Fünf Wörter - eine Geschichte von Khaleesi26 (OS Leser Projekt) ================================================================================ Kapitel 5: Träume ----------------- „I’m still the girl that you chased all around the world I haven’t changed, just replaced all the chains with pearls I want the same things we did back then I know we had it but we lost it.“ P!nk „Mensch, Mimi. Da bist du ja endlich!“ „Tut mir leid, dass ich zu spät bin, Yumi“, entschuldigte sie sich bei der dunkelhaarigen Frau und schmiss ihre Tasche in die Ecke. „Schon gut, wir haben schon mal angefangen. Aber in der Küche geht es drunter und drüber. Ohne dich läuft da irgendwie gar nichts.“ Mimi zog schnell ihre Jacke aus und warf einen kurzen Blick in Richtung Küche, aus der lautes Geschepper drang. „Kein Problem, das kriegen wir gleich hin. Normalerweise wäre ich früher gekommen, aber Jonah wollte mich einfach nicht gehen lassen.“ Yumi grinste. „Das kann ich verstehen. Er liebt dich eben abgöttisch. Hier…“, rief sie, schmiss ihr eine Schürze zu und zwinkerte. „Dann lass uns mal anfangen, Chefin.“ Mimi nickte zuversichtlich und band sich ihre schwarze Küchenschürze um. Ehe sie in die Küche verschwand, warf sie noch mal einen Blick über die Schulter. Yumi hatte sich diesmal wieder selbst übertroffen mit der Deko. Niemand schaffte es, ihr Restaurant in diesem Glanz erstrahlen zu lassen, wie Yumi. Auch, wenn inzwischen sechs Jahre vergangen waren, war Yumi immer noch an ihrer Seite. Als Assistentin, als Kollegin, als Freundin. Mimi hatte sich zwar aus dem Showbizz verabschiedet, und doch war sie froh, dass sich ihre Wege niemals getrennt hatten. Ohne ihre Unterstützung wäre sie sicher nie so weit gekommen. Als Mimi aus dem TV Geschäft raus war, stand sie quasi vor dem Nichts. Da sie ihr Studium nie beendet hatte, musste sie wieder ganz bei null anfangen. Heute gehörte ihr eines der renommiertesten Restaurants in ganz Japan und die Leute kamen von überallher, nur um ihre Gerichte zu kosten. Ein zweites Mal in ihrem Leben hatte sie aus eigener Kraft etwas ganz Wunderbares erschaffen. Und sie war stolz darauf. Beeindruckt sah sie sich im Raum um. Die vielen Lichter, die überall standen, verschafften dem Restaurant eine warme Atmosphäre und die Kronleuchter an der Decke sorgten für den nötigen Glamour. In ein paar Stunden würde sich dieser Raum mit Leben füllen und allein dieser Gedanke, machte Mimi mehr als glücklich. „Hey, Chefin! Wo bleibst du?“ Yumi steckte ihren Kopf durch die Küchentür und sah sie erwartungsvoll an. „Ich komme“, rief Mimi und trat durch die große Tür, hinter der schon alles dampfte und vor sich hin köchelte. Mimi gab ihrem Team noch eine kurze Einweisung, bevor sie sich selbst ans Werk machte und den Hauptgang des heutigen abends zubereitete. Während sie zwei Stunden später immer noch am Kochen war, empfing Yumi vorne im Restaurant die ersten Gäste. Mimi konnte hören, wie es allmählich voll wurde und wie die ersten Bestellungen über den Tisch gingen. In der Küche lief alles nach Plan. Jeder Teller, der rausging, war ein Meisterwerk und Mimi war sich sicher, dass sie sich heute Abend mal wieder selbst übertroffen hatten. „Mimi?“, rief Yumi plötzlich und kam aufgeregt in die Küche reingestolpert. Die Brünette hob erwartungsvoll den Kopf. „Da ist… also da will dich…“, stammelte Yumi und zeigte aufgeregt in Richtung Restaurant. „Ich kann es selbst nicht verstehen und… also, es gab noch nie einen Gast… das kann gar nicht sein.“ Yumis Augen huschten unsicher hin und her, und auch die anderen Kollegen warfen ihr bereits irritierte Blicke zu. Mimi grinste schief und ging langsam auf ihre Freundin zu. Behutsam legte sie ihr beide Hände auf die Schultern. „Atme erst mal“, forderte sie Yumi auf und gemeinsam atmeten sie einmal langsam ein und aus. „Besser? So, und jetzt erzählst du mir ganz in Ruhe, was los ist.“ „Okay“, sagte Yumi und schien sich tatsächlich wieder etwas gefangen zu haben. „Also, da ist ein Mann. Er möchte mit dir sprechen. Ihm… ihm schmeckt dein Essen nicht.“ Mimi klappte beinahe der Mund auf. Sie fiel aus allen Wolken. Einem Gast schmeckte ihr Essen nicht? Und er wollte sich bei ihr beschweren? Das war noch nie vorgekommen. Sie und Yumi betrieben dieses Restaurant seit nunmehr als drei Jahren und die Leute standen jeden Abend Schlange davor. Oft bekam sie Komplimente für ihre kulinarischen Gerichte. Doch noch nie hatte es jemanden nicht geschmeckt. Noch nie! „Ich weiß. Ich habe mir auch schon gedacht, dass dieser Typ vermutlich an Geschmacksverirrung leiden muss“, fügte Yumi noch hinzu und Mimi grinste unsicher. „Nun ja, wenn er mich sprechen möchte…“, sagte sie und klopfte ihre Schürze ab. Yumi trat hinter sie und fasste sie an den Schultern. „Du schaffst das schon!“ Dann schob sie sie sanft nach draußen. „Ach ja, Tisch Nummer neun. Viel Glück!“ Yumi war schneller wieder in der Küche verschwunden, als Mimi gucken konnte und innerlich verfluchte sie sie dafür, dass sie da jetzt allein durchmusste. Aber was sollte sie machen? Es war nun mal ihr Restaurant und sie war die Köchin. Wenn ein Gast eine Beschwerde hatte, dann musste sie das ernst nehmen. Neugierig suchte sie mit den Augen nach Tisch Nummer neun, an dem lediglich eine Person saß. Mimi straffte ihre Schultern und ging geradewegs darauf zu, vorbei an den anderen Gästen, die offensichtlich nicht das Geringste an ihrem Essen auszusetzen hatten. Vielleicht war er ja irgend so ein fieser Restaurantkritiker, der vorhatte, ihren harterarbeiteten Erfolg mit seinem nächsten Artikel in Grund und Boden zu stampfen. Mimi wurde ganz flau im Magen, als sie an dem Tisch ankam und der Mann sich umdrehte. „Sie wollten die Chefköchin sprechen?“ Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln und Mimi musste zwei Mal hinsehen, ehe sie ihn erkannte. Überrascht sah sie ihn an, während er einfach nur dieses umwerfende Lächeln lächelte, welches sie früher schon so geliebt hatte. „Tai… Taichi?“ „Hallo, Prinzessin. Schön, dich zu sehen.“ Die Brünette sah ihn mit großen Augen an und wusste im ersten Moment nicht, ob das gerade wirklich geschah. Tai stand auf und stellte sich vor sie hin. Er trug einen dunkelgrauen Anzug, ein weißes Hemd und eine Krawatte. Sechs Jahre waren vergangen, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten und Mimi konnte immer noch nicht glauben, dass er gerade wirklich vor ihr stand. Hier. In ihrem Restaurant. „Möchtest du dich setzen?“, fragte er ganz unvermittelt und ging um den Tisch herum, um ihr den Stuhl zurückzuziehen. Mimi hatte immer noch Probleme ihre Sprache wiederzufinden. Unsicher sah sie in Richtung Küche. „Ich weiß nicht, ich muss eigentlich gleich wieder in die Küche.“ „Fünf Minuten? Ich wollte schließlich die Chefköchin sprechen und das bist du doch oder?“ Mimi zögerte kurz, nahm jedoch schließlich auf dem Stuhl Platz, während Tai sich ihr gegenübersetzte. Erst jetzt sah Mimi ihm direkt ins Gesicht und hatte Gelegenheit ihn genauer zu betrachten. Es schien, als wäre er noch männlicher geworden. Irgendwie wirkte er viel reifer als früher. Seine wuscheligen Haare, die immer in alle Richtungen abstanden, hatte er zwar noch, doch sie waren nun deutlich kürzer, was ihn wiederum seriös und erwachsen wirken ließ. Er grinste sie an und Mimi merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Auf dieses Treffen war sie nicht vorbereitet gewesen. Überhaupt nicht. Nicht jetzt. Nicht, nach sechs Jahren. „Du siehst gut aus“, sagte er und erst jetzt fiel ihr auf, dass er sie ebenfalls musterte. Die Brünette räusperte sich und strich verlegen ihre schwarze Schürze zurecht, die zum Glück zum größten Teil verbarg, was sie darunter trug. Im Gegensatz zu Tai, der schick im Anzug vor ihr saß und äußerst geschäftig wirkte, trug sie nur ein altes, weißes T-Shirt und eine ausgewaschene, enge Jeans. Ihre langen Haare hatte sie unordentlich zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden und Mimi glaubte zu ahnen, dass ihr vorhin etwas Schokoladensoße ins Gesicht gespritzt war. „Was machst du denn hier, Tai?“, fragte sie unsicher, da ihr diese Frage schon die ganze Zeit auf der Zunge brannte. „Ich dachte, du arbeitest in Deutschland.“ „Tue ich auch“, sagte Tai und leerte sein Weinglas, welches vor ihm stand. „Aber ich bin geschäftlich in Japan und dachte, ich statte dem zurzeit beliebtestem Restaurant Tokyos mal einen Besuch ab.“ Mimi sah ihn verwirrt an. Das war alles? „Ich habe neulich einen Artikel über dein Restaurant in der Zeitung gelesen. Es hat mich gewundert, dass du nicht mehr fürs Fernsehen arbeitest.“ „Ja… Ja, ich… ich brauchte mal was Neues.“ Mimi wusste überhaupt nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie hatten sich so lang nicht gesehen und plötzlich saß er vor ihr und unterhielt sich mit ihr, als wäre nichts gewesen. Irgendwie kam ihr das spanisch vor. War Tai wirklich einfach nur so vorbeigekommen? Sie räusperte sich und deutete auf sein Essen. „Dir schmeckt das Essen nicht, habe ich gehört. Was stimmt denn damit nicht?“ „Mit dem Essen ist alles bestens.“ „Wenn du möchtest, lasse ich dir ein anderes Gericht kommen… warte. Was?“ „Dein Essen schmeckt fabelhaft, Mimi. Ich wollte dich einfach nur sehen“, sagte der Braunhaarige und lächelte sie an. Also doch! Ihr Herz schlug augenblicklich höher. Vielleicht hatte sie sich insgeheim gewünscht, dass er nicht nur einfach so hier aufgetaucht war. „Das freut mich. Äh, ich meine… es freut mich, dass dir das Essen schmeckt“, stammelte sie etwas unbeholfen und kam sich vor, als hätte sie ganz vergessen, wie man sich mit einem Mann unterhält. Aber Tai war eben auch nicht irgendein Mann. „Ich kann irgendwie nicht so richtig glauben, dass du gerade vor mir sitzt“, sprudelte es plötzlich aus ihr heraus und eine Sekunde später hätte sie sich am liebsten dafür auf die Zunge gebissen. Tai grinste. „Ich auch nicht.“ Eine der Kellnerinnen ging gerade an ihnen vorbei, als Tai sie ansprach. „Entschuldigen Sie, bitte. Könnten Sie uns bitte eine Flasche Monteverro Chardonnay bringen? Danke.“ Die Kellnerin nickte. „Tai“, flüsterte Mimi verheißungsvoll und lehnte sich geheimnisvoll über den Tisch. „Das ist einer unserer teuersten Weine.“ „Ich weiß, ich habe eure Karte gelesen“, antwortete er lediglich, doch Mimi runzelte die Stirn. Was hatte er nur vor? „Eigentlich muss ich wirklich wieder in die Küche.“ Tai zog eine Augenbraue nach oben und lächelte schief. „Deine Partnerin Yumi hat mir gesagt, dass ihr ein ausgezeichnetes Küchenteam habt. Ich denke, die kommen ein paar Minuten ohne dich aus.“ Mimi biss sich auf die Unterlippe. Verflucht seist du, Yumi – sagte sie sich in Gedanken, doch insgeheim freute sie sich auch, dass sie nun keinen Grund mehr hatte, aufzustehen. Auch, wenn Tais Auftauchen mehr als plötzlich war und sie regelrecht aus der Bahn warf, so war sie doch interessiert, was ihn wohl hergeführt hatte. Ob er verheiratet war? Ob er Kinder hatte? Wie er wohl inzwischen lebte? Ob er glücklich in Deutschland war? „Also…“, setzte sie an und überwand somit ihre Scheu. „Was machst du hier in Japan und wie lang wirst du bleiben?“ „Wie gesagt, ich bin beruflich hier. Ich will dich nicht mit Details langweilen, aber ich werde wohl etwas länger hierbleiben. Zumindest ein paar Wochen.“ „Aha…“, sagte Mimi kleinlaut, als auch schon die Kellnerin mit der Flasche Wein zurück kam und ihnen einschenkte. Als sie wieder gegangen war, sah Tai sich beeindruckt um. „Du hast wirklich ein schönes Restaurant, Mimi. Und so, wie es aussieht, läuft es ziemlich gut. Warum hast du dem TV Lebewohl gesagt?“ „Nun ja“, begann die Brünette und strich sich nervös eine Haarsträhne hinters Ohr. „Es war irgendwie nicht mehr das Richtige für mich.“ Sie konnte ihm ja schlecht direkt auf die Nase binden, dass es eine Reihe anderer Gründe für sie gab, ihre Karriere an den Nagel zu hängen, aber im Grunde stimmte es. Nach ihrer Trennung hatte sie sich einfach nicht mehr wohl vor der Kamera gefühlt. „Verstehe“, sagte Tai nur und bohrte zum Glück auch nicht weiter nach. „Besuchst du deine Familie hier?“, fragte Mimi, um schnell das Thema zu wechseln. „Das habe ich bereits getan. Ich bin schon seit ein paar Tagen hier.“ Mimi nippte an ihrem Glas, stellte es wieder ab und fuhr mit dem Finger über den Rand. Ob er bemerkte, wie nervös sie gerade war? „Und was ist mit deiner Familie? Ich meine, die in Deutschland. Vermissen sie dich nicht, wenn du so lang weg bist?“ Tai grinste verwegen und wich kurz ihrem Blick aus. „Ich bin nicht verheiratet, Mimi.“ „Oh… Und, was ist mit Kindern? Du hast doch sicher Kinder, oder? Oder zumindest eine Freundin…“ Tai lachte, woraufhin Mimi prompt rot anlief. War das vielleicht doch etwas zu direkt? „Weder noch. Sonst wäre ich sicher nicht hier.“ Mimis Herz machte einen Sprung. „Was ist mit dir?“, fragte Tai unvermittelt und nahm einen weiteren Schluck von dem Wein. „Bist du verheiratet?“ Mimi grinste und hielt ihre Hand zur Demonstration in die Luft. „Kein Ring.“ Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. „Na, dann ist ja gut. Dann muss ich ja auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich dich frage, ob du morgen Abend mit mir ausgehst.“ Mimi zuckte kurz zurück und fragte sich, ob sie sich verhört hatte. „Du willst mit mir ausgehen? Wieso?“ „Möchtest du nicht?“, fragte Tai keck, und Mimi überlegte. Wollte sie das? Ihr Herz schrie die Antwort förmlich heraus, während ihr Verstand sich immer noch sträubte. Tai bemerkte ihre Unsicherheit und grinste verlegen. „Es ist nicht schlimm, wenn du nein sagst…“ „Doch! Äh, ich meine… ja, ich möchte gern mit dir ausgehen“, sprudelte es plötzlich aus ihrem Mund. Tai lachte. „Das freut mich. Ich hatte wirklich Bedenken, du würdest mich nicht sehen wollen.“ Doch das genaue Gegenteil war der Fall. Mimi hatte eher das Gefühl, er würde sie niemals mehr wiedersehen wollen. Was auch der Grund war, warum sie sich all die Jahre nicht ein Mal bei ihm gemeldet hatte. Seit er damals aus der Tür gegangen war, war der Kontakt komplett abgebrochen. Und Mimi konnte es ihm nicht verdenken. Dass er plötzlich einfach so vor ihr saß und sie fragte, ob sie mit ihm ausgehen wolle, überraschte sie daher mehr als alles andere. Doch, es reizte sie einfach, mehr über ihn zu erfahren. Ob Tai noch derselbe Mensch wie früher war? Er holte eine Visitenkarte aus seiner Jackentasche und reichte sie ihr über den Tisch. „Da steht meine Handynummer drauf. Sims mir einfach deine Adresse, dann hole ich dich morgen Abend um acht ab.“ Mimi nickte, als Tai aufstand. Er ging um den Tisch, beugte sich zu ihr nach unten und nahm ihre Hand in seine, um ihr einen kurzen, kaum spürbaren Handkuss darauf zu hauchen. „Dann sehen wir uns morgen, Prinzessin.“ Mimi nickte wieder und er ging. Sie blieb sitzen und war immer noch völlig baff, von seinem Auftreten. Yumi kam zu ihr an den Tisch geeilt und sah sie panisch an. „Und, was wollte er? War er so ein ekelhafter Restaurantkritiker?“ Mimi schüttelte geistesabwesend den Kopf, als Yumi ihr einfach die Karte aus der Hand nahm. „Taichi Yagami? Wer soll das sein? Hab ich ja noch nie gehört“, sagte sie skeptisch und zog bedächtig eine Augenbraue in die Höhe. „Er will, dass ich mit ihm ausgehe“, sagte Mimi leise, während sie immer noch zu begreifen versuchte, dass das gerade alles wirklich geschah. „Hmm, vielleicht gar keine schlechte Idee“, meinte Yumi und legte eine nachdenkliche Miene auf. „Wenn du mit ihm ausgehst, kannst du ihn vielleicht beeinflussen. Oder du klaust ihm einfach seinen Laptop, dann kann er die Kritik nicht rausbringen. Ha! Super Plan!“ Mimi stand auf, während Yumi sich über ihre offensichtliche Raffinesse freute. „Ja, genau“, entgegnete Mimi jedoch nur genervt. Am nächsten Abend zur selben Zeit stand sie bereits aufgeregt in ihrem Schlafzimmer und durchwühlte ihren Kleiderschrank. „Ich habe einfach überhaupt nichts zum Anziehen“, nörgelte sie, während sie immer wieder wahllos Teile rauszog und sie hinter sich aufs Bett schmiss, auf dem Sora lag und gerade etwas auf ihrem Zeichenblock zeichnete. „Kann ich mir vorstellen. Du gehst ja auch nie shoppen“, meinte die Rothaarige teilnahmslos und zeichnete mit Bedacht weiter. Mimi stellte sich auf und stemmte die Hände an die Hüfte. Missbilligend sah sie ihre beste Freundin an. „Für so was habe ich keine Zeit. Kannst du mal mit diesem blöden Gekritzel aufhören und mir helfen?“ „Mit dem Gekritzel verdiene ich mein Geld. Nur ganz nebenbei gesagt.“ Sie hob den Kopf und musterte Mimi von oben bis unten, die gerade nichts weiter, als schwarze Spitzenunterwäsche trug. „Ich finde, du bist bereits ganz toll angezogen. Das reicht Tai sicher aus“, grinste sie frech, woraufhin Mimi ihr ein Shirt an den Kopf warf. „Sora! Also, wirklich! Ich will doch nicht mit ihm ins Bett gehen. Wir wollen einfach nur reden, mehr nicht.“ „Das sagst du, aber wenn wir mal ehrlich sind, sieht die Wahrheit doch ganz anders aus, oder?“ Sora richtete sich auf und setzte sich im Schneidersitz vor sie hin. „Mimi, er ist extra wegen dir zurückgekommen.“ Die Brünette runzelte die Stirn und wandte sich wieder ihrem Kleiderschrank zu. So schön diese Vorstellung auch war, so war es nun mal nicht. „Er ist beruflich hier.“ „Trotzdem“, beharrte Sora weiterhin auf ihrer Theorie. „Er hat dich gesucht und gefunden und er möchte heute Abend mit dir ausgehen. Das hat doch was zu bedeuten, oder nicht?“ Mimi antwortete nicht, sondern stöhnte stattdessen nur in ihren Kleiderschrank hinein und ließ den Kopf hängen. „Ich geb’s auf! Ich finde ja doch nichts zum Anziehen.“ Frustriert fischte sie irgendeine alte Jeans hervor und eine weiße Bluse. „Das Beste, was ich besitze. Traurig, aber wahr.“ Sie schmiss die Sachen aufs Bett, während Sora sie nur neckisch angrinste. „Du brauchst einfach etwas, dass elegant, aber nicht zu schick ist. Etwas, dass sexy ist, aber nicht sofort signalisiert, dass du auf Sex aus bist.“ „Ich bin nicht auf Sex aus!“, wiederholte die Brünette genervt. „Täte dir aber mal gut.“ Sora war einfach unmöglich. Was dachte sie denn bitte, was heute Abend geschehen würde? Das war doch völliger Unsinn! Wobei sie gestehen musste, dass allein bei dem Gedanken daran, sich ein warmes Kribbeln in ihrem Bauch ausbreitete. „Jedenfalls habe ich keine Zeit mehr, um jetzt shoppen zu gehen. Also muss ich nehmen, was ich habe“, sagte Mimi und zog sich die Bluse an. Sora sah sie skeptisch an. „So lasse ich dich auf keinen Fall gehen! Wie findest du das?“ Sie hielt ihr ihren Zeichenblock unter die Nase, auf dem offensichtlich ihr neustes Werk zu sehen war. Sora hatte ein wunderschönes, dunkelgrünes Kleid entworfen, welches bis zu den Knien ging. Der Rock lag in Falten und das Oberteil zeigte gerade genug Ausschnitt, dass es elegant und trotzdem reizvoll wirkte. „Das ist wunderschön, Sora. Aber wie soll mir eine Zeichnung jetzt weiterhelfen?“ Sora grinste verheißungsvoll und holte eine Papiertüte hinterm Bett hervor. „Indem ich es einfach habe für dich anfertigen lassen! Alles Gute zum Geburtstag!“ Mimi nahm die Tüte entgegen und spähte hinein. Es befand sich tatsächlich genau das Kleid darin, welches Sora eben gezeichnet hatte. „Ich weiß, dein Geburtstag ist noch etwas hin, aber ich dachte mir, du könntest es vielleicht schon etwas eher gebrauchen“, erklärte Sora. „Du bist verrückt!“, entgegnete Mimi perplex und holte das Kleid heraus, um es sich vor dem Spiegel anzuhalten. „Und da lässt du mich stundenlang vor dem Kleiderschrank Schweißausbrüche bekommen?“ Sora lachte. „Ich wollte einfach nur sehen, wie nervös du wegen deines Dates mit Tai bist, das ist alles.“ „Das ist kein Date“, sagte Mimi beiläufig und schlüpfte in das Kleid. Sie betrachtete sich im Spiegel. Warum hoffte sie nur, dass es doch mehr als ein einfaches Treffen war? Sora stand vom Bett auf und stellte sich hinter sie, um den Reisverschluss zuzuziehen. „Red dir das nur ein. Hast du es Jonah gesagt, dass du dich mit jemanden triffst?“ „Natürlich nicht.“ „Wirst du es ihm sagen?“ „Warum sollte ich? Solang es bei einem Treffen bleibt, muss er nichts davon erfahren“, antwortete Mimi entschlossen. Sie hatte keine Ahnung, wie Tai auf Jonah reagieren würde, oder wie Jonah auf Tai reagieren würde und sie wollte es auch lieber nicht all zu früh herausfinden. Kurze Zeit später klingelte es an der Tür, während Mimi noch im Bad stand und ihre Haare richtete. „Sora, kannst du bitte aufmachen?“, rief sie. „Na, klar“, antwortete Sora, die es sich mit einer Modezeitschrift auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte. Sie sprang auf und schlenderte zur Tür. Als sie sie öffnete, stand Tai vor ihr und hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben. Überrascht sah er sie an. „Sora?“ „Live und in Farbe“, sagte die Rothaarige und zog ihn in eine innige Umarmung. „Du siehst gut aus, Tai. Komm rein!“ „Danke. Ist Mimi auch da?“, fragte er und sah sich in dem geräumigen Haus um, in dem Mimi inzwischen wohnte. „Wohnt ihr beide zusammen?“ „Nicht wirklich. Aber ich bin oft hier. Ich würde mich gerne noch ein bisschen mit dir unterhalten, aber ich habe noch was vor“, entgegnete Sora und klopft an die Badtür. „Mimi, komm endlich raus. Es ist unhöflich, Tai warten zu lassen.“ Sie zwinkerte Tai kurz zu. „Sie ist ein wenig aufgeregt.“ Dann verschwand sie in das Zimmer nebenan, doch nicht, ohne ihm noch „Viel Spaß“ zuzurufen. Mimi öffnete die Badezimmertür und kam heraus. Als sie Tai erblickte, stockte ihr fast der Atem. Er sah einfach unfassbar gut aus. Er trug eine lockere Jeans, mit dazu passenden Sneaker, weißem T-Shirt und einer schwarzen Lederjacke mit Kapuze. „Oh…“, entfuhr es Mimi direkt und sie sah an sich hinab. „Jetzt fühl ich mich komplett overdressed.“ Passend zu dem grünen Kleid, hatte sie sich noch schwarze High Heels angezogen. An den Seiten ihrer Haare hatte sie sich kleine Zöpfe geflochten und zurückgebunden. Auf übermäßig viel Schmuck hatte sie jedoch verzichtet, da sie selbst darauf nicht besonders viel Wert legte. „Entschuldige. Ich wusste schließlich gar nicht, was wir überhaupt machen und dachte…“ „Du brauchst dich nicht entschuldigen. Du siehst umwerfend aus“, unterbrach Tai sie und lächelte verwegen. „Danke. Das Kleid ist von Sora. So etwas Schickes habe ich normalerweise nicht“, antwortete sie schüchtern. Irgendwie kam sie sich albern vor. Warum war sie so aufgeregt? Vielleicht würden sie auch einfach nur spazieren gehen und reden und es gab überhaupt gar keinen Grund aufgeregt zu sein. „Wollen wir dann?“, fragte Tai. Mimi nickte und er folgte ihr in den Flur. Sie wollte gerade die Tür öffnen, als Sora noch einmal aus dem Zimmer kam. „Mimi? Kannst du noch mal kurz kommen?“ „Was ist denn?“, fragte die Brünette und legte sofort ein sorgenvolles Gesicht auf. Sora kam auf sie zu und beugte sich ihr entgegen. „Er weint. Und er will einfach nicht einschlafen“, flüsterte sie ihr ins Ohr. „Okay, ich komme. Kannst du kurz warten?“, fragte sie an Tai gewandt. Er nickte zustimmend, während Mimi Sora in das Zimmer folgte. Tai sah sich etwas verloren um, doch dann hörte er plötzlich eine weinerliche Stimme aus dem Zimmer und da die Tür nur angelehnt war, ging er kurzentschlossen darauf zu und warf einen vorsichtigen Blick hinein. Er runzelte die Stirn. Ein eindeutiges Schniefen war zu vernehmen und Mimis zarte Stimme, die beruhigend darauf einwirkte. „Ich bleibe nicht lang weg, versprochen.“ „Aber ich kann nicht einschlafen.“ „Tante Sora ist doch da und liest dir noch eine Gute Nacht Geschichte vor. Dann schläfst du ganz sicher ein.“ Ein weiteres Schniefen. „Mami, wer ist der Mann da?“ Tai zuckte zurück. Mimi wandte sich um und bemerkte ihn. Erst war sie sprachlos, doch dann lächelte sie ihn an. „Komm doch rein“, bat sie ihn freundlich und Tai öffnete die Tür ganz. Sora stand neben Mimi und lächelte, ehe sie auf leisen Sohlen das Zimmer verließ und die drei allein ließ. Tai ging auf das Bett zu, vor dem Mimi kniete und betrachtete den kleinen Jungen, der darin lag, ganz verquollene Augen hatte und einen verzottelten Teddy im Arm hielt. Mimi sah erwartungsvoll zu Tai hinauf und fragte sich, ob er es bereits bemerkt hatte. Doch nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, war das nicht der Fall. Noch nicht. „Hey, Kleiner“, sagte Tai freundlich und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Wer bist du?“, fragte der Junge weinerlich. „Das ist Tai, ein alter Freund von mir“, erklärte Mimi ihm ruhig. „Wir kennen uns von früher.“ Der Junge musterte Tai eingehend und legte schließlich den Kopf schief. „Dann kennst du auch meinen Papa?“ Mimi warf Tai einen verstohlenen Blick zu. Wenn er bis jetzt nicht bemerkt hatte, dann spätestens jetzt. Tai kam einen Schritt näher und sah sich den kleinen Jungen genauer an. Er hatte eindeutig Mimis Augen und seine blonden Haare. Mimi dachte schon, das war es mit ihrer Verabredung. „Ja, genau“, antwortete Tai schließlich freundlich. „Ich kenne deinen Papa. Wir waren früher sehr gute Freunde.“ Der Kleine lächelte und Mimi war froh darüber, dass Tai es so gefasst aufnahm. Dass sie mit Matt ein gemeinsames Kind hatte, war eine Sache, von der Tai niemals erfahren hatte. „Das ist ja lustig“, sagte der Junge und strahlte Tai begeistert an. „Und, was machst du jetzt mit meiner Mama?“ Tai grinste und kniete sich neben Mimi ans Bett. „Nun ja, ich werde deine Mama jetzt gleich mitnehmen und mit ihr einen schönen Abend haben – das hoffe ich zumindest.“ Er schielte zu Mimi hinüber, die leicht rot um die Nase wurde. „Hmm, na gut“, überlegte der kleine Junge und hob mahnend den Finger. „Aber um zwölf muss sie wieder zurück sein!“ „Geht klar, Kumpel“, lachte Tai und stand auf. „So, mein Schatz. Mama muss jetzt gehen, aber Tante Sora wird gleich noch mal reinkommen und dir eine Geschichte vorlesen und ich weiß, dass du dann ganz sicher einschlafen wirst“, sagte Mimi leise und deckte den Kleinen zu, der bereits herzhaft gähnte und sich die Augen rieb. „Ist gut, Mami.“ „Schlaf schön“, lächelte Mimi und gab ihm einen Kuss auf die Stirn, ehe sie aufstand und mit Tai zur Tür ging. „Tschüss, Tai“, rief der Junge ihm noch hinterher. Tai wandte sich lächelnd um und winkte ihm zum Abschied. „Mach’s gut, Kumpel. Bis bald mal. Und schön schlafen.“ Der Junge nickte eifrig und die beiden verschwanden aus dem Kinderzimmer, bevor Sora wieder leise reinschlüpfte und die Tür hinter sich schloss. „Wie heißt er?“, wollte Tai wissen. Mimi sah ihn direkt an und es lag kein Fünkchen Vorwurf in seinen Augen. Ganz anders als sie befürchtet hatte. Für eine Sekunde hatte sie geglaubt, Tai würde auf dem Absatz kehrtmachen und genauso schnell aus ihrem Leben verschwinden, wie er gekommen war. Doch er war geblieben. „Er heißt Jonah. Und er ist mein größtes Glück.“ Gemeinsam schlenderten sie die lichtbefluteten Straßen entlang. Es war der perfekte Abend für Mimi. Lange hatte sie es nicht mehr so sehr genossen, mit jemanden gemeinsam unterwegs zu sein und sich einfach nur zu unterhalten. Tai erzählte ihr einfach alles über sein Leben in Deutschland. Wie gut er bereits die Sprache beherrschte, wie sehr er die deutsche Küche genoss und wie unglaublich gerne er seinen Job dort machte. „Das freut mich wirklich für dich, Tai“, sagte Mimi schließlich aufrichtig. „Ich habe immer gehofft, dass du glücklich bist.“ Tai grinste verlegen und sah sie schief an. „Was ist mit dir? Bist du glücklich?“ „Ja… Ja, ich bin sehr glücklich. Ich habe Jonah und das ist alles, was zählt“, antwortete sie und lächelte. „Und Yamato? Seid ihr noch zusammen oder habt ihr euch getrennt?“ Mimi schüttelte den Kopf. „Weder noch. Wir waren nie zusammen. Er wollte es ernsthaft versuchen, als er erfahren hat, dass ich schwanger war, aber ich wollte es nicht. Ich habe ihn eben nie geliebt.“ „Verstehe“, sagte Tai ruhig, doch Mimi fragte sich, ob er es wirklich verstand. Verstand er, dass es nie einen anderen, außer ihn gegeben hatte? „Wie alt ist Jonah?“, fragte Tai neugierig weiter. „Fünf. Nachdem wir uns getrennt hatten, erfuhr ich, dass ich mit ihm schwanger war. Es kam ziemlich überraschend. Aber heute bin ich froh, dass ich mich für ihn entschieden habe. Er macht mich jeden Tag so wahnsinnig glücklich.“ Mimi war so erleichtert, dass sie sich inzwischen so zwanglos mit Tai über diese Dinge unterhalten konnte. Sie spürte, dass keiner der beiden dem anderen etwas nachtrug und das war gut so. Sonst wären sie jetzt nicht hier. Manchmal heilt Zeit anscheinend doch die Wunden, die man sich gegenseitig zugefügt hat. „Hast du deswegen deinen Job beim Fernsehen aufgegeben?“, fragte Tai weiter. Mimi nickte. „Ja. Ich musste mich entscheiden. Entweder konnte ich für mein Kind da sein, oder ich wäre die meiste Zeit des Tages im Studio gewesen. Von Interviews, TV Shows und anderen Projekten mal abgesehen. Das wäre einfach zu viel gewesen. Und ich wollte mein Kind nicht von einer Nanny großziehen lassen.“ „Und Matt?“ Mimi sah Tai fragend an. „Ich meine, was macht er? Hat er seine Karriere auch an den Nagel gehängt?“ „Um Familienvater zu werden, meinst du?“, lachte Mimi auf. „Nein. Matt ist ein toller Vater für Jonah und immer für ihn da, aber er macht weiterhin Musik und ist relativ selten zu Hause. Aber wenn er dann mal da ist, verbringt Jonah viel Zeit mit ihm. Er genießt die Zeit mit seinem Daddy und Matt liebt ihn abgöttisch.“ „Das freut mich, zu hören“, entgegnete Tai lächelnd und Mimi wusste, dass er es ernst meinte. Sie sahen die Dinge jetzt in einem anderen Licht. Tai war erwachsen geworden. Genauso wie sie. „Ehrlichgesagt habe ich nicht damit gerechnet, dass ihr beiden ein Kind zusammen habt und es hat mich zugegebenermaßen im ersten Moment ziemlich überrascht“, sagte Tai plötzlich. „Doch, wenn ich das so höre, freue ich mich einfach für den Kleinen, dass seine Eltern so erwachsen mit der Situation umgehen. Ich denke, er hat ein super Leben.“ Tai grinste sie schief an, während Mimi warm ums Herz wurde. Tai hatte immer noch etwas an sich, was sie tief im Inneren berührte. Man konnte auch sagen, er ging ihr unter die Haut. So war es früher schon und sie erkannte, dass das zumindest eine Sache war, die sich nicht geändert hatte. „Verrätst du mir nun endlich mal, wo wir eigentlich hingehen?“, fragte sie schließlich keck und stieß Tai spielerisch in die Seite. „Du neugieriges Ding. Das erfährst du schon noch früh genug“, lachte Tai auf und nahm plötzlich und ohne Vorwarnung einfach so ihre Hand. Er verschränkte seine Finger mit ihren, während Mimis Herz augenblicklich stillstand. Was tat er da? Er hielt Händchen mit ihr. Einfach so. Mimi räusperte sich kurz, woraufhin Tai sie fragend ansah. „Was? Ist dir das etwa unangenehm?“ Etwas verlegen sah sie zu ihm auf. „Nein, überhaupt nicht. Es fühlt sich gut an, dass du da bist. So vertraut.“ Ein warmes Lächeln umspielte seine Lippen und Mimi wusste in diesem Moment, dass es unmöglich ein Zufall sein konnte, dass sie beiden sich wiederbegegnet sind. „Tai, was wollen wir hier?“, fragte Mimi etwas irritiert, als sie vor einem Fußballplatz anhielten. „Erkennst du ihn denn nicht?“, fragte Tai, während er den Blick über das Feld schweifen ließ. Mimi sah sich um und erkannte aus naher Ferne einen Jungen. Er lief übers Feld und trippelte einen Ball vor sich her, ehe er ihn mit voller Kraft ins Tor kickte. Ein Mädchen, welches etwas entfernt am Rand auf einer Bank saß, war in ein Buch vertieft und klappte es zu, als der Junge ins Tor traf. Sie stand auf, griff nach einer Flasche und ging zu dem Jungen aufs Feld. Als sie ihm sie reichte, lächelte sie ihn an. Und er küsste sie. „Wir waren mal genauso“, sagte Tai plötzlich reumütig. Er hatte die beiden ebenfalls beobachtet. Mimi sah ihn überrascht an. „Hier hast du früher immer trainiert“, fiel ihr plötzlich wieder ein. „Wir haben uns hier immer nach der Schule getroffen. Du hast wie ein verrückter trainiert und ich habe dir dabei zugesehen. Manchmal war es total langweilig für mich, aber das war mir egal. Ich wollte einfach nur bei dir sein und so viel Zeit wie möglich mit dir verbringen.“ Mimi lächelte, als sie an die längst vergangene Zeit zurückdachte. Wie glücklich und unbeschwert sie doch waren. „Ich wusste das nie wirklich zu schätzen“, sagte Tai und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Ich habe nie wirklich gemerkt, was du alles bereit warst für mich aufzugeben. Du hast mir so viel deiner Zeit geopfert und ich habe mich nie schlecht deswegen gefühlt. Weil ich jung und naiv war. Jetzt weiß ich, dass das ein Fehler war.“ Mimi sah verwirrt und überrascht zugleich zu ihm auf. „Wie meinst du das?“ „Ich hatte so viele Träume, Mimi“, fuhr Tai fort, während er in den immer dunkler werdenden Himmel blickte. „Ich hatte früher so viele Träume und ich habe sie alle gelebt. Jeden einzelnen davon habe ich mir erfüllt. Bis auf einen. Mein größter Traum blieb bis heute unerfüllt.“ Er wandte sich um und sah sie an. „Was ist mit dir, Mimi? Hast du all deine Träume gelebt?“ Mimi überlegte. Doch lange musste sie nicht darüber nachdenken, denn auf diese Frage gab es nur eine Antwort. Sie hatte sie sich selbst oft genug gestellt. „Nein“, antwortete sie schließlich und lächelte dabei. „Nein, habe ich nicht. Um genau zu sein, habe ich keinen meiner Träume wirklich gelebt.“ Tai stutzte. „Was war mit deiner Kochshow? War das keiner deiner Träume?“ „Ich dachte, das wäre er. Aber ich konnte ihn damals nicht mit dir teilen, deshalb war er für mich wertlos geworden.“ Tai sah schuldbewusst zu Boden, doch Mimi legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm. „Aber das ist okay. Träume verändern sich, Tai. Ich habe immer noch dieselben Träume, aber ich lebe sie jetzt anders.“ Lächelnd blickte sie hinauf in den Himmel, wo sich so langsam die ersten Sterne abbildeten. „Weißt du, Tai… man muss bereit sein, sich von dem Leben zu lösen, was man geplant hat, damit man das Leben findet, was auf einen wartet. Und am Ende können wir den Sternen die Schuld darangeben oder wir reden uns selbst ein, dass es einfach nicht sein sollte und dass es uns einfach nicht vorherbestimmt war, zusammen zu sein. Aber tief in unserem Inneren wissen wir, dass die Sterne keine Schuld haben und dass es nicht ‚einfach nicht sein sollte‘. Der Fehler liegt ganz allein bei uns. Und diesen Fehler müssen wir uns selbst vergeben, damit wir das Leben führen können, welches auf uns wartet.“ Sie sah ihm in die Augen und erkannte etwas, was sie nicht vermutet hatte, in ihm zu finden. Reue. Und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Tai aus genau diesem Grund hier war. Er hatte sich nicht vergeben. „Hast du dir vergeben, Mimi?“ „Das musste ich“, erwiderte die Brünette entschieden. „Für Jonah. Hätte ich mir nie vergeben, würde das bedeuten, dass er für mich die Konsequenz eines Fehlers wäre. Dass er ein Fehler wäre.“ „Er ist kein Fehler!“, platzte es plötzlich aus Tai heraus. „Ich war es. Ich habe den Fehler gemacht. Ich bin gegangen. Zwei Mal. Ich habe dich allein gelassen. Zwei Mal. Dass ich nicht für uns gekämpft habe, konnte ich mir nicht verzeihen. Ich habe es immer als selbstverständlich betrachtet, dass du auf mich wartest und mir all deine Zeit einfach so schenkst, weil du mich geliebt hast und weil ich dich geliebt habe und weil ich so fest daran geglaubt habe, dass wir füreinander bestimmt seien.“ Mimi spürte, dass der Schmerz, der sechs Jahre her war und sich schon längst verflüchtigt hatte, plötzlich wieder da war. Doch, es war nicht sie, die diesen Schmerz spürte. „Heute noch denke ich in jede Sekunde, an jeden Tag, an dich und ich habe immer noch keine Ahnung, wie ich über dich hinwegkommen soll“, sagte Tai schließlich und brach ihr damit fast das Herz. Dass er so empfand, hatte sie nicht geahnt. Er war letztendlich derjenige gewesen, der gegangen war. Also hätte sie nie gedacht, dass ausgerechnet er derjenige sein würde, der sich immer noch Vorwürfe machte. Diese Erkenntnis schmerzte zutiefst. Mimi griff nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen. Überrascht sah er sie an. „Ich möchte nicht, dass du dich für irgendetwas schuldig fühlst. Alles was geschehen ist, ist geschehen und du kannst nichts davon ändern, nichts davon rückgängig machen. Du kannst es nur loslassen. Ich habe dich losgelassen, Tai. Doch nur, weil ich dich habe gehen lassen, heißt das nicht, dass ich das auch wollte.“ Sie drückte seine Hand und lächelte ihn an. „Doch wie sagt man so schön? Lass frei, was du liebst. Und kommt es zu dir zurück, gehört es dir – für immer. Ich habe dich frei gelassen, Tai. Und du bist zu mir zurückgekommen.“ Mimi machte einen Schritt auf ihn zu und kam ihm dadurch so nah, dass sie die Wärme seiner Nähe spüren konnte, die sie so sehr vermisst hatte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen. „Du musst mich erst freilassen, bevor ich zu dir zurückkehren kann“, flüsterte sie in sein Ohr. „Du musst dir selbst vergeben.“ Tai sah sie unvermittelt an. Dann lächelte er. „Du hast gesagt, Träume verändern sich.“ Mimi nickte. „Ich denke, mein Traum hat sich gerade verändert.“ Die Brünette stutzte und zog bedächtig eine Augenbraue nach oben. „Ach ja?“ „Ja. Ich möchte dich kennenlernen, Mimi. Ich möchte mehr von dir erfahren. Ich möchte Zeit mit dir verbringen. Mit dir und Jonah. Ich möchte nicht an unser altes Leben anknüpfen, denn mir ist jetzt klargeworden, dass egal, was ich tue, es kein Zurück mehr gibt. Und ich mir daher auch keine Vorwürfe mehr machen muss. Es gibt nichts mehr zu bereuen und nichts mehr zu vergeben. Ich habe dir schon längst vergeben. Jetzt muss ich nur noch mir vergeben. Du hast recht. Was geschehen ist, ist geschehen. Die ganze Zeit habe ich mir gewünscht, dass ich unsere Vergangenheit einfach ausradieren könnte. Doch jetzt weiß ich, es ist nicht nötig, alles ungeschehen zu machen. Und ich bin bereit, jetzt endlich das Leben zu führen, dass auf mich wartet. Ich möchte von vorn beginnen, Mimi. Wie du.“ Mimi lächelte ihn verlegen an. „Das klingt nach einem sehr schönen Traum.“ Tai nahm ihre Hand und sah ihr tief in die Augen, was Mimis Herz erwärmte. Er hatte es einfach immer noch an sich. Dann grinste er. „Vielleicht hast du Lust, ihn diesmal mit mir zusammen zu leben.“ „I still believe there’s a right time for everything, even us.“ -faraway (Instagram: farawaypoetry) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)