind doch okay." Sie ist wieder mit dem Plakat beschäftigt, lächelt aber. "Naja, irgendwie muss man ja auffallen. Falls du es bemerkt hast, ist meine Familie ziemlich riesig, da ist es nicht immer einfach zusammenzuleben... " Ich bin sprachlos, irgendwie kam mir Kessie immer so unbeschwert vor. Wenn Jemand jetzt da wäre würde er mich damit aufziehen, nicht richtig hingesehen zu haben. Ich sitze auf ihrem Drehstuhl und tippe einzelne Buchstaben ziellos in den Laptop ein, weil ich nicht weiß was ich sagen soll. Ich war zwar immer ein klein bisschen neidisch auf Vivian, fühlte mich aber nie benachteidigt oder gar vergessen. Kapitel 18: Überredungskünste ----------------------------- Es ist schon fast dunkel, als es Abendessen gibt. Nach einem schnellen Blick auf die Uhr, möchte ich mich verabschieden, dass kommt für Kessies Mutter aber nicht in Frage:"Es ist schon viel zu spät, du kannst deine Eltern anrufen und dir Sachen von Kerstin leihen". Kessie schüttelt energisch ihre Locken"Mama, nenn' mich nicht so, ist ja peinlich!" Bevor sie anfangen zu streiten, ergreife ich das Wort:"Ich möchte wirklich keine Umstände machen..." "Nein nein Liebes, du gehst nicht um diese Uhrzeit alleine raus!"Kessie ist wieder gut gelaunt:"Ja, bleib doch! Morgen ist doch Samstag!", schließlich gebe ich mich geschlagen und willige ein. Vor dem Essen rufe ich zuhause an, es dauert eine Weile bis jemand ran geht: "Hallo?" "Vivian, ist Mama da?" "Was? Ne, sie arbeitet noch, was gibt's denn?" "Ich übernachte bei einer Freundinn..." "Oh, das trifft sich gut! Phill und ich wollten noch auf eine Party, so bist du ja nicht allein!", ich muss lächeln, ihre Stimme hört sich erleichtert an. Das Abendessen ist laut. Aber irgendwie auch lustig. Es ist so voll, dass nicht alle an einem Tisch sitzen können. Die Erwachsenen und Michael sitzen in der Küche, wir Jugendlichen im Wohnzimmer. Da die Zimmer aber mit einander verbunden sind, können alle miteinander reden. Kapitel 19: die Zwillinge ------------------------- Janina und Madison, die Zwillinge, haben im Gegensatz zum Rest der Familie keine Locken, sondern extrem glatte, blonde Haare und Ponys, die den beiden bis vor die Augen reichen. Auch sind beide ziemlich dünn, nur vom Kleidungsstiel sehen sie sich nicht ähnlich. Die eine trägt eine schwarze Lederjacke und einen rot-karierten Rock, die andere ein rosa-weiß gestreiftes Kleid, welches sie wie ein Bonbon wirken lässt, dazu viel Schmuck. "Die Zwei sind zwar eigentlich stumm wie Fische, aber sag bloß nicht, sie wären Klone, dann bekommst du aber was zu hören!" , witzelt Flow und schiebt sich eine Gabel mit aufgewickelten Spaghettis in den Mund. "Nein ernsthaft, danach haben sie mir einen Monat lang nicht mehr bei den Hausaufgaben geholfen!" "Du brauchst Hilfe von deinen kleinen Cousinen?",frage ich etwas schnippisch. Kessie schaltet sich ein:"Sie gehen auf eine Privatschule, richtig mit Uniform und so." "Ist das nicht irre teuer?", Janina oder Madison - ich kann die Beiden nicht auseinander halten - antwortet mit leiser Stimme:"Unser Vater arbeitet im Ausland, um die anfallenden Kosten zu decken." "Wow", ich kann nicht anders als zu staunen. "Dann seid ihr wirklich ziemlich schlau was?", die andere dreht ihren Kopf langsam zu mir: "Es geht. Wir können uns nicht wie alle anderen noch Privatunterricht leisten, deshalb hinken wir ein bisschen hinterher" "Muss echt hart sein...". Die paar Stunden mit Kessie heute waren schon anstrengend, auf einer Privatschule ist es ja noch schlimmer ... Kapitel 20: Übernachtung ------------------------ Kessie und ich liegen nebeneinander auf Matratzen, die Kessies Mutter aus dem Keller geholt hatte. Aber keiner von uns ist müde. Anstatt zu schlafen, betrachten wir durch ihr großes Fenster die vielen Sterne, die man trotz Großstadtlicht sehen kann. An dem vergangenen Tag habe ich mehr über Kessie und ihre Familie erfahren, als ich jemals geglaubt hätte. Ich sehe aus den Augenwinkel zu ihr rüber. Zuhause ist sie ganz anders als in der Schule. Ich habe sie wohl noch falscher eingeschätzt als Oliv am ersten Tag... "Warum seid ihr wirklich hergezogen?", Stille breitet sich aus"Wie meinst du das?", als sie lächelt funkelt ihre Zahnspange im sperrlichen Mondlicht. "Du meintest zu Oliv, es sei wegen der Arbeit deiner Mutter..." ich kann nicht glauben, dass sie das mitbekommen und sich auch noch gemerkt hat. "Ja, so ist es..." "Wirklich?" worauf will sie hinaus? Langsam steigt Panik in mir auf, ich möchte nicht ausgefragt werden... "Gibt es da nicht noch mehr?" Ihre Stimme ist ganz ruhig und ich widerstehe dem Drang ihr alles zu erzählen. Über meine Trauer, über das Gefühl betrogen geworden zu sein, über meine Einsamkeit, einfach alles... Aber würde ich das tun, wäre es umsonst gewesen hier her zu ziehen und meine neuen Freundschaften aufzubauen. Ich bin doch nur hier, weil ich vergessen möchte. Still hoffe ich, dass Kessie den Gefüls-Orkan in mir nicht bemerkt. "Nein, wieso?", zum Glück zittert meine Stimme nicht. Sie schaut mir tief in die Augen als wolle sie dort die wahre Antwort finden, dann dreht sie sich abrupt um und sagt:"Okay, gute Nacht." Ich habe das richtige getan, das weiß ich. Aber trotzdem fühle ich mich, als hätte ich sie hintergangen. Yay, das 20. Kapitel ist fertig, ich hoffe es hat euch bis hier hin gefallen? Ich habe absichtlich nicht viel über das Aussehen der Erzählerin geschrieben, damit ihr sie euch selbst vorstellen könnt, aber neugierig bin ich schon, schreibt doch mal in die Kommentare, was ihr denkt wie sie aussieht, ich hab da ja selbst so meine Vorstellung.... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)