Herzblind von Schwarzfeder ================================================================================ Kapitel 8: .acht ---------------- »Au–Ausprobieren?« [...] »Ja, ausprobieren«, flüstert er und plötzlich liegen seine Lippen auf meinen. Heilige. Scheiße! Das ist ein Kuss! Ganz eindeutig. Elyas‘ Lippen liegen auf meinen, drücken sich sogar leicht dagegen. Das ist definitiv ein Kuss! Mein Puls schießt in die Höhe und mir wird heiß und kalt. Ich weiß nicht was ich tun soll, beim besten Willen nicht. Mein Körper spielt völlig verrückt und weil mein letzter Kuss mit Sophie so ewig lange zurück liegt und auch nur eine kurze Lippenberührung zum Abschied war, fühle ich mich irgendwie, als ob es mein erster Kuss ist. Und im Grunde stimmt das auch, denn es ist der erste Kuss mit einem anderen Mann. Mir wird heiß. So unglaublich heiß und schwindlig. Seine Lippen bewegen sich leicht und aus Reflex tun meine das gleiche und aus einem Kuss von Elyas wird ein Kuss zwischen uns. Meine Augen fallen zu und bevor ich mich bewusst entscheiden kann ob ich das will, erwidere ich vorsichtig. Himmel, Arsch und blaue Kröten, fühlt sich das gut an. Der Kuss dauert nicht lang. Es sind eigentlich nur ein paar Augenblicke und dann löst er sich wieder. Mit diesem verschmitzten Lächeln auf den Lippen und einem sanften Blick, der mir eine Gänsehaut verpasst. »...wenn dir das gefallen hat, dann solltest du vielleicht trotzdem drüber nachdenken, ob du nicht doch Fleisch anstatt Fisch möchtest«, murmelt er leise und amüsiert. Ich nicke bloß, immer noch völlig von der Rolle. »Na los, du solltest schlafen und Mowgli aus der Box lassen«, meint er dann und ich spüre wie er mich abschnallt. Völlig benebelt öffne ich die Tür und steige aus. Hebe nur grüßend die Hand und schaue dem silbergrauen Opel hinterher als Elyas davon fährt. ...Heilige...was. war. das? ~ Über eine Woche später habe ich immer noch keine Antwort darauf. Mittlerweile habe ich mehr oder weniger fünf Krisen durch. Vermutlich eher mehr. Aber an fünf kann ich mich noch erinnern. Eine war, als ich Momo und Mathis in der Küche erwischt habe beim so heftigen knutschen und fummeln, dass ich mich für zwei Stunden nicht mehr aus meinem Zimmer getraut habe. Aber nicht, weil ich abgestoßen war deshalb sondern, weil mir mein Kopf unfreiwillig die Idee eingepflanzt hat drüber nachzudenken wie es wohl wäre, wenn Elyas das mit mir machen würde und ob mir das gefiele. Ich wollte keine Antwort darauf wissen. Allein so einen Gedanken plötzlich zu haben, war Schock genug. Eine andere Krise bekam ich, als ich es gewagt habe mich an meinen Computer zu begeben und ausführlich darüber zu recherchieren, welche Arten von Zuneigung und Sexualitäten es gibt, weshalb ich auf einen so großen Informationsschwall an Identifikationsmöglichkeiten gestoßen bin, dass ich mir selbst hinterher wie der letzte Hinterweltlerarsch vorkam, weil mir grade mal eine Hand voll Begriffe davon etwas sagten. Danach verlor ich die Nerven, weil Mathis meinen Wagen nicht an der Klinik abholen wollte, weil ich ihm nicht erklären wollte, warum ich es nicht selbst mache – letztendlich hat Momo ihn netterweise hergefahren, um des lieben Friedens willen – und die nächste bekam ich als ich beim einkaufen zufällig Anna über den Weg lief. Sie grüßte mich eigentlich nur ganz freundlich, aber ich konnte ihr kaum eine Sekunde gerade in die Augen gucken und als sie besorgt fragte was denn los wäre, schlug ich ihre Hand weg. Danach fühlte ich mich so schlecht, dass ich mich tausend Mal entschuldigt habe, aber auch Rede und Antwort stehen musste und letztendlich nur noch überfordert war. Anna war jedoch unfassbar verständnisvoll und verzieh mir diesen Fehltritt sofort. Sie gab mir sogar ihre Handynummer mit der Aufforderung, dass ich sie jederzeit anrufen könne, wenn ich jemanden zum reden bräuchte, der den Mund hält. Sie versprach mir zur Krönung noch, dass sie Elisa nichts sagen würde, doch das wollte ich nicht. Ich habe schon genug Probleme und wollte keine weiteren verursachen. Das wiederum bescherte mir die nächste Krise, weil Elyas mir zwei Tage danach schrieb und frug, wieso ich ihn nicht nach Annas und Elisas Nummer gefragt hätte. Ich hatte kurz Panik, dass Elisa irgendetwas Unnötiges gesagt hatte. Mit einem Anruf bei Anna erfuhr ich, dass Elisa ihrem besten Freund nur auf die Nase hatte binden wollen, dass sie jetzt auch in Kontakt mit mir standen und sonst nicht ein bisschen weiter erzählt worden war, aber ich brauchte zwei Stunden um mich wieder so zu beruhigen, dass ich ihm antworten konnte um zu erklären, dass Elisa ihn nur ärgern wolle und sich das zufällig ergeben hätte. Nicht gelogen, zum Glück, aber überaus beispielhaft für mein momentan dünnes Nervenkostüm. Und die letzte... Die habe ich genau jetzt. In diesem Moment. Denn Nina und Nuri – die sich seit der Verlobungssache noch viel besser zu verstehen scheinen als so schon – haben sich in den Kopf gesetzt aus mir raus zu pressen, was mit mir los ist. Mit Erfolg. Leider. Vor fünf Minuten ist mir raus gerutscht, dass Elyas mich geküsst hat und ich seitdem nicht mehr weiß, was ich eigentlich will oder bevorzuge und die beiden sind erschreckend begeistert davon. Ich selbst würde am liebsten einfach nur nach Mowgli suchen, der vor den beiden Damen geflüchtet ist, und mich in meinem Bett verkriechen, wie der überforderte und launische Teenager zu dem ich anscheinend wieder geworden bin. Verdammt noch mal und ich hielt mich vor zwei Monaten noch für erwachsen. »Und? War es gut?«, fragt Nina wissbegierig und ich werde rot. Es hat mir gefallen, auch wenn ich es nicht wahr haben will. Oder nicht zu geben kann. Nina quietscht begeistert und funkelt Nuri an, die ganz aufgekratzt irgendwas in ihrem Handy sucht. »Könnt ihr nicht einfach wieder...gehen?«, frage ich leise und hoffnungsvoll, aber bekomme einen strengen Blick von Nuri, der Maries erzieherischen Blicken alle Ehre macht. Marie hat wirklich schlechten Einfluss auf sie. »Elyas hat gesagt, dass du dich ausprobieren solltest und das tust du jetzt auch. Dein im Zimmer vergraben und den Kopf in den Sand stecken bringt dir nichts und uns nichts und der Sommer steht vor der Tür, also werden wir drei uns jetzt schick machen und auf eine Party gehen und da kannst du versuchen ein paar Antworten zu finden, mein Lieber«, sagt sie und hält mir ihr Handydisplay unter die Nase. Mir dreht sich der Magen um. Ich kann nicht sagen, ob es das positive oder negative umdrehen ist. »Eine Queerparty? Wie cool, ich war ewig auf keiner mehr«, teilt Nina begeistert mit und mir fallen nun doch etwas die Augen aus dem Kopf. »Ich mag die Atmosphäre auf diesen Partys. Da kannst du sein wer du bist ohne gleich blöde von der Seite angemacht zu werden. Das ist genau das richtige für dich«, sagt sie entschieden und ich lasse mich leise jammernd aufs Bett zurück fallen. Nicht nur, dass ich im Moment gerade gar nicht mehr weiß wer ich bin, ich bezweifle wirklich, dass ich eine andere Wahl habe, wenn Nuri und Nina sich das jetzt in den Kopf gesetzt haben. Und da Samstag ist habe ich weder Rückendeckung noch eine wirkliche Ausrede. ~ Zwei Stunden später stehe ich wieder mal in einem Club. Es ist heiß und es ist voll und es ist bunt. So unfassbar bunt. Zu bunt für mich. Während Nina und Nuri sich ins Getümmel geworfen haben – Lucas ist fürs Wochenende bei seinen Eltern in Bremen, weil irgendwer Geburtstag hat und weil Nina noch was für die Uni machen musste, ist er allein gefahren – stehe ich am Rand und nuckel an meinem Strohhalm rum, der in einer fritz-kola Flasche steckt. In einer Anwandlung von Hoffnung hab ich Anna geschrieben und gefragt, wie man sich auf solchen Veranstaltungen verhält, weil ich Angst habe irgendwem auf den Schlips zu treten. Ihre Antwort war allerdings nur ein, »Sei so wie du bist und hab Spaß«. Ich vermute stark, dass Elisa das geschrieben hat, aber einen Beweis habe ich nicht. Zwar hilft es auf verdrehte Weise die beiden als Rückendeckung im Hinterkopf zu haben, aber so unsicher wie grade, hab ich mich selbst zu meiner Teenagerzeit nicht gefühlt. Wirklich nicht. Da hab ich mir nur Gedanken drüber gemacht ob der Glaube meiner Eltern auch mein Glaube ist, über mehr aber auch nicht. Ich habe immer gedacht, dass ich irgendwann ein Mädchen treffe mit dem ich mein Leben verbringen möchte und bin deshalb auch immer wieder Beziehungen eingegangen, aber obwohl es doch wirklich oft nicht funktioniert hat kam mir nicht ein einziges Mal der Gedanke, dass ich vielleicht nicht so hetero bin, wie ich immer gedacht habe. Natürlich hab ich grade hier in so einer großen Stadt mitbekommen, dass es mehr gibt als hetero und ich hab mich nie dran gestört, aber meine Erwartungen an mich selbst waren immer erschreckend konservativ und blind. Vermutlich bin ich deshalb auch so dauerhaft überfordert. Weil Sophie – aus welchem Grund auch immer – vielleicht Recht hatte und weil mir Elyas‘ Kuss die ganze Zeit durch den Kopf geistert und weil ich mir einfach nicht sicher bin. Was bedeutet das eigentlich, dass mir das durch den Kopf spukt und nicht los lässt? Und bin ich jetzt schwul, weil es mir gefallen hat? Oder hat es mir gefallen weil ich schwul bin? Oder weil ich Elyas mag ohne es gemerkt zu haben? Und wieso hat er mich überhaupt geküsst? Wollte er mir damit nur helfen? Oder hat er vielleicht irgendwie Interesse an mir? Aber ist er nicht eigentlich ein kein Beziehungsmensch? Letztendlich hat es mich eigentlich nur noch mehr ins Chaos gestürzt. Zittrig durchatmend trinke ich den letzten Schluck meiner Cola und schiebe mich dann durch bis zur Bar. Nina hatte schon Recht, was die Atmosphäre angeht. Es ist wirklich anders und irgendwie auch angenehmer, wenn ich es jetzt mit dem Club vergleiche in dem ich Sophie mit ihrer Freundin erwischt habe. Ich wurde noch nicht einmal schief angeguckt, weil ich mir kein alkoholisches Getränk bestellt habe und auch wenn ich merke, dass der ein oder andere mich genauer mustert, hat meine Fantasie und meine Unsicherheit es mir viel schrecklicher ausgemalt. Grade will ich noch eine Cola bestellen, als ich meinen Namen von der Seite höre und automatisch den Kopf drehe. Und ich bin wirklich froh, dass ich die Flache schon abgestellt habe. »Mark?«, frage ich erschrocken und will am liebsten im Boden versinken. Dem scheint es allerdings alles andere als etwas auszumachen, dass wir uns ausgerechnet hier treffen, denn fünf Minuten später stehen wir mit Getränken am Rand und er fragt ganz begeistert was ich hier mache und wie er das verstehen darf. »Ehm...«, sage ich wieder mal wenig eloquent und er lacht. Mein Blick huscht über seine Kleidung die diesmal gänzlich anders wirkt als sonst. Eigentlich fällt Mark kaum auf. Er trägt immer Jeans und Pulli, wahlweise T-Shirt wenn es warm ist, und hat seine Haare meist ungekämmt irgendwie auf seinem Kopf liegen. Jetzt sind sie aufwendig gestylt und er hat eine enge Lederhose und ein ebenso enges Hemd an, dass nur noch wenig der Fantasie überlässt. Mir war nie klar, dass er so viele Muskeln hat. Mir wird warm vor Verlegenheit und ich nehme hastig ein Schluck von dem Bier, das er mir ungefragt spendiert hat. Ganz ruhig Gabriel, du solltest jetzt nicht in deiner Verwirrung auch noch überlegen ob du deinen Lehrling attraktiv finden könntest. Du bist doch sonst nicht so. Sonst ist mir im Grunde auch egal wie andere aussehen. »Begleitest du nur deine Freunde?«, fragt er dann und grinst schief. Ich nicke, schüttele den Kopf und nicke wieder. Mark blinzelt verwirrt. »...also wie jetzt?«, fragt er und ich nehme einen noch viel tieferen Schluck Bier. Das kann ich nicht nüchtern. »...i–ich hab hab meine Freundin mit einer anderen erwischt, mit der sie etwas angefangen hat, weil sie dachte ich sei schwul und sie wäre nur meine Alibi-Freundin für meine Eltern, was sie nicht war, aber mich wollte sie als Alibifreund haben ohne mich darüber zu informieren. Und jetzt ist Schluss, aber ich bin verwirrt und versuche heraus zu finden was ich eigentlich will, weil mich ein Freund geküsst hat und ich es zu gut fand um es zu ignorieren«, rattere ich herunter und möchte am liebsten sterben. Sowas erzählt mein eigentlich nicht seinem Arbeitskollegen, dem man nicht aus dem Weg gehen kann. Mark allerdings blinzelt nur und pfeift dann leise durch seine Zähne. »Das ist ganz schön heftig. Erklärt aber auch warum du in letzter Zeit so neben der Kappe bist«, sagt er dann und lächelt. Ich habe Mark irgendwie immer für einen Besserwisser und eine kleine Petze gehalten, aber grade wirkt er so ganz anders. Wie ein anderer Mark, ein Mark den ich nicht kenne, aber vielleicht näher kennen lernen sollte. ~ Leicht fröstelnd ziehe ich meine Jacke enger um mich und nehme ein Schluck von meinem bestimmt dritten Bier. Ich weiß nicht ob er nett sein will oder Mitleid hat, aber Mark sorgt schon den ganzen Abend dafür, dass ich nicht ohne Getränk bleibe und weil die Musik auf der Tanzfläche so laut ist haben wir uns auf die Außenterrasse verzogen, die einen wunderbar kitschig – romantischen Blick auf die Elbe bietet. Das genießen zwar auch andere, aber durch meinen angeschwipsten Zustand und einen ungewöhnlich sympathischen Mark kann ich das wunderbar ignorieren. Mark hat mir erzählt, dass er schon seit er 15 ist weiß, dass er schwul ist und dieses ganze Identitätskrisenchaos in dem ich grade irgendwie drin stecke schon längst hinter sich hat. Es tröstet mich allerdings, dass er mich nicht lächerlich findet, weil ich das jetzt erst mit 27 habe. Er scheint wirklich begeistert davon zu sein, jemanden zu treffen, den er kennt, weil er durch das Verhalten unserer Kollegen immer gedacht hat, dass er zu seinem eigenen Wohl nicht sagt, dass er schwul ist solange er die Ausbildung nicht fertig hat. Trauriger Weise halte ich das für sehr schlau, weil mir direkt drei Gestalten einfallen, die wohl ein extremes Problem damit haben könnten, wenn sie das raus finden würden. Einer dieser Gestalten ist sein eigentlicher Ausbilder Schmidt, der mir Mark nach der Zwischenprüfung einfach aufs Auge gedrückt hat mit einem »Gabriel zeigt dir mal ein paar Wochen die Sachen, ich hab zu viel zu tun«, und danach nie wieder zurück gefordert hat. Er sagt mir auch, dass er eigentlich froh ist, dass ich ihm alles bei bringe und er seit dem keinen Bammel mehr hat seinen Abschluss zu schaffen, was mich irgendwie freut, denn anscheinend mache ich es dann ja wohl richtig. Grade guckt er sich ein paar Bilder von Mowgli an und lächelt. »Ich muss dir jetzt auch mal gestehen, dass ich es echt süß fand, als du den Kleinen selbst zum Tierarzt gebracht und dann sogar behalten hast. Du wirkst nicht wie ein Katzentyp, ehrlich gesagt«, gibt er dann zu und hält mir das Handy wieder entgegen. Ich stecke es verlegen in meine Jackentasche. »Bin ich auch eher nicht, aber Mowgli würde ich jetzt auch nicht mehr freiwillig hergeben«, brummele ich dann und Mark lacht. Wir haben uns noch nie so lange und ausführlich unterhalten. »Wie viele Monate noch, bis du ihn nicht mehr abgeben musst?« »Ich muss noch bis Mitte Oktober durchhalten und hoffen«, sage ich leise und seufze. Ich mag den Gedanken nicht, dass in der Zeit immer noch jemand kommen und Mowgli zurück verlangen könnte. »Das ist echt scheiße, oder?« »Es ist die Hölle«, sage ich und lache dann. »Wo war er eigentlich als er jetzt vor kurzem verschwunden ist?« »Auf dem Dachboden. Marie und Nuri haben einen Schrank rein getragen und nicht gemerkt, dass er dabei raus ist. Und er ist wohl nach oben gelaufen. Eine Nachbarin von oben wollte Wäsche aufhängen und hat ihn dann entdeckt, aber sie hat Angst vor Katzen, deshalb die Tür aufgeschlossen und abgewartet bis er rein ist und dann wieder zugemacht. Dann hat sie die Wohnungen abgeklappert, aber zu dem Zeitpunkt müssen wir den Keller abgesucht haben oder so. Jedenfalls hat bei uns keiner aufgemacht und als wir dann hoch sind war sie grade bei einer Nachbarin unter uns in der Wohnung weil sie sich verquatscht hatte. Ich war mit Mowgli schon längst beim Tierarzt, als sie noch mal geklopft und gefragt hat ob das unsere Katze wäre«, erkläre ich brummig, weil ich immer noch nicht glauben kann, dass sie Mowgli aus Angst da oben eingesperrt hat. Allerdings kann ich mir auch schwer vorstellen, dass man Angst vor Katzen haben kann und im Grunde muss ich wohl dankbar sein, dass sie nicht einfach einen Tierfänger oder so vom Tierheim gerufen hat. »...das nennt man wohl super scheiße gelaufen«, kommentiert Mark und klopft mir aufmunternd auf die Schulter. Ich brumme nur wieder und trinke den letzten Rest Bier aus meiner Flasche. »Noch eins?«, fragt er direkt und ich nicke, ohne drüber nach zu denken, dass ich vielleicht langsamer machen sollte. Auf die Elbe starrend warte ich einfach, während Mark wieder etwas zu trinken holt, aber weil es einen Moment dauert, schweift mein Blick doch durch die Gegend. Überall gibt es lauschige Ecken und Plätze zum sitzen und alles davon wird genutzt. Grade die lauschigen Ecken. Ich kriege heiße Ohren, als ich ein Pärchen fast ebenso innig knutschen sehe, wie Mathis und Momo am Dienstag in der Küche und senke schnell den Blick auf meine Schuhe. Das muss ich ja wirklich nicht weiter beobachten. »Alles okay?«, fragt Mark und hält mir eine Flasche entgegen, als ich aufsehe. Ich nicke nur und nehme direkt einen tiefen Schluck. »...sicher?«, hakt er nach und setzt sich wieder neben mich. Ich brumme etwas nichts sagend. Wie war das noch? Ich versuche Probleme zu lösen, anstatt ihnen aus dem Weg zu gehen? Irgendwie komme ich mir vor wie ein Lügner. »Wäre es so schlimm für dich, wenn du Männern nicht abgeneigt wärst?«, fragt er leise und mein Kopf ruckt zu ihm rum. Das hab ich doch nie gesagt, liegt mir auf der Zunge, doch nicht ein Wort verlässt meinen Mund, denn er hat sich leicht vorgelehnt und mein Gesicht hängt jetzt irgendwie etwas sehr nahe vor seinem. Mark blinzelt verdutzt und grinst dann schief. Er grinst so anders als Elyas. Um den Gedanken los zu werden, schüttele ich den Kopf, vergesse aber dabei, dass Mark noch auf eine Antwort wartet und mein Kopfschütteln deshalb jetzt missversteht. Er lächelt irgendwie erleichtert und in meinem duseligen Zustand von Alkohol und Verwirrung merke ich zwar noch, dass sein Blick zu meinem Mund huscht, aber bin definitiv nicht schnell genug um zu verarbeiten, was das hier grade wird. Und plötzlich liegen wieder Lippen auf meinen. Halleluja. Mark küsst mich. Eindeutig. Und ich bin wieder überfordert. Doch diesmal auch betrunken und so genervt von meiner Unsicherheit, dass ich noch merke, wie ich trotzig werde. Dann schaltet mein Gehirn ab und ich erwidere den Kuss. Und wie ich ihn erwidere. Meine Gedanken drehen sich völlig im Kreis, wirbeln so schnell hin und her, dass ich sie gar nicht verstehen will und mich einfach drauf konzentriere was hier passiert und es passiert ganz schön viel. Zumindest für meine Verhältnisse. Unsere Lippen bewegen sich immer fordernder gegeneinander und irgendwann ist da seine Zunge und seine Finger, die sich in meine Haare schieben und mir wird so unglaublich warm. Ich weiß nicht wie lange wir da so sitzen und knutschen, zwischendurch nimmt er mir das Bier ab und das ist auch gut so, aber obwohl es sich irgendwie echt gut anfühlt und Mark wirklich geschickt ist und meine ganze Unsicherheit grade endlich einmal Sendepause hat, fehlt was. Ich weiß nicht was es ist, aber Mark scheint es auch zu merken, denn als er sich löst sieht er mich forschend an und ich kann dem Blick kaum stand halten. »Da ist jemand anderer, oder?«, fragt er leise und völlig ohne Vorwurf. Er ist so lieb. Ich fass es nicht. Wieso ist mir das nie aufgefallen? Er wirkt grade so viel reifer als ich, und dabei ist er vier Jahre jünger. Er streicht mir sacht über den Kopf, obwohl ich nichts sage, weil ich vor mir selbst nicht zugeben kann, dass er Recht hat. Ich will nicht wahr haben, dass der Kuss zwar gar nicht schlecht war, aber trotzdem nicht gegen den ankommt, den Elyas mir gegeben hat. Und ich verstehe einfach nicht was mir das jetzt sagen sollte. Müsste mir nicht rein theoretisch beides gleich gut gefallen, wenn ich schwul bin? Bedeutet das, dass ich völlig in die falsche Richtung renne, gedanklich? Vielleicht habe ich auch einfach etwas falsch verstanden? Oder einen falschen Ansatz!? Ich spüre schon wieder einen Kloß im Hals und kneife die Augen zusammen. Dieses ganze Chaos wird langsam echt anstrengend. Mark zieht mich etwas näher, lehnt meine Stirn gegen seine Schulter und krault mir über den Nacken. Bis auf die ein oder andere Umarmung von Nuri oder einen Knuddler von Marie hab ich seit Wochen kaum Körperkontakt mit jemand anderem gehabt. Ich hab nur Mowgli und ich merke grade, dass mir das trotz aller Liebe nicht reicht. Mir kommen die Tränen und ich würde mich am liebsten in die Elbe schmeißen deshalb. »...ist vielleicht auch besser so. Wäre scheiße, wenn ich mich in dich verknalle und es nichts wird. Ich arbeite echt gern mit dir«, murmelt Mark leise und während mir klar wird, dass ich durcheinander, überfordert und in einer echt heftigen Identitätskrise stecke, hält Mark mich fest und sagt einfach nichts mehr. Das Leben kann manchmal echt ein Arschloch sein, aber ich bin froh, dass ich da wenigstens nicht allein durch muss. ~ »Ich werd‘ dir nie wieder einen Vorwurf machen, dass du so ewig gebraucht hast um über deinen Schatten zu springen«, nuschele ich leise und merke, dass Mathis mich völlig verdutzt von der Seite ansieht. Es ist Sonntag und ich sitze müde in der Küche und sollte eigentlich was essen, aber habe keinen Hunger. Nuri liegt noch schlafend in ihrem Bett, weil sie und Nina bis in die Morgenstunden getanzt haben und Marie ist heute Morgen aus dem Haus um sich mit einem von Elyas‘ ehemaligen Kommilitonen zu treffen, der ihr beim Lernen helfen will. Ihre Examensprüfung rückt nämlich immer näher, weshalb sie immer nervöser wird. »...ich komm nicht ganz mit. Wieso so plötzlich?«, fragt er und ich grinse schief. »Weil Gefühle einem echt eine scheiß Angst machen können, wenn sie in eine Richtung gehen, die man nie im Leben erwartet«, brumme ich und reibe mir über die Stirn. Mathis schweigt. Ich setze mich auf und sehe mich nach Mowgli um. Seit ich aus dem Bett gekrochen bin und ihn dabei aus Versehen ebenfalls raus befördert habe, versteckt er sich irgendwo und ich könnte wetten, dass er mit mir schmollt. »...hat Marie vergessen mir etwas zu erzählen?«, fragt Mathis dann und ich lache ungewollt. Seit wir vier hier wohnen herrscht ein reger Informationsaustausch untereinander, bei dem Nuri mich und Marie ihn auf dem Laufenden hält, wodurch es so gut wie nie vorkommt, dass Mathis oder ich mal nicht wissen, worüber der andere grade spricht. Ich schüttele mit dem Kopf. »Nein, Nuri und Marie wissen es selbst nicht«, gebe ich dann zu und lege mich wieder auf den Tisch. Wenn man auf der Bank sitzt ist das Sitz–Tischverhältnis quasi wie geschaffen dafür um sich auf den Tisch zu legen, was erklärt warum es quasi jeder macht, der müde oder niedergeschlagen ist. Und da der Tisch noch dazu aus Vollholz ist und einfach nur mit Öl behandelt wird, noch dazu sehr angenehm zum drauf liegen. Ich kann immer noch schwer glauben, dass Mathis’ Eltern den einfach über hatten. »Was wissen sie nicht?« »Ich hab gestern mit meinem Lehrling rumgeknutscht«, es klingt erschreckend nüchtern als ich das sage und ich bin selbst überrascht, dass ich nicht mal verlegen werde, während Mathis sich an seinem Wasser verschluckt und mich hustend ansieht. Ich muss grinsen. Irgendwie ist das schon witzig. »...hat...hat Sophie dir jetzt die Lust an Frauen verdorben oder wie darf ich das verstehen?«, fragt er dann heiser und räuspert sich. Ich zucke mit den Schultern. »Laut ihr hatte ich nie wirklich Lust auf Frauen, wie du so schön sagst, aber ich weiß es nicht«, gebe ich zu und seufze leise. »Marks Kuss war echt nicht schlecht, aber auch mit ihm würde ich keinen Sex wollen« Mathis sieht mich nur an und schweigt so lange, dass ich fast glaube, er antwortet gar nicht mehr. »Ein Grund, warum ich mich nicht überwinden konnte bei Moritz nach zu geben, war, weil ich mir nicht vorstellen konnte Sex mit einem Mann zu haben«, sagt er dann leise und starrt angestrengt auf die Tischplatte. Ich bin ehrlich überrascht, dass er sowas sagt, denn er hat zumindest mir nie erklärt, weshalb er sich so lange zurück gehalten hatte. »Allerdings ist mir dann aufgegangen, dass ich keinen Sex mit irgendeinem Mann haben muss, weil ich Moritz mag, sondern Sex mit Moritz haben könnte, wenn wir das wollen. Und die Vorstellung war um einiges möglicher. Vielleicht solltest du dir nicht überlegen ob du mit irgendwem, egal ob jetzt Mann oder Frau oder welches Geschlecht auch sonst, Sex haben kannst, sondern überlegen, mit wem du Sex haben möchtest. Vielleicht hilft dir das eine Antwort zu finden.« Ich blinzele Mathis an und denke darüber nach. Das klingt wirklich sehr logisch. Vor allem, weil die Antwort auch immer noch sein kann, dass ich so ganz generell gar keinen Sex will. Ich brumme leise und überlege wer mir da einfällt und bin fast dabei, zu glauben, dass es niemanden gibt, als mir jemand durch den Kopf schießt und dafür sorgt, dass mir heiß wird. Nicht so warm wie bei Mark gestern, sondern heiß. Ich schlucke schwer und spüre, wie mein Gesicht anfängt zu brennen. Mathis lacht leise. »Also gibt es jemanden?« Ich nicke nur und vergrabe mein Gesicht in meinen Armen. Verfluchter Krötendreck...wieso bitte kann ich mir vorstellen mit Elyas Sex zu haben? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)