Teamgeist von Alaiya ================================================================================ Kapitel 1: Das Interview ------------------------ „Crime Division, Scottland Police, Sutherland spricht“, erklang die Stimme des Chief Inspectors müde aus Kyras Telefon. „Guten Morgen, Inspector Sutherland“, erwiderte Kyra. „Kyra Hare hier.“ „Ah, Ms. Hare.“ Der Polizist klang deutlich mitgenommen. Offenbar hatte er wenig Schlaf gehabt. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie noch nicht zurückgerufen habe. Ich war gestern außer Haus.“ „Schon gut“, entgegnete Kyra. „Haben die Eltern von Graham etwas gesagt?“ „Wie?“ Für einen Moment klang Sutherland verwirrt. „Ach. Nun, nicht wirklich.“ Er zögerte für einen langen Moment. „Ms. Hare?“, fragte er dann. „Würde es Ihnen etwas ausmachen zur Station zu kommen?“ Kyra sah zu Watson, der noch immer nicht ganz getrocknet war. „Ähm. Nein. Nicht wirklich. Wenn Sie mir etwa eine Dreiviertelstunde geben …“ „Natürlich“, erwiderte Sutherlang fahrig. „Natürlich. Kommen Sie dann einfach zu meinem Büro.“ „Kann ich machen“, antwortete Kyra, etwas verwirrt, warum sie herkommen sollte. Ein mulmiges Gefühl sagte ihr, dass Sutherland sie wahrscheinlich von dem Fall abziehen wollte. Vielleicht hatte er die Antwort schon auf anderem Wege gefunden? Oder er war genervt, weil sie bisher keine Antworten gefunden hatte? Sie würde warten müssen, sagte sie sich und holte ein Handtuch aus dem Bad, um Watson trocken zu rubbeln. Immerhin konnte sie ihn kaum wieder mit Jason allein lassen. Zwar hasste sie es, ihn im Auto allein zu lassen, doch gab es kaum eine Alternative. Also machte sie sich daran ihn zu trocknen, ehe sie ihn und die Hundedecke mit ins Auto nahm. Sie deckte Watson zu, während sie zur Polizeistation in der Fettes Avenue fuhr. Wieder musste sie durch die Schleuse, sagte, dass sie zu Sutherland wollte und wurde dann durchgebuzzt. Wieder ging es in den zweiten Stock, nur an das andere Ende des Flures. Und irgendwie war Kyra froh, nicht auf Molly zu treffen. Sie klopfte – ziemlich genau eine Dreiviertelstunde nachdem sie telefoniert hatten – an der Tür von Chief Inspector Sutherland. Als er „Herein“ antwortete klang seine Stimme noch immer genau so müde, wie zuvor am Telefon, und als sie in das Büro kam, sah er auch nicht minder müde aus. Er hatte deutliche Ringe unter den Augen. Für einen Moment überlegte Kyra etwas dazu zu sagen, unterließ es aber. Sie wollte immerhin professionell wirken und kannte den Mann kaum. „Ah, Ms. Hare“, begrüßte er sie und stellte seinen Kaffeebecher ab. „Gut, dass Sie herkommen konnten.“ „Kein Problem.“ Kyra war ein wenig unsicher, als sie die Tür hinter sich schloss, setzte sich aber, als er auf den Stuhl ihm gegenüber gestikulierte. „Warum sollte ich herkommen?“, fragte sie dann schließlich. „Ah, ja“, erwiderte er und rieb sich kurz die Schläfen, als müsse er sich erst sammeln. „Entschuldigen Sie.“ „Kein Problem“, antwortete Kyra mit einem angedeuteten Schulterzucken. „Nun, ähm …“ Er sah kurz auf seinen Rechnerbildschirm. „Ja … Ms. Hare. Würde es Sie stören, wenn ich Sie von Ihrem aktuellen Fall abziehe?“ Wusste sie es doch! Ach, verdammt. Nun, zumindest zwei Tage bezahlte Arbeit. „Natürlich nicht“, log sie. „Das ist Ihre Entscheidung.“ „Ah, gut“, erwiderte er. „Ich habe nämlich einen anderen Fall reinbekommen. Noch von heute Morgen. Und ja, ähm, ich brauche dringend Leute.“ Moment. Meinte er das, was sie glaubte, das er meinte? „Äh, wie?“ „Ähm, ja, entschuldigen Sie“, sagte er. „Wir haben heute morgen einen neuen Mordfall reinbekommen und … Nun, es gibt einige Leute, die mit dem Opfer zu tun hatten. Da der Fall von öffentlichen Interesse ist, haben wir Interesse daran ihn, wenn möglichst, schnell aufzuklären. Ich würde daher Sie damit beauftragen, die Interviews mit den Kollegen des Opfers durchzuführen. Sind Sie mit den Prozeduren vertraut?“ Für einen Moment starrte Kyra ihn vollkommen überfordert an, ehe seine Frage an ihr Bewusstsein durchdrang. „Ähm, ja, natürlich.“ Immerhin war sie lange genug mit Molly zusammen gewesen und hatte auch entsprechende Kurse belegt. Irgendwann einmal zumindest. „Natürlich“, wiederholte sie dann noch einmal. „Ähm … Ja.“ „Gut, gut“, antwortete der Polizist. „Sehr gut.“ Dieses Mal hatte er die Erklärungen offenbar bereits vorbereitet, denn er reichte sie ihr zum Unterschreiben hinüber. Neben den üblichen Verschwiegenheitserklärungen gab es auch noch eine zu der Umstellung des Falls. Doch hey, wenn es wirklich ein Fall „öffentlichen Interesses“ – was auch immer dies bedeutete – war, konnte sie ja keinen allzu schlechten Eindruck zuvor hinterlassen haben. Sie klopfte sich mental auf die Schulter. „Also, folgendes“, sagte Sutherland schließlich geschäftsmäßig und mit schneller Stimme, so als würde er sie möglichst schnell einweisen wollen, um dann selbst weiterarbeiten zu können. „Thalia von den Hibernian F.C. Ladies wurde vor wenigen Stunden ermordet aufgefunden. Da sie Teil der Mannschaft war und wir aktuell noch keinen Hinweis auf ein Motiv haben, sollen die anderen Mannschaftsmitglieder interviewt werden.“ Er reichte ihr eine neue Mappe herüber. „Da drin finden Sie eine Liste. Ein Teil der Teamkollegen werden wir selbst verhören. Es geht nur darum, einzugrenzen, wer möglicher Weise ein Motiv gehabt hat, sowie wo die einzelnen Teamkollegen vergangene Nacht waren.“ Er lächelte sie matt an. „Niemand erwartet von Ihnen mehr, als diese Interviews, ja?“ Aka, „Sie lösen nicht den Fall, das machen wir“, dachte sie sich. Ja, das war eine sehr übliche Grundlage, um einen Privatdetektiv anzuheuern. Immerhin war es die etwas langweilige Realität, dass es eher selten war, dass die Polizei selbst einen Privatdetektiv anheuerte, um à la Sherlock Holmes einen Mordfall aufzuklären. Viel eher wurden Privatdetektive hinter Papierkram, der aufgespürt werden musste, hergeschickt, oder eventuell irgendwelchen Erbstücken, die direkt oder indirekt mit dem Mord zu tun haben könnten. Oder sie wurden angeheuert um Leute, die mit einem etwaigen Mordopfer zu tun hatten, aber nicht prinzipiell verdächtigt wurden, zu interviewen, wie Sutherland es gerade mit ihr machte. Immerhin hatte die Polizei einfach nicht die Leute und nicht die Zeit, um den gesamten Bekanntenkreis des Opfers zu befragen, was jedoch oft genug notwendig war. Immerhin war das Leben keine Fernsehserie, wo der Kreis der möglichen Täter sich meist auf übersichtliche fünf beschränkte. Sie öffnete die Mappe und fand darin eine Liste mit 14 Namen. Offenbar alles Fußballerinnen aus der Damenmannschaft der Stadt. Nun, das schien machbar, zumal die Adressen und Telefonnummern direkt dabei standen. „Natürlich“, antwortete sie schließlich mit dem professionellsten Lächeln, dass sie zustande brachte. „Überlassen Sie das mir.“ „Danke.“ Sutherland nickte und schien tatsächlich dankbar zu sein. „Ich gebe Ihnen noch ein paar weitere Unterlagen mit. Wenn Sie die Befragungen bis in zwei Tagen abgeschlossen hätten, wäre ich Ihnen sehr verbunden.“ Blieb nur zu hoffen, dass alle 14 in den zwei Tagen zu erreichen waren. Doch Kyra nickte. „Natürlich.“ Kyra musste zugeben, noch immer überrascht zu sein. Klar, sie konnte verstehen, was Sutherlands Gedankengang gewesen sein musste. Denn ja, auch wenn es am Ende nur die „Frauenmannschaft“ war, war es eine lokale Fußballmannschaft, die – wie ein kurzer Blick auf Wikipedia ihr gesagt hatte – nicht einmal gänzlich schlecht abgeschnitten hatte bisher. Entsprechend war es zumindest für lokale Verhältnisse fraglos ein Mord, der öffentliches Interesse erregen würde, und sei es nur weil sich die lokalen Medien davon angezogen werden würden, wie Motten vom Licht. Umso mehr war es jedoch überraschend für sie, dass er sie damit beauftragt hatte. Klar, sie würde nicht die einzige Detektivin sein, die das Umfeld des Opfers abklopfen würde, aber hey, für ihre Verhältnisse war es definitiv ein Schritt nach oben. Irgendwo wurmte es sie, dass sie dem Fall mit Graham nicht weiter nachgehen konnte, doch was war schon eine illegale Operation gegenüber einem echten Mordfall? Ja, eventuell war sie ein wenig zu erfreut darüber, in einem Mord zu ermitteln oder besser gesagt Leute befragen zu dürfen. Dennoch: Sie wollte zeigen, dass es keine schlechte Entscheidung war. Entsprechend hatte sie sich zurück im Auto auch zuerst daran gemacht, die Unterlagen, die Sutherland ihr gegeben hatte, durchgeschaut. Das Opfer, Talia Russel, war Verteidigerin der Mannschaft gewesen und von allem, was Kyra herauslesen konnte, eine der Spielerinnen, die meistens auch in Spielen aufgestellt wurden. Sie war mir 23 jung, doch dies schien nicht besonders ungewöhnlich im Profisport. Jedenfalls war sie am Morgen um kurz vor sieben von einer Mannschaftskollegin – Charleigh Aitken – tot aufgefunden worden. Bisher ging man davon aus, dass die Todesursache Stichwunden waren, die sie erlitten hatte. Der Autopsiebericht war noch nicht da, entsprechend wusste man es nicht mit Sicherheit, doch die Beschreibung der Leiche sprach von sieben Stichen in den Oberkörper, die wahrscheinlich mit einem Küchenmesser erfolgt waren. Oh, die Politiker würden sich freuen. Ein Grund mehr, Nutzmesser einzuschränken. Ms. Aitken würde von der Polizei befragt werden – natürlich. Dasselbe galt für Marcel Reilly, den Manager der Fußballmannschaft und wahrscheinlich ein paar andere Personen, die näher mit dem Opfer vertraut waren. Eltern, der Bruder, der erwähnt war, und sobald man darüber mehr wusste wahrscheinlich auch Lebensgefährte und, beziehungsweise „oder“ Expartner. Kyras Liste umfasste die anderen Mannschaftsmitglieder. 14 an der Zahl. Und da sie nicht wusste, was sie sonst machen sollte, entschloss sie sich einfach oben in der Liste anzufangen, da den Adressen nach gleich zwei der Mitglieder im selben Haus lebten: Schwestern, offenbar, mit den Namen Lilly und Alexa Bell. Offenbar war Alexa Bell die Mannschaftskapitänin. Es wunderte Kyra beinahe, dass sie als solche nicht direkt von der Polizei befragt wurde. Aber gut, was sollte sie sich beschweren? Für einen Moment überlegte sie zuerst anzurufen, wie es die Höflichkeit diktierte. Dann jedoch entschloss sie sich dagegen. Hey, wenn eine der beiden mit dem Mord zu tun hatte, wollte sie ihr nicht lange Zeit geben, sich eine Ausrede zurecht zu legen. Ja, sie dachte schon daran, den Fall zu lösen. Etwas, das sie explizit nicht tun sollte. Aber hey, wenn es sich so ergeben würde, dass sie den Fall durch einen Zufall lösen konnte, dann wäre ihr niemand deswegen böse, oder? Vielleicht könnte es dafür sorgen, dass sie häufiger angeheuert wurde. Von dieser glorreichen Vorstellung beseelt fuhr sie zur Adresse, die in ihren Unterlagen angegeben war. Ein Haus das, wie sie feststellen durfte, in der Nähe von Silverglow lag. Nun, sie konnte nur Hoffen nicht Wright über den Weg zu laufen. Mittlerweile hatte der Regen tatsächlich aufgehört, was ihr nur zu gelegen kam. In der Straße, an deren Rand sich Neubauten mit für Städteverhältnisse großen Gärten drängten, war es schwer einen Parkplatz zu kommen, so dass sie ein ganzes Stück entfernt von dem Haus mit der Nummer 21 parken musste, in dem die Geschwister lebten. Die Bell-Geschwister waren 25 und 22 Jahre alt. Die Ältere, Alexa, war nicht nur Kapitänin, sondern auch Torwärtin der Mannschaft. Lilly war Stürmerin und laut ihren Unterlagen außerdem Sportstudentin. Kyra kam ja nicht umher sich zu fragen, ob Frauenfußball, selbst in der ersten Liga, genug war, um davon zu leben. Immerhin hörte man alles in allem doch recht wenig davon. Nun, hätte sie auch nur versucht eine Karriere als Sportlerin zu verfolgen, hätte sie sich wohl eher blamiert und dann den Hals gebrochen. Vielleicht auch in der umgekehrten Reihenfolge. Jedenfalls war Sport nie ihre Stärke gewesen, selbst wenn sie eine recht gute Ausdauer hatte und zumindest in Leichtathletik ganz gut abgeschlossen hatte. „Magst du mitkommen?“, fragte sie Watson, der auf dem Rücksitz unter seiner Hundedecke lag und in einem wohligen Halbschlaf gefallen war. Seine Ohren richteten sich auf, als er ihre Stimme hörte, und er hob müde den Kopf und sah sie fragend an. „Magst du mitkommen, Junge?“, wiederholte sie ihre Frage und strich ihn über den Kopf. Ein Schnauben, gefolgt von einem kurzen Bellen, war seine Antwort. Er stand auf und sein wedelnder Schwanz wischte über die Decke der niedrigen Wagenkabine. „Na, dann komm mal“, meinte Kyra. Sie war ganz froh, ihn so mitnehmen zu können. Immerhin bedeutete es weniger schlechtes Gewissen und weniger vorwurfsvolle Hundeblicke. Blieb zu hoffen, dass die Fußballerinnen keine Hundehaarallergie oder vergleichbares hatten. Diese Befürchtung stellte sich als unnötig heraus, wenngleich sie nicht an eine andere Möglichkeit gedacht hatte. Das Haus schien ein Einfamilienhaus zu sein. Es war ein relativer Neubau und komplett weiß gestrichen, während das Dach mit blauen Ziegeln gedeckt war. Eine dreistufige Treppe führte zur Haustür hinauf, wo ein kupfernes Klingelschild verkündete, dass hier Familie – oder in diesem Fall wohl eher die Geschwister – Bell hier lebte. Kyra klingelte und hörte bald darauf ein heiseres Kläffen aus dem Inneren. Etwas offenbar eher kleines schien eine Treppe herunterzukommen und sich auf der Innenseite der Haustür zu positionieren, um diese feindselig anzubellen. Watson gefiel das natürlich gar nicht und erwiderte das Kläffen seinerseits mit einem tiefen Bellen. „Ist ja gut“, meinte Kyra und hockte sich neben ihn, um ihn festzuhalten. Das letzte, was sie brauchte, war ein Watson, der auf einen kleineren Hund losging und ihr damit die Ermittlung, beziehungsweise Befragung erschwerte. Sie tätschelte seine Seite. „Ist gut, Junge. Ist nur ein Bettvorleger. Kein Grund zur Aufregung.“ Watson hörte zumindest auf zu bellen, ließ jedoch weiterhin ein leises Knurren hören, während das Bellen von drinnen nicht verstummte. Dann hörte Kyra Schritte, gefolgt von einer Stimme. „Ist ja gut, Blake“, sagte die Stimme. Dann war es kurz still, ehe die Tür von einer jungen, kräftig gebauten Frau, die einen vor Aufregung zitternden Spitz auf dem Arm hatte, geöffnet wurde. „Ja?“, fragte die Frau und schob verwirrt die Augenbrauen zusammen, als sie Kyra sah. „Ähm, was kann ich für Sie tun?“ Wie immer spulte Kyra ihre Begrüßungsformel ab. „Guten Tag. Mein Name ist Kyra Hare. Ich bin Privatdetektivin und bin im Auftrag der Polizei hier.“ Wie kramte ihre Zulassung und den Wisch, den Sutherland ihr gegeben hatte, hervor. Misstrauisch musterte die Frau, die wohl Alexa Bell war, Kyra. Dann begutachtete sie die Zulassung und seufzte. „Sie sind wegen Talia da, oder?“ „Das ist korrekt“, erwiderte Kyra. „Sie haben schon davon gehört?“ Alexa Bell nickte nur. „Wie kann ich Ihnen helfen?“ „Ich soll Sie kurz zum Opfer befragen“, antwortete Kyra. „Also Sie und ihre Schwester, Lilly Bell. Ist sie hier?“ „Klar“, erwiderte die ältere Bell-Schwester. „Sie ist aber unter der Dusche.“ Sie zögerte, offenbar unsicher, ob sie Kyra herein lassen sollte, trat dann aber bei Seite. „Wollen Sie hineinkommen?“ „Gern.“ Kyra kam herein, gefolgt von Watson, der dem schwarzen Spitz einen herabwürdigenden Blick zuwarf. Watson mochte keine kleinen Hunde. Ganz begeistert war Alexa Bell wohl nicht, dass auch Watson reinkam. Jedoch schien sie nichts dagegen sagen zu wollen. Stattdessen führte sie Kyra in eine relativ kleine Küche und zeigte auf den Tisch. „Wenn Sie sich setzen würden“, meinte sie gestelzt. „Ich sage meiner Schwester kurz Bescheid.“ Kyra nickte nur zustimmend und sah der jungen Frau hinterher. Alexa Bell hatte eine recht abgetragene Jeans und ein ziemlich weites T-Shirt an. Sie sah nicht aus, als ob sie das Haus noch verlassen wollte. Für einen Moment ärgerte sich Kyra, dass sie Sutherland nicht gefragt hatte, wie das überhaupt mit dem Training der Mannschaft aussehen würde. Fiel es aus? Wann trainierten sie? Immerhin, so fiel ihr nun ein, hätte sie auch Pech haben können und niemanden antreffen können. Das wäre unpraktisch gewesen, vor allem wenn sie bedachte, dass das Trainingscenter ein ganzes Stück außerhalb der Stadt lag. Wartend musterte Kyra die Küche, die wirklich erstaunlich klein war, wenn man das Haus bedachte. Sie schätzte die Küche nur auf dreiviertel der Größe der Küche ihrer Wohnung. Dafür wirkte alles hier nagelneu. Die Schränke waren in einem modernen, weißen Plastikdesign gehalten und auch die Bodenfliesen, sowie die Fliesen an der Wand waren strahlend weiß. Offenbar wurde hier nicht viel gekocht. Bevor sie wieder von Alexa hörte, kam der Spitz – Blake – wieder die Treppe runter und stellte sich in die Küchentür, um Watson erst einmal ausgiebig anzukläffen. Watson knurrte zurück, bis Kyra ihn anstupste und dafür einen beleidigten und verständnislosen Blick erntete. „Nun, ähm“, meinte Alexa Bell, als sie keine zwei Minuten später die Treppe hinab kam. „Was wollen Sie denn wissen?“ Kyra holte ihren Block heraus. „Fangen wir damit an, was Sie mir über Ms. Russel sagen können.“ „Talia?“ Alexa zögerte und setzte sich erst einmal auf einen der anderen beiden Stühle in der Küche. „Sie war eine gute Spielerin.“ Wieder hob sie den Spitz vom Boden auf und streichelte Geistesabwesend seinen Kopf. „Allerdings … Wir waren nie wirklich Freunde.“ „Aha?“ Überrascht sah Kyra sie an. Normal waren das etwas, was kaum jemand in der Befragung nach einem Mord sagte. Entweder, weil sich die Leute fürchteten, verdächtig zu wirken, oder weil sie nicht schlecht über den Toten reden wollten. „Sie war neidisch auf Lilly“, meinte Alexa. „Lilly hat als Stürmer mehr Aufmerksamkeit bekommen als Talia in der Verteidigung. Daher … Na ja, Talia meinte halt immer, dass ich Lilly nur weil sie meine Schwester ist als Stürmer aufgestellt habe.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Dachte, es wäre nur fair, sowas zu erwähnen.“ „Ja …“, murmelte Kyra nur und notierte sich das. „Ansonsten … Außerhalb von Spielen und Training hatten wir wenig miteinander zu tun“, fuhr Alexa Bell fort, weiterhin eine Hand auf dem Kopf des Hundes. „Also klar, wir waren mal ab und an auf Partys zusammen, mit anderen Leuten in der Mannschaft. Aber nicht mehr. Entsprechend weiß ich wenig über sie.“ Ein erneutes Schulterzucken. „Okay, verstehe“, sagte Kyra, um sich eine kurze Pause zu erwirtschaften, ehe sie weiter fragte: „Was ist mit Freunden innerhalb der Mannschaft? Oder auch so? Hat sie vielleicht mal jemanden mitgebracht?“ Alexa schien auf die Innenseite ihrer Wange zu beißen, während sie überlegte. „Halt Charleigh. Charlyn und Willow. Also das waren die in der Mannschaft, mit denen sie abgehangen ist.“ Ein weiteres Schulterzucken. „Ansonsten … Da war mal dieser Kerl … Jamie. Den hatte sie vor 'ner Weile mal auf eine Feier mitgebracht. Wahrscheinlich der damalige Macker.“ Als sie Kyras fragenden Blick sah, fügte sie hinzu: „Den Nachnamen von dem kenne ich nicht.“ Kyra nickte und notierte sich den Namen Jamie mit einem Fragezeichen dahinter. Vielleicht wusste ja jemand anderes was über ihn. „Sonst irgendwas? Mit wem kam sie nicht gut aus?“ „Mit den meisten“, erwiderte Alexa. „Na ja, okay, das ist übertrieben. Aber sie hat halt viel gezickt wegen Kleinkram, nicht? Also sie und Eleanor hatten sich irgendwann mal in den Haaren … Irgendwas, weil sie Eleanor wohl den Freund ausgespannt hat. Weiß' nicht, was dran ist. Da fragst du am besten Elly.“ „Okay.“ Eine weitere Notiz. „Außerdem hat sie sich vor zwei Wochen ziemlich mit Irene gezofft“, fügte eine weitere Stimme hinzu und Kyra bemerkte, dass die jüngere Schwester, die etwas kleiner und sehniger als Alexa war, nun in der Tür stand. Ihr braunes Haar war relativ kurz geschnitten, so dass es nur knapp über die Ohren fiel. „Ich weiß aber nicht, worum es da ging. Die beiden haben nur in der Umkleide auf einmal einen Streit angefangen. Irgendwas ging Irene nicht an.“ Auch sie zuckte die Schultern und wirkte dabei trotz unterschiedlichem Körperbau und anderer Frisur ihrer Schwester sehr ähnlich. Kyra sah sie an. „Lilly Bell, nehme ich an.“ Die jüngere Schwester nickte und kam hinüber, um sich auf den letzten Stuhl zu sitzen. „Und Sie sind die Privatdetektivin?“ „Kyra Hare“, stellte Kyra sich vor. Lilly nickte und sah dann mit einem kindlichen Glänzen in den Augen unter den Tisch und streckte eine Hand nach Watson aus. „Und das ist?“ „Watson“, erwiderte Kyra, während Watsons Schwanz begann gegen den Stuhl zu wedeln. „Wie bei Sherlock Holmes?“, fragte Lilly. „Genau so.“ Mittlerweile war Watson aufgestanden und hatte zwei Hundeschritte auf Lilly zugemacht, die ihn nun am Hals kraulte. „Braver Junge. Brav.“ Ein Bellen, das den Spitz zusammenfahren ließ, war die Antwort. „Ähm ja“, meinte Kyra. „Ich müsste übrigens gleich noch ihre Ausweise sehen.“ Das war ihr auch gerade erst wieder eingefallen. Sie machte das ganze für die Polizei eindeutig zu selten. „Kein Problem“, meinte Alexa mit hochgezogener Augenbraue. „Ähm, jetzt direkt.“ „Reicht nachher.“ Nun war es Kyra, die mit den Schultern zuckte und sich der jüngeren Schwester zuwandte. „Ich nehme an, auch Sie haben schon gehört …“ „Dass Talia tot ist?“ Der Blick auf dem Gesicht der jungen Frau wurde ernster und sie setzte sich wieder ganz auf. „Ja.“ „Können Sie mir noch etwas über Ms. Russel erzählen?“, fragte Kyra. Lilly zuckte mit den Schultern. „Sie war neidisch auf meine Position und hat immer Streitereien mit allen angefangen.“ Sie legte den Kopf auf die Seite. „Ansonsten … Ja … Halt nicht viel?“ „Sie wirken wenig betroffen von ihrem Tod“, stellte Kyra fest und wieder war ein Schulterzucken die Antwort. „Na ja, ich meine, es ist schon hart“, meinte Lilly Bell defensiv. „Als ich heute morgen davon gehört habe, ist es mir schon ganz schön zu Magen geschlagen. Also mehr, dass es ein Mord war, als alles andere, ne? Aber … Ich mein, ich bin ehrlich, ich mochte die Zicke nicht besonders und … Ja, ich mein. Ja …“ Sie schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Ich habe ihr nicht den Tod gewünscht, aber … Ich bin nicht wirklich überrascht?“ Sie formulierte es beinahe wie eine Frage, während sie nun zu ihrer Schwester sah. „Inwiefern nicht überrascht?“, fragte Kyra. Noch ein Schulterzucken. „Weiß nicht. Sie wurde ja in ihrer Wohnung gefunden, nicht? Und ja … Das heißt ja, dass jemand mit ihr in der Wohnung war, den sie reingelassen hat, oder?“ Kyra schwieg nur. Natürlich war sie auch schon zu diesem Schluss gekommen, aber es konnte genau so gut sein, dass man noch irgendwo Einbruchspuren fand oder der Mörder einen Schlüssel gehabt hat. „Ich geh' davon aus, dass jemand da war und sie einen Streit angefangen hat“, meinte Lilly. „Sie konnte manchmal unausstehlich sein.“ „Aha“, machte Kyra nur und notierte sich auch das. „Also ich mein, ich hätte sie nicht getötet“, setzte Lilly schnell nach und verschränkte die Arme. Ihr war offenbar klar geworden, wie das ganze klang. „Aber ja, ich mein, ich hätte ihr einige Male echt gern den Hals umgedreht, wenn Sie verstehen.“ „Ja …“ Kyra unterdrückte nur schwer ein Seufzen. „Würde Ihnen denn jemand einfallen, der auf so ein Verlangen hin handeln würde?“ „Ne“, meinte Lilly nur und sah zu ihrer Schwester. Diese fügte hinzu: „Ich glaube nicht, dass es jemand aus dem Verein war. Eher … Keine Ahnung, vielleicht ein Freund oder sowas?“ Kyra nickte. Dann zögerte sie. „Nur der Vollständigkeit halber: Wo waren Sie letzte Nacht?“ „Zu Hause“, antwortete Alexa. „Beide“, fügte Lilly hinzu. „Wir können es gegenseitig bestätigen“, stimmte Alexa zu. Noch einmal nickte Kyra und notierte sich das. Dann seufzte sie. „Darf ich dann nur fürs Protokoll ihre Ausweise sehen?“ Wenn es stimmte, was die Schwestern sagten, konnte das noch heiter werden. Sie beneidete die Polizisten nicht, denn wenn die beiden Recht behielten, gab es mehr als eine Person mit einem Motiv – die beiden eingeschlossen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)