Fünfzig-Pfund-Kraniche von Alaiya ================================================================================ Zwischenspiel ------------- Als Joanne vor dem Haus von Jack und Robert stand, war es bereits früher Nachmittag. Sie hatte die Spur für gute vier Kilometer verfolgt, war aber zur Bank zurückgekehrt, als sie niemanden gesehen hatte. Da sie nicht wusste, mit was sie es zu tun hatte, gab es die Möglichkeit, dass sie der Spur zwanzig Kilometer folgen konnte ohne einem Ziel näher zu kommen. Sie hatte Owen nicht länger mit Blackburn allein lassen wollen. Der Filialleiter war nicht glücklich über ihren Plan, die nächste Nacht abzuwarten. Sie war nicht glücklich darüber, eine Erklärung erfinden zu müssen, was „wirklich“ passiert war. Jack öffnete die Tür. Haut und Haar verrieten seine persische Abstammung, auch wenn seine Züge erstaunlich fein dafür wirkten. Er hätte wahrscheinlich einen guten Aladdin abgegeben. „Ah, da bist du ja wieder“, meinte er grinsend und umarmte sie kurz. „Du wurdest schmerzlich vermisst.“ Das schlechte Gewissen stach ihr im Magen. Sie wusste, dass sie ihr Versprechen nicht gehalten hatte. „Ich weiß, ich weiß.“ Sie zog die Schuhe aus, die mit Schneematsch verschmiert waren und drückte Jack dann das Paket mit Kuchen in die Hand. „Ich sehe, du versuchst deine Tochter zu bestechen.“ Sie schlüpfte aus ihrer Jacke und zuckte mit den Schultern. „Ich dachte eher, ihr würdet euch drüber freuen. Ist Robert schon da?“ „Er kommt sicher nicht vor sechs“, erwiderte Jack. Joanne nickte. „Ich sag's dir gleich. Ich muss dich bitten, auf Amy aufzupassen, bis Joachim Feierabend macht.“ „Wieso?“ „Ich fahre nachher zur Bank zurück. Ich warte darauf, dass der Einbrecher wiederkommt.“ Sie verdrehte die Augen. „Dir fällt keine gute Begründung für einen grimmigen Filialleiter ein, warum jemand in seinen Tresor einbricht, um Oragami zu falten, oder?“ Jack lachte. „Das klingt nach einer guten Geschichte.“ „Oh ja, glorreich“, murmelte sie und folgte ihm in das Wohnzimmer des schmal gebauten Reihenhauses. Amy saß vor dem Fernseher. Sie kniete am niedrigen Wohnzimmertisch und malte mit dicken Wachsstiften, während im Fernsehen irgendein Cartoon lief. Als sie die Schritte hörte sah sie auf und für einen Moment zeigte sich ein Strahlen auf ihrem Gesicht, dass jedoch schnell wieder verblasste und einem Schmollmund wich. Das blonde Haar der Fünfjährigen war zu einem losen Zopf gebunden, aus dem sich bereits einige Strähnen gelöst hatten. „Du bist wieder da“, murmelte sie und wandte sich demonstrativ wieder ihrer Zeichnung zu. Jack schenkte Joanne einen Vielsagenden Blick und ging dann in die Küche, die durch eine halbhohe Wand vom Wohnzimmer abgetrennt war. „Ja, ich bin erst mal wieder da, Liebes“, meinte sie und ging zur Sitzecke vor dem Wohnzimmer, um ihrer Tochter über die Schulter sehen zu können. „Das heißt du gehst wieder“, stellte Amy missmutig fest. „Erst in ein paar Stunden“, erwiderte Joanne. Amy erwiderte nichts, sondern zeichnete weiter an einem Bild, dass einen Schneemann, auf dessen Hut ein schwarzer Vogel saß, darstellte. „War Murphy hier?“, fragte Joanne. „Er sagt, er kommt nachher wieder.“ Amys Stimme ließ keinen Zweifel daran zu, dass sie noch immer schmollte. Vielleicht sollte sie nachher Murphy fragen, ob er mitkam. Er wäre zumindest fähig Blackburn von irgendeiner unsinnigen Erklärung für den Vorfall zu überzeugen. Es würde einiges leichter machen. Aber erst einmal musste sie sich um ihre Tochter kümmern. „Hör mal, Amy. Es tut mir leid, dass ich schon wieder weg musste, aber die Leute von der Polizei haben meine Hilfe wirklich gebraucht.“ „Warum?“, kam es wehleidig, während Amy mit blauer Kreide Kreise auf das Bild malte, die wohl Schneeflocken darstellen sollten. „Weil jemand den Leuten in der Bank einen Streich gespielt hat und dafür durch den Geisterraum gelaufen ist.“ Das Wort „Astral“ verwirrte Amy immer, weshalb sie es mieden. „Und sie hatten niemanden da, der dort nachsehen konnte, verstehst du?“ „Warum können sie niemand anderen rufen?“ Joanne seufzte. „Weil so schnell niemand anderes kommen konnte.“ Ihr Seufzen wurde von einem schwermütigen Seufzen ihrer Tochter geechot. „Und warum musst du da wieder hin?“ „Weil ich darauf warte, dass der Einbrecher zurückkommt, und ich ihn fassen kann“, antwortete sie. Amy brummte etwas, worauf Joanne sie vorsichtig von hinten nahm und auf ihren Schoss zog. „Es tut mir wirklich leid, ja, Liebes? Morgen bin ich ganz bestimmt tagsüber da.“ „Das sagst du immer.“ Amy verschränkte ihre Arme. „Ich weiß.“ Es tat ihr auch wirklich leid, aber sie wusste, dass ihre Tochter das nicht hören wollte. „Aber ich werde nachher Owen sagen, dass er mich morgen nicht rufen kann, wenn noch etwas da ist. Und über Weihnachten werden Papa und ich beide da sein.“ Wieder seufzte Amy. „Pfadfinderehrenwort?“ Joanne lächelte. „Pfadfinderehrenwort.“ Sie lächelte und stand dann – Amy auf dem Arm – auf. „Magst du etwas Kuchen? Ich habe welchen mitgebracht.“ „Was für Kuchen?“ „Schokoladenkuchen und Marzipankuchen.“ Sie war auf dem Rückweg an einer Konditorei vorbei gekommen. Amy zögerte. „Sollten wir nicht auf Papa und Murphy warten?“ Es war wirklich bewundernswert, dass Amy zu warten bereit war. Viele Kinder waren es nicht. „Weißt du denn, wann er wiederkommt?“ Was er eigentlich machte fragte sie besser nicht. „Er hat gesagt bald, also wird er nicht lange brauchen.“ Und da sollte man eigentlich meinen, der Junge würde auch arbeiten. War nicht eigentlich gerade auch Saison der Rugby-Spieler? Wobei, es war beinahe Weihnachten und Saisonpause. Vielleicht hatte er deswegen Zeit. Oder er probte einmal wieder, wie wütend er Crash machen konnte, ehe ihm etwaige Gegenstände hinterher geworfen wurden. Jack kam zu ihnen hinüber. „Wir könnten etwas spielen. Zu dritt macht es mehr Spaß, oder?“ „Ja. Lass uns Monopoly spielen“, meinte Amy sofort. Joanne seufzte. „Ich weiß nicht, ob ich dafür Zeit habe.“ Traurige blaue Augen sahen sie an. „Bitte?“ Jack klopfte ihr lachend auf die Schulter. „Ich glaube nicht, dass man dir eine Wahl lässt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)