Hundstage von Hotepneith (Kein Hund wie jeder andere) ================================================================================ Kapitel 26: Im Schloss ---------------------- Izayoi blieb am Sonntag länger im Bett. Weniger, weil der Ausflug gestern sie so müde gemacht hätte, als weil sie sich immer wieder diesen mehr als romantischen Moment vor Augen führte. Er hatte sie geküsst. Und sie war nicht nur erleichtert gewesen, dass sie seine Fangzähne nicht zu spüren bekam, sondern hatte es genossen, wie vorsichtig er gewesen war, wie behutsam, so ganz anders, als sie es aus Liebesfilmen kannte. Seine Klaue war zärtlich über ihre Wange gestrichen und hatte sich dann in ihrem Haar vergraben. Sie waren danach schweigend gemeinsam in das Schloss zurückgekehrt, aber sie vermutete, dass es dem Taishou nicht viel anders als ihr erging. In seinen Augen hatte irgendetwas gelegen, das ihre Knie weich werden ließ, und das sie so nie zuvor bei ihm oder jemand anderem gesehen hatte. Sie hatte sich vollkommen sinnlos gefürchtet. Sie sollte zu ihm einfach Vertrauen haben. Aber sie konnte ja auch kaum um Audienz bitten und ihm sagen: Ich bin eine Närrin gewesen, bitte, kommen Sie in mein Bett? Was sollte sie nur tun? Immerhin, vielleicht würde sich eine Wiederholung ergeben? Wenn sie nur zu zweit waren, natürlich. In der Öffentlichkeit ziemte sich das nicht. Und, naja, eigentlich wohl in der Trauerzeit auch nicht, oder? „Izayoi-sama?“ Sie schrak aus ihren Gedanken auf und starrte ihre Zofe an. Misako hielt ihr Handy. „Verzeihen Sie, Sie haben wohl wirklich noch geschlafen. Oder, geht es Ihnen nicht gut?“ Immerhin hatte die Herrin nach dem letzten Spaziergang mit dem Fürsten dringend Erholung benötigt. „Doch, doch. Ich stehe gleich auf. Was ist denn?“ „Naraku, das ist doch Ihr Bruder?“ „Halbbruder, ja.“ „Er rief schon zwei Mal an. Ich ging natürlich nicht an Ihr privates Mobilphon, dachte jedoch, Sie sollten es wissen.“ „Ja, danke. Gib es mir. - Kannst du dich erkundigen, ob ich drüben ein Bad nehmen kann?“ Nur nicht noch einen Zusammenstoß mit Sesshoumaru provozieren. Dieses Mal würde der Taishou sicher nicht mehr an Zufall glauben. Und nachdem er das letzte Mal schon Eifersucht zugegeben hatte, würde es jetzt, nachdem er nur zu deutlich gezeigt hatte, dass er sie begehrte, bestimmt für Sesshoumaru und sie selbst schlecht ausgehen. Sie hatte gestern zu ahnen begonnen, welchen Einfluss sie auf die Gefühle des Daiyoukai ausübte. „Ja, natürlich, Izayoi-sama. Nach dem Frühstück?“ „Nur einen Tee. Ich esse dann lieber ausgiebiger zu Mittag.“ „Natürlich. Wie Sie wünschen.“   Alleingelassen wählte Izayoi. „Naraku? Was ist denn passiert?“ „Warum gehst du denn nicht an dein Telefon?“ Er klang so vorwurfsvoll, dass sie ein schlechtes Gewissen bekam, aber nur meinte: „Es ist Sonntag. Und es ist zehn. Ich liege noch im Bett. Meine Zofe brachte mir mein Handy, da sie deinen Namen sah. Hast du dir etwa Sorgen gemacht?“ „Etwas. Ich dachte ehrlich gesagt nicht, dass du am Sonntag ausschläfst. Ich hatte es vergessen.“ War er etwa in ein Fettnäpfchen gesprungen? Und überhaupt – wieso klang sie so selbst bewusst? Machte das diese Arbeit mit den sozialen Projekten, die ihr der Taishou zugeschanzt hatte? Dann musste er jetzt behutsam werden, sonst würde sein Sicherheitsplan erst recht nicht funktionieren. Er musste sie manipulieren können. „Weißt du, ich bin seit Stunden auf. Es gibt wahnsinnig viel zu tun. - Warum ich dich eigentlich anrief, die Testamentseröffnung ist am Montag. Nicht morgen, die Woche drauf. Die zuständigen Anwälte sind die Kobayashis. Hast du etwas zu schreiben da? Ach nein, im Bett natürlich nicht. Ich schicke dir die Adresse dann noch zu, ja?“ „Ja, danke. Und wann?“ Natürlich, wenn er seit drei oder vier Stunden schon Büroarbeiten erledigte, hatte der arme Kerl sicher nicht daran gedacht, dass sie noch friedlich schlafen konnte. „Um dreizehn Uhr. Es sollen auch die Vorstände der Ketten kommen und der Bank, natürlich nicht zu der eigentlichen Testamentseröffnung, aber wegen einer möglichen Aufteilung, vermute ich. Die Kobayashis mauern da. Sie dürften das erst später sagen, so lautete Vaters Anweisung ...“ Naraku nahm Anlauf. „Können wir uns nächste Woche einmal in Tokyo treffen? Hier?“ „Ich darf nicht in Vaters, dein, Haus, ohne zu fragen,“ gestand sie. „Und ganz sicher nicht allein.“ „Hält dich dieser alte Wachhund an der kurzen Leine? Schon gut, ich will dir keine Probleme machen, Schwesterchen. Dann frag. Aber ich würde gern noch mit dir reden, möglichst ohne deine Zofe oder den Chauffeur oder sonst wen.“ Das konnte schwierig werden. Also ging in Tokyo nichts mit den Drachen, sondern nur im Schloss. Hm. Die Hölleninsekten mussten vorsichtig sein, aber sie brachten ihm doch immer wieder Bilder der Wachen. Und, wenn ihn nicht alles täuschte, waren die verstärkt worden. Was wusste oder ahnte der Taishou? Gleich. „Wie gesagt, ich hoffe drauf … sonst sehen wir uns eben bei den Anwälten. Da darfst du, musst du, ja allein mit mir hinein.“ Hoffentlich würden sich die Saimyosho melden, die er an diesen Chauffeur gehängt hatte, Takemaru Setsuna. Den musste er dringend impfen. Entweder es klappte so oder der Taishou würde seinen Fahrer erledigen – auch das wäre in netter Skandal. „Ja, natürlich. Ich werde fragen und dir Bescheid geben.“ Sie musste daran denken, dass sie verliebt war, beschützt und versorgt wurde, und er ganz allein um Vater trauern musste, allein die ganzen Geschäftsunterlagen durchsuchen musste. „Ich sehe zu, dass wir uns nächste Woche noch treffen können.“ „Nun, ich hoffe, du kannst Hundi, ich meine, deinen Ehemann überreden.“ Er sollte sich nicht die Sprachangewohnheiten des Drachen angewöhnen, das konnte einen intelligenten Mann misstrauisch machen, falls Izayoi das gegenüber ihrem Herrn und Meister ausplauderte. Denn eines war klar – der Inuyoukai befahl und sie gehorchte. Wieso auch immer, aber womöglich hatte der ihr auch gezeigt, wo der Hammer hing, obwohl er bislang wohl noch keine tatsächliche Strafe verhängt hatte. Jedenfalls keine, die man sah, das hatten ihm selbst die Saimyosho doch zeigen können. Wobei ein Kimono natürlich auch viel versteckte. „Dann bis später. Ich habe noch einiges zu erledigen.“ „Ja, natürlich. Danke für die Information.“ Als Naraku auflegte, dachte er bei sich, dass sie wirklich selbstbewusster wurde. Sicher lag das an dieser Büroarbeit. Hm. Er würde kaum der Einzige sein, dem das auffiel. Wenn man später, bei einer Gerichtsverhandlung, ihre Zofen und Mitarbeiter befragen würde, würden die das doch auch bestätigen. Damit wurde es glaubwürdiger, dass sie lieber mit einem Menschenmann auf und davon war – und auch glaubwürdiger, dass der Taishou, um seiner Ehre willen, hart zurückgeschlagen hatte. Das würde dem alten Hund das Genick brechen. Er musste jetzt sehr sorgfältig planen. Beide Pläne.   Der Inu no Taishou saß in seinem privaten Arbeitszimmer, vor sich einen Youkai, der die Finanzen in seiner Heimat erledigte, unter der Aufsicht seiner ersten Gemahlin. Wie er diese kannte, würde die Abrechnung mehr als in Ordnung sein, aber er musste zumindest so tun als prüfe er. Er erkannte das Youki seines Sohnes vor der Tür, der anscheinend etwas von ihm wollte, aber es vermutlich als nicht so wichtig einstufte. Nun ja. Der sah sich wohl – nicht ganz zu Unrecht – noch immer etwas in Ungnade. Sesshoumaru hätte allerdings sonst etwas darum gegeben, hätte er gleich zu seinem Vater gedurft. Aber so wichtig, den in einer Besprechung, noch dazu mit Mutters Boten, zu stören, war es sicher nicht. So ließ er sich nieder, die Hand etwas verkrampft. Darin befand sich der Grund seines Problems. Er hatte einen Youkai oder etwas in der Art getötet. Schön, er hatte so etwas noch nie gesehen und, um seine Aufmerksamkeit zu beweisen, das einfangen und Vater präsentieren wollen, aber das dämliche Vieh hatte ihn gestochen. So hatte er fester zugedrückt und das Gift neutralisiert, ehe er feststellte, dass er schon wieder in der Klemme saß. Angenommen, seinem verehrten Vater gehörten diese übergroßen Wespen und sie sollten einer zusätzlichen Sicherheit dienen, so wäre der kaum erbaut, wenn er selbst die umbrachte. Dem jedoch einen neuen Beweis seiner Unbeherrschtheit zu liefern, würde nur dazu führen, dass er sich wieder bei Schneeflöckchen und ihrem Opa fand. Das wäre schon verflixt unangenehm. Eine Steigerung wäre es nur noch, wenn Vater ihn, wie schon einmal geschehen, mit den dürren Zeilen „Ich dachte, er sei ein Krieger ...“ zurück zu Mutter sandte. Diese hatte mit etwas zu schmalen Lippen nur gesagt, dass sie es nicht schätze von ihrer TOCHTER bloßgestellt zu werden. Er hatte sechs lange, viel zu lange, Wochen ununterbrochen Kimonos besticken müssen. Das Einzige, was es noch einigermaßen erträglich machte, war die Tatsache, dass Mutter ihre Hofdamen vor die Tür verbannt hatte. Nein, mangelnde Selbstbeherrschung war etwas, was beide Eltern ihn spüren ließen. Und jetzt … Der jugendliche Inuyoukai atmete tief durch. Vielleicht war es auch anders, und er hatte einen Spion gefangen? Das wäre das Beste. Aber nach seinen Erlebnissen in den vergangenen Tagen sollte er nicht nur wieder Vaters Gunst erwerben, sondern auch nicht davon ausgehen, dass er einmal Glück hatte.   Es dauerte, bis der Bote das Büro verließ, aber zu Sesshoumarus Erleichterung wurde er unverzüglich hereingebeten. Noch gab es also eine Chance. Er verneigte sich höflich und streckte die Hand mit dem seltsamen Insekt vor, während er sich formell niederkniete. „Verzeihung, verehrter Vater, aber ich dachte, Sie sollten das sehen. Und wo die war, gibt es noch andere.“ Das war doch eine sachliche Aussage. Der Taishou warf einen Blick auf das große, tote, Insekt in der Hand seines Sprösslings und stand abrupt auf. „Mehr davon?“ Sein Sohn erhob sich eilig. „Kennen Sie es? Es fiel mir auf. Sie schwirren im gesamten Garten herum. Anscheinend. Ich konnte nur dieses fangen und wollte Ihnen den Ort zeigen. Leider stach es mich und ich … musste es töten.“ „Mehrere.“ „Ja. Ich sah sicher fünf. - Darf ich fragen, was das ist?“ Sein Welpe wusste noch manches nicht. „Saimyosho. Hölleninsekten. - Komm, zeige mir, wo du sie sahst. Sie leben nicht in dieser Welt. Jemand muss sie aus der Unterwelt beschworen haben. Und es gibt sehr wenige Leute, die das vermögen, mich und deine Mutter eingeschlossen.“ Hölleninsekten? Sesshoumaru bekam ein eigenartiges Gefühl. Er hatte geglaubt mit seiner Aufmerksamkeit seinen Vater wieder besänftigen zu können – seit Tagen durfte er nicht mehr trainieren, musste nur im Büro sitzen und in seinem Zimmer lernen, aber jetzt hatte er womöglich seine eigene Mutter in die Klemme gebracht. Ihm war seit Welpentagen bewusst, dass seine beiden Eltern in irgendeiner Form Zugriff auf die Unterwelt hatten, was ihm – noch – verwehrt war. Hatte Mutter etwa diese Insekten beschworen um Vater und seine neue Frau beobachten zu können? Das würde den Herrn der Hunde nicht gerade freuen. Genauer, das grenzte an Verrat. Bemüht sachlich meinte er, als er hinter seinem Vater durch das Schloss ging: „Sie beobachten und geben ihre Nachricht weiter.“ „Ja. Ihr Stich ist übrigens tödlich.“ „Für Menschen.“ „Und alle Youkai, die nicht mindestens in deiner Liga spielen. Sie sind eine Gefahr für die meisten Wesen hier.“ Genauer, alle, bis auf zwei. „Sie haben allerdings in aller Regel eine Basis, wo sie sich sammeln und die Nachrichten an ihren Herrn – oder ihre Herrin – weitergeben.“ Er hatte in seinem Leben nur drei Personen gekannt, die Zugriff auf Hölleninsekten hatten und noch in dieser Welt weilten. Eine davon, Shishinki, war nun tot. Blieben also eigentlich nur er selbst und seine erste Frau. Aber er wollte nichts als gegeben hinnehmen. Auch bei Shishinki war er überrascht gewesen, aber der war ein Daiyoukai. Hm. Ein anderer Daiyoukai oder gar Ryuukossusei?   Sesshoumaru wies seinem Vater den Weg, schon, um zu zeigen, dass er sich nicht zu den Übungsplätzen begeben hatte, was ihm zur Zeit verboten war. „Ich wollte nur der Fahrbereitschaft sagen, wann ich morgen … - Da!“ Er machte einen weiten Satz und verpasste das Insekt um Millimeter, das sofort hoch in die Luft stieg. „Spione.“ Der Taishou blickte sich um. „Ich habe die Wachen verdoppelt, aber das scheint nicht zu genügen. Geh und sag Tetsuya, dass wir Hölleninsekten hier haben. Jeder, der kann, soll sie töten.“ Ryuukossusei? Wer sonst. Saimyosho zu beschwören war eine schwierige Sache. Das würde auch erklären, warum der Drache über die Hochzeit Bescheid gewusst hatte. Und, verdammt, ihm selbst war nichts aufgefallen. War er so auf Izayoi fixiert gewesen, dass er seine eigene und die Sicherung seiner Leute übersah? „Oh, Sesshoumaru – danach kannst du trainieren.“ „Danke, verehrter Vater.“ Der Sohn ging in dem angenehmen Bewusstsein, dass er seinem Vater einen Gefallen getan hatte und zumindest etwas wieder in der Gunst stieg. Was umgekehrt wohl auch bedeutete, dass Mutter damit nichts zu tun hatte.   Der Taishou kehrte in das Schloss zurück, nicht willens, dass der Drache oder sonstige Auftraggeber die Genugtuung verspürte ihn aufgeschreckt zu haben. Er blieb allerdings in der Halle stehen, als er seine junge Gemahlin erkannte, die, beide Dienerinnen mit Körben hinter sich, die Treppe hinunterkam. Sie hatte wohl gebadet, das verriet die höhere Körpertemperatur, die roten Wangen, die leichte Erschöpfung. So oder ähnlich mochte sie aussehen, nachdem … Nun, das gehörte jetzt nicht hierher. Sie hatte ihn entdeckt und verneigte sich, sobald sie die Treppe hinter sich hatte. „Guten Tag, meine Liebe. - Auf ein Wort.“ Er musste sie warnen, auch, wenn er sie aus dem Wirtschaftskrieg um die Firmen ihres Vaters heraushalten wollte. „Natürlich.“ Sie richtete sich überrascht auf. „Seien Sie einstweilen vorsichtig, was Sie sagen. Wir haben soeben Spione entdeckt. Jemand wünscht unbedingt zu wissen, was hier im Schloss und im Garten vorgeht. Es handelt sich um Insekten, ziemlich große, gefärbt wie Wespen.“ „Youkai?“ fragte sie nur. Sie hatte schon von Wirtschaftsspionage gehört. Überdies war der Taishou ja auch noch Mitglied der Regierung. „Nein, andere Wesen.“ Dass die aus der Hölle stammten, musste sie ja nicht wissen. „Ich lasse Leute kommen, die den Pavillon mit Bannkreisen sichern, danach haben Sie wieder Ruhe.“ „Ja, danke. - Oyakata-sama ...“ Schließlich waren Andere, Menschen und Youkai, in der Halle anwesend. „Mein Halbbruder rief mich heute an, in einer Woche wäre die Testamentseröffnung. Er schickt mir noch die Adresse der Anwälte Kobayashi zu. Und, er würde mich gern nächste Woche in der Villa … in seiner Villa treffen. Ich vermute, dass er mir die Bilder meiner Mutter aushändigen will oder anderes, um was ich ihn gebeten habe. Er meinte allerdings, ich solle allein kommen. Ich sagte, ich würde Sie fragen.“ Sie blieb ehrlich. Und sie sah wirklich, wirklich hübsch aus. „Erwarten Sie mich heute Abend um acht. Ich werde Ihnen dann meine Entscheidung mitteilen.“ Bis dahin sollte die Sache mit den Saimyosho zumindest in Bezug auf den Pavillon geklärt sein. Und er hatte einen Vorwand sie aufzusuchen. Vielleicht gab es eine Gelegenheit zu einem weiteren Kuss. Aber, das musste sie entscheiden. Als er beschlossen hatte auf Bokusenos Rat zu hören, hatte er prompt Erfolg gehabt. Ein uralter Magnolienbaum als Eheberater! Wenn es nicht nachgerade lächerlich wäre …   Naraku empfing die Berichte der Saimyosho mit sehr gemischten Gefühlen. Eine war getötet worden, von Sesshoumaru. Das würde Shishinki nicht freuen. Vermutlich würde ihm der Daiyoukai bald wieder auf der Matte stehen. Überdies bedeutete das, dass der Taishou ganz sicher von seinem Söhnchen auf die Hölleninsekten aufmerksam gemacht worden war. Sie würden noch vorsichtiger sein müssen, also noch weniger mitbekommen. Positiv war nur, dass die Überwachung von Takemaru Setsuna ergeben hatte, dass dieser Chauffeur des Taishou nicht verheiratet oder sonst wie liiert war. Also wäre eine Liebesaffäre mit Izayoi glaubhaft – oder sogar tatsächlich möglich. Er musste mit diesem Kerl unbedingt reden. Wenn der nicht wollte, oder ihm nicht glaubte, musste eben der Drachenplan umgesetzt werden. Ryuukossusei hielt sich ihm für überlegen, aber der hatte immerhin zugestimmt, dass es gut wäre, im Zweifel seinen Bruder zu opfern. Naraku hatte argumentiert, er opfere ja auch seine Schwester. Und diesen Takemaru müsste er in der Woche an einem freien Tag einmal abpassen. Ein Insekt sollte den mehr oder weniger permanent begleiten. Irgendwo musste der sich doch auch einmal außerhalb des Schlosses herumtreiben und man mit ihm reden können. Oder zumindest ein Treffen vereinbaren. Wenn der absolut nicht spurte, blieb immer noch die Möglichkeit gegen dessen Willen vorzugehen – und de facto die Drachen als Sicherheit. Natürlich wollte Ryyuukossusei mehr als nur den Taishou am Boden, Sesshoumaru am Besten gleich dazu, aber zumindest in Punkt Eins waren sich seine beiden Verbündeten einig. Hatte Shishinki seine heißgeliebten Schwerter, würde der sich wohl auch um den Drachen und diese Hundedame kümmern. Danach hatte er selbst es nur noch mit Shishinki zu tun, aber mit dem sollte er klar kommen. Jemand, der sich vom Herrn der Hunde übers Ohr hauen ließ, würde doch auch kaum ihm am Verstand ebenbürtig sein. Und der Daiyoukai hatte bereits erwähnt, dass er kein Vergnügen an Geschäften oder gar Menschen habe. Dem ging es nur um die Herrschaft über Youkai, also würde er ihm, Naraku, die über die Menschen überlassen. Gerechtigkeit für alle.   Als der Inu no Taishou pünktlich um acht den Jade-Pavillon betrat, war er nicht überrascht, dass Izayoi ihre Frauen bereits weggeschickt hatte. Das machte sie meist, wenn er sie abends aufsuchte, und er wusste nur zu gut, dass sie versuchte damit seinen Ruf zu schützen. Allerdings hatte sie ihn nie zuvor in einem Yukata erwartet hatte, und eben nur in diesem. Sehr informell, dachte er und neue Hoffnung stieg in ihm auf, als er einen erstmaligen, äußerst anregenden, Blick auf ihren Hals, ihr Dekolleté, werfen konnte. „Guten Abend, meine Liebe.“ Sie verneigte sich, sichtbar verlegen. Natürlich war ihr klar, wie das auf ihn wirken konnte, ja, musste, aber, wie anders sollte sie ihm zeigen, dass sie keine Angst mehr hatte? Vor allem, weil sie doch aufgeregt war? „Darf ich fragen, wie Ihre Entscheidung lautet?“ Er ließ sich ihr gegenüber nieder. „Ich muss zugeben, dass es mir nicht gefällt, dass Naraku Sie so unbedingt allein sehen möchte. Warum sollte es ihn stören, wenn Sie die Fotos und andere Andenken an Ihre Mutter abholen und Taro oder sonst wer draußen wartet?“ „Ich glaube, er fühlt sich sehr allein,“ meinte sie leise. „Möglich. Aber, sehen Sie einen Grund, dass Sie nicht hingefahren werden sollten?“ „Das ist wahr. Überdies sagte er auch, wir seien ja spätestens während der Testamentseröffnung allein mit den Anwälten.“ „Oh, das denkt er?“ Sie blickte überrascht auf. „Ja, die Leute von den Firmen kommen erst später, zuerst geht es nur um uns, sagte er.“ „Nun, ich werde mit Ihnen gehen.“ Unwillkürlich war sie etwas erleichtert, meinte jedoch fragend: „Ja, aber, dürfen Sie das?“ „Meine Liebe, ich weiß, Sie hatten kaum Zeit unseren Ehevertrag zu lesen, aber Ihnen ist bewusst, dass Sie dem Recht der Youkai unterstehen?“ Da sie nickte. „Und nach diesem Recht vertrete ich meine Ehefrau in allen juristischen Dingen als Vormund. Sie dürften gar nicht allein dorthin gehen und etwas unterschreiben.“ Oh, das war doch überraschend. „Ich habe also mit meiner Unterschrift auch meine Rechtsfähigkeit abgegeben?“ Sie klang unwillkürlich etwas entrüstet. „Aber, was ist dann mit den Sachen für die Stiftungen? Oder, Sie sagten doch, Ihre erste Gemahlin verwalte Ihre Heimat?“ „Das ist vollkommen korrekt. Sie und auch meine erste Ehefrau haben diese Rechte allerdings abgeleitet von mir. Ich kann sie geben und auch entziehen. Im Rahmen Ihrer Aufträge haben Sie allerdings jede Befugnis.“ Tja, das war es wohl mit seiner Hoffnung auf einen Kuss heute Abend. Sie schien sich dieser Sache nicht bewusst gewesen zu sein. Obwohl es für jeden Youkai nur logisch war. Der Fürst vertrat die Leute, die ihm unterstanden, jeder Vater seine Kinder und ebenso auch jeder Ehemann seine Frau. Er versuchte sachlich darzulegen, dass das eine Wechselwirkung von Schutz des Stärkeren gegenüber Gehorsam des Schwächeren war. Izayoi sah auf das Tischchen vor sich. Das Mädchen aus der Moderne wollte sich empören, aber sie begriff durchaus, dass die Sitten der Youkai anders waren. Überdies – sie wäre eigentlich ganz froh, würde er mit ihr gehen, wie bei Vaters Totenfeier. Immerhin konnte sie sicher sein, dass er mehr von Verträgen verstand als sie. Und Naraku würde, so gut kannte sie ihn doch, kaum Hemmungen haben, einen geschäftlichen Vorteil zu sehen und auch zu ihren Lasten auszuspielen. „Ich verstehe, Taishou,“ sagte sie leise. „Und ich würde mich freuen, wenn Sie mitkommen.“ „Höfisch korrekt. Aber ist das auch Ihre wahre Meinung? Sie haben mich noch nie angelogen.“ Seine sonst so feinen Sinne versagten langsam in ihrer Gegenwart. Sie hob den Kopf. „Ja. Es ist meine Meinung. - Darf ich Sie bitten, ehe Sie gehen, dass Sie mich noch einmal küssen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)