Hundstage von Hotepneith (Kein Hund wie jeder andere) ================================================================================ Kapitel 1: Fehler ----------------- Ein interessanter Abend im angesagten „Billionaire“, in einem der Amüsierviertel Tokios, ging zu Ende. Hier begegneten sich Youkai und Menschen gleichrangig, dafür sorgte schon der enorme Beitrag des Clubs, ohne dessen Mitgliedschaft man die elitären Räumlichkeiten nicht betreten konnte. Hier traf sich vor allem der Nachwuchs der High Society, wurden Ehen ebenso gegründet wie Firmen. Zumeist bekannt für die ungezwungene und dennoch diskrete, unterhaltsame, Atmosphäre boten einige Räume auch Platz für diverse Spiele, oft genug wechselte eine Menge Geld dabei den Besitzer. Ein junger Youkai im schwarzen Anzug, dessen fast knielanges weißes Haar selbst für jemanden seiner Art ebenso auffiel wie die weiße Boa um seine Schulter, schritt gelassen zum Ausgang. Respektvoll wurde ihm Platz gemacht, ehe vor der Tür ein eilig herbeilaufender Bediensteter mit einer tiefen Verneigung seinen Mantel überreichte. „Wer ist das?“ erkundigte sich daher ein, offenbar ausländischer, menschlicher Gast bei seinem Geschäftsfreund, der ihn heute mit hierher genommen hatte, um den neu abgeschlossenen Vertrag auch gebührend zu feiern. „Sesshoumaru,“ erwiderte dieser. „Der Sohn des Inu no Taishou. Dem gehört die Taishou Holding, falls Sie schon davon gehört haben. Überdies ist er so genannter Berater der Regierung, wenn es um dämonische, oder eher, Youkai-Belange geht. Diplomatischer Status. Er hat auch die Verträge zwischen Menschen und Youkai vor fast siebzig Jahren ausgehandelt. Man sagt, für alle Youkai sei er der Herr – und das ist sein einziger Sohn.“ „Er kam dort aus dem Raum – hören Sie das?“ Er bezog sich auf das seltsam klingende Wimmern, das aus dem Raum drang, den Sesshoumaru eben verlassen hatte. „Äh, ja.“ Die beiden Herren schlugen den schweren, grünen, Samtvorhang eines Kabinetts zurück und starrten entsetzt auf den Anblick, der sich ihnen bot. Ein menschlicher Mann lag auf dem Boden, den rechten Arm unnatürlich verrenkt, der schwarze Anzug zerrissen und das, was man darunter sah, war auch nicht schöner Natur, als sei eine aggressive Säure über den Oberkörper geflossen. Die rund um den kleinen Raum hängenden Samtteppiche bewegten sich nicht. „Um Himmels Willen!“ sagte der Gast zu seinem Geschäftspartner und eilte zu dem Verletzten. „Rufen Sie einen Arzt! Was für ein kaltblütiger Hund! Bringt jemanden um und geht dann einfach!“ Hund im wahrsten Sinne des Wortes, ein Inuyoukai, dachte der Angesprochene, aber er wandte sich hastig um, um einen Arzt zu rufen. Das würde eine Menge Ärger geben, wenn ausgerechnet der Sohn des Herrn der Youkai einen Menschen umbrachte und damit die Regeln der Verträge brach.   In einem der vornehmen Viertel der Hauptstadt in einer großen, altmodischen, Villa, saß ein Mann Mitte der Sechzig im Geschäftsanzug, vor sich ein Tischchen, das zeigte, das er soeben gefrühstückt hatte. Er trank gerade den letzten Schluck seines Bancha, als er ein wenig irritiert aufsah, denn die Tür wurde mit gewissem Schwung beiseite geschoben. Onigumo no Gumo war ein sehr reicher Mann und somit nicht gewohnt, dass Leute ohne Anmeldung seine Mahlzeiten störten. Noch ein wenig irritierter erkannte er seinen Sohn, der, offenbar noch im Ausgehanzug, hereinkam, sich jedoch höflich verneigte. Das war mehr als ungewöhnlich. „Naraku? Ist etwas geschehen?“ „Ja, aber ich denke, es wird Sie erfreuen, Vater.“ Der junge Mann, der wie um die Zwanzig wirkte, nahm auf den Wink hin gegenüber des Hausherrn Platz. „Ich komme soeben aus dem „Billionaires“ und wollte es Ihnen sagen, ehe es in allen Medien steht. Es wird einen netten Skandal geben, Presse und Polizei und alles, was dazu gehört. Sesshoumaru hat einen menschlichen Mann verletzt, wenn nicht getötet.“ Onigumo setzte seine Teeschale ein wenig zu fest ab. „Sesshoumaru? In der Tat, das gibt einen Skandal. Hoffentlich wird er festgenommen. Noch etwas?“ Er kannte seinen Sohn. Naraku kam etwas nach seiner dahingeschiedenen Mutter, einer Spinnenyoukai, die noch im Kindbett verstorben war. Onigumo war froh, dass das von den Ärzten als Kindbettfieber und dem Austragen eines Hanyou geschuldet verbucht worden war. Tatsächlich hatte er ein wenig nachgeholfen, als er nachgelesen hatte, dass der unstillbare Appetit einer Spinnendame nach der Geburt der Kinder mehr denn je ausbrach. Und er hing an seinem Leben. Allerdings wusste niemand viel über Hanyou, so selten wie sie vorkamen, und er hatte seinen Sohn auch entsprechend streng erzogen, solange er das in seiner Kindheit vermochte. Das Ergebnis war ein cleverer junger Mann, der ihm in allem nacheiferte. Aber Onigumo war zu welterfahren, um nicht zu wissen, dass die Balance zwischen Anlernen und Vertrauen nicht überschritten werden durfte. Naraku war im Geschäft mit vielerlei Dingen betraut, konnte alles mögliche allein entscheiden, aber er war nicht in alles eingeweiht. Vorsicht war besser. Onigumo bezweifelte, dass ein Hanyou mehr Skrupel haben würde als er selbst. Bei der Kleinen war in dieser Richtung sowieso alles besser. Sie war ein reiner Mensch, gut erzogen, fast ein wenig altmodisch, jedenfalls bereit dazu in einem großen Haus die Herrin zu sein. Nach ihrem Abitur, das Izayoi werbewirksam an einer öffentlichen Schule abgelegt hatte, lebte sie nun hier, lernte Fächer zu schwenken, die Kimono anzuziehen und anderes. Er hatte sich extra eine Dame kommen lassen, die gewöhnlich hochbezahlte Geishas ausbildete. Diese Investition würde sich auszahlen. Es gab nur wenige junge Damen in der Highsociety, die so gar nicht mit der Moderne liebäugelten – und die potentiellen Schwiegereltern mochten darauf achten. Einige Familien waren begütert und gern altmodisch. Naraku zuckte die Schultern, sah jedoch zu Boden. „Sesshoumaru hat entweder nicht bedacht, was er da tut, oder er war sich sehr sicher. - Jedenfalls hörte ich dem Streit zu. Und ich könnte, wenn notwendig, selbst vor Hundeyoukai vor Gericht beschwören, was ich hörte.“ Diese wurden gern als lebende Lügendetektoren eingesetzt, witterten sie doch jede Regung. Onigumo blickte auf. „Interessant.“ Er wartete ab. „Dieser gute Takazen hat ihn beleidigt. Betrüger und Falschspieler waren noch das Harmloseste. Ich hörte es zufällig, da ich aus einem anderen, dahinter liegenden, Raum durch das grüne Kabinett das Billionaires verlassen wollte. Natürlich blieb ich stehen und hörte zu.“ „Natürlich. Und niemand sah dich.“ „Da bin ich mir sicher. Ich verließ den Raum dann erst, nachdem die Sanitäter da waren.“ „Einen Entlastungszeugen für seinen Sohn könnte der Taishou mutmaßlich sehr gut brauchen. Du hast ausgezeichnet mitgedacht.“ Natürlich müsste der Herr der Youkai dafür irgendwie entgegenkommen. Onigumos Gedanken flogen. „Äh, Vater, es gibt nur ein Problem.“ Der Herr der Gumo-Bank und eines förmlichen Finanzimperiums starrte seinen Sohn an, aus den kühnsten Phantasien gerissen. „Was ist? Was hast du getan?“ Er kannte Naraku. So schuldbewusst sah der nur aus, wenn etwas wirklich Schwerwiegendes passiert war, für das selbst der kluge Junge keine Lösung wusste. „Ich brauche bis Ende der Woche zwanzigtausend US-Dollar oder deren Gegenwert,“ gestand Naraku kleinlaut. Onigumo holte tief Atem. „Ich halte diese Spielerei um Geld für töricht, aber ich habe nichts dagegen, solange du gewinnst. Wie konntest du gegen einen Menschen verlieren? Deine Schnelligkeit als Hanyou täuscht doch das Auge.“ „Es ... es war kein Mensch.“ Und das war gegen die Abmachung mit seinem Erzeuger. „Ich kann das Geld unmöglich aufbringen, Vater.“ Onigumo schüttelte ein wenig den grauen Kopf. „Ich auch nicht, Naraku. Zwanzigtausend! An wen hast du verloren?“ „Ryuukossusei.“ Naraku sank in sich zusammen. Er musste seinen Vater überzeugen ihm das Geld zuzuschießen. Jeder wusste schließlich, was der Herr der Drachen mit Leuten tat, die ihm Geld schuldeten. Wenn er verlor, zahlte er durchaus pünktlich, aber wenn ihn jemand hinhielt, konnte der gebrochene Beine als Glücksfall buchen. Prompt kam auch die Bemerkung, die er fürchtete. „Mein lieber Sohn.“ Onigumo verschränkte die Finger. „Ich meine mich zu entsinnen, dass ich dir nicht nur einmal gesagt habe, du kannst deine Spiele gern spielen, aber nur mit Menschen. Was in aller Welt trieb dich dazu, stattdessen nicht nur mit einem Youkai, sondern mit Ryuukossusei zu spielen? Bist du vollkommen verrückt geworden?“ „Er forderte mich auf, Vater. Und ein Nein hört er nicht gern. Ich befürchtete Nachteile, nicht zuletzt für unse … Ihren Konzern. Und mein gewöhnliches Falschspiel brauche ich unter solchen Augen nicht einmal versuchen. Bitte, geben Sie mir die Zwanzigtausend.“ „Unmöglich.“ Naraku starrte seinen Vater an. „Wissen Sie, was das bedeutet? Für mich bedeutet? Es ist für Sie doch keine Mühe … Oder doch?“ Onigumo sah kurz auf sein Tischchen, ehe er behutsam die Flamme im Stövchen ausblies. „Ich kann dir keine zwanzigtausend US-Dollar bis zum Ende der Woche geben, weil ich sie nicht habe.“ „Ja, aber die Bank …?“ Der Sohn atmete tief durch, als ihm die entsetzliche Wahrheit dämmerte. „Die Bank und alle Firmen sind verschuldet, selbst das Haus hier ist bis zur Grenze belastet,“ gestand Onigumo. „Ich hatte mit einigen Spekulationen schlicht großes Pech. Momentan schiebe ich seit Wochen bereits reinkommende Gelder an die wichtigsten Auszahlungen. Kurz zusammengefasst: wir sind pleite, wenn uns nichts besonders Gutes einfällt.“ „Etwas Gutes?“ Naraku starrte seinen Vater an. „Und das Erbe meiner Halbschwester? Das sind drei Millionen! Oder sind die auch schon weg?“ „Nein, die sind da. Bedauerlicherweise hat ihr mein verehrter, verstorbener, Schwiegervater jedoch sein Erbe unter einigen lästigen Bedingungen hinterlassen. Izayoi erhält es nicht vor ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag, es sei denn, sie würde nach ihrem einundzwanzigsten Geburtstag heiraten. Bis dahin habe ich keinerlei Zugriff, ja, nicht einmal die Möglichkeit es zu beleihen.“ Naraku presste die Lippen zusammen. „Sie ist doch einundzwanzig. Dann muss sie doch heiraten können.“ „Kaum innerhalb einer Woche.“ Onigumo richtete sich auf und legte die Hände an die Oberschenkel. „Schön, Naraku. Ich werde ins Büro fahren. Ziehe dich um und komme dann nach. Und wir werden uns beide überlegen, wie wir die Zwanzigtausend an Ryuukossusei zahlen können, die Firmen retten. Jeder einen Plan. Um zwölf Uhr besprechen wir das.“ „Danke, Vater.“ Naraku war zufrieden. Das bedeutete ja auch, dass Onigumo no Gumo dem Schicksal seines Sohnes Priorität vor dem seiner Tochter einräumte. Immerhin etwas. Das mit dem finanziellen Fiasko der Firmen war freilich eine mehr als unangenehme Überraschung gewesen. Auch da musste Izayoi die Lösung sein. Ein in sie verliebter Mann sollte doch bereit sein, ihrer Familie unter die Arme zu greifen.   Pünktlich um Zwölf ließ sich Naraku im Büro seines Vaters anmelden. Onigumo winkte ihm sich niederzulassen. „Dein Plan?“ Natürlich. Der Chef des Gumo-Clans ließ sich nie aus der Reserve locken. „Um die Zwanzigtausend an Ryuukossusei zahlen zu können, werde ich heute Abend wieder spielen. Gegen Menschen. Und verlieren.“ Naraku bemerkte das Stutzen des Konzernherrn. „Ich habe da zwei Männer an der Hand, reich, menschlich, die mich zu einem Spiel eingeladen haben. Verliere ich heute, werden sie morgen mit mir wieder spielen – und ich werde … nun, gewinnen.“ Onigumo neigte etwas den Kopf, durchaus zustimmend. „Natürlich. Und sie können diesen großen Gewinn deinerseits nur der Tatsache zuschieben, dass sie zu gierig waren, nicht wahr? Ein guter Plan. Weiter.“ „Danke, mein Vater. - Was die Bank und die Finanzcenter betrifft – ich habe keine Ahnung, wie viel Geld Sie benötigen. Aber der sicherste Punkt, zumindest die Gläubiger zum Stillhalten zu bewegen, ist der Inu no Taishou. Er ist sowohl reich genug als auch einflussreich genug.“ „Deine positive Aussage über Sesshoumaru.“ „In der Tat.“ „Daran dachte ich auch. Dem guten Taishou sollte es etwas wert sein, seinen einzigen Sohn vor dem Gefängnis zu bewahren. Oder Ärgerem. Denn nach den Verträgen, die der Taishou mit den Menschen aushandelte, bedeutet der tödliche Angriff eines Youkai auf einen Menschen, dass er ihn richten muss. Und solche Morde werden unter Youkai mit der Todesstrafe geahndet.“ „Ja, dessen bin ich mir bewusst.“ Naraku lächelte etwas. „Ein fataler Fehler des Junior. Nur, wie wollen Sie den Taishou dazu bekommen zu bezahlen? Erpressen lassen wird er sich kaum.“ „Nein, keine Erpressung, da hast du recht. Aber eine Heirat deiner Schwester mit Sesshoumaru.“ „Verzeihen Sie, Vater, wenn ich nicht verstehe.“ Aber Naraku hatte gelernt, dass sein Vater meist weitreichende Pläne hatte. Und, dass er ihn langsam, aber sicher, einholte. Umso wichtiger war es, weiter zu lernen. „Ein Bündnis. Der Taishou erhält deine Aussage, damit das Leben oder zumindest die Freiheit seines Sohnes, und eine Million Mitgift für Izayoi. Hinzu kommt, dass sie nicht gerade hässlich aussieht und gelernt hat, wie man ein vornehmes Haus führt. Sie würden sich mit ihr so nicht blamieren – nur, sie ist ein Mensch und das dürfte Sesshoumaru nicht passen. Aber, das wird sich höchstens auf seine künftige Ehefrau auswirken, nicht wahr? Und Izayois Probleme interessieren mich weniger als deine.“ „Danke, verehrter Vater.“ Aber Naraku erlaubte es sich eine Augenbraue zu heben. Da Onigumo den Kopf neigte, fragte er: „Es ist nicht so, dass ich meine Halbschwester liebe. Aber, eine Million, um sie loszuwerden – und wie viel bringt das für die Rettung des Konzerns?“ „Zwei. Das bringt immerhin einen Monat, dazu die Ankündigung der Hochzeit … das sollte reichen. Wie gesagt, ich habe mich verspekuliert, aber ich bin erfahren genug, um auch wieder zu gewinnen. Das Problem sind die Monate dazwischen. Und Izayoi ist ein Mädchen, gedankenlos, behindert durch kleinliche Skrupel. Wir werden ihr erzählen, dass diese Ehe notwendig ist, um uns beide vor dem rituellen Selbstmord aufgrund der Pleite zu retten. Sie darf sich als Heldin fühlen, wir sind sie los. Ich habe sie lange genug durchgefüttert.“ Naraku hob plötzlich überaus interessiert den Kopf. Nach dem Tod seiner eigenen Mutter hatte ihn sein Vater großgezogen, nach einigen Jahren eine menschliche Frau geheiratet. Onigumo bemerkte die gewisse Anspannung. „Nun, wie du ohne Zweifel weißt, habe ich deine Mutter sehr gern gehabt, so gern, um mich über die unsichtbaren Rassenschranken und die Gefahr, die deine Mutter nun einmal mit sich brachte, hinweg zu setzen. Bei meiner zweiten Frau zählte ihre Familie dann deutlich mehr. - Du bist ein Hanyou, du lebst deutlich länger als ich und du kannst es dir erlauben auf Zeit zu spielen. Damals suchte ich einen uralten Baum im Wald auf, von dem es hieß, er berate auch den Taishou. Der war sicher, dass du wie ein Mensch alterst, bevor du in die Pubertät kommst, dann jedoch wie ein Youkai. Nun, seine Vorhersage stimmte bislang. Aus all dem würde ich doch vorschlagen, wenn unsere Lage ein Opfer erfordert, dass das Izayoi sein wird. Oder hast du etwas dagegen?“ Naraku dachte an den Drachen, seine Spielleidenschaft und sein Erbe. „Nein, Vater.“     Eltern verzeihen ihren Kindern am Schwersten die Dinge, die sie ihnen selbst anerzogen haben. Marie von Ebner-Eschenbach.       Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)