Dunkles Wasser von JiskahRedHood ================================================================================ Kapitel 1: ----------- 1. Kapitel Kälte brachte die hereingebrochene Nacht des jungen Frühlings mit sich, als sie sich über die Täler und Hügel legte. Enger zog er seinen dicken Mantel um den Leib, ein Versuch um sich vor ihr zu schützen. Nicht die Kälte war es, die ihm etwas ausmachte, ebenso wenig wie seinem Begleiter. Sorgen bereitete ihm viel mehr die unheilvollen Wolken, welche in seinem Rücken über die fernen Berge heran krochen. Schwer senkten sie sich hinab, kündigten Regen an. Seufzend atmete er die kühle Nachtluft aus und ließ den Blick abermals auf die Karte sinken, die in seinem Schoß ruhte. Sein Atem stockte, die Pupillen weiteten sich. Etwas befand sich vor seinen Augen, was zuvor nicht dort gewesen war. Wann hatte er das letzte Mal einen Blick auf diese Karte geworfen? Es konnte keine Stunde her sein. Nur noch ein kleines Stück die Straße hinauf, dann würde ein breiter Pfad nach Westen abfallen, hinab in ein kleines Tal in welchem der Ort Aurum lag. Nichts besonderes. Mehrere hundert Einwohner, keine ereignisreiche Einträge in Geschichtsbüchern, keine profitable Handelsroute da die Felder rings um ertragreich genug sind um die Einwohner zu versorgen, aber keinen lohnenswerten Überschuss abwarfen. Um den Ort hatte jemand auf seiner Karte einen roten Kreis gezogen. Er war es nicht gewesen. Zögerlich fuhren seine Finger über die rote Tinte, sie war trocken. Nachdenklich rieb er sich sein unrasiertes Kinn und warf dabei einen Blick über die Schulter. Bald hatten ihn die Wolken eingeholt. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. In solch einem verschlafenen Nest sollte er vielleicht gute Chancen haben sich endlich einmal eine Nacht auszuruhen. Sein letzter Auftrag hatte viel von ihm abverlangt und er sehnte sich nach einem heißen Bad. Seufzend faltete er die Karte wieder zusammen und stopfte sie zwischen Gürtel und Hosenbund. Er tätschelte die Flanke seines Reittieres, einem Hyna. Ein kraftvoller Kiefer und zwei spitze Hörner auf der Stirn machen dieses Wesen zu einem gefährlichen Raubtier. Dieser Hyna aber hatte eine besondere Bindung zu einem Menschen aufgebaut und ließ sich sogar reiten. „Beeil dich ein wenig mein Freund, ich will die Stadt erreichen bevor uns der Regen erwischt. Oder sollte ich sagen, jemand möchte dass ich diese Stadt erreiche?“ Die letzten Worte schrie er fast und blickte sich um. Niemand war da. Dunkler senkte sich die Nacht über das Land, die Lichter von Aurum waren nur noch wenige Meter entfernt, sie hatten es nicht geschafft. Das beigefarbene Fell des Hyna hing schwer hinab, der Reiter hatte seinen Hut tief ins Gesicht gezogen, Regen troff von dessen Spitze. Mies gelaunt ließ er seine Mundwinkel hängen, der Platzregen hatte ihn durchnässt bis auf die Knochen. Die Straßenlaternen wiesen ihm mit schummrigen Licht den Weg durch die schmalen Straßen. Leise drang von irgendwo her Gelächter an sein Ohr, begleitet von Musik und dem Gegröle betrunkener Männer. Lange musste er den Geräuschen nicht folgen, da erreichte er ein Gasthaus. Weinkeller stand auf dem Schild, wessen Angeln ein nerviges Quietschen von sich gaben, wenn eine Bö an ihm zerrte. Fluchend führte der Reiter seinen Begleiter in die angrenzenden Ställe. Hilfe fand er dort keine vor, wer auch rechnete schon damit dass in solch einer verdammten Nacht ein Reiter den Weg her fand. Er musste schon verrückt sein. Oder zu lange herum getrödelt haben. Also versorgte er allein sein Reittier, und erst als er für dessen Wohl in einer der Boxen gesorgt hatte, trat er mit seinem Gepäck wieder hinaus in den Regen um die drei schmalen Stufen hinauf zum Gasthaus zu gehen. Die Türen schwangen auf, ein kalter Schwall der nächtlichen Luft durchdrang den Duft des Essens, den Geruch von Schweiß und Kerzenruß. Einige der Gäste hielten inne und hoben den Blick zu dem Fremden. Ihre Blicke folgten ihm, als er ohne den Hut abzunehmen an den Tresen schritt. Die Musik verschluckte seine Schritte. Hinter dem Tresen stand ein untersetzter Mann mittleren Alters, sein Haupt war fast kahl, die Nase rot. Kurz bevor der Fremde den Tresen erreichte, legte die breite Hand des Wirts eine Flinte darauf ab, den Lauf geradeaus gerichtet. „Wenn du hier Ärger machen willst Freundchen, verschwinde lieber direkt wieder.“ Fünf Silbertaler wurden von dem Fremden fein säuberlich auf dem Lauf der Flinte gestapelt. „Nein danke, Ärger hatte ich genug. Ein Zimmer für die Nacht reicht mir.“ Eine der buschigen Brauen des Wirts zog sich in die Höhe, seine Stimme war kratzig. „Fünf Silberlinge? Für ein Zimmer? Bisschen großzügig was?“ „Nicht, wenn ich dazu ein heißes Bad und ein Frühstück erwarte.“ Die wulstigen Lippen des Wirts schoben sich nach vorn während er den Fremden in seinem langen, dunklen Mantel musterte. Blaue, klare Augen blickten ihm entgegen. Ein junger Mann, der neben dem Fremden am Tresen saß riss plötzlich die Augen auf und Flüsterte dem Wirt eilig etwas zu. Da dieser ihn scheinbar nicht verstanden hatte, deutete der junge Mann auf den Hut des Fremden. Die Augen des Wirts weiteten sich als er das Wappen darauf erkannte. Plötzlich lachte er und nahm die fünf Silbertaler an sich. Seine Flinte verschwand wieder unter dem Tresen. „Sagt doch gleich was Ihr seid! Man sieht von eurem Schlag nicht oft jemanden hier. Kommt besser an, als hier einfach schwer bewaffnet herein zu spazieren.“ „Möglich. Allerdings wäre es auch weniger amüsant.“ Auf den Lippen des Fremden bildete sich ein Lächeln und der Wirt wischte sich lachend die Hände an seiner Schürze ab. Mit einem leisen Stöhnen ließ er sich in die Wanne mit dampfenden Wasser sinken. Der Duft von Fichtennadeln stieg ihm in die Nase. Genießend schloss er seine Augen und legte den Kopf in den Nacken. Seine beiden Arme baumelten über den Rand der Wanne. Lange dauerte seine Ruhe nicht. Zaghaft klopfte jemand an die Tür. Wieder stöhnte er, dieses Mal nicht vor Wonne. Genervt verdrehte er die Augen und rief dem Störenfried zu. „Kommt herein. Die Tür ist offen.“ „Entschuldigt bitte.“ Zögerlich trat ein hagerer Mann durch die Tür des Zimmers. Auf seinem Kopf thronten nur noch ein paar weiße Haare, seine Robe verriet sein Amt als Priester. Etwas verlegen schob er die Hände in die weiten Ärmel als er den Gesuchten entdeckte. „Besser ich komme später wieder.“ „Davon wird meine Laune auch nicht wieder besser. Also was wollt Ihr?“ Der Priester drückte sein Kreuz durch, räusperte sich und trat etwas näher an die Wanne heran. „Ihr seid ein Nebeljäger.“ Seine Augen huschten zur Seite, fingen die abgelegte Kleidung des Jägers ein. Zwei Gürtel lagen auf dem kleinen Stapel an dem einige kleine Fläschchen befestigt waren. Auf dem Tisch daneben lagen kleine Beutel und ein zerfleddertes Buch, aus dem schon einige lose Seiten heraus schauten. An der Wand lehnte eine Armbrust und ein Zweihandschwert dass in einer Scheide steckte, welche in ebenjener Verfassung war wie das Buch. Hier und da waren Stofffetzen herum gewickelt um wahrscheinliche Beschädigungen zu flicken. „Das ist eine Tatsache. Ich fragte Euch nach dem Grund wieso ihr mein Bad stört. Oder seid ihr nur gekommen um meine Kleidung zu begaffen?“ Die Hand des Jägers deutete auf sein Hab und Gut, dass der Priester so eindringlich gemustert hatte. „Oder soll ich Euch noch meine Unterwäsche zeigen damit ihr seht ob ich auch ein sauberer Mensch bin?“ Verlegen räusperte sich der Priester erneut und blickte auf die Dielen zu seinen Füßen. „Verzeiht, es ist nur lange her dass ich einen Eures Ordens sah. Wie der Zufall es so will, kommt Ihr auch gerade zur rechten Zeit. Ich habe eine Bitte an Euch.“ Da sein Gegenüber ihn nur wartend anstarrte, sprach der Priester nach einer kurzen Pause weiter. „Im Westen liegt ein Weingut, oben im Hang. Es wurde bis vor zwei Jahren von Eheleuten geführt, doch beide verstarben recht früh. Zurück ließen sie eine Tochter, Audrie war ihr Name. Gerade dem Alter eines Mädchens entwachsen, führte sie den Betrieb weiter. Der Barbier unserer Stadt verliebte sich in sie und die Beiden verlobten sich. Vor nicht ganz sechs Neumonden aber verschwand Audrie wie vom Erdboden verschluckt. In ihrem Haus war alles voller Blut.“ Der alte Mann verlagerte das Gewicht und senkte leicht betrübt sein Haupt. „Es konnte kein Schuldiger für dieses Gewaltverbrechen gefunden werden, denn auch ihre Leiche fand man nie. Den Barbier brachte es schier um den Verstand. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus, zog hinaus ins Land um dort eine Beschäftigung zu finden. Es misslang ihm, er kehrte zurück.“ Langsam hob sich der Blick des Priesters wieder, etwas dunkles lag ihm inne. „Noch etwas kehrte mit ihm zurück. Audrie. Ihr Geist spukt seitdem jede Nacht oben auf dem Anwesen. Dass ihr Mörder zurück kehrte, scheint ihrer Seele keine Ruhe finden zu lassen.“ Der Nebeljäger faltete seine Finger beider Hände ineinander, die Ellenbogen lagen noch immer auf dem Rand seines Bottichs auf. Seine leicht gereizte Art zeigten, dass er noch immer alles andere als erfreut über die Störung seines Bades war. „Was soll ich mit dem Fall, wenn ihr ihn bereits geklärt habt?“ Fassungslos breitete der Priester seine Arme aus und riss die Augen weit auf. „Ihr versteht nicht! Der Geist, er treibt noch immer jede Nacht sein Unwesen dort auf dem Weingut! Um die selbe Zeit. Unsere Bürger haben Angst, sie könnte auch hinab zu uns in die Stadt kommen. Ganz nebenbei fühlen sich auch nur die wenigsten glücklich damit einen Mörder als Nachbarn zu haben.“ „Wird sie nicht.“ Wieder schüttelte der Priester fassungslos den Kopf, legte ihn schief, wartete offensichtlich auf eine Erläuterung. Diese blieb allerdings aus, also ergriff er selbst wieder das Wort. „Wer wird was nicht?“ Nachdem der Nebeljäger die Augen verdreht hatte, seufzte er leise. „Der Geist wird nicht ins Dorf kommen. Wenn sie immer um eine bestimmte Zeit erscheint, heißt das, sie wurde um diese Zeit getötet. Wenn die Bürger sich vor ihr fürchten, müssen sie den Geist irgendwie wahrnehmen, denn das Weingut liegt außerhalb der Stadt, wie ihr sagtet. Ich nehme an Klageschreie? Auf jeden Fall deutet alles auf einen Trauerspuk hin. Eine Seele die unsere Welt nicht ganz verlassen hat, weil ihre Trauer über das Unglück das ihr widerfahren ist, sie noch an den Ort des Geschehens bindet. Sie kann dort nicht fort.“ Langsam ließ der Waidmann seine Hände an die Ränder der Wanne sinken und trommelte darauf herum, während er wartete. Es dauerte einen Moment, bis der Priester seine Fassung, und seine gerade Haltung wieder gefunden hatte. Räuspernd verlagerte er das Gewicht und verschränkte die Hände hinter seinem Rücken. „Wir sind rechtschaffene Bürger. Wir können niemanden verurteilen, für dessen Verbrechen wir keine Beweise haben. Das wäre gegen das Gesetz. Alles haben wir versucht! Tapfere Männer gingen hinauf zum Weingut, kehrten aber nie wieder zurück. Am Tage suchten wir nach ihnen, doch alles was wir fanden, war noch mehr Blut. Wir wissen nicht mehr weiter! Ich bitte Euch! Helft uns! Dass ihr in dieser schweren Stunde in unsere Stadt gekommen seid, muss ein Zeichen Gottes sein!“ Als das letzte Wort die Lippen des Priesters verließ, brach der Jäger in schallendes Gelächter aus. Hoch amüsiert schüttelte er den Kopf. „Kann Gott rote Kreise auf Karten malen?“ Mit einem Schlag wurde seine Miene wieder ernst, als hätte ihn zuvor nicht das Geringste amüsiert. „Setzt mir bis morgen schriftlich einen Vertrag auf. Was ihr von mir möchtet und die Entlohnung. Dann nehme ich mich eurem Fall an.“ Für einen kurzen Moment wirkte der Priester wie erstarrt, dieser Jäger benahm sich so sonderbar, dass er es fast bereute ihn um Hilfe gebeten zu haben. Schnell fand er seine Fassung wieder, er entsann sich darüber, dass er keine andere Wahl hatte. Dieser merkwürdige Jäger war seine große Hoffnung zu gegenwärtiger Stunde. Ganz beiläufig strich er seine Robe glatt. „Ist denn eine gute Tat nicht Entlohnung genug? Ihr helft anderen Menschen in großer Not, und erlangt dafür euer persönliches Seelenheil. Welch schöneren Lohn kann es geben als dieses gute Gefühl.“ Dem Priester waren die klaren, blauen Augen denen er entgegen starrte, fast unheimlich. Kalt. Auf den Zügen des Nebeljägers verzog sich einer seiner Mundwinkel zu dem Ansatz eines Lächelns dass weit davon entfernt war, seine Augen zu erreichen. „Persönliches Seelenheil verlängert nicht mein Leben. Euer Gott ist nicht so barmherzig wie ihr gerne glauben möchtet.“ Langsam lehnte er den Kopf noch weiter zurück, bis er auf dem Rand der Wanne auflag, jedoch ohne den Blickkontakt zu lösen. „Außerdem bevorzuge ich das Gefühl eines vollen Magens und ein weiches Bett.“ „An wen soll sich mein Vertrag richten?“ Feste presste der Priester seine Lippen zusammen bis sie zu einer langen, dünnen Linie wurden. Jetzt war nicht der rechte Zeitpunkt um die Fassung zu verlieren. „Fisk. Thomas Fisk.“ Früh am nächsten Morgen, als Fisk sich das Fett des Schinkens von den Fingern leckte und nach der letzten Scheibe Brot griff die man ihm hingestellt hatte, trat eine vertraute Person des Vorabends in das Gasthaus. Der Priester ging mit langen Schritten auf ihn zu und legte ein sorgfältig gefaltetes Dokument auf der Tischkante vor dem Jäger ab. Mit zwei Fingern schob er es ihm langsam entgegen. „Da habt Ihr euren offiziellen Vertrag.“ Eilig entfernte Fisk das Wachssiegel und ließ seine Augen über das Papier huschen. Langsam hob er den Blick, während er mit einer Hand in der Reisetasche auf dem Stuhl neben sich fischte. „Aus dem Wunsch reiner Nächstenliebe ist ja zumindest eine kleine Entlohnung geworden.“ Mit einer Spur von Verachtung in den Zügen, reckte der Priester das Kinn vor. „Es sollte für ein Bett und eine Mahlzeit reichen.“ Aus der Reisetasche zog Fisk das stark abgenutztes Buch, welches er immer bei sich trug. Nachdem er den Vertrag fast achtlos irgendwo zwischen die Seiten gestopft hatte, ließ er das Buch wieder in seiner Tasche verschwinden. Während dem Aufstehen schlüpfte er in seinen Mantel und zurrte ihn mit einer Schnalle vor der Brust fest. Nachdem er sich seine Reisetasche über die Schulter geworfen hatte, setzte er sich seinen spitz zulaufenden Hut auf, und ging mit langen Schritten in Richtung der Tür. Die letzte Scheibe Brot stopfte er sich dabei in den Mund. „Nehmt Ihr nun den Auftrag an oder nicht?“ Verärgert über die Ignoranz seines Gegenübers breitete der Priester die Arme aus. Ohne sich noch einmal herum zu drehen, rief ihm der Jäger zu. „Das entscheide ich gleich, wenn meine Kehle noch intakt sein sollte.“ Leicht rümpfte er seine Nase, als er hinaus an die frische Luft des Morgens trat. Noch immer regnete es, nicht stark, aber es war dieser fiese Nieselregen der bis in die Unterwäsche hinein kroch. Tiefer zog Fisk seinen Hut ins Gesicht, schlug den Kragen seines Mantels um und marschierte langen Schrittes auf die Ställe zu. Zu seiner Zufriedenheit hatte man sich gegen ein geringes Entgelt um seinen Begleiter gekümmert. Lächelnd wuschelte er ihm durch das weiche Fell. „Es tut mir leid Veldig, aber der Tag wird für uns beide wahrscheinlich sehr ungemütlich.“ Seit Wochen erfüllte endlich wieder ein vertrautes, aber lange verstummtes Geräusch den kleinen Barbierladen. Sofort sprang Wollart Karms aus seinem Sessel auf und rannte seinem Kunden entgegen. Zumindest hoffte er, es handele sich um einen Kunden und nicht wieder um jemanden, der gekommen war ihn mit Gewalt zu einem Geständnis zu bewegen. Langsamer wurden seine Schritte, als er den in schwarz gekleideten Mann erblickte. An seiner Hüfte baumelte eine kleine Armbrust, und hinter seiner Schulter ragte der Griff eines Zweihandschwerts hervor. Aufkommende Angst ließ seine Hände leicht zittern. Bevor seine Lippen einen brauchbaren Laut von sich geben konnten, setzte der Fremde seinen Hut ab und wuschelte sich durch das blonde Haar. „Was kostet einmal rasieren? Aber nicht ganz ab, nur in Form bringen.“ Verwundert blinzelte Wollart und strich sich die Weste glatt während er begann eine Antwort zu stammeln. „Eine Rasur? Oh, die... die kostet einen Silberling. Verzeiht mein Benehmen, es ist lange her dass ich Kundschaft hatte.“ Fisk legte seinen feuchten Mantel über einen der Stühle nachdem er seine Waffen an der Wand angelehnt hatte. Schwungvoll ließ er sich auf einen freien Sitzplatz fallen. Aus seiner Hosentasche zog er einen Silberling und reichte ihn über seine Schulter dem Barbier. Sogleich wurde ihm ein Tuch um Brust und Schultern gelegt und in seinem Nacken verschnürt. Mit großer Sorgfalt rührte der Barbier die herrlich duftende Rasierseife an und trug sie auf das Gesicht des Kunden auf. Fisk schloss seine Augen und lehnte sich zurück. „Man merkt dass ich nicht mehr viele Kunden hattet. Ihr habt stark abgenommen. Nicht einmal für das Notwendigste reicht es, was?“ Wollart stockte und betrachtete das Spiegelbild des Fremden vor sich. „Woher wollt Ihr das wissen? Ich kenne Euch nicht! Und ihr kennt mich nicht, oder irre ich mich?“ Mit einer wegwerfenden Handbewegung tat Fisk die überflüssige Frage ab. „Eure Kleidung. Sie ist etwas abgetragen, was bedeutet ihr habt sie schon viele Jahre lang. Sie sitzt nicht mehr. Überall ist sie zu weit, sogar in den Gürtel habt ihr noch selbst ein paar Löcher gebohrt.“ Verwundert blickte der Barbier an sich hinab, es war keine Lüge, drei weitere Löcher hatte er selbst hinzugefügt. Als könnte Fisk sein fragendes Gesicht sehen, beantwortete er die unausgesprochenen Worte. „Ich beobachte einfach gern. Könntet Ihr dann nun bitte anfangen? Ich habe noch viel zu tun.“ Zögerlich machte sich der Barbier daran seine Klinge über die Haut fahren zu lassen um die überflüssigen Bartstoppeln zu entfernen. „Seid Ihr auf Reisen?“ „Ja war ich, bis ich einen Auftrag hier bekam.“ Fisk legte seinen Kopf noch weiter in den Nacken damit der Barbier besser arbeiten konnte. „Einen Auftrag?“ „Ich soll Euch dem Mord an Audrie überführen.“ Langsam öffnete Fisk wieder seine Augen, die Klinge war an seiner Kehle zum stehen gekommen. In dem Spiegel ihm gegenüber, blickte er in das Gesicht von Wollart Karms, die Augen weit aufgerissen. „Ihr seid gekommen um mich zu verhaften?“ „Wie soll ich Euch denn verhaften, wenn ich nicht weiß ob ihr es ward? Ward ihr es?“ Erschüttert schüttelte Wollart seinen Kopf, noch immer ruhte seine Klinge an der Kehle des Jägers. „Natürlich nicht! Ich liebte Audrie! Wir wollten heiraten! Kurz vor ihrem Verschwinden machte ich ihr noch einen Antrag! Beim gütigen Gott, niemals hätte ich ihr ein Haar krümmen können!“ Die Augen von Fisk ruhten noch immer auf dem Spiegelbild. Nachdem er mit den Schultern gezuckt hatte, nahm Wollart seine Arbeit wieder auf und ließ die Klinge langsam über die Haut gleiten. „Wisst Ihr wer es war?“ „Nein! Wenn ich es wüsste, wäre dieser verdammte Mistkerl längst zerfressen von den Maden, welche sich über seinen Leichnam hergemacht hätten!“ „Schade, es wäre auch zu viel des Guten gewesen, wenn ich tatsächlich direkt ihren Mörder begegnet wäre.“ Fisk bemerkte ein leichtes Zittern in den Fingern des Barbiers, er war innerlich doch erleichtert, als dieser mit seiner Arbeit fertig war, und das Kinn des Jägers mit einem weichen Tuch abwischte. Kaum hatte er das Tuch beiseite gelegt, ließ sich Wollart in einen der Stühle fallen. Mit einem Schlag wirkte er um gut zwanzig Jahre gealtert, der Blick ging ins Leere. „Meine liebste Audrie. Ich vermisse sie so sehr. Niemals hätte ich ihr ein Haar krümmen können.“ Langsam hob sich sein toter Blick. „Wisst Ihr wie es ist die liebste Person zu verlieren? Und als wäre es nicht genug, würde es Euch noch das Geschäft ruinieren! Weil alle Freunde die man einst hatte, und jeder Fremde obendrein, einen für den Mörder halten? Es bricht mir das Herz.“ „Hatte sie Feinde? Oder hatte sie mit jemandem Streit?“ Wollart schüttelte den Kopf und verbarg sein eingefallenes Gesicht in den Händen. „Niemand! Sie hatte mit niemandem Ärger. Das arme Ding hatte ja schon alle Mühe das Weingut aufrecht zu halten, sie hatte nicht einmal Zeit sich zu streiten.“ Langsam stand Fisk auf und ging mit langen Schritten zurück zu seiner abgelegten Kleidung, um Mantel sowie Hut wieder über zu ziehen. Während er sich seine Waffen umschnallte, warf er einen flüchtigen Blick aus dem Fenster. Zumindest hatte es aufgehört zu regnen. Wollart betrachtete den Jäger nervös, mit weichen Knien erhob er sich von seinem Stuhl, es brauchte viel Kraft seine Stimme nicht brechen zu lassen. „Ihr denkt doch nicht dass ich sie umgebracht habe? So sagt doch was!“ Eine einzelne Träne verlor sich aus seinem Augenwinkel und tropfte von seinem Kinn, seine Lippen bebten. „Es ist mir gleich was aus mir wird! Nur bitte, findet ihren Mörder! Damit meine Geliebte ihren Frieden endlich finden kann.“ Fisk warf einen Blick über seine Schulter, musternd huschte sein Blick über den Barbier. „Ich denke Ihr solltet Euch nicht so hängen lassen. Wenn Ihr so weiter macht, geht Ihr noch zu Grunde bevor ich mir überhaupt ein Bild gemacht habe, von dem was ich denken könnte.“ Feste zog er an der letzten Schnalle um sein Schwert auf dem Rücken zu fixieren. „Eure Verlobte hätte sich dieses Ende sicherlich nicht für Euch gewünscht.“ Allein ließ er den Barbier in seinem Laden zurück, trat hinaus, ohne zu merken wie der ausgemergelte Mann auf die Knie sank. Jedoch sein trauriges Schluchzen nahm er wahr. Eine ganze Weile lang bahnte sich Veldig seinen Weg den schmalen, gewundenen Pfad hinauf zu dem Weingut. Die Häuser von Aurum lagen weit unter ihm im Schutz des Tales, hier und dort kräuselte sich Rauch aus einem der Schornsteine. Noch immer verdeckten graue, dicke Wolken den Himmel, verliehen dem verwitterten Anwesen etwas gespenstisches. Auch wenn dieser Zusatz nicht nötig gewesen wäre. Das Wohnhaus besaß keine Tür mehr, die Angeln waren heraus gerissen und etliche Fenster waren zertrümmert. Schutzlos war das Innere der Witterung ausgesetzt. Wo einst auf den Hängen Weintrauben gehegt und gepflegt worden waren, hatte sich längst Unkraut breit gemacht. Mitten auf dem Anwesen stand ein schmaler Brunnen, drum herum lagen umgestoßene Holzbänke. Gut konnte man sich ausmalen, dass hier bei schönem Wetter Menschen Platz genommen, den Ausblick genossen, und dabei ein Gläschen Wein verkostet hatten. Endgültig waren diese Zeiten vergangen, der Schleier des Todes hatte sich über diesen Ort gelegt. Hatte sich festgefressen wie eine Maus im Brotlaib. Fisk schwang sich von Veldigs Rücken und gab ihm mit einem Handzeichen zu verstehen, er solle dort stehen bleiben. Ein seltsam modriger Geruch lag in der Luft. Gegenüber des Wohnhauses befand sich eine Scheune. Dort hatte man wahrscheinlich die Trauben weiter verarbeitet. Das Schloss, welches die schwere Holztür einst verriegelt hatte, war aufgebrochen. Langsam trat der Jäger an die Tür heran und schob sie mit einer Hand vorsichtig auf. Der Gestank krempelte seinen Magen fast um. Eilig zupfte er seinen schwarzen Schal ein Stück weit heraus und zog ihn über die Nase. Schritt für Schritt wagte er sich in die dunkle Scheune hinein, durch kleine, verschmutzte Fenster drang zumindest ein wenig Dämmerlicht. Die Luft war erfüllt vom Gestank der fauligen Überreste der Trauben und dem Summen unzähliger Fliegen. An den Wänden standen Weinfässer, in der Mitte ein riesiger Bottich wo man einst die Essenz aus den Trauben gestampft hatte, und noch etwas fiel ihm auf. Hinter dem Rand des Bottichs ragten ein paar Stiefel hervor. Im Halbdunkel sah er die Überreste eines Mannes vor sich liegen, sein Unterkiefer war abgerissen, hing nur noch an einem Hautfetzen an seinem Gesicht. Jemand hatte ihn von der Kehle bis zum Nabel aufgerissen und ausgeweidet. Der arme Tropf musste der Kleidung nach zu Urteilen einer der Abenteurer gewesen sein, die sich nach Aussicht auf ein klein wenig Seelenheil, hier her begeben hatten um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Da er sonst nichts weiter in der Scheune finden konnte, trat er wieder hinaus und sog gierig die kühle Frühlingsluft ein. Anschließend nahm er sich das Wohnhaus vor. Beim Eintreten in die Stube fielen ihm sofort die Fußabdrücke auf dem staubigen Boden auf. Mehrere Personen mussten in verschiedensten Zeitabständen hier ein und aus gegangen sein. Manche waren verwischt, in anderen hatte sich bereits wieder eine feine Schicht Staub gebildet, wieder andere waren erst vor ein paar Tagen entstanden. Fisk ging in die Hocke um sie genauer zu betrachten. Männer als auch Frauen hatten diesen Ort aufgesucht. „Nein... eine Frau.“ Leicht kniff er seine Augen zusammen und ging den Spuren nach. Es war immer die selbe Schuhgröße, immer die selbe Charakteristik, ihre rechte Ferse schleifte ein klein wenig über den Boden, bevor sie den Fuß absetzte. Bei den Männern gab es viele Unterschiede, er schätzte dass es um die siebzehn verschiedenen gewesen sein mussten. Abenteurer, Bewohner der Stadt, vielleicht der Barbier, aber auch auf jeden Fall ihr Mörder musste sich unter ihnen befunden haben. Viele der Spuren gingen alle möglichen Winkel ab, die Personen hatten sich vorsichtig, mit kleinen Schritten fortbewegt, waren auf der Hut gewesen, hatten nach Spuren gesucht. Einer aber hatte lange Schritte gemacht, zielstrebig, vor langer Zeit, und war seitdem nicht wieder gekommen. Nach dem Mord musste er hier noch etwas zu erledigen gehabt haben. In der Wohnstube lag alles durcheinander auf dem Boden. Der Inhalt der Schränke war auf den Dielen verteilt worden. Suchend schweifte sein Blick umher, bis er auf der schmalen Treppe hängen blieb. Die Stufen knarzten laut als er hinauf ging. Ein schmaler Flur mit zwei Türen, an jeder Wand eine, erwarteten ihn. Die Linke hatte er als sein erstes Ziel ausgewählt, doch schon als er sich ihr näherte, nahm er einen stechenden, süßlichen Gestank war. Leider war er ihm sehr vertraut. Die Tür war nur angelehnt, nachdem er ihr einen leichten Stoß gegeben hatte, offenbarte sie kreischend das Elend dass sich hinter ihr abgespielt haben musste. Gegenüber der Tür befand sich ein Fenster, vor ihm ein Doppelbett. Dies musste einst das Schlafzimmer der verstorbenen Eltern gewesen sein, das Bett war fein säuberlich hergerichtet, auf der Tagesdecke lag kaum Staub. Ein Mann lag vor dem Bett auf dem Fußboden, sein Innerstes war wie im Wahn aus ihm herausgerissen worden und lag wild zerstreut um ihn herum. Damit er auch tot blieb, hatte man ihm seinen Darm als Schlinge um den Hals gezurrt. Wer auch immer es auf die Männer abgesehen hatte, schien eine Freude daran zu haben, seine Opfer auszuweiden. In diesem Zimmer war es von der Sauerei auf dem Boden abgesehen, sehr ordentlich. Fisk schaute in sämtlichen Schubladen nach, fand aber lediglich nur Plunder. Fröstelnd schauerte er sich, ihm war als würde es in dem Zimmer kälter werden. Das einzige Fenster war verschlossen, und die Scheibe war noch nicht eingeschlagen. Langsam warf er einen Blick über seine Schulter, dass Schwert auf seinem Rücken steckte ruhig in der Scheide. Wann immer sich ihm etwas näherte, welches aus den Eingeweiden der Unterwelt hervor gekrochen war, machte es sich bemerkbar. Bei Geistern allerdings nicht. Sein Weg führte ihn weiter, in ein weiteres Zimmer, es war komplett verwüstet, sogar der Kleiderschrank war umgestoßen worden. Sämtliche Kleider lagen verstreut und jemand hatte seine Wut deutlich an den Möbeln ausgelassen. Fisk vermutete dass dies das Zimmer von Audrie sein musste. Genauer betrachtete er den umgestoßenen Kleiderschrank, die zwei Schubladen waren herausgerissen und zerlegt worden. Was konnte es hier so wichtiges geben, dass gefunden werden musste? Es sah nicht wirklich aus, als wurde es gefunden. Stück für Stück klopfte er den Schrank ab, ein geheimes Versteck, einen doppelten Boden gab es nicht. Beliebt war auch ein Versteck in der Matratze, doch das Bett war ebenfalls dem Zorn des Besuchers zum Opfer gefallen. All das Stroh, mit dem die Matratze gefüllt gewesen war, lag auf dem Boden verstreut. Auch hier hatte der Andere mit einem Versteck gerechnet. Langsam ging Fisk das Zimmer ab, noch immer war es sehr kalt, sein Atem kräuselte sich in feinem Nebel vor seinem Gesicht, doch niemand machte sich bemerkbar. Mit jedem Schritt klopfte er den Boden ab, suchte nach einem Hohlraum, fand jedoch auch hier nichts. Sein Blick blieb auf dem kleinen Tisch haften, er stand vor dem Fenster, auf dem Boden lagen zwei Schreibfedern. Die einzige Schublade war weit heraus gezogen, hing nur noch mit einer Kante fest, der Inhalt fehlte. Gerade als der Jäger weiter gehen wollte, hielt er abrupt inne. Seine Augen wurden für den Bruchteil einer Sekunde größer, gefolgt von einem leichten Lächeln dass sich auf seinen Zügen breit machte. Lediglich eine kleine Kerbe im Inneren der Schublade verriet das Versteck, er wunderte sich, dass eine einfache Tochter, einer Familie die ein Weingut besaß, etwas so raffiniertes gebaut hatte, um etwas zu verstecken. Noch mehr aber interessierte ihn, was es war. Er zog die Schublade komplett heraus, zog seine Handschuhe aus, und versuchte mit dem Fingernagel die kleine Kerbe anzuheben. Da es ihm nicht gelang, hob er eine der Schreibfedern auf und drückte die dünne Platte mit ihrer Spitze hoch. Als er den Deckel des Geheimfachs entfernt hatte, blickte er auf einen Stapel Papier nieder. Zögerlich nahm er sie hinaus, faltete eines der Papiere auf und überflog die niedergeschriebenen Zeilen. Auf seinen Lippen bildete sich ein dunkles Lächeln. Nach einer Weile trat er hinaus in die kühle Luft des Nachmittags. In seiner Hand hatte er ein Stück Stoff, eine Weste die, wie er annahm, Audrie gehört hatte. Veldig ließ er dran schnuppern und ging vor ihm in die Knie. „Viel kannst du damit vielleicht nicht mehr anfangen mein Freund, ich weiß, aber gib dein Bestes. Irgendwo hier muss sie sein.“ Ohne zu zögern schnupperte Veldig über den Boden, schlich in diese, krabbelte in jene Ecke des Anwesens. Fisk stellte eine der umgekippten Bänke wieder auf und wollte sich gerade nieder lassen als ein leises Knurren an sein Ohr drang. Langsam drehte er sich zu Veldig herum und erstarrte. „Das kann nicht dein Ernst sein, mein Freund.“ Es brauchte viel Überzeugung seine Füße zu bewegen, denn sein Pfad führte ihn an den Rand des Brunnens, welcher in der Mitte des Anwesens stand. Mit einer Hand hielt er seinen Hut fest auf dem Haupt und beugte sich über den Rand um einen Blick hinein zu werfen. Nichts als Schwärze war zu erkennen, so tief ging es hinab. Stöhnend richtete er sich wieder zu voller Größe auf, neben ihm hockte Veldig und knurrte noch immer. Erst als Fisk ihm über den Kopf streichelte, hob er den Blick und verstummte. „Gut gemacht, wenn ich mir auch so ziemlich jeden anderen Ort gewünscht hätte.“ Ein letztes Mal warf er einen Blick in den Schacht hinab und rümpfte die Nase aufgrund des modrigen Gestanks. „Gehen wir wieder nach Aurum, ich denke dort gibt es ein paar interessante Dinge zu klären.“ Am fernen Horizont begann der Himmel sich bereits leicht zu verfärben als der Nachmittag in den Abend über ging, als Fisk wieder in den kleinen Ort hinein ritt. Es herrschte gewöhnliche Betriebsamkeit, die Gerüche der Bäcker mischten sich mit den Geräuschen der Schmiede. Auf dem Markt sammelte man langsam sein Hab und Gut zusammen, nur um es am nächsten Morgen wieder der Kundschaft anzubieten. Hier und da erkannte er einen Reisenden, samt Gepäck und frisch verpflegtem Pferd, und sie alle warfen einen leicht nervösen Blick hinauf in die Hügel wo das Weingut vor sich hin verrottete. Es war nie eine gute Werbung für ein Dorf, wenn sich herum sprach dass dort ein Geist sein Unwesen trieb, auch wenn er sich von den Weinbergen nicht löste. Beunruhigend war es allemal, und Fisk konnte sich schon vorstellen wieso die Dorfbewohner ihn mit einer Mischung aus Hoffnung und Skepsis musterten, wenn er vorbei ritt. Nebeljäger besaßen einen gespaltenen Ruf, man war froh wenn man an ihren Diensten keinen Bedarf hatte, allerdings waren sie meist die letzte Hoffnung wenn es darum ging ein Problem zu lösen, wo im schlimmsten Fall dunkle Magie ihre Finger im Spiel hatte. Meist waren sie sehr erfolgreich wenn es um die Beseitigung dieser Probleme ging. Was direkt zum zweiten Grund führte, warum man nicht gern einen Nebeljäger anheuerte. Jemand der mit weißer Magie gesegnet war, um anderen zu Helfen, ein Priester zum Beispiel, wurde als Heiliger verehrt. Jede andere Form von Magie betrachtete man mit großer Skepsis, besonders wenn es um die Sorte von Magie ging, welche einem Nebeljäger anhaftete. Denn niemand außer Mitglieder des Ordens selbst, wussten genau über diese Magie Bescheid. Unwissenheit war ein Sumpf aus Angst, Abscheu und Verachtung. Alles was man wusste war, dass es sich um eine sehr mächtige Art von Magie handeln musste, manche munkelten Sogar sie riefen die Kräfte der Unterwelt selbst hervor. Ein Nebeljäger scherte sich nicht um Gerede, wenn man seiner Hilfe nicht bedürfte, zog er seines Weges. In dieser Welt wimmelte es von Aufträgen und Anliegen, sie erledigten oft die Drecksarbeit die niemand sonst machen wollte. Viele wussten diese Hilfe sehr zu schätzen, viele duldeten sie, manche verjagten sie. Jeder Nebeljäger nahm dieses Schicksal an, oder entschied sich für den einzigen zweiten Pfad. Den Tod. Die kleine Glocke über der Eingangstür des Barbiers schellte ein zweites Mal an diesem Tag. Wollart Karms sprang von seinem Sessel auf, straffte die dürren Schultern und linste um die Ecke zur Tür. Angespannter wurde seine Miene als er erneut den Jäger erblickte. Sichtlich nervös ging er dem schweigenden Fremden entgegen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nun sagt doch etwas! Ihr ward dort oben nicht wahr? Habt Ihr Hinweise auf ihren Mörder gefunden?“ Nachdenklich rieb sich Fisk sein Kinn, das Geräusch seiner Finger die über seine Bartstoppeln fuhren, ließen die Nervosität des Barbiers nur noch mehr anschwellen. „Ja und Nein muss ich sagen um Eure Frage präzise zu beantworten. Vielleicht aber könntet Ihr mir behilflich sein, denn ich habe keine Ahnung wer A sein könnte. Wisst Ihr es?“ Perplex schüttelte Wollart seinen Kopf. „Wovon sprecht Ihr?“ Fisk kramte aus einer Innentasche seines Mantels einen kleinen Stapel vergilbter Papiere hervor und hielt sie Wollart hin. „Diese Briefe hat Eure Verlobte in ihrem Zimmer sehr gut versteckt, jemand hat sie dort wie besessen gesucht. Der Absender unterschrieb lediglich mit einem A.“ Vollkommen aus der Fassung gebracht blickte Wollart ein paar Male zwischen den Briefen und dem Jäger hin und her, dann erst traute er sich einen von ihnen auseinander zu falten und zu lesen. Seine Unterlippe begann schon nach ein paar Zeilen zu beben, rückwärts taumelte er zurück um sich auf einem der Kundensessel nieder zu lassen. Eilig faltete er einen zweiten Brief auseinander, seine Hände zitterten und in seinen Augen sammelten sich Tränen des Kummers. Mit heiserer Stimme, und wachsender Wut, begann er den Dritten Brief zu lesen. „Ich kann das alles nicht glauben! Diese Briefe an sie... diese intime Schreibweise... mit meiner Audrie? Unmöglich! Sie war mir eine treue Seele!“ Fisk enthielt sich eines Kommentars dass der Inhalt dieser Papiere eine andere Sprache spreche, aber er verkniff es sich und schürzte lediglich die Lippen. Der Barbier sprang wütend von seinem Sessel auf und kreischte einen Absatz aus dem Brief laut aus. „Ich hoffe sehr du findest bald den Mut die Verbindung mit diesem Taugenichts Wollart zu beenden? Wisse ich bin immer für dich da? Meine Arme werden dich auffangen, wie sie es bereits in so vielen wunderbaren Nächten getan haben?“ Vor Zorn schreiend schleuderte er die Briefe von sich, seine dürren Arme machten kaum den Eindruck einer solchen Belastung stand zu halten. Einen der Kundensessel trat er von sich fort, fegte ein paar Arbeitsutensilien von der Theke und sackte unter bitteren Tränen nach seinem kurzen Ausbruch in sich zusammen. Schluchzend lehnte er sich an die Theke und verbarg das Gesicht in seinen zitternden Händen. „Oh Audrie! Warum hast du mir das nur angetan? Ich hatte ja keine Ahnung!“ Fisk kratzte sich wieder am Kinn und betrachtete die wild verstreuten Liebesbriefe. „Also wisst Ihr nicht wer dieser A sein könnte?“ Verzweifelt riss Wollart seine Arme in die Höhe und kreischte. „Nein! Meine Audrie war mir doch immer treu! Solch eine Affäre hätte ich ihr nie zugetraut! Arschloch! Dafür steht das A! Für Arschloch!“ Neuerlich verbarg er weinend das Gesicht in den Händen. „Erscheint mir nicht plausibel, warum sollte er sich in den Briefen an die Liebste selbst so betiteln?“ Mit Schrecken geweiteten Augen sah Wollart zu Fisk auf und hielt für einen Moment mit dem Schluchzen inne. „Wollt Ihr Euch jetzt auch noch über mich lustig machen? In all meinem Kummer?“ Beschwichtigend hob Fisk eine Hand und deutete eine Verbeugung an. „Sicherlich nicht. Schließlich geht es hier um Mord, eine ernstzunehmende Sache. Versucht Euch zu erinnern, habt Ihr wirklich keine Ahnung wer mit A gemeint sein könnte?“ Darauf aber konnte ihm der Barbier keine Antwort geben, er kannte niemanden dessen Vornamen, noch Familiennamen mit diesem Buchstaben beginne. Nachdenklich ging Fisk ein paar Schritte in dem kleinen Geschäft auf und ab, er blieb vor der kleinen Ledertasche stehen welche Wollart in seinem Zorn auf den Boden geworfen hatte. Er hob die Tasche auf und schlug die Lasche zurück, darin befanden sich die Rasierpinsel des Barbiers und seine Messer. Fisk zog einen seiner Handschuhe aus und strich mit dem Daumen über einen der größeren Pinsel. „Sagt, wo habt ihr diese Pinsel her? Als ich heute morgen bei Euch war fiel mir schon auf wie besonders weich sie sind. Solche Pinsel habe ich noch nie gesehen.“ Noch immer vollkommen aufgelöst konnte Wollart nur den Kopf schütteln. „So geht doch bitte einfach und lasst mich mit meiner Trauer allein! Als wäre nicht schon alles schlimm genug gewesen, jetzt auch noch...“ Fisk fiel ihm ungeduldig ins Wort. „Ich werde gehen, aber ich interessiere mich wirklich für diese Pinsel. Sie sind so unglaublich weich.“ Wollart brauchte ein paar tiefe Atemzüge bis er sich soweit beruhigt hatte, um wieder sprechen zu können. „Der Herr sei mir gnädig dass ich nicht sogleich wirklich ein Mörder werde! Verflucht noch eines! Diese Pinsel waren ein Geschenk von meinem einst besten Freund. Er hat ein paar Straßen weiter ein Geschäft wo er Pinsel aller Art herstellt. Nach Audries Tod, als ich mich auf meine Reise machte, schenkte er mir sie. Und nun geht! Geht!“ Fisk erfüllte ihm seinen Wunsch und verließ den gebrochenen Mann, sofort hielt er eine vorbei eilende Dame an und fragte sie nach dem Weg zu dem Geschäft in welchem man Pinsel aller Art verkaufte. Weit musste er nicht gehen, schon stand er vor der Pforte eines sehr gepflegten Ladenlokals. Der Inhaber schien gut zu verdienen, denn er konnte seine Auslagen hinter einer großen Scheibe Glas den Passanten präsentieren. Ein seltenes und kostspieliges Privileg. Nach einem flüchtigen Blick über die Auslagen betrat er den geräumigen Innenraum des Geschäftes. Unter den Duft von Holz und Leim mischte sich ein schweres, süßliches Parfum. Als der Fremde das Geschäft betrat, wurde er sogleich von zwei Augenpaaren begutachtet. An der Rückwand, mit einem Durchbruch zur Werkstatt, saß an einem breiten Tisch ein Mann mit langem schwarzen Haar, welches ihm in Wellen über die Schultern fiel, und einem gepflegten Schnauzbart. Er war gerade dabei die runden Holzgriffe einiger Rasurpinsel zu polieren, als er in seiner Arbeit inne hielt und die Augen zu dem Besucher hob. Unweit von ihm saß in einem Sessel mit edlen, roten Polstern eine junge Dame, auch sie hatte schwarzes Haar, welches sie zu einem Dutt trug. Im Gegensatz zu dem Mann ließ sie sich nicht davon abhalten weiterhin an ihrem Tee zu schlürfen, nach einem kurzen, prüfendem Blick las sie weiter in ihrem Buch. „Guten Tag der Herr, wie kann ich Ihnen behilflich sein?“ Der Mann blieb ruhig sitzen als er den Fremden begrüßte, um ein Lächeln war er bemüht, was allerdings mehr herablassend wirkte, denn freundlich. Mehr als missbilligend wurde sein Blick, als er diesen auf die schmutzigen Stiefel seines potentiellen Kunden sinken ließ. Fisk ging einige Schritte durch den Laden, schaute mal hier und mal da. „Ich suche einen Pinsel.“ Die Dame hob den Blick nicht von ihrem Buch, kicherte aber leise. Entsetzt rümpfte der schwarzhaarige Mann die Nase als Fisk über einen der Pinsel streichelte. „Dann habt Ihr Euch schon mal nicht in der Tür vertan. Bitte berührt die Ware nicht! Meine Pinsel sind von überragender Qualität, und dies soll auch so bleiben.“ Grinsend hob Fisk den Kopf und musterte den Verkäufer. „Gut, denn ich hätte gern Pinsel wie der Barbier sie hat.“ Langsam senkte die Dame ihr Buch ab, starrte ihn über den Rand hinüber an. Der Mann straffte sichtlich den Rücken und schüttelte langsam den Kopf. „Ich weiß nicht wer Euch zu mir geschickt hat, aber diese Pinsel kann ich Euch nicht machen. Schlichtweg habe ich keine Materialien mehr dafür.“ Fisk hob überrascht seine Brauen und schob die Hände in seine Manteltaschen. „Welches Haar nehmt Ihr denn dafür?“ „Das werde ich wohl kaum verraten! Diese Tiere sind selten, wüsste jeder wo sie zu finden sind, und wie besonders ihr Haar ist, könnte ja jeder kommen und ähnliche Pinsel wie die meine machen! Meine Pinsel sind im ganzen Land bekannt, viele wohlhabende Kunden kaufen bei mir ein, oder lassen mich bei sich einreisen! Scheinbar kann ich Euch nicht behilflich sein, danke für Euer Interesse.“ Auch wenn der Mann mit dem fein gestutzten Schnauzbart deutlich auf die Tür zeigte, machte Fisk keine Anstalten zu gehen. Stattdessen trat er näher an den Tresen heran. Über seine hellblauen Augen legte sich der dunkle Schatten seines Hutes, als er das Kinn etwas anhob. „Euer Wohlstand ist mir nicht entgangen, darüber braucht es keinerlei Informationen.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung und ließ sie danach wieder in die Tasche gleiten. Dann drehte er sich zur Tür herum und bewegte sich langsam auf diese zu. „Bedauerlich. Nachdem ich meinen Auftrag hier erledigt und den Barbier seiner Taten überführt habe, hätte ich mir gern einen neuen Pinsel gekauft. Nun, es wird sich schon jemand finden der meine Taler haben möchte.“ Kurz bevor er die Tür erreichte, erklang eine melodische Frauenstimme hinter ihm. „Ihr habt den Auftrag den Barbier zu überführen?“ Fisk blickte knapp über seine Schulter während seine Hand sich um die Türklinke legte. „Eigentlich lautet mein Auftrag den Mord auf dem Weingut aufzuklären und ihrem Geist Ruhe zu verschaffen. Den Barbier zu überführen geht damit einfach einher. Schließlich habe ich genug Beweise.“ Sorgfältig legte sie das Buch auf einen kleinen Beistelltisch und erhob sich aus ihrem vornehmen Sessel, dabei strich die den Stoff ihres blauen Kleides glatt. Dicht ging sie an den Tresen heran und legte ihre Fingerkuppen darauf ab. „Verzeiht meine Neugier, aber welche Beweise habt Ihr gegen ihn in der Hand? Niemand konnte ihn der Tat überführen, obwohl es ein offenes Geheimnis ist dass er es war. Doch unser Gesetz verlangt hieb und stichfeste Beweise. Was habt Ihr gefunden, was alle anderen übersehen haben?“ Fisk drehte sich langsam zu ihr herum ohne seine Hand von der Klinke zu nehmen, auf seinen Lippen lag ein dünnes Lächeln. „Verzeiht, aber das kann ich Euch nicht verraten. Arme und Bedürftige, Adelsmänner und Könige lassen mich einreisen damit ich mich um die Geheimnisse kümmere, die sonst niemand lüften kann. Berufsgeheimnis sozusagen, ich denke Euer Bruder weiß was ich meine.“ Seine Worte endeten mit einem breiten, fast freundlichen Lächeln als er die großen Augen der beiden Herrschaften sah, dann verließ er das Geschäft. Draußen fuhr er einmal über Veldigs weiches Fell und ging an seiner Seite die Straße hinab. Weit kam er nicht, da hörte er schnelle Schritte hinter sich, begleitet von einem lieblichen Rufen. „So wartet doch!“ Fisk drehte sich halb zu der Dame herum, sie hatte ihre Röcke gerafft und eilte ihm mit langen Schritten nach. Erst als sie bei ihm ankam, drückte sie den Rücken durch und schritt übertrieben anmutig an seiner Seite entlang. „Jetzt bleibt doch stehen!“ Seufzend kam Fisk ihrem Wunsch nach, die einen verscheuchten ihn, die anderen wollten das er wartete. Er wusste schon wieso er auf seinen Reisen manches Mal lieber allein unterwegs war. „Kann ich Euch irgendwie behilflich sein? Wisst Ihr, Kunden bleiben uns schon eine Weile aus, weil sich kaum noch Reisende in unser schönes Städtchen trauen. Ich will ehrlich zu Euch sein, Ihr macht mir einen professionellen Eindruck, eine Hand wäscht die Andere. Euch traue ich zu dass Ihr diesen Mistkerl dafür dran bekommt was er Audrie angetan hat.“ Fisk hob sichtlich überrascht seine Brauen und schürzte kurz die Lippen. „Eher hätte ich jetzt mit der Frage gerechnet, woher ich wusste dass Ihr und dieser Mann Geschwister seid, und wollte mit meiner überragenden Aufmerksamkeitsspanne angeben.“ Sie runzelte kurz die Stirn und schüttelte den Kopf. „Wir sind doch bekannt in dieser Stadt, wenn Ihr hier schon Nachforschungen betrieben habt, müsste es Euch zu Ohren gekommen sein. Das ist doch wirklich kein Geheimnis.“ Der Jäger wirkte fast schon beleidigt und leckte sich knapp über die Unterlippe. „Nein, Euer Laden war mir bis vorhin gänzlich unbekannt. Ich sah es lediglich an Euren Gesichtsmerkmalen.“ Ungeduldig winkte sie mit der Hand ab, als wolle sie dieses Thema wie eine lästige Fliege verscheuchen. „Was sagt Ihr nun zu meiner Hilfe? Wollt Ihr sie, oder nicht?“ „Habt Ihr denn etwas dass mir behilflich sein könnte?“ Sie hakte sich bei ihm ungefragt ein, legte ihr charmantes Lächeln auf und zerrte leicht an seinem Arm. Trotz seiner Lederkleidung konnte er deutlich ihren üppigen Busen an seinem Arm spüren und leistete keinen Widerstand als sie an ihm zerrte. „Lasst uns das doch bei einem leckeren Abendessen besprechen! Sicherlich habt Ihr Euch im Weinkeller eine Bleibe gesucht oder? Das Essen dort ist äußerst delikat.“ Während der Gastwirt die Bestellungen aufnahm, und seine Kellnerin den beiden Gästen ihre Getränke reichte, fuhr sich Fisk durch sein blondes Haar und lehnte sich in dem Stuhl zurück. Die Dame hatte ihm gegenüber Platz genommen und zuckte knapp zusammen. „Wie unhöflich! Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt! Helena Sundig mein Name! Darf ich Euch nach dem Euren fragen?“ „Thomas Fisk.“ Während sich ein Lächeln auf ihren Lippen ausbreitete, spielten ihre Finger mit dem goldenen Anhänger ihrer Halskette. Es war ein kleines, ovales Amulett. „Also, kommen wir zu meinem kleinen Anliegen. Wisst ihr, ich kenne Wollart Karms gut und auch Audrie war eine gute Freundin von mir. Nicht nur weil unser Geschäft seit dem Spuk so schlecht läuft, sondern auch weil Audrie eine gute Freundin von mir war, ist mir sehr daran gelegen ihrer Seele Frieden zu verschaffen. Sicherlich kann ich Euch daher behilflich sein, Thomas.“ Ihre Miene spiegelte Betroffenheit wieder, dennoch haftete das charmantes Lächeln fest auf ihren Zügen. „Nennt mich doch bitte Fisk. So wie Ihr Euren Wohlstand genießt, und um Eure volle Kasse besorgt seid, wollt Ihr als Gegenleistung sicherlich ein Stück meines Lohns haben. Richtig?“ Vor Entsetzen erstarrte Helena förmlich, es dauerte einen Moment bis sie ihre Fassung wieder gefunden hatte. „Haltet Ihr mich für so gierig? Richtig, ich mache kein Geheimnis daraus dass ich den Luxus liebe, den mein Bruder und ich uns aufgebaut haben. Aber mir reicht es schon wenn wieder Kunden nach Aurum kommen. Mir geht es wirklich in erster Linie um Audrie und ihren Frieden. Wisst Ihr, ich sah sie aus der Ferne in einer Nacht und es brach mir das Herz ihre entsetzlichen Schreie der Qual zu hören. Sie war mir immer eine liebe Freundin und ich will nichts mehr, als dass dieses Schwein für sein Verbrechen hingerichtet wird!“ Mit wässrigen Augen blickte sie den Jäger voller Bedauern an, ihre Stimme wurde um einiges weicher. „Wenn Wollart seine gerechte Strafe bekommt, verkaufen wir Euch einen der besonderen Pinsel. Wir haben noch einen kleinen Vorrat von dem Haar und könnten Euch einen herstellen. Ich gewähre auch einen kleinen Rabatt.“ Gerade als der Wirt den beiden Gästen ihre Teller hin stellte, hob Fisk eine seiner Brauen in die Höhe. „Ist das so? Euer Bruder hatte mir nicht gerade den Anschein gemacht, als wäre er daran interessiert mir einen Pinsel zu verkaufen.“ Helena winkte seine Zweifel mit einer eleganten Handbewegung ab. „Ach! Nehmt es Ultarior nicht übel. Wenn ein Kunde in unseren Laden kommt, der sich nicht gerade in die edelsten Gewänder hüllt, verliert er schnell seine Manieren. Unsere kleine Krise setzt ihm sehr zu.“ Während Fisk auf einer Scheibe Schmorbraten herum kaute, betrachtete er Helena. Erst nachdem er seinen Bissen herunter geschluckt hatte, ging er auf ihre Worte ein. „Also gut, ich nehme alles was Ihr wisst, überführe Wollart und dann bekomme ich einen Pinsel, richtig?“ „Richtig. Er kostet sechzig Silbertaler.“ Gerade nahm Fisk einen Schluck aus seinem Becher, als er sich an ihrem Worten verschluckte und in ein lautes Husten ausbrach. Helena rümpfte die Nase als er sich anschließend den Mundwinkel mit dem Ärmel abwischte. „Sechzig Silbertaler? Ich dachte der Pinsel sei aus Haar, nicht aus Gold.“ „Seid nicht albern. Qualität hat ihren Preis. Im Sommer reisen mein Bruder und ich extra in ferne Länder um diese seltenen Tiere zu erlegen. Ihr Fell ist äußerst kostbar, außerdem müssen wir für viele Neumonde unser Geschäft schließen. All das kostet nun, außerdem gab ich Euch einen Rabatt. Für Euch fünfzig Silbertaler. Könnt Ihr Euch den Pinsel leisten oder nicht?“ Fisk nahm noch einen Bissen von seinem Braten, verzog einen Mundwinkel zu einem Lächeln. „Wir kommen ins Geschäft.“ Helena gab ein zufriedenes Schnurren von sich. „Also gut, wie gesagt, ich wusste ja schon immer das mit Wollart etwas nicht stimmte...“ Fisk brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen und ergriff selbst wieder das Wort. „Interessiert mich nicht. Ihr sagtet Audrie war eine gute Freundin richtig? Dann wisst Ihr doch sicher mit wem sie eine Affäre hatte.“ Helena fiel sämtliche Fassung aus dem Gesicht, mit geöffnetem Mund starrte sie ihr Gegenüber an, unfähig auch nur einen Ton von sich zu geben. Fisk erkannte deutlich wie sich ihre Brust unter den flachen Atemzügen kaum regte. Erst als dieser sie mit einer kreisenden Handbewegung dazu aufforderte zu sprechen, erwachte Helena wieder aus ihrer Starre. „Wie kommt Ihr denn auf solch eine absurde Idee?“ „Hatte sie denn keine?“ Helena schüttelte energisch den Kopf und legte ihre Hand neuerlich auf ihre Brust, als müsse sie damit ihr Herz zur Ruhe bringen. „Niemals! Audrie würde so etwas niemals tun! Wie kommt Ihr nur auf solch eine absurde Idee? Da solltet Ihr lieber mal Wollarts schlimme Finger unter die Lupe nehmen!“ Fisk legte den Kopf leicht schief und legte sein Besteck zur Seite. „Wollart? Was ist mit ihm?“ Leicht nervös spielte Helena wieder an ihrem Amulett herum und blickte zur Seite. „Wisst Ihr, er hat mir schon lange schöne Augen gemacht. Ich möchte fast sagen er war von mir besessen! Immer wieder lauerte er mir auf, machte mir Komplimente, begleitete mich gegen meinen Willen überall hin, er lief mir nach wie ein Hund!“ „Hört sich ja nach einem ganz schlimmen Finger an!“ Ihre feinen Brauen zogen sich vor Wut zusammen aufgrund seines Kommentars, samt Zornesröte auf den Wangen starrte sie ihn an. „Macht Ihr Euch über mich lustig? Ich bin eine Dame, wie sieht es denn aus wenn mir ein Mann so hinter her kriecht? Er beschmutzt meinen Ruf!“ Fisk kämpfte gegen ein Schmunzeln an. „Ich dachte immer schöne Frauen genießen es wenn ihnen die Männer hinterher laufen.“ Sofort entspannte sich ihre Miene wieder, sie stützte ihre Ellenbogen auf dem Tisch ab und lehnte ihren Oberkörper etwas nach vorn. „Wollt Ihr mich jetzt mit Komplimenten umgarnen?“ „Ich spreche nur aus was ich sehe. Wollart ist aber nie gegen Euch handgreiflich geworden?“ Wieder senkte sie ihren Blick zur Seite und umfasste mit den Händen ihre Oberarme. „Es beschämt mich, aber Euch kann ich ja sicher die Wahrheit sagen, schließlich geht es um die Verhaftung eines Mörders. Hin und wieder, wenn ich recht spät vom Markt nach Hause ging, hat er mir aufgelauert. Er kam mir nahe und hat versucht mich unsittlich zu berühren. Niemandem habe ich bisher davon erzählt, nicht einmal meinem Bruder! Wollart und er waren doch beste Freunde. Ich will gar nicht daran denken was Arior mit ihm gemacht hätte!“ „Arior? Ich dachte er hieß Ultarior?“ Kaum merklich zuckte Helena zusammen und hob abwehrend ihre Hände. „Was? Natürlich heißt mein Bruder Ultarior! Ich bin nur so durcheinander, die Erinnerung an diese Situation macht mich noch ganz krank. Nun sagt mir aber doch bitte wie Ihr auf den Gedanken kommt, dass Audrie eine Affäre gehabt haben könnte?“ Fisk leerte den Rest in seinem Becher mit einem Zug, seufzte leise und zuckte mit den Schultern. „Heute war ich auf dem Anwesen und habe mich dort ein wenig umgesehen, dabei fiel mir etwas Interessantes in die Hände.“ Helena machte große Augen, sie beugte sich noch ein klein wenig mehr vor, ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „Was war es?“ Auch der Jäger beugte sich ihr weit entgegen, dabei schob er mit einer Hand seinen leeren Teller zur Seite. Ihre Gesichter waren sich so nah, dass sie den Atem des anderen auf der Haut spüren konnten. Große braune Augen schauten zu Fisk auf, als er ihre Hand ergriff. Auch seine Stimme verfiel in einen Flüsterton. „Berufsgeheimnis. Den Augen eines Jägers entgeht nichts, meine Schöne.“ Ohne den Blick von ihr zu lösen, senkten sich seine Lippen auf ihren Handrücken. Kaum das er ihre Hand wieder los gelassen hatte, richtete er sich auf, warf sich seinen Mantel über die Schulter und senkte zum Abschied seinen Kopf. „Nun entschuldigt mich aber, ich habe noch zu tun. Außerdem muss ich mich früh nieder legen, damit ich morgen ausgeschlafen bin. Schließlich soll es Wollarts letzter Tag in Freiheit sein. Wenn Ihr nichts von der Affäre wusstet, könnt Ihr mir nicht helfen.“ Vollkommen sprachlos blickte Helena ihm nach, an ihre Ohren drang noch eine kurze Unterhaltung dass Fisk den Wirt bat das Essen auf seine Rechnung zu schreiben. Fassungslos schüttelte sie den Kopf, sie wusste nicht recht was sie von dem Jäger halten sollte. Eilig verließ sie die Gaststätte, erregt von dem Gefühl Wollart könnte bald für seine Vergehen endlich zur Rechenschaft gezogen werden. Auf den Straßen von Aurum kehrte Ruhe ein, die Lichter wurden gelöscht und die Türen verschlossen. Viele lagen bereits in ihren Betten, träumten, wälzten sich herum. Erst dann war seine Zeit gekommen, lange nach Untergang der Sonne, trat er hinaus in die späte Nacht. Die Dämmerung des Morgens war schon näher als die des vergangenen Abends, dennoch würde auch sie noch einige Stunden auf sich warten lassen. Eilig trieb er Veldig durch die leeren Straßen, hinaus aus dem Dorf, hinauf in die verwitterten Weinberge. Der Mond schien hell, grobe Umrisse konnte er deutlich erkennen, aber ohne die gute Sicht seines Reittieres hätte er den Weg nicht mehr finden können. Veldig aber hatte sich den Weg gemerkt, es war ein leichtes für ihn den Befehl seines Herren auszuführen. Lange dauerte es nicht, da hatten sie den steilen Hang erklommen. Noch einmal blickte Fisk hinunter in das finstere Tal, der Mond beschien die Dächer des Dorfes. Diese Ruhe gefiel ihm deutlich besser als das geschäftige Treiben am Tage. Neben der Scheune ließ er sich im Gras nieder, Veldig legte sich flach neben ihn, ahnend dass er in dieser Nacht wieder ein wenig Beschäftigung erhalten würde. Fisk schlug die Lasche seiner großen Reisetasche um, welche er an dem Sattel von Veldig befestigt hatte. Blind fuhr er über einen Riemen, ertastete in einer der Halterungen ein kleines Fläschchen. Das letzte seiner Art. Nachdem er den Korken gelöst hatte, schluckte er die Flüssigkeit in einem Zug hinunter. Ein paar Male musste er blinzeln, dann setzte die Wirkung ein. Das Dunkel der Nacht lichtete sich für ihn, tiefe Schatten bekamen deutliche Konturen, Details wurden sichtbar. Lange dauerte es nicht, da sah er so gut in der Nacht, wie auch am Tage. Während er wartete, zog er drei Pfeile aus dem Köcher, welcher seitlich seines rechten Oberschenkels befestigt war. Nachdem er ein weiteres Fläschchen aus seiner Tasche gezogen hatte, rieb er die Pfeilspitzen und ein kleines Stück des Schachts damit ein. Behutsam steckte er zwei der Pfeile zurück, den Dritten aber spannte er in seiner Armbrust ein. Hier und dort zog eine Wolke über ihm am Himmel entlang, machte das Dunkel der Nacht noch intensiver. Er aber störte sich nicht mehr daran. Alles was ihn störte war das lange Warten, doch auch das sollte sogleich ein Ende finden. Mit einer Seite lehnte er sich an die Wand der Scheune, gähnte die Müdigkeit fort als er plötzlich eine Veränderung wahr nahm. Kälte kroch heran, ging durch Mark und Bein. Fisk zog ein wenig an dem Griff des Schwertes, lockerte es, doch es blieb stumm. Eine Tatsache für die er dankbar wahr, denn damit hatte er die Gewissheit, dass es sich tatsächlich um einen normalen Spuk handeln musste. Sonst hätte sein Schwert ihm schon eine Warnung gegeben. Quälend langsam verging Minute um Minute, Fisk hatte sich indessen bereits mit seiner schussbereiten Armbrust in Position gebracht. Leise, wie in weiter Ferne, drang ein Wimmern, Schluchzen und Klagen an seine Ohren. Der Jäger spitzte seine Ohren, immer deutlicher waren die Klagelaute zu vernehmen. Angespannt starrte er auf den Brunnen, die Augen leicht zusammen gekniffen. Das Leder seiner Handschuhe knarzte leise als sich einer seiner Finger enger um den Abzug seiner Armbrust schmiegte. Am inneren Rand des Brunnens regte sich etwas, Fingerspitzen krochen empor, glitten über den glatten Stein. Ein Unterarm war zu erkennen, dann eine zweite Hand die den faulenden Körper in die Höhe zog. Dunkles Haar klebte nass an dem eingefallenen Gesicht, ein dunkles Stöhnen durchdrang die Stille der Nacht. Die Haut der Gestalt, welche langsam aus dem Brunnen hervor kroch, hing schlaff von ihren Knochen. Ihr hagerer Leib war bedeckt von einem leichten Nachthemd, zu verschmutzt um das Muster erkennen zu können. Gerade als sie ihren Oberkörper auf dem Stein abgelegt hatte, und sich vollends aus dem Brunnen schälen wollte, ging ein Ruck durch sie hindurch. Ihr Kopf hob sich, ein ekelerregendes Knacken war zu hören. Leere Augenhöhlen starrten Fisk an. Ihr Unterkiefer klappe hinunter, ein gellender Schrei drang aus ihrer Kehle. Fast wirkte es, als würde sich das faulige Fleisch auf ihrem Gesicht zu einer Miene aus Zorn verformen. Mit einem Mal schien neue Kraft in ihr geweckt zu sein, mit nur einem Ruck zog sie sich mit ihrem gesamten Körper aus dem Brunnen. Ein schmatzender Laut erklang als sie im Gras landete. Wie eine Puppe, befestigt an unsichtbaren Schnüren die ein Puppenspieler im makaberen Spiel führte, hob sich ihr Körper in die Höhe. Arme und Beine hingen schlaff hinab, erst als sie wenige Fuß über dem Boden schwebte, riss sich ihr Kopf in die Höhe. Sie streckte die dünnen Arme aus und schrie ihre Wut hinaus, als sie schnell wie der Wind nach vorne schoss, direkt auf den Jäger zu. Erst als sie ihm so nahe war, dass er die kleinen Wassertropfen klar erkennen konnte, die von ihren Haarspitzen perlten und sich hinter ihr verloren, betätigte er den Abzug. Der Pfeil ging durch ihren Körper hindurch, schlug in den Holzbogen ein, an welchem früher einmal ein Eimer, zum Hinablassen in den Brunnen, befestigt war. Doch als litt sie durch den Treffer unsagbare Qualen, schrie der Geist auf, presste ihre Hände auf die getroffene Stelle und geriet ins Taumeln. Als sie ihre Hände sinken ließ, erkannte man tatsächlich so etwas wie eine Wunde. Ihr Nachtgewand war getränkt mit einer schwarzen Substanz die aus ihrem Inneren hervorquoll. Langsam drehte sich ihr Kopf zurück zum Jäger. Ihr Kiefer riss auf, in einem Ausmaß, wie es bei einem Menschen niemals sein konnte. Ihr gellender Schrei war so unerträglich dass Veldig die Ohren anlegte und sich leise winselnd zusammen kauerte. Fisk presste fest die Lippen zusammen und zog sein Schwert. Gerade als Audries Geist wieder auf ihn zuraste, machte der Jäger ebenfalls einen Satz nach vorn. Mit beiden Händen umklammerte er fest den Griff und schwang die lange Klinge nur knapp an ihr vorbei. Er hatte damit gerechnet sie zu treffen, sie hätte viel langsamer sein müssen, aber ihre Wut und ihr Hass hatten sie über lange Zeit genährt. Fisk wich aus, als Audrie wieder auf ihn zuraste und mit ihren langen, knochigen Fingern nach ihm hieb. Seine Sohlen schlitterten über das Gras, in einer schwungvollen Drehung wirbelte er herum und setzte mit einem weiteren Schlag nach. Dieses Mal durchdrang seine Klinge ihre Haut. Zu sehen war lediglich eine rote Linie, aber Audrie schlug wie im Wahn ihre Arme um sich, schrie ihren Schmerz heraus und schluchzte laut. Kreischend suchten ihre leeren Augen nach diesem Menschen der ihr noch mehr Leid zufügen wollte. Dort war er, ging langsam Rückwärts, sie verstand nicht was er tat, es interessierte sie auch nicht, alles was sie wollte war ihm die Haut aufzureißen, in seinem Blut zu baden und ihre Seelenqual mit seinem Leid zu lindern. Fisk rieb die schwarze Flüssigkeit, die an seiner Klinge kleben geblieben war, in die goldenen Runen, welche am Rand seiner Klinge eingebettet waren. Immer dann wenn er eine Rune ausgefüllt hatte leuchtete sie auf. Es reichte nicht für alle, aber es musste für sein Vorhaben genügen, denn Audrie flog wieder auf ihn zu, die Hände zu Klauen gekrümmt Bereit sie in sein weiches Fleisch zu bohren. Im letzten Augenblick rollte Fisk sich zur Seite weg, ihr Hieb ging ins Leere. Ihr Durst nach Rache war lange nicht gestillt, ihr Zorn wuchs immer weiter an. Sie wirbelte herum, da traf sie sein Angriff mit voller Wucht. Die Klinge bohrte sich bis zur Hälfte durch sie hindurch, es war als würde sie innerlich etwas zerreißen. Schreiend warf sie den Kopf in den Nacken. Fisk streckte eine Hand nach ihr aus, flüsterte leise Worte welche die Runen noch heller scheinen ließen. Von seinen Fingerspitzen löste sich leichter, violetter Nebel, kräuselte sich in ihre Richtung und legte sich um ihr Gesicht. Audries Kopf verdrehte sich, ihr Nacken knackste unter der Last, mehr als ein Röcheln brachte sie nicht mehr hervor. Ihre finsteren Augenhöhlen richteten sich auf den Jäger. Die Blaue Farbe in seinen Augen war verschwunden, war einem leuchteten Violett gewichen. Unter all ihrer Kraftaufbietung hob Audrie die Arme, streckte die Hände nach ihm aus, doch die Distanz war zu weit als dass sie diese hätte überwinden können. Als Fisk seine Stimme hob, war sie dunkel und rau. Bestimmend stellte er seine Frage, doch nicht der Ton war es, der ihr eine Antwort abverlangte, sondern sein Geist. „Wer hat dir all diese Liebesbriefe geschrieben?“ Audrie krümmte sich vor Schmerz und stöhnte leise. „A...“ „Wer ist es? Wer ist A?“ Als müsste sie sich vor Scham verkriechen, verbarg sie ihr Gesicht in ihren Händen und schluchzte laut. „A! A! A!“ Fisk streckte seine Hand noch weiter nach ihr aus, der Nebel um seine Finger wurde stärker. „Wer ist A? Mit wem habt Ihr Wollart betrogen?“ Kreischend warf sie den Kopf hin und her, von Fisks Stirn lief ein Tropfen Schweiß hinab. „Wo- Wollart! Oh, W- ol, oh Art.“ Für einen Moment lang biss sich Fisk auf die Unterlippe, dann wurde seine Stimme lauter, fordernder. „Hat dieser A dich getötet?“ Audrie sah den Fremden mit so großem Kummer an, wie es ihr totes Gesicht nur zu Stande bringen konnte. In ihre heisere Stimme mischte sich ein noch größeres Wehklagen. „Nein! Mein Haar! Mein Haar!“ Fisk überkam die Ungeduld, er wollte seine Antworten jetzt haben, und nicht noch mehr seiner wertvollen Kraft verschwenden. „Wer ist A? Und wer hat Euch getötet? Antworte mir!“ Zitternd öffnete Audrie ihren Mund, ein dunkles Kratzen drang aus ihrer Kehle, gerade als die Laute sich zu Wörtern bilden wollten, durchdrang die Nachtluft eine ganz andere Stimme. „Audrie! Was hast du mir nur angetan?“ Für einen kleinen Moment war Fisk abgelenkt, genau in dem Augenblick als Audries Zorn noch mehr zunahm und sie sich aus seinem Bann befreien konnte. Kreischend riss sie sich von dem Jäger los, taumelte ein wenig rückwärts. Schnell aber hatte sie ihre Kraft wieder gewonnen und preschte nach vorn, dicht vorbei an Fisk, denn ihr Ziel war mittlerweile ein Anderer. Mit großen Augen wirbelte der Jäger herum, der Störenfried hatte eine Fackel in der Hand, was es nicht schwer machte ihn auch ohne den Trank im Dunkeln zu erkennen. An der Eingangspforte des Anwesens stand Wollart Karms. Tiefe Schatten fielen in sein eingefallenes Gesicht, die Augen verquollen von all den Tränen. Er schrie mit heiserer Stimme als Audrie auf ihn zu raste. „Warum Audrie? All deine Wut und Zorn sollten meiner sein! Du verdammtes Miststück, alles habe ich dir gegeben!“ Der Trauerspuk riss die Hände nach vorn und den Mund weit auf, ihr Schrei ging durch Mark und Bein. Nur noch wenige Fuß trennten sie von Wollart, sie holte aus damit ihre Klauen ihn mit voller Wucht treffen konnten. Gerade in letzter Sekunde traf ihn ein Schlag von der Seite und riss ihn von den Füßen. Fisk hatte sich gegen ihn geworfen, beide landeten durch die Wucht auf dem harten Boden und rollten ein wenig weiter. Sofort sprang der Jäger wieder auf, umfasste den Griff seines Schwertes mit beiden Händen fest und stammelte ein paar Wörter in einer Sprache die Wollart nicht verstand. Die goldenen Runen am Rand seiner Klinge leuchteten hell auf, gerade als Audrie erneut einen Angriff starten wollte, traf sie das Schwert. Es zerteilte sie einmal in der Mitte, direkt unter ihrem Nabel. Noch bevor sie verstand was geschehen war, setzte Fisk all seine Kraft in seinen zweiten Schlag. In einer fließenden Bewegung drehte er sich einmal um sich selbst und zerschmetterte ihr den Schädel. Seine Klinge drang tief in ihren Leib, zerteilte ihr Herz, und schnitt sie in zwei Hälften. Ein Schrei von unendlicher Wut durchdrang die Nacht als sich Audries Geist in viele schwarze Partikel auflöste und verschwand. Wollart griff nach seiner Fackel, die er durch den Sturz verloren hatte und rappelte sich mit zitternden Knien wieder auf. Alles hatte er mit angesehen und konnte nur fassungslos den Kopf schütteln. „Sie ist Fort... Audrie ist fort!“ Fisk wirbelte herum, das Gesicht von dem Schatten seines Huts verdeckt, ging er mit großen Schritten auf Wollart zu. Mit einem Ruck riss er an seinem rechten Handschuh und ließ ihn achtlos zu Boden fallen. Bevor dieser auch nur ein Wort an ihn richten konnte, hatte Fisk ausgeholt und verpasste Wollart einen Schlag ins Gesicht welcher den Barbier abermals von den Füßen riss. Wollarts Welt drehte sich um ihn herum, es dauerte eine Weile bis er all seine Gedanken wieder geordnet hatte. „Was? Warum?“ „Warum?“ Fisks wütende Stimme donnerte über die Stille der Nacht hinweg. „Weil Ihr ein verdammter Idiot seid! Dämlicher Hund! Fast hätte sie mir eine brauchbare Antwort geben können! Ihr aber habt es versaut.“ Wollart hielt sich sein schmerzendes Gesicht, er versuchte erst gar nicht mehr auf die Füße zu kommen, stattdessen kroch er rückwärts ein wenig von Fisk fort. „Sie... sie hat mich aber doch betrogen und ich...“, weiter kam er nicht. Fisk stellte sich über ihn, ging in die Hocke und riss ihn am Kragen hoch. Nur wenig Raum befand sich zwischen ihren Gesichtern. Wollart blickte direkt in des Jägers Augen, sie erschienen ihm nicht mehr so blau wie er sie in Erinnerung gehabt hatte, viel mehr wirkten sie jetzt Violett, es musste sich um eine Täuschung handeln, denn die am Boden liegende Fackel spendete nicht sonderlich viel Licht. „Und was glaubt Ihr, wolltet Ihr hier tun? Ihr sagen was sie für ein Miststück ist weil sie Euch betrogen hat? Ihr die Briefe um die Ohren hauen und eine Diskussion mit ihr austragen?! Das was Ihr hier noch von Audrie seht, ist ihre Seele, beherrscht von Trauer und Hass. Mit solch einem Geist kann man nicht einfach einen Plausch abhalten!“ Wollarts Augen füllten sich mit Tränen und er schüttelte den Kopf. „Ich wollte doch nur dass dieser Kummer ein Ende hat. Hätte sie mich zerrissen, es wäre mir egal gewesen.“ Fisks Hand schloss sich um Wollarts Kiefer, zwang ihn so wieder in sein Gesicht zu sehen. „Seid Ihr ein Mann, oder ein Versager ohne Eier? Ihr seid widerlich.“ Fisk richtete sich wieder zu voller Größe auf nachdem er den Barbier los gelassen hatte. Wollart kroch langsam rückwärts. Fisk trat ihm gegen den Stiefel. „Was seid Ihr nun? Ein Versager? Nehmt an was das Leben Euch darbietet, ändern könnt Ihr es nicht. Zerbrecht an Eurem Selbstmitleid weil eine Frau Euch betrogen hat, oder strafft die Schultern und steht wieder auf.“ Wollarts Lippen bebten, an seinen Wangen liefen Tränen des Kummers hinab. „Habt Ihr eine Frau oder eine Liebste? Sagt es mir Jäger.“ „Nein habe ich nicht.“ „Habt Ihr je geliebt?“ „Selbstverständlich.“ Fast wirkte Wollart ein wenig überrascht über diese Antwort, er rang um Fassung und erst als er sich sicher sein konnte, dass seine Stimme nicht versagte, sprach er weiter. „Wisst Ihr wie es sich anfühlt wenn ein geliebter Mensch für immer fort ist, und sie Euch betrogen hat? Wisst Ihr das? So kalt wie Ihr seid sicher nicht! Lasst mir meine Trauer! Was kümmert es Euch?“ Fisk zog einen Nasenflügel nach oben als würde er etwas abscheuliches betrachten. „Stellt mir keine Fragen und beantwortet sie dann selbst Ihr Narr. Auch ich habe schon verloren und wurde betrogen, mehr als einmal in diesem Leben. Wie fast jeder andere Mensch auch. Sollten wir uns deshalb jetzt alle bis an unser Lebensende geißeln und uns in den nächsten Fluss stürzen? Was ein Schwachsinn. Eure Trauer ist mir egal! Aber dann trauert zu Hause und versaut mir nicht meine Arbeit! Ich habe wertvolle Kraft für nichts verschwendet. Wegen Euch.“ Wieder trat Fisk ihm hart gegen den Stiefel. „Seid Ihr nun ein Versager oder ein Mann? Wollt Ihr Audries Geist Frieden schenken oder nicht? Entscheidet.“ Wollart senkte den Blick, seine Schultern zitterten, ihm drehte sich der Kopf, er war so versunken gewesen in seiner Trauer, dass nichts anderes mehr für ihn zählte. Er war nicht so wie dieser Fremde, er hatte das Gefühl die Last nicht länger tragen zu können. Und doch wollte er nicht hier, an diesem Ort wo er so viele glückliche Momente mit Audrie verbracht hatte, von diesem Fremden so gedemütigt werden. Was bildete dieser sich ein? So mit ihm zu reden, schließlich war er doch nicht immer so gewesen. Audrie hatte ihm einmal gesagt, sie bewundere ihn. Nun lag er hier wimmernd am Boden, ohne Hoffnung. Langsam rappelte er sich wieder auf, seine Beine drohten wieder nachzugeben, aber er wollte nicht wieder einknicken. Langsam hob er den Blick zu Fisk, welcher ihn noch immer verachtend musterte. „Ich bin kein Versager! Auch wenn Audrie mir nicht treu war, gäbe es etwas dass ich für sie tun könnte, würde ich es auch tun!“ „Könnt Ihr.“ Wollart riss die Augen auf, schnappte nach Luft wie ein Fisch den man seiner natürlichen Umgebung beraubt hatte und ergriff Fisks Mantel. „Was? Was ist es das ich für sie tun kann?“ Die Wut des Jägers schien verraucht, zurück blieb ein kalter, fast gleichgültiger Ausdruck. Seine Stimme war ruhig, trug jedoch etwas bedrohliches in sich. „Was würdet Ihr denn opfern?“ Wollart starrte in die Leere vor sich, als wäre er nicht an diesem Ort. Weit fort, in einer fernen Erinnerung. Audrie hatte ihn geliebt und er hatte sie geliebt. Sie wollten sich ewige Liebe schwören, sie hatte vor Glück geweint als er um ihre Hand angehalten hatte. Um nichts in dieser Welt konnte er sich erklären wieso sie ihm nicht treu gewesen war. Alles was er hatte waren die Briefe eines Fremden. Nicht die ihren. So viele Jahre hatten sie verlebt, durch so viel Glück und Leid waren sie zusammen gegangen. Er hob wieder seinen Blick, starrte Fisk direkt in seine Augen. „Alles. Alles würde ich für sie opfern.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)